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Jan-Henrik Witthaus (Kassel)



Enrique García Santo-Tomás (2015): La musa refractada. Literatura y óptica en la España del Barroco. Madrid: Vervuert.



Die epistemologischen Umgruppierungen des 17. Jahrhunderts – mit dem Begriff Revolution ist man vorsichtig geworden (vgl. Shapin 1998: 9) – sind seit geraumer Zeit ein bevorzugtes Feld der Wissenschaftsgeschichte, auf dem bereits eine ganze Reihe von philosophischen und historischen Klassikern kanonisiert wurden: etwa Edmund Husserl, Alexandre Koyré, Stillman Drake, Hans Blumenberg, Thomas S. Kuhn, Paul Feyerabend, Michel Foucault. Insbesondere die Erfindung und Bekanntmachung optischer Instrumente – Teleskop, Mikroskop oder Camera obscura – sowie ihr Stellenwert in den wissenschaftlichen Aktivitäten jener Epoche treffen seit einigen Dekaden auf die Aufmerksamkeit der Kultur- und Medienwissenschaften.1 Die Fruchtbarkeit einer solchen Fixierung besteht nicht zuletzt in der mythischen Aufladung dieser Objekte, die viele Fragen generiert: Ist bspw. das Teleskop im Sinne der Aufklärung der Ausdruck einer neuen empiristischen Kultur der Beobachtung, die wir mit dem Beiwort modern kennzeichnen? Ist es das "Leitfossil" einer Epoche, in der die Unsichtbarkeit der Natur für den Forscher zur Regel geworden ist (Blumenberg 1975: 717)? Ist es schließlich ein Medium, das im doppelten Sinne Marshall McLuhans nicht nur Wahrnehmungsformen erweitert, sondern neue hervorbringt, die alten damit betäubt und überformt (McLuhan 1995: 73–83)? Und welche Effekte zeitigt es dann auch an kulturellen oder sozialen Orten, an denen es gar nicht benutzt wird?

In der nun vorliegenden Studie von Enrique García Santo-Tomás, La musa refrectada, in welcher Optik, Dioptrik und die spanische Barockliteratur überaus kenntnis- und materialreich in einen Verweisungszusammenhang gestellt werden, spielen all die genannten Fragen eine Rolle. Indes: Dem Buch liegt vermutlich eine andere zugrunde. So wird der Leser wiederholt darauf gestoßen, dass der Verfasser die Korrektur eines Spanien-Bildes intendiert, das im Kontext der so genannten 'Schwarzen Legende' entstanden ist und die Vorstellung eines vom Rest Europas abgeschotteten Landes zuzüglich rückhaltloser Verfolgung von Andersdenkenden herausgeprägt hat. Ein solcher Befund – so lesen wir sowohl im Vorwort als auch in der Konklusion – lasse sich anhand des untersuchten Textkorpus nicht bestätigen: "la noción de una España cerrada a lo proveniente de fuera es completamente falsa", und: "el ingenio barroco ni era tan dogmático ni tan reaccionario como a veces se ha creído." (15) Wie immer man sich als Hispanist hierzu ins Benehmen setzt, es steht fest, dass dieses negative Spanien-Bild lange Zeit den Blick auf die wissenschaftlichen Aktivitäten verstellt hat und dass García Santo-Tomás vor dem Hintergrund dieses Befundes ein umfangreiches Korpus von Texten aufarbeitet, anhand dessen die kulturhistorische Bedeutung optischer Instrumente und ihre Auswirkungen auf die Texte sehr aufschlussreich und anschlussfähig dargestellt wer­den. Soweit ich sehe, wird damit eine Lücke in der einschlägigen Forschungsliteratur geschlossen, liegen doch zur Geschichte und Verarbeitung optischer Medien im Spanien des Siglo de Oro neben den Studien von Kirsten Kramer (2008 und 2009) noch keine anderen Beiträge vor.




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In der am Ende behaupteten These bemüht der Verf. selbst eine optische Metaphorik, die titelgebend für seine Studie ist: "la musa española no rechazó la luz de fuera, sino que la refractó creando nuevos ángulos desde los que iniciar su quehacer." (302) Der Hauptfokus liegt dabei auf dem Schrifttum, das zu Regierungszeiten Philipps IV. (1621–1665) verfasst wurde, wobei im Sinne eines extensiven Literaturbegriffs unterschiedliche Textsorten Beachtung finden: wissenschaftliche Abhandlungen oder Dichtungen, Gesellschaftssatiren und Romane, politische Traktatliteratur etc. Dabei ist dem Verf. zuzustimmen (vgl. 306), dass eine genaue Unterscheidung zwischen (natur-)wissenschaftlichen und im Sinne Charles Percy Snows humanistischen oder gar fiktionalen Texten im 17. Jahrhundert irreführend sein muss, weil sich in der Frühen Neuzeit die lang andauernde Ausdifferenzierung zweier Wissenskulturen überhaupt erst ankündigt. Dennoch wäre trotz der offensichtlichen Bemühungen, das Material zu kategorisieren, eine stärker typisierende und auf die jeweilige Gattung bezogene Orientierung für die Thesenführung von Vorteil gewesen, denn bisweilen droht der Überblick in der Ansammlung des reichhaltigen Materials verloren zu gehen.

In der Einleitung findet der Leser eine ganze Reihe von Hinweisen und Hintergründen zur Verbreitung astronomischer Kenntnisse, insbesondere zur Präsenz von Kopernikus' heliozentrischer Hypothese. Die angeführten Quellen eignen sich durchaus, das Bild Spaniens während der Gegenreformation zu modifizieren und regen dazu an, insbesondere die Rolle des Monarchen Philipp II. – einem Protagonisten der so genannten 'Schwarzen Legende', der seinen spanischen Untertanen verbot, an ausländischen Universitäten zu studieren – zu überdenken. So ist bspw. darauf zu verweisen, dass Kopernikus in den Statuten der Universität von Salamanca seit 1561 zur Lektüre empfohlen wird und die Verbreitung von De Revolutionibus überhaupt erst seit seiner Indizierung 1616 behindert wird, was allerdings auf die Lektüreanweisung der Universität von Salamanca keine Auswirkungen hat (vgl. 34ff.).

Im Weiteren rekapituliert der Verf. (vgl. 61–73) das Auftauchen von dioptrischen Instrumenten wie Brillen im Spätmittelalter bzw. in der Frühen Neuzeit und nimmt auf die Erfindung des Fernrohrs, seine Aufnahme durch Galilei sowie die Publikation von dessen erstem teleskopischen Forschungsbericht – Sidereus Nuncius (1609) – Bezug. Galileis Beobachtung der Mondoberfläche, aber auch seine Entdeckung von Jupiter-Monden waren insofern subversiv, als sie die aristotelischen Annahmen der Unveränderlichkeit und Perfektion der Himmelsgestirne augenscheinlich in Zweifel zogen.2 Aufschlussreich sind insbesondere die Ausführungen über Galileis Beziehungen zu Spanien (vgl. 74–80), die überaus kenntnisreich rekonstruiert werden und in Erinnerung rufen, dass der Wissenschaftler aus Pisa seine Übersiedlung nach Madrid verhandelte, um dort bei der Bestimmung der Längengrade behilflich zu sein – ein Anliegen der spanischen Krone, das angesichts der kolonialen Besitztümer in Übersee kaum zu überschätzen ist. Letztlich blieb Galilei in Italien. Die spanische Rezeption seiner Texte bildet sich am ehesten in Optik-Traktaten ab. Ein eindrucksvolles Manifest unausgesprochener Kenntnisnahme des Sidereus Nuncius (1609) von Galileo Galilei findet sich etwa in der Abhandlung eines Notars der Inquisition, Benito Daza de Valdés (vgl. nochmals Witthaus 2005: 90). In Usos de los anteojos (1623) bespricht – wie der Verf. referiert (vgl. 94–99) – Daza de Valdés die Wirkung von verschiedenen Brillen und Linsen, zum Ende hin versammelt er auf der Spitze der Giralda von Sevilla eine kleine Forschungsgemeinschaft, die im Dialog die Wirkung von Fernrohren erprobt, wobei die Beobachtung der Mondoberfläche durch Galilei zitiert wird, ohne dass der Astronom aus Pisa direkt bei Namen genannt würde.




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Im Weiteren wird das Auftauchen astronomischen Vokabulars, wissenschaftlicher Akteure und optischer Medien in den bekannten Korpora des Siglo de Oro bilanziert, so bei Lope de Vega, Tirso de Molina oder auch Miguel de Cervantes. Dass die Diskussion der Weltsysteme sich u.a. auch bei Cervantes niedergeschlagen haben könne, wird anhand einer Aussage von Sancho Panza breit diskutiert (vgl. 116f.): Sancho diffamiert in seiner Unkenntnis Ptolemäus als eine "gentil persona, puto y gafo, con la añadidura de meón" (Cervantes 1998: 871 [II, 29]). Dass allerdings Don Quijotes Beschreibung der Erde ebd. als "globo del agua y de la tierra" laut Verf. so modern sei, beruht wohl auf einem wissenschaftsgeschichtlichen Mythos, den Reinhard Krüger widerlegt hat (vgl. zuletzt noch Krüger 2012), nämlich dass die Kenntnis von der Kugelgestalt der Erde sich nicht durch das Mittelalter hindurch überliefert hätte. Überraschender ist es in diesem Kontext, keinen Verweis auf die Clavileño-Episode zu finden (vgl. Cervantes 1998: 960f. [II, 41]), bietet das Herzogspaar doch hier zur Täuschung von Ritter und Knappen, die auf dem hölzernen Pferd zu eingebildeten Kosmonauten werden, eine ganze Theatermaschinerie auf, um das ptolemäische Schichtenmodell der Meteorologie zu simulieren, was man durchaus als ironische Bezugnahme auf die Diskussion der Weltsysteme verstehen kann.

García Santo-Tomás' Studie fördert eine Vielzahl von Entdeckungen zu Tage, die neue und aufschlussreiche Aspekte des spanischen Barocks offerieren. Zu diesen weitgehend noch nicht erschlossenen Themen gehört die Figur des Virtuosen (vgl. 157–169), so behandelt in einer Reihe von fiktionalen Texten oder auch Quellen, die sich auf historische Persönlichkeiten wie Juan de Espina beziehen, dessen Wunderkammer unter den Zeitgenossen überaus berühmt war (vgl. 169–184). Neben diesen und anderen Hinweisen ist allerdings eine zentrale thematische Linie der Studie hervorzuheben: der satirische Zugriff auf optische Medien – Brille, Fernrohr und Spiegel – als Metaphern der optischen Perspektivverschiebung. Ein bedeutender Referenzpunkt der spanischen Texte gibt sich ironischerweise in einer politischen Satireschrift des italienischen Spanien-Kritikers Trajano Boccalini, Ragguagli di Parnaso (1612), zu erkennen, die 1634 teilweise von Fernando Pérez de Sousa übersetzt worden ist. Boccalinis Erfindungsgabe lässt Dichter, Staatsmänner und Philosophen vor dem Thron und Richtstuhl Apollons berichten und debattieren. Dabei ist für die Studie von García Santo-Tomás ein Motiv von herausragender Bedeutung: jenes der 'politischen Augengläser' ("occhiali politici o anteojos políticos", 137). In einem Laden auf dem Parnass werden derlei Instrumente feilgeboten; ihr Gebrauch verspricht eine notwendige Regulation der politischen Verhaltensweisen: Einige fördern das Unterscheidungsvermögen der sozialen Umgebung – zwischen Ehre und Schande, Freund und Feind, Fremden und Nahestehenden –, andere unterweisen ihre Benutzer darin, gewisse Dinge zu übersehen und zu ignorieren; wieder andere richten den Blick auf die eigene Person und ermöglichen die Selbsterkenntnis. Brillen und Fernrohre werden hier als 'ein faszinierendes narratives Element' ("fascinante elemento narrativo", 142) entdeckt, mit dem die soziale Welt des Barock, die auch immer in einem bestimmten Sinn eine politische ist, durchmessen werden kann. Dabei ergibt es sich für beinahe alle nachfolgend besprochenen Texte der spanischen Tradition, dass die Enthüllung der Realität durch eine Verschiebung oder Marginalisierung der Perspektive, für welche das optische Medium steht, erkauft wird. Dieses ist nicht nur das Instrument der Wahrheit, sondern ebenso das Mittel der Verzerrung und Entstellung.

Ein eindrucksvolles Zeugnis für die Verwendung satirisch-politischer Augengläser findet sich in Rodrigo Fernández de Riberas Anteojos de mejor vista (1620–25), in dem ähnlich wie bei Daza de Valdés die literarischen Figuren auf der Spitze der Giralda versammelt werden. Die Vorführung einer magischen Brille durch den Maestro Desengaño bewirkt, dass Sevilla von oben betrachtet in einem neuen Licht erscheint. Die verschiedenen Gesellschaftstypen verwandeln sich in Tiere, die im Blick der Satire das jeweilige soziale Fehlverhalten preisgeben:

A través del recurso de la alegoría, la lente de Fernández de Ribera actúa de igual forma que el telescopio de Galileo en la medida en que no solo acerca el objeto en la distancia, sino que lo evalúa en su verdadera naturaleza, ofreciendo una nueva y denuda realidad y destruyendo con ello toda lectura equivocada." (201)

Verbunden werden hiermit Neue Wissenschaft und alte Motivik, beruhend auf dem Atalaya-Thema,3 welches bspw. titelgebend für den zweiten Teil des Guzmán de Alfarache und der in ihr enthaltenen Gesellschaftsbetrachtung ist, sich allerdings auch noch zu Beginn von Claríns La Regenta wiederfindet.




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Die gerade erwähnte Satire von Fernández de Ribera wird oftmals als Vorläufer des Romans El Diablo cojuelo (1641) von Luis Vélez de Guevara behandelt. Denn auch hier decken der Dämon und sein studentischer Begleiter in einer berühmten Szene die Dächer Madrids auf und schauen von oben durch ein nächtlich-diabolisches Dispositiv auf das fragwürdige soziale Panorama danieder. Wie die Analyse von García Santo-Tomás verdeutlicht, enthält der Text jedoch ebenso eine kritische Reflexion über die Astronomie und das hier verwendete Instrumentarium: "El Diablo Cojuelo, que cuestiona la existencia de las nuevas constelaciones recién descubiertas, defiende que la astronomía es una invención de los locos y que el telescopio es tan inútil como las gafas de los cortesanos vanidosos […]." (227) So hätten sich bei Vélez de Guevara Boccalinis Augengläser nach ausgiebigem Gebrauch gegen sich selbst und die Neue Wissenschaft gewandt, unter den Augen der wachsamen Zensoren jener Epoche.

Für die Reihe der enthüllenden Brillenhändler lassen sich noch andere Zeugnisse der Epoche zitieren, so etwa die Kapitel 7 und 13 aus Baltasar Graciáns Criticón (vgl. die kurzen Hinweise auf S. 135) – eine ausführlichere Betrachtung hätte die Pertinenz der Metaphorik noch stärker belegen können. Überhaupt werden der Criticón und seine Fülle an dioptrischen, diaphanen, aber vor allem katroptischen Metaphern sehr an den Rand gedrängt. Stattdessen wird neben weiteren Texten und Themen – vgl. zu Traum und Vision 227–235 – noch eine spätere Variation der Brillenkolporteure beigegeben: La tienda de anteojos políticos (1673) von Andrés Dávila y Heredia. Hier wird vor allem die Brillenmode der Höflinge aufs Korn genommen, die sich im Gerangel der höfischen Gesellschaft ausstaffieren, schmücken und ihre jeweilige Stellung bei Hofe repräsentieren (vgl. 284). Diese Brillenmode wird – wie zu ergänzen wäre – im Folgejahrhundert stereotyp mit der spanischen Nation in Verbindung gebracht und noch in José Cadalsos Cartas marruecas als internationales Vorurteil verspottet.

In einem weiteren Kapitel werden noch zwei Texte von Francisco de Quevedo und Diego de Saavedra Fajardo zusammengebracht, weil es sich wohl auf den ersten Blick um im engeren Sinne politische Interventionen handeln soll: "Los holandeses en Chile" aus Quevedos La Hora de todos y la Fortuna con seso (1650) und die siebte "Empresa" aus Saavedra Fajardos Empresas políticas (1640). Neben anderen aufgezeigten Aspekten ist es aufschlussreich – wie der Verf. in seiner Lektüre vorschlägt –, das Teleskop als Gefährdung der in der Ständegesellschaft notwendigen Distanzen und Unterschiede zu lesen. In der von Quevedo imaginierten Szene, in welcher Araukaner und Holländer aufeinandertreffen, lehnen es die Ureinwohner ab, sich auf Anraten der Ankömmlinge gegen die spanischen Kolonialherren zu erheben. Ebenso weisen sie das von den Holländern unterbreitete Geschenk des Fernrohrs zurück, mit Argumenten, die man gegen das Instrument selbst wenden könnte und in denen entfernt das Lachen der thrakischen Magd nachhallt. In der vorliegenden Studie läuft es jedoch darauf hinaus, dass im Sinne Quevedos astronomisches Gerät nicht in die Hände von Laien gehöre, vielmehr "dominio exclusivo de los sabios" (251) – den kulturellen Wissenseliten vorbehalten sei.




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In der siebten "Empresa" der zur Prinzenerziehung verfassten Empresas políticas kommentiert Saavedra Fajardo, dessen geozentrisches Weltbild in einer Reihe anderer Empresas deutlich wird, ein Emblem, auf dem ein Fernrohr abgebildet ist. Wie García Santo-Tomás rekapituliert, steht das Fernrohr in der emblematischen Tradition der Affektbrillen, deren Metaphorik veranschaulichen soll, dass die Emotionen die individuelle Wahrnehmung beeinflussen und verzerren. Hieraus leitet der Verf. einen auf optischer Technik gegründeten Perspektivismus ab, der die Unterschiede der Meinungen und Haltungen erkläre. In dieser negativen Metaphorik verrate sich gleichsam der Vorbehalt gegen ein Instrument, das die Distanzen überwinde und das Ewige in die Sterblichkeit zurückhole:

El telescopio se erige en Saavedra, por tanto, en un instrumento democrático, accesible a todos [...]. El Sol se observa ahora como corrupto y la Luna, con esa famosa 'cara' ya popularizado en Plutarco, se ve llena de 'arrugas' gracias al efecto óptico de sus cordilleras, destruyendo así la utilidad de estos astros como emblemas de poder, de un poder inaccesible, incontestado. (265)

Diese Lesart scheint uns überaus scharfsinnig, ist aber bezogen auf den vorliegenden Text ein wenig forciert.4

Der kurze Überblick bleibt notgedrungen verkürzend, und eine Vielzahl behandelter Autoren und Texte müssen hier leider außen vor bleiben. Wichtiger ist es, nach der Lektüre der vorliegenden Studie abschließend zu fragen, welche Effekte das Medienereignis des Teleskops in der spanischen Literatur des Barockzeitalters hervorbringt. Denn dass es Effekte gibt, erbringt gleichsam den Beweis gegen das Bild eines dunklen, durch Zensur und Inquisition abgeschotteten Landes, wenngleich auch jederzeit deutlich wird, dass die behandelten Autoren fast ausnahmslos unter Zensurbedingungen schreiben. So ist es darüber hinaus sicher schlau, die Ambivalenz, mit der das Teleskop in die Metaphorik jener Epoche akkulturiert wird, als Ausweis erkenntnistheoretischer Skepsis zu bilanzieren, die durchaus im 17. Jahrhundert floriert (vgl. Popkin 1979):

No tenemos conocimiento del mundo más allá de la impresión que éste ejerce sobre nosotros, y por lo tanto debemos permanecer agnósticos a la hora de evaluar las estructuras sobre las cuales los científicos construyen hipótesis a la hora de explicar esas impresiones. (303)

Allerdings lässt sich die Frage auch anders stellen: Von welcher kulturellen Form der Wahrheitsmetaphorik (Blumenberg) kündet das Auftauchen optischer Instrumente in der spanischen Literatur des Siglo de Oro? Während in der französischen Wissenschaftsprosa und ihrer Vulgarisierung das Teleskop dazu beiträgt, einen szientistischen Diskurs zu etablieren, in dem Normen, Werte und Darstellungsideale auf Transparenz sowie klare und distinkte Wahrnehmung hinauslaufen (vgl. nochmals Witthaus 2005: 89–107, zur Vulgarisierung die Studie von Gipper 2002), kann sich dem Leser der Studie von García Santo-Tomás der Eindruck vermitteln, dass insbesondere in der aufgezeigten satirischen Tradition Spaniens optische Medien als Peripetien der Plötzlichkeit in Engaño-Desengaño-Narrativen fungieren. Es ist dies keine Wahrheitsmetaphorik wissenschaftlicher Selbstbehauptung und unhintergehbarer res cogitans, sondern diejenige von Enthüllungsmomenten, die gleichzeitig ihr eigenes höchst kunstvolles Zustandekommen mit zur Anschauung bringen. Derlei Wahrheit tritt selten nackt und unvermittelt in Erscheinung, wie man bspw. bei Baltasar Gracián nachlesen kann:




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[La Verdad] usa de las invenciones, introdúcese por rodeos, vence con estratagemas, pinta lejos lo que está muy cerca, habla de lo presente en lo pasado, propone en aquel sujeto lo [que] quiere condenar en éste, apunta a uno para dar en otro, deslumbra las pasiones, desmiente los afectos, y, por ingenioso circunloquio, viene siempre a parar en el punto de su intención. (Gracián 1969: 191)

Eine solche Wahrheit ist digressiv: Daher ist die Metapher der "musa refractada" eine glückliche, weil sie – und man denke dabei an die Anamorphose – die Marginalität und Künstlichkeit eines Winkels indiziert, über den einzig Wahrheitsmomente in den Blick genommen werden können, wohingegen das cartesianische Subjekt auf seine universale Verallgemeinerungsfähigkeit abzielt und das artificio vergessen macht (vgl. Deleuze 1977: 169ff.).

Der Beobachtungsreichtum der Studie von García Santo-Tomás ist ebenso beeindruckend wie die beigebrachte Materialfülle. Diese großen Vorzüge erschweren bisweilen auch das Fortlaufen der Lektüre, die durch eine stärkere Thesenführung noch besser hätte angeleitet werden können. Aber man wird kaum daran zweifeln wollen, dass der Leser belohnt wird, nicht zuletzt auch durch Hinweise auf weniger bekannte Zeugnisse und Zusammenhänge, die neben den kanonischen Autoren und Sachverhalten den Argumentationsgang bereichern. So wird uns Aufschluss zuteil über die Auswirkungen eines Ereignisses der Wissenschaftsgeschichte in Spanien, und so findet das europaweite Panorama der Galilei-Affären in der Frühen Neuzeit (vgl. Stengers 2002) eine notwendige Ergänzung.


Bibliographie

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Witthaus, Jan-Henrik (2005): Fernrohr und Rhetorik. Strategien der Evidenz von Fontenelle bis La Bruyère. Heidelberg: Winter.


Anmerkungen

1 Vgl. die folgende kleine Auswahl: Lindberg (1976), Alpers (1983), Crary (1996), Hick (1999), Kittler (2002).

2 Vgl. zum Sidereus Nuncius als "Medienereignis" Witthaus 2005: 63–87.

3 Das Wort stammt aus dem Arabischen und heißt so viel wie 'Wache'. Gemeint sind damit i.d.R. die unter islamischer Herrschaft im Grenzbereich zwischen Christen und Muslimen aufgestellten Wachtürme.

4 Das zentrale tertium comparationis der Empresa 7 beruht auf der Verzerrung durch die Linsenkonfiguration und dem Unterschied der Bildgröße, abhängig von dem Ende, durch welches man schaut. In dieser Eigenschaft steht es nicht für die Überwindung von Distanzen, sondern für die Affekte des Machthabers, der in Notlagen und Kriegszeiten besser durch das 'Glas der Vernunft' schaue: "sean siempre unos mismos los cristales de la razón, por donde se miren con igualdad." (Saavedra Fajardo 1988: 56).