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Arbeit und Geschlecht im Wandel: Kontinuitäten, Brüche und Perspektiven für Wissenschaft und Politik

Ingrid Kurz-Scherf, Julia Lepperhoff, Alexandra Scheele – 2006

Der Beitrag analysiert die vielfältigen Problemdimensionen des aktuellen Wandels der Arbeits- und Geschlechterverhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland aus genderorientierter und feministischer Perspektive. Der Überblick (Kap. 2) über die Entwicklung der Erwerbsarbeit von Frauen zu Beginn des Textes verweist auf einen überaus widersprüchlichen Prozess. Einerseits sind in den letzten Jahrzehnten durchaus beindruckende Emanzipationsgewinne für Frauen zu konstatieren, andererseits ist Arbeit nach wie vor zutiefst geschlechtshierarchisch strukturiert. Diese Geschlechtersegregation und -hierarchisierung von Arbeit und Arbeitsmarkt wird skizziert, mit aktuellen Daten und Befunden unterlegt und anhand einiger zentraler Dimensionen von Ungleichheit vertiefend erläutert: Dabei handelt es sich um die geschlechtsbezogenen Unterschiede a) in den Zeitrealitäten und in der Verteilung der unbezahlten Arbeit, b) bei den Einkommen sowie der Bewertung und Anerkennung von Arbeit und schließlich c) hinsichtlich von Teilhabe- und Gestaltungschancen. Der so dargelegte Zusammenhang von Arbeit und Geschlecht wird gegenwärtig allerdings weder in der Arbeitspolitik noch in der Arbeitsforschung hinreichend berücksichtigt. Die anschließende Auseinandersetzung mit der aktuellen Arbeitspolitik in Deutschland (Kap. 3) zeigt am Beispiel der „Hartz-Reformen“ zunächst auf, dass Frauen bei der Politikformulierung und -gestaltung personell nicht angemessen repräsentiert sind. Darüber hinaus lässt sich aber auch auf inhaltlicher Ebene konstatieren, dass die aktuelle Arbeitsmarktpolitik der Verschränkung von gesellschaftlichen Arbeits- und Geschlechterverhältnissen nicht Rechnung trägt. Frauen werden in der Regel lediglich als „Problemgruppe Frauen“ adressiert. Problematisch ist dabei jedoch nicht allein eine mögliche unterschiedliche Betroffenheit von Frauen und Männern durch einzelne Neuregelungen, sondern auch die hinter den Maßnahmen liegende allgemeine politische Stoßrichtung, die eine (geschlechtsspezifische) Segregation des Arbeitsmarktes bekräftigt und zunehmende soziale Polarisierung – auch quer zu den Geschlechtergrenzen – in Kauf nimmt. Im Weiteren wendet sich der Beitrag der Arbeitsforschung zu (Kap. 4) und geht der wissenschaftlichen Auseinandersetzung um den Zusammenhang von Arbeit und Geschlecht nach. Während die Arbeiten der sozialwissenschaftlichen Frauen- und Geschlechterforschung maßgeblich zur Erhellung des Zusammenhangs von Arbeits- und Geschlechterverhältnissen beigetragen haben, zeigt ein Blick auf die theoretischen Debatten der Arbeitsforschung, dass die mit dem Wandel von Arbeit verknüpfte Geschlechterthematik weitgehend ignoriert wurde und die meisten Studien in inhaltlich-konzeptioneller Hinsicht einem male bias unterlagen bzw. noch unterliegen. Diese Schieflage kam in den 1980er und 1990er Jahren beispielsweise in der Fokussierung auf die industrielle Produktion und das „Normalarbeitsverhältnis“ ebenso zum Ausdruck wie in der These vom „Bedeutungsverlust der Arbeit“, so dass die Erwerbsformen und -muster von Frauen nur als „atypische“ Beschäftigung erklärt werden konnten und die steigende Frauenerwerbstätigkeit bei der Analyse der „Krise der Arbeitsgesellschaft“ vollkommen aus dem Blick geriet. Diese Marginalisierung der Geschlechterperspektive wirkt sich schließlich auch generell als eine Blockade für die Zukunftsfähigkeit der Arbeitsforschung aus. Auf der Basis dieser kritischen Reflektion werden abschließend auf die Arbeitsforschung (Kap 4) und auf die Arbeitspolitik (Kap 5) bezogene Alternativen vorgestellt und diskutiert. Um Geschlechtergerechtigkeit im Bereich der Erwerbstätigkeit zu verstärken, bedarf es einer Diskussion über ein neues Leitbild von Arbeit, aber auch über arbeitspolitische Konzepte, die eine genderkompetente Perspektive integrieren. Als wissenschaftlicher Beitrag für ein genderkompetentes Verständnis von Arbeit wird das Leitbild der „Soziabilität“ vorgestellt, das ein Verständnis von „Erwerbsarbeit im Kontext“ entwickelt und mit dem Zusammenhänge zwischen dem Lebensbereich Arbeit und anderen Lebensbereichen erfasst werden können. Vor diesem Hintergrund sollte Arbeit zudem als „politisches Feld“ betrachtet werden, das durch unterschiedliche Kraftlinien und Machtfraktionen gekennzeichnet ist. Im Hinblick auf arbeitspolitische Alternativen wird im Kontext der aktuellen Debatten um bessere Bedingungen für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, um Modelle der Arbeitszeitgestaltung sowie um die Einführung eines Mindestlohns die Bedeutung der „sozialen Frage“ und das Anliegen „guter Arbeit“ - verstanden als sinnvolle qualifizierte und existenzsichernde Erwerbsarbeit - im Zusammenhang mit einer gleichberechtigten Erwerbsintegration von Frauen thematisiert.

Titel
Arbeit und Geschlecht im Wandel: Kontinuitäten, Brüche und Perspektiven für Wissenschaft und Politik
Verfasser
Ingrid Kurz-Scherf, Julia Lepperhoff, Alexandra Scheele
Datum
2006-12
Art
Text
Über die Autorinnen

 

Ingrid Kurz-Scherf ist Professorin für Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt „Politik und Geschlechterverhältnis“ am Institut für Politikwissenschaft der Philipps-Universität Marburg. Sie ist Leiterin von „GendA - Forschungs- und Kooperationsstelle Arbeit, Demokratie, Geschlecht“ an der Universität Marburg, einer Einrichtung, die aus dem BMBF-Forschungsprojekt „GendA – Netzwerk feministische Arbeitsforschung“ hervorging.

Julia Lepperhoff ist promovierte Politikwissenschaftlerin und arbeitet derzeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin am GenderKompetenzZentrum an der Humboldt-Universität zu Berlin.

Alexandra Scheele ist promovierte Politikwissenschaftlerin und arbeitet derzeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Frauenforschung/Soziologie der Geschlechterverhältnisse am Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut der Universität Potsdam.

Beide waren wissenschaftliche Mitarbeiterinnen im Projekt „GendA – Netzwerk feministische Arbeitsforschung“ und sind nun Mitglieder in der „GendA - Forschungs- und Kooperationsstelle“.

 

Links

 

GendA – Forschungs- und Kooperationsstelle Arbeit, Demokratie, Geschlecht (hervorgegangen aus dem BMBF-Projekt GendA – Netzwerk feministische Arbeitsforschung)

http://www.uni-marburg.de/fb03/genda

GenderKompetenzZentrum an der Humboldt-Universität

zu Berlin

http://www.genderkompetenz.info

BMBF Projektverbund Zukunftsfähige Arbeitsforschung

http://www.zukunftsfaehige-arbeitsforschung.de

Initiative „Neue Qualität von Arbeit“

http://www.inqa.de

Zeitschrift für Gesundheitsschutz und Arbeitsgestaltung

http://www.gutearbeit-online.de

 

Ausgewählte aktuelle Veröffentlichungen der Autorinnen

Kurz-Scherf, Ingrid, 2005: „Arbeit neu denken, erforschen, gestalten“ - ein feministisches Projekt. In: dies./Correll, Lena/Janczyk, Stefanie (Hg.): In Arbeit: Zukunft: Die Zukunft der Arbeit und der Arbeitsforschung liegt in ihrem Wandel. Münster, S. 15-37.

Kurz-Scherf, Ingrid/Arlt, Hans-Jürgen (Hg.), 2003: Arbeit, Bildung und Geschlecht. Prüfsteine der Demokratie. Frankfurt, New York.

Kurz-Scherf, Ingrid/Dzewas, Imke/Lieb, Anja/Reusch, Marie (Hg.), 2006: Reader Feministische Politik und Wissenschaft. Positionen, Anregungen, Perspektiven. Königstein/Taunus.

Kurz-Scherf, Ingrid/Lepperhoff, Julia/Rudolph, Clarissa, 2003: Geschlechterperspektiven auf den Wandel von Arbeit. In: WSI-Mitteilungen. 56. Jg. Heft 10, S. 585-590.

Kurz-Scherf, Ingrid/Lepperhoff, Julia/Scheele, Alexandra, 2005: Modernisierung jenseits von Traditionalismus und Neoliberalismus? Die aktuelle Arbeitsmarktpolitik als Ausdruck eines verkürzten Modernisierungskonzepts. In: femina politica: Zeitschrift für feministische Politik-Wissenschaft. 14. Jg. Heft 2, S. 62-74.

Lepperhoff, Julia, 2005: Gleichberechtigt ungleich – ungleich gleichberechtigt. Geschlechter-Wissen in der öffentlichen Verwaltung. In: Kurz-Scherf, Ingrid/Correll, Lena/Janczyk, Stefanie (Hg.): In Arbeit: Zukunft. Münster, S. 245-262.

Lepperhoff, Julia, 2005: Mit zweierlei Maß – Arbeitsmigration aus Sicht der feministischen Arbeitsforschung. In: dies./Satilmis, Ayla/Scheele, Alexandra (Hg.): Made in Europe. Geschlechterpolitische Beiträge zur Qualität von Arbeit. Münster, S. 207-220.

Lepperhoff, Julia/Scheele, Alexandra, 2004: Geschlecht im Wissenschaft-Praxis-Dialog. Arbeitsforschung auf neuen Wegen. In: Sozialwissenschaften und Berufspraxis, 27. Jg. Heft 2, S. 303-312.

Lepperhoff, Julia/Scheele, Alexandra, 2005: Wissenschaft und Praxis im Dialog - ein Ansatz praxis- und genderkompetenter Arbeitsforschung. In: Kurz-Scherf, Ingrid/Correll, Lena/Janczyk, Stefanie (Hg.): In Arbeit: Zukunft - Die Zukunft der Arbeit und der Arbeitsforschung liegt in ihrem Wandel. Münster, S. 69-85.

Scheele, Alexandra, 2005: Ambivalenzen der Frauenerwerbstätigkeit in Europa und geschlechtergerechte Kriterien zur Bestimmung der Qualität von Arbeit. In: Lepperhoff, Julia/Satilmis, Ayla/Scheele, Alexandra (Hg.): Made in Europe. Geschlechterperspektiven auf die Qualität von Arbeit. Münster, S. 35-49.

Scheele, Alexandra, 2005: Arbeit als politisches Feld. Überlegungen für die politikwissenschaftliche Bearbeitung des Zusammenhangs von Arbeit und Politik. In: Kurz-Scherf, Ingrid/Correll, Lena/Janczyk, Stefanie (Hg.): In Arbeit: Zukunft - Die Zukunft der Arbeit und der Arbeitsforschung liegt in ihrem Wandel. Münster, S. 189-204.

Scheele, Alexandra, 2006: Feminisierung der Arbeit im Demographischen Wandel? In: Berger, Peter A./Kahlert, Heike (Hg.): Der Demographische Wandel. Chancen für die Neuordnung der Geschlechterverhältnisse. Frankfurt/Main, New York, S. 267-292.

 

Kontakt

Prof. Dr. Ingrid Kurz-Scherf

Philipps-Universität Marburg

Institut für Politikwissenschaft

Wilhelm-Röpke-Str. 6G

35032 Marburg

kurzsche@staff.uni-marburg.de

 

Dr. Julia Lepperhoff

Humboldt-Universität zu Berlin

GenderKompetenzZentrum

Hausvogteiplatz 5-7

10117 Berlin

lepperhoff@genderkompetenz.info

 

Dr. des. Alexandra Scheele

Universität Potsdam

WiSo Fakultät - Professur für Frauenforschung

August-Bebel-Str. 89

14482 Potsdam

ascheele@uni-potsdam.de