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Lars Schneider (München)



Filmstadt Madrid: Zur Funktion des urbanen Raumes bei Pedro Almodóvar



This essay deals with the configuration of the city in two of Almodóvar's early works, Laberinto de pasiones (1982) and ¿Que he hecho yo para merecer esto!!! (1984). Both films are set in Madrid. Whereas the former highlights life in the city centre, the latter explores the margins of the Spanish capital. Nevertheless, Almodóvar is not interested in the mimetic representations of the urban space. His Madrid is an overtly artificial construct, an imaginary city – which makes it an ideal place for cultural experimentation. The protagonists of both films are tired of their existence and seek alternative forms of living together. All things considered, the films may lack mimetic seriousness but beneath the highly artificial surfaces lies a serious concern, as they invite the spectator to question his everyday life.


[…] es la ciudad más divertida del mundo.
Laberinto de pasiones

Es que aquí en Madrid no podemos seguir, nos ahogamos. No sé.
¿Qué he hecho yo para merecer esto!!!


Pedro Almodóvar wird vielfach als Repräsentant eines postmodernen Kinos gefeiert, der einer vorliegenden Text-, Medien- und Diskurslandschaft die Bausteine für ein Collagenwerk entnimmt, das sich mit spielerischer Leichtigkeit von der außerfilmischen Realität lossagt.1 Die jüngere Forschung distanziert sich jedoch vom Bild eines Queneau'schen ejercicio estilístico.2 "Hinter dem Spiel mit Codes, Genres und Diskursen", so Tamara Daničič, "steht […] keineswegs eine Nummernrevue bar jeglicher semantischer und […] ideologischer Tiefe" (Daničič 2001: 20). Intertextualität als "gezieltes Verfahren der Text- und Sinnproduktion"3 begreifend, gelangt sie zu dem Schluss, dass Almodóvars recycelte Geschichten ihrer Oberflächlichkeit zum Trotz immer einen Sinn vermitteln. Dies geschieht umso leichter, als die Handlungen nicht auf den eisigen Gletschern der Ästhetik, sondern an real existierenden Orten spielen, vornehmlich in Madrid:4

[…] landmarks as the Puerta de Alcalá, the Plaza Mayor, the Almudena cemetery, the María Guerrero theatre, and the Café Bellas Artes appear, all filmed on location. The martial arts centre that features in What Have I Done still exists today (in the Plaza del Conde de Barajas where the action of the film opens), as does the recording studio EXA where Pepa and Iván work in Women On the Verge. (Allinson 2001: 115)




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Die Referenzen auf die Stadt, so Allinson, bilden ein Gegengewicht zum stilistischen Exzess der Filme, sie wiegen ihn auf (ebd). Sie ermöglichen zahlreiche Kurzschlüsse zwischen Kunst und Leben, in denen sich soziale Energien entladen.5 Aus diesem Grunde scheint es reizvoll, einen näheren Blick auf die Figurationen der Stadt in den Filmen Almodóvars zu werfen.

Die theoretischen Grundlagen hierzu liefert die Literaturwissenschaft. In einem einschlägigen Artikel beschreibt Andreas Mahler Texte, "in denen die Stadt ein […] dominantes Thema ist" (Mahler 1999: 12), als Stadttexte,6 die darauf angelegt sind, Textstädte zu produzieren:

Ich benutze […] den Begriff des Stadttextes als Kategorie des Ausdrucks, d.h. als Bezeichnung für den materiellen Zeichenträger, die "words on a page" oder die Kette der Signifikanten, und den Begriff Textstadt als dazugehörige Kategorie des Inhalts, d.h. als Bezeichnung für die durch die Zeichen des jeweiligen Stadttextes transponierte/produzierte Bedeutung, das vom Text gemeinte, die Seite des Signifikats. Stadttexte sind mithin diejenigen Texte, deren sprachliche Strukturen und Strategien dominant darauf ausgerichtet sind, Textstädte zu produzieren; sie sind die institutionellen Orte diskursiver Sinnkonstitution. (Ebd.)

In der Zeit ab 1800 macht Mahler zwei Typen von Textstädten aus, die für die nachstehenden Ausführungen von Bedeutung sind: Textstädte des Realen, die ihre Textualität verheimlichen, um einen Realitätseffekt (Barthes 1968) zu erzielen, und Textstädte des Imaginären, die ihre Textualität zur Schau stellen, um einen Künstlichkeitseffekt zu erzeugen.7 Erstere produzieren mimetische Abbilder von realen Städten, letztere textuell generierte Stadtbilder (vgl. Mahler 1999: 28f.).

Der hiesige Theorietransfer erfolgt über einen gemeinsamen Nenner von Literatur und Film: Textualität.8 Dabei sollen die besonderen Eigenschaften des Zielmediums jedoch keineswegs unterschlagen werden. Um der Medialität des Films Rechnung zu tragen, soll im Folgenden von Stadtfilmen – den bewegten Bildern auf der Leinwand – und von Filmstädten – den von ihnen gebildeten Inhalten – die Rede sein. Überdies soll zwischen Filmstädten des Realen, die ihre (filmische) Textualität kaschieren, und Filmstädten des Imaginären, die ihre (filmische) Textualität offen zur Schau stellen, unterschieden werden. Anhand dieser Terminologie lässt sich Almodóvars Madrid nunmehr genauer bestimmen.




Abb. 1: Mujeres al borde de un ataque de nervios (00:22:25)




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Die Filmstadt Madrid ist deswegen interessant, da sie auf einen urbanen Raum verweist, von dem sie sich gleichwohl distanziert. Wenn dem Publikum in Mujeres al borde de un ataque de nervios (1988) eine städtische Skyline präsentiert wird, so handelt es sich um eine plumpe Kulisse, die die paradiesische Dachterrasse und das an sie angrenzende Apartment in eine Theaterbühne verwandelt. Zu diesem intermedialen gesellt sich ein intertextueller Bezug: Das artifizielle Panorama ist mit Stadtansichten aus amerikanischen Spielfilmen durchsetzt (vgl. D'Lugo 1995: 140). Eine derartige Himmelsline existiert nicht: Sie ist ein filmisches Erzeugnis.

Jedoch wäre es falsch, die Filmstadt Madrid auf eine Kulissenstadt zu reduzieren. Wie bereits erwähnt, spielen diverse Szenen in real existierenden Innen- und Außenräumen:




Abb. 2: Stills aus Laberinto de pasiones (00:24:52) und Qué he hecho yo (00:00:38)


Das Photoshooting für die pornographische fotonovela "Sexy Killer" in Laberinto de pasiones (1982) geschieht in einem Studio.9 Der Eindruck einer abgefilmten Wirklichkeit wird jedoch dadurch gebrochen, dass Almodóvar mit im Bild ist und den Akteuren, eine Bierflasche in der Hand haltend, Regieanweisungen erteilt. Folglich kommt der Zuschauer nicht umhin, sowohl die Bildserie als auch die bewegten Bilder als etwas Inszeniertes zu betrachten. In der Eingangssequenz zu ¿Qué he hecho yo para merecer esto!!! (1984) wiederholt sich diese Art der medialen Selbstreferenz. Sie setzt nicht nur den Regisseur, sondern die gesamte Filmcrew mit ins Bild. Damit nicht genug: Die Außenaufnahme der Außenaufnahme ist mit einer Musik untermalt, die den Soundtrack des neorealistischen Films anzitiert.10 Und die trübe Belichtung der Stadtbilder versteht sich als Reminiszenz an Ridley Scotts Blade Runner (1982).11



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Die Beispiele deuten an, dass den Filmen offenbar jedes Mittel recht ist, um die aufkeimende Illusion einer Filmstadt des Realen zu unterbinden. Dennoch sind Almodóvars Filmstädte des Imaginären nicht gänzlich autark. Denn wenn sie sich einerseits von der urbanen Wirklichkeit distanzieren, so verlieren sie diese andererseits nicht aus dem Blick. Das filmische Madrid ist ein der Realität entrückter Schau-Platz für ein listiges Schau-Spiel. Dies wird deutlich, sobald man Mahlers These folgt und die Anlage einer Filmstadt als Sprach- und Handlungsraum von Figuren als Antwort auf eine außerfilmische Situation betrachtet (vgl. ders. 1999: 25). Derartig gelangt man zu folgendem Befund: Die Filmstadt Madrid ist eine Replik auf die post-franquistische Situation, die transición von der Diktatur zu einer modernen Demokratie. Sie ist ein Verhandlungsraum für die Grundlagen einer neuen Gesellschaft. Und ihre Artifizialität, so die am Beispiel von Laberinto de pasiones und ¿Qué he hecho yo para merecer esto!!! vertretene These, ist Mittel zum Zweck. Denn indem die Filmstadt den Ereignissen den realistischen Ernst nimmt, erlaubt sie eine besonders freizügige Ausbreitung von Lebensentwürfen, die sie der realen Stadt – sowie dem realen Land – als Möglichkeiten des Zusammenlebens vor Augen führt.

I Madrid als Raum einer hedonistischen Subkultur

Laberinto de pasiones erbaut kein offizielles Madrid, sondern einen pulsierenden Untergrund: Eine Stadt der Flohmärkte, Bars, Cafés, Clubs, Ateliers und Proberäume. In ihr tummeln sich Musiker, Photographen, Kunstagenten und Lebenskünstler aller Art.




Abb. 3: Stills aus Laberinto de pasiones (00:00:30; 00:01:55; 00:30:10)


Die Schauplätze sind sichtbar heruntergekommen, aber en vogue (vgl. Allinson 2001: 114). Das subkulturelle Madrid ist "aufregend modern"12. In ihm setzt das Freudianische Lustprinzip den Lebenszweck.13 Die Protagonisten verschaffen sich Lustgewinn durch Kunstproduktion (die verfeindeten Bands Ellos und Ellas berauschen sich an der Starkultur) und Kunstgenuss (die unscheinbare Queti pflegt einen exzessiven Starkult). Darüber hinaus greift man zu harten Narkotika: Der Konsum von Alkohol, Lösungsmitteln, Kokain, Heroin etc. wird entweder offen betrieben oder explizit gefeiert.14 Das intensivste Lusterlebnis vermittelt jedoch der sexuelle Verkehr mit einem oder mehreren Partnern.



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Im Zentrum des hedonistischen Trubels stehen Sexilia de la Peña, die nymphomane Frontfrau einer weiblichen New-Wave-Band und Riza Niro, der Spross des exilierten Kaisers von Tirán. Dieser hat den Einflussbereich des Vaters (tirano) verlassen, um in der spanischen Metropole seine Homosexualität auszuleben. Zu Beginn des Films nutzen beide den Madrider Flohmarkt als cruising area.15 Bezeichnenderweise fallen ihre lüsternen Blicke auf die Geschlechtsteile derselben potentiellen Sexualpartner. Ihre Suche verläuft abseits der Normen von Monogamie (Sexilia) und Heterosexualität (Riza). Sie befinden sich in einem Raum der Möglichkeiten (vgl. Allinson 2001: 16). Der freien Partner- entspricht die freie Identitätswahl: Kaum eingetroffen, verwandelt sich der Thronerbe in einen Szenegänger und vertritt den Sänger einer männlichen New-Wave-Band. Auch die biedere Queti wird zum Star. Sie verfährt indes um einiges radikaler: Sie lässt ihren Körper chirurgisch umgestalten, um die Identität ihres Idols Sexilia anzunehmen.16 Fernerhin sind die mobilen Identitäten ständig in Bewegung: Zu Fuß, per Bus und per Taxi durchqueren sie ihre Stadt. Stillstand kennen sie nicht. Man kann daher sagen, dass sie das Programm der movida wörtlich umsetzen.17

Ihr hedonistischer Lebensstil verleiht dem Film eine episodenhafte, paradigmatische Struktur. Um ihn vor dem Zerfall zu schützen, bedarf es einer anderweitigen, syntagmatischen Handlung: der Liebesgeschichte von Sexilia und Riza.18 Diese wird unvermittelt in Form von Flashbacks eingespielt. So stellt sich heraus, dass die beiden sich bereits als Kinder an der Costa del Sol begegnet sind. Ihrer spontanen Zuneigung zum Trotz sind sie jedoch nicht zusammengekommen. Riza wird vor den Augen Sexilias von seiner Stiefmutter, die ihm noch immer nachstellt, bedrängt. Also wendet sich das enttäuschte Mädchen an seinen Vater, von dem es ebenfalls abgewiesen wird. Weil sie nicht die Frau eines Mannes sein kann, wird sie kurzerhand zur mujer de todos. Als sich Riza von Toraya befreit hat, wird er Zeuge eines orgiastischen Doktorspiels zwischen Sexilia und einer Gruppe von Jungen. Seinerseits enttäuscht, folgt er einem von ihnen ins Gebüsch…

Im Lichte dieser psychologischen Fallgeschichte erscheint beider Sexualität als Ersatz für die verweigerte Erfüllung eines Begehrens. Die parodistische Einspielung des psychoanalytischen Diskurses über eine neurotische Vertreterin der Lacan-Schule verleiht der Handlung aber nicht den Charakter einer ernsthaften Krankengeschichte.19 Ihre Funktion ist rein formal: Sie verleiht dem wilden Treiben eine geschlossene Struktur. Nachdem die Liebenden einander wiedergefunden haben, ändern sie schlagartig ihr Sexualverhalten: Die herkömmlichen Eskapaden bereiten ihnen Unlust. Sie erkennen ihr Trauma und bekennen sich zu Monogamie (Sexilia) und Heterosexualität (Riza). Darüber hinaus üben sie Triebverzicht: Sie schlafen bei- und nicht miteinander. Von jetzt an soll alles anders sein.20 Die Egomanen schränken ihre Freiheit zugunsten einer Partnerschaft ein. Sie besiegeln diesen Schritt, indem sie den zunehmend karnevalesken Raum verlassen.21 Die Schlusssequenz zeigt sie an Bord eines startenden Flugzeugs mit Kurs auf die Karibikinsel Contadora.

Da der Flug ins Glück eine Persiflage auf das Komödienschema darstellt und die Liebenden im abhebenden Flugzeug ihren sexuellen Höhepunkt im Zeichen von Emmanuelle I – Die Schule der Lust (1974) erleben,22 ist das Ende des Films indes frei von mimetischem Ernst. Demnach handelt es sich nicht um die Feier eines herkömmlichen Liebesideals. Dessen ungeachtet steht die Vereinigung der Hauptfiguren stellvertretend für die Vereinigung von ellas und ellos:23



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Abb. 4 Stills aus Laberinto de pasiones (00:40:42; 00:58:17; 01:03:03)


Die Mitglieder der zerstrittenen Popgruppen nähern sich wieder an, der geschasste Frontmann widmet sich seiner bandexternen Freundin, Quetis Mutter kehrt zu ihrem Mann zurück, Queti verführt als Sexilia deren Vater, der seinen Sexualtrieb in eine krankhafte Forschungstätigkeit sublimiert hatte, etc. Sie alle werden 'erwachsen' und verlassen das Laberinto de pasiones in verschiedene libidinös verbundene Lebensgemeinschaften. Die Filmstadt, so wird deutlich, ist ein Schauplatz für eine Reihe aus der Freiheit heraus sich anbahnender Kulturprozesse. Dabei legt Almodóvar sich auf kein verbindliches Modell fest. Der Ernst einer jeden Konstellation wird parodistisch unterlaufen. Man lacht über die Paare. Aber das macht sie nicht lächerlich. In ihrem Bemühen steckt eher ein Appell an den Zuschauer, es besser zu machen, selbst aktiv zu werden und 'an Bord eines Flugzeugs zu steigen'.

II Madrid als Raum eines frustrierenden Alltags

¿Qué he hecho yo para merecer esto!!! erschafft ebenfalls kein Vorzeigemadrid, sondern ein Elendsquartier am Stadtrand, eine Betonanlage unter verhangenem Himmel: den Lebensraum einer marginalisierten Arbeiterschicht:




Abb. 5: Stills aus ¿Qué he hecho yo para merecer esto!!! (01:34:43; 00:29:23; 00:36:33)




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Die moderne Zweckarchitektur steht im krassen Gegensatz zu einer archaischen Realität. Die Bewohner von La Concepción führen ein Zigeunerleben.24 Der Alltag aller Protagonisten ist ein Existenzkampf. Sie haben Mühe, die Rechnungen für Miete, Gas, Fernsehen, Nahverkehr etc. zu begleichen. Sie arbeiten rund um die Uhr in verschiedenen Tätigkeiten. Zeit für sich selbst haben sie nicht.

Im Fokus der Handlung steht Gloria, eine Frau mittleren Alters, die mit ihrem Mann Antonio, einem Taxifahrer, ihren zwei Kindern, Toni und Miguel, und der Schwiegermutter vom Dorf in die Stadt gezogen ist. Die Hoffnung auf den damit verbundenen gesellschaftlichen Aufstieg hat sich indes nicht erfüllt. Der Segen der Konsumgesellschaft wird ihr nicht erteilt. Gloria ist von der Warenwelt isoliert. Das Glück der Anzeigen und Werbespots erfährt sie nicht.25 Im Gegenteil: Unter der Ägide ihres Hausherrn wird sie unterdrückt und ausgebeutet.26 Sie steckt in einem Teufelskreis schwerer Hausarbeiten. Um die immer leere Haushaltskasse aufzufüllen, verkauft sie ihren Körper an ihren Gemahl und hat überdies gleich drei Stellen als Putzfrau.27

Gloria kennt, wenn überhaupt, nur vorübergehende Erleichterungen. Sie schnüffelt Klebstoff und konsumiert Mother's Little Helpers, deren unfreiwilliger Entzug ihr im Laufe des Films zu schaffen macht.28 Der Ansatz zu einem sexuellen Abenteuer in einer Kampfsportschule bleibt ohne Erfolg. Der wildfremde Kämpfer, der sie zu sich unter die Dusche zieht, erweist sich als impotent und lässt Gloria unbefriedigt, durchnässt und gedemütigt zurück. Da sie nicht daran denkt, den Sexualtrieb in Mutterliebe zu sublimieren, hat sie an ihren Kindern ebenfalls keine Freude.29 Überhaupt ist ihr Verhalten alles andere als mütterlich.30 Dass der ältere Sohn ein Heroindealer ist, der seine Waren aus Amsterdam mit ihren Aufputschmitteln streckt, entgeht ihr. Dass der jüngere sich bei den Vätern seiner Schulkameraden prostituiert, ist ihr allenfalls ein Ärgernis. Wenig später wird sie aus dessen sexueller Orientierung Kapital schlagen, indem sie ihn an einen pädophilen Zahnarzt verschachert.

Von den so eingesparten Arzt- und Lebenshaltungskosten kauft sie ein lang ersehntes Objekt der Begierde: den ausgesprochen phallischen Lockenstab, Marke modulador reina. Aber auch er erlöst sie nicht aus ihrem grotesken Elend.31 Infolgedessen entlädt sich ihre Triebenergie zunehmend in Gewaltausbrüchen. Zunächst schlägt Gloria mit Wischmopp und Kendo-Stab auf imaginäre Gegner ein. Doch dabei bleibt es nicht. Als sie sich weigert, ihrem tyrannischen Ehemann sein bestes Hemd für dessen Rendezvous mit seiner heimlichen Liebe herzurichten, kommt es zu einem Handgemenge, im Zuge dessen sie ihn mit einer Schinkenkeule totschlägt. "Im Angesicht ihres Verbrechens" besinnt sie sich auf die Tugenden einer Putzfrau:32 Der Tatort wird gereinigt, die Tatwaffe verschwindet im Suppentopf, die Gesichtsschwellungen werden überschminkt. Alle Spuren sind blitzschnell beseitigt.33

Gloria hat sich aus der patriarchalen Ordnung herausgeputzt.34 Und zwar so glänzend, dass ihr spontanes Geständnis der Tat vom zuständigen Kriminalbeamten als tontería abgetan wird.35 Mit dem Totschlag des Hausherrn löst sie zugleich die unheilvollen Familienbande auf (vgl. Kappelhoff 2008: 8). Die Protagonisten verlassen die enge Mietwohnung, das Gefängnis, in das sie eingepfercht waren. Toni hebt sein gespartes Drogengeld von der Bank ab. Er will sich den Traum vom Landleben erfüllen, den ihm das Kino vermittelt hat. Filme wie Elia Kazans (1909–2003) Splendor in the Grass (1961) inspirieren sein Handeln.36 Zusammen mit der von Heimweh geplagten Großmutter macht er sich auf den Weg zurück ins Dorf. Gloria hingegen bleibt allein zurück. Ihr Gang durch die verlassene, nunmehr gähnend leere Wohnung droht in einen Selbstmord zu münden. Ihr Blick vom Balkon in den Abgrund der Häuserschlucht fällt indes auf den heimkehrenden Sohn Miguel, der ihr soziales Vakuum mit den ironischen Worten füllt: "Esta casa necesita a un hombre." (QH 01:33:52–01:33:55)



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Obgleich ¿Qué he hecho yo para merecer esto!!! sämtliche Ansätze realistischer Darstellung unterläuft,37 sodass man den Film schwerlich als Milieustudie rezipieren kann, verliert er sich jedoch nicht in seichter Unterhaltung. Die Filmstadt Madrid ist ein Ort der Zerstörung der patriarchalen Familienstruktur. Wenn die Schwiegermutter sagt: "Hier in Madrid können wir nicht leben"38 , so ist zu präzisieren: "Hier in Madrid können wir so nicht leben". Denn de facto erweist sich die Auflösung der Ordnung nicht als weiteres Unglück. Ganz im Gegenteil: Sie ermöglicht einen lang fälligen Tapetenwechsel,39 sie ist die Voraussetzung für alternative Lebensformen, die sich in zwei Konstellationen (Mutter/Sohn und Großmutter/Enkel) an zwei Orten (Stadt und Dorf) andeuten. Dabei gilt es zu betonen, dass die Rückkehr aufs Land keine Wiederherstellung der Norm bedeutet. Auch hier sind die Väter, wenngleich eines natürlichen Todes, gestorben.40




Abb. 6: Stills aus ¿Qué he hecho yo para merecer esto!!! (01:04:47; 01:33:42)


Die beiden Paare befinden sich in derselben Ausgangsposition: Sie haben alles verloren, es ist unwirtlich kalt,41 doch die Zukunft gehört ihnen: in Form einer von ihnen zu gestaltenden Art des Zusammenlebens. Wie Laberinto de pasiones inszeniert ¿Qué he hecho yo para merecer esto!!! die Stadt als Ort der Entdifferenzierung, aus der heraus sich potentielle Kulturprozesse entwickeln. Der Zuschauer ist eingeladen, es Toni und dessen Großmutter gleichzutun, sich auf den Film einzulassen, sich zu einer Reflexion über das menschliche Zusammenleben anregen zu lassen – und sich gegebenenfalls neu einzurichten.




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III Verhandlungen mit Pedro Almodóvar

Wenn man Almodóvars frühen Filmen eine Textintention zugesteht, kommt man nicht umhin, den kulturellen Kontext zu betrachten, dem sie das symbolische Material entnehmen, das sie zum ästhetischen Konsum aufbereiten. Dieser Kontext ist die Zerrüttung einer Ordnung, die über einen Zeitraum von vier Jahrzehnten die menschlichen Beziehungen als Staatsbürger und Familienmitglieder geregelt hat. Einer Ordnung, die im Freudianischen Sinne verfuhr und die Sexualität einschränkte; die monogame heterosexuelle Beziehungen tolerierte und sämtliche denkbaren Alternativen (Polygamie und Homosexualität) versagte (vgl. Freud 1984 [1930]: 97). Einer Ordnung, die sich ihrer Strenge zum Trotz nicht überall hat behaupten können.

Denn indem die franquistische Propaganda das idyllische Landleben feierte und das Leben in der Stadt als physisch und moralisch verwerflich bloßstellte,42 schuf sie ungewollt Freiräume, die als solche erkannt und genutzt wurden. Mit der Folge, dass sich in Städten wie Barcelona und Madrid Gegenkulturen bildeten,43 die nach dem Tode des Diktators förmlich explodieren. Aus dem Untergrund drängen alternative Formen von Musik, Mode, Kunst und Design an die Oberfläche. Sie verleihen dem vernachlässigten Madrid den Ruf einer Kulturhauptstadt.44 Der kreative Ausdruck offenbart sich jedoch nicht nur in der Kunst, sondern auch in der Sexualität. Die einst etablierten Genderkategorien geraten ins Wanken. Die Institution der Familie weicht neuen provokativen Formen des menschlichen Zusammenlebens.

Die urbane Kultur trifft nun kaum mehr auf Widerstände. Sie wird sogar zum Aushängeschild für ein neues, post-franquistisches Spanien. Die Movida madrileña wird zur Movida española verklärt.45 Damit ist der historische Ort von Laberinto de pasiones bestimmt. Der Film ist das Produkt der Bewegung, die er parodistisch aufführt.46 Namhafte Popgruppen wie Alaska und Los Pergamoides, prominente Künstler wie Las Costus alias Enrique Naya Igueravide (1953–1989) und Juan José Carrero Galofré (1955–1989), Photographen wie Ouka Leele und – nicht zu vergessen – extravagante Selbstdarsteller wie Fabio McNamara alias Fabio de Miguel und Pedro Almodóvar treten in Erscheinung und lassen ihren ästhetischen und sexuellen pasiones noch einmal demonstrativ freien Lauf,47 bevor sie ihren Weg ins Establishment antreten.48

¿Qué he hecho yo para merecer esto!!! steht jedoch im starken Kontrast zum hedonistischen Freiheitstaumel, der sich im Stadtzentrum ereignet. Der Film verhandelt das Fortbestehen der alten Ordnung am Rande der Metropole. Dabei stellt er sowohl die franquistische Vision einer modernen Stadt als auch die patriarchalische Familienstruktur bloß (vgl. D'Lugo 1995: 134). In den Betonburgen von La Concepción lässt es sich ebenso wenig leben wie in einer traditionellen Ehegemeinschaft. Und doch mündet Glorias soziales und emotionales Elend in einen Akt der Befreiung. Es gibt den Impuls zu einem 'reinigenden' Gewaltausbruch. Im Anschluss hieran nehmen sich Gloria und die restlichen Familienmitglieder die Freiheit, um neue Formen des Zusammenlebens zu entdecken: Die ehemalige Hausfrau wohnt mit ihrem homosexuellen Sohn zusammen.49 Die kauzige Schwiegermutter folgt ihrem geschäftstüchtigen Enkel zurück aufs Land.



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So wie die karnevaleske Enklave ist auch die revolutionäre Aufhebung der Ordnung nicht von Dauer. So wie Sexilia und Riza das urbane Laberinto de pasiones verlassen, putzt sich Gloria aus einer unerträglichen Gegenwart heraus in eine offene Zukunft. In diesem Zusammenhang erweist sich die Künstlichkeit der Bilder als Mittel zum Zweck. Die Filmstadt des Imaginären ist ein Schauplatz für imaginäre Handlungen. Das offenkundige Spiel mit Filmen, Genres und Diskursen bewirkt eine grundsätzlich distanzierte Rezeptionshaltung. Sie macht selbst schwer Verdauliches erträglich: Vergewaltigung, Prostitution, Kindesmissbrauch etc. All dies ist nur gespielt. Doch das ist nur eine Seite. Den Handlungen mangelt es an realistischem Ernst, nicht jedoch an kultureller Relevanz.

Unter den postmodernen Oberflächen visieren beide Filme die zeitgenössische Realität an. Im Mantel des parodistischen Zitats verschaffen sie sich Zugriff auf die diskursiven Praktiken der Vergangenheit und Gegenwart, die sie konsequent gegeneinander ausspielen. Auf diese Weise formulieren sie, wie Daničič bemerkt, ein Plädoyer für eine offen ausgetragene Redevielfalt:

Almodóvar geht es darum, althergebrachte Gendermuster patriarchalischer Prägung, verkrustete religiöse Traditionen oder franquistische Reminiszenzen im Spanienbild nicht nur durch gleichermaßen monologische Gegenentwürfe zu substituieren, sondern ein differenziertes Spektrum innerhalb des Diskurses als Ausdruck der gesellschaftlichen heteroglossia zu präsentieren. (Daničič 2001: 132)

Für eine solche Redevielfalt ist in der Filmstadt des Realen kein Platz. Schließlich legt sie es darauf an, eine außerfilmische Ordnung des Diskurses abzubilden. Ebendies gilt jedoch nicht für Almodóvars Filmstadt des Imaginären. Hier haben sämtliche Figuren – insbesondere jene aus dem Untergrund und vom (Stadt-)Rand – ein Rede- und Stimmrecht. Sie alle gestalten das Modell einer post-franquistischen Gesellschaft. Und sie alle agieren auf unsicherem Terrain, abseits monologischer Strukturen. Wohin sie das führt, bleibt offen. Es steht aber zu vermuten, dass sie ein Ziel verfolgen, das Freud am Ende der Abhandlung vom Unbehagen in der Kultur formuliert: Eine Kultur, die nicht im Widerspruch zum individuellen Streben nach Glück steht. Ein libidinös verbundenes Kollektiv, das dem Individuum nur so viel Triebverzicht wie eben nötig abverlangt. Ein solches hat sich bisher noch nicht gefunden. Die Filmstadt Madrid zählt jedoch zu den Orten, an denen es sich weiterhin entwerfen lässt.


Bibliographie

Filme

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Anmerkungen

1 Zur frühen Rezeption der Filme vgl. u.a. Daničič 2001: 258f.

2 José Enrique Monteverde deutet die Filme Almodovárs in Queneau'scher Manier und bemängelt das semantische Vakuum vergleichbarer Stilübungen. Vgl. ders. 1993: 173–199.

3 Dabei bezieht sie sich auf Weich 1989: 41f.

4 Vor allem die frühen Filme sind förmlich auf Madrid fixiert: "[…] few directors have paid homage to the city quite as directly and consistently as Almodóvar." (Allinson 2001: 111)

5 Dies geschieht in Formen des Vergnügens und der Teilnahme: Furcht, Mitleid, Spannung, Erleichterung, Lachen, Staunen etc. Zum Konzept der sozialen Energie vgl. Greenblatt 1988: 6.

6 Dies geschieht in kritischer Auseinandersetzung mit Klotz' These von der "Stadt als Vorwurf" des Romans. Vgl. ders. 1969: 11.

7 Im Zeitraum vor 1800 dominieren hingegen Textstädte des Allegorischen, die von einer sekundären Semantik überbordet werden, sodass "das Stadtthema selbst ins Kippen gerät" (vgl. Mahler 1999: 25). Diese spielen im Rahmen der vorliegenden Untersuchung indes keine Rolle und werden daher ausgeklammert.



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8 Vgl. Daničič: Rede (Anm.1), S. 5. Daničič nutzt diesen Nenner, um das Bachtin'sche Konzept der Dialogizität für ihre Argumentation fruchtbar zu machen.

9 Hier photographiert der reale Szenefotograph Pablo Pérez-Mínguez (1946–2012) die reale Szenegröße Fabio McNamara (vgl. Vidal 1989: 51f.).

10 Es handelt sich um eine Anspielung auf die Kompositionen von Nino Rota (1911–1979). Vgl. Vernon 1995: 61f.

11 So kommentiert Almodóvar die Außendreharbeiten: "The few times we moved outside for exteriors it had to be like Blade Runner, with that atmosphere of an uncomfortable future that novels always tell us about, that continuous, disagreeable spitting of bad weather. But also that gothic enormity of Blade Runner." Zitiert nach D'Lugo 1995: 133. Zur Eingangssequenz vgl. ferner Vidal 1989: 136.

12 Das weiß man längst auch im Ausland. So wird Rizas Stiefmutter per Telefon informiert: "[Madrid] es la ciudad más divertida del mundo y él [Riza] es tan moderno" (LP, 00:20:16–00:20:20). Dazu Almodóvar: "Als ich das Drehbuch zu Laberinto de pasiones schrieb, wollte ich zeigen, dass Madrid die wichtigste Stadt der Welt ist, eine Stadt, in der alles passieren kann." (Almodóvar 1998: 41).

13 Die Formulierung stammt aus Freud 1984 [1930]: 74.

14 In dem von Almodóvar und McNamara interpretierten Lied Suck it to me heißt es u.a.: "You want drugs, all drugs./ Drugs, drugs, drugs. All drugs./ Cocaina, tonifica./ Heroína, crea síndrome./ Marihuana, coloca./ Bustaid, relaja./Valium 15, estimula/ Cicuta, desinfecta/ Nembutal, es mortal/ Amoniaco, reactiva./ Bicloro, suaviza/ Dexedrina, enloquece/ Sosegón, alucina./ El opio, amodorra./ Angel dust, es total." (LP, 00:30:04–00:30:26)

15 Zum rastro als Zentrum der Jugendkultur vgl. u.a. Allinson 2001: 114f.

16 Das Thema der Geschlechtsumwandlung wird in späteren Filmen wie Todo sobre mi madre (1999) und La piel que habito (2011) erneut aufgegriffen. Zur transsexuellen Aufhebung des Geschlechts bei Almodóvar vgl. Maurer Queipo 2005.

17 Zum Phänomen der Movida sind in den letzten Jahren eine Reihe neuer Arbeiten erschienen. Vgl. u.a. Links 2014; Nichols 2014; Dumousseau-Lesquer 2012; Nolte 2009.

18 Der Film hat exakt den Aufbau einer Komödie, den Rainer Warning herausarbeitet (vgl. ders. 1976: 279–333). Almodóvar kommt auf die Problematik der paradigmatischen Handlungsstruktur eigens zu sprechen: "Eine solche Komödie, disparatada, unzusammenhängend und unlogisch, verlangt großes technisches Können." Ders. 1998: 40.

19 Dazu Almodóvar: "[…] die Psychoanalyse und die Psychoanalytikerin werden rein parodistisch eingesetzt. Ich wollte etwas machen, was ich sonst nicht immer wage, eine Parodie aller dieser Filme […] wo eine sehr ausgetüftelte Rückblende in die Kindheit die Traumata deutet und etwas erklärt, das nicht zu erklären ist." Ders. 1998: 44. Vgl. auch Illger 2008: 51. Dessen ungeachtet finden sich psychoanalytische Deutungen nicht nur dieses Films, so etwa bei Riepe 2004.

20 Sexy zieht einen Schlussstrich unter beider herkömmliche Existenz: "¿Sabes una cosa? ¡Pensemos en el futuro!" (LP, 00:59:01–00:59:04)

21 Zu Almodóvars Kino und Bachtins Karneval vgl. Illger 2008.

22 Die Verfilmungen der erotischen Bestsellerreihe der Marayat Rollet-Andriane (1932–2005) aka Emmanuelle Arsan mit Sylvia Kristel (1952–2012) in der Hauptrolle der Emmanuelle sind seinerzeit einem internationalen Millionenpublikum vertraut.



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23 Ausgenommen sind die zwei aufdringlichen Figuren: die Ex-Kaiserin von Tirán und die Psychoanalytikerin.

24 So sagt es die Gloria: "Vivimos como gitanos" (QH 00:49:52–00:49:54). Das in den 50er Jahren durch José Banús (1906–1984) realisierte Viertel ist ein Beispiel für die franquistische Vision einer modernen Stadt: "Das Viertel, in dem der Film gedreht wurde, stammt aus dem Bauboom der Glanzzeit des Franco-Regimes, es entspricht den Vorstellungen der Machthaber vom Komfort für das Proletariat. Es sind menschenunwürdige Behausungen. Man nennt sie Bienenstöcke. […] Wir haben in dieser Umgebung gedreht, ohne irgendetwas zu ändern." Almodóvar 1998: 73.

25 "Lo malo de la sociedad de consumo para una mujer como Gloria es que no puede consumir. Ella no está en contra del capitalismo, lo que pasa es que no tiene dinero para disfrutar de todo lo que la sociedad de consumo le ofrece." (Vidal 1989: 122) Zur parodistischen Aneignung von TV-Spots und ihrer Konfrontation mit der filmischen Realität vgl. Almodóvar 1998: 67–71.

26 Auf einen Anflug von Kritik gibt Antonio Gloria zu verstehen: "Aquí quien manda soy yo. Y si no te interesa esto ya sabes donde está la puerta." (QH 01:04:05–01:04:10)

27 Die eheliche Prostitution wird mit einem parodistischen Musikvideo verflochten, in dem Almodóvar und McNamara Miguel de Molinas (1908–1993) copla La bien pagá interpretieren.

28 Sämtliche Versuche, die Apotheker des Viertels zum rezeptfreien Verkauf zu bewegen, bleiben erfolglos.

29 In dieser Hinsicht unterscheidet sie sich gravierend von den Figuren des klassischen Melodramas. Vgl. Vernon: 1995: 67.

30 Das sieht sie nicht zuletzt selbst ein. Auf die Frage der misshandelten Nachbarstochter: "Oye ¿porqué no me adoptas?" antwortet Gloria: "Yo tampoco soy una buena madre, no creas." (01:10:46–01:10:52)

31 Dazu Almodóvar: "In my films everything is on the verge of parody. It isn't just parody, it's also the line between the ridiculous and the grotesque, but it can easily fall across this devide." Zitiert nach Allinson 2001: 214.

32 Diese werden von ihren Auftraggebern durchweg bewundert: "Qué rápido recogido esto, ¿como lo haces?

Gloria – […] la costumbre." (QH 00:33:16–00:33:21)

33 Die Eidechse dinero, hier zum Einzigen Zeugen (1985) stilisiert, entkommt der Mörderin vorerst. Wenig später fliegt sie allerdings demonstrativ aus dem Fenster. Damit hat sich Gloria auch von den ökonomischen Zwängen ihrer Existenz befreit. "Era el único testigo que teníamos. […] el lagarto conoció al asesino." (QH 01:16:42–01:16:48)

34 Zum Motiv des Putzens bei Almodóvar vgl. Chung 2008: 45–50.

35 Sein Hinweis: "Puede ser peligroso" ist in dieser Situation unfreiwillig komisch.

36 Die Einbindung fremder Filme in die eigene Handlung ist Programm: "In meinen Filmen ist das Kino präsent, aber ich bin kein cinephiler Regisseur, der andere Autoren zitiert. Ich benutze gewisse Filme als aktiven Teil meiner Geschichten. Wenn ich einen Ausschnitt aus einem Film verwende, dann ist das keine Hommage, sondern ein Diebstahl. Er wird zum Teil meiner Geschichte, die ich erzähle, während eine Hommage immer passiv ist. Ich verwandele das Kino, das ich gesehen habe, in meine eigene Erfahrung, die automatisch zur Erfahrung meiner Personen wird." Almodóvar 1998: 66. Zur Hypodiegese bei Almodóvar vgl. Daničič 2001.



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37 Spätestens mit der Anspielung auf die übersinnlichen Fähigkeiten der mütterlich missbrauchten Vanessa ist es um eine herkömmlich-realistische Darstellung geschehen. Doch auch vom magischen Realismus ist der Film weit entfernt. Denn tatsächlich hat sich Almodóvar bei Brian de Palmas Horror-Klassiker Carrie (1976) bedient (vgl. ders. 1998: 47).

38 "[…] aquí en Madrid no podemos seguir." (QH 00:46:18–00:46:20)

39 Einen solchen nimmt Gloria nach dem Tod des Patriarchen mit der telekinetischen Hilfe Vanessas vor.

40 Kurz vor der Abfahrt aufs Land ergibt sich folgender Dialog zwischen einer Dorfbewohnerin und der Großmutter: Abuela – "[…] y en el pueblo, ¿ quién se ha muerto últimamente?" La anciana – "Se muere mucha gente. No queda un viejo." (QH 01:29:19–01:29:22)

41 Wenn die Großmutter die Kälte der Stadt hervorhebt, thematisiert die Dorfbewohnerin die Kälte auf dem Land: "Qué frío hace en este Madrid. Si no me lleves al pueblo este invierno me voy a helarme." (00:10:55–00:11:01); "Tú no sabes los viejos que se han muerto... Y muchísimo frío que hace... Que menos mal que llevas leña para calentarnos." (QH 01:29:37–01:29:44)

42 Hierzu hat sie sich nicht zuletzt ausgiebig des Kinos bedient (vgl. D'Lugo 1995: 126). Ein Gegenbeispiel für eine derartige Propaganda ist Juan Antonio Bardems (1922–2002) Calle mayor (1956). Hier kontrastiert er das frustrierende Landleben mit dem Glanz der Hauptstadt.

43 "Für mich brach mit meiner Ankunft in Madrid die Freiheit an, trotz der Franco-Diktatur, denn es passierte sehr viel im Geheimen, und die Heimlichkeit war für mich etwas Normales, Übliches." (Almodóvar 1998: 24)

44 Allinson spricht von Madrid als einem "Emblem der Moderne" (vgl. ders. 2001: 14).

45 Was die Politik dabei ausblendet, ist, dass sich die Bewegung durchaus rege mit der Zeitgeschichte befasst (vgl. Allinson 2001: 16). Das kann sich auch dahingehend äußern, dass die franquistische Vergangenheit bewusst nicht thematisiert wird. So praktiziert Almodóvar eine negative Erinnerungskultur: "[Meine Filme waren] nie gegen das Franco-Regime gerichtet, weil ich die Existenz Francos einfach nicht anerkennen wollte. Das ist ein bisschen meine Rache am Franco-Regime: Ich will, dass davon keine Erinnerung bleibt und kein Schatten." (Almodóvar 1998: 35)

46 "En la película existe esta especie de glorificación de Madrid un poco estúpida que ha habido en los medios de comunicación. Está como una parodia. […] Se pensaba qué Madrid era el centro del universo. En la película eso se expresaba verbalmente por la primera vez. Era una broma, pero la gente se lo tomó en serio." (Vidal 1989: 42)

47 "En cualquier caso, Laberinto ha quedado como un documento, porque está toda la gente que era algo en ese momento." (Vidal 1989: 42); vgl. ferner Allinson 2001: 115.

48 Den wohl spektakulärsten Weg hat Fabio McNamara eingeschlagen: Er ist in den Schoß der katholischen Kirche zurückgekehrt. Almodóvar erklärt seine eigene Entwicklung wie folgt: "Ich interessierte damals die ganz Modernen, was Vorteile hat und Nachteile. Es sind die ganz Intellektuellen, in Anführungsstrichen, ein sehr eigenwilliges und unzuverlässiges Publikum. Von dem Moment an, wo ich ein größeres Publikum ansprach, hat dieses, mein ursprüngliches Publikum, angefangen, mich abzulehnen, weil es mit seinen Vergnügungen gern unter sich bleibt. Es ist ein snobistisches Publikum, sehr informiert und sehr interessiert, aber auch sehr grausam, weil es die Trends bestimmt. […] ich glaube, es wäre besser gewesen für mich, das Interesse an mir wäre auf Minderheiten beschränkt geblieben, wenigstens wäre ich dann nicht dem Urteil der Mehrheit ausgesetzt, die immer konservativ ist" Almodóvar 1998: 147.

49 Eine vergleichbare Paarung kehrt in Ley del deseo (1987) wieder.