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Friedrich Michael Dimpel (Erlangen)



Automatische Mittelhochdeutsche Metrik 2.0



Automatic Middle High German Metrics 2.0
Metrik 2.0 is an advanced version of the digital automatic middle high German metrics published in Dimpel 2004. By adding and improving numerous rules of analysis, the error rate has been reduced to less than 2% now. The metrics program is available on the internet as freeware. The analysis of cadence is carried out now in a more conventional way than in the 2004 version. Syllables which are situated in a triple anacrusis in the case of a 'klingende' cadence are compared with syllables which are situated in a triple anacrusis in a verse with a male cadence. The comparison shows that if female cadences were generally analysed as 'klingende' cadences, semantically important syllables would be assigned to the anacrusis. I therefore argue that female cadences should not be relinquished in the analysis.


I Weiterentwicklung

In meiner 2004 erschienenen Dissertation (Computergestützte textstatistische Untersuchungen an mittelhochdeutschen Texten) habe ich das Programmpaket ErMaStat vorgestellt, das eine Vielzahl an Textmerkmalen erfasst und statistisch auswertet (Dimpel 2004). Damit kann etwa bei Fragen unklarer Autorschaft mit computerphilologischen Methoden eine Entscheidungshilfe angeboten werden. Teil dieses Programmpakets ist eine automatisierte metrische Analyse von vierhebigen mittelhochdeutschen Reimpaarversen. Das Metrik-Modul habe ich nun ausgekoppelt und grundlegend überarbeitet. Sechzehn Analyseregeln sind neu hinzugekommen; einige bisherige Regeln wurden präzisiert. Eine online-Fassung steht unter http://www.archiv.mediaevistik.germanistik.phil.uni-erlangen.de/cgi-bin/metrik/metrik2.pl im Internet zur Verfügung. Hier kann der Benutzer einen Text in ein Formularfeld einfügen, auf Knopfdruck liefert das Skript eine metrische Analyse. Die Analyse-Algorithmen sind hier dynamisiert: Einzelne Regeln können per Radiobutton deaktiviert werden. Einige zusätzliche Regeln sind per Default-Einstellung inaktiv: Diese Regeln wurden im Rahmen der Weiterentwicklung in der Testphase hinzugefügt, sie haben jedoch die Bedingung, mehr Analysefehler zu beseitigen als neue zu generieren, im Testsample nicht erfüllt (vgl. Bobenhausen / Gehl 2007: Abs. 31). Diese Regeln können jedoch wieder reaktiviert werden. Ein Trace-Modus erlaubt nachzuverfolgen, auf welchem Weg durch den Regelgarten das jeweilige Analysemuster zustande kommt.

Ziel der Überarbeitung der Analyse-Logik war einerseits eine weitere Verbesserung der Fehlerquote. Anderseits sollte die zweite Version auf einem Analysesystem beruhen, das – gerade bei der Kadenzanalyse – an einem verbreiteten und intuitiv nachvollziehbaren Usus bei konventionellen Analysen orientiert ist.




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II Im Zweifelsfall klingend

Nach wie vor gilt, dass die Metrik-Forschung keine eindeutig formalisierbaren Regeln für eine metrische Analyse von mittelhochdeutschen vierhebigen Versen erarbeitet hat (vgl. Dimpel 2004: 57–61). Die Analyse-Logik von ErMaStat ist entlang der Kadenz-Taxonomie von Andreas Heusler entwickelt worden (Heusler 1927: 123–135; Dimpel 2004: 74–76)

Eine Adaption an Heusler hat jedoch auf die Problemlage zu reagieren, dass Heusler mit einem dreistufigen System arbeitet: Es gibt unbetonte Silben sowie Haupt- und Nebenhebungen. Soweit es sich nicht um beschwerte Hebungen handelt, die einen ganzen Takt füllen, unterscheiden sich Haupthebungen zum Teil nicht nur durch ihre formalen Eigenschaften von Nebenhebungen, sondern mitunter auch durch ihre semantischen Eigenschaften. Ob künftig eine Formalisierung einer solchen dreistufigen Metrik gelingen kann, wird auch davon abhängig sein, inwieweit ein Parsen von mittelhochdeutschen Texten mit semantischer Komponente realisierbar wird. Derzeit ist eine zweistufige Metrik, die nur betonte und unbetonte Silben unterscheidet, eine hinreichend komplexe Aufgabe.1

Die klingende Kadenz unterscheidet Heusler von der weiblich-vollen Kadenz dadurch, dass im letzten Takt Silben stehen, die Nebenton tragen (vgl. auch Beyschlag 1969: 56–59)

mit állèn ir díngèn (klingend)

unt chrístes jóch úf in trúogen (weiblich voll)2

Da eine Unterscheidung von Haupt- und Nebenton nicht implementiert werden konnte, hat ErMaStat (2004) eine Analysestrategie verfolgt, die vielfach auch weibliche Kadenzen zugelassen hat (Heusler 1927: 123f.). Insbesondere bei Unterfüllung (nur drei Hebungen) wurde hier bei einem mehrsilbigen Wort am Versende eine klingende Kadenz notiert. ErMaStat sollte eine möglichst große Zahl an verschiedenen Textmerkmalen zum Zweck der statistischen Stilanalyse erfassen. Daher wurde ein dreisilbiges Wort am Versende wie gedánkèn als klingend analysiert und von einer zweisilbigen Kadenz unterschieden, die 2004 noch als weiblich eingestuft wurde (als víur in dem brúnnèn) – explizit mit dem Hinweis, dass der manuell analysierende Philologe anders entscheiden würde (Dimpel 2004: 75f.). Dass ErMaStat zunächst die zweite Silbe von brunnen als unbetont eingestuft hat, war ein Indikator für einen Nebenton auf der letzten Silbe. Diese Entscheidung war seinerzeit zwar insofern hilfreich für eine statistische Disjunktion, als damit die Anzahl der Textmerkmale beim Dateivergleich zugenommen hat. Dennoch: Diese Bezeichnung ist intuitiv kaum nachvollziehbar, sie wird daher hier revidiert.




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Das nunmehr vorgelegte System versucht einen Spagat aus einer konventionellen Beschreibungssprache und dem Bedürfnis, formalisierbare Regeln zu formulieren. Vorgesehen sind männlich-stumpfe und männlich-volle Verse, in denen die letzte Silbe betont ist; gespalten-männlich sind Verse, in denen die betonte vorletzte Silbe kurz ist (keine Natur- oder Positionslänge: háse; ausführliche Beispiele s.u. unter 4C).  Bei weiblich-vollen Versen muss in Gegensatz zu gespalten-männlichen Kadenzen auf der vorletzten Silbe ein langer Vokal vorliegen, zudem muss die Pänultima betont und die Ultima unbetont sein. Ein langer Vokal ist jedoch zugleich das Kriterium dafür, dass eine beschwerte Hebung vorliegen kann. Die Ultima kann zur Nebenhebung werden, es entsteht eine klingende Kadenz, solange der Vers damit nicht mehr als vier Hebungen erhält.

Während ErMaStat bei Unterfüllung auch in der Versfüllung nach potentiell langen Silben, die für beschwerte Hebungen in Frage kommen, gesucht hat, setzt Metrik 2.0 auf die Strategie, einen vierhebigen Vers bevorzugt durch eine Umdeutung einer weiblichen in eine klingende Kadenz herzustellen, wenn der Vers bis zu diesem Analyseschritt auf die Folge "betont-unbetont" endet und wenn die letzte betonte Silbe lang ist. Erst nachrangig wird versucht, wenn nach diesem Schritt noch immer weniger als vier Hebungen vorliegen, weitere potentielle Hebungen in der Versfüllung auszumachen.

Die Weiterentwicklung der Regeln ist indes kein einfaches Geschäft: Ändert man eine Regel, lassen sich durch einen Vergleich der Analysedateien die unmittelbaren Auswirkungen kontrollieren (verwendet habe ich, auch aus Laufzeitgründen, die ersten beiden 'Parzival'-Bücher). Änderungen an weiteren Regeln können jedoch auch im neuen Kontext zu unerwünschten Effekten der ersten geänderten Regel führen.


III Neue Spielregeln

Unverändert geblieben gegenüber 2004 ist die Makrostruktur: Zunächst werden die Silbengrenzen erkannt. Falls zwischen zwei Vokalen mehrere Konsonanten stehen, wird die Silbengrenze nach dem Prinzip der "konsonantischen Stärke" nach Theo Vennemann ermittelt; sonst enden Silben vor dem Konsonanten bzw. bei Doppelkonsonanz nach dem ersten Konsonanten (Vennemann 1986: 36; vgl. auch Vennemann 1982; Dimpel 2004: 64–66). In einer ersten Regelgruppe werden mutmaßlich eindeutige Fälle bearbeitet: Betonungen auf Wurzelsilben und auf einsilbigen Wörtern am Versende. Eingeschoben ist hier nunmehr eine Berücksichtigung von potentiell klingenden Kadenzen, bevor in der zweiten Regelgruppe das Vorhandensein von Längen und Kürzen und von bestimmten Wortarten wie Funktionswörtern ausgewertet wird. In der dritten Regelgruppe werden noch nicht analysierte Silben möglichst regelmäßig alternierend analysiert. In der vierten Regelgruppe werden verschiedene Anpassungen vorgenommen, um möglichst Verse zu vermeiden, die weniger oder mehr als vier Hebungen aufweisen; dazu werden u.a. auch bereits absolvierte Regeln mit leicht variierten Bedingungen erneut aufgerufen; zudem erfolgt hier die Kadenzanalyse.




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Nicht mehr durchgeführt wird die Berücksichtigung der Elisionen: Hierdurch sind nunmehr weit mehr falsche als bessere Analyseergebnisse entstanden. Dieser Befund beruht darauf, dass die Wurzelsilbenerkennung in der elidierten Form keine zuverlässigen Ergebnisse erzielen kann. Eine verallgemeinerbare Regel, ob eher der Wurzelakzent des ersten oder des zweitem Wortes erhalten bleiben soll, lässt sich offenbar nicht formulieren. Dagegen führt eine Analyse von Versen, bei denen Elisionen nicht berücksichtigt wurden, meist dazu, dass dort eine Senkungsspaltung ausgegeben wird, wo man sonst eine einfache Senkung annehmen würde – eine rhythmisch unschädliche Variation.3 Per Radiobutton kann diese Regel wieder reaktiviert werden.

Im Folgenden stelle ich die Analyseregeln von Metrik2.0 vor. Um einen Vergleich mit den ErMaStat-Regeln zu erleichtern, habe ich darauf verzichtet, eine neue, durchlaufende Nummerierung der Regeln zu etablieren. Der Preis dafür besteht allerdings darin, dass zusätzliche Regeln eine Nummerierung erhalten haben, die den Eindruck von Nachrangigkeit suggerieren wie "2Fa". Mitunter haben sich allerdings ähnliche Regeln gruppieren lassen.4


1. Mehrsilbige Wörter und das letzte Wort

1A Erstbetonung trotz vorsilbengleichen Beginns nach Wortliste

Deutsche Wörter werden auf der Wurzelsilbe betont; bei Wörtern mit einfacher Vorsilbe wird die zweite Silbe betont. Metrik2.0 nutzt wie ErMaStat Wortlisten: Um zu erkennen, ob eine Wurzelsilbe bei einem Wort vorliegt, das bspw. mit ge- beginnt, wird eine Liste abgefragt, die Wörter enthält, die mit zwar mit einer einschlägigen Zeichenfolge beginnen, die aber dennoch erstbetont sind (gerne, gegenrede) (vgl. Dimpel 2004: 62f.). Dabei wird auch ein rudimentärer Flexionsabgleich vorgenommen, bei dem auch abgeglichen wird, ob die Wortform aus dem Analysetext dann mit dem Wortlistenwort identisch ist, wenn an das Wortlistenwort mögliche Flexionsendungen angehängt werden.5

Bei einem positiven Befund wird die erste Silbe der Wortform aus dem Analysetext als "betont" gespeichert, die zweite als unbetont. Für alle Silben ab der dritten Silbe wird erst im weiteren Verlauf eine Entscheidung getroffen.

Beispiel: erbeschaft -> 1-0-2, er = betont (1), be = unbetont (0)
(Ich verwende als kurze Bezeichnung für betonte Silben "1", für unbetonte "0" und für noch nicht analysierte Silben "2".)




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1B Zweitbetonung nach Wortliste

Hier wird geprüft, ob ein Wort in der oben beschriebenen Wortliste für zweitbetonte Worte enthalten ist (Dimpel 2004: 63), in der bspw. Jeschûte oder owê enthalten sind. Ist dies der Fall, so erhält die zweite Silbe des Wortes eine Betonung, die erste wird als unbetont gespeichert. Die dritte Silbe wird noch nicht analysiert.

Beispiel: vrancrîche -> 0-1-2, vranc = unbetont (0), rîch = betont (1)


1C Elision bei Vorsilbe: Zweitbetonung

Diese Regel kommt nach der Deaktivierung der Elision nicht mehr zum Einsatz. Falls Elisionen wieder aktiviert werden, werden die beiden Worte betrachtet, die durch die Elision zu einer Zeichenfolge zusammengezogen wurden. Wenn das erste Wort zuvor einsilbig war, das zweite mehrsilbig und mit einer Vorsilbe begonnen hat, so wird die erste Silbe der Zeichenfolge als unbetont und die zweite als betont analysiert. Die dritte Silbe wird noch nicht analysiert.

Beispiel: si enkêrte -> sinkêrte -> 0-1-2, sin = unbetont (0), kêr = betont (1)


1D Initialakzent für noch nicht analysierte mehrsilbige Wörter

Alle mehrsilbigen Worte, über deren Anfangsbetonung noch nicht in 1A-C entschieden wurde, erhalten eine Betonung auf ihre erste Silbe, die zweite gilt nun als unbetont.

Bsp: zwîvel -> 1-0, zwî = betont (1), vel = unbetont (0)


1E Zweitakzent für Wörter mit Vorsilbe

Ist das Wort nicht in der Liste der Ausnahmen bei Wörtern mit Vorsilben (1A) enthalten, so wird seine erste Silbe als unbetont und seine zweite Silbe als betont analysiert. Die dritte Silbe wird noch nicht erfasst.

Beispiel: gezieret -> 0-1-2, ge = unbetont (0), zie = betont (2)

Die bisherige Regel 1F wird nun später (nunmehr als 1Ha) prozessiert.




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1G Betonung eines langen Vokals nach der Vorsilbe un

Folgt auf die Vorsilbe un ein langer Vokal, werden die beiden ersten Silben betont. Im Gegensatz zu den übrigen Vorsilben (s. o. 1E) ist die Vorsilbe un – wohl aufgrund ihrer negierenden Funktion – in der Regel selbst betont. Zusätzlich kann jedoch die Stammbetonung des zugrunde liegenden Wortes erhalten bleiben – nämlich auf jeden Fall dann, wenn es sich beim ersten Vokal nach der Vorsilbe un um einen langen Vokal handelt. Beispiel:

2   1  0 2  0 1  2  (Analysestand vor 1G)
2   1  1 2  0 1  2  (Analysestand nach 1G)
der unstæte geselle (Pz. 1,10)
(1 = betont, 0 = unbetont, 2 = noch nicht entschieden)

Bei kurzen Vokalen ist die zweite Silbe nicht immer betont, z. B. dann, wenn die Zeichenfolge un nicht als Negationspräfix auftritt (untertân) oder bei doppelter Vorsilbe (ungevüegiu).
Diese Regel wird eingeschränkt: Wenn durch eine entsprechende Änderung keine drei Hebungen in Folge entstehen, gilt:

1Gw) Steht ein dreisilbiges Wort, das mit un beginnt, am Versende, wird nach einem Abgleich mit der Wortliste für erstbetonte Wörter die Wurzelsilbe betont.

1Gx) Steht ein zweisilbiges Wort, das mit un beginnt, am Versende, so sind beide Silben dieses Wortes betont.

2  1  0   2   2   2  1 0  (Analysestand vor 1Gx)
2  1  0   2   2   2  1 1  (Analysestand nach 1Gx)
ir grôziu nôt was im unkunt. (Pz. 185,26)

1Gy) Diese Regel ist nun meist irrelevant, solange die Elisions-Regel deaktiviert ist. Die Bedingungen für diese Ausnahme lauten: Das vorletzte Wort ist zweisilbig, es beginnt es mit un- und das letzte Wort der Zeile ist ein (betontes) einsilbiges Wort. Im vorletzten Wort wird nun un betont, die folgende Silbe bleibt unbetont.

1Gz) Bedingungen: Das vorletzte Wort ist dreisilbig, es beginnt es mit un und das letzte Wort der Zeile ist ein (betontes) einsilbiges Wort. Im vorletzten Wort bleibt nun un unbetont, die zweite Silbe des vorletzten Wortes wird betont, die dritte Silbe bleibt nicht entschieden.

2      2    2  2   1 0    2   2  (Analysestand vor 1Gz)
2      2    2  2   0 1    2   2  (Analysestand nach 1Gz)
ruocht irs, si sol unschuldec sîn. (Pz. 270,1)

Im Rahmen von 1A-G wird die Wurzelsilbe ermittelt; bei zwei Vorsilben (ungelogen) wird irrtümlich die erste Silbe als Wurzelsilbe gespeichert. Für die Analyse ist dieser Fehler nur in den seltensten Fällen von Belang. Bei Komposita wird ebenfalls die erste Silbe gespeichert.




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1H Betonung der letzten Silbe wenn anderer Vokal als e

Nunmehr deaktiviert: Enthält die letzte Silbe einen anderen Vokal als e, so ist sie betont.


1Ha Betonung einsilbiger Wörter am Zeilenende

(In ErMaStat als 1F) Steht ein einsilbiges Wort am Ende einer Zeile, so wird es betont. Beispiel:

1 0  2 2   1  0   2    (Analysestand vor 1Ha)
1 0  2 2   1  0   1    (Analysestand nach 1Ha)
unverzaget mannes muot, (Pz. 1,5)

Zusätzlich wird geprüft, ob die vorletzte Silbe der Zeile bereits als betont gespeichert wurde (1Hax). Um in dieser Analysephase ein Versende mit zwei Hebungen in Folge zu vermeiden, wird die vorletzte Silbe auf unbetont und drittletzte Silbe auf noch unentschieden gestellt. Beispiel:

2   1 0   2    0 1    1   (Analysestand vor 1Hax)
2   1 0   2    2 0    1   (Analysestand nach 1Hax)
des inren hers dehein hant (Pz.209, 30)

Als Ausnahme zu dieser Regel werden die Fälle beachtet, in denen das vorletzte Wort mit einer Vorsilbe beginnt.


1Hb: Viersilbige Wörter

Neu in Metrik2.0. Viersilbige Wörter werden mit der Folge "betont-unbetont-betont-unverändert" versehen, falls die erste Silbe des Wortes nicht bereits als unbetont gespeichert wurde (im Fall einer Vorsilbe).

Endergebnis ohne 1HbB

0  -  1  -  0 -  0  -  1 -  0  -  1 -  0  -  1    
vor - mis - se - wen - de - ein - wâ - riu - fluht

Endergebnis mit 1Hb

0  -  1  -  0 -  1  -  0 -  0  -  1 -  0  -  1    
vor - mis - se - wen - de - ein - wâ - riu - fluht




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1Hc Dreisilber am Ende: betonte Ultima

Neu in Metrik2.0, jedoch deaktiviert: Bei einem dreisilbigem Wort am Versende wird der Analysezustand von "betont-unbetont-unentschieden" auf "betont-unbetont-betont" gesetzt.


1I Klingend-Anpassung

Neu in Metrik2.0. Wenn das letzte Wort mindestens aus zwei Silben besteht und wenn die vorletzte Silbe nicht kurzvokalisch offen ist, wird eine klingende Kadenz angenommen. Zudem darf die Pänultima bislang nicht unbetont sein (nachgebûr, gesîn); weiterhin darf die drittletzte Silbe nicht schon als betont eingestuft sein (daz im der erde undertân, Pz. 13,18).

      0    1     2     1    0    0    1     2   nach 1A-G
      0    1     2     1    0    0    1     1   nach 1I
      0 -  1  -  0  -  1 -  0 -  0 -  1  -  1   Endergebnis

k-wk  ge - smæ - het - un - de - ge - zie - ret6


2.Voranalyse der noch nicht analysierten Silben

2A Ambivalente Wörter

Bei häufigen ambivalenten Wörtern wie gâwân, dehein, gâwein und îwein entscheidet sich "ErMaStat" dann für Erstbetonung, wenn die folgende Silbe bereits als betont analysiert wurde. Andernfalls erhalten diese Wörter – wenn sie auch in der Liste für zweitbetonte Wörter stehen – eine Betonung auf der zweiten Silbe.


2B wîp ist immer betont

Das Wort wîp ist stets betont. (In ErMaStat war zudem æ stets betont; im neuen Kontext produziert diese Teilregel überwiegend Fehler.)




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2C Betonung einsilbiger Substantive, Adjektive, Adverbien und Verben bei langem Vokal

"ErMaStat" gleicht einsilbige Wortformen mit den Einträgen einer Wortliste für einsilbige Wörtern, die eher unbetont sind, ab (Dimpel 2004: 63). Ist das nicht der Fall, handelt es sich um Substantive, Adjektive, Adverbien oder Verben, die eher eine Betonung fordern als Pronomina, Konjunktionen, Präpositionen und Negationspartikel. Diese Regel findet keine Anwendung, wenn dadurch drei Silben in Folge als betont analysiert würden. Neuerdings wird diese Regel in Metrik2.0 nicht angewendet, wenn bereits insgesamt drei Hebungen vorhanden sind.

Als betont werden sie an dieser Stelle dann gespeichert, wenn sie einen Vokal mit Naturlänge enthalten. Beispiel:

2   2    2   1  0 1  0    1 (Analysestand vor 2C)
2   1    2   1  0 1  0    1 (Analysestand nach 2C)
daz muoz der sêle werden sûr (Pz. 1,2)

Ein Versuch, diese Regel auszuweiten und sie auch dann anzuwenden, wenn Positionslänge vorliegt, hat zu schlechteren Ergebnissen geführt.


2D Einsilbige Funktionswörter sind unbetont, wenn eine betonte Silbe folgt

Wörter aus der Liste für eher unbetonte Silben sind unbetont, wenn die Folgesilbe bereits als betont eingestuft ist.

2   1 0 2     1  0  1    (Analysestand vor 2D)
0   1 0 2     1  0  1    (Analysestand nach 2D)
als agelstern varwe tuot. (Pz. 1, 6)


2E Einsilbige Wörter mit zwei Konsonanten am Wortende können betont werden

Hier werden alle einsilbigen Wörter daraufhin untersucht, ob sie mit zwei Konsonanten oder mit h enden. Wenn das der Fall ist, und wenn diesem Wort ein Wort aus der Liste für eher unbetonte Silben folgt, dann wird es betont, wenn die Silbe davor und die Silbe danach noch nicht als betont analysiert worden sind. Beispiel:

0  1   0     2    2   2    0  1    (Analysestand vor 2E)
0  1   0     1    2   2    0  1    (Analysestand nach 2E)
si phlegents noch als mans dô phlac, (Pz. 4,27)

Diese Regel wird bei der ersten Silbe nicht angewendet; neuerdings in Metrik2.0 auch nicht bei den beiden letzten Silben im Vers, da hier die Alternierung zum letzten einsilbigen Wort bzw. zum letzten analysierten Wort offenbar wichtiger ist.




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2F Versfüllung: Beschwerte Hebung bei Natur- oder Positionslänge bei zweisilbigen Wörtern

Neu in Metrik2.0. Wenn noch keine vier Hebungen gefunden sind, wird die erste Silbe von zweisilbigen Wörtern daraufhin geprüft, ob Natur- oder Positionslänge gegeben ist. Diese Silbe wird zur beschwerten Hebung und die zweite Silbe des Wortes wird betont, wenn nach diesem Wort nicht bereits eine betonte Silbe folgt. Zudem darf nicht nach diesem Wort die Folge "unentschieden-unbetont" stehen. Weiterhin wird diese Regel nicht bei den beiden letzten Silben am Versende durchgeführt, und wenn die erste Silbe des Wortes zuvor bereits betont war (nicht bei Vorsilbe).

2   0   1  0   0 1  1 vor 2F
2   0   1  1   0 1  1 nach 2F
der mit stæten gedanken (Pz. 1,14)


2Fa Versfüllung: Beschwerte Hebung bei Natur- oder Positionslänge bei dreisilbigen Wörtern mit Vorsilbe

Neu in Metrik2.0; basiert auf 2F, jedoch mit dreisilbigem Wort mit Vorsilbe. Wenn noch keine vier Hebungen gefunden sind, werden dreisilbige Wörter daraufhin geprüft, ob auf der zweiten Silbe, wenn diese betont ist, Natur- oder Positionslänge gegeben ist. Die zweite Silbe wird zur beschwerten Hebung und die dritte Silbe des Wortes wird betont, wenn nach diesem Wort nicht bereits eine betonte Silbe folgt. Zudem darf nicht nach diesem Wort die Folge "unentschieden-unbetont" oder "unentschieden-unentschieden" stehen. Weiterhin wird diese Regel nicht bei den drei letzten Silben am Versende durchgeführt.

0   1 2    0    1  0   1 nach 2D
0   1 1    0    1  0   1 nach 2Fa
entwâpent mit swarzer hant (44,18)


2Fa2 Versfüllung: Beschwerte Hebung bei Natur- oder Positionslänge bei dreisilbigen Wörtern ohne Vorsilbe

Neu in Metrik2.0; basiert auf 2Fa, jedoch ohne Vorsilbe. Wenn noch keine vier Hebungen gefunden sind, werden dreisilbige Wörter daraufhin geprüft, ob auf der ersten Silbe, wenn diese betont ist, Natur- oder Positionslänge gegeben ist. Die erste Silbe wird zur beschwerten Hebung und die zweite Silbe des Wortes wird betont, wenn die dritte Silbe bislang nicht betont ist, und wenn nach diesem Wort nicht bereits eine betonte Silbe folgt. Weiterhin wird diese Regel nicht bei den beiden letzten Silben am Versende durchgeführt. Eine weitere Bedingung ist, dass in der dritten Silbe nur die Flexionsendungen e oder iu stehen dürfen (diese Bedingung verhindert, dass etwa bei ritterschaft oder werdekeit fälschlich eine Betonung auf der zweiten Silbe eingetragen wird). Der Analysezustand nach diesem Wort ist hier nicht relevant, da die dritte Silbe i.d.R. noch undefiniert ist und später alternierend an den Versrest angepasst werden kann.

0  1  0   1   0 2   1 nach 2D
0  1  0   1   1 2   1 nach 2Fa2
er küene, træclîche wîs, (4,18)




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3. Analyse nach dem Alternierungsprinzip

3A1 Bei zwei einsilbigen Wörtern am Versende Pänultima alternierend zur Ultima

Neu in Metrik 2.0. Bei zwei einsilbigen Wörtern am Versende ist die Ultima bereits als betont markiert; die Pänultima wird nicht betont, wenn die drittletzte Silbe noch undefiniert ist.

0   1   1  0   1  0    2   2   1 nach 2F
0   1   1  0   1  0    2   0   1 nach 3A1
mir diende ein ritter, der was wert. (26,10)


3A2 Rückwärts durchalternieren

Neu in Metrik 2.0. Wenn Pänultima und Ultima bereits analysiert sind, wird ab der drittletzten Silbe in Richtung Versbeginn regelmäßig alterniert.

Mit dieser Regel kann untersucht werden, inwieweit die Regeln, die die Wortart berücksichtigen wie 2A, 2C, 2D und 2E wertvoller sind als eine regelmäßige Alternierung. Tests haben ergeben, dass diese Regel nicht sinnvoll vor 2F platziert werden kann. Entstehen durch 3A2 mehr als vier Hebungen, wird die Anwendung dieser Regel rückgängig gemacht. Diese Regel steht späteren Prozeduren im Weg, die die Kadenz ggf. so anpassen, dass eine klingende Kadenz entsteht; 1I ist hier jedoch bereits absolviert.

Ein Vergleich der Analyse von Pz. 1,1–5,1 ergibt – neben einigen Unterschieden, bei denen nicht zwingend ein Ergebnis dem anderen vorzuziehen ist, folgende Abweichungen: Ohne die Regeln 2A, 2C, 2D, 2E werden zwei Fehler vermieden (1,29 sprich ich gein den vorhten och, 2,14 an dem hât witze wol getân). Besser ohne 2A, C, D, E sind 1,12, und wirt och nâch der vinster var, 1,18 wand ez kan vor in wenken); mit 2A, C, D, E sind diese Verse jedoch auch noch akzeptabel. Häufiger sind jedoch Fälle, in denen mit 2A, C, D, E Fehler vermieden werden (2,4 unt daz tou von der sunnen, 3,8 wie stæte ist ein dünnez îs, 3,13 die lob ich als ich solde, 3,22 noch ir herzen dach, daz man siht, 4,13 diu sich gein herte nie gebouc, 4,23 den ich hie zuo hân erkorn). 3A2 zeigt also die Leistungsfähigkeit der wortartbezogenen Regeln in der Regelgruppe 2.




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3A3 Nicht analysierte Silbe nach zwei unbetonten Silben wird betont (0-0-2 -> 0-0-1)

Folgt eine noch nicht analysierte Silbe auf zwei unbetonte Silben, dann wird die noch nicht analysierte Silbe als betont eingestuft. Diese Regel wird wiederholt, solange das Muster 0-0-2 noch ein weiteres Mal vorhanden ist.


3B Nicht analysierte Silbe zwischen zwei unbetonten Silben wird betont (0-2-0 -> 0-1-0)


3C Nicht analysierte Silbe zwischen zwei betonten Silben wird unbetont (1-2-1 -> 1-0-1)


3D Drei noch nicht analysierte einsilbige Wörter in Folge

Stehen drei noch nicht analysierte einsilbige Wörter hintereinander, dann wird geprüft, ob das erste oder zweite von beiden in der Wortliste für eher unbetonte Silben  enthalten ist (Dimpel 2004: 63). Ist das der Fall, so wird dieses Wort als unbetont gewertet. Die übrigen werden als noch nicht entschieden beibehalten. Das ist notwendig, weil hier geprüft wird, ob der Kette der noch nicht entschiedenen einsilbigen Wörter eine betonte Silbe folgt. Anschließend werden die in 3A-3C beschriebenen Musteroperationen wiederholt. In Metrik2.0 wird 3D jedoch nicht angewendet, wenn vor der Dreierkette der nicht-analysierten Silben ein unbetonter Vers steht. 3D wird, falls möglich, bis zu dreimal hintereinander ausgeführt.


3E Noch nicht analysierte Silben am Zeilenende

Stehen am Zeilenende eine oder mehrere noch nicht analysierte Silben, dann wird nach der letzten bereits analysierten Silbe zum Versende hin durchalterniert. Beispiel:

1-2-2-2 -> 1-0-1-0,       1-2-2 -> 1-0-1,      1-2 -> 1-0
0-2-2-2 -> 0-1-0-1,       0-2-2 -> 0-1-0,      0-2 -> 0-1

Die unter 3A-3C beschriebenen Operationen werden an dieser Stelle wiederholt.




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3F Noch nicht analysierte Silben am Zeilenanfang

Stehen am Zeilenanfang eine oder mehrere noch nicht analysierte Silben, dann wird von der ersten analysierten Silbe zum Versbeginn hin durchalterniert. Beispiel:

2-2-2-1 -> 0-1-0-1,    2-2-1 -> 1-0-1,    2-1 -> 0-1
2-2-2-0 -> 1-0-1-0,    2-2-0 -> 0-1-0,    2-0 -> 1-0

Die unter 3A-3C beschriebenen Operationen werden hier wiederholt.


3G Noch nicht analysierte geschlossene Silben mit Langvokal sind ggf. betont

Noch nicht analysierte geschlossene Silben mit Langvokal sind betont, wenn noch nicht mehr als drei Hebungen gefunden wurden. Sodann werden 3A-3C nochmals wiederholt. Wenn durch die Regel 3G drei Hebungen in Folge entstehen würden, dann wird sie nicht angewendet. Beispiel:

 0  1 0  2   2  0   1  0  1 nach 3F
 0  1 0  2   1  0   1  0  1 nach 3G
"nu sage mir ûf die triwe dîn (21,9)


3H Noch nicht analysierte Silben in der Zeilenmitte

Hier werden – vom Versende beginnend – mehrere noch nicht analysierte Silben gesucht. Sodann wird geprüft, ob die Silben vor und nach der noch nicht analysierten Silbenkette betont oder unbetont sind. Falls möglich, wird die noch nicht analysierte Kette regelmäßig alternierend belegt. Beispiele:

1-2-2-0 -> 1-0-1-0                0-2-2-1 -> 0-1-0-1
1-2-2-2-1 -> 1-0-1-0-1            0-2-2-2-0 -> 0-1-0-1-0

Ist kein konsequenter Wechsel zwischen betont und unbetont möglich, so gelten am Beginn der noch nicht analysierten Kette zwei Silben als unbetont, danach folgt ein Wechsel zwischen Hebung und Senkung. Beispiele:

1-2-2-1 -> 1-0-0-1                0-2-2-0 -> 0-0-1-0
1-2-2-2-0 -> 1-0-0-1-0            0-2-2-2-1 -> 0-0-1-0-1

Die Musteroperationen in 3H werden solange wiederholt, bis alle Silben analysiert sind.




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3I Auftaktkorrektur: Beginn mit zwei Hebungen vermeiden

Wurden die ersten beiden Silben als betont analysiert und ist das erste Wort ein einsilbiges Wort, dann wird die erste als unbetont analysiert, falls mindestens drei Hebungen vorhanden sind. Seit in Metrik2.0 die Anpassung an klingende Kadenzen bereits zuvor stattfindet, wird 3I nur noch selten angewendet. Beispiel:

1   1 0   1 0   1  0   1 nach 3C
0   1 0   1 0   1  0   1 nach 3I
næm iemen mînes rehtes war. (94,10)


4. Korrekturmaßnahmen und Kadenzanalyse


4A Weniger als vier Betonungen und Vokal-Konsonant-Konsonant

Hat ErMaStat in der aktuellen Zeile weniger als vier Betonungen gefunden, so wird geprüft, welche Silbe sich am ehesten als vierte Betonung anbietet. Entstehen mehr als drei Hebungen in Folge, wird die Anwendung von 4A revidiert. Auch Silben vor oder nach zwei bereits als betont eingestuften Silben kommen für eine weitere Betonung nicht in Frage. In Metrik 2.0 wird nunmehr 4A rückgängig gemacht, wenn die einschlägigen Wörter zwei einsilbige Wörter am Versende sind.

Betont wird die vorderste Silbe in der Zeile, wenn sie mit mindestens zwei Konsonanten oder mit h endet, außer es handelt sich um das Wortende und der zweite Konsonant ist ein s, oder es handelt sich um einen Doppelkonsonanten. Falls die gefundene Silbe das erste Wort in der Zeile ist und falls es sich bei diesem Wort um ein einsilbiges Wort handelt, findet diese Regel ebenfalls keine Anwendung. Beispiel:

0  1    0   0  1 1 nach 3H
0  1    1   0  1 1 nach 4A
ir prîs und ir êre, (2,28)

Wird kein solches Silbenende gefunden, so wird nach einem Wort gesucht, in dem zwei Konsonanten unabhängig von der Silbengrenze hintereinander stehen. Dabei werden allerdings Wörter, die mit einer Vorsilbe beginnen, ausgeschlossen, da hier das Vorkommen von mehreren Konsonanten oft morphologisch bedingt ist und nicht am Wortstamm liegt; Vorsilben sind zudem unbetont, solange nicht ein Wort mit doppelter Vorsilbe beginnt. In Metrik2.0 wird hier noch der Fall ausgeschlossen, dass die Silbe vor dieser Silbe zwar betont, aber kurzvokalisch offen ist, damit nicht eine beschwerte Hebung auf einen kurzen Vokal fällt (la-chende).

0 1    0  1   0   1 nach 3H
1 1    0  1   0   1 nach 4A
anschouwe ist mîn lant: (6,27)




PhiN 73/2015: 15


4A0 Betonung einsilbiger Substantive, Adjektive, Adverbien und Verben

Neu in Metrik2.0. 4A0 basiert auf 2C; während in 2C nur Silben mit Naturlänge betont werden, werden hier auch Silben mit Positionslänge betont. Beispiel:

0   1    0  0   1   0  1 nach 3H
0   1    0  1   1   0  1 nach 4A0
der sanc si got und im sân. (36,8)


4A1 Unterfüllt, einsilbige Wörter und [0]1001001[0]: Musterkorrektur

Neu in Metrik2.0; nur selten zutreffend. Wenn weniger als 4 Hebungen vorhanden sind, wird geprüft, ob das Analysemuster [0]1010101[0] vorliegt. Falls weiterhin alle Wörter vor der letzten betonten Silbe einsilbige Wörter sind, wird regelmäßig mit vier Hebungen alterniert  ([0]1001001[0] > [0]1010101[0]).

0   1   0  0 1    0  0   1 nach 4A0
0   1   0  1 0    1  0   1 nach 4A1
der tôt in ê leit in daz grap. (494,21)


4A2 Unterfüllt, Muster mit Senkungsspaltungen: Beschwerte Hebung bei Natur- oder Positionslänge

Neu in Metrik2.0. Wenn weniger als 4 Hebungen vorhanden sind, wird geprüft, ob als Analysemuster 1001001, 1010010, 10011, 101001 oder 100101 vorliegt. Wenn die Silbe vor zwei aufeinander folgenden unbetonten Silben nicht kurzvokalisch offen ist, wird die erste Silbe der aufeinander folgenden unbetonten Silben betont; die Silbe zuvor wird zur beschwerten Hebung. Bei der zuvor unbetonten Silbe darf es sich nicht um eine Flexionsendung handeln.

0   1    0   0   1  0   1 nach 3H
0   1    1   0   1  0   1 nach 4A2
der wirt mit sîn selbes hant. (165,14)


4A3 Unterfüllt: Auftakt beschwert bei Natur-/Positionslänge

Neu in Metrik2.0. Wenn weniger als 4 Hebungen vorhanden sind, wird geprüft, ob als Analysemuster 01001001, 01010010, 010011, 01011, 0101010, 010101, 0101001 oder 0100101 vorliegt. Die erste Silbe wird zur beschwerten Hebung bei Natur-/Positionslänge.

0    1   0      1  1 nach 3F
1    1   0      1  1 nach 4A3
vier soumschrîn swære: (11,16)

Zusatzbedingung – deaktivierbar als Regel 4A3i>: Der Auftakt wird nur zur beschwerten Hebung, wenn es sich dabei nicht um einen Artikel handelt. (Defaulteinstellung: aktiv)

Zusatzbedingung – aktivierbar als Regel 4A3ii>: Der Auftakt wird nur zur beschwerten Hebung, wenn es sich dabei nicht um ein unbetontes Wort aus den einschlägigen Wortlisten handelt. (Defaulteinstellung: inaktiv)




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4Ba Bei 5 Hebungen: Beschwerte Hebung rückgängig machen

Neu in Metrik2.0. Wenn mehr als vier Hebungen vorhanden sind, wird eine Silbe, die in 2F, 2Fa oder 2Fa2 nach dem Auffinden einer beschwerten Hebung in der Vorsilbe zur Nebenhebung wurde, nun wieder unbetont.

0   1   0  1   1 0 1  0   1 nach 3F
0   1   0  1   0 0 1  0   1 nach 4Ba
daz die dâ huobe enterbet sint (5,19)


4B Fünf Hebungen: Doppelter Auftakt

Hier wird geprüft, ob in der aktuellen Zeile fünf Silben als betont eingestuft worden sind. Ist das der Fall, und steht am Zeilenbeginn die Folge betont-unbetont-betont, dann wird von einem doppelten Auftakt ausgegangen und die erste Silbe als unbetont neu eingestuft (1-0-1 -> 0-0-1).


4C Kadenzanalyse und Anpassung klingende Kadenzen

Die Kadenzanalyse wurde in Metrik2.0 vollständig erneuert.


4Ca Gespalten-männliche Kadenz

Endet der Vers mit der Folge betont-unbetont, und ist die Pänultima kurzvokalisch offen, so ist die Kadenz männlich-gespalten.

     0 1    0   1  0    1    0  1 0  
GMm  daran  si  nimmer  des  verzagent (Pz. 2,9)


4Cb Letzte unbetonte Silbe in Nebenhebung umdeuten (klingend)

Endet der Vers mit der Folge betont-unbetont, und ist die Pänultima nicht kurzvokalisch offen, wird noch geprüft, ob weniger als vier Hebungen vorhanden sind. Falls ja, wird die letzte unbetonte Silbe als Nebenhebung eingestuft; die Kadenz ist klingend. Dabei gilt die Ausnahmebedingung, dass drei Hebungen in Folge vermieden werden sollen. Da bereits mehrfach Regeln durchlaufen wurden, die ggf. klingende Kadenzen herstellen, kommt 4Cb nur sehr selten zur Anwendung. Beispiel:

0  1   0  1 0   1   0 nach 3C
0  1   0  1 0   1   1 nach 4Cb
si dancte gâwân drumbe, (630,17)




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4Cc    Stumpfe Kadenz

Ist der vierte Takt leer und steht im dritten Takt nur eine Hebung (z. B. 1-0 | 1-0 | 1- oder 1-0 | 1- | 1-0), dann ist diese Kadenz >stumpf<.

     1    0    1  0  1    
sm   was  der  selbe stein (Wig. 842)


4Cd Dreisilbig Klingend

Steht im vierten Takt genau eine betonte Silbe, und handelt es sich beim letzten Wort des Verses um ein dreisilbiges Wort, dann ist diese Kadenz dreisilbig klingend. Beispiel:

0    1 0   1  0   1 0 1  
sîns vater ganzen erbeteil. (Pz. 5,5)


4Ce Volle Kadenz

Ist die Kadenz bislang nicht als klingend eingestuft, so ist sie voll, wenn vier Hebungen vorhanden sind. Das gilt auch für Fälle, in denen das letzte Wort ein zweisilbiges Wort mit Vorsilbe ist.

     0   1    0    1  0   1    0 1  
vm   an  dem  hât  witze  wol  getân  (Pz. 2,14)


4Cf Klingend bei zwei Hebungen am Versende

Wenn zwei Hebungen am Versende stehen, ist die Kadenz klingend.


4D Unterfüllt: Kein doppelter Auftakt

Wenn noch keine vierte Hebung in der aktuellen Zeile gefunden wurde und wenn die Analyse dieser Zeile mit einem doppelten Auftakt beginnt, wird die erste Silbe zur betonten Silbe. Beispiel:

     1    0    1   0    1  0    1  
vm   daz  was  in  ein  lieber  tac (7,14)

Die Kadenzanalyse wird von >stumpf< auf >voll< revidiert.




PhiN 73/2015: 18


4E Unterfüllt: Beschwerte Hebung bei langen Vokalen

Folgt auf jede betonte Silbe mindestens eine unbetonte, und wurde noch immer keine vierte Hebung entdeckt, dann wird die erste von zwei unbetonten Silben in Folge vom Versanfang beginnend zu einer betonten Silbe, wenn sie entweder auf zwei Konsonanten endet oder wenn sie einen langen Vokal enthält und konsonantisch endet. Die Kadenzanalyse wird korrigiert. Beispiele:

11      0   1     0 1   0  
ithêrn  du  hâst  erslagen (Pz. 499,21)


4Ea Stumpf und dreisilbiges letztes Wort

Wenn eine stumpfe Kadenz festgestellt wurde, und wenn das letzte Wort ein dreisilbiges Wort ist, dann werden die beiden letzten Silben als betont eingestuft. Weiterhin muss die Silbe, nach der eine zweite Hebung in Folge steht, Positions- oder Naturlänge aufweisen. Die Kadenz wird korrigiert – sie ist nunmehr klingend.

       0    1   0   1   1  1 
3kwk   der  starke  tjostiure     mit 4Ea (Pz. 38,19)
       0    1   0   1   0  1 
sm     der  starke  tjostiure     ohne 4Ea

Auch wenn angestrebt wird, drei Hebungen in Folge zu vermeiden, scheint es in diesem Fall weniger fehlerträchtig zu sein, eine Ausnahme zuzulassen. Heusler lässt desöfteren drei Hebungen in Folge zu – selbst in der Versfüllung (Heusler 1927: 122).


4Fa Bei 5 Hebungen: Beschwerte Hebung rückgängig machen

Diese Regel ist identisch mit 4Ba, sie wird hier erneut angewendet. Nach der Weiterentwicklung der Regeln kommt es an dieser Stelle nur selten dazu, dass diese Regel Anwendung findet. Beispiel:

1 0   0 1  0   1   0   1    0   1 nach 4Fa
0 0   0 1  0   1   0   1    0   1 nach 4F
sînen gesellen was der walt wol kunt. (Pz. 799,15)




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4Fb Fünfhebiger Vers mit beschwerter Hebung am Ende wird zu weiblich-vollem Vers

Neu in Metrik2.0. Wenn ein fünfhebiger Vers mit zwei betonten Silben endet, der bislang als klingend eingestuft wurde, und wenn weiterhin kein einsilbiges Wort auf der Ultima steht, wird die letzte Silbe als unbetont notiert und die Kadenz auf weiblich-voll korrigiert. Mit dieser Regel wird in einigen Fällen vermieden, dass in Regel 4F ein dreifacher Auftakt angesetzt wird.

mit 4Fb
     0    0    1  0   1     0    1  0   1   0 
vw   daz  man  werde  rîtr  und  werde  frouwen
ohne 4Fb (Pz. 309,27)
     0    0    0  0   1     0    1  0   1   1  
kwk  daz  man  werde  rîtr  und  werde  frouwen


4F Auftaktkorrektur bei Fünfhebigkeit

Sind fünf Silben als betont eingestuft worden, dann wird geprüft, ob eine der drei ersten Silben der Zeile als betont analysiert worden ist. Ist das der Fall, dann wird diese Silbe als unbetont neu eingestuft. Falls unter den ersten drei Silben zwei betonte Silben sind, dann wird die erste betonte Silbe zur unbetonten Silbe.

Dadurch kann unter Umständen ein drei- oder auch vierfacher leichter Auftakt entstehen, was immer noch weniger problematisch ist als ein fünfhebiger Vers. Beispiele:

     0 0   0 1      0   1  0    1  0    1   
vm   sone  gewuohs  an  ritter  milter  hant (Pz. 26,17)

Wenn allerdings im Auftakt ein zweisilbiges Wort steht und wenn die vierte Silbe betont ist, wenn jedoch die vierte Silbe nicht die Wurzelsilbe eines mehrsilbigen Wortes ist, dann wird entweder ggf. eine Wurzelsilbe auf der dritten Silbe betont, oder, wenn die fünfte Silbe betont ist, wird auch ggf. eine Wurzelsilbe auf der zweiten Silbe betont. Beispiel:

       0    1   0   0     1  0 1     0 1 
4 vm   diu  frouwe  eins  kindelîns  gelac  (Pz. 112,6)




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IV Auszug aus der Fehlersammlung

Auch Metrik2.0 ist noch weit davon entfernt, fehlerfreie Analysen zu liefern. Zudem kann oft nicht eine optimale Analyse erreicht werden, jedoch ein akzeptable Analyse, die nicht offensichtlich fehlerhaft ist.7 Einige typische Fehler seien im Folgenden zusammengestellt:


Fehler durch Silbentrennung

So zuverlässig die Regel der konsonantischen Stärke auch bei Simplizia funktioniert, so problematisch ist sie bei Komposita und in einigen Fällen bei Flexionssuffixen sowie, selten, bei Präfixen:

      1  -  1 -  0  -  0   -  1 -  0 -  1  
3k-wk ein - de - cla - chen - zo - be - lîn (44,20)

Wäre hier korrekt eine Trennung dec.lachen erfolgt, könnte dec aufgrund der Positionslänge zur beschwerten Hebung werden. Ebenso bei krach.ten im folgenden Beispiel:

      1  -  0 -  1  -  0    -  0  -  1 
s-m   daz - im - kra - chten - diu - lit (35,24)

Hier könnte eine Erweiterung der Erkennung von Flexionsendungen hilfreich sein. Fehler durch Silbentrennung sind innerhalb der falsch analysierten Verse relativ häufig – ebenso wie die Fehler bei Eigennamen.


Fehler bei Eigennamen

Beispiele:

1  -  0 -  1  -  0  -  1
fil - li - roy - gan - dîn (Pz. 40,13)
Besser: gan ebenfalls betonen
0 -  1   -  1  -  0  -  1  
wâ - leis - und - nor - gâls (Pz. 128,7)
1  - 1    - 0   - 1   - 1 (besser)

Verse mit Eigennamen stellen noch immer die größte Fehlerquelle dar. Zwar haben Wortlisten, die ggf. eine Zweitbetonung erlauben, bereits 2004 eine gewisse Verbesserung gebracht; oft genug sind jedoch sowohl die erste als auch weitere Silben betont; zudem variieren die Texte die metrische Form der Eigennamen, so dass auch der Erfolg von Wortlisten limitiert bleibt. Nach Paul / Glier versieht Wolfram die Namen von neu eingeführten Figuren mit so vielen Hebungen, "daß möglichst jede Silbe betont ist; […] Wenn der Hörer mit ihnen genügend bekannt ist, paßt er sie dem regelmäßigen Wechsel von Hebung und Senkungen an" (Paul / Glier 1989: 61). Eine derart variable, autorabhängige Metrisierung im Text ist kaum formalisierbar. Teilweise wird diese Problematik bei dreisilbigen Eigennamen in Endstellung durch Regel 4Ea aufgefangen, nicht jedoch in der Versfüllung.




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Weitere Fehler:

      1  -  0  -  1   -  1  -  0  -  0 -  1  
v-m   zei - nen - pfin - ges - ten - ge – leit (Iw. 33)

Aufgrund der Positionslänge der ersten Silbe wird irrtümlich ges betont. Bei Lehnwörtern (hier zu griech. "pentēkostḗ") und Fremdwörtern stellt sich die gleiche Problematik wie bei Eigennamen.


Semantik

Eine Erkennung von semantisch relevanten Silben ist derzeit nicht implementiert. Häufig sind zwar Nomina relevanter als Pronomina, allerdings kontextbedingt nicht überall. Stattdessen führen die Analyseregeln oft zu einer alternierenden Analyse:

      1  -  0  -  1  -  0  -  1  -  0  -  1
v-m   bei - diu - sîn - nam - und - sîn - lant (Wig. 169)

Hier wäre eher nam als sîn zu betonen; im folgenden Beispiel eher vart statt die:

      0 -  1  -  0   -  1   -  0  -  1  -  1
k-wk  ûf - die - vart - niht - ver - smâ - hen (Pz. 11,13)

Im folgenden Beispiel wären die beschwerte Hebung und das diphthongische deiz weniger wichtig als das Pronomen si:

      0    1     1    0    1      0      0    1 
v-m   ez - müe - te - si - deiz - niht - be – leip (29,11)


Fehler in stumpfen Versen

Die Analyseregeln stufen manche Verse als stumpf ein, bei denen sich durchaus noch eine vierte Hebung finden ließe. Auch hier wäre mitunter die Wortsemantik wichtiger als das Alternierungsprinzip (hier besser mit Betonung auf daz und phärt statt sîn):

      0  -  1  -  0    -  1  -  0 -  1   
s-m   daz - sîn - phärt - was - sô - kranc (540,5)

Problematisch bleiben Verse wie

      0  -  1  -  0  -  1 -  0   -  1
s-m   daz - was - ein - vi - schæ - re
      0  -  1 -  0  -  1  -  0 -  1 -  1
k-wk  und - al - ler - güe - te - læ - re (Pz. 142,17f.)
      0 -  1    -  0  -  1   -  0 -  1 -  1
k-wk  dô - greif - der - knap - pe - mæ - re
oder auch – hier dreisilbig-klingend:
      1  -  1 -  0 -  1 -  0  -  1
3k-wk zuo - sî - me - ko - chæ - re (Pz. 139,9f.)




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Intuitiv ist die Kadenzanalyse bei kochære und bei vischære zwar befremdlich, zumal die zweite Kadenz im Reimpaar eine andere Kadenzform aufweist. Da aufgrund der verwendeten Silbentrennungsroutine bei der drittletzten Silbe keine Natur- oder Positionslänge vorliegt, ist es jedoch systemkonform, dass die drittletzte Silbe nicht zur beschwerten Hebung werden kann. Ob ein Vers eines Reimpaares den Kadenztyp des anderen Verses im gleichen Reimpaar determiniert, ist umstritten: "Das Bemühen, nur gleiche Kadenzen gepaart zu sehen, hat zu textkritischer und prosodischer Willkür geführt" (Heusler 1927: 122).


Fehlerquote

Bei der Analyseprobe, die meiner Dissertation als Anhang beigegeben war, ist die Fehlerquote von 3% auf 0,5% falsch erkannter Hebungen gesunken (Fehler bei Iwein 33 und Wigalois 169). Da denkbar ist, dass bei der Weiterentwicklung – wenn auch nicht intentional – Optimierungen so vorgenommen wurden, dass sie die Analysierbarkeit der damaligen Probe begünstigen, habe ich eine B-Probe genommen: Jeweils die Verse 1000–1024 aus 'Partonopier', 'Erec', 'Herzog Ernst B' sowie die laufende Zeile 'Parzival' 1000–1024 (= Pz. 34,10–35,4). Hier liegt die Fehlerquote bei 1,25% (Fehler bei 'Partonopier' 1007, 'Parzival' 34,11, 34,17, 34,24, 'Herzog Ernst B' 1018 (hier 2 Hebungen).
In Passagen, die zahlreiche Eigennamen oder Fremdwörter enthalten, ist mit einer deutlich höheren Fehlerquote zu rechnen. Bei Werken, auf die die Wortlisten noch nicht abgestimmt sind, hängt die Fehlerquote auch davon ab, inwieweit die Wortlisten noch zu ergänzen wären.


V Anwendung: weibliche Kadenz oder dreifacher Auftakt?

Zu klären ist, ob man in größerem Umfang Verse so analysieren sollte, dass weibliche Kadenzen entstehen, oder ob man generell nicht mit weiblichen Kadenzen kalkulieren sollte. Paul / Glier konstatieren: "Ob man für den epischen Viertakter in manchen Fällen auch mit weiblich voller Kadenz rechnen kann, hängt meist von der Wertung des Auftaktes ab" (Paul / Glier 1989: 65). Paul / Glier nennen als Beispiel Pz. 242,1f.; Verse, die man sowohl mit Auftakt und klingender Kadenz oder auftaktlos und mit weiblicher Kadenz analysieren kann.8

Im vorliegenden System kann die Regel 4Fb fünfhebige Vers mit beschwerter Hebung am Versende als weiblich-volle Verse erkennen, die ansonsten im Weiteren als klingend mit dreifachem Auftakt analysiert würden. Wenn 4Fb nicht aktiviert wird, werden nur neun Verse von insgesamt 24812 'Parzival'-Versen als weiblich erkannt, die allesamt problematisches Silbenmaterial enthalten, und die besser als klingend eingestuft würden. Bei aktiver Regel 4Fb werden 139 Verse weiblich. Davon sind neun Verse in den berüchtigten Namenslisten in 770–772 enthalten, in denen Wolfram das Versmaß bekanntlich weit freier handhabt als sonst.




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Zu fragen wäre, ob es generell sinnvoll ist, bei Wolfram einen dreifachen Auftakt eher zu vermeiden, oder ob ein dreifacher Auftakt ohnehin ein übliches Versmaß darstellt. Dreifacher Auftakt kommt auch bei männlich-vollen Versen vor: Im 'Parzival' in 135 Fällen, davon fallen allein 30 Belege in die Namenslisten in 770–772. Bei aktiver Regel 4Fb treten keine klingenden Verse mit dreifachem Auftakt auf. Bereinigt stehen 105 männliche Verse mit dreifachem Auftakt 121 weiblichen Versen gegenüber, bei denen mit 4Fb keine dreifache Kadenz angesetzt wird. Anzumerken ist allerdings, dass bei solchen überlangen Versen eine größere Fehleranfälligkeit vorliegt als bei durchschnittlich langen Versen; dies gilt wiederum sowohl bei diesen männlichen als auch bei diesen weiblichen Versen. Zwar sind Verse mit dreifachem Auftakt im 'Parzival' relativ selten. Da sie jedoch dennoch in nicht ganz unbedeutendem Maß auftreten, wäre aus diesen Zahlen noch nicht das Argument abzuleiten, dass ein dreifacher Auftakt bei ansonsten potentiell weiblichen Versen prinzipiell vermieden werden sollte; aus statistischer Sicht müsste also 4Fb nicht zwingend aktiviert bleiben.

Interessant ist allerdings die Sichtung des Sprachmaterials im Auftakt. Hier zunächst bei dreifachem Auftakt in männlichen Versen (ohne manuelle Fehlerkorrektur, Silben in runden Klammer fallen auf die erste Hebung):

ze baldac, ze arâbî(e), daz sage, sîn lîp was, sone ge(wuohs), al schemen(de), sine ge(sæhn), sone ge(tar), bi einer, si ist [ein], die sagten, sô sage mir, [frou] herze(loyde), diu süeze, ine ge(sach), [und] iwern, er zersluoc den, ine ge(sach), erbeschaft , ine (gesach), daz ors was, im müede, sine ge(sæhen), ich wil iu, wan swelch mîn, dan gein dem, dô sleich si, der rehôrte, ê daz ich, was komen, dane wart, diu sene(we), man welle, wir sulen.9

Hier der Inhalt von weiblichen Versen bei aktiver Regel 4Fb vor der zweiten Hebung – das Sprachmaterial, das ohne 4Fb in den Auftakt fallen würde:

daz se ir, nu horet, sîniu werc, alexan(drîe), sie hiez, den nennet, die ritter, [frou] herze(loyde), unde in, [und] iwer, ê si den, si vrâgte, und iwer, er sprach got, unfuoge, maneger bete, von artû(se), unde in, unfuoger, wan dâ ich, iwer sol(dier), ir eben(hohe), zweinzec sir, mit zwein, gein nîgen, ûf zwein, swer aber, von disen, in dînen, des sî pfant mîn, aber ze, gein lâlant, [und] dise, deiz sîner, nu horet, diu küne(gîn).10

Bei den männlichen Versen wird häufig im Auftakt auf eine Wahrnehmung oder auf eine Fortbewegung im Vorfeld der eigentlichen Proposition fokussiert. Dagegen würden bei sonst weiblichen Versen semantisch gewichtigere Wörter entfallen, hier sind Nomina und Figurennamen häufiger. Diese Unterschiede sprechen dafür, ein solches semantisch gewichtigeres Sprachmaterial nicht betonungsfrei in den Auftakt zu verbannen, sondern eher weibliche Kadenzen anzusetzen.




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Besonders unökonomisch wäre es, eine klingende Kadenz bei 'Parzival' 389,2 anzusetzen:

k-wk  0  -  0  -  0   -  0 -  0  -  1 -  0  -  1   -  0 -  1  -  1
v-wv  0  -  0  -  1   -  0 -  0  -  1 -  0  -  1   -  0 -  1  -  0
k-wk  wan - sîn - pflæ - ge - ein - kü - nec - hiez - an - for - tas

Kadenzverteilung:

Erec

Iwein

Parzival

Tristan

Lanzelet

Wigalois

Partonopier

Männlich

60,1%

66,5%

66,3%

60,2%

58,5%

70,0%

61,3%

Männlich stumpf

1,0%

0,7%

0,7%

0,4%

0,8%

0,6%

0,7%

Weiblich voll

1,1%

0,4%

0,6%

0,9%

0,8%

0,5%

0,3%

Weiblich klingend

37,8%

32,3%

32,5%

38,5%

39,8%

29,0%

37,7%

Erec

Iwein

Parzival

Tristan

Lanzelet

Wigalois

Partonopier

Voll (m/w)

48,7%

53,0%

60,0%

49,2%

44,6%

59,2%

50,5%

Gespalten männlich

10,3%

12,6%

7,0%

11,8%

14,0%

11,0%

11,7%

Stumpf (m/w)

3,1%

2,1%

0,5%

0,5%

1,5%

0,8%

0,1%

Zweisilbig klingend

32,2%

28,7%

25,7%

31,9%

33,6%

23,6%

30,5%

Dreisilbig klingend

5,7%

3,6%

6,8%

6,6%

6,2%

5,4%

7,2%

Die These vom Rückgang der weiblichen Kadenz, wie sie etwa Heusler beschreibt (Heusler 1927: 126–133; vgl. auch Beyschlag 1969: 58), wird von diesem Zahlenmaterial nicht durchgehend gestützt; im Fall von Konrads 'Partonopier' ist der Rückgang jedoch gravierend. Hier liegen auch am wenigsten stumpfe Verse vor.




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VI Ausblick: Metrik 3.0

Der Fassung 2.0 sei gewünscht, dass mittelfristig eine Fassung 3 folgen kann. Wünschenswert wäre es, die Reihenfolge der Regeln auch online verändern zu können; zudem soll eine Reintegration in ErMaStat erfolgen. Der Blick in die Fehlersammlung zeigt, dass noch Raum für weitere Optimierung ist. Hilfreich wäre eine Wörterbuch-Lookup-Routine, um die Silbentrennung zu verbessern – gerade bei Komposita eine prominente Fehlerquelle. Eventuell könnte durch ein Vollformenlexikon, das auf der Basis von Wörterbucheinträgen gebildet werden könnte, eine präzisere Zuordnung der Wortform zu Wortart und Lemma möglich werden, so dass etwa auch die Listen zu vorsilbengleichen Wortformen hierdurch ersetzt werden könnten. Allerdings wird auch hier nur um ein Approximieren an eine richtige Lösung gehen können. Gerade die Relevanz der Semantik wird mittelfristig eine zentrale Hürde für eine maschinelle Analyse bleiben.


Bibliographie

Beyschlag, Siegfried (1969): Alte Verskunst in Grundzügen. 6., neu bearb. Aufl. der "Metrik der mhd. Blütezeit in Grundzügen", Nürnberg: Carl.

Bobenhausen, Klemens / Gehl, Günter (2007): "Automatisches metrisches Markup deutschsprachiger Gedichte", in: Jahrbuch für Computerphilologie  9, 63–88.

Dimpel, Friedrich Michael (2004): Computergestützte textstatistische Untersuchungen an mittelhochdeutschen Texten, Tübingen: Francke.

Heusler, Andreas (1927): Deutsche Versgeschichte. Mit Einschluß des altenglischen und altnordischen Stabreimverses, Bd. 2/III: Der altdeutsche Vers (= Grundriß der Germanischen Philologie 8/2), Berlin/Leipzig: De Gruyter.

Krämer, Peter (1990): "Metrik", in: Ebenbauer, Alfred / Krämer, Peter (Hg.): Ältere deutsche Literatur. Eine Einführung. 2. korr. u. bibliograph. erg. Aufl., Wien: Literas, 141–165.

Paul, Otto / Glier, Ingeborg (1989): Deutsche Metrik, Ismaning: Hueber.

Scholz, Manfred Günter (2009): "Die Kadenz – eine metrische quantité négligeable?", in: Ackermann, Christiane / Barton, Ulrich (Hg.): Texte zum Sprechen bringen. Philologie und Interpretation. Festschrift für Paul Sappler, Tübingen: Niemeyer, 1–17.

Vennemann, Theo (1986): Neuere Entwicklungen in der Phonologie, Berlin / New York: De Gruyter.

Vennemann, Theo (1982): "Zur Silbenstruktur der deutschen Standardsprache", in: Ders. (Hg.): Silben, Segmente, Akzente. Referate zur Wort-, Satz- und Versphonologie anläßlich der vierten Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Sprachwissenschaft, Köln, 2.-4. März 1982, Tübingen: Niemeyer, 261–305.




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Anmerkungen

1 Nebenton wird nur nach beschwerter Hebung angenommen. Im Analyseergebnis wird nur betont/unbetont unterschieden.

2 Beispiele bei Andreas Heusler (Heusler 1927: 123f). Heusler (ebenda: 131f.) hält weiblich-volle Kadenzen auch bei Gottfried für möglich: "So wie für uns die Voraussetzungen liegen, können wir uns nicht dagegen sträuben, das Nachleben dieser einst beliebten Kadenz noch in der ritterlichen Sprechdichtung anzuerkennen, und wär es auch nur in geringen Bruchzahlen". Er weist jedoch bereits auf die Option hin, die Gottfried-Beispiele (ebenda) als klingend mit Auftakt aufzufassen. Peter Krämer (Krämer 1990) rechnet um 1200 kaum mit weiblichen Kadenzen. Einen Überblick und Überlegungen zu Walther von der Vogelweide gibt Manfred Günter Scholz (Scholz 2009).

3 Selten verschiebt sich hierdurch jedoch nach der zu elidierenden Wortfolge die übrige Analyse; in Pz. 2,5 ouch erkante ich nie sô wîsen man wird ohne Berücksichtigung von Elisionen ich statt nie betont.

4 Soweit im Weiteren ErMaStat-Regeln, die in Metrik2.0 weiterhin ihren Dienst verrichten, vorgestellt werden, greife ich zum Teil in ganzen Passagen wörtlich auf Formulierungen aus der Dokumentation in meiner Dissertation zurück; mitunter gebe ich hier eine gekürzte Fassung wieder. Neue Beispiele sind notwendig geworden, weil durch die Weiterentwicklung der Regeln die bisherigen Beispielverse häufig bereits an einer früheren Stelle im Regelsystem eine modifizierte Teilanalyse erfahren haben, so dass nunmehr meist ein anderer Analysezustand bei den bisherigen Beispielversen gegeben ist.

5 In dieser Liste (Datei "lflekend.txt") sind die Endungen de e em en end ende ent er es et ete ez iu m n r te s z enthalten. Umlaut oder Ablaut berücksichtigt dieser rudimentäre Flexionsabgleich nicht (vgl. Dimpel 2004: 44–46).

6 Abkürzungen in der Kadenzanalyse: "m" männlich; "ms" männlich stumpf; "wv" weiblich voll; "v" voll, "s" stumpf; "k" klingend; "3k" dreisilbig klingend; "GM" gespalten männlich.

7 Bspw.: 1  -  0  -  1 -  0  -  1  -  0 -  1   
v-m     des - nam - wî - ten - ist - er - kant   (Wigalois 147)

Aus semantischen Gründen sollte nam eine beschwerte Hebung erhalten; dafür Auftakt.

      0   -  0 -  1-  0  -  1  -  1 -  0 -  1 -  0  
GM-m  swaz - er - ê - ren - möh - te - be - ja - gen    (Wigalois 167)

Besser ohne Auftakt und ohne beschwerte Hebung.

      0  -  1-  0 -  1   -  0  -  0 -  1  -  0 -  0 -  1  
v-m   daz - i - me - ouch - sît - ze - lei - de - er - gie (Tristan 265)

Aus semantischen Gründen besser sît betonen – entweder anstelle von ouch oder bei dreifachem Auftakt.

8 Skeptisch zeigt sich Siegfried Beyschlag (Beyschlag 1969: 58): "Der weibliche Ausgang findet sich fast nicht in den Reimpaaren der klassischen mittelhochdeutschen Epik".

9 13,29, 15,21, 26,9, 26,11, 26,17, 33,19, 36,19, 83,20, 84,20, 91,8, 105,5, 123,6, 128,16, 131,3, 133,18, 136,6, 137,7, 143,12, 145,14, 146,8, 163,28, 165,22, 168,25, 172,30, 189,25, 192,17, 192,24, 193,18, 194,29, 206,6, 207,7, 241,13, 241,19, 253,8.

10 6,9, 6,10, 13,1, 21,21, 46,15, 101,30, 105,8, 113,17, 126,18, 136,8, 140,3, 140,4, 143,23, 147,30, 154,2, 163,29, 165,24, 170,20, 174,7, 184,29, 203,29, 206,1, 207,25, 232,29, 233,27, 234,20, 241,21, 242,2, 267,26, 269,30, 270,24, 274,15, 276,26, 284,7, 287,19, 293,11.