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Karin Peters (Mainz)



Der Lukrezia-Effekt. Homosoziale Gesellschaft und politische Mythologie in Lope de Vegas Fuente Ovejuna



Spanish honour plays have commonly been attributed either to an archaic Iberian tradition or its implicit limpieza de sangre ideology. Nevertheless, Masculinity Studies have argued since Sedgwick and Bourdieu that male honour and homosocial desire are means of 'trading' power. This study discusses the importance of homosocial desire for the dramatic plot and political mythology in Lope de Vega's Fuente Ovejuna. I will underline in particular how the violated woman figures as a trope and 'affective prosthetic' of absolutism's social imaginary and how the play aims at destroying the male figure of the Comendador. These central acts of violence point to the emotional investments in the realm of politics. On the one hand, they express the complex relationship between the need to create a cultural memory of the successful and inaugurating Reconquista, and, on the other, the conflicting, phobic counter-memory of feudal masculinity.


1 Homosoziales Begehren und spanische Ritterehre

Am 23. April 1476, so erzählen es die Chroniken, tötet ein aufgebrachter Mob im andalusischen Dorf Fuente Obejuna1 don Fernán Gómez de Guzmán, den Comendador Mayor des Ordens der Calatrava und Feudalherren des Ortes. Ein Richter wird von den Königen Ferdinand von Aragon und Isabella von Kastilien geschickt – die Befragung der Einwohner jedoch führt zu keinem Ergebnis: Auf die Frage, wer für den Tod des Comendador verantwortlich sei, antworten alle nur einstimmig: Fuente Obejuna. Am Ende siegt der politische Opportunismus der Stunde und der Mord bleibt ungesühnt, denn: Der Comendador war nicht nur tyrannischer Feudalherr seiner Vasallen gewesen, sondern auch eine politische Bedrohung für Ferdinand und Isabella. Er hatte gegen diese die Thronansprüche des portugiesischen Königs unterstützt, und die Calatravas hatten die den späteren Reyes Católicos unterstellte Stadt Ciudad Real mit Waffengewalt eingenommen. Der Aufstand des Dorfes, das mit dem Schlachtruf Vivan los Reyes don Fernando y doña Isabel über den Übeltäter herfiel, wird folglich in das politische Projekt der Herrschaftsfolge ideologisch integriert: als Niederschlagung tyrannischer Kleinherrscher und Unterwerfung unter die absolute Staatsgewalt der Könige. Das spanische 'Volk' habe, so die Interpretation, spanisches Recht konzertiert ins Werk gesetzt, indem es sich von einem unrechtmäßigen Tyrannen befreite, und insofern im Namen des Reiches gehandelt.2




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Als Lope de Vega schließlich zu Beginn des 17. Jahrhunderts diese historische Episode in ein Theaterstück verwandelt, hat sich der Absolutismus in Spanien endgültig durchgesetzt und der spanische Territorialstaat ist Wirklichkeit geworden. Unter den Habsburgern kommt das Reich zu weltumspannender Größe und politisch ist spätestens seit der Niederschlagung der Comuneros-Aufstände in den 1520er Jahren das System der absolutistischen Zentralmacht konsolidiert. Lope nun verherrlicht den 'Ursprung' dieser Herrschaft: jene Epoche, in der durch die Vereinigung von Aragonien und Kastilien und die Rückeroberung des Kontinents von den Mauren das frühneuzeitliche Spanien geboren wurde. Basierend auf der Chrónica de las tres Órdenes y Caballerías de Santiago, Calatrava y Alcántara (1572) von Frey Francisco de Rades y Andrada erzählt Lope die Geschichte Fuente Obejunas als eine politische Erzählung von Bedrohung und Wiederherstellung der sozialen Ordnung – aber auch, und damit geht er über sein historiographisches Vorbild hinaus, als Verlust und Wiederherstellung sozialer Männlichkeit. Während zu Beginn der Handlung tyrannisches Gesetz herrscht, die Feldfrüchte der Bauern gestohlen und ihre Frauen vom Comendador und seinem Gefolge vergewaltigt werden, siegt am Ende das Prinzip der Ordnung. Zwei Handlungsstränge werden zu diesem Zweck verwoben: zum einen die militärische Eroberung Ciudad Reals auf der öffentlichen Bühne der Weltgeschichte, und zum anderen die sexuelle Eroberung einer Frau aus dem Volk, Laurencia, der don Fernán während des ganzen Stückes nachstellt und die er schließlich am Tag ihrer Hochzeit entführt und allem Anschein nach vergewaltigt.

Diese fiktionale Zutat ist allerdings mehr als nur theatrale Würze. Im Gegenteil sind die politische und die private Handlung beiderseits auf ein größeres Ganzes hin perspektiviert. Dabei geht es weniger allein um den Triumph einer moralischen Tugendlehre, die amor und cortesía propagiert und über soberbia und lujuria obsiegen lässt.3 Ich möchte dagegen zeigen, wie hier die strukturelle Interdependenz des Öffentlichen und des Privaten ausgestellt wird, und dies bezeichnenderweise an politischen Konstruktionen des Geschlechts. Ausgelöst wird nämlich der Mord durch die Tatsache, dass die geschändete Laurencia den Männern des Dorfes in einer Schmährede den Vorwurf macht, dass diese sich ganz und gar um ihre Männlichkeit haben bringen lassen. Angestachelt ergreifen die Bürger endlich die Waffen und bringen don Fernán auf grausamste Weise zu Tode. Aus der Tatsache einer verletzten Männerehre, die einmal mit Taten – durch die Gewalt gegen den Körper der Frau – und einmal mit Worten angegriffen wird, erwächst mithin eine neue, handlungsfähige Gemeinschaft: Sie führt aus der Krise zu einer restaurierten Männlichkeit, die Fuente Obejuna als Dorf 'echter Spanier' erweisen wird. Die Handlung einerseits und der Bezug zwischen sexueller, privater Gewalt und politischer Gewalt andererseits sind also in ein soziales Imaginäres eingelassen, das nach den Regeln einer männlichen, 'homosozialen Gesellschaft' funktioniert.4 Dessen metaphorische Dimension des Geschlechts will ich im Folgenden genauer beleuchten.




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Mit dem Konzept des homosozialen Begehrens liefert Eve Sedgwick nichts weniger als eine Strukturformel des Patriarchats5: Sie betont, dass soziale Bünde zwischen Personen des gleichen Geschlechts wenngleich nicht erotischer, so doch stark libidinöser Natur seien. Gleichgeschlechtliche Machtbeziehungen innerhalb einer männlich dominierten Gesellschaft bestimmen das gesamte soziale Gefüge; daher richtet sich auch das Begehren von Männern, so Sedgwick, nur vordergründig auf bestimmte Frauen – mittelbar dagegen immer auf die Abgrenzung oder Einschließung von anderen Männern. Liebt ein Mann eine Frau, dann also unter Umständen nur deshalb, weil sie schon einem anderen gehört oder weil sie ihm höheren sozialen Status verschaffen kann – die Akzeptanz innerhalb einer rein männlichen Gruppe. Sogar die berühmten Hörner aufgesetzt zu bekommen, kann demzufolge noch sozialen Gewinn nach sich ziehen, da es den Hahnrei, spielt er das Spiel richtig, in vielleicht sogar fruchtbare Beziehung mit anderen Männern setzt – man denke nur an den berühmten Schluss des Lazarillo de Tormes. Um dies zu verstehen, muss man zur Basis von Sedgwicks Modell zurückgehen; zum Konzept dessen, was René Girard das mimetische, oder: das trianguläre Begehren genannt hat.6 Girard zufolge ist jedes menschliche Handeln von einem elementaren und universalen Willen zur Nachahmung geleitet. Von der Kindheit an ahmen wir ununterbrochen andere Menschen nach und modellieren danach unser Verhalten. Schließlich ahmen wir selbst fremde Wünsche nach, denn was ein Anderer für erstrebenswert hält, muss nicht nur für mich erstrebenswert sein, nein: Der Neid, der aus dieser Rivalität erwächst, wertet auch den Rivalen selbst auf – er ist schließlich beneidenswert. Trianguläres Begehren heißt also: Ein Subjekt begehrt nur deshalb ein Objekt, weil dieses von einem Dritten – dem Rivalen – begehrt oder besessen wird.

Es sei nun trügerisch, das schärft Girard uns ein, zu glauben, es gehe darum, das Objekt – sei es auch eine Frau – um ihrer selbst willen zu begehren. Vielmehr ist es der Rivale, an dessen Stelle man rücken möchte, um sich selbst für wiederum Andere zum Vermittler des Begehrens zu machen: Begehrenswert ist es, ein Rivale für männliches Begehren zu sein. Am Ende spielt das Objekt des Begehrens also immer nur eine vermittelnde Rolle, bleibt Mediator einer Beziehung zwischen Subjekt und Rivale. Für die homosoziale Gesellschaft, die jenes Rivalitätsverhältnis in die Horizontale und Breite sozialer Beziehungen kippt, ist dies insofern von Belang, weil so gedacht selbst die heterosexuelle Norm des Begehrens nicht ohne die homosoziale Norm des Begehrens vorgestellt werden kann. Das heißt nicht, dass eigentlich alle Männer latent homoerotisches Begehren in sich tragen. Vielmehr geht mit der patriarchalischen Variante homosozialer Gesellschaft oft sogar, wenn auch nicht immer, ein stark homophober Zug einher. Wesentlich dagegen ist: Eine homosoziale Gemeinschaft strebt letztlich nicht nur auf die Funktionalisierung, sondern auf den Ausschluss der weiblichen Mediatorin zu, wenn das homosoziale Begehren das heterosexuelle aussticht.




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In Fuente Ovejuna äußert sich das folgendermaßen: Gleich zu Beginn der comedia treten zwei Männer als Rivalen um die schöne Laurencia auf: don Fernán, der Comendador, und der ihr sozial gleichgestellte labrador Frondoso, dieser werbend, jener drohend. Bemerkenswert ist jedoch, dass Laurencia keinesfalls eine sentimentale Neigung – in welche Richtung auch immer – zeigt; ganz im Gegenteil lässt sie Frondoso im ersten Aufeinandertreffen abblitzen und kontert auf seine scheue Frage "¿Amas tú?" kühl: "Mi propio honor."7 (I. Akt, V. 434f.); das fordernde Verlangen des Comendador wiederum weist sie ab, weil sie um ihre soziale Stellung weiß und versteht, dass er ihr keine ehrenwerte Ehe anbieten kann. Erst als Frondoso sie mit einer Armbrust, die er dem Comendador entwendet, gegen diesen verteidigt, erwacht auch bei Laurencia eine gewisse Bewunderung. So gesteht sie gegenüber dem gracioso Mengo: "Los hombres aborrecía, / Mengo; mas desde aquel día / los miro con otra cara. / ¡Gran valor tuvo Frondoso!" (II. Akt, V. 1154–1157) Etwas hilflos bemerkt hier der Herausgeber der Cátedra-Ausgabe in einer Fußnote, Laurencia sei nicht wie die anderen verliebten Frauen im Theater Lopes, wenn sie so ihre Liebe begründet.8 In der Tat: Der Umstand, dass sie sich erst dann auf eine Verlobung mit Frondoso einlässt, als dieser durch seinen Angriff gegen den Comendador dem Tode geweiht zu sein scheint ("Pienso que le ha de costar / la vida.", II. Akt, V. 1158f.), spricht dafür, dass sie als typische Mediatorenfigur interpretiert werden muss. Im Mittelpunkt des Liebesdreiecks, das sich um sie gruppiert, steht eine männliche Rivalität, die – im Namen der Ehre – als soziale und politische Rivalität um ein Macht- und Gewaltmonopol gezeichnet ist.

Wenn diese Rivalität in der Überwältigung Laurencias kulminiert, dann deshalb, weil der Comendador als Tyrann die Regeln des homosozialen Spiels auf die Spitze treibt: Im Moment der bevorstehenden Eheschließung raubt er Laurencia, um an ihr nicht nur sein Vergnügen zu befriedigen, sondern um ihren Vater und ihren Verlobten weiter zu demütigen. Aus diesem Grund ist es auch wenig ausschlaggebend, ob offstage tatsächlich eine Vergewaltigung stattgefunden hat oder nicht,9 auch wenn sich die Forschung darüber immer wieder gestritten hat. Ausschlaggebend ist vielmehr, dass mit dem Raub und der Gewalt, die Laurencia sichtlich angetan wurde, eine symbolische Gewalt gegen die Männer des Dorfes gerichtet wird. Die Frau, die in der homosozialen Gesellschaft Verhandlungsmasse einer männlichen Ermächtigung10 ist, wird als Differential der männlichen Ehre eingesetzt: Nur wer die Frau hat, ist ein Mann, und in Fuente Obejuna hat der Comendador sie alle. Anstatt den "traffic in women"11 als symbolische Zementierung einer homosozialen Beziehung zu nutzen  – dafür stünde die rechtmäßige Eheschließung – nimmt er sich jede Frau des Dorfes für sich selbst: Er macht sich so zum alleinigen und ultimativen Rivalen aller.12 Angesichts dieser absoluten Macht des Tyrannen beklagt selbst der Bürgermeister: "Yo ¿para qué traigo aquí / este palo sin provecho?" (II. Akt, V. 1341f.) Am nutzlosen Zeichen der Würde und der sozialen Stellung – am Stab des Alcalde sin provecho – wird auch die Krise der Männlichkeit aller Bürger Fuente Obejunas sichtbar gemacht.

Darin zeigt sich die dunkle Seite des homosozialen Begehrens, das über Begehren zu einer Frau vermittelt wird: Es bedroht den rivalisierenden Mann mit einem Verlust von Männlichkeit, ja, Sedgwick nennt das heterosexuelle Begehren sogar "a machine for depriving males of self-identity" (Sedgwick 1985: 36). Selbst wenn das eigentliche Objekt des Begehrens in der homosozialen Gesellschaft die Maskulinität ist – die Anerkennung des Mannes durch andere Männer – muss doch zuerst Maskulinität riskiert werden, um der raison d'être eines "ultimate bonding between men" zu gehorchen:




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On the other hand, success in making this transaction requires a willingness and ability to temporarily risk, or assume, a feminized status. Only the man who can proceed through that stage, while remaining in cognitive control of the symbolic system that presides over sexual exchange, will be successful in achieving a relation of mastery to other men. (Sedgwick 1985: 50f.)

Sedgwicks Beispiel für diesen sexuellen Austausch oder sozialen Markt des Begehrens ist der betrogene Ehemann: Er kann unter Umständen, ich hatte es bereits erwähnt, neue Männlichkeit aus dem Umstand ziehen, dass seine Frau als besonders begehrenswertes Objekt gilt. Dem doppelten Schema von Verlust und Erneuerung scheint aber jedes Narrativ zu folgen, das auf der Formel des homosozialen Begehrens aufruht. Denn traffic in women bedeutet, dass Objekte des Begehrens wandern: Sie können verloren und wieder gewonnen werden. Einer ähnlichen Logik unterliegt selbstverständlich auch der militärische Plot in Fuente Ovejuna. Somit erschließt sich meiner Meinung nach die vielfach kommentierte Doppelnatur13 des Stückes: Wie Laurencia wird Ciudad Real von verschiedenen Männern in Besitz genommen. Zuerst erobern der Comendador und sein Ordensführer, der Maestre don Rodrigo, gegen den Willen der Einwohner die Stadt; danach gewinnen die Heerführer der Reyes Católicos sie ihm Namen ihres Königs wieder zurück. Dieser Sieg koinzidiert mit der Hochzeitsfeier Laurencias – "boda" und Politik werden explizit neben- bzw. nacheinander gesetzt. Als der Comendador geschlagen aus dem Feld zurückkehrt, setzt er den Krieg im Kleinen fort, wird ihn aber zuletzt – wie sein Leben – gänzlich verlieren.

Eine Ebene ist dabei noch unerwähnt, die mir für die Interpretation des Stückes von zentraler Bedeutung scheint, bisher aber von der Forschung unbeachtet geblieben ist: Denn der Text führt auch einen geglückten rite de passage sozialer Männlichkeit vor. Während der Comendador als 'Hyper-Mann' im wahrsten Sinne des Wortes nicht mehr gesellschaftsfähig14 ist, wird sein Gegenstück, der Maestre don Rodrigo, sich am Ende dem König unterwerfen und eine sozial gezähmte, homosoziale Männlichkeit gewinnen.15 Lope hat den historischen Stoff, das weiß man, genutzt, um seinem Gönner zu schmeicheln, dem Duque de Osuna, der in direkter Linie vom damaligen Maestre der Calatrava abstammte.16 Don Rodrigo Téllez Girón taucht deshalb bei Lope als noch blutjunger Mann auf, der aufgrund seines jugendlichen Alters und des schädlichen Einflusses des Comendador nicht für den militärischen Widerstand gegen Ferdinand und Isabella verantwortlich gemacht wird. Ganz im Gegenteil wird er am Ende für sein Vergehen Buße tun – er führte den Militärschlag gegen Ciudad Real als Oberhaupt der Calatrava an. So kommt er im Stück mit weißer Weste davon; die Chronik weiß anderes zu berichten. Meine These allerdings geht hier weiter als der Verweis auf das Fürstenlob: Betrachtet man die Plotstruktur vor dem Hintergrund der Strukturgesetze der homosozialen Gesellschaft, wird offenbar, dass der Maestre als das eigentliche Kernstück einer homosozialen Gesellschaft in statu nascendi inszeniert wird. Als Beleg mag hier gelten, dass auch seine soziale Männlichkeit zu Beginn vom Comendador strategisch in Frage gestellt wird, als dieser ihn anstachelt, erst mit einem vom Blut der Schlacht roten Schwert werde er seiner Berufung zum Oberhaupt des Calatrava-Ordens gerecht, dessen Zeichen ein rotes Kreuz ist:

Comendador:
Sacad essa blanca espada,
que habéis de hazer, peleando,
tan roja como la Cruz,
porque no podré llamaros
Maestre de la Cruz roja
que tenéis en el pecho, en tanto
que tenéis blanca la espada;
que una al pecho y otra al lado,
entrambas han de ser rojas.
(I. Akt, V. 129–137)




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Die versteckte Drohung hinter diesen Zeilen lautet: Bist du Manns genug? Und die Verlockung: Wenn du mir folgst, mache ich dich zu einem. Adoleszenz ist also als homosoziale, rivalisierende Erziehung zur Männlichkeit17 entworfen. Am Ende wird die poetische Gerechtigkeit die beiden Heroen jedoch auseinander dividieren: Die bedrohliche, exzessive Männlichkeit des Comendador wird durch den Mord aus der Gesellschaft entfernt; die sozial verträgliche des Maestre dagegen, der sich einem höheren Gesetz, der Tugend-Norm der caballería und dem absoluten Monarchen zu beugen weiß, integriert.

Männliche Rivalität wird innerhalb der comedia also auf verschiedenen Ebenen ausgespielt: zwischen dem Comendador und Frondoso um die Frau Laurencia; zwischen dem Comendador und dem König um die Stadt Ciudad Real; und in gewisser Weise zwischen zwei symbolischen Vätern um den adoleszenten Maestre don Rodrigo. Am Ende siegt, hier gehorcht das Stück der absolutistischen Ideologie, das Recht des Herrschers. An die Stelle eines Chaos "sin Dios, sin Rey, sin ley" (Covarrubias 1978: 297)18 , so im Fuente Obejuna-Emblem, das Lope gekannt haben soll, tritt der Herrscher als symbolisches Zentrum eines glücklich vereinten Männerbundes. Nur der rex ex machina kann am Ende die Strafe für den Mord aussetzen und als princeps legibus solutus, als von den Gesetzen unabhängiger, souveräner Herrscher, Fuente Obejuna frei sprechen;19 das weltliche Gesetz des juez dagegen scheitert – anders als 1610 bei Covarrubias in den Emblemas morales dargestellt.


2 How to be men: Vergewaltigung, Schmährede und Mobilisierung

Aus dieser Warte betrachtet kreist das Stück also um die Frage: Wie wird man zum Mann? Zentral dafür sind die königliche Stadt Ciudad Real und die Frau Laurencia: als metaphorische Objekte eines männlichen 'Handels' um die Macht (traffic in women) und als syntaktische Elemente, die den Plot, die Krise, den Höhepunkt und die letztendliche Lösung des Dramas motivieren. Sowohl die Schmährede des Comendador, die den Maestre zum Angriff auf Ciudad Real reizt, als auch die Schmährede der Laurencia nach ihrer Vergewaltigung werden als – parallele – Infragestellung sozialer Männlichkeit auf der Achse dieses Syntagmas platziert. Laurencia schließlich ist darin Wiedergängerin eines berühmten Vorbilds: der Römerin Lukrezia.20

Die bekannteste Vorlage des Lukrezia-Mythos liefert Titus Livius in seiner Darstellung der römischen Geschichte Ab urbe condita.21 Als der Heerführer Collatinus vor seinen männlichen Mitstreitern behauptet, seine Frau sei von allen die tugendhafteste – das maximale Objekt des Begehrens also – und die Männerschar daraufhin zur Überprüfung der Behauptung anrückt und Lukrezia des Nachts sittsam beim Spinnen antrifft, nimmt die Tragödie ihren Lauf. Sextus Tarquinius, ein Sohn des tyrannischen Königs, begehrt sofort die tugendhafte Römerin für sich selbst. Als der Ehemann außer Haus ist, schleicht sich Sextus Tarquinius ein, bedroht Lukrezia und will sie verführen. Als diese sich wehrt, droht er ihr, sie zu töten und neben ihren toten Körper die Leiche eines Sklaven zu legen, um später behaupten zu können, er habe sie bei der Unzucht ertappt und bestraft. Um ihren Namen zu schützen, gibt sich Lukrezia ihm hin. Danach ruft sie ihren Vater und ihren Ehemann, gesteht die Vorfälle, beteuert jedoch ihre Unschuld und beschließt, sich zur Untermauerung ihrer Tugend selbst das Leben zu nehmen. Daraufhin entbrennt der Volkszorn gegen die tyrannischen Herrscher, Collatinus und sein Mitstreiter Brutus ergreifen die Waffen und stürzen den König: Die römische Republik ist geboren.




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Die Schändung und Selbsttötung Lukrezias gehört also zu den wichtigsten politischen Ursprungsmythen der Antike. Nicht nur aus historiographischer, auch aus gendertheoretischer Perspektive ist sie besonders interessant: Denn die Handlung teilt den beiden Geschlechtern im republikanischen Gemeinwesen deutlich getrennte Sphären zu: Die Frau verbleibt im domus und repräsentiert eine verletzte, dann gerächte Ehre; der Mann dagegen wird zuerst im eigenen Haus durch einen Tyrannen entehrt, um dann im Außenraum zu politischer Aktion zu schreiten. Eine originäre Übertretung der Ordnung – die Vergewaltigung – begründet im Zuge dessen eine neue politische Ordnung (vgl. Koschorke et al. 2007: 37). Die Frau jedoch wird aus dieser ausgegrenzt: Lukrezia war nur als Anstifterin und Symbolfigur gefragt. Über ihrer Leiche findet der Männerbund zu neuer Geschlossenheit. Das republikanische Gemeinwesen phantasiert sich also die politische Einigung und männliche Handlungsfähigkeit am weiblichen – und toten – Körper aus (vgl. ebd.). Denn ihr geschändeter Körper muss sterben; die Vergewaltigung der Ehefrau bedroht die rechtmäßige Genealogie des Ehemannes. Der Tyrann seinerseits, der sich alle Frauen nimmt, 'verweiblicht' die Männer (vgl. ebd.: 45 und Matthes 2000: 27); das führt auch Lukrezia als latente Drohung vor Augen. In einer wichtigen Rede vor ihrer Selbsttötung ruft sie zur Rache auf und stellt dabei nicht nur die eigene Ehre, sondern insbesondere die Männlichkeit ihrer Zuhörer in Frage.

Denn wie kann es gut bestellt sein um eine Frau, die ihre Ehre verloren hat. Du findest die Spuren eines fremden Mannes in deinem Bett, Collatinus. Aber nur mein Leib ist befleckt, mein Herz ist frei von Schuld; mein Tod wird es beweisen. Doch versprecht mir in die Hand, daß der Ehebrecher nicht ungestraft davonkommt. Es ist Sex. Tarquinius, der, aus einem Gastfreund zum Feind geworden, sich letzte Nacht bewaffnet mit Gewalt hier einen Genuß verschafft hat, der mir und – wenn ihr Männer seid – auch ihm Verderben bringen wird. (Livius 1987: 151–153, Buch I. 58; Hervorhebung von Verf.)

Collatinus und die Seinen sollen sich neu 'ermannen' und den Frevler für sein Verbrechen bestrafen. Aus der Brust der toten Lukrezia zieht Brutus den Dolch und schwört den Männerbund auf Rache ein; der Tod Lukrezias liefert also sprichwörtlich, so Melissa Matthes, "the tools for restoring masculinity" (Matthes 2000: 37).

Darauf reichte er das Messer dem Collatinus, dann dem Lucretius und dem Valerius; diese konnten sich das Wunder nicht erklären, wie der neue Geist in die Brust des Brutus gekommen war. Sie leisteten den Schwur, wie er ihnen vorgesprochen worden war. Ihre Trauer schlug dann ganz und gar in Zorn um, und als Brutus sie aufrief, jetzt gleich das Königtum zu stürzen, folgten sie ihm als ihrem Führer. Sie trugen die Leiche der Lucretia aus dem Haus und brachten sie auf den Marktplatz. Durch die Verwunderung über diese unerhörte Tat und die Empörung darüber zogen sie, wie es zu gehen pflegt, die Menschen herbei. Jeder fand eigene Worte der Klage über das Verbrechen des Königssohnes und die Gewalttat. (Livius 1987: 153, Buch I.59)




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Der neue Geist im Innern des Brutus ist zum einen dessen neu entfachte Männlichkeit, zum anderen die politische Handlungsfähigkeit der ganzen Gruppe, die sich sogleich in die Tat umsetzen lässt. Matthes fasst diese Szene der zu Markte getragenen Lukrezia folgendermaßen zusammen: "Her female corpse is the means by which a spectacle is constructed – a spectacle that inaugurates a political community founded upon seeing and being seen. It is the spectacle of the female body, both literally and metaphorically, that constitutes the initial political 'we'." (Matthes 2000: 38). Nicht nur wird Lukrezia als Objekt eines männlichen 'Handels' zwischen Collatinus und Tarquinius hin und hergereicht – damit markiert sie, wem gerade das Höchstmaß an Maskulinität zukommt – ; sie wird zuletzt auch auf den Marktplatz gebracht, dort allen Anderen gezeigt und noch im Tode Vermittlerin einer handlungsfähigen homosozialen Gesellschaft.22

Weil die männliche Gesellschaft die Frau jedoch nicht vor der Vergewaltigung hat schützen können, markiert die tote Lukrezia auch beinahe gespenstisch "the fragility of the bond among republican actors who are united, in part, because of their own failed masculinity" (Matthes 2000: 4). Der Lukrezia-Mythos ist immer von einer male anxiety um den Mangel an Maskulinität heimgesucht. Als Gründungsfigur einer nationalen politischen Gemeinschaft repräsentiert die vergewaltigte Lukrezia Bedrohung und Lösung, sie ist ein pharmakon, Gift und Heilmittel zugleich. Lukrezia ist also ebenfalls Krisenfigur, weil sie Elemente in das Gründungsnarrativ integriert, die besonders destabilisierend für die Konstruktion von (politischer) Männlichkeit wirken (vgl. Matthes 2000: 18), etwa die beinahe kastrierende Anrede: Seid ihr Männer? Die Rede der vergewaltigten Lukrezia betont die spekulare Funktion der Frau und entlarvt mithin die sogenannte hegemoniale Männlichkeit23 als heteronom, als von weiblicher Rede abhängig. Der geschändete weibliche Körper stellt, so Matthes, buchstäblich in Frage "if you are men" (Matthes 2000: 39).

Ist der Vater ein 'echter' Mann, wenn er es zulässt, dass seine Tochter geraubt und vergewaltigt wird? Ist der Verlobte ein 'echter' Mann, wenn er sich die Frau noch vor dem Altar 'wegschnappen' und einen Bastard ins Nest setzen lässt? Ist Fuente Obejuna ein Dorf echter Männer oder doch eine Gemeinde schwacher Schäflein, wenn es zulässt, dass die eigenen Töchter vergewaltigt, betrogen, geschlagen werden, und diese nicht rächt? Diese unangenehmen Fragen stellt Lopes Laurencia, als sie zurückkehrt zur Gemeindeversammlung der Männer und von ihrer Vergewaltigung berichtet. Damit macht sie sich in gewisser Hinsicht ihrer mythischen Vorgängerin Lukrezia ähnlich – zumindest wird ihre Rede ähnliche Effekte zeitigen. Denn darin gibt sie bereits die implizierte Antwort: Nein, ihr seid keine echten Männer, wozu tragt ihr noch Degen umgegürtet, Euch steht vielmehr der Spinnrocken der Frauen an.

Laurencia:
¿Vosotros sois hombres nobles?
¿Vosotros, padres y deudos?
¿Vosotros, que no se os rompen
las entrañas de dolor,
de verme en tantos dolores?
Ovejas sois, bien lo dize
de Fuente Ovejuna el nombre.
¡Dadme unas armas a mí,
pues sois piedras, pues sois bronzes,
pues sois jaspes, pues sois tigres...!
Tigres no, porque ferozes
siguen quien roba sus hijos,
matando los caçadores
antes que entren por el mar,
y por sus ondas se arrojen.
Liebres cobardes nacistes;
bárbaros sois, no españoles.
¡Gallinas! ¡Vuestras mujeres
sufrís que otros hombres gozen!
¡Poneos ruecas en la cinta!
¿Para qué os ceñís estoques?
¡Vive Dios, que he de trazar
que solas mujeres cobren
la honra destos tiranos,
la sangre destos traidores!
¡Y que os han de tirar piedras,
hilanderas, maricones,
amujerados, cobardes!
¡Y que mañana os adornen
nuestras tocas y basquiñas,
solimanes y colores!
(III. Akt, V. 1753–1783)




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In der Schmährede wird besonders deutlich, inwiefern die geschändete Frau als pharmakon und "phantom of a failed masculinity" (Matthes 2000: 32) auftritt: Laurencia verwandelt das Selbstbild der angesprochenen Männer förmlich in das groteske Spiegelbild schwächlicher maricones in Frauenkleidern – ein Spiegel, in dem sich die versammelte Männlichkeit des Dorfes nicht wieder erkennen will.24 Keine männliche Aggressivität wie die des tigre sei ihnen zu eigen; sie sind vielmehr zahme Schäfchen, die sich vor dem Tyrannen ducken. Am Ende, so droht Laurencia, müssten es sogar die Frauen sein, die zu den Waffen greifen, um ihre Ehre zu verteidigen. Die Rede Laurencias mobilisiert, und sie mobilisiert durch den Schrecken eines verzerrten Idealichs; deshalb hatte im Übrigen auch Livius in seiner Darstellung der Lukrezia-Episode auf rhetorische Mittel der affektischen Dramatisierung zurückgegriffen. Ganz im Sinne der antiken Tragödientheorie zielt er auf eleos und phobos, um die Erzählung zu einem Exempel zu machen, das selbst noch den Leser zum 'Mitleiden' und zur Nachahmung anreizen möge. So in der Vorrede:

Das ist vor allem beim Studium der Geschichte das Heilsame und Fruchtbare, daß man belehrende Beispiele jeder Art auf einem in die Augen fallenden Monument dargestellt findet. Daraus kann man für sich und seinen Staat entnehmen, was man nachahmen, daraus auch, was man meiden soll, da es häßlich in seinem Anfang und häßlich in seinem Ende. (Livius 1987: 9)

Der Lukrezia-Mythos mobilisiert also ebenfalls den Zuschauer. Im Falle Lopes ist dies von mindestens ebenso großer Bedeutung: Seine comedias waren immer auf die Lust und 'Bewegung' des Publikums ausgerichtet.25 Am Exempel Laurencia alias Lukrezia werden die weibliche Schmach und die männliche Schwäche mittels gezielt gesetzter Rhetorik affektisch intensiviert; die Szene wirkt dadurch im Sinne der Mnemotechnik besonders einprägsam (vgl. Matthes 2000: 45–49) und führt die Geschichte nicht als nüchternen Sachbericht, sondern als emotionales Spektakel einer verhöhnten und einer wiedererlangten Männlichkeit vor: als typische Erzählung eines männlichen Kulturgedächtnisses aus "humiliation" und "hope" (Enloe 1989: 44).26

Dramatisierung und Narrativierung sind demzufolge wesentlich für die Konstruktion von Weiblichkeit und Männlichkeit – das als kleines Zwischenergebnis –, denn, so Sedgwick, meist handelt es sich bei diesen Konstruktionen um "[a] two-phase narrative of feminization followed by (rather than contradicted by) masculine recuperation" (Sedgwick 1985: 60). Männlichkeit wird dieser Art verstanden zu einem 'Verlaufsmodell', zu einem Prozess. Dieser Prozess wird vom Motor des homosozialen Begehrens angetrieben und erzählt immer eine Geschichte von Verlust und Wiedererlangung. Besonders interessant wird es schließlich dort, wo nicht nur von einer individuellen, sondern auch von Verlust und Eroberung einer nationalen Identität die Rede ist.


3 Politischer Mythos und Lukrezia-Effekt

Damit komme ich nun zu der Frage, wie sich Struktur und Funktion dieser Erzählung beschreiben lassen. Wie kann man begrifflich deren Syntagmatik und Widersprüchlichkeit erfassen? Und zu welchen anderen Konzepten müsste man greifen, um die politische Mythologie des Geschlechts zu verstehen? Um das Feld noch einmal abzustecken: Es soll darum gehen, welche Formen eines geschlechtlichen Krisennarrativs eingesetzt werden, um politische Mythen zu inszenieren; darum, warum dies immer auf einer bestimmten Form von rhetorischer Symbolik beruht; und welche Funktion die Rhetorik des 'politischen Geschlechts' im sozialen Imaginären einer bestimmten, historisch, geographisch und kulturell spezifischen Gesellschaft haben könnte.




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Eine Trope ist, so meint Hans Blumenberg, etwas, was in der logischen Begriffssprache nicht zu fassen oder, z.B. in einer bestimmten Epoche, nur vorstellbar, nicht jedoch beschreibbar ist – jede Metapher entstammt dem Bereich der menschlichen Phantasie, die nach eigenen Gesetzen und gerade nicht nach dem Gesetz einer linearen Übersetzbarkeit funktioniert; Blumenberg bemerkt dazu, dass sich der menschliche Geist immer "in seinen Bildern selbst voraus" (Blumenberg 1998: 13) sei. Deshalb auch brächte der historische Wandel einer Metapher "die Metakinetik geschichtlicher Sinnhorizonte und Sichtweisen selbst zum Vorschein" (ebd.). Besondere Konjunktur hat in letzter Zeit die Frage nach den geschichtlichen Sinnhorizonten von Staatsmetaphern. Warum wird der monarchische oder der republikanische Staat überhaupt als Körper vorgestellt? Wie unterscheidet sich die corpus-Metapher der mittelalterlichen Monarchie von der Selbstinszenierung eines Sonnenkönigs? Und warum wird in Zeiten des Imperialismus das kolonialisierende Projekt immer wieder als Verführung oder Vergewaltigung des fremden Landes vorgestellt? Koschorke et al. greifen auf ein Konzept aus der Rhetorik zurück, um dies zu erläutern. Die Logik einer Verkörperung des Staates gehorcht ihnen zufolge der Struktur der symbolischen Hypotypose: Die Hypotypose ist ein Begriff bzw. eine Metapher für etwas, wofür es keine Anschauung a priori gibt, so Kant im § 59 der Kritik der Urteilskraft (vgl. Kant 1995: 295). Es handelt sich also um eine Verbildlichung dessen, was sinnlich nicht wahrnehmbar ist. Auch die Gesellschaft als solche, hier kann man anschließen, ist nie Gegenstand einer empirischen Anschauung:

Weder das extensive Ganze der Gesellschaft noch die Gesellschaft als intensive Ganzheit sind mögliche Gegenstände einer empirischen Anschauung. Metaphern für das 'Ganze' eines Gemeinwesens sind also Hypotyposen, Versinnlichungen eines Begriffs, die mit rhetorischen Mitteln vor Augen stellen, was anders nicht gesehen werden kann. (Koschorke et al. 2007: 58)

Zum einen ist das dort relevant, wo etwa staatstheoretisch vom 'Kopf' und den 'Gliedern' des Staates die Rede ist; wenn man sich also die Gesellschaft als Makroanthropos, als riesenhaften Menschen vorstellt. Aber auch wenn die Gemeinschaft als Frau metaphorisiert wird, haben wir es mit einer Hypotypose zu tun. Das Bild, das für die Gemeinschaft gewählt wird, ist darüber hinaus in ein größeres Vorstellungsuniversum eingebettet, in Blumenbergs geschichtlichen Sinnhorizont, oder, um mit der Soziologie zu sprechen, in das soziale Imaginäre: "Unter dem sozialen Imaginären wird daher im Folgenden der Schatz all jener strukturgebenden Bilder und Narrative, politischen Mythen und Verfahren der Identitätsrepräsentation verstanden, durch die ein Gemeinwesen sich selbst inszeniert – und sich selbst als Eines inszeniert." (Koschorke et al. 2007: 62) Bemerkenswert ist, dass hierbei unterschiedliche Verfahren der Identitätsrepräsentation auftauchen: erstens Bilder und zweitens Narrative, insbesondere Mythen. Wie genau hängen diese zusammen? Und wie kann man sich das gendering des sozialen Imaginären erklären?




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Wird die Frau und wird ihr Körper für die Identitätsrepräsentation einer politischen Gemeinschaft in Anschlag gebracht, muss man, entschuldigen Sie das Neudeutsch, von einem gegenderten Nationalismus sprechen. Anne McClintock geht sogar so weit zu behaupten: "All nationalisms are gendered" (McClintock 1998: 89). Da es sich bei Lopes Variante des Lukrezia-Stoffes ja nicht um eine republikanische Ordnung eines homosozialen Männerbundes handelt, sondern um die Verherrlichung des monarchischen Absolutismus, muss man hier zur Basis dieser Vorstellung zurück. Es versteht sich von selbst, dass nicht alles, was über Lukrezia als Gründungsfigur der Republik gesagt und geschrieben wurde, übertragbar ist. Immer jedoch, wenn Gender für eine politische oder nationalistische Mythologie der Ordnung und Unordnung figuriert, dann deshalb, weil Gender als grundlegende Figur von sozialer Differenz eingesetzt werden kann: Gender-Differenz markiert also ebenfalls die unterschiedliche Verteilung von Macht. Die figurale Repräsentation von Machtverhältnissen operiert zumeist so, dass Männer metonymisch zur Gemeinschaft stehen – man erinnere sich an Brutus und seine kleine Schar, die sich sodann immer mehr vergrößert –, Frauen dagegen, so Elleke Boehmer, metaphorisch.27 Sie verkörpern und 'versinnlichen' also die 'Ganzheit' einer gesellschaftlichen Gemeinschaft. Nach Floya Anthias und Nira Yuval-Davis funktioniert diese Metapher – die Gleichsetzung der Frau mit der Gemeinschaft –, weil jene nicht nur für tatsächliche, biologische Reproduktion zuständig ist. Sie zieht auch Grenzen innerhalb der nationalen Gemeinschaft, z.B. über Regeln des traffic in women, und die Grenze zu anderen nationalen Gruppen (vgl. Anthias / Yuval-Davis 1989: 7). Frauen stehen deshalb zumeist für die zeitliche Dimension der Gemeinschaft, ihre Tradition, die gewahrt oder restauriert werden soll. Während die metaphorische Frau die gefährdete Tradition der nationalen Familie verkörpert, verkörpert der metonymische, heroische Mann die Zeit des Fortschritts. 'Familienrhetorik' ist also ein Kernstück nationaler Ideologie, denn, so McClintock: "[the] family trope [...] offers a 'natural' figure for sanctioning national hierarchy within a putative organic unity of interests [and] it offers a 'natural' trope for figuring national time" (McClintock 1998: 91).

So verstanden wäre die Metaphorisierung der Gemeinschaft zum Frauenkörper eine Naturalisierung verschiedener Differenzen. Erstens die Naturalisierung der asymmetrischen Verteilung von Macht innerhalb der Gesellschaft, die als zwischen Männern zirkulierende Macht 'über' die Gemeinschaft ins Bild gesetzt wird – wenn die Nation vergewaltigt, verführt oder verloren werden kann; zweitens die Naturalisierung der Geschlechterdifferenz selbst – die Frau ist 'natürlicherweise' das Objekt, der Mann dagegen der Agent der nationalen Geschichte; drittens schließlich die Naturalisierung der Zeit der Nation, jener 'Erfindung', von der Benedict Anderson spricht, wenn er das Wesen des Nationalismus beschreibt (vgl. Anderson 2006). Anderson hebt hervor, dass jede Form nationaler community sich selbst erfinden muss und dazu auf geographisch-räumliche oder genealogisch-temporale Kategorien zurückgreift. Nur weil diese Imagination der Gemeinschaft in gemeinsamen Erzählungen geteilt wird, entsteht nationales Bewusstsein. Die kontinuierliche Zeit einer nationalen Tradition wiederum scheint meistens als weibliche Domäne bestimmt zu werden.




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Dazu an unserem Beispiel: In Fuente Ovejuna fällt auf, dass der Raum Laurencias – die aldea – konkret von Beginn an in Opposition zum Raum der Herrschenden, also zu Hof und Stadt gebracht wird. In pastoralen Lobreden auf das Landleben (I. Akt, V. 217–248) oder auf die Liebesmoral der pastores (V. 367–444) – immer im Schatten der sexuellen Übergriffigkeit des Comendador – , und mit den rustikalen Riten des Dorfes (vgl. die Gaben an den Herrn in V. 549–578) propagiert Lope die rustikale Ehrlichkeit der labradores gegen die zweifelhafte Identität der Stadtbewohner, die noch dazu eine zweifelhafte Sprache sprechen: Kein Wort bedeute dort das, was es zu bedeuten scheint (vgl. die "Allá en la ciudad"-Diatribe Laurencias in V. 321ff.). Die alabanza de aldea ist aber nicht nur topisches Element einer limpieza de sangre-Ideologie, das den dörflichen Raum zu einem Hort der – wenn auch zeitweise gefährdeten – Tugend und Ordnung stilisiert; das Lob hebt die aldea förmlich aus dem Lauf der Zeit heraus und macht sie zum Raum einer pastoralen zyklischen Zeit, der die historische, progressive – und männliche – Zeit der Eroberung von Ciudad Real gegenübergestellt wird (vgl. McClintock 1998: 103).28 Denn der Trick an der Erfindung nationaler Zeit ist, dass nationale Gemeinschaften den eigenen Ursprung weit zurück in die Geschichte verlegen, um zu suggerieren, dass sie eigentlich immer schon existiert haben und nur erneuert werden müssen; paradoxerweise muss nationale Ideologie diese Vorstellung einer zyklischen Zeit aber mit der Tatsache des Fortschritts historischer Zeit vermitteln. Gelöst wird das Problem insofern mythisch, als beiden Zeitsträngen ein symbolisches Geschlecht zugeteilt wird: So geht aus der Verbindung einer mit der Tradition verhafteten Mutter und eines heroischen, handelnden Vaters zuletzt die nationale 'Familie' hervor. Lopes utopische Vision eines immer schon urspanischen, tugendhaften Dorflebens ist also zunächst gefährdet, weil der 'unspanische' bárbaro don Fernán als falscher Vater sich ihrer bemächtigt. Nicht aus sich selbst heraus, sondern erst mit ihrer Integration in die historische Zeit der Reconquista wird die spanische Utopie Fuente Obejunas gerettet. Diese Logik deutet schließlich die Gewalt im pastoralen Paradies als Urszene einer nationalen Gemeinschaft: Sie stellt die politische Vereinigung der tugendhaften aldea mit den ebenfalls tugendhaften Reyes Católicos sicher, und mit ihrer Hilfe erobern sich die Könige das symbolisch zurück, worauf sie ihre Autorität gründen: das Spanische.

Aus diesem Grund beschimpft Laurencia die Männer des Dorfes, keine echten Spanier zu sein: Sie müssen sich erst als solche beweisen. Laurencia, die gestohlene, geschändete und zurück gewonnene Ehefrau, ist quasi der Geigerzähler für aus dem Lot geratene oder wieder zentrierte kulturelle und nationale Ordnung. Im Zentrum der familiären Trope ist sie diejenige, deren Besitz markiert, ob eine chaotische Asymmetrie tyrannischer Macht oder eine 'gesunde' Asymmetrie im Zeichen des Absolutismus ins Recht gesetzt ist. Laurencias Körper ist als Hypotypose also die naturalisierende Trope nationaler Ordnung. Ihr Raum – die aldea – ist der weiblich konnotierte Raum einer utopischen Zeit der Nation, der mit dem richtigen Mann verbunden werden soll. Darum auch der Übergang des Dorfes in die Hände des Königs Ferdinand ganz zuletzt; und darum auch die Erzählung um den heroischen Maestre, der sich nach der Prüfung als idealer Heros einer historischen Zeit der Eroberung entpuppt. Er widmet sein nunmehr erprobtes Schwert dem Kampf gegen die Mauren und damit dem nationalen Projekt der Reconquista, ist Metonymie des kämpferischen, christlichen, und unter den Reyes Católicos geeinten Reiches geworden: "en aquesta jornada / de Granada, adonde vais, / os prometo que véais / el valor que hay en mi espada" (III. Akt, V. 2326–2329) – der Held eines mythischen Spanien.29




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Damit noch einmal zurück zur Rhetorik des Nationalismus und zur Frage, wie metaphorische Weiblichkeit, Gründungsmythen und Nationalismus zusammenhängen könnten. An dieser Stelle sei daran erinnert, was Paul de Man über die Metapher bemerkt, nämlich, dass sie als semantischer Knoten – als knot – nicht ohne ihre strukturelle Beziehung zur Erzählung – den plot oder aristotelischen mythos – zu verstehen sei:

From the recognition of language as trope, one is led to the telling of a tale [...]. The temporal deployment of an initial complication, of a structural knot, indicates the close, though not necessarily complementary, relationship between trope and narrative, between knot and plot. If the referent of a narrative is indeed the tropological of its discourse, then the narrative will be the attempt to account for this fact. (De Man 1997: 44)

Knot und plot, Metapher und Mythos gehören tatsächlich oft zusammen. Im Lukrezia-Komplex entwickelt sich die gelungene Metapher einer politischen Gründung ja auch erst daraus, dass folgende Handlungssequenzen syntaktisch gefügt werden: männlicher Stolz – weibliche Tugend – Rivalität – Vergewaltigung – Schmähung des Mannes – Rache –Triumph. Was darin ist jedoch über den Aspekt der Handlung hinaus mythisch?

In The Myth of the State beschreibt Ernst Cassirer die soziale Funktion des Mythos: Er sieht in ihm die Episierung oder Erklärung von gemeinschaftlichen Ritualen, die Handlungen beinhalteten und von Emotionen begleitet wurden (vgl. Cassirer 1974: 28). Die rituelle Gemeinschaft ist, so Cassirer, zuerst durch einen emotionalen Bund, ein gemeinsames Erleben verbunden und stiftet so eine auf Affekten basierende "unity of feeling", "a bond of 'sympathy', not of 'causality'" (Cassirer 1974: 37f.). Gemeinschaft entsteht also, weil man gemeinsam handelt und sich ähnlich fühlt, nicht, weil man logisch herleiten kann, dass man zueinander gehören solle. Der Aufstand in Lopes Stück etwa zeigt, dass nur aus der emotionalen Entfesselung politisches Gemeinschaftsgefühl erwachsen kann. Eben so entwickelt der Sturm auf don Fernáns Palast kathartische Wirkung.30 Der nacherzählte, aristotelische Mythos z.B. einer Dramenhandlung liefert dann die 'Erklärung' dazu, die Buchstäblichkeit einer sympathischen Kausalität; denn als symbolischer Ausdruck hat der Mythos eine spezifische Funktion: "mythical symbolism leads to an objectification of feelings" (Cassirer 1974: 45).

Das frühneuzeitliche 'Spanien' ist in dieser Hinsicht exemplarisch, denn auf rechtlicher Basis existierte lange kein eigentlich spanischer Staat. Henry Kamen betont deshalb die fundamental mythische Qualität des nationalen Bewusstseins im Spanien des 16. und 17. Jahrhunderts (vgl. Kamen 2008: 11–24).31 Auch Lopes Fuente Obejuna handelt, als es sich im Namen des Königs zusammenrottet und den Tyrannen der encomienda tötet, im Zeichen des 'Mythos' der späteren Reyes Católicos, nicht als deren Vasallen. Schon allein aus diesem Grund, so will mir scheinen, muss die private Handlung des Stückes von der Ebene der Politik auf weite Strecken hin getrennt bleiben; denn mit dem Nimbus gerechter Herrschaft funktioniert das Königspaar gerade aus der Ferne als Garant einer politischen Mythologie – anders als die historischen Reyes Católicos, die sich besonders durch ihre jahrelangen Reisen und ihre Präsenz im ganzen Königreich auszeichneten. Die Erzählung um Laurencia, Frondoso und Fuente Obejuna verleiht demzufolge einer sozialen, nicht einer individuellen Erfahrung Form und Gestalt, er ist als Mimesis einer Handlung – des mythos im Aristotelischen Sinne – der symbolische Ausdruck der Tatsache, dass der Mensch ein zoon politikón und Spanien eine nación ist.




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Folgende Punkte lassen sich hier resümieren: Die Verkörperung der Gemeinschaft als symbolische Hypotypose ist deren Versinnlichung. Der Mythos vom Ursprung eines Gemeinschaftskörpers – die Lukrezia-Erzählung zum Beispiel – ist mit Affekten aufgeladen und betont gleichzeitig die Erlebbarkeit des nicht individuell Erlebten: der Ursprung wird durch den Mythos überzeitlich erzähl- und 'erlebbar'. Knot und plot werden also, so de Man, zu einem "mnemotechnic device" (de Man 1997: 48) – Hypotypose und Mythos helfen nicht nur, die Gemeinschaft vorzustellen, sondern auch, das Vorgestellte zu erinnern. Somit sind die Symbolisierung der Gemeinschaft und die Erzählung ihres Ursprungs darauf abgestellt, die künstliche Erfindung – Andersons imagining – einer Gemeinschaft zu leisten. Dabei geht es sicherlich zu gleichen Teilen um Anschauung, um Erleben und um Erinnern: Anschauung durch Bilder, also eine Vorstellungsqualität; Erleben durch gesteigerte Emotionalität, die Affektqualität dieser bildlichen Vorstellung; und schließlich Erinnern durch Mnemotechnik, eine Speicherqualität.

Für diese Verbindung von Visualität, Affekt, Erleben und Erinnern hat Alison Landsberg 2004 einen wie ich meine sehr gelungenen Begriff geprägt: den Begriff der Erinnerungsprothese oder Prothesenerinnerung, prosthetic memory. Sie betont, dass Massenmedien in der Moderne die Fähigkeit besäßen, Individuen durch Zeit und Raum zu transportieren; sie sind die mithin erfolgreichsten Technologien des Erinnerns: "Mass culture makes particular memories more widely available, so that people who have no 'natural' claim to them might nevertheless incorporate them into their own archive of experience." (Landsberg 2004: 9) Prosthetic memory ist zu verstehen als "a person's mass-mediated experience of a traumatic event of the past" (ebd.: 19), zum Beispiel in Form von Filmen oder Museen. Diese vermittelte Erfahrung macht kulturelle – auch fremdkulturelle – Erinnerungen kognitiv und emotional zugänglich und verwandelt sie in persönlich erlebte Erinnerung: Sie prägt und verändert damit unsere Subjektivität.

Landsberg argumentiert zwar, dass nationalistische Erinnerungskultur und prosthetic memory nicht das Gleiche seien, weil in der heutigen, massenmedialen Erinnerungskultur kein gemeinsamer Ursprung konstruiert, sondern Differenz betont würde (vgl. Landsberg 2004: 9). Ich glaube allerdings nicht, dass sich dies so leicht trennen lässt; unter anderem, wenn man bedenkt, dass auch Lope de Vega sein Theater als arte popular, als Unterhaltungsmedium für die Masse, begriffen hat. Den Zeitgenossen und Kunden Lopes war z.B. auch ohne Kenntnis der historischen Chronik der Spruch Fuente Obejuna lo hizo so geläufig, dass man hier sicher mit Recht von einem populären Wissen, einer sozial tradierten Erinnerung, sprechen darf, die im Massenmedium Theater perpetuiert und transformiert werden konnte.

Der Begriff der Prothese selbst schließlich ist für unseren Gegenstand durchaus sinnvoll übertragbar. Denn zur Vorstellung einer prosthetic memory gehört, dass sie traumatische, erinnerungswürdige und identitätsstiftende Ereignisse erinnert – eine Prothese ist ja nur dort, wo es vorher ein gewaltsames Trauma gegeben hat, das den Körper um ein Glied beraubt. Die Prothese lenkt die Aufmerksamkeit auf körperliches und affektives Erleben (vgl. Landsberg 2004: 4) – so auch im phobos und seiner Appellqualität im Drama, das als nicht minder beeindruckendes Spektakel als die von Landsberg gebrauchten Beispiele gelten muss. Schließlich hat die prosthetic memory Warencharakter, sie ist konsumierbar und nicht an einen bestimmten Kontext – zum Beispiel die Zeit der erinnerten Episode – gebunden (vgl. Landsberg 2004: 20f.). Prosthetic memory ist also 'gekaufte gefühlte Erinnerung'. Deren Zuschauer geraten, so Landsberg, im Spektakel der Erinnerung in eine mimetische Beziehung zu den Bildern, die sie sehen (vgl. Landsberg 2004: 14).




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Dass gerade hier die Kritikerin auf die absolute Neuheit des Phänomens pocht, will nicht einleuchten, wenn man die Tradition poetischer Katharsis im Theater berücksichtigt. So hebt auch Lope am Ehrenkasus gerade dessen affektische Qualität hervor, die den didaktischen Wert der Dramenhandlung steigern könne.32 Die Ehrenhandlung in Fuente Ovejuna bewegt sich also immer schon im "interface of individual and collective experience", im Bezirk der "privately felt public memories" (vgl. Landsberg 2004: 19).

Das Stück bewirkt dabei vor allem eins: "[it] brings to mind the glory of Spain, a thing of the past when the play was written but still very much belonging to the future in 1476, when the action of the play occurs" (Ostlund 1997: 48). Dieser "nationale Grundzug" bei Lope mündet in die "Verherrlichung des katholischen Spaniens" (Vossler 1947: 229), und zwar insbesondere der "altspanische[n] Heldenzeit" (ebd.: 231). Ich glaube aber – trotz Ausschluss des offen kritischen oder satirischen Moments – nicht wie Karl Vossler daran, dass Lopes Text sich dadurch in reinen "Illusionismus"33 flüchtet. Denn in seinen szenischen Konfigurationen des sozialen Gedächtnisses handelt der Text schließlich nicht von objektiver Geschichte wie die Chronik, sondern er erzeugt affektive Erinnerung. Meine These zum "Lukrezia-Effekt" lautet deshalb: Die Erzählung 'kritischer' Männlichkeit ist eine affektische Prothese der Imagination und Erinnerung einer politischen Gemeinschaft. Aus der Verbindung libidinöser und phobischer Elemente – der homosozialen Begehrlichkeit, die in Gestalt Laurencias die spanische Ehre zurückerobern will, und der homosozialen Angst vor failed masculinity – aus dieser Verbindung libidinöser und phobischer Elemente entsteht jener Affektcocktail, der eine spanische Ursprungserzählung ins Bild setzt und den Spruch bewahrheitet: "que Reyes hay en Castilla / que nuevas órdenes hazen / con que desórdenes quitan" (II. Akt, V. 1619–1622).


4 Phobische Reflexe

Inwiefern jedoch versteckt sich in dieser Erinnerungsprothese ein traumatischer Kern? Hier muss daran erinnert werden, dass das Affektritual der Schmährede34 ein in die Krise geratenes Ehrgefühl mobilisiert und dieses auch an den Zuschauer vermittelt. Laurencias Rede bringt die von ihr Angesprochenen als verweiblichte maricones in größtmöglichen Abstand zur Norm der hegemonialen Männlichkeit.35 So besehen repräsentiert also gerade hier die comedia de honor eine "male anxiety" (Yarbro-Bejarano 1994: 36) um den Verlust der eigenen Virilität. In Fuente Ovejuna insgesamt nimmt dieser phobische Zug darüber hinaus dergestalt Form an, dass der homosoziale Ehrenhandel metaphorisch auf eine Isotopie des Jagens verschoben wird, wenn der Comendador den Frauen nachstellt und dabei wie z.B. an dieser Stelle betont: "No es malo venir siguiendo / un corzillo temeroso, / y topar tan bella gama." (I. Akt, V. 779–781; Hervorhebungen von Verf.) Immer dort, wo die Frauen mit Tieren oder gar mit Fleisch36 gleichgesetzt werden, das man jagen, rauben, weitergeben oder erlegen kann, scheint – gegen den idealistischen Liebesplot – ihre tatsächliche Rolle im männlichen traffic in women wieder auf: die Rolle, reine Objekte männlicher Interaktion zu sein. An die Stelle des Handels um symbolisches Kapital, der dem "Prinzip der Wahrung und Mehrung der Ehre" (Bourdieu 2005: 23ff.) gehorcht und den Bourdieu als Maßstab von Virilität bezeichnet, tritt ein verzweifeltes Jagen nach der Ehre, das im sozialen Machtkampf zunächst immer nur dem Stärksten zugute kommt. Das geht sogar so weit, dass Laurencia ihren zum Tode verurteilten und zugleich symbolisch toten Ehemann durch den Aufstand quasi aus der 'Unterwelt' der honra zurückholen muss (vgl. Cañadas 2005: 173).37 Die comedia selbst ist also nicht derart konform zur ideologischen Botschaft, wie man meinen möchte: Einerseits wird – über die maßgeblich libidinös belegten Affekte – zwar vorgeführt, wie ein monarchischer Bund gestiftet werden kann, der den Maestre als verlorenen Sohn in den Schoß der nationalen Familie einholt. Andererseits aber kehren die latent phobischen Elemente der Handlung hervor, dass homosoziale Beziehungen von Gespenstern heimgesucht werden. Bezeichnenderweise ist es nicht die Frauenleiche, die dabei die neu geeinte Gemeinschaft überschattet. Es 'knirscht' dagegen immer dort, wo die Unterwerfung der feudalen Kleinherrscher und Ritter am Ursprung des spanischen Territorialstaates gleich mehrere phobische Bilder heraufbeschwört.




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Zum einen etwa das Bild eines heroischen, wenn auch tyrannischen Individualherrschers, der wie don Fernán in der Schlacht mit seiner überaus männlichen Erscheinung selbst den Mauren in Granada noch Respekt gebietet. Er scheint die dunkle Kehrseite des monarchischen politischen Ideals absoluter Macht zu verkörpern und muss wohl auch deshalb buchstäblich in Stücke geschlagen werden. Augenfällig wird dies, wenn sein Untergebener Flores die militärischen Erfolge seines Herrn bei der Schlacht um Ciudad Real beschreibt:

Flores:
A su lado Fernán Gómez,
vuestro señor, en un fuerte
melado, de negros cabos,
puesto que con blanco bebe.
Sobre turca jazerina,
peto y espaldar luziente,
con naranjada las saca,
que de oro y perlas guarnece.
El morrión que, coronado
con blancas plumas, parece
que del color naranjado
aquellos azares vierte.
Ceñida al braço una liga
roja y blanca, con que mueve
un fresno entero por lança,
que hasta en Granada le temen.
(I. Akt, V. 485–500; Hervorhebungen von Verf.)

Phobisch wirkt dabei insbesondere die Tatsache, dass die Erscheinung des Comendador und seine soldatisch-heroische Männlichkeit durch maurische Elemente kontaminiert werden. In ungewöhnlich dichter Folge treten hier Lexeme arabischen Ursprungs auf: "turca" (türkisch, arab. turkī), "naranjada/naranjado" (orange, hisp.-arab. naranǧa), "jazerina" (von "jazarino" algerisch, arab. ǧazāy[i]rī,) oder "azar" (Zufall, hisp.-arab. azzahr).38 Gemeinsam mit den geschilderten orientalisierenden Attributen – dem wenig iberisch anmutenden Falben, den Perlen und dem effeminierenden Schmuck der "blancas plumas" – deutet mithin auch die Sprache unterschwellig auf jene Kultur hin, gegen die der Orden der Calatravas zu kämpfen im Mittelalter gegründet wurde. Mit dem Übergriff des Comendador don Fernán auf die christliche Stadt Ciudad Real wird also in gewisser Hinsicht der Araber im Calatrava-Ritter39 wach gerufen. Die Transgression des Anti-Helden wird auf diese Weise auch in der Bildsprache unterstrichen, denn die Ritterorden waren selbstverständlich gerade für den Kampf gegen die Mauren bestimmt gewesen und sollten nicht das Schwert gegen andere Christen erheben. Als mit orientalischen Federn gekrönter ("coronado") Rivale des Königs steht don Fernán buchstäblich in einer politischen Rivalität zu Ferdinand, die sich zugleich als Rivalität um die hegemoniale Männlichkeit entpuppt.




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Denn, so betont Connell zum historischen Wandel hegemonialer Männlichkeit: "When conditions for the defence of patriarchy change, the bases for the dominance of a particular masculinity are eroded." (Connell 2005: 77) Lopes comedia verhandelt gerade jene für Spanien zentrale Epochenschwelle, als die dominant heroische und militärische Männlichkeit des Ritters im Begriff ist, durch eine sozial gezähmte Männlichkeit im Zeichen des Monarchismus40 abgelöst zu werden. Sobald am Ende des 15. Jahrhunderts die Reconquista abgeschlossen wird, sind die Vertreter einer machiavellistischen und feudalen Männlichkeit nicht nur politisch obsolet, sondern auch eine soziale Bedrohung.41 Aus dieser Warte erzählt der durch den Ritter don Fernán bedrohte Ehe-Plot in Fuente Ovejuna also die Geschichte der Bindung der Frau an die richtige Männlichkeit – jene, die sich unter das Zeichen der königlichen Autorität stellt. Daraus spricht die politische Zentralisierungsbewegung des 17. Jahrhunderts. Dennoch ist der phobische Reflex, der mit dem orientalisierten Comendador auf die Gründungsgeschichte der Reconquista und die spanische Männlichkeit zurückfällt, unübersehbar.

Heraufbeschwört wird dabei zum anderen das Bild eines entfesselten Mob, der sich nicht unter die Gewalt des weltlichen Rechts stellen und damit nicht strukturell bannen lässt. Die Grausamkeit der Tötung don Fernáns steht den Schilderungen in den Chroniken in nichts nach und präsentiert – wenn auch in großen Teilen vor dem inneren Auge des Zuschauers – das Bild eines nunmehr zerschlagenen männlichen Körpers. Dieser büßt seine Männlichkeit gerade dadurch ein, dass er von den Frauen des Dorfes geschändet und zerstückelt wird. Obwohl seit Teresa Kirschners Interpretation des protagonista colectivo42 der kollektive, politische Geist Fuente Obejunas immer wieder idealisiert worden ist, kann man über die Brutalität und "furia" des Kollektivs dennoch nicht hinwegsehen.

Flores:
[...] con furia impaciente,
rompen el cruzado pecho
con mil heridas crueles;
y por las altas ventanas
le hazen que al suelo vuele,
adonde en picas y espadas
le recogen las mujeres.
Llévanle a una casa muerto,
y a porfía, quien más puede,
mesa su barba y cabello,
y apriessa su rostro hieren.
En efeto fue la furia
tan grande que en ellos crece,
que las mayores tajadas
las orejas a ser vienen.
(III. Akt, V. 1977–1991)

Dabei geht es, so will mir scheinen, nicht allein um Subversion von Gendernormen im Zeichen eines karnevalesken "festive misrule" (vgl. Cañadas 2005: 145–148). Der Tyrannenmord, an dessen Ende nur winzig kleine Stücke des Comendador übrig bleiben, steht auch für die gewaltsame Austreibung der anachronistischen Männlichkeit des Ritters, die zur Bedrohung der homosozialen Gesellschaft geworden ist. Feudale Männlichkeit steht zwar im Zentrum der politischen Mythologie, die Spaniens Ursprung in der Reconquista feiert, muss aber dennoch überwunden werden. Darin besteht der logisch nicht zu bewältigende, traumatische Kern dieses nationalen Mythos. Er kann in Fuente Ovejuna nur durch die absolute Entscheidung des Königs am Ende gedeckelt werden.




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Phobischer Reflex auf diese ideologische Deckelung ist schließlich auch das Bild einer zur Amazone auferstandenen Laurencia,43 die ein Heer von blutrünstigen Frauen anstachelt und dabei das männliche Gesetz der caballeros gänzlich außer Kraft setzt, wenn sie ausruft: "adonde / assiste mi gran valor, / no hay Cides ni Rodamontes" (III. Akt, V. 1845–1847). Ihre wilde Gewalt bringt es auf den Punkt: Die Zeit des Cid und des Rodamonte ist aus ihrer Sicht endgültig vorüber. Die Affektfigur und spanische Lukrezia kann jedoch aufgrund dieses latent phobischen Potenzials, das sie ausstrahlt, am Ende nicht als alleinige weibliche Gründungsfigur stehen bleiben.44 Daher tritt an die Seite des siegreichen Königs Ferdinand die Königin Isabella. Nicht ohne Grund spielt die letzte Szene des Stückes in der Habitación de la Reina. Sie verkörpert zugleich die Tugend einer idealisierten Weiblichkeit, die den verlorenen Sohn und Maestre gütig in die Arme der Nation aufnimmt, als auch das Ideal einer politischen Metapher, da sie im Stück ausschließlich als "public persona" (Ostlund 1997: 52) auftritt. An die Stelle der toten Lukrezia der Republik rückt also die janusköpfige Agentin der spanischen Monarchie: Laurencia im Privaten und in der Tat, Isabella als Sublimation des in die Hände der Herrscher übergangenen Gewaltmonopols. Hier kommt die historische Distanz des Stückes als echter Anachronismus zum Tragen, denn nur aus Sicht des beginnenden 17. Jahrhunderts und somit aus Sicht Lopes ist die Zeit der Ritter tatsächlich Vergangenheit. Ebenso anachronistisch ist der stark identifikatorische Bezug auf die Reyes Católicos, erhalten diese doch nicht nur ihren Titel erst im Jahr 1496, sondern auch ihre tatsächlich monopolisierte Macht erst nach dem Ende des Bürgerkriegs um die Thronfolge.

Diese anachronistische Vision der Katholischen Könige ist mithin gerade insofern mythisch, als sie unter Umständen als phobischer Reflex auf Lopes eigene Gegenwart interpretiert werden kann. Denn erst seit den 1580er Jahren werden die Nobles für die Krone wieder zur Bedrohung. Nachdem im späten Mittelalter in Kastilien zahlreichen Feudalherren Sonderrechte auf ihrem eigenen Land zugestanden worden waren, die fast royalen Autoritätsbefugnissen glichen – der sogen. poderío real absoluto (vgl. Kamen 1983: 14) – und die vor allem Finanz-, Gesetzes- und Justizfragen betrafen, schränkten die Reyes Católicos durch Landenteignungen die Macht der señoríos gezielt – und durchaus unblutig – ein. Ferdinand macht sich im Zuge dessen signifikanterweise auch zum Maestre der Ritterorden, wie im Jahr 1487, als er sich zum Oberhaupt der Calatrava erhebt. Unter dem ersten absolutistischen Herrscher der Peninsula Karl V. werden auch deren Encomiendas schließlich der Krone unterstellt und die absolutistische Zentralmacht mit der Niederschlagung der Comuneros endgültig konsolidiert; Kamen spricht vom "taming" (Kamen 1983: 22) der kastilischen Aristokratie.

Im ausgehenden 16. und beginnenden 17. Jahrhundert dagegen entwickeln sich die señoríos erneut zu autonomen Kleinstaaten im Staate, als Philipp II. Rechte wieder zugesteht, um finanzielle Anleihen beim Adelsstand machen zu können. Dies dürfte Lope u.a. auch im Falle des Herzogtums von Gandía in Valencia miterlebt haben. Anders als unter den Katholischen Königen, die königliches und zentralisiertes Recht auf ihrer nationalen Wanderschaft vor Ort selbst haben walten lassen, befindet sich unter Philipp II. die oberste Gerichtsbarkeit als Folge dieser Regierungspraxis nur noch selten in der Hand des Königs: "The 'absolute' king probably contributed more than any Habsburg to frittering away the authority of the crown in Spain." (Kamen 1983: 157)45 Wenn also Fuente Ovejuna an die Stelle des scheiternden Richters, der auch durch brutale Folterung nicht ans Ziel gelangt, die absolute Dezision des Monarchen setzt, so performiert die comedia damit nicht nur den Abschied von der feudalen Männlichkeit, sondern auch die kulturelle Arbeit an deren langen Schatten, der in der Gegenwart zu neuen soziopolitischen Konflikten führt.




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5 Fazit

Als Wiedergängerin der römischen Gründungsfigur Lukrezia und in der strukturellen Parallelisierung mit Ciudad Real ist Lopes Laurencia vor allen Dingen eine politische Metapher. Daher stimme ich Herrero zu, der bereits 1970 betont hat: "the final meaning of the play is not principally metaphysical, is only secondarily ethical, it is fundamentally socio-political" (Herrero 1970 / 71: 174). Allerdings kann das soziopolitische Element des Textes aus Sicht der aktuellen Männlichkeitsforschung wesentlich präziser herausgearbeitet werden. Denn die spannungsreiche Verbindung der privaten und der politischen Handlung von Fuente Ovejuna basiert auf der Tatsache, dass im Zentrum seines mythos eine emotionale Investition in das Politische steht, die über das Symbolische des Geschlechts vermittelt wird. Der Lukrezia-Effekt ist demzufolge eine affektische Prothese politischer Mythologie. Er erzeugt jedoch eine Reihe von phobisch besetzten Bildern, die nicht vollständig im Sinne der "mythische[n] Vernunft" (Bourdieu 2005: 57) männlicher Herrschaft, der monarchistischen Propaganda oder einer moraltheologischen, "diskursive[n] Superstruktur" (Küpper 1990: 24 u. 22)46 gebannt werden können. Denn obzwar Fuente Ovejuna mit den libidinösen Anteilen seiner Lukrezia-Adaptation durchaus didaktischer "Ordnungstext" (Küpper 1988: 114)47 sein will, wie Joachim Küpper bemerkt, gehorcht die comedia nicht vollständig diesem Primat. Lope verhandelt vielmehr nationale Erinnerung auch als traumatische Erinnerung an die Verabschiedung einer heldischen Männlichkeit, die dem Mythos der nationalen Gründung in der Reconquista wesentlich Vorschub geleistet hatte, aber bis in die Gegenwart die Macht des absoluten Herrschers in Frage stellt. Im Raum des Theaters werden so affektische Räume divergenter Bedeutungen geöffnet; erzählt werden sie als Geschichte einer krisenhaften Männlichkeit.


Bibliographie

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Anmerkungen

1 Ich unterscheide hier und im Folgenden die Schreibweise der andalusischen Gemeinde Fuente Obejuna und die Schreibweise des Stückes Fuente Ovejuna.

2 Vgl. zum darin verherrlichten Triumph der absoluten Monarchie über eine spätfeudale, anarchische Aristokratie Herrero 1970 / 71: 176. Die Forschung war sich lange uneins, ob das Stück als vornehmlich philosophische Abhandlung über das christliche Ideal der Liebe (Casalduero 1943), als proto-demokratischer Aufruf zur Rebellion (Menéndez Pelayo 1949: 171–182), das Ringen um gesellschaftliche Ordnung (Ribbans 1954), oder aber als Verherrlichung monarchischer Macht interpretiert werden muss.

3 Vgl. zu dieser Interpretationstradition: "Treason and rape are dramatically unified in Fuenteovejuna because they are morally akin – aspects of an individual will to social disorder." (Parker 1953: 146) Sowie zur exemplarischen Veranschaulichung der selbstlosen Liebe Wardropper 1975.




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4 In Ansätzen wird Fuente Ovejuna bereits im Sinne der Homosozialität interpretiert von Cañadas 2005: 177–183.

5 Siehe dazu ihre Definition: "in any male-dominated society, there is a special relationship between male homosocial (including homosexual) desire and the structures for maintaining and transmitting patriarchal power" (Sedgwick 1985: 25).

6 Siehe dazu insb. die frühe Studie Girard 1985 (zuerst 1961).

7 Zitiert wird unter Angabe des Aktes und der Verszeilen nach der Cátedra-Ausgabe 2011.

8 Siehe Lope de Vega 2011: 132, FN 305.

9 Als Beleg für die Unversehrtheit Laurencias herangezogen wird Frondosos letzte Aussage vor den Königen, "y a no saberse guardar / ella, que en virtud florece, / ya manifiesto parece / lo que pudiera passar." (III. Akt, V. 2410–2413)

10 Sedgwick spricht von "empowerment" (Sedgwick 1985: 27). Diese Ermächtigung gelingt immer nur relational zur Keuschheit der Frau und durch die Anerkennung anderer Männer. Zur Ehre im spanischen Kontext siehe Castro: "el honor y la fama son idénticos; la pérdida de la honra es análoga a la pérdida de la vida; consistiendo la honra en la buena fama, para conservarla hay que sigilar los actos que puedan motivar mala reputación; y, en fin, cuando se llega a perder el honor, la venganza es empleada inmediatamente"; "la causa eficiente de la honra son los actos de nuestros semejantes" (Castro 1916: 19 u. 21).

11 Aus Sicht der Masculinity Studies fungieren Frauen im sozialen "traffic" als symbolisches Kapital, "as exchangeable, perhaps symbolic, property for the primary purpose of cementing the bonds of men with men" (Sedgwick 1985: 25f.). Siehe dazu insb. die spätere Definition bei Pierre Bourdieu: "Diese Ökonomie, die auf die Akkumulation des symbolischen Kapitals (der Ehre) ausgerichtet ist, verwandelt unterschiedlichste Rohmaterialien, an erster Stelle die Frauen, aber auch alle zum förmlichen Austausch geeigneten Gegenstände in Gaben (und nicht in Produkte), d.h. in Kommunikationszeichen, die untrennbar Herrschaftszeichen sind." (Bourdieu 2005: 81)

12 Die Vermutung, dass der Comendador im Zentrum einer Anerkennungserzählung steht, wird durch die Tatsache gestützt, dass er bereits im ersten Satz des Stückes auf die Anerkennung des jüngeren Maestre pocht: "¿Sabe el Maestre que estoy / en la villa?"; "¿Y sabe también que soy / Fernán Gómez de Guzmán?" (I. Akt, V. 1f. u. 4f.)

13 Vgl. etwa Ribbans 1954. Kritisch kommentiert Casalduero das 'doppelte Ende' in Fuenteovejuna (Casalduero 1943: 40).

14 Dian Fox betont, dass die Helden der Barock-comedia in eine lange spanische Traditionslinie devianter Vasallen zu stellen sind. Im Laufe der Jahrhunderte geraten allerdings heroisch-gewalttätige und christlich-tugendhafte Qualitäten der Heldenfigur immer mehr in Konflikt. Umso erstaunlicher, so Fox, wenn in einigen Stücken Bauern als Helden auftreten, die einen sozialen Konflikt mit Gewalt lösen (vgl. Fox 1991: 38) Aus diesem Grund wohl sind in Fuente Ovejuna die Bauernfiguren einer idealisierten pastoralen Gemeinschaft mit ihrer offenen amor-Propaganda dem Comendador und Anti-Helden als diabolischer Figur entgegen gesetzt – über die figurale Trennung wird eine moralisch normative Taxonomie reproduziert und das gewalttätige Element letzten Endes aus der Gesellschaft in Gestalt einer einzelnen, nicht mehr integrierbaren Figur ausgestoßen.

15 Interpretiert wurde die Beziehung zwischen dem Comendador und dem Maestre bisher v.a. als verschleierte Kritik an der Herrschaft Philipps III. und seinem Favoriten, dem Duque de Lerma; vgl. u.a. in Anschluss an William R. Blue Ostlund 1997: 44f.

16 Vgl. die Einführung zu Fuente Ovejuna (Lope de Vega 2011: 24).

17 Der Maestre erkennt von Anfang an den Commendar don Fernán als 'symbolischen', weil sozialen Vater an: "Y por los señales santas / que a los dos cruzan el pecho, / que os lo pago en estimaros / y, como a mi padre, honraros." (I. Akt, V. 60–63) Vgl. zur symbolisch-paternalistischen und politischen Kontrakttheorie, die der immer unsicheren biologischen Vaterschaft gegenüber steht, Pateman 1988: 35.




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18 Covarrubias zeigt in der Bildmitte einen erhöht sitzenden Richter mit phallischem Amtsstab, mit militärisch anmutenden "ministros" zur Linken und einfachen Leuten zur Rechten, die auf Knien um Gnade bitten (vgl. Covarrubias 1978: 297). Im Bildhintergrund sieht man diverse Galgen als symbolische Repräsentanten des Gesetzes. Die Subscriptio lautet: "Grande es la confusión de un juez christiano, quando en un caso atroz, Fuenteovejuna con atrevida, y vengativa mano, sin Dios, sin Rey, sin ley, toda se aúna de hecho, a un hecho bárbaro inhumano, sin que se halle claridad ninguna. Qual sea el culpado, qual el inocente, en la comunidad de tanta gente." Das Motto wiederum bezieht sich auf Lukans "Quidquid multis peccatur inultum est." aus den Farsalia V, 260, und bringt den juristischen Konflikt auf den Punkt.

19 Castro betont, dass der König in den Stücken Lopes nicht nur die höchste, von Gott gegebene Autorität besitzt, und damit auch die Autorität, Ehre zu geben oder zu nehmen, sondern dass er zudem nicht Objekt der Rache werden kann; er ist also als Einziger gefeit davor, im symbolischen Handel um die Macht angegriffen zu werden (vgl. Castro 1916: 31f.). Daher erschließt sich auch das Bedrohungspotenzial des Comendador, der im Politischen eben dieses Tabu mit der Eroberung von Ciudad Real bricht.

20 Siehe dazu in Kürze Cañadas 2005: 157f., 163 u. 167. Allerdings ist fraglich, ob die Schmährede Laurencias, die hier im Folgenden analysiert werden soll, allein als Maskulinisierung der weiblichen Heldin – als "consequent self-assertion of unruly women" (ebd.: 168) – gelten darf.

21 Siehe Livius 1987, bes. Buch I.57–I.59.

22 In Botticellis "Storie di Lucrezia" (1496–1504) nimmt Lukrezias Leiche daher auch die Bildmitte ein; um sie gruppiert sich eine im Moment der Bewegung eingefangene, schwer bewaffnete und sichtlich erregte Männerschar.

23 Vgl. dazu einschlägig R. W. Connell: "Hegemonic masculinity can be defined as the configuration of gender practice which embodies the currently accepted answer to the problem of the legitimacy of patriarchy, which guarantees (or is taken to guarantee) the dominant position of men and the subordination of women." (Connell 2005: 77) Das Konzept wurde durchaus kritisch diskutiert, von Connell jedoch auch in der zweiten Ausgabe verteidigt (ebd.: xviii). Für die spekulare Funktion der Frau von zentraler Bedeutung ist hier, dass Connell Maskulinität grundsätzlich relational und als soziale Praxis denkt: "No masculinity arises except in a system of gender relations." (ebd.: 71) Zur Spekularität siehe einschlägig Irigaray 1974.

24 Siehe zur Feminisierung der Männer Yarbro-Bejarano 1994: 219f. Yarbro-Bejarano setzt dies v.a. mit der ethnischen Kategorie in Beziehung; der Ideologie der Blutreinheit zufolge wird jüdische und maurische Alterität im barocken Spanien oft als Entmännlichung – als Verlust der hombría – gezeichnet (vgl. "'Race', Masculinity, and National Identity", ebd.: 199–236).

25 So heißt es im Arte nuevo de hacer comedias en este tiempo (1609): "[...] escribo por el arte que inventaron / los que el vulgar aplauso pretendieron, / porque, como las paga el vulgo, es justo / hablarle en necio para darle gusto" (Lope de Vega 2006: 133, V. 45–48).

26 Cynthia Enloe betont, dass nationalistische Bewegungen (auch vor dem Hintergrund der Dekolonialisierung und des Erbes einer gedemütigten Männlichkeit) zuletzt die eigene Bewegung als dezidiert männliche Bewegung erinnern und konsolidieren, um die aktive Beteiligung, emanzipatorische Kritik oder vormalige Überwältigung von Frauen als Destabilisierungsmoment auszublenden und "the nostalgic patriarchal interpretation of nationalism" (Enloe 1989: 59) obsiegen zu lassen.

27 "In the national family drama that has the achievement of selfhood as its denouement, it is he who is chief actor and hero; the mother figure in this drama may be his mentor, fetish or talisman, but advice and example are taken from a heritage of fathers. Typically, then, the male role in the nationalist scenario may be characterised as metonymic. Male figures are brothers and equals, or fathers and sons and thus rivals; but in both cases their roles are specific and contiguous with one another. The 'female', in contrast, puts in an appearance chiefly in a metaphoric or symbolic role. She is the strength or virtue of the nation incarnate, its fecund first matriarch, but it is a role which excludes her from the sphere of public life." (Boehmer 1992: 6)




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28 Zur Rolle zyklischer Zeit in der aldea Fuente Obejuna durch die Betonung zahlreicher ritueller und urspanischer Praktiken siehe in Ansätzen Camino 2004: 383 u. 387.

29 Das Konzept 'Spanien' als Nation existiert allerdings, das hebt die aktuelle Geschichtsschreibung hervor, erst seit Beginn des 19. Jhds. und dem Unabhängigkeitskrieg gegen Napoleon. In der Frühen Neuzeit hingegen war die iberische Halbinsel in der Hand des Hispaniarum rex, also des Königs 'der Spanien' oder iberischen Nationen (Kastilien, Aragon, Katalonien, Navarra, teilweise Portugal). Damit stand die zentralisierende Monarchie über Jahrhunderte im Konflikt mit lokalen Regionalismen und die Mythisierung 'Spaniens' – insb. der Reconquista – war vielleicht eine umso dringlichere Aufgabe. Vgl. dazu den Überblick in Ryjik 2011: 5–12. Ryjik selbst entscheidet sich für die Untersuchung der mythischen Qualität der "conciencia nacional" (ebd.: 13). Siehe dazu bereits Kamen 2008: 1–37.

30 "Lope consigue que los villanos no tomen finalmente una decisión razonada de cometer el tiranicidio sino una puramente emocional." (Archer 1990: 116)

31 Darin argumentiert Kamen, dass die rein geopolitische, nicht jedoch rechtliche Einheit "Spanien" insb. aufgrund der kulturellen Diversität, die ihr innewohnte, nur als mythische Einheit vorgestellt werden konnte. Sie war im Stande, ein Gefühl der nationalen Zugehörigkeit zu schaffen, bevor Spanien rechtlich ein einheitlicher Staat wurde. Das nationale – und männliche – 'Spanien' wiederum konstituierte sich u.a. über Operationen des Ausschlusses von Alterität (vgl. dazu Yarbro-Bejarano 1994). Im Falle Lopes kehrt dies dichotomisch in der Gegenüberstellung von feminisierten "bárbaros" und virilen "españoles" wieder (III. Akt, V. 1769).

32 "Los casos de la honra son mejores, / porque mueven con fuerza a toda gente; / con ellos las acciones virtuosas, / que la virtud es dondequiere amada" (V. 327-330) (Lope de Vega 2006: 149).

33 "Mit anderen Worten: seine Betrachtung der Vergangenheit ist unhistorisch und unkritisch und auch dort, wo sie sentimental oder pathetisch und literarisch getönt ist, noch immer sehr naiv." (Vossler 1947: 231) Hinzu komme, so Vossler, eine "religiös geheiligte Staatsraison" (ebd.: 236), zu deren Apologetik sich die Stücke Lopes seiner Meinung nach anschickten.

34 Das affektische Potenzial der Schmährede wird besonders unterstrichen in Juan Guerrero Zamoras Verfilmung von Fuente Ovejuna aus dem Jahr 1972. Dort treten ab ca. 1:13:30 Affektbilder in Groß- oder Detailaufnahmen der Gesichter in den Vordergrund. Dabei wird ruckartig zwischen der beleidigenden Laurencia und den beleidigten Männern hin und her geschnitten. Zum Begriff des "Affektbildes" vgl. Deleuze 1989: 123–142.

35 "Gayness, in patriarchal ideology, is the repository of whatever is symbolically expelled from hegemonic masculinity [...]." (Connell 2005: 78)

36 Zum Beispiel, wenn Laurencia die Avancen des Comendador abwehrt und dabei auf die kulinarischen Gaben des Dorfes verweist, während der Untergebene des Comendador auf ihre eigenen körperlichen Reize anspielt: "Laurencia: ¿No basta a vuesso señor / tanta carne presentada? / Ortuño: La vuestra es la que le agrada." (I. Akt, V. 623f.) Philosophisch und moraltheologisch ist dies selbstverständlich ebenso als Markierung der sündhaften concupiscentia des Comendador zu deuten, die dem natürlichen amor der pastoralen Gemeinschaft gegenübergestellt wird.

37 Körperlicher Tod und der Verlust der Ehre werden in der span. honra-Vorstellung oft gleichgesetzt (vgl. Castro 1916: 23).

38 Siehe zu Etymologie und Semantik Diccionario de la lengua española/Real Academia Española 2001 und Covarrubias 2006.




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39 Der Name des Ordens bezieht sich auf die Stadt Calatrava La Vieja, die im 8. Jhd. von den Omajaden gegründet wurde und die der Ritterorden der Calatravas ab dem 12. Jhd. gegen eben jene Mauren verteidigen sollte. Bereits in der Ordensbezeichnung ist also eine lexikalische Spur des Fremden erhalten, denn Calatrava leitet sich ab von Qal'at Rabah. Dies bedeutet Festung des Rabah und verweist auf den ersten arabischen Ritter Rabah, dem die Stadt als Lehen überlassen worden war (vgl. Manzano Moreno 1991).

40 "In the era of absolute monarchy the state provided a larger-scale institutionalization of men's power than had been possible before." (Connell 2005: 189)

41 Vgl. Connell 2005: 187 zur problematischen, "unruly masculinity" der Conquistadores, die das alte Ideal von Männlichkeit in die neu eroberte Welt tragen. In Spanien wurde darüber hinaus die Tatsache zum Problem, dass die Nachfahren ehemaliger Ritter oft verarmten und sich tatsächlich in gewalttätige Raubritter wandelten.

42 Siehe das Resümee von Kirschner 1979 in Cañadas 2005: 138 u. 143f.

43 Cañadas konzentriert sich in seiner Lektüre des Stückes insb. auf die karnevalesken Elemente heroischer Weiblichkeit, auf "festive allegory and carnival violence" (Cañadas 2005: 138) und die Herstellung einer "communal androgyny" (ebd.: 182) der siegreichen Dorfgemeinschaft.

44 Sie erinnert insofern an das, was Christine Di Stefano als "the (m)other of the space-off" bezeichnet hat: "[T]he (m)other of the space-off functions as a representational support for the gendered masculine subject of modern political theory, but also as a recurring threat to his construction of self and world" (Di Stefano 1991: 19).

45 Siehe ebenso die aufschlussreiche Karte "Jurisdiction in Old Castile" (Kamen 1983: 283). [Anmerkung d. Verf.: In vorliegendem Absatz ist ein Fehler aufgetreten, die finanziellen Anleihen im Namen der Krone wurden von Philipp IV. und nicht von Philipp II. getätigt.]

46 Allerdings im vorliegenden Fall durchaus vor allem aus politischer, weniger allein aus moraltheologischer Perspektive.

47 Küpper deutet hier die private Handlung als irdische Erfüllung der Heilsgeschichte (Küpper 1988: 107) und den Ehe-Plot als Konditionierung auf religiöse Normen (ebd.: 113), die nach dem Konzil von Trient im Spanien der Gegenreformation – u.a. von Lope – mit aller Macht politisch, theologisch und diskursiv durchgesetzt wurden.