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Hannes Alterauge (Mainz)



Anne Lübbers (2015): Alfieri, Foscolo und Manzoni als Leser Machiavellis. Die Bedeutung der Literatur für das Risorgimento. Würzburg: Königshausen & Neumann.



Die italienische Einigungsbewegung, das Risorgimento, prägte die Entwicklungen auf dem Stiefel nicht nur in der Zeit zwischen dem Wiener Kongress 1815 und der Eroberung Roms 1870, sie formierte sich vielmehr bereits seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert als Idee und intellektuelle Überlegung und wirkt weit über die Ausrufung des Königreichs Italien hinweg bis in unsere Zeit hinein. Für die Entstehung, Konkretisierung und auch Umsetzung der Idee eines geeinten Italiens spielte die Literatur eine wichtige Rolle. Sie thematisierte die Zustände ihrer Zeit, legte Konflikte offen und verhalf dazu, Zukunftsvisionen in den Köpfen der Italiener zu festigen. Die italienische Literatur des 19. Jahrhunderts kann also gewiss als ein essentieller Baustein zur politischen Verwirklichung eines geeinten Italiens angesehen werden.

Dieser Umstand wurde zwar von der Risorgimento-Forschung stets gesehen und benannt, es dauerte jedoch bis ins Jahr 2000, bevor der Historiker Mario Banti eine empirische Studie veröffentlichte, die den Fokus auf die Rolle der Literatur für das Risorgimento legt und damit eine "kulturelle Wende" (vgl. 30) in der Forschung einleitete und Folgestudien anregte. Banti identifiziert einen literarischen canone risorgimentale, der sich inhaltlich auf vier Topoi zuspitzen lässt: Die Unterdrückung der italienischen Nation durch ausländische Tyrannen, die innere Spaltung der Italiener, hervorgerufen durch eben diese Unterdrückung, die Bedrohung nationaler Ehre durch die Fremdherrschaft und die heroischen, aber erfolglosen Befreiungsversuche. Banti verweist zwar darauf, dass sich die Autoren dieses canone risorgimentale auf eine bis zu Machiavelli, Petrarca und Dante zurückreichende italienische Kulturtradition beriefen, kann diesen Gedanken in seiner Studie aufgrund des begrenzten Untersuchungszeitraums jedoch nicht weiter erörtern. An dieser Stelle setzt nun die vorliegende Arbeit von Anne Lübbers ein, die nach dem "patriotischen Initialmoment" fragt, "der die Autoren des canone risorgimentale dazu bewegte, die italianità ins Zentrum ihrer Werke zu stellen und die Notwendigkeit der Unabhängigkeit und Einheit Italiens zu beschwören" (33f.). Hierzu konzentriert sich die Autorin auf drei der bedeutendsten Repräsentanten des literarischen Risorgimento: Vittorio Alfieri (1749–1803), Ugo Foscolo (1778–1827) und Alessandro Manzoni (1785–1873). Lübbers untersucht in ihrer Studie verschiedene Werke dieser Autoren aus den Jahren 1777–1827, also aus der Zeit des frühen Risorgimento. Sie geht von der Annahme aus, dass die erste Generation




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risorgimentaler Autoren (z.B. Alfieri) auf ihrer Suche nach nationaler Größe und Tradition in Ermangelung zeitgenössischer Vorbilder auf solche der italienischen Renaissance zurückgriffen und deren Texte auf die Bedürfnisse ihrer Zeit hin interpretierten. Die folgenden Generationen (exemplarisch vertreten durch Foscolo und Manzoni) konnten sich dann neben der rinascimentalen Literatur auch auf die Literatur der ersten Generation beziehen. So beschäftigten sich alle drei untersuchten Autoren intensiv mit den Texten Niccolò Machiavellis, Foscolo und Manzoni dann zusätzlich mit denen Alfieris.

Im einleitenden Kapitel beschreibt Lübbers, neben dem der Arbeit zu Grunde liegenden Forschungsstand und der verfolgten Methodik, die Machiavelli-Rezeption vom 16. bis zum frühen 19. Jahrhundert, sowie den allgemeinen Einfluss der Literatur auf das Risorgimento. Daran schließt der Hauptteil der Studie an, der in drei Kapitel unterteilt ist und chronologisch die einzelnen Autoren behandelt, deren Machiavelli-Rezeption analysiert und wiederum die Rezeption ihrer Werke durch die Protagonisten des Risorgimento beschreibt. Die drei Hauptkapitel beginnen jeweils mit einer biografischen Einführung zu den Autoren und deren Rezeptionsprozess. Dem folgt eine Intertextualitätsanalyse einer Auswahl der bedeutendsten Texte (jeweils Prosa, Dramen, Gedichte sowie politische Essays) des jeweiligen Autors, die den Einfluss der Lektüre Machiavellis auf die Entwicklung von dessen politischen Vorstellungen und seiner literarischen Produktion nachzeichnet, indem hermeneutische und semiotische Relationen und phänomenologische Verweise aufgezeigt werden. Lübbers folgt bei ihrer Analyse dem hermeneutisch-strukturalistischen intertextualitätstheoretischen Ansatz nach Jauß und formuliert als Ziel ihrer Arbeit das "Aufzeigen eines neuen Bedeutungshorizonts der Texte im hermeneutischen Sinn" (42). In den die Hauptkapitel abschließenden Abschnitten zur "rezipierten Rezeption", d.h. zur Aufnahme der Machiavelli-Rezeption Alfieris, Foscolos und Manzonis durch die ihnen folgenden Generationen risorgimentaler Schriftsteller, geht Lübbers der Frage nach, "ob der intertextuelle Bezug zu Machiavelli als solcher erkannt wurde und welche Auswirkungen er auf die Interpretation der neuen Werke hatte." (Ebd.) Als Grundlage der Untersuchung verwendet die Autorin eine große Zahl aufschlussreicher Quellen: Persönliche Korrespondenzen und autobiografische Schriften der Autoren, zeitgenössische und moderne biografische Berichte werden herangezogen, um das Leseverhalten und die politischen Vorstellungen der Autoren zu beleuchten. Zur Erklärung des Lese- und Rezeptionsvorgangs werden Zeugnisse ihrer Lektüre betrachtet. Hierfür verwendet Lübbers zahlreiche Unterlagen, Exzerpte, Manuskripte oder Fragmente aus privaten und öffentlichen Archiven und Bibliotheken sowie die von Alfieri, Foscolo und Manzoni verwendeten Machiavelli-Ausgaben, welche dank ihrer handschriftlichen Kommentare und Randnotizen Aufschluss über deren Rezeption und Reaktion auf die Schriften des segretario fiorentino erlauben. Im richtigen Maß werden besonders relevante Auszüge aus den Quellen stets in den Text eingeflochten und erläutert, während andere Quellenzitate im Fußnotenapparat dargestellt sind. Darüber hinaus stützt sich Lübbers auf eine große Bandbreite älterer und neuerer Literatur sowohl literaturwissenschaftlicher, als auch geschichtswissenschaftlicher Provenienz. Zur besseren Nachvollziehbarkeit ihrer Ausführungen ist der Studie ein 33-seitiger Anhang hinzugefügt, in welchem die benutzten handschriftlichen Exzerpte und die mit Vorhebungen oder Kommentaren versehenen Seiten der persönlichen Machiavelli-Ausgaben der drei analysierten Autoren abgebildet und teilweise transkribiert sind.




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Anhand der ausführlichen Darstellung der intellektuellen Auseinandersetzung der drei Autoren mit Machiavelli einerseits und der Auseinandersetzung Foscolos und Manzonis mit den Texten Alfieris andererseits, kann die Entwicklungsgeschichte der politischen Ideen der drei Autoren nachgezeichnet und der Einfluss, den sie aufeinander hatten – zumindest tendenziell – gewichtet werden. Es werden aber nicht nur Übereinstimmungen und ideelle Übernahmen aufgezeigt; vielmehr vermag die Arbeit darüber hinaus zu verdeutlichen, an welchen Stellen es Friktionen und Brüche in den gesellschaftlichen und politischen Vorstellungen der drei – bzw., unter Einschluss Machiavellis selbst, der vier – Autoren gab. Die Konzeption als vergleichende und textbasierte Studie erweist sich als adäquates Mittel, den Prozess der Aktualisierung und Anpassung der Schriften Machiavellis an die zeitlichen Bedürfnisse durch die risorgimentalen Autoren verständlich zu machen.

Lübbers gelingt es mit ihrer Studie über die Machiavelli-Rezeption durch Vittorio Alfieri, Ugo Foscolo und Alessandro Manzoni, einen wichtigen Baustein zum Verständnis des Risorgimento hinzuzufügen. Sie erklärt das Entstehen der literarischen und konzeptionellen Basis, auf der sich der für die italienische Einheitsbewegung so bedeutende canone risorgimentale entwickeln konnte, schließt damit an die Forschungen Mario Bantis an und erweitert sie um aufschlussreiche Aspekte. Auch die Wendung einer ablehnenden Machiavelli-Rezeption des 17. und 18. Jahrhunderts hin zur Stilisierung des Florentiners, die "totale Umkehrung vom negativen Mythos des Machiavellismus zum positiven Mythos des Risorgimento" (316f.), wird plausibel erklärt.