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Johanna Koehn (Strasbourg)



Schöch, Christof (2011): La Description double dans le roman français des Lumières. Paris: Garnier.



Mit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts setzt nach Reinhart Koselleck eine Sattelzeit ein, in der sich zentrale Begriffe und Auffassungen der europäischen Gesellschaften im Übergang von Früher Neuzeit zu Moderne im Wandel befinden. Christof Schöch zeigt in seiner Studie La Description double, dass sich diese Beobachtung auch für einen Bereich bestätigen lässt, der in diesem Kontext bisher nicht viel Beachtung gefunden hat: die literarische Beschreibung. Das Wort "double" im Titel nämlich bezieht sich auf die Gleichzeitigkeit zweier unterschiedlicher Auffassungen von Beschreibung, die beide in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts vertreten werden und die die Praxis des literarischen Beschreibens bestimmen. Zum einen, so die These Schöchs, ist noch der Begriff der Beschreibung, wie er in der rhetorischen Tradition verstanden wurde, präsent. Hier galt sie als Redeweise der Anschaulichkeit und Evidenz und war der einfachen, ungeschmückten Rede entgegengesetzt. Zum anderen beginnt sich im siècle des Lumières das moderne Verständnis von Beschreibung durchzusetzen, das deskriptive Passagen in erster Linie in Opposition zur Narration definiert. Diese Überlappung ist es, so Schöch, die die Spezifik der literarischen Beschreibung in seinem Untersuchungszeitraum ausmacht. Um dies zu belegen, stützt sich seine Arbeit auf ein Textkorpus von 32 zwischen 1760 und 1800 entstandenen Romanen, das sowohl große Namen der Lumières (Diderot, Rousseau, Sade, Choderlos de Laclos) wie auch weniger bekannte Autoren umfasst. Schöch kontextualisiert die in den Texten vorgefundene Beschreibungspraxis durch poetologische Schriften der Zeit und bettet sie darüber hinaus in die relevanten großen ideengeschichtlichen Entwicklungslinien ein. Indem er das 18. Jahrhundert als entscheidende Übergangsepoche für die écriture descriptive im Roman darstellt, gelingt es Schöch, die Beschreibungspraxis in den Romanen seines Untersuchungszeitraums als in mehrerer Hinsicht beachtenswerten Gegenstand zu etablieren: Er eröffnet sowohl einen neuen Blick auf die Geschichte der literarischen Beschreibung, die bisher vor allem in der Literatur des 19. Jahrhunderts erforscht wurde, als auch auf eine wichtige, bisher unterbeleuchtete Facette der Erzählpoetik des 18. Jahrhunderts. Die Einleitung ist zwar so sehr damit beschäftigt, die Erforschung des Gegenstands als Desiderat auszuweisen, dass das intrinsische Interesse am Untersuchungsobjekt teilweise unterzugehen droht. Dafür werden Anliegen und Interesse der Arbeit in den drei Kapiteln des Hauptteils umso deutlicher.




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In diesen drei Teilen untersucht Schöch die Praxis der Beschreibung in den Romanen des 18. Jahrhunderts auf verschiedenen Ebenen. Immer bindet er dabei seinen Gegenstand überzeugend und souverän an die kulturellen Kontexte an und situiert die von ihm untersuchte Periode zwischen den Entwicklungen im 17. und 19. Jahrhundert, um ihre Spezifik abzugrenzen und Zusammenhänge zu verdeutlichen. Im ersten Teil belegt er anhand von theoretischen Texten der Aufklärungsepoche seine These vom zweifachen Verständnis der Beschreibung im 18. Jahrhundert, um dann zu zeigen, wie sich dieser theoretische Diskurs konkret in den untersuchten Romanen manifestiert. Er kann so die spezifische Rolle nachweisen, die das 18. Jahrhundert in der Geschichte der écriture descriptive spielt: Die im 17. Jahrhundert noch nicht etablierte Opposition von Narration und Deskription beginnt sich herauszubilden, auch wenn sie in den theoretischen Überlegungen noch unterrepräsentiert ist und der Einfluss der rhetorischen Tradition weiter dominiert. Andererseits hat die Beschreibung noch nicht den unproblematischen Status, den sie durch ihre zentrale Rolle in den Romanen des 19. Jahrhunderts einnehmen wird. Im 18. Jahrhundert, so zeigt Schöch, wird der Status der Beschreibung im Roman neu justiert, verhandelt und reflektiert.

Wie diese Verhandlung konkret aussehen kann, führt der zweite Teil der Studie vor Augen. Hier geht es um eine weitere Ambivalenz, die den spezifischen Charakter der literarischen Beschreibungen im 18. Jahrhundert ausmacht und die die Bewertung beschreibender Passagen betrifft. Im Zeichen der Empirie bildet sich zum einen ein wahrer "climat descriptif" (89) heraus, dessen Verbreitung Schöch in den philosophischen, naturwissenschaftlichen und geschichtlichen Gattungen nachzeichnet. Noch größeren Einfluss auf die Romane haben die für das 18. Jahrhundert so einschlägigen Genres wie der Reisebericht, die Kunstkritik und die poésie descriptive, in denen beschreibende Elemente naturgemäß eine große Rolle spielen. Andererseits steht die Beschreibung im Verdacht, monoton und abschweifend vom eigentlichen Gegenstand wegzuführen, wie Schöch an Formulierungen der von ihm untersuchten Autoren zeigt. Diderot etwa spielt ironisch mit dieser Ansicht, wenn er in Bezug auf seine eigenen Ausführungen im Salon de 1765 von "la monotonie des ces descriptions et l'ennuie de ces mots parasites" (86) spricht. In der Tradition des Romans, der narrativen Form schlechthin, wiegt dieser Verdacht natürlich besonders schwer.

Nachdem er die Situation der Beschreibung im 18. Jahrhundert allgemein vorgestellt hat, zeigt Schöch, inwiefern sich diese Spannung in zeitgenössischen poetologischen Schriften wiederfindet. Es stellt sich heraus, dass hier tendenziell noch eine negative Sicht auf die Beschreibung als Digression vorherrschend ist. Die Beschreibung verliert als rhetorisches Bravourstück und Ornament an Bedeutung, es wird von ihr nun Funktionalität für die Narration verlangt. Besonders eindrücklich wird die ambivalente Stellung der Beschreibung vorgeführt, wenn Schöch belegt, wie ihr prekärer Status in den Romanen selbst zum Ausdruck kommt. Hier ist allein schon die starke Präsenz dieser Problematik, die er nachweisen kann, beeindruckend. Er zeigt, dass die Autoren sich des ambivalenten Status' der Beschreibung sehr bewusst sind und diesen auf unterschiedliche Weise reflektieren. In ihren Romanen kommt nämlich die Notwendigkeit zum Ausdruck, beschreibende Elemente (oder auch deren Fehlen) zu legitimieren. Den erzählerischen Strategien, die dafür angewendet werden, räumt Schöch in seiner Studie zu Recht einen großen Raum ein, denn sie belegen den Reflexionsbedarf, der hinsichtlich der écriture descriptive im Roman des 18. Jahrhunderts besteht. Die Legitimierung von Beschreibungen erfolgt entweder in einem Metadiskurs oder in einem Verfahren, das Schöch motivation narrative nennt und bei dem innerhalb der Erzählung selbst ein Anlass für eine beschreibende Passage geschaffen wird. Besonders erhellend ist die Untersuchung der Sadeschen Cent Vingt Journées de Sodome. Dieser Text weist in hohem Maße metadiskursive Passagen auf und dient Schöch als Musterbeispiel der ersten Strategie. Die präzise Analyse der verschiedenen Erzählebenen des Romans – die des Erzählers und die der Binnenerzählerin Duclos –  eröffnet einen neuen Blick auf das Werk und offenbart, wie sehr der Erzähler bei aller inhaltlichen Transgression darauf erpicht ist, die Regeln des guten Erzählens einzuhalten. In den Reflexionen von Erzähler und Binnenerzählerin wird nebenbei eine ganze Poetik des Deskriptiven entwickelt, die Schöch durch seine Analyse sichtbar macht. So wird die prekäre Stellung der Beschreibung reflektiert, wenn der Erzähler sich für deren Einsatz entschuldigt: "Comme les quatre actrices dont il s'agit ici jouent un rôle très essentiel dans ces mémoires, nous croyons, dussions-nous en demander pardon au lecteur, être encore obligés de les peindre." (144) Damit formuliert er die Forderung – und steht damit ganz in der Linie der von Schöch untersuchten theoretischen Schriften –, dass die Beschreibungen, wie alle Elemente der Erzählung, im Dienste der Haupthandlung stehen sollten sowie pertinent und notwendig sein müssen. Auch Platzierung und Länge der Beschreibungen werden in den Cent vingt journées problematisiert, sollen sie doch den streng progressiven Aufbau der Narration nicht stören. Schöch richtet abschließend seinen Blick auf das 19. Jahrhundert, in dem Metadiskurse dieser Art verschwinden, was, so seine plausible These, darauf zurückzuführen ist, dass der Status der Beschreibung im realistischen Roman unproblematisch geworden ist.




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Im dritten Teil schließlich nimmt sich Schöch der Frage an, wie die écriture descriptive im Diskurs des 18. Jahrhunderts über das Verhältnis von Malerei und Poesie/Literatur zu verorten ist. Auch hier geht er zunächst von den ideengeschichtlichen Kontexten aus, in denen die Romane des Untersuchungszeitraums entstehen: die sich formierende Disziplin der Ästhetik, der Vergleich zwischen den Künsten, das wachsende Interesse für die Wirkung von Kunst und das Erleben des Betrachters, die allgemeine Aufwertung des Visuellen. Die Malerei wird zum Modell der anschaulichen, evidenten Repräsentation, nachdem sie, so zeigt Schöchs Vergleich mit dem 17. Jahrhundert, zuvor eher an ihren diskursiven Qualitäten und ihrer Lesbarkeit gemessen wurde. Im Kontext dieser neuen Wertschätzung steht das Streben der Schriftsteller, die Qualitäten der Malerei mit den Mitteln des Romans zu erreichen – gerade in den beschreibenden Elementen. Um diese Tendenz zu belegen und differenziert zu erfassen, untersucht Schöch zwei Formen des Bezugs zwischen beschreibender Literatur und Malerei. Zunächst widmet er sich den Beschreibungen von Gemälden im untersuchten Korpus. Es handelt sich in der Regel um fiktive Gemälde, die den populärsten Gattungen der Epoche angehören: Porträts, Historienbilder und Allegorien, deren Inhalte in den Romanen kurz aufgerufen werden, ohne dass bildhafte Qualitäten in den Text eingehen würden. Anschließend zeigt er, wie Pikturalität in romanesken Episoden erzeugt wird, die selber bildhaften Charakter haben. In diesen werden die Qualitäten der Malerei von ihrem Medium gelöst und textuell umgesetzt. In den Ausführungen zur ersten Variante, den Bildbeschreibungen im Roman, droht dabei bisweilen die Fragestellung der Arbeit etwas aus dem Blick zu geraten – hier erfährt man mehr zum Diskurs über Malerei im 18. Jahrhundert als über die Eigenschaften der écriture descriptive (natürlich hängt beides zusammen, jedoch verschiebt sich der Fokus vielleicht zu stark auf die Malerei). Anders verhält es sich bei den äußerst aufschlussreichen Analysen der épisodes romanesques, in denen die pikturale Qualität beschreibender Romanpassagen an konkreten Textbeispielen herausgearbeitet wird. So zeigt Schöch etwa an einer libertinen Beobachtungsszene aus Mirabeaus Ma conversion, wie darin die Malerei und ihre Qualitäten auf verschiedenen Ebenen (der Ebene der Thematik, der spezifischen Zeitlichkeit und der Wirkung des Bildes auf den Betrachter) kunstvoll in den Text eingewoben werden. Schöch lässt die Machart dieser Szene von hoher Bildhaftigkeit sichtbar werden und zeigt, wie letztere aus dem Dialog mit der Malerei entsteht und gleichzeitig die spezifischen Möglichkeiten der Schrift ausschöpft (197f.).

Im knappen Schlusskapitel werden die Ergebnisse der Studie konzise und übersichtlich festgehalten. Vermissen könnte man hier höchstens eine abschließende Verknüpfung der drei Teile. Das formulierte Ziel, das 18. Jahrhundert als Schlüsselepoche für die Geschichte der écriture descriptive im Roman zu etablieren und zentrale Spezifika derselben herauszustellen, hat Christoph Schöch mit seiner mit dem Prix Germaine de Staël des Frankoromanistenverbandes ausgezeichneten Dissertationsschrift zweifelsohne erfüllt.