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Evi Zemanek (Freiburg)



Cornelia Klettke / Georg Maag (Hg.) (2010): Reflexe eines Umwelt- und Klimabewusstseins in fiktionalen Texten der Romania. Eigentliches und uneigentliches Schreiben zu einem sich verdichtenden globalen Problem. Berlin: Frank & Timme.



Im Zuge der steten Popularisierung ökologischen Denkens im letzten Drittel des 20. und frühen 21. Jahrhunderts widmen sich auch literarische Texte vermehrt der Naturzerstörung und Umweltkatastrophen. Dabei bilden sich in thematischer wie formaler Hinsicht diverse neue Genres heraus: von essayistisch-poetischen Schriften in der Nachfolge des amerikanischen nature writing, in dem naturgeschichtliches Wissen, subjektives Naturerlebnis, philosophische Reflexion über Natur und bisweilen fortschrittskeptische Gesellschaftskritik verschmolzen werden, über die sogenannte 'Ecopoetry' oder 'Ökolyrik', die sich etwa in Elegien sowie moralisierenden 'Warn- oder Protestgedichten' manifestiert, bis zum Katastrophenroman, der neuerdings in der Form des Öko-Thrillers Konjunktur feiert. Während die Ökolyrik mit ihrem Höhepunkt in den 1980er Jahren gemäß dem damaligen öffentlichen Diskurs der Umweltschutzbewegung die Transformationen der für die traditionelle Naturlyrik typischen Elemente beschreibt, das heißt etwa die Abholzung der Wälder und die Verschmutzung des Baches beklagt, inszenieren die apokalyptischen Ökothriller des frühen einundzwanzigsten Jahrhunderts ebenso zeitgemäß den vieldiskutierten Klimawandel in seinen globalen Dimensionen.

Sowohl auf den gegen Ende des zwanzigsten Jahrhunderts immer lauter werdenden öffentlichen Diskurs über negative, irreversible ökologische Transformationen als auch auf die diese spiegelnde Literatur reagierte zunächst die amerikanische, dann bald die gesamte anglophone Literatur- und Kulturwissenschaft mit der Etablierung des Ecocriticism (kurz für Ecological Criticism). Den unter diesem Etikett entstehenden Studien ist trotz ihrer methodischen Vielgesichtigkeit – mit wechselnder Nähe zu Diskursanalyse oder Dekonstruktivismus, zur Phänomenologie oder Gender- und Cultural Studies – mindestens die 'ökologische' Überzeugung von komplexen Interdependenzen zwischen Mensch/Zivilisation und Natur gemeinsam, die den Anthropozentrismus, d.h. ein hierarchisches 'Subjekt-Objekt-Denken' hinterfragt und die kulturelle Prägung jeglichen Natur-Verhältnisses reflektiert.




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Aus dieser Perspektive lohnt freilich nicht nur der Blick auf dezidierte 'Ökoliteratur' des späteren zwanzigsten Jahrhunderts und gegenwärtige Klimawandel-Thriller. Im Gegenteil, 'ökokritische' Lektüren entdecken Spuren ökologischer Diskurse ebenso in viel älteren Texten und erarbeiten deren epochenspezifische Eigenheiten.

Schon vor der Jahrtausendwende wurde der Ansatz von der Germanistik aufgegriffen und er erfährt seitdem wachsenden Zuspruch. In der Romanistik des deutschsprachigen Raumes hingegen konnten sich die vereinzelte Beschäftigung mit 'ökologischen' Themen und die ökokritischen Ansätze bislang noch nicht zu einem Forschungsparadigma formieren. Umso erfreulicher und wichtiger ist die Publikation des von Cornelia Klettke und Georg Maag herausgegebenen Tagungsbands "Reflexe eines Umwelt- und Klimabewusstseins in fiktionalen Texten der Romania", der die Arbeit einer Sektion auf dem Romanistentag 2009 in Bonn vorstellt. Dieser Entstehungshintergrund mag die leider im Layout einer Magisterarbeit gleichende und daher im Vergleich zu schönen Bänden wenig ansprechende, aber dennoch im Kaufpreis teure Publikationsform rechtfertigen. Die Randbemerkung, dass ein so wichtiges Thema, das in zweiundzwanzig Aufsätzen sorgfältig erschlossen wird, eine qualitativ hochwertigere äußere Gestalt verdient hätte, sei eingangs erlaubt.

Die in den Beiträgen behandelten literarischen Werke fokussieren sehr unterschiedliche Themen und Schreibstrategien, von kontingenten, nicht anthropogenen Naturkatastrophen über Landschaftsbeschreibungen und Wetterphänomene, die von den ökologischen Transformationen der vergangenen zwei Jahrhunderte gezeichnet sind, bis hin zu Entwürfen verschiedenartiger ökologischer Utopien – um die Inhalte im Einzelnen zu benennen: die philosophische Verarbeitung des großen Erdbebens von Kalabrien im späten achtzehnten Jahrhundert (Roberto Ubbidiente); die frühe lyrische Klage über Symptome des Bevölkerungswachstums und der beginnenden Industrialisierung wie Luft- und Wasserverschmutzung (Birgit Ulmer) ebenso wie rezentere lyrische Reflexionen über den Sieg des Kunststoffs und damit die Künstlichkeit über die Natürlichkeit (Rosamna Pardellas Velay); eine vermeintlich ökologische Utopie der Epochenschwelle um 1900, die letztlich zwar ein harmonisches Mensch-Natur-Verhältnis imaginiert, aber auf der Beherrschung der Natur gründet (Fabian Scharf); die in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts aufkommende Kritik an einem umweltschädlichen Massentourismus in Lateinamerika (Michele Gialdroni); die Andeutung von Umweltproblemen in der Beschreibung von Wetterphänomenen in Prosa aus der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts (Benedetta Mannino); die Darstellung komplexer Transformationen bestimmter geokultureller Lebensräume mit unterschiedlichen Schreibstrategien (Gerhild Fuchs und Antonella Ippolito); die offene Kritik an Anthropozentrismus, Konsumismus und Globalisierung im Roman des späten zwanzigsten Jahrhunderts (Walter Wagner);




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die Konfrontation westlich-kolonialer und indigener Naturkonzepte und entsprechender Lebensmodelle in Lateinamerika (Elmar Schmidt und Ingeborg Klettke-Mengel); Endzeitvisionen ökologischer Extremzustände, die mehr und mehr von der Realität eingeholt werden (Christoph Schamm und Thomas Johnen) sowie fantastische Dystopien, die Mutationen des Menschen zu Tier- oder Naturmenschen inszenieren (Christina Bertelmann, Solveig Kristina Malatrait und Stefanie Rubenis); und schließlich, als Thema mehrerer Beiträge, die Ästhetisierung und Poetisierung meteorologischer Phänomene (Franco Sepe und Sabine Zangenfeind), insbesondere von Wolken (Cornelia Klettke, Sven Thorsten Kilian und André Weber) ergänzt durch die wissenschaftshistorische Sicht auf Wolken (Cornelia Lüdecke).

Der letzte Beitrag von der Meteorologin Cornelia Lüdecke fällt als einziger nicht-literaturwissenschaftlicher aus der Reihe, vermittelt jedoch einen Eindruck, wie gewinnbringend die interdisziplinäre Kooperation sein könnte, insbesondere mit den Umweltwissenschaften. Dass diese Möglichkeit, die trotz aller potenziellen wechselseitigen Bereicherung methodisch stets eine große Herausforderung darstellt, im Rahmen einer literatur-, kultur- und sprachwissenschaftlich ausgerichteten Romanistentagung nicht realisiert werden konnte, versteht sich von selbst.

Angesichts besagter Rahmenbedingungen beeindruckt das breite historische und kulturgeografische Spektrum des Bandes, das wiederum das Gesamtpotenzial der Romanistik selbst offenbart: Es umfasst Autoren von Audeguy und Ammaniti bis Zanzotto und Zola, Werke zwischen Aufklärung und Gegenwart und erstreckt sich thematisch über Kulturräume des gesamtromanischen Europas bis nach Lateinamerika. Dabei sind die Beiträge, die sich italienischen Autoren und in Italien festzustellenden ökologischen Phänomenen widmen, eindeutig in der Überzahl, gefolgt von solchen zum französischen Kulturraum, während es neben immerhin ein paar Beiträgen über Lateinamerika nur einen einzigen gibt, der Spanien in den Blick nimmt. Dieses Ungleichgewicht ist sicher mehr den Profilen der auf der Tagung zufällig zusammengekommenen Wissenschaftler als dem tatsächlichen thematischen Repertoire der jeweiligen Nationalliteratur geschuldet.

Im Hinblick auf die große Themenvielfalt und Bandbreite der kulturgeographischen Referenzräume muss die Bündelung zu einigen Sektionen denkbar schwer gewesen sein. Die Herausgeber entschieden sich für (I) "Ökokritik im Diskurs der Aufklärung: Naturkatastrophe und Umweltsünden der Menschen", (II) "Ökologische Unbekümmertheit um 1900: Der Glaube an eine Harmonie zwischen Natur, Mensch und Technik", (III) "Ökokritik im literarischen Diskurs des 20. und 21. Jahrhunderts: Anschwellende Vielstimmigkeit seit den 1970er Jahren" (untergliedert in 1: "Diagnose, kritische Reflexion und Wunschprojektion eines ökologischen Imaginaire" und 2: "Katastrophenszenarien: Apokalypse und Dystopie") sowie (IV) "Das 'meteorologische' Schreiben".




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Diese Ordnung ist auch für den Leser eingängig, doch fällt die letzte Gruppe mit ihrer stärkeren thematischen Spezifizierung aus der Reihe. Die Beiträge dieser Gruppe sind inhaltlich homogener als die anderen, was sicher nicht zuletzt an der gemeinsamen institutionellen Anbindung der Autoren in Potsdam liegt. Überhaupt sind die Potsdamer aus dem Kreis um die Herausgeberin Cornelia Klettke mit insgesamt sieben Beiträgen stark vertreten. Zusammen mit anderen Beiträgen, wie dem genannten wissenschaftshistorischen der Meteorologin Cornelia Lüdecke und André Webers luzidem Beitrag ("Physikalisches Wissen und ästhetische Darstellung in Sur les nuages (1888) von Guy de Maupassant"), die ebenfalls meteorologisch ausgerichtet, aber nicht dieser Gruppe zugeordnet sind, ließe sich gar ein eigener Band füllen, dessen außergewöhnliche Thematik und spezifisches Interesse überzeugen würden – aber das steht nicht zur Debatte, sondern sei lediglich als Desiderat für die Zukunft erwähnt.

Die hier tatsächlich vorliegende Ordnung ist nicht nur eine primär chronologische, sondern sie weist den 'Epochen' bestimmte Grundtendenzen im Mensch-Natur-Verhältnis zu, die natürlich für die jeweilige Zeit nicht allgemeingültig sind, sondern vornehmlich die versammelten Beiträge treffend charakterisieren. Dennoch lassen die Beiträge auf diese Weise in ihrer Gesamtheit, auch ohne ein durchgängiges geschichtliches Kontinuum zu bieten – was angesichts der romanistisch-kulturkomparatistischen Anlage sowieso problematisch wäre –, gewisse Entwicklungstendenzen in der Naturwahrnehmung und somit in der Landschaftsdarstellung, im Umweltbewusstsein und demzufolge in der appellativen Stoßrichtung der Texte erahnen. Im Wissen, dass Gliederungen kaum je die komplexe Systematik eines Phänomenspektrums offenbaren können, seien dennoch ein paar Leserwünsche angemerkt: Zunächst könnte man den Gegensatz von transhistorisch vorkommenden utopischen vs. dystopischen Texten mitsamt deren historischen Spezifika stärker profilieren. Auch eine reflektierte formal-strukturelle Differenzierung zwischen lyrischen, prosaischen, essayistischen und philosophischen ökologisch orientierten Texten wäre grundsätzlich sinnvoll. Und schließlich könnte zum einen der signifikante Unterschied zwischen kontingenten, unvermeidbaren Naturkatastrophen und anthropogenen Ursachen des aktuellen Klimawandels, zum anderen der Unterschied zwischen bloßen Wetterphänomenen und Indizien für ein Klimaproblem noch deutlicher herausgestellt und auch in den Werk-Analysen berücksichtigt werden. Grundsätzlich wäre zu überlegen, ob die Darstellung von Naturphänomenen an sich automatisch schon eine 'ökologisch' orientierte Literatur konstituiert, sprich: ob die bloße Beschäftigung mit Natur ein Indiz für eine ökologische Intention ist, wie dies einige der Beiträge insinuieren.





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Die zuletzt angedeutete Unschärfe erklärt sich wohl daraus, dass die Mehrzahl der BeiträgerInnen thematisches und methodisches Neuland betreten und mit den Vorarbeiten des bislang dominant anglophonen Ecocriticism nicht vertraut zu sein scheinen. Würde dieser Umstand aus einem über die Forschungsschwerpunkte der Beiträger informierenden Autorenverzeichnis hervorgehen, das sehr wünschenswert gewesen wäre, so ließe sich der Band insgesamt leichter in die ökokritische Forschungsliteratur einordnen, das heißt konkret: als wichtige erste Felderkundung wahrnehmen. Die BeiträgerInnen sind mehrheitlich keine ausgewiesenen 'Ecocritics', sondern – und dies hebt die Untersuchungen gleichwohl auf ein hohes Niveau – vielmehr Experten für die von Ihnen behandelten Autoren und Werke, die sie bis dato unter anderen Gesichtspunkten untersucht haben.

Für etwa die Hälfte der Beiträge gilt demnach, dass die literarischen Werke teils deskriptiv präsentiert, teils auf klassisch philologische Weise analysiert werden, ohne dass auf im Ecocriticism etablierte Konzepte und Termini rekurriert wird. Dies heißt jedoch nicht, dass jene Beiträge nicht lesenswert wären, im Gegenteil, denn sie offenbaren allesamt – ohne dass hier jeder einzelne referiert werden könnte – in jeweils eigenen kulturellen, philosophischen und gattungsgeschichtlichen Zusammenhängen Anfänge ökologischer Diskurse und stellen somit Initiativen dar, an die künftig mit dezidiert 'ökokritischer' Fokussierung anzuknüpfen wäre. Dies gilt etwa zum einen für eine Reihe von Beiträgen, die in ihren Analysen naturlyrischer Werke Spuren ökologischer Transformation entdecken; zum anderen für solche zu Utopien und Dystopien – zum Beispiel im Spätwerk Zolas, vorgestellt von Fabian Scharf –, die bislang mit einem anderen Untersuchungsinteresse besprochen wurden. Neben der Entdeckung älterer und neuerer, für ökokritische Studien ergiebige Texte bieten einige Beiträge eine kulturgeografisch informierte Kontextualisierung und damit einen Abgleich mit den realen aktuellen Verhältnissen, der gar einen umweltpolitischen Appell beinhalten kann, so etwa bei Christoph Schamm ("'Num clima de ridícula e subdesenvolvida ficção científica?' Ignácio de Loyola Brandãos Roman Não verás país nenhum als Prognose einer drohenden Klimakatastrophe"), der gattungsspezifische Überlegungen zur 'Reichweite' von Dystopien anregt.

Als ein Beiträger, der bereits mehrere 'ökokritische' Publikationen vorzuweisen hat, sticht zuerst Walter Wagner ins Auge, dessen Untersuchung "Ökologische Utopie und ökozentrisches Paradigma: Marguerite Yourcenars Le Labyrinthe du monde" ein explizit ökokritisches Theoriefundament besitzt und womöglich aus diesem Grund auch in der Einleitung des Bandes besonders ausführlich referiert wird: Dank der Wahl eines hier in ökokritischer Perspektive als ergiebig erkannten Werkes und der Kenntnis bisheriger Grundlagenforschung (etwa der oppositiven Paradigmen von Deep Ecology vs. Shallow Ecology) leistet diese Untersuchung die reflektierte Einordnung von Yourcenars Werk ins Spektrum 'ökologischer' Literatur des späten zwanzigsten Jahrhunderts. Vergleichbares gilt für den Beitrag von Elmar Schmidt, der ebenfalls schon einige Aufsätze mit ökokritischem Ansatz publiziert hat.




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Dass sich Themen und Ansätze aus dem postkolonialen Paradigma als besonders affin zu ökokritischen Fragestellungen erweisen, haben in den letzten Jahren bereits mehrere Studien aus dem anglophonen Raum gezeigt. In diesem Band zeigt es sich aufs Neue beispielhaft bei Elmar Schmidt ("Naturwahrnehmung, Umweltdiskurs und ökologischer Anspruch in Luis Sepúvedas Un viejo que leía novelas de amor") und Ingeborg Klettke-Mengel ("Die Paradiesuntauglichkeit des Menschen – Der kulturelle Begegnungsraum Rio de Janeiro im 16. Jahrhundert in Rouge Brésil von Jean-Christophe Rufin"). Elmar Schmidt macht in Sepúlvedas Beschreibung des ecuadorianischen Amazonastieflands den Prozess einer Wunschbildprojektion typisch westlicher Wahrnehmung nachvollziehbar und beschreibt die von Sepúlveda selbst bloßgestellte Produktion dieses 'Anderen' in einer Erweiterung der postkolonialen Theorie und mit Bezug auf neuere ethnologische und anthropologische Theorien (speziell aus dem lateinamerikanischen Kontext) zum ehemals 'edlen', heute 'grünen' Wilden als "ecological othering".

Aber auch einige der in der Romanistik seit Jahrzehnten überaus beliebten poststrukturalistischen Theorien erweisen sich als anschlussfähig für das ökokritische Paradigma, womit das Potenzial der Romanistik für Impulse zur Weiterentwicklung des Ecocriticism aufgezeigt ist. Gerhild Fuchs etwa gelingt in ihrem Beitrag zur "Poebene im Spiegel der zeitgenössischen italienischen Erzählliteratur" die Verknüpfung von Theorien zu non-lieux bzw. Deterritorialisierung sowie zu Konsumismus und Mediatisierung, namentlich von Augé und Baudrillard, mit einer ökokritischen Fragestellung. Christina Bertelmann liest in ihrem Beitrag zu einem postapokalyptischen Endzeitroman die anthropogene Naturkatastrophe mithilfe von Baudrillards Simulationstheorie und assoziiert die Beschreibungen von Plateaus und Grenzen mit Theorien von Deleuze, Agamben und Derrida. Und sowohl André Weber als auch Cornelia Klettke rekurrieren in ihren klugen Analysen zweier zeitlich über ein Jahrhundert auseinander liegender Texte auf Michel Serres' Konzeptualisierung der Wolke als Symbol für eine neue, epistemologische Grenzen aufweichende 'WissensUNordnung': Anhand von Guy de Maupassants Bericht einer Ballonfahrt mit dem Titel Sur les nuages zeigt Weber das dialektische Zusammenwirken von meteorologischem Wissen und poetisch-ästhetischer Darstellung. Klettke erklärt Stéphane Audeguys labyrinthischen, von Unordnung, Lüge und Wahnsinn beherrschten Roman La théorie des nuages aus einer "Poetik der Wolke".

Einen neuen Trend repräsentieren schließlich die unmarkiert ein eigenes thematisches Cluster bildenden Beiträge von Christina Bertelmann, Solveig Kristina Malatrait und Stefanie Rubenis zu zwei italienischen und einem französischen Roman des ausgehenden zwanzigsten bzw. frühen einundzwanzigsten Jahrhunderts (Paolo Volponis Il pianeta irritabile, Marie Darrieussecqs Truismes und Laura Pugnos Sirene), die sich allesamt mit Phänomenen der Animalisierung, Mensch-Tier-Metamorphosen und verschiedenartigen hybriden Wesen, die zwischen Natur und Menschheit stehen, beschäftigen.




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Ihr Fokus entspricht, ohne dass sich die Beiträgerinnen dessen bewusst zeigen, den derzeit beliebten 'Animal Studies' und liefert diesen neue Primärtext-Nahrung.

Als Fazit lässt sich festhalten, dass hier ein Band vorliegt, der einen wichtigen ersten Überblick über das weite, fruchtbare Feld bietet: Er lässt selbst erst erahnen, wie viele Texte Potenzial für ökokritische Lektüren bergen und wie viele Kontexte erst noch aus umweltgeschichtlicher Perspektive erschlossen werden müssen, um ökologische Diskurse zu rekonstruieren. Einige Beiträge – wie etwa die genannten von Walter und Schmidt – leisten dies bereits mit Rekurs auf einschlägige Konzepte und unter Verwendung entsprechender in den letzten Jahren nachhaltig etablierter Fachtermini, das heißt also auch mit einer erhöhten methodischen Selbstreflexion. Letztere sollte nicht zu kurz kommen in einem Sammelband, der nicht nur bisher wenig beachtete Texte der romanischen Literatur beleuchtet, sondern damit auch ein neues Forschungsparadigma in die Romanistik einführt. Die notwendige Zurkenntnisnahme der extensiven Vorarbeiten des angloamerikanischen Ecocriticism verpflichtet ja keineswegs zur Übernahme von dessen Konzepten und Methoden und die unreflektierte Übertragung auf andere kulturspezifisch geprägte Kontexte, im Gegenteil: Der Aufbau auf besagtem Fundament erleichtert die Ausgangssituation, erlaubt die Modifizierung im Sinne einer eigenen Akzentsetzung der Romanistik, wie es einige erwähnte Beiträge schon tun, und damit letztlich auch die wünschenswerte Weiterentwicklung bereits erprobter Ansätze. Ein produktiver Austausch zwischen den Philologien zur wechselseitigen Fruchtbarmachung importierter Ansätze für die eigenen Felder ist ein großes Desiderat eines komparatistisch denkenden Ecoccriticism, wie er anders überhaupt nicht konzipiert sein kann, wenn er die globalen ökologischen Transformationen in den Blick nimmt. Eine solch komparatistische Perspektive will freilich auch die aufgrund der Thematik naheliegenden, verwandten Fächer wie etwa Ethnologie, Anthropologie, (Kultur- und Natur-)Geschichte gewinnbringend mit einbeziehen. Ein noch größeres Desiderat wäre schließlich überdies eine methodisch sinnvoll realisierbare Kooperation mit umwelt-, natur- und anderen nicht-geisteswissenschaftlichen Disziplinen, wofür es freilich themenspezifischere Rahmenbedingungen braucht, als sie der Romanistentag bieten kann. In der Hoffnung, dass ein Schritt auf den anderen folgt, kann der vorliegende Band als ein erster und damit unverzichtbarer in der Romanistik angesehen werden. Als Auftakt und als Einladung zur intensiveren Beschäftigung mit ökokritischen Fragestellungen empfiehlt es sich sehr, darin zu lesen.