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Christiane Conrad von Heydendorff (Mainz)



Martha Kleinhans / Richard Schwaderer (Hg.) (2013): Transkulturelle italophone Literatur/Letteratura italofona trasculturale. Würzburg: Königshausen & Neumann.



"Literatur und Wissenschaft beruhen auf einer immensen Zahl von Ortsveränderungen, die eher selten in der Literatur und noch seltener in der Wissenschaft ins Bewusstsein treten und reflektiert werden." So äußerte sich Ottmar Ette noch vor gut zehn Jahren in seinem Werk zur Literatur in Bewegung (Ette 2001: 21). Dagmar Reichardt (2006: 33ff.) oder auch Olga Iljassova-Morger (2009: 37) weisen zwar beide darauf hin, dass das Konzept der Transkulturalität bereits Ende der 1990er Jahre in verschiedenen Disziplinen auflebt, attestieren jedoch außerdem eine gewisse anfängliche Vorsicht und sogar Abneigung gegenüber diesem neuen Paradigma. Diese scheint mittlerweile überwunden, die Transkulturalität im literarisch-literaturwissenschaftlichen Bereich in der Romania wie in Deutschland endgültig angekommen. Der 2013 von Martha Kleinhans und Richard Schwaderer herausgegebene Band Transkulturelle italophone Literatur/Letteratura italofona transculturale versammelt die Beiträge der Würzburger DAAD-Tagung im Oktober 2012, der ersten in Deutschland gehaltenen Konferenz zu diesem Themenkomplex. Der Band ist zweisprachig Italienisch-Deutsch gehalten, wobei jedoch die italienischsprachigen Beiträge überwiegen. Die Aufsatzsammlung folgt einer Dreiteilung, bei der knapp ein Drittel allgemeinen Analysen Raum gibt, auf die die dann spezifischeren Untersuchungen folgen. Bewusst wurden dabei zwei geographisch definierte Gruppen von Autoren untersucht – zum einen solche mit afrikanischem Migrationshintergrund, zum anderen Vertreter aus den Balkanstaaten, dem früheren Ostblock – was aufgrund des unterschiedlichen historisch-politischen Hintergrunds dazu beitragen soll, gemeinsame Strukturelemente besser herauszuarbeiten.

Die Herausgeber haben sich zum Ziel gesetzt, aktuelle internationale Forschungspositionen vorzustellen, zur Bestimmung des Standorts transkultureller italophoner Literatur beizutragen und nicht zuletzt, dem deutschen Leser einen lebendigen Bereich rezenter, italienischer Literatur näherzubringen, der über Calvino, Eco und Tabucchi hinausgeht. Sie haben den Anspruch, einen Namen für diese 'neue Literatur' zu suchen, der das Etikett der Migration abgestreift hat und somit auch der Generazione Due gerecht wird. In Anlehnung an Wolfgang Welsch, der in Abgrenzung zu Herders Kugelbegriff der Kulturen, der auch dem Interkulturellen oder Multikulturellen zu Grunde liege, das Konzept des Transkulturellen etabliert, werden Autoren aufgegriffen, deren Vorfahren keine oder nur partielle Muttersprachler des Italienischen waren, die ihre Werke aber in italienischer Sprache verfassen.




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Thematisch fällt bei dieser Literatur die "vielgestaltige und vielschichtige, dokumentarisch-faktuale" oder "poetische fiktionale Verarbeitung der kolonialen Vergangenheit Italiens" (15) ins Auge, in der der "transkulturellen Perspektive eine wesentliche, befreiende Funktion zuzukommen scheint" (ebd.). Gewalt- und Verlusterfahrungen, das Gefühl der Ort-losigkeit, der Identitätssuche- und formierung, der Diskriminierung und Zurückweisung, aber auch die Befreiung und Emanzipation der Frau spielen eine wichtige Rolle – Erfahrungen, die häufig autobiographisch dargestellt und aufgearbeitet werden. In Anlehnung an diese Themen und ihre Verarbeitung bemerken die Herausgeber, dass "eine neue Atmosphäre in die Literatur in italienischer Sprache Einzug gehalten hat, die nicht mehr von postmoderner spielerischer Beliebigkeit, sondern von ethischem Ernst geprägt ist" (17). Die autobiographisch-dokumentarischen Ansätze seien mittlerweile hochkomplexe Texte, die bisherigen Genres einer Neufunktionalisierung unterzogen hätten (vgl. ebd.). Zu Recht kann man daher konstatieren, dass die transkulturelle italophone Literatur erheblich zur Erneuerung und Erweiterung der italienischen Literatursprache beiträgt und in neuen, nicht kanonisierten Formen des Erzählens eine wichtige Rolle spielt.

Immacolata Amodeo eröffnet den allgemeinen Teil des Bandes und reflektiert in ihrem komparatistisch gehaltenen Beitrag italophone Literatur im Vergleich zu Amerika, wo seit jeher ein großer Anteil von Autoren mit Migrationshintergrund aktiv schreibt und publiziert, ohne jedoch von autochthonen Autoren unterschieden zu werden, und mit der frankophonen Literaturproduktion, die bereits eine lange Tradition aufweist. Sie beschäftigt sich mit dem "bel paese", das im Zuge legaler und illegaler Migrationsströme im Wandel begriffen ist und mit den darum gewobenen Reaktionen und Entwicklungen.

Chiara Mengozzi beleuchtet die Beschaffenheit der Werke 'zu vier Händen', einem Verfahren des gemeinsamen Schreibens immigrierter und muttersprachlicher Autoren, und zeigt in ihrer Analyse Vorgaben, Ziele, Topoi und erzählerische Gestaltung solcher gemeinsam verfassten Texte auf. Die Rahmenbedingungen, unter welchen die Autoren arbeiten mussten, sind dabei genauso von Interesse wie alternative Schreib- und Ausdrucksmöglichkeiten, wie sie etwa mit Timira von Wu Ming 2 gelungen sind. Sie weist auf die exorbitante Zahl der Publikationen über das Leben von Immigranten hin, die auch aus der Feder nicht professioneller Schriftsteller geflossen sind. Hier trifft das Bedürfnis, die eigenen schmerzhaften Erfahrungen zu verarbeiten, auf die Notwendigkeit der aufnehmenden Kultur, die Ankömmlinge zu verstehen, sowie auf den Anspruch etwa von Journalisten, diesen bisher anonymen und 'stimmlosen' Leben wieder Würde zu geben. Auf diese Weise entsteht ein immenses Archiv persönlicher Geschichten, das Immigration, Emigration und mehr oder weniger gelungene Integration widerspiegelt und das sich Mengozzi zufolge in verschiedenen Texttypologien konkretisiert.




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Rotraud von Kulessa diskutiert bereits existierende Konzepte der italophonen Literatur im Vergleich und geht sodann näher auf Zeugnisliteratur und engagierte Literatur ein, um deren besondere Merkmale herauszuarbeiten. Sie weist auf das späte Einsetzen interkulturellen Erzählens in Italien hin, das seinen Anfang in Pap Khoumas Io, venditore di elefante habe und bemerkt, dass, im Gegensatz zu den Begriffen der Postkolonialen Literatur, Migrantenliteratur oder auch der "letteratura nascente" (Taddeo 2006: 7), das Konzept der italophonen Literatur den Akzent auf den sprachlichen Aspekt setze und so jede Wertung ausspare. Sie kommt zu dem Fazit, dass diese Literatur vor allem als Ort des Ausdrucks zu sehen sei, als eine Stellungnahme, die versuche, das Kollektiv zu beeinflussen und das Konzept des Autors als das des Sprachrohrs einer Gesellschaft.

Gabriella Dondolini analysiert die von Oralität und starker vitaler Hybridisierung geprägte, 2009 von Mia Lecomte gegründete Gruppe der Compagnia delle poete vor dem Hintergrund der Migrantenliteratur. Wie der Name der Gruppe nahelegt, stehen die Mitglieder dem Feminismus nahe, zeichnen sich aber im Wesentlichen durch unterschiedliche Biografien und Herkunftsländer aus. Ihre Gemeinsamkeit finden sie im Migrationshintergrund und in der Verwendung der italienischen Sprache. Dondolini zeigt die Vielfalt der Stimmen dieser Gruppe auf, denen es trotz oder gerade wegen ihrer Verschiedenheit gelingt, eine eigene Form des Ausdrucks zu erschaffen, die sich aus der Montage unterschiedlichster künstlerischer Varianten speist, etwa der Musik, der Choreographie, der Gesten, des Tanzes wie auch visueller und multimedialer Techniken.

Den Abschluss des allgemeinen Teils bildet der Beitrag von Rosanna Morace, die nach den Konsequenzen und Perspektiven literarischer Migration fragt und zu dem Schluss kommt, dass in der Umgestaltung der Herkunftssprache und -literatur ein "polyphones Ensemble aus sprachlichen Intarsien" (81) die italienische Literatur bereichere. Neben den unterschiedlichen Qualitäten von Muttersprache und angeeigneter Literatursprache sowie deren Mischung befasst sie sich mit der Auflösung und Verschmelzung der Genres, vor allem der Hybridisierung von Roman und Erzählung. In Bezug auf das Sprachliche stellt sie fest, dass das Italienische von den fremdsprachigen Autoren nicht etwa als Kolonialsprache, sondern häufig als lingua distanza oder lingua neutra wahrgenommen wird und in der linguistischen Deterritorialisierung (Deleuze / Guattari 1996: 29) auch den Aspekt der Freiheit, ein neues Register, einen neuen Zugang zur Interpretation, Organisation und Kommunikation der Realität bietet.

Im zweiten Teil des Bandes, der der Literatur italophoner afrikanischer Autorinnen und Autoren gewidmet ist, richtet Franca Sinopoli den kritischen Blick auf die mangelnde Aufarbeitung der jüngeren Geschichte und Kolonialzeit Italiens und spricht davon, dass das Land gerade erst am Anfang eines tatsächlich postkolonialen Weges stehe. Sie legt den Finger in die Wunde und bespricht vergangene wie aktuelle Formen des Faschismus und Rassismus, zeigt Stereotypen und mangelnden Respekt auf und stellt eine rilettura und condivisione der 'gemeinsamen' Geschichte in Frage. Immer liegt ihr Fokus auf der beidseitigen Befragung, darauf, dass sowohl Kolonialisierer wie Kolonialisierte zu Wort kommen müssen. Ihr Beitrag geht über eine literaturkritische Analyse hinaus, da diese allein ihr als unzureichend erscheint.




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Dagmar Reichardt widmet ihren Beitrag den Erlebnissen von Gewalt und Macht im Leben und Schreiben afrikanisch-italophoner Autorinnen. Im Fokus stehen Ribka Sibhatu, Cristina Ali Farah, Gabriella Ghermandi und Igiaba Scego. Als Aufhänger dient ihr die rhetorische Frage, ob "the subaltern" sprechen könne. Daraufhin konjugiert sie das Thema der Gewalterfahrung und Macht anhand verschiedener theoretischer Ansätze (Foucault, Benjamin, Luhmann, Butler, Han) durch, um es anschließend auf die Texte italophoner ostafrikanischer Autorinnen anzuwenden. Dabei stellt sie Gewalt und Exil als Beweggrund des Schreibens, die Oralität als verbindendes Element und das code-switching als omnipräsentes Accessoire heraus. Sie begreift in einem positiven Ansatz die italophone Version einer transkulturellen Weltliteratur als Aussöhnung mit der kolonialen Vergangenheit und der Globalisierung.

Maria Kirchmair beschäftigt sich mit der Suche nach Orten und nach dem Selbst, das stets woanders zu sein scheint. Sie spricht von einem Erzählen des Übergangs von einer Realität in die andere und zwar geographisch, mental, kulturell und sprachlich – ein Vorgang, der sich in der Inszenierung der Figur des Grenzgängers konkretisiere. Unter Berufung auf Lotman und de Certeau untersucht Kirchmair Grenzen, Bewegung und Auflösung als zentrale Semantiken in den Romanen von Ghermandi, Garane und Ali Farah und kommt zu dem Schluss, dass Orte keine ornamentale, sondern eine narrative Funktion hätten und zudem Ausgangspunkt der Dekonstruktion von Identität seien.

Brigitte Le Gouez führt Texte vor, die Lücken im Gedächtnis Italiens als Kolonialnation schließen wollen und zeigt Einsatz und Verfahren, mit denen die Autorinnen gearbeitet haben. Sie bespricht Werke von Scego, Sibhatou, Ghermandi, Aden, Macoggi und zeigt den Versuch auf, Wunden heilen zu lassen, aber auch das nach wie vor bestehende Unbehagen und den Wunsch, kulturelles Erbe vor der Bedrohung durch Kriege und diasporischen Verlust zu retten. Le Gouez macht klar, dass es nur langsam zu einer Mischung der italienischen und afrikanischen memoria kommt und verweist auf das lange Aufrechterhalten und die tiefe Verwurzelung des Mythos der Italiener als "brava gente" wie auch der Stereotypen über die Migranten "dalla pelle scura", Zeichen einer noch nicht ganz überwundenen Weltanschauung.

Martha Kleinhans stellt die These auf, romaneskes Schreiben sei nicht nur Verarbeitung von Traumata, sondern auch Seismograph für gesellschaftliche Entwicklungen und Störungen. Sie unterstreicht nochmals, dass die Autoren weniger ein ästhetisches als vielmehr ein ethisches Anliegen hätten. Ihre Literatur referiere nicht nur auf reale Punkte im durch Transitorik bestimmten Migrantendasein, sondern verweise auf aktuelle soziologische Umwälzungen. Auch sie bezieht sich in ihrer Recherche auf die Werke von Scego und Ali Farah und nennt als Ausgangspunkt für ihre These den literarisch verarbeiteten Bahnhof Stazione Termini als Symbol für Verlust von und Sehnsucht nach Heimat und Verortung. Der eigentliche Nicht-Ort bekommt eine neue Funktion, wird zum Aufenthaltsort und damit zum anthropologischen Ort. Eine interessante Beobachtung ist dabei, dass der Begriff Termini an und für sich einen Endpunkt suggeriert, hier jedoch zum Kristallisationspunkt wird, der die Situation afrikanischer Migranten im heutigen Italien widerspiegelt.




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Susanne Kleinert widmet sich in ihrem Beitrag den Romanen Oltre Babilonia und La mia casa è dove sono von Igiaba Scego, deren Werk den – so Kleinert – "prozessualen und fließenden Charakter kultureller Identifikation in Selbst- und Fremdwahrnehmung betont" (202).

Richard Schwaderer stellt Samuel Huntingtons Konzept der in sich geschlossenen Blöcke von Kulturen unter der Leitung eines "core states" gegen Wolfgang Welschs Theorie der Transkulturalität, die er noch einmal kurz erläutert. Daran anknüpfend behandelt er den als "shootingstar" (220) bezeichneten Amara Lakhous und dessen in Rom spielende Werke, die sich seiner Ansicht nach auf Welschs Konzept stützen.

Titus Heydenreich, der den Themenblock Afrika beschließt, geht noch einmal auf immer noch vorhandenen Rassismus ein, den er anhand des Werks Kossi Komla-Ebris, den alltäglichen Imbarazzissmi, analysiert. An Brechts Kalendergeschichten fühlt Heydenreich sich bei Komla-Ebris heiteren Anekdoten erinnert oder an den erfolgreichen Fußballspieler Francesco Totti, der, statt sich über die über ihn gemachten Witze zu ärgern, selbige sammelte und zu Gunsten Unicefs in rund drei Sammlungen publizierte.

Daniele Comberiati, der mit seinem Beitrag "Dall'altra parte del mare" den letzten Teil des Bandes eröffnet, begreift das Jahr 1991, in dem die Vlora mit tausenden von Flüchtlingen aus Albanien in Bari anlegt, als Zäsur im Diskurs um die Repräsentation und Wahrnehmung des Anderen. Er spricht mit Enzo Biagi vom "sogno svanito" sowohl auf Seiten der Albaner als auch der Italiener: "È svanito il sogno degli albanesi, ma anche quello degli italiani. La quinta potenza industriale non è in grado, in tre giorni, di distribuire diecimila tazze di caffelatte" (260). Biagis Worte erinnerten an einen Querschnitt der allgemeinen Geschichte; Comberiati unterstreicht die Nähe der Distanz ("prossimità della distanza", 261) zweier Küsten, die sich zu berühren scheinen und deren politische Rolle. Ausgehend von einem historischen Abriss und Reflexionen über die italienische Identität analysiert Comberiati die komplexen Beziehungen zwischen der italienischsprachigen Produktion albanesischer Autoren einerseits und deren Rezeption in Italien andererseits und fragt nach den Dynamiken, die so in Schwung gebracht werden. In diesem Kontext geht er kurz auf die Filme L'america von Gianni Amelio und La nave dolve von Daniele Vicari ein, um dann den Schriftstellern Vorpsi, Ibrahimi, Guaci und Kubati eine längere Analyse zukommen zu lassen, die alle auf mehr oder weniger direkte Weise die Ankunft in Italien thematisieren. Häufig konstatiert Comberiati in den Werken eine entzauberte Analyse, Desillusionierung und fürchterliche Zweifel nach anfänglicher Naivität der Protagonisten. Auf der anderen Seite des Meeres ist die Terra promessa ganz und gar nicht das, was viele sich erwartet hatten. Comberiati vergleicht den Empfang der Albaner durch die Italiener mit dem der Portugiesen gegenüber den Angolanern und stellt am Ende die Beziehung zwischen Zentrum und Peripherie in der Postkolonialismus-Diskussion um Identitätsfragen in einen neuen Kontext der Hybridisierung.




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Mario Rossi liest Ornela Vorpsis (Vetri rosa) und Elvira Dones (Vergine giurata) schriftstellerisches wie bildhaft-visuelles und dokumentarisch-filmisches (Sworn Virgins) Werk im Fokus der Schaffung einer Gender-Identität und der Beziehung zum Ortswechsel.

Nora Moll fokussiert die literarischen Strategien dreier Autorinnen, Tamara Jadrejčić, Sarah Zurah Lukanić und Anilda Ibrahimi, die in ihren Werken den Krieg ihrer Region zwischen 1991 und 1995 thematisieren und versuchen, Vorstellungen von Gewalt erzählerisch umzusetzen, auch wenn nur Tamara Jadrejčić selbige direkt erlebt hat. In der Besprechung der ersten beiden Autorinnen hebt sie die Eigentümlichkeit der Beschreibung des Krieges anhand von Innenräumen hervor, nähert ihre Protagonisten an Figuren der deutschen Trümmerliteratur an und untersucht die ganz eigene Gegenwehr der Frauen im Krieg. Bei der dritten Autorin unterstreicht sie die Überkreuzung folkloristischer und mythischer Elemente mit zeitgemäßer kinematografischer Transposition sowie die Einfachheit der Sprache. Mit ihrer Analyse wendet sie sich vor allem gegen die These des Literaturkritikers Roberto Giglione, der propagiert, dass die Literatur der letzten Jahre aufgrund der Abwesenheit traumatisierender Zustände und Ereignisse dazu gekommen sei, Traumata fiktiv zu rekonstruieren, aber auch gegen Antonio Scuratis These des medialen Charakters der Erfahrbarkeit von Realität, hauptsächlich über das Fernsehen, der sich dann im literarischen Schreiben übersetze. Moll bemängelt, dass beide die Unterscheidung von Erlebnis und Erfahrung vernachlässigten wie auch einige Aspekte des Konzepts des Traumas und bemerkt außerdem, dass die Herkunftsländer der zitierten Autoren den Krieg tatsächlich hautnah und nicht nur medial über das Fernsehen erlebt hätten.

Emma Bond und Viktoria Adam befassen sich mit Formen der Gestaltung und Darstellung des Körpers und hier im Besonderen mit der des Tattoos und stellen so einen Zusammenhang zwischen Körperkunst, Erzählkunst und Kultur her. Beide wählen zur exemplarischen Analyse Nicolai Lilins Educazione siberiana aus. Viktoria Adam beschränkt ihre Analyse allein auf diesen Autor und geht zusätzlich auf konkrete Tattoos des Künstlers ein, während Emma Bond einer weiteren Sammlung von Erzählungen Ornela Vorpsis Raum gewährt, in der der Körper immer wieder zum Ausdrucksmittel der Konflikte infolge der Migration wird.

Während im französischen und englischsprachigen Bereich der Betrachtung und Analyse der Migrantenliteratur bereits ein weites Feld und eine lange Tradition zur Verfügung stehen, kann man bei der hier zugrundeliegenden Tagung und dem daraus entstandenen Band geradezu noch von Pionierarbeit sprechen. Den Leser erwartet ein breites Spektrum an Themen der transkulturellen Literatur, die sehr vielfältig diskutiert und aufbereitet werden. Immer wieder sticht dabei die inhaltliche Nähe zu historischen, kulturwissenschaftlichen und auch politischen Bereichen ins Auge. Kritische Perspektiven auf geschichtliche Aufarbeitung und immer noch vorhandene Klischees und Stereotype stehen versöhnlicheren Stimmen gegenüber, die die transkulturelle Literatur als Annäherung begreifen. Die Literatur wird häufig in einem gesamtkünstlerisch-kulturellen Bereich betrachtet und analysiert und öffnet sich so in verschiedenste Richtungen. Gerade durch seine Heterogenität bietet der Band gewiss die Grundlage zu vielen fruchtbaren Diskussionen im zwar mittlerweile etablierten, aber dennoch jungen Wissenschaftsfeld der Transkulturalität im literarischen Bereich und wird zur weiteren Begriffsschärfung beitragen.




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Bibliographie

Deleuze, Gilles / Guattari, Félix (1996): Kafka per una letteratura minore. Macerata: Quodlibet.

Ette, Ottmar (2001): Literatur in Bewegung. Raum und Dynamik grenzüberschreitenden Schreibens in Europa und Amerika. Weilerswist: Velbrück Wissenschaft.

Iljassova-Morger, Olga (2009): "Transkulturalität als Herausforderung für die Literaturwissenschaft und Literaturdidaktik", in: Das Wort. Germanistisches Jahrbuch Russland, 37–57.

Reichardt, Dagmar (2006): "Zur Theorie einer transkulturellen Frankophonie. Standortbestimmung und didaktische Relevanz", in: PhiN (Philologie im Netz) 38, 32–51.

Taddeo, Raffaele (2006): Letteratura nascente. Letteratura italiana della migrazione. Autori e poetiche. Milano: Raccolte Edizioni.