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Sebastian Zilles (Siegen)



Julia Brühne / Karin Peters (Hg.) (2016): In (Ge-)schlechter Gesellschaft? Politische Konstruktionen von Männlichkeit in Texten und Filmen der Romania. Bielefeld: transcript.



"All nationalisms are gendered" (McClintock 1995: 89), hält Anne McClintock fest. Die Sichtbarkeit des Geschlechtlichen, so muss einschränkend betont werden, ist jedoch heterogen: Bereits in der Antike finden sich weibliche Allegorien als Bildnisse der Nation, die ihre Wurzel in der Tradition des Glaubens an einen genius loci (Schutzgeist) haben. In der Renaissance-Kunst stehen die Allegorien nicht mehr im religiösen Sinn für Gottheiten, sondern verkörpern menschliche respektive nationale Züge, bevor sie dann im Zuge der Französischen Revolution zunehmend politisiert werden. Während also weibliche Repräsentationen der Nation, wie die der wehrhaften Jungfrau oder Mutter, in das kulturelle Gedächtnis eingegangen sind, stellt "das Potential einer im gesellschaftlichen Imaginären politisch symbolisierten Männlichkeit" (17) hingegen immer noch ein Desiderat der Forschung dar, dem der Band In (Ge-)schlechter Gesellschaft nachzukommen versucht. Die Grundannahme, dass eine Gesellschaft nicht ohne die Kategorie des Geschlechts denkbar sei und letztere u.a. dazu dienen könne, die Geschichte einer Gesellschaft erzählbar zu machen (vgl. 17), führt zur Zielvorgabe, der kulturellen Arbeit mit der politischen Symbolkraft des Geschlechts aus einer historischen und systematischen Perspektive genauer nachzugehen (vgl. 19). Die Schwerpunktsetzung auf die Romania führen die Herausgeberinnen auf die Dominanz der sozial- und kulturwissenschaftlichen Forschung der Männlichkeitsstudien im Bereich der Nordamerikanistik einerseits und auf die Bedeutung der (Ent-)Kolonialisierung andererseits zurück. Die Schnittstelle von Politik und Männlichkeit wird in den insgesamt elf literatur-, kultur- und filmwissenschaftlichen Beiträgen jedoch unterschiedlich bedient und nicht gleichermaßen konsequent verfolgt:

Eröffnet wird der Band mit einem Vorwort des amerikanischen Romanisten Todd W. Reeser, der die Notwendigkeit der Erforschung der Kategorie Männlichkeit betont. In Anlehnung an Simone de Beauvoir fordert er, "uns an die einzigartigen Situationen zu erinnern, in denen Männlichkeit vergessen wird, und auch an die Gründe dieses Vergessens" (14). An diesen Appell schließt eine breit angelegte thematische Einführung der Herausgeberinnen an. Es folgt ein Forschungsüberblick des Anglisten Stefan Horlacher über die Disziplin der Männlichkeitsforschung, der die Fragilität der Kategorie Männlichkeit betont, die, einmal erworben, ständig aufs Neue demonstriert werden muss, die aber auch wieder verloren gehen kann. Gregor Schuhen geht in seinem Beitrag systematisch auf den Krisendiskurs ein, der zu den zentralen Topoi der Männlichkeitsforschung zählt. Mit Reeser, Horlacher und Schuhen weist der Band namhafte Forscher auf. Gerade für diejenigen, die sich mit Männlichkeitsforschung bislang nicht auseinandergesetzt haben, stellen die Beiträge zum Forschungsstand (Horlacher) und zum Krisendiskurs (Schuhen) eine sehr gute systematische Einführung dar. Für all diejenigen hingegen, die mit dem Feld vertraut sind, wirken gerade die Ausführungen zum Forschungsstand repetitiv, zumal die aufgegriffenen Beispiele bereits zum wiederholten Male publiziert werden (vgl. Horlacher 2006, Horlacher 2011: 19–82 sowie Horlacher et al. 2016: 1–9). Zu fragen ist, ob dieser allgemeine Überblick überhaupt notwendig ist, stellt der Beitrag doch einen Rückschritt hinter die thematische Einführung der Herausgeberinnen dar und lässt den Bezug zum Schwerpunktthema des Bandes weitgehend offen.




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Die von Schuhen zunächst allgemein gehaltenen und dann an zwei kanonischen Dekadenzromanen exemplifizierten Beobachtungen, dass Männlichkeit als "Krisenbarometer einer Gesellschaft" (64) fungiert und vorherrschende Männlichkeitsentwürfe Rückschlüsse über den gesellschaftlichen Ist-Zustand ermöglichen, werden in fünf literaturwissenschaftlichen Untersuchungen näher ausgeführt: Begonnen wird dabei in der Frühen Neuzeit, mit der sich Julia Brühne am Beispiel von Tirso de Molina und Timo Kehren anhand von María de Zayas auseinandersetzen, um das Unbehagen an der spanischen Monarchie samt ihrer männlichen Repräsentanten auf unterschiedliche Weisen hervorzuheben. Anschließend wird eine durch Maha El Hissy vertretene germanistische Perspektive zwischengeschaltet, aus der Schillers Die Verschwörung des Fiesco zu Genua betrachtet wird. Schillers Jugendwerk flankiert zwei in der Romania angesiedelte Gründungsmythen (Lukrezia- und Verginia-Mythos, vgl. 140ff.). Mit Lisa Zeller wird Balzacs Werk im Allgemeinen und seine spezielle Darstellung der Juli-Monarchie ausführlich untersucht. In ihrer Interpretation wird das politische System in einer Umbruchphase dargestellt, vor deren Hintergrund der narrativen Inszenierung von (einer amputierten) Männlichkeit in Metaphern und Symbolen besondere Aufmerksamkeit geschenkt wird. Den Abschluss des sehr überzeugenden ersten Teils bildet Thorsten Schüllers Beitrag zum "männliche[n] Protest von Emma Bovary und ihren Nachfolgerinnen". Nicht nur lässt diese Analyse einen Bezug zum Politischen vermissen, das Textkorpus (vgl. 188 sowie 198) scheint etwas willkürlich zusammengestellt, werden doch hier "klassisch gewordene[] Frauenromane[]" (188) aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit Werken der ersten und späten zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Relation zueinander gesetzt.

Den Übergang von den literatur- hin zu den filmwissenschaftlichen Analysen bildet der Beitrag von Timo Obergöker, der sich der Darstellung von Männlichkeit auf französischen Kolonialplakaten widmet. Trotz der Kürze der Untersuchung wird deutlich, wie stark die Plakate mit Dichotomien arbeiten und whiteness/blackness, Fortschritt/Rückständigkeit und Männlichkeit/Weiblichkeit inszenieren.

Der Band schließt mit drei filmwissenschaftlichen Beiträgen: Auch wenn in Wieland Schwanebecks Beitrag "Montage macht den Mann" das Politische eher eine sekundäre Rolle spielt, überzeugt die Ausarbeitung nicht zuletzt durch ihre stringente Analyse der Montage-Sequenzen in Rocky. Schwanebeck trägt damit nicht nur der ästhetischen Dimension Rechnung, sondern legt überzeugend dar, "wie die Montage hilft, diese als exklusiv maskulin gezeichnete Körperarbeit in bewegte Bilder zu übersetzen" (236), und demonstriert, wie das Erzähl-Kino die Fragilität der Kategorie Männlichkeit formal ausdrückt. Dem US-amerikanischen Blockbuster werden in den folgenden Beiträgen von Karin Peters und Frank R. Links Filme aus Mexiko (A. Cuarón Y tu mamá también) und Kanada (J.-M. Vallée C.R.A.Z.Y; X. Dolan J'ai tué ma mère) gegenübergestellt. Peters fokussiert die trianguläre Liebesstruktur der Protagonisten, um zu zeigen, wie die erotische Konstellation in eine foundational fiction eingewoben ist, die die sich zwischen Machismo, Homoerotik und Kastration bewegende Männlichkeit auch politisch codiert erscheinen lässt (vgl. 242). Auch ihr Beitrag geht auf die filmischen Inszenierungstechniken ein und zeigt am Beispiel des framing shot, wie "Männlichkeit als Metapher für die Gemeinschaft allgemein und scheiternde Homosozialität im Besonderen als Metapher für die soziopolitischen und ökonomischen Krisen der Gegenwart in Szene" (260) gesetzt wird. Im abschließenden Aufsatz "On ne naît pas homme, on le devient?" führt Links am Beispiel des frankokanadischen Coming-of-Age-Films vor, wie eine individuelle Identitätsfindung an die Nation gekoppelt wird und als politische Männlichkeit lesbar wird: Etabliert wird ein Konnex zwischen der Emanzipation der Homosexuellen, der Erneuerung von Wertvorstellungen und der Herausbildung einer québequitude, die sich vom englischsprachigen Teil Kanadas distanziert und ein frankophones Heterotop etabliert.




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Die von den Herausgeberinnen vertretene, zusammenfassende These, dass die Beiträge insgesamt zeigen, wie das politische Imaginäre stereotype Männlichkeitsentwürfe (re-)produziert, konsumiert und dokumentiert (vgl. 24), ließe sich nach eingehender Lektüre des Bandes sogar noch weiter ausbuchstabieren: Die Beiträge verdeutlichen erstens auch eine chiastische Struktur, bei der die Politik erotisiert bzw. das Erotische politisiert wird. Dabei ist zweitens zu sehen, dass sich die Fokussierung auf Männlichkeit nicht als Gegenreaktion oder Intervention gegen die Frauenforschung richtet, sondern sie vielmehr deren geschlechtertheoretische Fragestellungen fortführt und erweitert: Imaginationen des Weiblichen werden in den Beiträgen mitreflektiert und zeigen die Relationalität der Kategorie Männlichkeit. Und schließlich demonstrieren die Forschungsarbeiten auch drittens die Korrelation des Politischen und des Geschlechtlichen zu anderen sozialen Kategorien wie etwa der Klassenzugehörigkeit, der Ethnizität und der Konfession und weisen auf die Notwendigkeit hin, diese bei der Analyse mit einzubeziehen.

Insgesamt handelt es sich um einen sehr lesenswerten und bereichernden Forschungsbeitrag, der eine ausgewogene Zusammenstellung aus etablierten Forschern und Nachwuchswissenschaftlern aufweist und thematisch breit aufgestellt ist. In (Ge-)schlechter Gesellschaft deckt aus einer historischen Perspektive einen breiten Zeitraum von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart ab und ermöglicht daher, Konstanten bzw. Veränderungen im Diskurs aufzuzeigen. Aus systematischer Perspektive hätte man sich neben dem disziplinären Theorietransfer (vgl. 24) auch eine sprachwissenschaftliche Perspektive respektive einen Beitrag zur politischen Lyrik (etwa Hugo oder Lorca) vorstellen können, aber diese Aufgabe bleibt weiteren Forschungsarbeiten vorbehalten.


Bibliographie

Horlacher, Stefan (2006): Masculinities: Konzeptionen von Männlichkeit im Werk von Thomas Hardy und D. H. Lawrence. Tübingen: Narr.

Horlacher, Stefan (2011): "Überlegungen zur theoretischen Konzeption männlicher Identität aus kulturwissenschaftlicher Perspektive. Ein Forschungsüberblick mit exemplarischer Vertiefung", in: Läubli, Martina / Sahli, Sabrina (Hg.): Männlichkeiten denken. Aktuelle Perspektiven der kulturwissenschaftlichen Masculinity Studies. Bielefeld: transcript, 19–82.

Horlacher, Stefan / Jansen, Bettina / Schwanebeck, Wieland (2016): "Einleitung", in: dies. (Hg.): Männlichkeit. Ein interdisziplinäres Handbuch. Stuttgart: Metzler, 1–9.

McClintock, Anne (1995): Imperial Leather. Race, Gender and Sexuality in the Colonial Contest. New York: Routledge.