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Daniel Fliege (Hamburg)



Gary Ferguson (2016): Same-Sex Marriage in Renaissance Rome. Sexuality, Identity, and Community in Early Modern Europe. Ithaca: Cornell University Press.



Same-Sex Marriage in Renaissance Rome – der Titel des neuesten Buches von Gary Ferguson (University of Virginia) ruft zunächst aufgrund seines scheinbaren Anachronismus Erstaunen hervor und weckt doch gleichzeitig Neugier. In dieser Studie untersucht Ferguson den Fall einer Gruppe von Männern, die 1578 aufgrund des Vorwurfes der gleichgeschlechtlichen Eheschließung in der römischen Kirche San Giovanni a Porta Latina zum Tode verurteilt wurden.1 Ferguson hat in der Vergangenheit bereits Studien aus dem Bereich der queer studies in der Frühen Neuzeit veröffentlicht, etwa sein viel beachtetes Queer (Re)Readings in the French Renaissance: Homosexuality, Gender, Culture (Ashgate 2008). In seinem neuen Buch rekonstruiert Ferguson, was in San Giovanni a Porta Latina geschehen ist, und ordnet den Begriff der Ehe sowie das Sexualverhalten der Männer historisch ein. Fergusons Untersuchung gliedert sich dabei in drei Teile: Im ersten untersucht er Berichte von Beobachtern des Falles, allen voran Montaignes Schilderung im Journal de voyage2 und Briefe des Botschafters von Venedig, Antonio Tiepolo. Im zweiten Teil behandelt er die Aussagen der am Prozess Beteiligten. Hier werden die Gerichtsakten sowie die durch die Confraternità della Misericordia erstellten Testamente der Hingerichteten analysiert. Im dritten Teil schließlich ordnet Ferguson den Fall in einen größeren historischen Kontext ein und diskutiert Konsequenzen für aktuelle Debatten um die gleichgeschlechtliche Ehe.

Ziel Fergusons ist es zunächst einmal zu rekonstruieren, was in der römischen Kirche an der Porta Latina geschehen ist, das zur Verhaftung und Verurteilung der Männer führte. Auf eindrucksvolle Weise greift er in seiner Untersuchung auf verschiedene wissenschaftliche Methoden zurück, um den Fall aus unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten: So unterzieht er die wenigen erhaltenen Dokumente einer akribischen und präzisen philologischen Analyse, ordnet sie in den politischen und sozialen Kontext ein, nimmt auch die sozio-ökonomischen Lebensverhältnisse der Männer von San Giovanni a Porta Latina in den Blick und verortet ihr Sexualverhalten schließlich in der Geschichte von Sexualität und Ehe. Zudem untersucht Ferguson den 'Tatort' San Giovanni a Porta Latina. Dabei zeigt er, dass Kirchen im Allgemeinen und San Giovanni im Besonderen öffentlich zugängliche Orte bildeten, die in einer städtischen Landschaft mit wenig privaten Rückzugsmöglichkeiten einen Raum der Zurückgezogenheit darboten (vgl. 136). Auch ist sich Ferguson durchaus bewusst, dass die in den Gerichtsakten festgehaltenen Äußerungen der Männer durch Mechanismen des Selbstschutzes, durch Angst und schließlich durch Folter beeinflusst sind. Ferguson macht diese in den Akten erkennbaren Ebenen in seiner Analyse sichtbar.




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Politisch und sozial ist der Fall interessant, da es sich bei den Männern um spanische, portugiesische und dalmatische Einwanderer handelt, die sozial und ökonomisch in prekären Verhältnissen lebten. Überzeugend kann Ferguson zudem zeigen, welche politische Dimension der Bericht Montaignes widerspiegelt, demzufolge es sich bei den Männern von Porta Latina um eine Gruppe von Portugiesen gehandelt habe. Ferguson stellt heraus, dass Montaignes Bericht des Falles an dessen Schilderung des Empfangs des portugiesischen Botschafters im Vatikan anschließt, und versucht einen Zusammenhang zwischen der politischen Unterwerfung Portugals durch die Spanier, weswegen der Botschafter im Vatikan vorsprach, und der sexuellen Unterwürfigkeit der portugiesischen Männer herzustellen (24) – eine nicht ganz überzeugende Verbindung. Ferguson stellt außerdem die Vermutung auf, dass die Verbindung zwischen beiden Schilderungen Montaignes, der zu diesem Zeitpunkt noch auf die Ernennung zum französischen Botschafter im Vatikan gehofft hatte, im mutmaßlichen Interesse König Heinrichs III. gelegen habe, dessen Zuneigung zu mignons wohlbekannt gewesen sei (23). Das religiöse Vokabular, das Montaigne ironisch zur Beschreibung der Männer verwendet ("estrange confrerie", "belle secte", "ceremonies"), betone zudem die Diskrepanz zwischen dem Ansehen Roms als Zentrum der (katholischen) Christenheit und der moralischen Dekadenz.

Aufschlussreich ist auch Fergusons Untersuchung des Begriffs der Ehe, kann er doch zeigen, dass die Ehe selbst nach dem Konzil von Trient weniger institutionalisiert war als man gemeinhin annehmen könnte. Zudem zeigt Ferguson Grauzonen wie das Konzept des affrèrement auf, die es ermöglichten gleichgeschlechtliche Partnerschaften zu legitimieren. Allerdings sind Fergusons Beobachtungen hier ein wenig zu allgemein und historisch zu weit gefasst, sodass nicht gleich ersichtlich ist, worauf er hinauswill. Anhand einer Analyse von Jean Gersons Überlegungen zur Ehe in den Considérations sur saint Joseph betont er, dass dessen Ehebegriff grundsätzlich nicht von der unterschiedlichen Geschlechtlichkeit beider Partner abhänge, sondern von einem Verhältnis der Ungleichheit zwischen ihnen (vgl. 38) – hier ließe sich kritisch hinterfragen, wieso gerade allein Gerson ausgewählt wurde, birgt dies doch die Gefahr der Einseitigkeit. Fergusons These ist, dass die Verengung des Konzeptes der Ehe im Zuge der Gegenreform zu einer Delegitimierung anderer Lebens- und Partnerschaftsentwürfe führte:

The history of marriage is thus also that of the increasing disqualification and marginalization, the rendering illicit, of other forms of relationship that existed […]. And this, I would argue, includes not only male-female but also same-sex relationships, although in the latter case the negotiations and the counterpoint were more tense and intricate, producing more dissonant strains. (6)

Überraschend ist, dass in den erhaltenen Dokumenten nie die Frage nach Liebe aufgeworfen wird (vgl. 138). Es ging bei den "matrimonii" also nicht darum, ein gleichgeschlechtliches Liebesverhältnis vor einer Gemeinschaft zu institutionalisieren, sondern eine sexuelle Vereinigung zu zelebrieren – ähnlich wie in konventionellen Ehen der Epoche erst der sexuelle Vollzug und dessen öffentliche Feststellung die Ehe gültig machten.3

Im Falle der "matrimonii" der Männer von Porta Latina handelte es sich jedoch, wie Ferguson deutlich machen kann, weniger um den Versuch eine gleichgeschlechtliche Ehe zu institutionalisieren. Der Begriff "matrimonio" sowie das dem Eheverständnis der Frühen Neuzeit implizit zugrundeliegende Verhältnis von passiv-weiblichem und aktiv-männlichem Sexualverhalten dienten vielmehr lediglich als Code, um die Sexualpraktiken der Männer beschreibbar zu machen. Dabei zeigt Ferguson jedoch auch, dass sich im Verhalten der Männer das dominante kulturelle Paradigma eines päderastischen Modells offenbare, d.h. das Verhältnis einer aktiven, dominanten und penetrierenden Rolle und einer passiven, untergeordneten und rezeptiven Rolle (43). Allerdings gehen die Beziehungen der Männer nicht völlig in diesem dual gedachten Modell auf. Dies führt Ferguson zu der Frage, ob die Männer eine Art homosexueller Identität avant la lettre entwickelt haben, die ihre Sexualität weniger nach einem Modell von Dominanz und Unterwerfung als vielmehr von Geschlechtlichkeit gedacht hätten. Ferguson versucht daher das Sexualverhalten der Männer in einen größeren historischen Kontext einzuordnen und zitiert allerlei vergleichbare Fälle aus Italien und anderen europäischen Ländern. In einem eingehenderen Vergleich zieht er die französischen gens de la manchette des 18. Jahrhunderts hinzu. Gerade Fergusons Frage, ob die Männer von San Giovanni a Porta Latina eine homosexuelle Identität ("homosexual identity", 156) hatten, erweist sich als aufschlussreich. Seine Untersuchungen zeigen nämlich, dass sie in der Tat eine Form von Subkultur entwickelt haben, die ein Netzwerk von Personen mit eigenen Treffpunkten und einer gemeinsamen kodifizierten Sprache zum Ausdruck ihrer Sexualität sowie bestimmte Praktiken des Zusammenlebens inklusive einer gemeinsamen Aneignung der zentralen gesellschaftlichen Institution der Ehe umfasste (157). Zudem stellen Fergusons Ergebnisse die Annahme in Frage, dass gleichberechtigte homosexuelle Beziehungen erst mit einem "modernen" Verständnis der Sexualität im 19. Jahrhundert entstanden seien.




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Gary Ferguson diskutiert schließlich im letzten – sehr persönlichen – Kapitel seines Buches, wie der Fall der jungen Männer von San Giovanni a Porta Latina die heutigen Debatten um die gleichgeschlechtliche Ehe beeinflussen kann. Hier wird deutlich, dass es ihm auch darum geht – um es im von Ferguson selbst bemühten Fachjargon der postcolonial studies auszudrücken –, einer alternativen Deutung zu der von den 'Kolonisatoren' verfassten Geschichte der 'Kolonisierten' und Unterdrückten und damit bis zu einem gewissen Grade zum Schweigen Gezwungenen Gehör zu verschaffen. Ferguson positioniert sich hier politisch und identifiziert sich selbst mit den Männern von Porta Latina, wobei er von einem Gefühl des (gay) pride spricht: "While conducting research in Rome, I made two visits to the church of Saint John at the Latin Gate, which provoked strong and contrasting emotions: profound sadness and melancholy, but also anger, a sense of identification, and pride."(160) Auch erwähnt Ferguson beinahe beiläufig, dass er Rom mit seinem eigenen Partner besucht habe. Diese für eine wissenschaftliche Arbeit ungewöhnlichen persönlichen Einsichten und politischen Positionierungen zeigen die unmittelbare Relevanz von Fergusons Forschung auf. Denn, so Ferguson weiter, "their example becomes doubly usable – for both gay-lesbian and for queer political ends. At one and the same time, the men themselves and the stories and histories they generate appear ready to stand for the right to marry and to question the normative institution of marriage" (163).

Fergusons Buch richtet sich nicht nur an ein Fachpublikum, was sich auch daran zeigt, dass er alle fremdsprachlichen Zitate ins Englische übersetzt. Die Anzahl der Fußnoten wurde auf das Nötigste reduziert, was den Lesefluss erheblich erleichtert. Fergusons Darstellungen sind zudem klar und nachvollziehbar. Zwar kann er das Geschehen und die Verhaftung in San Giovanni a Porta Latina aufgrund der nur bruchstückhaft überlieferten Quellen nicht vollständig rekonstruieren, seine Analysen liefern jedoch einen spannenden Einblick in den Alltag einer Gruppe von Männern, die eine gleichgeschlechtliche Sexualität im Rom des 16. Jahrhunderts ausgelebt haben. Insgesamt stellt Same-Sex Marriage in Renaissance Rome damit einen lesenswerten Beitrag zur Forschung der Sexualität in der Frühen Neuzeit und zur aktuellen Debatte um gleichgeschlechtliche Ehen dar.


Bibliographie

Marcocci, Giuseppe (2010): "Matrimoni omosessuali nella Roma del tardo Cinquecento: Su un passo del 'Journal' di Montaigne", in: Quaderni storici 133, 107–137.

Marcocci, Giuseppe (2015): "Is This Love? Same-Sex Marriages in Renaissance Rome", in: Historical Reflections 41.2, 37–52.


Anmerkungen

1 Bereits Giuseppe Marcocci hat kürzlich einen Artikel zu diesem Fall veröffentlicht (Marcocci 2015).

2 Wiederum Giuseppe Marcocci hat auch Montaignes Bericht bereits untersucht (Marcocci 2010).

3 Eine alternative Lesart bietet Marcocci 2015.