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Roger Schöntag und Corina Petersilka (Erlangen-Nürnberg)



Kritische Überlegungen zum Begriff des Morphs und seiner Funktion im Beziehungsgeflecht Morph – Morphem – Wort



Critical considerations about the notion 'morph' and its function in the complex relationship between morph – morpheme – word
The starting point of the following contribution was the consideration that in current introductions to linguistics (or morphology) the linguistic term 'morph' is often not classified and defined with the same precision as its necessary counterpart 'morpheme' or sometimes it is not used at all. Against the background of this observation has aroused the question if the structuralist notion 'morph' is still useful in modern morphology? The investigation starts therefore with an outline of the history of the terms 'morpheme' and 'morph' with the facts to keep in mind that 'morpheme' was coined pre-structuralist, but made popular by Bloomfield, whereas 'morph' and 'allomorph' are terminological products of the time when American structuralist research reached its climax. The next step was a thorough analysis of the treatment of these notions in introductory works to linguistics, with the result of often incoherent definitions. The following chapter gave an insight in current morphological and morphosyntactic theories and their treatment of the here discussed terms.
Final result: The modern theories chosen as examples as well as the often fuzzy definitions in the introduction handbooks showed clearly that there is a general need to denominate a morphological unit under the level of a word, which is still useful to call 'morpheme', but the term 'morph' should be reserved to strict classical structuralist analysis.



1 Vorüberlegungen

Als grundlegendste Einheit in der morphologischen Betrachtung wird meist das Morphem angesehen, schon allein deshalb, weil das damit beschriebene Phänomen durch einen genuin linguistischen Begriff erfaßt wird, der allerdings, wie Luschützky (2000: 452) süffisant bemerkt, selbst als "elementarste[r] Terminus der linguistischen Morphologie mit einem morphologischen Geburtsfehler behaftet" ist, insofern im Altgriechischen zwar mόrphōma bezeugt ist,1 aber kein *mόrphēma (im Gegensatz zu phṓnēma). Der Morphem-Begriff ist zentraler Bestandteil der strukturalistischen Sprachwissenschaft, d.h., derjenigen Theorie, die konstitutiv für die moderne Sprachbetrachtung an sich war und immer noch ist, während der allgemeinsprachliche Terminus 'Wort' zunächst als unpräzise möglichst ausgeklammert wurde und erst in jüngerer Zeit wieder mehr Platz in der theoretischen Betrachtung zugestanden bekommt.




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In der vorliegenden Untersuchung soll, entgegen den üblichen Gepflogenheiten, der ebenfalls strukturalistische Begriff 'Morph' im Fokus stehen. Auffällig ist nämlich, daß die linguistische Einheit des Morphs, wohl nicht zuletzt wegen ihrer Unterordnung unter das Morphem, eher selten Gegenstand des Interesses, in manchen Abhandlungen auch gar nicht definiert oder thematisiert wird und mitunter völlig aufgegeben wurde.

Ziel der folgenden Darstellung ist es deshalb, nach einem kurzen Überblick zur begrifflichen Entstehungsgeschichte (Kap. 2) systematisch (romanistische) Einführungsbücher, Nachschlagewerke und Handbücher auf ihre Behandlung des Morphs (und Morphems) hin zu untersuchen (Kap. 3.1) sowie anhand von einigen ausgewählten, modernen Theorien der Frage nachzugehen, ob es eine Verwendungsweise des Begriffes jenseits des Strukturalismus gibt (Kap. 3.2). Abschließend sollen dann, vor dem Hintergrund der gesammelten Erkenntnisse in der einschlägigen Literatur, die grundlegenden Probleme der Anwendung des Morph-Begriffes noch einmal erörtert werden sowie dessen Sinnhaftigkeit innerhalb eines strukturalistischen Systems und darüber hinaus zur Diskussion gestellt werden (Kap. 4, 5).



2 Historischer Abriß zur Entstehung der Begriffe 'Morphem' und 'Morph'

Die Vorgeschichte des sprachwissenschaftlichen Begriffes 'Morph' beginnt mit seinem begrifflichen und inhaltlichen Bezugselement, nämlich dem 'Morphem'. Diesen entwickelte der polnische Linguist Jan (Ignacy Niecisław) Baudoin de Courtenay (russ. Iwan Alexandrowitsch Boduen de Kurtene; 1845–1929) aus der Kasaner Schule in seinen Vorlesungen ab 1878/1879 (publiziert 1880) in Anlehnung an den bereits von Saussure verwendeten Begriff des Phonems.2

Morphem = jeder, mit dem selbständigen psychischen Leben versehene und von diesem Standpunkte (d.h. von dem Standpunkte eines selbständigen psychischen Lebens) aus weiter unteilbare Wortteil. Dieser Begriff umfasst also: Wurzel (radix), alle möglichen Affixe, wie Suffixe, Praefixe, als Exponenten syntaktischer Beziehungen dienende Endungen, usw.3 (Baudouin de Courtenay 1895: 19)

In dieser Definition sind bereits die wesentlichen Merkmale des heute noch immer gebräuchlichen Morphem-Begriffes enthalten. Das zentrale Kriterium, nämlich, daß es sich um eine Spracheinheit mit Bedeutung handelt, tritt deutlich hervor, wenn formuliert wird, daß im Gegensatz zu den Phonemen "eben nur die Morpheme semasiologisch unteilbare sprachliche Einheiten darstellen" (Baudoin de Courtenay 1895: 12).




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Dazu gehört das ebenfalls heute noch valide Kriterium, daß das Morphem das kleinste Element der Sprache mit einer Bedeutung ist, also "semasiologisch unteilbar". Bezüglich der Extension des Begriffes wird mit Wortwurzel, Affix (Suffix, Präfix) und Flexionsendung ebenfalls auf die immer noch gültigen Erscheinungsformen eines Morphems verwiesen. Abgesehen von dem psychologisierenden Moment bei Courtenay, insofern er in seiner Definition Bedeutung als "psychisches Leben" charakterisiert, legt er mit seiner Begriffsbestimmung den Grundstein für das heutige Verständnis von Morphem. In gleicher Weise ergeben sich aber auch bereits ab ovo die dieser Charakterisierung innewohnenden Probleme. Zum einen operiert er mit dem allgemeinsprachlichen Begriff 'Wort' (hier: "Wortteil"), der offensichtlich trotz der unübersehbaren Vielzahl der von den Kasaner Linguisten geprägten Fachtermini immer noch nötig erscheint und bis in unsere Tage zu oft zirkulären Definitionen im Zusammenhang mit den davon abhängigen Begriffen 'Morphem' und 'Lexem' führt; zum anderen ist, wie die weiteren Ausführungen und seine Beispiele zeigen, nicht ganz eindeutig, ob er unter 'Morphem' ein "minimales Sprachzeichen" versteht oder eine "Menge inhaltsgleicher minimaler Sprachzeichen" (Mugdan 1986: 31). Die Frage, wie morphematische Alternationen begrifflich einzuordnen sind, ist nach wie vor nicht einheitlich geklärt und hat uns eine Vielzahl von voneinander abweichenden Vorstellungen des Morphembegriffes beschert.

Eingang in die französische Linguistik hat das 'Morphem' durch eine Übersetzung von Karl Brugmanns (1849–1919) Kurze[r] vergleichende[r] Grammatik der indogermanischen Sprachen (1902–1904) durch Antoine Meillet (1866–1936) gefunden, der dessen elementum formans, welches Affixe und Wurzeldeterminationen umfaßte, mit morphème übersetzte (Brugmann 1904: 285; Übersetzung Meillet 1905: 301). Hierbei wurde jedoch das Morphem auf rein grammatische Sprachelemente reduziert. Diese Auffassung setzt sich dann in der bekannten Unterteilung von André Martinet (1908–1999) fort, der zwischen 'Lexem' (lexikalisch) und 'Morphem' (grammatisch) unterscheidet und diese Dichotomie in dem zusammenfassenden Oberbegriff 'Monem' auflöst (1960: §1.9). Eine sich von dem grammatischen Aspekt ableitende Auffassung von 'Morphem' vertrat Louis Hjelmslev (1899–1965), der darunter ein unselbstständiges Sprachelement mit einer grammatischen Bedeutung verstand, welches sich mit einem Semantem (später: Plerem) verbinden muß (Hjelmslev 1928: 230; Hjelmslev 1938). Für ihn ist ein Morphem dementsprechend ein relationales Element, welches nur dann existiert, wenn ihm inhaltlich ein Semantem zugeordnet wird und auf der Ausdrucksseite ein oder mehrere Phoneme (hier: eine beliebige Lautkette) das Morphem verkörpern.4

Einen wichtigen Beitrag zur Bestimmung des Morphembegriffes und seiner Anwendung leistete im Weiteren Leonard Bloomfield (1887–1949), nicht zuletzt aufgrund seiner Bedeutung für den amerikanischen Strukturalismus und seiner daraus folgenden weltweiten Rezeption. Bloomfield zerlegt in seinem bis heute grundlegenden Werk Language (1933) die Sprache zunächst in eine Anzahl von signals, die er linguistic forms nennt, bestehend aus signaling-units, den phonemes und dem linguistic meaning der sprachlichen Form.




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Dabei unterscheidet er weiterhin bound forms (z.B. -ing) und free forms (z.B. run), vorausgesetzt es handelt sich dabei um sprachliche Einheiten mit einer constant phonetic form und einem constant meaning (Bloomfield 1984: 159–160). Ausgehend von diesen Überlegungen definiert er ein Morphem folgendermaßen:

A linguistic form which bears no partial phonetic-semantic resemblance to any other form, is a simple form or morpheme. Thus, bird, play, dance, cran-, -y, -ing are morphemes.5 Morphemes may show partial phonetic resemblances, as do, for instance, bird and burr, or even homonymy, as do pear, pair, pare, but this resemblance is purely phonetic and is not paralleled by the meanings. (Bloomfield 1984: 161)6

Das von Bloomfield hier postulierte sprachliche Element ist also in seiner phonetisch-semantischen Korrelation einmalig, weshalb ein Morphem nicht mit lautlicher Ähnlichkeit (hier: bird vs. burr) oder gar Homonymie (genauer: Homophonie, hier z.B.: pair vs. pare) verwechselt werden darf.

Nicht eindeutig positioniert sich Bloomfield in Bezug auf sein Verständnis von 'sprachlichem Zeichen', also seiner linguistic form, woraus sich entsprechende Kritik ergab (cf. z.B. Mugdan 1977: 41). Es wird ihm unterstellt, daß er die "sprachliche Form" und damit auch das Morphem nicht streng im Saussureschen Sinne als bilaterales Zeichen auffasse, sondern als eine Folge von Lauten, der eine Bedeutung zukommt. Daraus ergäbe sich der Konflikt zwischen einem Morphembegriff, der einerseits nur auf die Ausdrucksseite verweist und andererseits durch den Ausschluß von Homonymie aber durchaus als ein minimales Sprachzeichen zu verstehen sei (Mugdan 1986: 33). Die behaviouristisch inspirierte Auffassung Bloomfields sollte an dieser Stelle aber vielleicht nicht zu sehr als Gegenentwurf zum Strukturalismus Saussurescher Prägung stilisiert werden – der Zeichenbegriff scheint im Wesentlichen doch der gleiche zu sein.7

Ein größeres Feld für berechtigte Diskussionen im Bereich der morphologischen Analyse bietet vielmehr die Frage nach den Varianten. Für Bloomfield ergeben sich sogenannte Alternanten durch phonetic modification,8 die unter bestimmten Umständen auftritt, immer vorausgesetzt die Bedeutung bleibt konstant:

Strictly speaking, we should say that the morpheme in such cases has two (or, sometimes, more) different phonetic forms, such as not [nɔt] and [nt], do [duw] and [dow], duke and duch-, and that each of these alternants appears under certain conditions. In our examples, however, one of the alternants has a much wider range than the other and, accordingly, is a basic alternant. (Bloomfield 1984: 164)

Spätestens an dieser Stelle ergibt sich jedoch dann das Problem, daß ein Sprachzeichen zwar eine Inhaltsseite hat, aber dazu mehrere lautliche Ausdrucksseiten. Wo das Kriterium anzusetzen ist, welche phonetische Variation dazu berechtigt, am Ende noch von einem Morphem zu sprechen oder, ob bei starker Alternation nicht doch zwei oder mehrere Morpheme vorliegen, ist bis heute Gegenstand von Diskussionen.




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Bloomfield (1984: 168) betrachtet dabei phonetic modification als mögliche Ursache für Allomorphie, d.h. die Endungen [-z], [ ez] und [-s] (z.B. in knives, houses, cliffs) gehören aufgrund ihrer lautlichen Modifikation zu dem Morphem {Plural}. In einem Fall aber wie ox vs. oxen, wo der Plural durch [-n] angezeigt wird,9 handelt es sich um eine suppletive alternant (Bloomfield 1984: 215), und es wird nicht explizit klar, ob die suppletiven Formen direkt einem bestimmten Morphem, also einer basic alternant (hier z.B. [-s]) zugeordnet werden. Das gleiche gilt auch für die zero-alternants (z.B. Plural: sheep vs. sheep; Vergangenheit: be vs. was, go vs. went).

Ausgehend von dem Problem, daß mitunter Wörter aufgrund ihrer völlig divergierenden Lautfolgen verschiedenen Morphemen zugeordnet werden müssen, obwohl sie grammatisch zusammengehören, postuliert Zellig Harris (1909–1992) in einer Modifizierung der Bloomfieldschen Terminologie morpheme units und morpheme alternants. Dabei funktioniert seine morphologische Analyse – bei ihm vor allem anhand des Hebräischen – zunächst wie bei Bloomfield:

We divide each expression in the given language into the smallest sequences of phonemes which have what we consider the same meaning when they occur in other expressions, or which are left over when all other parts of the expression have been divided off. This is identical with the criterion of §1.0.10 The resultant minimum parts we call not morphemes, but MORPHEME ALTERNANTS. (Harris 1942: 170)

Das Kriterium der lautlichen Ähnlichkeit zwischen den Alternanten, wie es Bloomfield annimmt, wird im Weiteren dann fallengelassen, zugunsten eines grammatischen Zusammenhaltes bei gleichbleibender Bedeutung/Funktion:

From the list of morpheme alternants which results from the preceding step, we take any two or more alternants which have what we consider the same meaning (but different phonemes) and no one of which ever occurs in the same environment as the others. The two or more alternants which meet these conditions are grouped together into a single MORPHEME UNIT: am, which occurs only in phrases with I, and are, which never occurs with I, are put into one morpheme unit. (Harris 1942: 171)

Ergänzt wird dieses Verfahren durch den Hinweis, daß es natürlich auch sein kann, daß man zu einer Lautfolge keine Alternanten findet (wie z.B. bei walk oder rain), weshalb diese dann als eine morpheme unit für sich klassifiziert werden.

Auf diese nun noch weiter konkretisierte Unterscheidung der morphologischen Variation von Harris baut nun der 1947 von Charles Hockett (1916–2000) eingeführte Begriff des 'Morphs' auf. Auch er operationalisiert seine Begrifflichkeit anhand eines konkreten morphologischen Analyseverfahrens:




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The utterances of a language are examined. Recurrent partials with constant meaning (ran away in John ran away and Bill ran away) are discovered; recurrent partials not composed of smaller ones (-way) are alternants or morphs. (Hockett 1947: 322)

An dieser Stelle verweist Hockett in einer Fußnote (FN 7) auf die Vorteile des Begriffes 'Morph' im Verhältnis zu dem bisher gebräuchlichen 'Morphem Alternante', denn neben der Kürze des Ausdruckes, der zugleich auch das von Harris entworfene morpheme unit überflüssig macht, evoziert das neue Begriffspaar morph vs. morpheme die Analogie zu (allo)phone vs. phoneme. Mit diesem scheinbar so nebensächlichen Verweis auf die Situation in der Lautlehre öffnet Hockett jedoch in gewisser Weise die wissenschaftliche Büchse der Pandora (cf. infra).

Zunächst soll aber die von ihm vorgeschlagene Definition im Zuge der morphologischen Spracherfassung näher beleuchtet werden:

By definition, a morph has the same phonemic shape in all its occurrences. Because we operate with whole utterances, morphs are not always composed of continuous uninterrupted stretches of phonemes, but they are always composed of phonemes. Every utterance is entirely composed of morphs. [...]

Two or more morphs are grouped into a single MORPHEME if they (a) have the same meaning; (b) never occur in identical environments, and (c) have combined environments no greater than the environments of some single alternant in the language, e.g. -en in oxen, /z/ in cows, and various others, all meaning 'noun plural', with combined environments, or RANGE, paralleling the range of zero with meaning 'noun singular'. (Hockett 1947: 322)

Im Gegensatz zum Morphem ist das Morph also in seiner Lautung unveränderlich. Es ist eine minimale, nicht weiter zerlegbare Einheit der Sprache mit der Charakteristik, daß sie rekurrent ist und unabhängig von ihrer Umgebung die gleiche Bedeutung aufweist. Voraussetzung für die Zuordnung eines bzw. mehrerer Morphe zu einem Morphem ist die Bedeutungsgleichheit und die (je) nicht identische Distribution in der Sprache.

Neben der etwas großzügigen Beschreibung der Distributionsbedingungen ("combined environments no greater than the environments of some single alternants") ergeben sich Probleme vor allem auch aus der Postulierung von empty morphs und der Möglichkeit Morphe verschiedenen Morphemen zuzuordnen (cf. dazu Hockett 1947: 342).11

In einer Aufarbeitung und Weiterentwicklung der vorhergehenden Konzepte führt schließlich Nida (1948) den Begriff des 'Allomorphs' ein, um morphologische Alternanten zu beschreiben, die einem Morphem zuzuordnen sind:




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Morphemic alternants can conveniently be called allomorphs. Accordingly, allomorphs are related to morphemes as allophones are related to phonemes. In the process of analyzing a language there might be occasion to use the term morph to designate a structural unit which had not as yet been assigned to any morpheme; but in the description of a language (as distinct from the procedure of analyzing it) every structural element except features of arrangement is either a morpheme or part of a morpheme. Hence every element is also an allomorph or part of an allomorph. (Nida 1948: 420, FN 13)

Diese begriffliche Neupositionierung, mit der wir die heute noch gängige strukturalistische Trias 'Morphem – Morph – Allomorph' haben, sieht Nida aber offensichtlich nicht als zentrales Element seiner Analyse, da die diesbezüglichen Ausführungen nur in einer Fußnote vorgenommen werden. Nichtsdestoweniger werden hier zwei für uns heute noch zentrale Aspekte angesprochen: Zum Einen wird die Parallele zur Lautlehre, deren Begrifflichkeit ('Phonem' – 'Allophon') und auch explizit zu deren konzeptionellem Verhältnis gezogen (allomorphes are related to morphemes as allophones are related to phonemes), zum Anderen werden die beiden Aspekte des Morphs beschrieben: In der Sprachanalyse ist das Morph als vorklassifikatorische Einheit zu verstehen (a structural unit which had not yet been assigned to any morpheme), solange es noch nicht definitiv einem Morphem zugeordnet werden kann bzw. als solches erkannt wird; in der Sprachbeschreibung (sozusagen aus der ex-post Perspektive) ist jedes structural element ein Morphem, welches wiederum aus mindestens einem Allomorph (also einem Morph) besteht. Dieses janusköpfige Verständnis von Morph ist dem des Phons entlehnt, mit der zusätzlichen Problematik, daß diese Sichtweise in der Lautlehre noch funktionieren kann, in der Morphologie aber die physischen Realitäten zu einer vorklassifikatorischen Sicht fehlen (cf. infra).



3 Verankerungen und Rezeption des 'Morphs' in der aktuellen Literatur


3.1 Die Verwendungsweise von 'Morph' und 'Morphem' in Einführungsbüchern und Nachschlagewerken

Anhand einer Auswahl an einschlägigen Monographien zur Einführung in die romanistische Sprachwissenschaft sowie weiteren Handbüchern und Nachschlagewerken, auch germanistischer Provenienz,12 soll versucht werden, die verschiedenen Arten der Verwendungsweise der morphologischen Grundbegriffe herauszufiltern.

Die Wahl, hier auf einschlägige Einführungswerke und gängige Handbücher zu rekurrieren, ist keine solution de facilité, sondern dezidierter Teil der Analyse. Gerade diese Werke neben Spezialliteratur zur Morphologie ausführlich abzuhandeln, ist deshalb legitim und wichtig, weil sie den höchsten Verbreitungsgrad haben und damit ganz wesentlich die Grundlage für die Weitergabe bestimmter Auffassungen im universitären Betrieb legen. Da es sich bei 'Morph' und 'Morphem' inzwischen ganz unzweifelhaft um Begriffe handelt, die jenseits einer einzelnen Theorie gebraucht werden, finden sie in zahlreichen Publikationen zu den verschiedensten linguistischen Aspekten Verwendung, und zwar in der Regel ohne, dass dabei verständlicherweise jedesmal eine begriffliche Grundsatzdiskussion geführt oder eine entsprechende Definition geliefert wird. Die einführenden Überblickswerke und Handbücher sind letztlich Spiegel einer impliziten communis opinio, auf die man gängigerweise zurückgreift, entweder explizit oder im Bewußtsein Begriffe im dort wiedergegeben allgemeinen Verständnis zu gebrauchen, und genau deshalb ist es notwendig, dort die Verwendung der hier zur Disposition stehenden Begriffe in den Fokus der Untersuchung zu stellen.




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Bei der Durchsicht der Einführungswerke, Handbücher und Nachschlagewerke kann nun vorab bereits Folgendes konstatiert werden:

In dem Bestreben, Terminologisches auf den Punkt zu bringen, kommen die Autoren der Morphologie-Kapitel der romanistischen und germanistischen Einführungs-, Handbücher und Nachschlagewerke nicht umhin, die schon bei Courtenay, Bloomfield und Hockett angelegten Widersprüche bei der Verwendung der Begriffe Morphem und Morph deutlich zu Tage treten zu lassen.

3.1.1 konkret vs. abstrakt, parole vs. langue

In der Nachfolge Hocketts, der als "valid analogy" die Entsprechung "(allo)phone : phoneme = morph : morpheme" (1947: 322) einführte, wird das Morph in sehr vielen Überblicksdarstellungen zur Morphologie als konkret, das Morphem als abstrakt bezeichnet, wobei manche Autoren in diesem Zusammenhang zusätzlich auf die Dichotomie langue und parole zurückgreifen. So schreiben Gabriel/Meisenburg (2007: 151) in ihrer Romanische[n] Sprachwissenschaft:

Die in konkreten grammatischen Wörtern, also auf der Ebene der Performanz oder parole vorkommenden kleinsten bedeutungstragenden Einheiten bezeichnet man als Morphe (Singular: Morph). Auf der Ebene der Kompetenz oder langue lassen sich all die Morphe, die dieselbe Bedeutung bzw. Funktion tragen, wiederum zu einer Einheit zusammenfassen, durch die sie im Sprachsystem repräsentiert werden. Diese abstrakten zugrundeliegenden Einheiten nennt man Morpheme. (Hervorhebungen im Original)

Als Beispiel führen Gabriel/Meisenburg das Morphem {ten-} an, das den Stammformen der Verben frz. tenir, ital. tenere, sp. tener zugrunde liege.

Auch Anja Platz-Schliebs, Katrin Schmitz, Natascha Müller und Emilia Merino Claros bezeichnen das Morphem in ihrer Einführung in die Romanische Sprachwissenschaft als eine "abstraktere Einheit auf der langue-Ebene. […] eine Menge von Morphen, die die gleiche Bedeutung und die gleiche grammatische Funktion haben." (Platz-Schliebs/Schmitz/Müller/Merino Claros 2012: 93) Daß die Anzahl der Elemente dieser Menge auch 1 sein kann, wird in dieser Definition allerdings nicht präzisiert.

Einige Verfasser von Morphologie-Kapiteln in Einführungs- und Handbüchern, die sich dafür entscheiden, das Morph zu erwähnen (was nicht immer der Fall ist, cf. infra), rekurrieren auf die Unterscheidung 'konkret' (Morph) vs. 'abstrakt' (Morphem), vermeiden es jedoch in ihren Erklärungen, die Dichotomie langue parole ins Spiel zu bringen. Auf diese Weise verfahren Martin Glessgen (22012: 195)13 in seiner Linguistique romane, Pöckl/Rainer/Pöll (32003) in ihrer Einführung in die romanische Sprachwissenschaft und Nikolaus Schpak-Dolt (32010) in seiner Einführung in die französische (respektive spanische) Morphologie.14




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3.1.2 Das Morph als kleinstes sprachliches Zeichen

Sowohl das Morph als auch das Morphem werden z.B. bei Gabriel/Meisenburg als "kleinste bedeutungstragende Einheit" (2007: 151) benannt, einmal auf der parole-Ebene, einmal auf der Ebene des Sprachsystems. Auf die Frage nach der kleinsten bedeutungstragenden Einheit geben Pöckl/Rainer/Pöll (32003: 108) in ihrer Einführung in die romanische Sprachwissenschaft eine sehr salomonische Antwort:

Die kleinsten bedeutungstragenden Einheiten […] Elemente wie Haus, -es (Genitiv), -lich usw. heißen in der Linguistik gewöhnlich Morpheme. Manchmal werden sie auch als Morphe bezeichnet, um den Begriff Morphem für eine Klasse von bedeutungs- bzw. funktionsgleichen Morphen zu reservieren. (Hervorhebungen im Original)

Zur Illustration nennen sie das Morphem {Plural} im Deutschen mit seinen zahlreichen Realisierungsvarianten bzw. Morphen bzw. Allomorphen, wie z.B. -er (vgl. Häus-er), -e (vgl. Berg-e), -n (vgl. Hase-n).

Für Nikolaus Schpak-Dolt (32010) ist in seiner Einführung in die französische Morphologie die kleinste bedeutungstragende Einheit ganz klar das Morph. Seiner Meinung nach wird in der Literatur oft von Morphem gesprochen, wo es eigentlich Morph heißen müsste, was er folgendermaßen rechtfertigt: "Wenn eine Unterscheidung vollkommen klar ist, darf man sie ruhig etwas nachlässig handhaben." (Schpak-Dolt 32010: 24) Er definiert das Morph so, wie Bloomfield (1933) das Morphem definierte, nämlich als "eine minimale sprachliche Form, d.h. eine Form, die nicht vollständig in kleinere sprachliche Formen zerlegt werden kann" (Schpak-Dolt ³2010: 5). Unter sprachlichen Formen versteht er Phonem- bzw. Graphemfolgen mit einer Bedeutung bzw. grammatischen Funktion (³2010: 7), und das Morphem versteht er als eine "abstraktere Einheit als das Morph; es ist eine Menge von Morphen, die unter einem bestimmten Gesichtspunkt besonders eng zusammengehören."15 (Schpak-Dolt ³2010: 9) So gehören die Morphe /sε-/, /sav-/, /so-/, /saʃ-/ und /s-/ zum gleichen Morphem {/sav-/}; sie sind Allomorphe des gleichen Morphems oder Varianten des gleichen Morphems.

Auch Andreas Michel (2011: 122) in seiner Einführung in die italienische Sprachwissenschaft und Platz-Schliebs/Schmitz/Müller/Merino Claros (2012: 92) in ihrer Einführung in die Romanische Sprachwissenschaft behalten die Definition "kleinste bedeutungstragende Einheit" dem Morph als tatsächlicher Verbindung von signifié und signifiant vor.16

3.1.3 Das Morphem als kleinstes sprachliches Zeichen

In den Darstellungen, die zwischen Morphem und Morph unterscheiden, hat das Morphem nicht nur eine Formseite. Um aber die Formseite des Morphems dennoch benennen zu können, "ist es im Prinzip unerheblich, welches Morph für die Repräsentation des entsprechenden Morphems genutzt wird" (Gabriel/Meisenburg 2007: 151).




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So werden zum Teil sehr unterschiedliche Formseiten (z.B. ital. decentralizzare, decolorare, discolorare, disgusto, disunire, scolorare, sgradevole, sfiducia) zu einem Morphem zusammengefasst, welches dann entweder nur mit seiner Funktion beschrieben wird (z.B. {privativ}) oder zusätzlich noch mit einem aus der Fülle der Morphe ausgewählten, repräsentativen Morph – meist das frequenteste, was aber nicht immer leicht zu bestimmen ist (z.B. {de, privativ}). Somit werden als Morpheme Abstraktion auf der (hauptsächlich grammatischen) Inhaltsseite beschrieben, die auf der Formseite keine Einheit bilden und also keine bilateralen sprachlichen Zeichen im engeren Sinne sind. Dennoch wird im gleichen Atemzug das Morphem als "kleinste bedeutungstragende Einheit" im Sprachsystem bezeichnet (z.B. Wesch 2001: 62, Gabriel/Meisenburg 2007: 151, Geckeler/Dietrich 42007: 82, Flohr/Pfingsten 22009: 119) sowie in den Lexika von Bußmann (42008: 453), Glück (42010: 441f.) und Lewandowski (51994 II: 726)).17 So schreibt auch Gaudino Fallegger (1998) in ihrem Grundkurs Sprachwissenschaft Französisch:

Ein Morphem wird demzufolge als das kleinste bedeutungstragende Zeichen einer Sprache verstanden […]. Morpheme stellen die Synthese eines signifiant und eines signifié dar. (Gaudino Fallegger 1998: 131, Hervorhebungen im Original)

Als Beispiel für Morpheme führt sie dabei hoch abstrakte Kategorien an wie {passé simple} und {2e personne verbale, plurielle}, bei denen man sich fragen kann, welchen Nutzen der Morphembegriff bei solchen grammatischen Kategorien erbringt. (Gaudino Falleger 1998: 132)

Die Definition "kleinstes sprachliches Zeichen" für Morphem findet sich auch in Achim Steins (³2010: 29) und Monika Sokols (²2007: 101) Einführungsbüchern,18 die sich dafür entschieden haben, das Morph gänzlich unerwähnt zu lassen. Glessgen (22007: 195) formuliert vorsichtig zu Morphem: "unité abstraite qui reflète la plus petite unité de son porteuse de signification dans une langue".

3.1.4 Segmentiert vs. klassifiziert

Ebenfalls in der Tradition der viel bemühten Analogie Phon ̵ Morph heben einige Autoren von Einführungs- oder Überblicksliteratur auf die Unterscheidung Morph als (vorklassifikatorische) segmentierte Einheit und Morphem als klassifizierte Einheit ab. So formulieren Geckeler/Dietrich (42007: 84) in ihrer Einführung in die französische Sprachwissenschaft: "Noch nicht einem Morphem oder Lexem zugeordnete Segmente nennt man Morphe (frz. morphes)" (Hervorhebungen im Original).19

Kabatek/Pusch (2009) erklären in ihrer Einführung Spanische Sprachwissenschaft, wie sich spanische Tapas blitzschnell von Morphen in Morpheme verwandeln folgendermaßen:




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Tapa ist nach dem Alltagsverständnis ein Wort: nach strukturalistischem Verständnis ist es eine komplexe, aus mehreren Lauten aufgebaute Einheit und damit ein Morph, das heißt: ein Kandidat für ein Morphem, wenn ihm im System der Sprache (auf der Ebene der langue, […]) eine Funktion zugewiesen werden kann. Im Fall von tapa besteht die Funktion darin, auf ein Objekt […] in der Realität zu verweisen, nämlich auf die erwähnten imbissartigen Speisen. Tapa ist damit ein Morph, das referentielle Funktion hat […] und Bestandteil des inhaltsvermittelnden Wortschatzes der spanischen Sprache ist. Wenn man das erkannt hat, dann hat man tapa bereits als lexikalisches Morphem klassifiziert. (Kabatek/Pusch 2009: 77)

Doch wo liegt der Unterschied zwischen dem Segmentierungs- und dem Klassifizierungsvorgang, wenn man, um segmentieren zu können, doch auf die Bedeutung zurückgreifen muß? Eine grundlegende Differenzierung 'Morph vs. Morphem' läßt sich auf diese Weise bei lexikalischen Morphemen nicht begründen und ist allerhöchstens, wenn überhaupt, bei sogenannten Formativen (Wortbildungsaffixen, Flexionsendungen) oder Fugenelementen, bei grammatischen, gebundenen Morphemen, also bei dem, was Martinet (1960: §1.9) als 'Morpheme' bezeichnet hat, nachvollziehbar.

Horst Flohr und Friederike Pfingsten betonen im von Horst G. Müller (22009) herausgegebenen Arbeitsbuch Linguistik ebenfalls stark den Aspekt, daß beim Segmentieren der Morphe durch Minimalpaaranalysen die Bedeutung oder funktionalen Eigenschaften der gefundenen Segmente noch unberücksichtigt gelassen werden. Entsprechend bezeichnen sie Morphe als "erstes Zwischenergebnis der morphologischen Analyse" (Flohr/Pfingsten 22009: 120). Im nächsten Satz definieren sie jedoch das Morph als "eine minimale lautliche oder graphemische Sequenz auf der Ausdrucksseite von Sprache, der eine selbstständige Bedeutung zugeschrieben werden kann. Jedes Morph ist die formale Realisierung mindestens eines Morphems, wobei es zunächst jedoch lediglich als segmentale Einheit identifiziert worden ist […] ". (Flohr/Pfingsten 22009: 120)

Man fragt sich bei diesen Definitionen, wie ein Segment als Segment und als bedeutungstragend erkannt werden kann, ohne es beim Segmentierungsvorgang und dem ihm zugrundeliegenden Verstehensprozess bereits klassifiziert zu haben. Die Unterscheidung Morph vs. Morphem erscheint hier nurmehr als theoretisches Konstrukt.

Im Lexikon der Sprachwissenschaft von Hadumod Bußmann (42008) liest man unter dem Lemma Morph: "Kleinstes bedeutungstragendes lautliches Segment einer Äußerung auf der Ebene der Parole, das noch nicht als Repräsentant eines bestimmten Morphems (auf der Ebene der Langue) klassifiziert ist." (Hervorhebung von uns) Parallel zum Phon wird in dieser Definition das Morph auf lautliche Segmente der parole-Ebene eingeschränkt.20

3.1.5 Morph – Morphem – Plerem

Nur über die Ausdrucksseite definiert Mugdan (1977) das Morph in seiner Untersuchung Flexionsmorphologie und Psycholinguistik, wobei diese Überlegungen dann auch in die Einführung in die Morphologie von Bergenholtz/Mugdan (1979) eingehen.




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Als Beispiel liefert er die homonymen "Minimalzeichen" /zi: / – 'PersPron+3Pers+Plur' (vgl. sie sagen), /zi: / – 'PersPron+3Pers+Sing+fem' (vgl. sie geht) und /zi: / – 'SEH+Imp+Sing' (vgl. sieh mal). Diese homonymen Minimalzeichen "bilden (evtl. mit weiteren Zeichen) ein Morph, das durch den gemeinsamen Ausdruck /zi: / bestimmt ist und als {/zi: /} geschrieben werden soll." (Mugdan 1977: 30)

Ein Morph ist eine Menge von Minimalzeichen mit bestimmtem Ausdruck und beliebigem Inhalt. Nicht jede beliebige Kette von Ausdruckssegmenten definiert aber ein Morph, sondern nur eine solche Kette [...], die als Ausdruck mindestens eines Minimalzeichens auftritt. (Mugdan 1977: 31, Unterstreichung im Original)

Gleichzeitig stellt Mugdan aber fest, daß das Morph keine Einheit der Ausdruckseite der Sprache sei, da ein Morph {A} nur dann ein Morph sei, wenn es die Ausdrucksseite eines Minimalzeichens sei – so ist z.B. sie- in sieben kein Morph, weil dieses sie- nicht Ausdruck eines Minimalzeichens sei. Morpheme sind für Mugdan (1977: 31) durch Gleichheit des Inhalts definiert. Als Beispiel wird fürs Englische das Morphem {Plural} angeführt:

Im Englischen sind die Minimalzeichen /s/-'Plur', /z/-'Plur' und /iz/-'Plur' (wie in /kat-s/ […], /dog-z/ […], /hors-iz/) […] synonym. Sie bilden (mit einigen weiteren Zeichen) ein Morphem, das durch den gemeinsamen Inhalt 'Plur' bestimmt ist und als {'Plur'} geschrieben werden soll. (Mugdan 1977: 30)

Das Morphem sei aber keine Einheit der Inhaltsseite der Sprache, da das Morphem nicht ohne ihm zugeordnete Ausdrucksseiten existiert. Das, was gängigerweise als 'Morphem' bezeichnet wird, ein sprachliches 'Minimalzeichen', benennen Bergenholtz/Mugdan (1979: 56) – in Anlehnung an die Terminologie Hjelmslevs – als 'Plerem'; unter einem sprachlichen Minimalzeichen oder Plerem verstehen sie die Verbindung aus einem Ausdruck und einem Inhalt. Konsequenterweise ist für Bergenholtz und Mugdan z.B. das Pluralmorphem im Deutschen kein sprachliches Zeichen, da es keine Einheit aus einem Ausdruck und einem Inhalt ist. (Bergenholtz/Mugdan 1979: 56)

3.1.6 Morphologie ohne Morph

Wie man sieht, wird das Begriffspaar 'Morph – Morphem' in den zahlreichen Einführungs- und Handbüchern sehr unterschiedlich definiert und gehandhabt, wobei sich vor allem der Begriff 'Morph' als sperrig erweist. Interessanterweise verzichten nicht wenige Handbücher ganz darauf, das Morph zu erwähnen. Sie behandeln in ihren Kapiteln zur Morphologie nur das Morphem (und eventuell das Allomorph).21




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Auch im Handbuch Französisch herausgegeben von Kolboom/Kotschi/Reichel (22008) kommt das Morph nicht vor, genausowenig taucht der Begriff des Morphems in den Artikeln zum Wortschatz des Französischen auf und wird anscheinend zur Beschreibung des Wortschatzes nicht gebraucht. Sogar Nikolaus Schpak-Dolt verzichtet im Handbuch Französisch in seiner Überblicksdarstellung Grundprinzipien der französischen Wortbildung ganz auf die Begriffe 'Morph' und 'Morphem' und spricht nur von Präfixen, Suffixen, Wortstämmen und von lauthistorisch, gelehrt-volkstümlich, phonologisch oder orthographisch bedingter Alternation (Schpak-Dolt 22008: 228–235).

Keinerlei Rolle spielt das Morph ebenfalls im Französisch-Band des Lexikon der Romanistischen Linguistik, das bezeichnenderweise kein eigenes Kapitel zur Morphologie aufweist, sondern Artikel zur Wortbildungslehre, zur Flexionslehre, zur Lexikologie, zur Syntax und zur Morphosyntax. Der Autor des Morphosyntax-Artikels, Quirinus Ignatius Maria Mok, definiert Morphosyntax als "l’étude des caractéristiques systématiques formelles du mot auxquelles correspond, non pas un aspect sémantique, mais une valeur syntaxique." (Mok 2010: 113)

Schon in dem Kompositum 'Morphosyntax' drückt sich die Sichtweise aus, daß die Analyse der Morpheme nicht ohne Rückgriff auf ihre syntagmatische Umgebung und ihre syntaktische Rolle betrieben werden kann. In dieser Herangehensweise existiert das Morphem nur in einer konkreten Umgebung als eine tatsächliche Form; das Morph erscheint aus dieser Perspektive logischerweise überflüssig.


3.2 'Morph' und 'Morphem' in rezenteren Strömungen der Sprachwissenschaft

Nach diesem kurzen Streifzug durch die Einführungswerke und Handbücher, die nicht unwesentlich die herrschende Lehrmeinung widerspiegeln und zur Verbreitung derselben beitragen, soll nun im Folgenden ergänzend ein Blick auf die Spezialliteratur zur Morphologie bzw. Morphosyntax geworfen werden. Hierbei seien exemplarisch nur einige wenige Strömungen der aktuellen Sprachwissenschaft herausgegriffen, um einen kurzen Einblick in die Behandlung des Morphs (und des Morphems) im Rahmen dieser Theorien zu liefern.22

3.2.1 Das Morphem in der Construction Grammar

Die Idee eines untrennbaren Kontinuums, die sich in dem Begriff 'Morphosyntax' spiegelt, ist auch die Sichtweise der zur Zeit viel betriebenen Construction Grammar, wobei die Morphologie nicht zu den zentralen Beschäftigungen dieser kognitiv-linguistisch geprägten und in sich uneinheitlichen Strömung steht. Die CxG setzt sich hauptsächlich mit Argumentstrukturen und Idiomen auseinander.




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In der CxG wird Sprache als ein Geflecht von Konstruktionen gesehen, die sich nur in ihrer Komplexität unterscheiden. Wortschatz und Grammatik sind laut der CxG im Kopf der Sprecher keine getrennten Module, keine getrennten Bereiche, sondern bilden ein Kontinuum an constructions, an immer komplexer werdenden sprachlichen Zeichen. Grammatik wird definiert als "an inventory of form-meaning-function complexes, in which words are distinguished from grammatical constructions only with regard to their internal complexity" (Michaelis/Lambrecht 1996: 216, zitiert nach Booij 2013: 255)

Goldberg (2006: 5) bezeichnet das morpheme als kleinste Erscheinungsform einer construction, also eines form-meaning oder form-function pairings, geht aber an keiner Stelle genauer auf eine Definition des Morphems ein. Symptomatisch ist wohl, daß die konstruktionsgrammatische Literatur (zur Morphologie), nicht die Notwendigkeit des Rückgriffs auf den Begriff des Morphs verspürt. In der CxG kommt das Morph im Prinzip nicht vor, allein bei Booij (²2007: 31) wird es kurz definiert ("A morph is a particular phonological form of a morpheme"), allerdings nicht wie das Morphem unter basic notions (Booij ²2007: 8f.), sondern im Rahmen der Grundlagen zur morphologischen Analyse, ohne daß es dann jedoch weitere Anwendung findet.

Es kommt wohl deswegen nicht vor, weil der Unterscheidung Morph vs. Morphem prinzipiell die auf die Tradition der generativen Grammatik zurückgehende Auffassung zugrunde liegt, daß es in einer Tiefenstruktur eine abstrakte Basisform (das Morphem) gibt, von der andere, konkrete Formen (Morphe) abgeleitet sind (cf. supra, die Formulierung von Gabriel/Meisenburg (2007: 151) über das Morphem als abstrakte zugrundeliegende Einheit). Dies entspricht mehr oder minder der Vorstellung, daß Morphe an der Oberfläche erscheinen, nachdem sie phonetische oder suppletive Transformationsprozesse durchlaufen haben, die sie an die Oberfläche anpassen. Für die CxG gibt es jedoch keine Transformationsprozesse, keine abgeleiteten Formen: "A 'what you see is what you get' approach to syntactic form is adopted: no underlying levels of syntax or any phonologically empty elements are posited." (Goldberg 2011: 31)

3.2.2 A-morphous Morphology

In seinem Konzept der A-morphous Morphology möchte Anderson (1992) – im Gefolge von Aronoff (1976, 1994) – Morphologie ohne Morph und Morphem betreiben. Seiner Meinung nach sind Wörter nicht als Verkettungen von Morphemen erfassbar. Morphologie solle vielmehr Relationen zwischen Wörtern beschreiben.

[…] 'a-morphous' […] emphasizes the notion of morphology as the study of relations between words, rather than as the study of discrete minimal signs that can be combined to form complex words, it is literally a morphological theory that dispenses with morphemes. It is thus not a theory without form, but rather one without morphs. (Anderson 1992: 1)




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In der Sicht Andersons kann es eine linguistische Einheit wie 'Morphem' nicht leisten, so unterschiedlichen Prozessen wie Derivation, Komposition, Flexion oder Klitisierung gerecht zu werden. (Anderson 1992: 399f.)

Der klassische Morphembegriff à la Bloomfield gehe laut Anderson davon aus, daß man Wörter und sprachliche Äußerungen als lineare Verkettung von Morphemen analysieren kann. Dies ist aber laut Anderson nicht möglich. So seien folgende Beispiele nicht erschöpfend als Verkettungen von Morphemen (minimal same of form and meaning) analysierbar (cf. Anderson 1992: 49–56): Phonästheme (phonæsthemes): glimmer, glitter, gleam, glow (Annahme eines Morphems gl- ?); deceive, receive; refer, defer (Bestandteile haben keine konsistenten Inhalt); keine lineare Verkettung bei Zirkumfixen, Infixen, Subtraktion, Metathese; leere Morphe: crime, criminal, sense/sensuous; überflüssige Morphe: doucement, strengthen; Nullmorph (zero morph): deer (Pl.), Portemanteau-Morpheme: au, du; Apophonie (Umlaut, Ablaut, Alternation): sing, sang, sung, song; woman, women; speak, speech.

Daher plädiert Anderson für eine relationale Auffassung von Morphologie, die sprachspezifische Wortbildungsregeln und Beziehungen zwischen Wörtern beschreibt.

There is no natural way to treat the added element of meaning in the derived forms as the result of an additional morpheme of the classical sort. […] The conclusion must be that morphology involves relations between forms, not simply the concatenation of primitive units of sound and meaning. (Anderson 22006: 201)

Dabei geht er von einer mehrschichtigen Beziehung zwischen den einzelnen formalen und semantischen Bestandteilen eines Wortes aus (many-to-many relation), anstatt von der in der traditionellen strukturalistischen Auffassung üblichen Eins-zu-eins-Relation zwischen Inhalt und Ausdruck. Dies illustriert er an dem isländischen Verb hafðir '(du) hattest', bei dem die Lautfolge haf- den lexikalischen Kern ('haben') repräsentiert, das a aber gleichzeitig Indikator für den Indikativ ist sowie mit dem ð und dem i das Präteritum signalisiert. Der Singular wiederum ist durch ir erkennbar, die zweite Person durch das r. Eine traditionelle lineare Analyse (one-to-one) muß hier scheitern, wohingegen die wortbasierte Analyse Mehrfachbeziehungen im Sinne einer morphosyntaktischen Modifizierung eines lexikalischen Wortstammes (basic stem) zuläßt. (Anderson 22006: 198f.)

Unzweifelhaft ist die Kritik an der strukturalistischen Analyse von Einzelelementen insofern berechtigt, als diese die Grenzen einer sinnvollen Aufschlüsselung überschreiten kann (z.B. glimmer) und gewisse Segmentierungen nicht mehr schlüssig zu erklären vermag (z.B. refer). Durch die radikale Ablehnung des Morphems,23 nicht nur des Morphes, gerät Anderson allerdings in Schwierigkeiten, existierende Einheiten unterhalb der Wortebene zu bestimmen; allein diese als components zu charakterisieren bleibt zu vage.




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3.2.3 Paradigm Function Morphology

Eine weitere jüngere Richtung in der Morphologie ist die Paradigm Function Morphology (PFM) nach Stump (2001), die zunächst ganz traditionell auf roots, stems und words als den drei grundlegenden morphologischen Einheiten rekurriert.

Morphological expressions are of three types: roots, stems, and words. A lexeme's ROOT is its ultimate default form, devoid of any overt inflectional making and therefore potentially a bound expression. The syntactically free forms occupying the cells of a lexeme’s paradigm are WORDS. [...] A STEM is any expression to which inflectional exponents may potentially be added. Thus, all roots qualify as stems, but not all stems qualify as roots; the perfect stem dūk-s- of Latin DŪCERE 'lead', for example, is not a root. I assume that every lexeme has a single root, but may have a multitude of distinct stems. (Stump 2001: 33)

Anstatt jedoch verschiedene Flexionsendungen bestimmten Morphemen mit einer definierten grammatischen Funktion zuzuordnen, werden Paradigmen postuliert (z.B. Numerus, Kasus, Genus) die dann durch eine paradigm function (PF) der Wurzel eines Lexems attribuiert werden. Diese Paradigmenfunktion wiederum determiniert die notwendigen formalen Änderungen, und zwar indem im Rahmen dieser function wiederum spezifische Realisierungsregeln (realization rules) angewendet werden. Wendet man beispielsweise die Paradigmenfunktion für das Deutsche auf die Paarung (form/property-set pairing (FPSP))24 Mutter-, {'Dativ', 'Plural'}> an, dann wird durch zwei Realisierungsregeln, nämlich einer, die den Wortstamm Mütter- selegiert (Plural) und einer, die das Deklinationssuffix -n selegiert, die adäquate Form Müttern erstellt. (Stump 2001: 32–34)

Bei komplexen Flexionssprachen werden generell meist mehrere realization rules zur Anwendung kommen. So sind für das frz. chanterions (chant-er-i-ons) drei aufeinander abgestimmten Regeln nötig, die formal Material aus verschiedenen Blöcken (blocks) aktivieren (z.B. aus dem Block 'Plural' Formen wie -ez, ons, etc.). (Stump ²2006: 172)

Die Grundeinheit der Betrachtung ist in dieser Theorie das Wort,25 welches durch morphological markings ergänzt bzw. modifiziert wird, das Morphem als Einheit wird zurückgewiesen, das Morph erst gar nicht diskutiert.

Die Idee grammatische Zusammenhänge an bestimmte Paradigmen zu knüpfen, umgeht die strukturalistische Problematik mehr oder weniger großer lautlicher Ähnlichkeit und Ersetzungsformen unter ein Konzept zu bringen und Formen wie dt. Bücher sind entsprechend womöglich widerspruchsfreier zu erklären.




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Allerdings wird dadurch auch, wie (Schwarze 2011: 59) zurecht anmerkt, darauf verzichtet zu verstehen, was innerhalb der Wortformen passiert, deren Zusammensetzung auch zur Erklärung von Sprachwandel und den damit verbundenen formal-funktionalen Änderungen nicht unerheblich ist.

Zudem stellt sich die Frage, ob diese in erster Linie für flektierende Sprachen konzipierte Art der morphologischen Bestimmung auch außerhalb der flektierenden Sprachen Anwendung finden könnte.26


4 Kritische Betrachtung des Morphs in Abhängigkeit von Morphem und Wort

Der Überblick über die verschiedenen Definitionen und Konzepte, die mit Hilfe oder mitunter auch unter Ausschluß des Begriffspaares 'Morph – Morphem' die morphologische Vielfalt der uns als Wörter entgegentretenden Äußerungseinheiten zu erklären suchen, zeigen deutlich, wie schwer es ist, eine gleichzeitig linguistisch systematische und der Sprach- und Sprecherrealität nahekommende Darstellung zu finden.

Der Ansatzpunkt einer kritischen Hinterfragung des 'Morph'-Begriffs und seines Verständnisses im Zusammenhang mit einer morphologischen Analyse muß bereits in dessen Entstehung im Strukturalismus amerikanischer Prägung gesucht werden. Während Bloomfield (1933) dem Problem der lautlichen-formalen Variation in letzter Konsequenz noch geschickt ausweicht (alternants, suppletion),27 schlagen seine Nachfolger (Harris, Nida, Hockett) den zwar verdienstvollen Weg der weiterführenden Systematisierung ein, werden aber – dessen sie auch mitunter selbst gewahr werden – in so manchem Beispielfall Opfer ihres eigenen Systemzwanges. Dies führt im Folgenden dann zu morphologischen Analysen, die eine lineare Komposition von einzelnen Elementen (Morphen bzw. Allomorphe, Morphemen) postulieren, die durch keine oder nur eine vage Verankerung im Sprecherbewußtsein gedeckt sind. Dies ist aus einer die Kognition des Sprachbenutzers ausklammernden, behaviouristischen Sicht wohl zulässig und konsequent, aber im Zuge einer die gesamte Sprachrealität erfassenden, sprachwissenschaftlichen Analyse sicherlich defizitär.

Ein grundlegendes Problem liegt zweifellos in der strukturalistisch konsequent gedachten Parallelisierung von 'Phon vs. Phonem' – 'Morph vs. Morphem' in der ersten Morph-Definition von Hockett (1947: 322 cf. supra). Das Morph als vorklassifikatorische Einheit (analog zu Phon) ist äußerst fraglich, systematisch zwar denkbar, aber ohne tatsächlichen Nutzen in der Analyse. Im Gegensatz zum Phon, welches als noch nicht näher bestimmtes, lautliches Segment einen durchaus nachvollziehbaren Analyseschritt darstellt (wenn auch nicht unproblematisch, da ebenfalls bereits im Hinblick auf einen möglichen Phonemstatus als Segment isoliert), entspricht die in einer morphologischen Analyse angenommenen Einheit 'Morph' (ohne Morphemstatus) keinerlei Realität – weder in der Sprache, noch in der Analyse. In dem Augenblick, in dem eine Form als ein sprachliches Zeichen (mit Inhalts- und Ausdrucksseite) bestimmt wird, hat es bereits Morphemstatus; der Zwischenschritt über das Morph ist dabei ein allein der strukturalistischen Systematik geschuldeter.




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Indirekt im Zusammenhang mit dem Vergleich zu den Einheiten der Lautlehre steht die Annahme, daß das Morph etwas Konkretes sei oder mitunter zugespitzt ausgedrückt der Saussureschen parole-Ebene zuzurechnen sei, das Morphem hingegen ein abstraktes Element auf der langue-Ebene verkörpere. Im Widerspruch dazu steht die schon seit Beginn postulierte Annahme, daß die Morphe oder Alternanten durch Phoneme repräsentiert werden (so z.B. auch in der Notation bei Schpak-Dolt). Dazu ist zunächst einmal festzuhalten, daß insbesondere die Zuordnung zur Dichotomie von Saussure problematisch, wenn nicht gar unzulässig ist, aber auch eine simple Aufteilung in 'konkret' und 'abstrakt' zumindest fragwürdig. Mugdan weist mit Recht darauf hin, daß die Annahme von Analyseeinheiten wie Morph oder Phon bereits einen bestimmten Grad an Abstraktion darstellen und nicht mit der Sprachrealität parallel gesetzt werden dürfen:

Morphe (und übrigens auch Phone) sind bereits Abstraktionen und als solche nicht Bestandteile konkreter Sprechakte; sie gehören daher nicht zur parole und schon gar nicht zur Substanz im Sinne von Saussure […] und Hjelmslev […]. (Mugdan 1986: 34)

Die oft nicht näher reflektierte Annahme des Morphs als einer Einheit des konkreten Sprechaktes, hängt womöglich mit dem doppelten Verständnis des Morphs (wie auch des Phons) zusammen, welches einerseits in der Analyse als noch nicht klassifizierte morphologische Einheit gesehen wird und andererseits aus einem Blickwinkel eines bereits bestimmten Morphems als eine Variante in Form eines Allomorphs.

Auf der Ebene der konkreten Äußerung jedoch begegnet einem eine chaîne parlée, eine individuell phonetische Lautkette, die morphologisch in Worteinheiten untergliedert ist. Der Sprecher denkt und produziert holistische Form- und Sinneinheiten und keine Wortstämme, Wurzeln und Affixe, die linear kombiniert werden. Insofern ist die auch meist in der Notation zu findende, phonologische Transkribierung weder auf Morphem-, noch auf Morph-Ebene notwendig bzw. sinnvoll, denn die Erfassung eines Wortes oder auch Morphems ist nicht abhängig von der phonologischen Analyse.28

Die im Prager Strukturalismus (Trubetzkoy, Jakobson) – unter Einfluß des russischen Formalismus und der Kasaner Schule – entwickelten Analyseverfahren der Lautlehre, mit ihren streng dichotomischen Konzepten 'Phon' und 'Phonem' nach dem Minimalpaarprinzip, führten bei der konsequenten Übernahme und Anwendung der amerikanischen Schule auf den Bereich der Morphologie, unweigerlich zu Problemen. Die womöglich gewollte Vagheit bei Bloomfield in Bezug auf starke phonetische Alternation und Suppletion deutet bereits an, daß in der Sprache offensichtlich Zusammenhänge zwischen bestimmten Wörtern und ihren Bestandteilen herrschen, diese sich aber nicht ohne weiteres auf eine Allomorphie-Konstellation zurückführen lassen (cf. z.B. go-went, speak-speech).29




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Als Konsequenz daraus, daß bereits die Gründungsväter der morphologischen Analyseverfahren mehr oder weniger direkt auf ungelöste Fragen oder problematische Fälle aufmerksam gemacht haben, ist es bis heute Praxis – wie ein Überblick zeigt (cf. Kap. 3.1, 3.2) – die Frage nach der Definition, Funktion und Anwendung des Morphs auszuklammern (z.B. Haspelmath/Sims ²2010 nur im Glossar), oft aber inkonsequenterweise unter gleichzeitiger Verwendung des Begriffes 'Allomorph'. Dabei wird gerade in Einführungs- und Handbüchern oft jegliche Problematisierung ausgeblendet und die vorgestellte morphologische Analyse als intuitiv zweifelsfrei richtig dargestellt, was auch im Rahmen einer ersten Präsentation etwas zu weit geht.

Moderne theoretische Ansätze der Morphosyntax und Morphologie operieren in der Regel ohne den Begriff des 'Morphs', oft auch des 'Morphems' (cf. z.B. Konstruktionsgrammatik), was insofern konsequent ist, als beide Termini strukturalistisch "vorbelastet" sind. In diesem Sinne verweist auch Anderson (1992: 48) folgerichtig auf die Gefahr der unreflektierten Übertragung von Begriffen: "[…] basic notions were simply taken over unexamined as defining the subject matter."30

Allerdings zeigt die Praxis, daß gerade 'Morphem' (selten 'Morph') auch in der modernen, poststrukturalistischen Forschung weiter verwendet wird, oft ohne explizit die strukturalistischen Implikationen mitzuberücksichtigen. So weist Carstairs-McCarthy (1992: 7) in seiner Überblicksdarstellung zur Current Morphology eigens darauf hin, daß er in seinem Buch kein "single coherent network of definitions of terms such as 'morpheme'" zu liefern beabsichtigt, denn "all these terms are used more or less differently by different linguists."

Im Handbook of Morphology von Spencer/Zwicky (1998) findet der Morphem-Begriff zwar eher selten Anwendung, wenn, dann aber auch nicht unbedingt in rein strukturalistischen Darstellungen, was letztlich insgesamt dafür spricht, daß diesem Terminus über die Theoriegrenzen hinweg eine gewisse Gültigkeit zukommt.

Anderson (1992, 22006) hingegen ist einer der Vertreter, der mit seiner A-morphous morphology den traditionellen Morphem-Begriff komplett ablehnt, mit der Begründung, daß Interaktion zwischen Syntax und Wörtern nur in minimaler morphosyntaktischer Veränderung besteht, die Grundeinheit auf morphologischer Ebene aber das Wort bildet. Seine Kritik am Festhalten an der Analyseeinheit des Morphems und der damit verbundenen Implikationen ist durchaus berechtigt, doch seine Lösung zwar von Stämmen, Wurzeln und Affixen zu sprechen, gleichzeitig aber diese Formative nicht weiter zu klassifizieren erscheint vage und in gewisser Hinsicht inkonsequent.




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Zweifellos wichtig ist aber der Gedanke, dem Wort an sich einen zentraleren Raum in der morphologischen Betrachtung einzuräumen, da wie oben bereits angedeutet, in einer sprachwissenschaftlichen Analyse, die auch den Sprecher und dessen Intuition bzw. kognitiven Prozesse miteinbezieht, das Wort (wie auch immer eine enge Definition diesbezüglich angelegt sei) der Ausgangspunkt der produzierten Äußerung ist und sich damit auch als sinnvolle Einheit einer Analyse ergibt.31

Diese Erkenntnis, quasi in einer strukturalistischen Mahnung ante litteram formuliert, findet sich bereits in einem frühen Beitrag zur Veda- und Avesta-Forschung:

Die Sprache, oder besser der sprechende operirt ja nicht mit wurzeln und suffixen, die erst im fall des bedarfs nach gewissen phonetischen regeln zusammengesetzt, sondern mit fertigen wörtern, die er durch hörensagen gelernt hat oder vorliegenden mustern unbewusst nachformt. (Bartholomae 1882: 5)

Die Annahme des Wortes als wichtigste Analyseeinheit löst jedoch noch nicht alle Probleme, denn die Wortbildungsprozesse und die grammatischen wie auch lexikalischen Zusammenhänge, die der Sprecher intuitiv erfaßt und ggf. reanalysiert, legen nahe, daß es Elemente der Sprache unterhalb der Worteinheit (als Form- und Sinneinheit) gibt. Die Modifizierung von Basiseinheiten durch Paradigmen wie es Stump (2001, 22006) in seiner Paradigm Function Morphology vorgeschlagen hat, kann einiges adäquat erklären (zumindest bei flektierenden Sprachen). Dennoch bleibt die fundamentale Frage offen, wie die Einheiten unterhalb der Wortebene, mit denen letztlich auch in modernen Theorien operiert wird, adäquat zu beschreiben sind.


5 Fazit

Um schließlich die vorliegende Fragestellung nach der Existenzberechtigung und einer evtl. Neupositionierung des Morphs und seinem zugrundeliegenden Konzept wiederaufzugreifen, sei zunächst darauf verwiesen, daß dies – wie hier gezeigt – kaum möglich ist, ohne das gesamte Verständnis von Morphologie zu tangieren oder sogar grundsätzliche sprachtheoretische Perspektiven miteinzubeziehen. Dies ist auch deshalb immer notwendig, da meistens bestimmte Sprachtheorien an ganz spezifische Sprachen bzw. Sprachtypen gebunden sind und keinesfalls als universal interpretiert werden dürfen – so ist z.B. die Paradigm Function Morphology ganz explizit für flektierbare Sprachen konzipiert.




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Ein Begriff ist prinzipiell immer auf eine bestimmte Theorie hin konzipiert, funktioniert also in erster Linie innerhalb dieses Rahmens. Manche Begriffe, und dazu gehört sicherlich das 'Morphem' (weniger das 'Morph'), werden jedoch Allgemeingut einer bestimmten Disziplin und müßten dann strenggenommen in einer konkreten Anwendung wieder neu definiert werden. Je selbstverständlicher ein Begriff aber in der alltäglichen Wissenschaftspraxis benutzt wird, desto größer ist auch die Gefahr einer Verwässerung seiner Definition, wie der Überblick über die Einführungswerke und ihre disparaten Definitionen bzw. Verwendungsweisen anschaulich belegt (cf. Kap. 3.1). Vor diesem Hintergrund stellt sich einerseits die Frage, welchen Definitionsbereich und welche Anwendung das 'Morphem' als Begriff vorstrukturalistischen Ursprungs, strukturalistischer Prägung und poststrukturalistischer Weiterverwendung hat bzw. haben sollte und andererseits, hier fokussiert, welche Berechtigung in diesem Kontext der rein strukturalistische Morph-Begriff noch hat?

Im Zuge einer streng strukturalistischen Betrachtungsweise hat die Verwendungsweise des Begriffes 'Morph' eine gewisse inhärente Logik und folgt dem vielzitierten Konzept der Dichotomie, doch im Gegensatz zum 'Phon', welches auf gewisse Realitäten in der Sprache verweisen kann, bleibt das 'Morph' ein theoretisches Konstrukt mit wenig Erkenntnisgewinn. Eine mitunter zu beobachtende Verwendung von 'Allomorph' ohne 'Morph' ist hingegen unsystematisch und damit abzulehnen.

Eine weniger dem Systemzwang unterliegende Betrachtungsweise wie von Bloomfield konzipiert (Alternanten, Suppletion), erscheint weniger konsequent, aber der Sprachrealität wohl näher. Der Begriff 'Morphem' ist als Basiseinheit der morphologischen Betrachtung im Strukturalismus hingegen weit weniger problematisch, zumindest was seine Intention betrifft; bezüglich seiner Extension kollidiert er allerdings mit der Morph-Problematik.

Ziel der vorliegenden Untersuchung war eine kritische Hinterfragung der aktuellen Verwendungsweisen der Begriffe 'Morph' und 'Morphem' mit dem Fokus auf ersterem und die Suche nach Anregungen zu weniger problembelasteten Anwendungen. Dabei sei hier eine grundsätzliche Infragestellung und Diskussion um terminologische Verwendungsweisen auch ohne die Entwicklung einer neuen morphologischen Theorie als legitim angesehen, allein um die damit verbundenen Probleme en detail herauszupräparieren und nachhaltig ins Bewusstsein der wissenschaftlichen Diskussion zu rücken, verbunden mit dem Desiderat weitere Reflexionen zu den Grundeinheiten der Morphologie und zur morphologischen Analyse anstoßen zu können.

In Bezug auf letzteres Anliegen sei deshalb im Zuge einer abschließenden Überlegung zur morphologischen Analyse der Rückgriff auf die zentrale Stellung des Wortes auch als Analyseeinheit hervorgehoben (cf. Anderson), da dasselbe auch den maßgeblichen Ausgangspunkt der Sprachproduktion bildet.




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In Erinnerung daran, daß der Begriff 'Morphem'32 einen vorstrukturalistischen Ursprung hat (cf. Courtenay) und in seiner Grunddefinition insofern nützlich bleibt, als er eine theoretische, übergreifende Einheit für "Wortteile" wie Affixe, Wurzeln und Stämme bildet, die zweifellos auch für die Sprecher analysierbare Spracheinheiten darstellen, mit denen er operiert und tatsächlich neue Wörter in einer Äußerung produziert, erscheint es nützlich, diesen beizubehalten. Zumal auch moderne Morphologie-Theorien nicht ohne die Benennung von bestimmten Einheiten unterhalb der Wortebene auskommen.

Was den Begriff des 'Morphs' anbelangt, so ist zu konstatieren, daß es zwischen den verschiedenen Subeinheiten der Wörter genauso Zusammenhänge gibt wie zwischen den Wörtern, die inhaltlich und formal augenfällig sind, doch hier bleibt der strukturalistisch inspirierte Ansatz problematisch, divergierende Formen wie z.B. frz. (je) suis – (j')étais als Morphe einem Morphem zuzuordnen, womöglich dann eine Form als Basisform zu selektieren, nur um der Systematik gerecht zu werden. Diese Formen sollten viel eher als zwei eigenständige Morpheme aufgefaßt werden, die einem Paradigma (cf. Stump) zuzuordnen sind. Genauso wäre für das Englische ein Paradigma 'Plural' anzunehmen, wozu eben verschiedene eigenständige Morpheme gehören, die dieses ausdrücken können ([-z], [-iz] oder [-s], genauso wie [-n], [-rn/-rǝn]), unabhängig von deren lautlicher Ähnlichkeit.

Wenn, wie hier postuliert, das Morph weder als vorklassifikatorische Einheit sinnvoll erscheint, noch als konkrete Realisierungsform eines Morphems und eben auch nicht in Form eines Allomorphs oder gar Null(allo)morphs,33 dann ist es sicherlich konsequent, den Terminus nicht weiter zu verwenden und ihn im Rahmen des strukturalistischen Systems zu belassen.



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Anmerkungen

1 Verbalabstraktum zum Substantiv morphḗ (dt. 'Form') bzw. dem Verb morphόō.

2 Ferdinand de Saussure (1857–1913), der 1879 den eigentlich auf Antoni Dufriche-Desgenettes (1804–1878) zurückgehenden Terminus 'Phonem' zum ersten Mal verwendete (Saussure 1879: 5) und maßgeblich für dessen Verbreitung sorgte, stand in engem Briefkontakt mit Baudoin de Courtenay und wußte um die Arbeit der Kasaner Schule, die ebenfalls ihre Wurzeln in der junggrammatischen Bewegung hatte. Neben Courtenay selbst war es auch dessen Schüler Mikołaj Kruszewski (russ. Nikolaij Kruševskij; 1851–1887), der ebenfalls maßgeblich an der Bestimmung der Begriffe 'Phon' (Kasaner Prägung), 'Phonem' und 'Morphem' beteiligt war (Baudoin de Courtenay 1895: 4f.).
Zur Entstehungsgeschichte des Phonem-Begriffes, seiner ersten Verwendung durch Dufriche-Desgenettes sowie dem ersten schriftlichen Nachweis in einem anonymen Bericht der Société Linguistique de Paris (wohl von Louis Havet, 1849–1925) cf. Mugdan (1996: 282f.), zum Einfluß von Courtenay cf. Bartschat (1996: 46ff.).

3 Fettdruck entspricht hier Sperrdruck im Original.

4 Hjemslev rekurriert hier im Wesentlichen auf die begrifflichen Bestimmungen von 'Morphem' und 'Phonem' des schwedischen Linguisten Adolf Noreen (1854-1925).

5 Die hier angeführten unselbstständigen Morpheme (unique morphemes) cran-, -y und -ing verweisen auf die zuvor genannten Beispiele cranberry, Johnny/Billy und playing/dancing (Bloomfield 1984: 161).

6 In seinem ersten Einführungswerk verwendete Bloomfield den Terminus 'Morphem' noch nicht, sondern er rekurriert vermehrt auf das 'Wort' als Grundeinheit (Bloomfield 1914).

7 Kernaussagen Bloomfields, wie die folgende, deuten eher auf ein aus heutiger Sicht pragmatisches Verständnis von Bedeutung (Charles Morris war sein Kollege in Chicago, cf. Wildgen 2010: 83), das nicht im Widerspruch zu traditionellen Zeicheninterpretation steht: "By uttering a linguistic form, a speaker prompts his hearers to respond to a situation; this situation and the response to it, are the linguistic meaning of the form." (Bloomfield 1984: 158)
Dabei interpretiert er das Morphem durchaus als ein aus Ausdruck und Inhalt bestehendes Zeichen: "A morpheme can be described phonetically, since it consists of one or more phonemes [...]"; "The meaning of a morpheme is a sememe." (Bloomfield 1984: 161, 162)




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8 Die phonetic modification ist bei Bloomfield (1984: 166ff.) in einem größeren Zusammenhang seiner Auffassung von grammatischen und lexikalischen Strukturen zu verstehen. So ist beispielsweise die komplexe Form duchess als ein arrangement der immediate constituents duke (bzw. duch-) und -ess (mit lautl. Entsprechung) nach vier Kriterien analysierbar: Die (1) selection zeigt die paradigmatische Zugehörigkeit von duke zu male personal nouns an, die sich mit dem Suffix -ess verbinden können, und -ess gehört eben zu einer Klasse von Suffixen, die mit Nomen wie duke kombinierbar sind; die (2) order wiederum bewirkt, daß -ess dem Substantiv duke (bzw. duch-) im arrangement nachfolgt; in Bezug auf die (3) modulation läßt sich festhalten, daß -ess unbetont ist und der Wortakzent auf duch- liegt; die (4) phonetic modification schließlich läßt die oben erwähnte lautliche Alternation bei der Aussprache von duke im Vergleich zu duch- in duchess zu.

9 Parallel wäre hier auch der Plural [-rn] bei child vs. children zu sehen, der wohl zur Not der [-n] Form als phonetic modification hätte zugeordnet werden können, aber beide dann nach wie vor als Suppletion zu den s-Varianten zu sehen sind – Bloomfield bleibt hier vage.

10 Dieser Verweis bezieht sich auf die von Harris (1942: 169) einleitend dargelegte, bisherige Auffassung des 'Morphems', die im Wesentlichen auf Bloomfield zurückgeht und dessen Position er nochmals prägnant zusammenfaßt: "Every sequence of phonemes which has meaning, and which is not composed of smaller sequences having meaning, is a morpheme. Different sequences of phonemes constitute different morphemes; occurrences of the same sequence with sufficiently different meanings constitute homonyms." Über die Frage, was hier sufficiently different meint bzw. wie dies auszulegen sei, daran knüpfen letztendlich die weiteren Fragestellungen der adäquaten Morphemanalyse an.

11 Zur Einbettung dieser Vorstellungen in Hocketts Theorie von item & arrangement cf. z.B. Hockett (1954).

12 Die Perspektive soll hier eine vorwiegend romanistische sein; germanistische Darstellungen wurden deshalb mit hinzugezogen, da einerseits einige von ihnen auch in der Romanistik meist als Referenzwerke fächerübergreifender Auffassungen mitberücksichtigt werden, andererseits so ein Blick über die Praxis in einem anderen Fachbereich gegeben ist.

13 Glessgen (2012: 196) führt Beispiele für morphème zéro und für morphe vide an; er verweist dabei auf die Probleme der Morphemanalyse, die sich aus der "asymétrie morphologique" ergeben und erwähnt, daß neuere morphologische Strömungen dem Morphem kritisch gegenüberstehen.

14 Ebenso in Schpak-Dolts Einführung in die Morphologie des Spanischen (1999).

15 "Prinzip 1: Die Morphe, die zu einem Morphem zusammengefaßt werden, müssen eine hinreichend ähnliche Bedeutung bzw. grammatische Funktion haben" [...]
"Prinzip 2: Die Morphe, die zu einem Morphem zusammengefaßt werden, dürfen in keiner einzigen Umgebung in Kontrast stehen." (Schpak-Dolt 1992: 11–12, Hervorhebungen im Original)

16 Platz-Schliebs/Schmitz/Müller/Merino Claros (2012: 92) versteigen sich sogar dazu, sich in ihrer Definition nur auf die Graphemebene zu beschränken: "Ein Morph ist die kleinste bedeutungstragende Buchstabenfolge."

17 Lexika geben oft mehrere Definitionen, sofern sie verschiedene Strömungen berücksichtigen, was einerseits korrekt im Sinne eine wissenschaftsgeschichtlichen Darstellung ist; oft allerdings wenig hilfreich im Sinne der Erschließung einer evtl. existierenden Tendenz zu einer communis opinio.

18 Die Definition "kleinstes sprachliches Zeichen" findet sich auch bei Lewandowski (5 1994 II: 726), neben anderen.

19 Ganz ähnliche Definitionen finden sich bei Wesch (2001: 62), Gaudino Fallegger (1998: 131) und Pelz (10 2007: 116). Martin Haase gibt in seiner Einführung Italienische Sprachwissenschaft eine allgemeine vorklassifikatorische Bestimmung: "Die allgemeine Bezeichnung von Formativen unabhängig von ihrem Morphemstatus ist MORPH. Dieser Terminus wird jedoch selten verwendet". (Haase 2007: 32)




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20 Platz-Schliebs/Schmitz/Müller/Merino Claros (2012: 92) hingegen blenden die lautliche Ebene aus und beschränken sich nur auf die graphische (cf. supra).

21 Auf diese Weise wird beispielsweise in folgenden Einführungswerken verfahren: Gauger/Oesterreicher/Windisch (1981), Einführung in die romanische Sprachwissenschaft; Geckeler/Kattenbusch (1992), Einführung in die italienische Sprachwissenschaft; Blasco Ferrer (1994), Handbuch der italienischen Sprachwissenschaft; Pötters/Bollée (71995), Sprachwissenschaftlicher Grundkurs für Studienanfänger Französisch; Blasco Ferrer (1996), Linguistik für Romanisten; Berschin/Fernández-Sevilla/Felixberger (3 2005), Die spanische Sprache; Sokol (2 2007), Französische Sprachwissenschaft; Dietrich/Geckeler (5 2007), Einführung in die spanische Sprachwissenschaft; Lüdtke (2007), Romanische Wortbildung; Stein (3 2010), Einführung in die französische Sprachwissenschaft.

22 Bei diesem kurzen Überblick kann selbstverständlich keine Vollständigkeit in Bezug auf die Abhandlung oder auch nur Erwähnung moderner Theorien geleistet werden. Es ist vielmehr eine Art Stichprobe, um einen Eindruck von der Behandlung des Morphs in der poststrukturalistischen Linguistik anhand von einigen maßgeblichen Strömungen zu gewinnen.

23 "The most distinctive aspect of this point of view is its rejection of the classical morpheme, traditionally the cornerstone of morphological analysis." (Anderson 2 2006: 198)

24 Das form/property-set pairing besteht aus einer form, z.B. Buch-, und einem morphosyntactic property set, z.B. 'Genitiv, Singular', welches dann die endgültige Form Buches ergibt, notiert als FPSP <Buch-, {'Genitiv', 'Singular'>. (Stump 2001: 32)

25 So ist die Schlußfolgerung in der Darstellung von Stewart/Stump (2007: 418) in dieser Hinsicht eindeutig: "[...] the best-motivated theory of the morphology–syntax interface must be word-based rather than morpheme-based."

26 Die ursprünglich vornehmlich an indogermanischen Sprachen entwickelten Begrifflichkeit der Sprachwissenschaft im Allgemeinen und der Morphologie im Besonderen sind schon allein deshalb oft nicht das adäquateste Beschreibungsmittel für andere Sprache aufgrund ihrer divergierenden Struktur. Umgekehrt wären aber wohl universalistische Denominationen zu allgemein, um sprachspezifische Erscheinungen übergreifend beschreiben zu können.

27 Aber auch bei Bloomfield (1984: 217) treibt der Zwang zur Systematik bereits seltsame Blüten, indem er beispielsweise aus formalen Gründen die feminine Form frz. distincte als Basis annimmt aus der sich die maskuline unter Reduzierung des lautlichen Nexus [-kt] bildet, also frz. distinct. Auch das Problem des Formensynkretismus bleibt ungelöst.

28 Cf. dazu die Anmerkung von Bierwisch (1973: 60): "Denn die Prozeduren sind nur insoweit unabhängig voneinander, als die Ermittlung der morphologischen Einheiten die phonologischen nicht unbedingt voraussetzt […]."

29 Zwischen die relativ eindeutigen Suppletionsformen (schwache Suppletion: z.B. dt. gehen-ging; starke Suppletion: z.B. engl. go-went) und zwei oder mehreren Formen, die noch eine relativ große lautliche Ähnlichkeit haben (z.B. engl. 'Plural' [-s, -z, ez]) gibt es keine scharfe Grenze, sondern eine breite Grauzone (z.B. dt. Erde-irden, biegen-Bucht): "Es ist also unmöglich, die Zugehörigkeit einer Lautform zu einem Morphem in der Zahl der übereinstimmenden oder abweichenden phonologischen Merkmale zu fassen." (Wurzel 1984: 39)




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30 Bereits Bierwisch (1962: 52) hat darauf aufmerksam gemacht, daß Begriffe wie das Morphem nur innerhalb einer bestimmten Theorie richtig zu erfassen sind, nicht allein anhand einer Definition: "Das Morphem muß als Einheit der Sprachtheorie aufgefaßt und innerhalb ihrer bestimmt werden."

31 Das intuitive Sprachverständnis der Sprecher in eine linguistische Analyse der Sprache und ihrer Einheiten miteinzubeziehen ist zwar per se nicht notwendig, erscheint aber sinnvoll und ergibt womöglich transparentere und schlüssigere Erklärungsmodelle.

32 Um nicht die strukturalistischen Implikationen und Problemstellungen weiterzutragen, wäre in leicht veränderten Konzeption ein neutralerer Begriff wie 'Formativ' o.ä. womöglich sinnvoller, würde aber wieder Fragen der Akzeptanz aufwerfen; insofern scheint 'Morphem' mit leicht veränderter Anwendungsfunktion hier durchaus akzeptabel.

33 Generell scheinen Begriffe wie 'Nullmorph', 'Nullmorphem', 'Nullallomorph' problematisch (cf. Bergenholtz/Mugdan 2000), da sie der bilateralen Zeichenstruktur widersprechen und reine Annahmen einer Systematisierung sind. Elemente zu isolieren, die zwar eine Form haben, aber keinen Inhalt oder aber keinen Inhalt aber eine Form sind wohl generell problematisch – auch hier drängt sich eher die Analyse von einem Wort auf, die die Gesamtstruktur berücksichtigt und Modifikationen aus einer Gesamtperspektive betrachtet.