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Wohlfahrtsstaatliche Konzepte, Kinderbetreuungskulturen und Geschlechterarrangements in Europa

Mechthild Veil – 2003

Die Vielfalt der Kinderbetreuungskulturen in Europa lässt sich weniger auf die ökonomische Basis im Sinne entwickelter und weniger entwickelter Ökonomien zurückführen als auf unterschiedliche Ausprägungen von Wohlfahrtsstaaten und Geschlechterrollen. Die in international vergleichender Forschung vorherrschende Regime-Forschung hat die Eng-führung von Wohlfahrtsstaaten auf Sozialversicherungen um interessensgeleitete Politiken der beteiligten Akteure erweitert und unterschiedliche Muster nationaler Wohlfahrtsstaaten (Regime) auf Basis politisch-ideologischer Leitvorstellungen entwickelt. Dieser theoretisch-methodische Zugriff hat es feministischer Forschung ermöglicht, in den „mainstream“ dieser Forschungsrichtung durch kritisches „Sichabarbeiten“ zu gelangen und diese weiter zu entwickeln. Nach dem Anteil, den der Arbeitsmarkt, der Staat und die Familie in der Produktion von Dienstleistungen innehaben, werden Kinderbetreuungsregime entwickelt. Der Artikel untersucht den Wirkungszusammenhang zwischen den Steuerungsinstrumenten der Wohlfahrtspolitiken zur Herstellung von Geschlechtergleichheit, die an der Erwerbsbeteiligung von Müttern „gemessen“ und an länderspezifischen Betreuungskulturen am Beispiel Schwedens, Dänemarks, Frankreichs und Deutschlands überprüft wird. Das skandinavische Modell (Kapitel 3) steht für eine erwerbstätige Gesellschaft, in der die Erwerbstätigkeit von Frauen als staatsbürgerliche Pflicht angesehen wird, mit öffentlichen Betreuungsstrukturen, die nach diesem Leitbild ausgerichtet sind. Frankreich (Kapitel 4) vertritt ein republikanisches Betreuungsmodell mit geburtenfördernden familienpolitischen Anreizen, das zwar keine explizit auf Geschlechteregalität zielende Steuerungselemente einsetzt, das dennoch für berufsorien-tierte Frauen günstig ist. Der Staat ist Produzent der Normen für die Kinderbetreuung. Kinderbetreuungskulturen und Familienpolitik beruhen auf säkularen republikanischen Werten. Dargestellt wird die Vielfalt von Instrumenten in der Kinderbetreuung, der Wirkungszu-sammenhang zwischen einer die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ermöglichende Familienpolitik und der hohen Erwerbsquote von Müttern mit kleinen Kindern. Deutschland (Kapitel 5) weist nicht nur die geringste öffentliche Betreuungsdichte und eine relativ geringe Müttererwerbstätig-keit im Sinne einer nachholenden Bewegung auf, sondern auch eine große Vielfalt an privaten Betreuungsformen. Ein Umsteuern hin zu einer leichteren Vereinbarkeit von Beruf und Familie seitens staatlicher Instrumente zeichnet sich gegenwärtig nicht ab. Sozial kohärente Steuerungselemente, die der Gleichheit der Geschlechter und dem Leitbild erwerbstätiger Mütter verpflichtet sind, fehlen bisher. Dadurch ist die Position berufsorientierter Frauen nach wie vor prekär.

Titel
Wohlfahrtsstaatliche Konzepte, Kinderbetreuungskulturen und Geschlechterarrangements in Europa
Verfasser
Mechthild Veil
Datum
2003-12
Art
Text
Über die Autorin

 

Mechthild Veil, Dr. phil., selbständig arbeitende Sozialwissenschaftlerin in Frankfurt, im "Büro für Sozialpolitik und Geschlechterforschung in Europa". Forschung und Beratung zur Sozialpolitik (Alterssicherung) unter dem gender-Aspekt, Schwerpunkt Deutschland und Frankreich.

Jüngste von der Hans-Böckler-Stiftung unterstützte Forschungsarbeit, "Alterssicherung von Frauen in Deutschland und Frankreich. Reformperspektiven und Reformblockaden" ist im Dezember 2002 bei edition sigma, Berlin erschienen. Mechthild Veil ist Mitherausgeberin der Feministischen Studien.

Zur Arbeit des Büros und zu Publikationen siehe homepage : www.sozialpolitikvergleich.de

 

Andere Veröffentlichungen der Autorin (Auswahl):

Veil, Mechthild (2003): La réforme des retraites, premiers pas, débats, interrogations. In: Chronique Internationale de l'IRES, H. 82, S. 3-16.

dies. (2002): Ganztagsschule mit Tradition: Frankreich. In: Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament, B. 41, S. 29-37.

dies. (2000): Konfrontation oder Konsens: Rentensystem und Rentenreformen in Frankreich. In: Deutsch-Französisches Institut Ludwigsburg (Hrsg.): Frankreich Jahrbuch 2000. Opladen, S. 205 - 223.

 

 

Kontakt

Mechthild Veil

Email: mechthild.veil@t-online.de