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Joachim Wink (Berlin)



Molière, für die Zukunft flottgemacht. Anmerkungen zu einem Paradigmenwechsel


Wer Nietzsches Parole "Gott ist tot" als Denkfigur oder Topos im 14. Jahrhundert veranschlagt, wird mit dem Einwand rechnen müssen, daß eine solche Sichtweise "anachronistisch" sei. Sie ist es nachweislich nicht (Pluta 1999), doch scheint es in der wissenschaftlichen Praxis immer wieder Fakten zu geben, die weniger akzeptabel sind als andere. Aber denken wir ruhig noch etwas weiter: Wenn gängige Geschichtsbilder Konstruktionen sind, die im wesentlichen dadurch zustandekommen, daß Vergangenheit der herrschenden Ideologie oder – euphemistisch gesagt – dem "Zeitgeist" unterworfen wird, so müßten sie eigentlich von "Anachronismen" geradezu überquellen. Genau das tun sie wohl auch, wobei allerdings solche Zustände immer erst dann entdeckt werden, wenn der Zeiger der großen Uhr ein gutes Stück weitergerückt ist. Steht hingegen ein spezifischer "Zeitgeist" immer noch in Saft und Kraft, so findet ein Heer gut oder schlecht bezahlter Intellektueller sein Auskommen darin, ihm nach den Lippen zu reden und ideologisch nichtkonforme Gedanken abzuweisen. Ein bequemes Mittel hierzu ist der stets griffbereite und scheinbar unabweislich kluge "Anachronismus"-Einwand, wobei diejenigen, die ihn erheben, sich nicht immer im klaren darüber sind, in was für einem Ausmaß nicht nur andere, sondern auch sie selbst Gefühlslagen und Denkgewohnheiten ihres eigenen Zeitalters in die Vergangenheit projizieren. Aus einer gewissen Distanz betrachtet könnte es in der Tat so scheinen, als ob der eigentliche Sinn und Zweck allen intellektuellen Arbeitens immer neuer Generationen darin bestünde, dem "Zeitgeist" (hinter dem sich in Wirklichkeit maßgebliche gesellschaftliche Kräfte verbergen) subjektive Aktualisierungen, Einfärbungen und Umdeutungen von Vergangenheit zur Verfügung zu stellen. Mir scheint, daß wir uns in dieser Hinsicht seit einigen Jahren in einer besonders "produktiven" Phase befinden, was ich im folgenden anhand einiger Beispielen darlegen möchte, die ich vor allem der aktuellen Forschungsdebatte um Molière entnommen habe.




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Das "Huhn im Kochtopf"

Betrachten wir ein erstes Beispiel, das bereits nicht allzu fern von Molière liegt. Wenn Jürgen Grimm (dem ich für seine Studien zu Molière und La Fontaine selbstverständlich alle Bewunderung zolle) in seinem 2005 erschienenen Lehrbuch Französische Klassik im Zusammenhang mit der hohen Mitgift, die Maria de' Medici in ihre Ehe mit Henri IV einbrachte, nicht nur behauptet, daß dadurch "die Tilgung eines Großteils der Auslandsschulden Frankreichs" ermöglicht worden sei, sondern auch noch den Satz "Dieser Schuldenabbau ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur wirtschaftlichen Konsolidierung des Landes" hinzufügt und den gesamten Abschnitt mit der Überschrift "Maria von Medici – Sicherung der Thronfolge und Schuldenabbau" versieht (Grimm 2005: 24), so wird eine solche (übrigens von ihm durch keinerlei Literaturhinweis abgesicherte) Aussage im Hinblick auf das 16./17. Jahrhundert sicherlich etwas fragwürdig erscheinen müssen, so schön damit auch der Original-Ton beliebiger Presse-Erklärungen deutscher Regierungspolitiker im 21. Jahrhundert getroffen wurde. Auch der einige Seiten weiter auf Colbert bezogene Begriff des "Superministers" (Grimm 2005: 37) ist insofern bezeichnend, als der im Oktober 2002 an die Spitze eines "zusammengelegten" Wirtschafts- und Arbeitsministeriums gestellte Reformpolitiker Wolfgang Clement landauf landab mit eben diesem Titel benannt wurde. Zwar heißt es im Vorwort, daß sich dieses Lehrbuch "nicht an Forscher, sondern an Studierende der französischen Literatur" richte, weshalb "die Lesbarkeit der Darstellung [...] ein wichtiges Kriterium" gewesen sei (Grimm 2005: VII); mir scheint jedoch, daß Sinn und Zweck einer solchen "Lesbarkeit" nicht darin bestehen kann, mittels modischer Begriffe und Gedankenkonzepte quasi einen Farbton vorzugeben, mit dem wir dann die Vergangenheit anzupinseln haben. Tatsächlich ist ja die "ökonomische Verantwortung", wie sie dem "schuldenabbauenden" Henri IV zugeschrieben wird, nicht die einzige Pinselei, die sich Grimm erlaubt. Mindestens ebenso zeittypisch auch seine folgende Behauptung:

Im Umfeld der Aufhebung des Edikts von Nantes 1685 wird Heinrich der utopische Bezugspunkt eines frühaufklärerischen Geschichtsdenkens, welches das Edikt von Nantes zu einem Toleranzedikt stilisiert. Voltaire wird die Legendenbildung in seinem Epos La Henriade entscheidend fördern, indem er auf Heinrich seine eigenen frühaufklärerischen Vorstellungen projiziert: Frieden, Toleranz, Menschlichkeit, das Ideal eines dem Wohle des Volkes verpflichteten Monarchen. (Grimm 2005: 26)

Natürlich hat "frühaufklärerisches Geschichtsdenken" – wie jedes Geschichtsdenken überhaupt – feste Bezugspunkte gebraucht: Aber warum sollen diese nun unbedingt "utopisch" gewesen sein? Natürlich wurde das Edikt von Nantes von den Frühaufklärern zu propagandistischen Zwecken "stilisiert": Aber war es deswegen kein Toleranzedikt? Natürlich hat Voltaire seine Vorstellungen von Frieden, Toleranz, Menschlichkeit und gerechter Herrschaft auf Henri IV "projiziert": Aber heißt dies nun unbedingt, daß Henri IV mit solchen Idealen nichts zu tun hatte?




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Es ist ja nicht so, daß sie erst zu Beginn des 18. Jahrhunderts entdeckt worden wären und es davor niemanden gegeben hätte, der seine Stimme für sie erhob. So findet sich z.B. Voltaires "frühaufklärerische Vorstellung" eines "dem Wohle des Volkes verpflichteten Monarchen" bereits ohne Abstriche in den Cinque Canti des Ludovico Ariosto (canto II, 1‒3), der rund zweihundert Jahre vor Voltaire lebte, und natürlich ist klar, daß Ariost seinerseits diese Vorstellung wiederum von anderen übernommen hat.

Es kann in der Tat schon etwas nachdenklich stimmen: Während Grimm in dem oben angeführten Zitat die Ideen frühaufklärerischer Geschichtsphilosophen so musterhaft mit "Stilisierung" und "Projektion", mit "Utopie" und "Legendenbildung" in Verbindung bringt, scheint er nicht zu ahnen, in welch bedrückendem Ausmaß er selbst an einer aktuellen Zurechtdeutung von Vergangenheit mitwirkt. Diese äußert sich nicht zuletzt in dem seltsamen Epitheton "sozialpathetisch", als welcher von ihm der legendär gewordene königliche Wunsch "Je veux que le dimanche chaque paysan de mon royaume ait sa poule au pot" bezeichnet wird (Grimm 2005: 26). Ist damit nicht ein Stichwort geliefert, mit dem sich letztlich sämtliche Ideale der Aufklärung mit einem überlegenen Lächeln liquidieren lassen?


Molière im Schützengraben

Das Etikett eines anderen, immer wieder neu nachgefragten Farbtopfes lautet "Überlebenskampf". In Claude Bourquis 1992 veröffentlichten Untersuchung Polémique et stratégies dans le Dom Juan de Molière finden sich in den vorangestellten Zwischentiteln des ersten Kapitels dicht gedrängt eine Reihe überlebenskämpferischer Bestimmungen:

"Un Molière combattant" – "La part essentielle de la lutte dans la carrière de Molière" – "Un adversaire principal: la concurrence" – "L'hostilité croissantes des dévots" (Bourqui 1992: 13)

Der erste Satz des ersten Kapitels lautet:

L'histoire de la carrière théâtrale de Molière est l'histoire d’une longue lutte pour s'établir à Paris et pour s'imposer. (Bourqui 1992: 13)




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Nach dreizehnjährigem Durchstreifen der Provinz (so heißt es weiter) habe Molière in Paris wieder Fuß gefaßt und von nun an unablässig seine zwar immer beneidenswertere aber nie wirklich sichere Position gegen Rivalen und Gegner aller möglichen Couleur mit größter Zähigkeit verteidigen müssen. Es ist sogar von Schützengräben die Rede:

D'escarmouches en guerres de tranchées, de querelles en cabales, Molière se verra contraint de consacrer une part non négligeable de son énergie à la polémique sous toutes ses formes. (Bourqui 1992: 13)

Neben einen "Molière penseur et philosophe", "Molière artiste" und "Molière homme de théâtre" sei daher auch ein "Molière combattant" zu stellen, ein "homme de luttes et de polémiques", ein "belligérant d'une guerre théatrâle [...] qu'il ne cherche guère à apaiser" (Bourqui 1992: 13). – Man kann nur dankbar sein, daß dieser aufdringliche Topos des "Überlebenskampfes" schon nach wenigen Seiten wieder in den Hintergrund tritt. Bourqui scheint damit seine Leser vor allem an den Gedanken gewöhnen zu wollen, daß Molière nicht immer nur die verfolgte Unschuld gewesen ist. Dies mag in der Tat ein nützlicher Gedanke sein, mit dem sich manche Polemik gegen seine Stücke besser verstehen läßt. Dennoch: Auch Bourqui hat die Vergangenheit willkürlich in einem bestimmten Farbton angepinselt, und es scheint die neoliberale Wirtschaftsideologie mit ihren Hochwertbegriffen „Wettbewerb“, "Konkurrenz", "Durchsetzung" usw. gewesen zu sein, von der er die Farbtöpfe bezogen hat.


"Zirkumstanzialismus"

Im Jahre 2010 veröffentlichen Georges Forestier und derselbe Claude Bourqui, von dem gerade die Rede gewesen ist, im Rahmen der neuen Pléiade-Ausgabe zu Molière eine Notice über den Dom Juan, die in weiten Teilen nichts anderes als die Verteidigung einer neuen und überaus fragwürdigen These ist. Der Zeiger der großen Uhr hat sich ein gutes Stück weiterbewegt: Das Konzept des "Überlebenskampfes" ist mittlerweile institutionalisiert und gesamtgesellschaftlich verinnerlicht, so daß an der "Ideenfront" dieser Farbton momentan etwas weniger nachgefragt wird. Was als neues Konzept heraufdämmert, läßt sich vielleicht als "Zirkumstanzialismus" bezeichnen. Ich meine damit ein gewisses Bemühen, das literarische Kunstwerk – wie überhaupt jedes menschliche und soziale Phänomen – einem Bündel angeblich alternativloser Sach- und Umweltzwänge zu unterwerfen, die plausibel machen sollen, warum es genau zu dem werden mußte, was es dann auch tatsächlich geworden ist.




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Aber kommen wir zu unserem Beispiel. Man weiß, daß der Dom Juan ein "Maschinenstück" mit sechs verschiedenen Bühnenbildern ist und daß zwischen Auftrag (dem berühmten "marché de décors" vom 3. Dezember 1664) und Erstaufführung kaum zehn Wochen gelegen haben. Die neue These besagt nun, daß die einmal beschlossene und nicht wieder rückgängig zu machende Disposition der Bühnenbilder den – angeblich erst ab diesem Zeitpunkt einsetzenden – dichterischen Produktionsprozeß bestimmt habe. Da sich für eine solche Annahme (wie gleich von Anfang an zu ahnen war) natürlich keine neuen Quellenbelege anführen lassen, gibt man sich zunächst einmal schön dialektisch:

Il semble bien plutôt que ce soit leur disposition [la disposition des décors] qui ait déterminé la construction de la pièce et non l'inverse. (Forestier/Bourqui 2010: 1626)

Dann aber ist zunehmend von "contraintes scénographiques" die Rede, und es folgt eine Flut an spitzfindigen Deduktionen, wie und warum Molière sein Stück aus bühnentechnischen Gründen so und nicht anders habe schreiben müssen. Mit Hilfe technisch bedingter Kausalitäten werden dabei Erscheinungen gedeutet, die sich ebenso auf andere Kausalitäten zurückführen lassen, von denen man nun aber plötzlich nichts mehr wissen will. So sei es z.B. allein den bühnentechnischen Zwängen geschuldet, daß Molière die Statue des Kommandanten nicht einfach nur – wie dies seine Vorgänger taten – im letzten Akt, sondern in den letzten drei Akten auftreten läßt:

Si l'acte V est celui du foudroiement de Don Juan par la Statue, la séquence du repas au domicile du héros, qui implique un décor d'intérieur [...], a dû être décalée à l'acte IV. Du coup, la découverte du tombeau dans la forêt [...] et le premier dialogue avec la Statue ont été placés à la fin de l'acte III, c'est-à-dire au cœur même de la pièce. Et, par voie de conséquence, l'aventure du naufrage et la scène de séduction de la paysanne, impliquant un décor maritime, ne pouvaient occuper que l'acte II. (Forestier/ Bourqui 2010: 1627)

Vielleicht sollten wir uns (wenn wir für einen Moment die Annahme akzeptieren wollen, daß die dichterische Produktion erst nach dem „marché de décors“ begonnen habe)1 an dieser Stelle einfach einmal fragen, was aus dem Stück geworden wäre, wenn Molière nach der Auftragserteilung der Bühnenbilder plötzlich gestorben und ein anderer Autor für ihn eingesprungen wäre. Hätten Forestier und Bourqui mit ihrer These Recht, so würde dies bedeuten, daß jener andere Autor das gleiche Stück verfaßt hätte: Auch er hätte die Statue nicht nur im letzten Akt, sondern in den letzten drei Akten auftreten lassen. Auch er wäre gezwungen gewesen, die Szene des Festmahls aus Schlangen und Skorpionen zu streichen. Auch er hätte sich, um das Publikum dafür zu entschädigen, eine neue Gruselszene mit einem Gespenst ausgedacht, welche auch er – "invité par son décor à immobiliser dans une rue durant tout un acte un Dom Juan en attente de son châtiment" (Forestier/ Bourqui 2010: 1628) – dazu verwendet hätte, den fünften Akt zu füllen usw. usf. Dies alles glaube, wer wolle. Offenbar wird hier mit allen Mitteln versucht, Molières originelle Bearbeitung des Stoffes auf möglichst ideologieferne Zusammenhänge zurückzuführen – aus welchen Gründen auch immer.




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Rückzug aus der gesellschaftskritischen Perspektive

Worum es in Wirklichkeit geht, wird meines Erachtens gegen Ende der Notice deutlich, wo sich die beiden Autoren überraschend gegen die bislang unstrittige Forschungsmeinung stellen, daß der Dom Juan ein Skandalstück gewesen und wenn nicht offiziell verboten, so doch aus opportunen politischen Gründen ab dem 20. März 1665 nicht mehr aufgeführt wurde. "Rien ne vient corrober cette interprétation traditionelle" (Forestier/ Bourqui 2010: 1642) heißt es nun plötzlich kühn, ja man behauptet sogar, daß sich eine solche Meinung "exclusivement" auf das Pamphlet von Rochemont stütze. Dem ist natürlich nicht so, und Bourqui, dessen 1992 erschienene Monographie über den Dom Juan hierzu sehr lesenswerte Ausführungen enthält, hätte dies eigentlich selbst am besten wissen müssen. Nun aber ist er sich seltsamerweise nicht zu schade, die Frage, warum es keine weiteren Aufführungen gab, mittels Spekulationen um einen "dispositif scénique assez lourd [...] qu'il devait être difficile de manœuvrer dans un Palais-Royal encore en mauvais état et mal équipé pour les machines" (Forestier/ Bourqui 2010: 1643) erneut auf das Bühnentechnische zu reduzieren, oder die Frage, warum Molière von seinem Druckprivileg keinen Gebrauch machte, mit der seltsamen Gegenfrage "avait-il même des raisons de publier la brillante rhapsodie qu'il avait composée?" (Forestier/ Bourqui 2010: 1643) vom Tisch zu wischen. Der gemeinsame Nenner solcher Neubestimmungen aber ist, daß gegenüber den unverändert offenen Fragen nicht mehr soziale und politische Gründe in Erwägung gezogen werden, sondern nur noch beliebige andere Gründe, die in möglichst komplizierter, spitzfindiger, ja überschlauer Weise aus sachlichen Zwängen abzuleiten sind.


Wie man die Katze aus dem Sack läßt...

Dieser bewußt oder unbewußt vollzogene Rückzug aus der gesellschaftskritischen Perspektive (von dem mir scheint, daß er das zeitgemäße dieses wissenschaftlichen Textes aus dem Jahre 2010 ausmacht) zeigt sich besonders deutlich in der Neubewertung der Observations des Sieur de Rochemont (ich meine die Observations sur une comédie de Molière intitulée Le Festin de Pierre des bis heute nicht näher identifizierten Sieur de Rochemont, welche nur wenige Wochen nach der Aufführung des Stücks erschienen sind und in denen Molière vorgeworfen wird, den christlichen Glauben zu zerstören), die Forestier und Bourqui am Ende ihrer Notice überraschend vornehmen. Nachdem sie ihre editorische Entscheidung für die unzensierte Amsterdamer Fassung begründet haben, schließen sie ihren Forschungsbericht – in cauda venenum – mit folgenden Worten:

Assurément, sans l'édition hollandaise, le mystérieux "sieur de Rochemont" aurait remporté une victoire posthume sur Molière: tous les passages de l'édition française autocensurés puis censurés correspondent très exactement aux passages incriminés par les Observations sur une comédie de Molière intitulée Le Festin de Pierre. (Forestier/ Bourqui 2010: 1648)




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Daß in der 1682 erschienenen Pariser Fassung die gleichen Stellen zensiert wurden, an denen bereits Rochemont 1665 Anstoß genommen hatte, wurde von der bisherigen Forschung immer als Bestätigung gewertet, daß diese Stellen tatsächlich "Sprengstoff" enthielten. Nun wird die Sache plötzlich so hingedreht, daß jene zensorischen Übereinstimmungen doch eigentlich nur beweisen würden, wie sehr sich Rochemonts künstliches Alarmgeschrei in den Köpfen der Menschen – darunter auch denen der polizeilichen Zensoren – festgesetzt habe. Als ob es nie eine Cabale des dévots gegeben und Molières Freidenkertum nie im Widerspruch zum katholischen Glauben gestanden hätte! Damit aber wird eben rasch einmal ein jahrzehntealter Forschungskonsens aufgekündigt, zu dessen Illustration ich keine unverdächtigere Stimme zu zitieren wüßte als die des Autors der Morales du grand siècle:

On peut discuter à perte de vue sur les intentions de Molière, mais le fait est qu'il a mis d'accord contre lui des jésuites comme Bourdaloue, des jansénistes comme Baillet, les espions militants de la Compagnie du Saint-Sacrement, qui n'était spécialement ni jésuite ni janséniste, des hommes comme Bossuet et Lamoignon qui représentaient sous sa forme la plus générale la sévérité du christianisme. (Bénichou 1967: 337f.)

Nicht, daß sich seit Paul Bénichou an den zur Beurteilung dieser Frage relevanten Wissensgrundlagen etwas geändert hätte; oder daß sich Forestier und Bourqui auch nur die Mühe gemacht hätten, ihre neue Sichtweise auf Rochemont und dessen Pamphlet näher zu begründen. Wie immer zu Beginn einer Revisionismus-Bewegung kommt es vielmehr darauf an, in möglichst beiläufiger Weise implizite Behauptungen zu verbreiten.2 Offenbar rechnet man damit, daß es an neuen und "unvoreingenommenen" Köpfen, die sich im Laufe der nächsten Jahrzehnte um "wissenschaftliche" Nachbesserung bemühen werden, schon keinen Mangel haben wird.


... und wo der Hund begraben liegt

Der Zug, auf den Claude Bourqui und Georges Forestier in ihrem oben zitierten Schlußsatz noch eben rasch aufgesprungen sind, befindet sich seit 2007 in voller Fahrt. Damit meine ich die von François Rey in Molière et le Roi. L'affaire Tartuffe veröffentlichten Thesen. Das über vierhundert Seiten dicke Buch ist in Dialogform verfaßt, wobei dem 1921 geborenen Journalisten und Autoren Jean Lacouture – dessen Leben emblematisch für den Wandel vom kommunistischen Revolutionär zum Träger des Ordens der Ehrenlegion stehen könnte – meist nur die Rolle des staunenden Skeptikers, geistreichen Witzemachers oder heimlichen Stichwortgebers zufällt. Auf mehr als siebzig Seiten (Rey/Lacouture 2007: 147‒220) geht Rey auf die Debatte um den Dom Juan ein, den er als wichtige Station im Kampf Molières um die königliche Gunst wertet. Dabei hat auch er mit dem üblichen Mangel an historischen Zeugnissen zu kämpfen, der von der Molière-Forschung seit jeher beklagt wird.3 Gerade über die Rezeption des Tartuffe und des Dom Juan ist aus der Feder von Molières eigenen Zeitgenossen wenig zu erfahren – einmal abgesehen von den allseits bekannten Polemiken, Gegenpolemiken und Bittschriften, wie sie jede kritische Edition in ihrem Anhang mitliefert. Während aber einst ein Georges Mongrédien das Schweigen um Molière mit dessen sozialer Situation begründete,4 gelangt man hier – speziell in Bezug auf den Dom Juan – zu einer völlig anderen Sichtweise:




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Des réactions du public, nous n'avons d'autre écho que ce qu'en donnent à lire les trois textes de la polémique lancée par Rochemont. Rien chez Gui Patin, ni chez d'Ormesson, ni chez Mme de Sévigné, rien dans la correspondance de Condé et Enghien, pas une ligne dans les gazettes et les mémoires. Ce silence ne pouvant être vide, j'en conclus que le spectacle n'a provoqué aucun véritable scandale. (Rey/ Lacouture 2007: 182)

Aus dem Negativum (Mangel an Quellen zu einem wichtigen Ereignis) wird durch Zauberhand ein Positivum: Eben weil es so wenig schriftliche Zeugnisse gebe, könne auch nichts Wichtiges passiert sein! Eine solche "These" zieht natürlich eine unabsehbare Reihe weiterer Umdeutungen nach sich. Immerhin gibt es ja drei bedeutende Quellentexte (die Observations des Sieur de Rochemont, die Réponse aux Observations und die Lettre sur les Observations), welche über die Rezeption des Dom Juan Auskunft geben und noch im Jahr der Aufführung als Broschüre gedruckt und gehandelt wurden, sowie einige weitere Zeugnisse aus dem 17. Jahrhundert (sie werden im folgenden Zitat aufgezählt werden), welche samt und sonders den Eindruck eines Skandalstücks belegen. Reys Kunstgriff zur Entkräftigung dieses Eindrucks besteht nun darin, dem Sieur de Rochemont bzw. dem unbekannten Autor, der sich hinter diesem Pseudonym verbirgt, bewußte Falschaussagen zu unterstellen. Er bleibt dabei durchaus im Vagen und vermeidet es, die Argumentation Rochemonts, welche er pauschal als "pas claire", "peu rectiligne" und "caotique" bezeichnet (Rey/ Lacouture 2007: 189), in irgendeiner Weise nachzuzeichnen. Zugleich versucht er als plausibel zu verkaufen, daß diese Falschaussagen von anderen übernommen und sich unter stetigem Rückgriff auf die Observations bis auf den heutigen Tag perpetuiert hätten. Die Observations seien ein "texte fondateur"...

[...] qui oriente et nourrit toutes les lectures qui seront faites, jusqu'à la fin du XVIIe siècle, du Festin de Pierre et de l'affaire Tartuffe, dont il est l'un des épisodes majeurs. On en retrouve les "analyses" et les formulations sous la plume du prince de Conti, sous celles de l'abbé d'Aubignac, d'Adrien Baillet, des théologiens de la Sorbonne consultés en 1678 sur la question de savoir si l'on peut "admettre aux sacrements une troupe de comédiens qui représentent [...] la comédie qui a pour titre Le Festin de Pierre, sous prétexte que les princes qui les ont à leurs gages veulent qu'elle soit représentée devant eux", sous la plume enfin de tous les auteurs qui prendront part à la polémique contre le théâtre animée par Bossuet au cours de l'année 1694. Les mêmes analyses seront reprises, sans toujours être citées, par les historiens des siècles suivants. Aujourd'hui encore, elles alimentent les interrogations et fondent les certitudes des moliéristes de toute nature, biographes, essayistes, critiques, professeurs, metteurs en scène. L'analyse du couple Dom Juan-Sganarelle, la lecture du Festin de Pierre comme pièce philosophique et comme éloge plus ou moins crypté de l'athéisme, tout est dans les Observations. (Rey/ Lacouture 2007: 188)




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Kurz: Es habe in Wirklichkeit nie einen Skandal um den Dom Juan gegeben. Alle, die sich jemals zu diesem Stück geäußert hätten – von Molières eigenen Zeitgenossen über sämtliche Experten des 19. und 20. Jahrhunderts bis hin zum heute lebenden Französischlehrer oder Theaterregisseur – hätten sich von dem zu propagandistischen Zwecken erkünstelten Unsinn, den Rochemont einst verzapft habe, in die Irre führen lassen!


Molière als Falschmünzer

Und um dem Ganzen noch die Krone aufzusetzen: Die Observations seien eine regelrechte Fälschung ("un faux"), die von niemand anders als Molière selbst zur Erreichung seiner strategischen Ziele in Umlauf gebracht worden sei. Welcher "auteur impossible", welcher "monstre" könne denn auch im Frankreich Ludwigs XIV. einen solch "bizarren", "widersprüchlichen" und "unhaltbaren" Text wie die Observations verfaßt haben? (Rey/ Lacouture 2007: 194f.) Und weiter:

Si ce texte n'est pas tenable du point de vue idéologique, son auteur a toute chance d'être une fiction ou un fantôme, et le pamphlet lui-même une mystification. Mais qu'est-ce qu'un faux pamphlet hostile à Molière? C'est un leurre favorable à Molière. Excessif, outrancier, malveillant, vindicatif, il vise à obtenir l'effet inverse de celui qu'il prétend rechercher. Il doit donc émaner d'une plume favorable à Molière. Parvenu à ce stade du raisonnement, il est aisé de conclure (très banalement, j'en conviens) que l'on n'est jamais mieux servi que par soi-même et qu'après tout le principal intéressé était le plus apte à caricaturer ses adversaires. (Rey/ Lacouture 2007: 195f.)

Damit wird so getan, als ob Molière von der Kirche und den "dévots" wenig zu befürchten hatte. So wenig, daß er ohne Risiko für sein eigenes Wohlergehen und das seiner Truppe böse Brandschriften gegen sich selbst verfassen und mit besonderem Fleiß – allein im Jahr 1665 erfuhren die Observations ganze fünf Auflagen (Mongrédien 1986: 69) – in Umlauf bringen konnte. Wüßte man nicht mit Bestimmtheit, daß ein berühmter deutscher Diktator sein über siebenhundertseitiges Pamphlet gegen das "Weltjudentum" eigenhändig niederschrieb, so hätten wir – wenn wir dieser Logik einmal folgen wollen – allen Grund zu der Annahme, daß auch hier eine "Fälschung" vorliege. Damit möchte ich nur sagen: Wer potentiellen Opfern der Verfolgung ein Interesse zuspricht, sich durch absichtlich in Umlauf gebrachte Fälschungen selbst zu stigmatisieren, der sollte zunächst einmal sehr sorgfältig die Täterseite analysieren. Genau dies aber scheint Rey nicht getan zu haben: Die cabale des dévots ist für ihn schlicht inexistent, wie z.B. deutlich wird, wenn er von einer "interdiction qui frappait, pour des raisons encore peu claires, une pièce que tout Paris attendait" (Rey/ Lacouture 2007: 200) spricht und damit das Tartuffe-Verbot meint.




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Man darf wohl vermuten, daß ein Georges Mongrédien, ein Antoine Adam oder auch ein Georges Couton (der die 1971 erschienene Vorgänger-Ausgabe der Œuvres complètes de Molière in der "Pléiade" besorgte) über Reys Thesen nicht wenig gestaunt hätten. Vielleicht wären sie ihnen in dieser Form – der dramaturgisch zurechtmontierter Dialoge – auch gar nicht der Rede wert gewesen. Anders die Herausgeber der neuen Pléiade-Ausgabe, welche Rey nicht nur in zwei Fußnoten hofieren,5 sondern auch – wie im vorletzten Abschnitt gezeigt – seine Beurteilung der Observations zumindest in soweit übernehmen, als auch sie jenem Text eine Irreführung unterstellen, die sich in bestimmender Weise auf die zeitgenössische Rezeption und die zeitgenössische Zensur ausgewirkt habe. In etwas seltsamem Licht erscheint dabei vor allem Bourqui, der ja in jüngeren Jahren explizit die Wichtigkeit der Observations für eine historisch einfühlsame Interpretation des Stückes hervorgehoben und für seine eigene Untersuchung in Rechnung gestellt hat (Bourqui 1992: 9). War er damals schlauer? Oder hat er in der Zwischenzeit dazugelernt? Oder ist einfach nur der Zeiger der großen Uhr ein Stück weitergerückt?


Molière Machiavel

Wer sich nun fragen sollte, was Rey dazu motiviert haben mag, die aus dem katholisch-gegenreformatorischen Milieu Molière mit aller Macht entgegenschlagende Feinschaft zu verharmlosen und die seltsame These aufzustellen, daß die Observations eine von Molière selbst lancierte Fälschung gewesen seien, mit der es ihm in schlauer Berechnung gelungen sei, die Protektion Ludwigs XIV. zu gewinnen, der findet zumindest auf diese Frage eine klare Antwort. Es gibt nämlich in jenen gelehrten "Dialogen" (bei denen man wie üblich nicht weiß, wieviel davon im Nachhinein zurechtmanipuliert wurde) eine Stelle, an der Rey ein längeres Zitat einbringt, das ihn besonders zu ärgern scheint. Wir erfahren, daß irgendein Autor in irgendeiner neueren Pocket-Ausgabe des Dom Juan sich die Freiheit genommen habe, über Rochemont und die hinter ihm stehende kirchliche Macht ein paar höhnische Sätze zu äußern. Obwohl diese Sätze durchaus nicht dumm sind,6 oder jedenfalls nicht dümmer als das meiste von dem, was Jean Lacouture und François Rey in ihren „Dialogen“ gemeinsam zum besten geben, beeilt sich ersterer, den Text als "ridicule" und dessen namentlich nicht genannten Autor als einen "imbécile" zu klassifizieren. Dann wieder Rey: 

Il y a là ce que la belle tradition laïque a produit de plus insupportable. La complaisance à soi du discours laïcard est non seulement ridicule, mais elle constitue un obstacle à la connaissance. L'image caricaturale que ces lignes donnent de l’'Église chrétienne', même réduite à son pôle catholique, omniprésent et oppressif, du XVIIe siècle, interdit toute approche un peu complexe de ce pamphlet et de son auteur. (Rey/ Lacouture 2007: 190)




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Hier fällt tatsächlich eine Maske. Es ist nicht mehr religiöser Glaube (zumal katholisch-dogmatischer Art), der in der Tradition der Aufklärung als "obstacle à la connaissance" betrachtet wird; vielmehr sei es der kirchenfeindliche Diskurs, der sich heutzutage als ein Hindernis für die wissenschaftliche Erkenntnis erweise. So habe aus Molière, der in Wirklichkeit den Skandal um sein Stück frei erfunden habe ("Rochemont-Molière crée de toutes pièces le scandale que Le Festin de Pierre n'a pas soulevé"), ein "parangon d'innocence en butte à la haine d'une meute de cabaleurs dévots" werden können (Rey/ Lacouture 2007: 196, 205). Je fanatischer er sich selbst in den Observations an den Pranger zu stellen wußte, desto dankbarer habe die mit antiklerikalen Vorurteilen aufgeladene Nachwelt in ihm ein Opfer kirchlicher Verfolgung bzw. einen Befreier aus religiöser Finsternis erblicken wollen:

[...] le même réquisitoire [sc. les Observations] qui aurait pu, en son siècle, faire condamner Molière, fait de lui pour la postérité une victime emblématique du fanatisme religieux et le meilleur représentant de la "résistance de l'esprit". (Rey/ Lacouture 2007: 189)

Der in diesem Satz enthaltene Irrealis ist nicht etwa so zu verstehen, daß die Observations Molière tatsächlich hätten gefährlich werden können. Rey sieht in ihnen nichts weiter als einen "texte impossible", der nie und nimmer zu einer realen "Anklagerede" getaugt hätte. Allein der dringende Wunsch, in Molière das Opfer religiösen Fanatismus' zu sehen, habe bisher an die Authentizität jenes Textes glauben lassen:

Je crois que si ce faux a pu convaincre les contemporains, et s'il convainc aujourd'hui encore ses lecteurs, c'est qu'il répond à un désir. [...] Les lecteurs modernes de Molière (les Français du moins), quand même ils ne sont pas athées, ont une culture largement anticléricale. Tout en eux "appelle" ce magnifique témoignage de fanatisme, qui flatte, en la confirmant, la lecture qu'ils font du dispositif politico-religieux de l'époque, de la lutte entre clercs et laïcs pour la conquête ou la conservation de l'espace public, et notamment des rapports houleux entre l'Église et le théâtre profane, celui de Molière au permier chef. (Rey/ Lacouture 2007: 205)

Wir modernen Leser hätten also gerne, daß Molière mit der Kirche und gewissen ihr in Sorge verbundenen Kreisen zu kämpfen gehabt hätte, da dies unserem wunschhaften Geschichtsbild entspräche. In Wirklichkeit aber habe es gar nichts zu kämpfen gegeben. Molière tat nur so, als ob er mit der Kirche zu kämpfen hatte, und genau dies brachte ihm die Bewunderung einer an laizistischen (und wer weiß was sonst noch für seltsamen) Fortschrittsideen ausgerichteten Nachwelt ein. – So also läßt sich Gesellschaftskritik ad acta legen, ja eigentlich in den Mülleimer kehren. Was auf dem in solch aberwitziger Weise leergeräumten Feld übrigbleibt, ist ein Molière Machiavel, der nicht einmal Lacouture sonderlich zu behagen scheint ("J'admire Machiavel, mais je ne l'associais pas jusqu'ici à Molière" – Rey/ Lacouture 2007: 204), und natürlich jede Menge Raum für "zirkumstantialistische" Konstruktionen, wie sie Bourqui und Forestier in ihrer jüngsten Notice zum Dom Juan vorgelegt haben.




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Fazit

Sämtliche der hier angeführten Beispiele aus den Jahren 1992, 2005, 2007 und 2010 haben – wie mir scheint – etwas gemeinsam: Es wird ein bewußt kühler und distanzierter Blick auf einen Abschnitt der Vergangenheit geworfen, der traditionell für die ideologische Heranbildung der französischen Aufklärung und französischen Revolution steht. Was es mit dieser Bewegung auf sich hatte, wird teils übergangen, teils bagatellisiert oder auch zu einem Großteil schlicht und einfach ignoriert. Zugleich scheint ein Interesse an einem neuen Molière zu bestehen: Ein sich "gegen die Konkurrenz durchsetzender", ein "technischen Zwängen" unterworfener, ein "die öffentliche Meinung manipulierender" Molière. Daß solche Thesen nicht von vornherein als anachronistisch empfunden werden, hat wohl mit dem derzeit herrschenden "Zeitgeist" zu tun.


Bibliographie

Bénichou, Paul (1967): Morales du grand siècle. Paris: Gallimard.

Bourqui, Claude (1992): Polémique et stratégies dans le Dom Juan de Molière. Paris, Seattle, Tübingen: Papers on French Seventeenth Century Literature.

Forestier, Georges / Bourqui, Claude (2010): Molière. Œuvres complètes. 2 Bde. Paris: Gallimard

Forestier, Georges (1986): Langage dramatique et langage symbolique dans le Dom Juan de Molière, in: Dramaturgies, langages dramatiques: Mélanges pour Jacques Scherer. Paris: Nizet, 193-305.

Grimm, Jürgen (2005): Französische Klassik. Stuttgart: Metzler.

Molière (1971): . Œuvres complètes. 2 Bde., hg. v. Georges Couton. Paris: Gallimard. (Bibliothèque de la Pléiade)

Mongrédien, Georges (1973): Recueil des textes et des documents du XVIIe siècle relatifs à Molière, 2 Bde., Paris: Éd. du Centre National de la Recherche Scientifique.

Mongrédien, Georges (1986): Comédies et pamphlets sur Molière. Paris: Nizet.

Pluta, Olaf (1999): "Deus est mortuum." – Nietzsches Parole "Gott ist tot!" in einer Geschichte der Gesta Romanorum vom Ende des 14. Jahrhunderts, in: Atheismus im Mittelalter und in der Renaissance, hg. von F. Niewöhner u. O. Pluta, Wiesbaden: Harrassowitz (Wolfenbütteler Mittelalter-Studien, 12).

Rey François/ Lacouture, Jean (2007): Molière et le Roi. L'affaire Tartuffe. Paris: Éd. du Seuil.




PhiN 61/2012: 48



Anmerkungen

1 Übrigens eine Annahme, der Forestier vor etlichen Jahren vermutlich selbst als erster widersprochen hätte: "Grâce au 'Devis des ouvrages de peinture' passé par la troupe de Molière pour la représentation de Dom Juan [...], on sait qu'au 3 décembre 1664, deux mois et demi avant la première de la pièce, Molière était tellement avancé dans l'écriture de sa comédie qu'il pouvait déjà passer commande des nombreux décors nécessaires à sa représentation. On est loin du Dom Juan écrit et monté en quelques semaines au début de 1665, que nous présente la tradition. " (Forestier 1986: 303)

2 So schreiben etwa auch die beiden Autoren in ihrer Notice zum Tartuffe, daß die Tartuffe-Bittschriften und das Tartuffe-Vorwort Polemiken seien, die mit Molières ursprünglich mit diesem Stück verbundenen Absichten wenig zu tun hätten (" [des textes] d'une rare habileté polémique et qui ont conféré à l'œuvre des significations éloignées, semble-t-il, des intentions premières du dramaturge") (Forestier/ Bourqui 2010: 1358); daß Molière mit seiner ersten Bittschrift versucht habe, sich als Opfer eines Komplotts auszugeben, um im Nachhinein die Angriffe in seinem Stück zu rechtfertigen ("de se présenter comme la victime d'un véritable complot ourdi par des hypocrites et des fanatiques, ce qui légitimait a posteriori sa comédie dans laquelle il dénoncait ces même hypocrites") (Forestier/ Bourqui 2010: 1360); ja daß es diesen Komplott außer in der Phantasie antiklerikaler Historiker überhaupt nie gegeben habe ("Point n'est besoin d'invoquer, comme on le fait depuis le XIXe siècle, un complot ourdi par quelque société secrète de dévots, en particulier une 'Compagnie du Saint-Sacrement' qui, loin d'être l'hydre tentaculaire décrite par les historiens français du début du XXe siècle, influencés par le violent anticléricalisme de leur temps, était combattue depuis 1660 par le pouvoir royal et alors quasiment anéantie") (Forestier/ Bourqui 2010: 1359). Genaue wissenschaftliche Begründungen für diese Behauptungen stehen meines Wissens immer noch aus.

3 "Ils [les témoignages littéraires] sont extraordinairement peu nombreux; si l'on met de côté certains textes universellement connus de Boileau et de Racine, de Chapelle et de Dassoucy, de Perrault et de la Bruyère, de Bourdaloue et de Bossuet, le reste est presque négligeable et ne nous apprend rien sur Molière et sur son œuvre. Son nom ne revient qu'occasionellement dans les mémoires et les correspondances, à propos d'une réminiscence, d'une allusion rapide. Si l'on ajoute à cela la disparition étonnante, que certains ont voulu croire mystérieuse, des manuscrits et des lettres de Molière, on en vient à se poser le problème: comment expliquer cette rareté de témoignages contemporains sur une œuvre dramatique qui a cependant remporté un grand succès auprès du public et qui a été jugée à sa valeur par les lettrés et les amateurs de théâtre?" (Mongrédien 1973: 14f.)

4 "[...] pour les contemporains, Molière n'est qu'accessoirement un auteur; c'est d'abord un comédien et plus précisément un bouffon, – dont les adversaires soulignent à plaisir la «scurrillité» – ; pour un homme de cour, ou même pour un bourgeois, c'est un Scaramouche français, dont on admire volontiers le jeu comique, sans penser que ses œuvres dramatiques puissent mériter un examen approfondi, des études de «doctes». En somme, un amuseur aux grimaces duquel on va rire, et qu'on oublie en rentrant chez soi. Ajoutons à cela les préjugés de l'époque contre la profession de comédien – qu'on se souvienne de la malédiction de Bossuet renouvelée de celle du curé Roullé – la lutte de Moliére contre le parti dévot, la hardiesse de Tartuffe et de Dom Juan à son égard, les incidents scandaleux qui ont accompagné son enterrement, et l'on conviendra mieux qu'un honnête homme du XVIIe siècle n'ait pu mettre un Corneille, bourgeois honorable, ou un Racine, homme de cour et historiographe du Roi, sur le même pied que le badin Molière." (Mongrédien 1973: 15)

5 In der ersten Fußnote (Forestier/ Bourqui 2010: 1625) wird Reys These, daß die Observations eine von Molière lancierte Fälschung gewesen seien, kurz präsentiert und gleichsam zur Diskussion in den Raum gestellt. In der zweiten Fußnote (Forestier/ Bourqui 2010: 1642) wird als gesicherte neue Erkenntnis verkauft, daß sich La Grange in seinem "Registre" bezüglich des Datums der Übernahme der Truppe durch den König und der Auszahlung von 6000 livres um über zwei Monate geirrt habe. Wo ist die Publikation, in der Rey seine entsprechenden Behauptungen in angemessener wissenschaftlicher Form dargelegt hätte?

6 "À une époque oublieuse (la nôtre) où l'on a trop tendance à rejeter dans les ténèbres d'une sorte de honteux Moyen Âge culturel, comme obscène et anachronique, la condamnation par le tribunal informel de l'intégrisme musulman, du malencontreux Salman Rushdie et de ses inoffensifs Verses sataniques, il est bon de se remémorer un temps où l'Église chrétienne elle aussi savait être mortifère. Laissons donc la parole au bon sieur de Rochemont, qui s'abrite derrière la justice du roi très-chrétien pour assouvir sa haine contre une pièce qu'il n'a pu s''empêcher de voir', entraîné 'par la foule' tel l'agneau innocent vers le merlin du sacrificateur. Laissons à sa charité le soin de rappeler qu'autrefois on condamnait 'aux bêtes des farceurs qui tournaient en dérision nos cérémonies'. Las! soupire notre délicieux docteur de la foi, autres temps, autres mœurs! La décadence présente a produit un bien fâcheux laxisme! " (Zit. nach Rey/ Lacouture 2007: 190)