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Wohlfahrtsstaaten und Geschlechterregime im internationalen Vergleich

Teresa Kulawik – 2005

Die vergleichende Wohlfahrtsstaats- und Geschlechterregime-forschung entwickelte sich in den letzten Jahrzehnten zu einem dynamischen, mittlerweile kaum noch zu überschauenden Forschungszweig. Dabei debattierten die feministische Sozialstaatsanalyse auf der einen und die konventionelle vergleichende Wohlfahrtsstaatsforschung auf der anderen Seite zunächst getrennt voneinander. Erste feministische Arbeiten zum Sozialstaat kritisierten ihn als patriarchale Einrichtung, die die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung und damit soziale Ungleichheit zwischen den Geschlechtern herstelle und aufrechterhalte. Die ungleiche Verteilung sozialer Sicherheit zwischen Männern und Frauen wurde so als Ergebnis einer gesellschaftlichinstitutionellen Struktur – und nicht nur als Folge individueller Benachteiligung – begreifbar. In der konventionellen vergleichenden Wohlfahrtsstaats-forschung dominierten zunächst quantitative Studien zum Umfang sozialer Gewährleistungen in verschiedenen Ländern. Mit einer stärkeren Hinwendung zu qualitativ orientierten Konzepten geriet die konkrete länderspezifische Ausgestaltung sozialpolitischer Institutionen stärker in den Blick. Eine wesentliche wissenschaftliche Innovation stellte der Ansatz einer Typologie der Wohlfahrtsstaatsregime dar. Demnach lassen sich die einzelnen Länder idealtypisch in liberal, konservativ oder sozialdemokratisch verfasste Wohlfahrtsstaatsregime kategorisieren. Die Unterteilung erfolgte dabei nach der Logik des Verhältnisses zwischen Staat und Markt in der Bereitstellung sozialer Leistungen, nach der Qualität sozialer Leistungen und nach der Wirkung von Sozialpolitik auf die soziale Schichtung und die gesell-schaftliche Machtverteilung. Dieses zunächst geschlechtsblinde Konzept von Wohlfahrts-staatsregimen wurde in der feministischen Diskussion weiterentwickelt. Die zentrale Fragestellung lautete dabei, inwiefern wohlfahrtsstaatliche Arrangements die Geschlechter-ungleichheit verringern oder verfestigen. Dabei dient der Begriff des Geschlechterregimes dazu, das institutionelle Ensemble sozialer Leistungen von Markt, Familie und Staat, die damit einhergehenden symbolischnormativen Zuschrei-bungen und stratifizierenden Wirkungen im Geschlechter-verhältnis sowie die machtpolitischen Konstellationen, die das Ensemble hervorgebracht haben, zu erfassen. Als Kriterium für eine geschlechtersensible Typologisierung einzelner Wohl-fahrtsstaaten wurde u.a. ihre Nähe bzw. Ferne zum männlichen Ernährermodell vorgeschlagen. Je nach zugrunde gelegten Kriterien differiert die Einordnung einzelner Länder sowohl innerhalb von geschlechtersensiblen Typologisierungen als auch im Vergleich zu den Malestream-Klassifikationen. Die Entwicklung systematischer Erklärungen für Ländervariationen unter Einbeziehung von Geschlecht hat erst in jüngerer Zeit begonnen. Angesichts der länderspezi-fischen Differenzen in der Ausgestaltung der Wohlfahrtsstaats- und Geschlechterregime und widersprüchlicher realer Veränderungen in den einzelnen Wohlfahrtsstaaten zeigen sich sowohl die theoretischmethodischen als auch die empirisch-praktischen Grenzen der bisher vorliegenden Konzepte. Eine viel versprechende theoretische Weiterent-wicklung zur adäquateren Erfassung der Multikausalität wohlfahrtsstaatlicher Entwicklung kann in der Verknüpfung von institutionalistischen und diskurstheoretisch orientierten Ansätzen liegen.

Titel
Wohlfahrtsstaaten und Geschlechterregime im internationalen Vergleich
Verfasser
Teresa Kulawik
Datum
2005-01
Art
Text
Über die Autorin

 

Teresa Kulawik, Dr. phil. in Politikwissenschaft, Associate Professor für Politikwissenschaft und Geschlechterstudien am Södertörn University College in Stockholm/Schweden.

Kindheit in Polen, Studium in West-Berlin und Schweden, Promotion sowie Forschungs- und Lehrtätigkeit am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin.

Forschungsaufenthalte an der Universität Stockholm und der Columbia University, New York/USA.

Forschungsschwerpunkte: Komparatistik, Theorie und Analyse des Wohlfahrtsstaates, Geschlechterpolitik, Geschichte der Politik, Wissenschafts- und Technologiestudien.

Laufende Forschungsprojekte: Gentechnologie, Demokratie und Deliberation in Deutschland, Polen und Schweden (gefördert vom Schwedischen Wissenschaftsrat); Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit in der Ostseeregion (gefördert von der Ostsee-Stiftung/Schweden).

 

Kontakt

Teresa Kulawik

 

Södertörn University College

Gender Studies

14189 Huddinge

Schweden

 

Email: teresa.kulawik@sh.se