PhiN 57/2011: 1



Katerina Karakassi (Athen/Konstanz)



Subjekt, Blindheit und Metaphysik
Einige Bemerkungen über die fiktiven Kunstbildnisse in Jean Pauls Titan



Subject, Blindness and Metaphysics: Some Remarks on the Fictive Portraits in Jean Paul's Titan
Jean Paul's novel Titan is a gallery of doppelgangers: Albano, the noble platonic character of Titan is confronted with his immoral double Roquairol, the angelic Liane is juxtaposed to the earthly Idoine. In addition, the novel is full of fictive portraits, which multiply the reflections of the literary ensemble. These portraits seem to constitute – more than the doppelgangers – a threat to the platonic subjects. Their obvious aversion to any kind of illustrations of one's self and their metaphorical or even literal blindness are all the symptoms of this fear. This essay focuses on the diverse manifestations of this existential anxiety in face of images. It argues that the price of this apparently self-preserving blindness that distinguishes the idealized characters is naivety. The result is the subversion of the ideality of the platonic subjects, in defiance of the explicit aims of the novel and the author’s intentions.





1

Die "Sattelzeit", wie Reinhart Koselleck die Zeit zwischen 1750 bis 1850 genannt hat, war entscheidend für die Entfaltung der modernen Subjektivität (vgl. Koselleck 2004). Das Subjekt wird in dieser Epochenschwelle als eine universelle und zugleich unikale Instanz angesehen.1 Es entfaltet sich, so wie der Idealismus sich das vorstellt, ohne metaphysischen Halt, von der materiellen Welt abgetrennt, als eine unendliche Spirale der Selbstreflexivität und darin, und d.h. in ihren Windungen und Abgründen, wird es gleichsam aufgehoben.

Von Kants "transzendentales Subjekt" ausgehend, über Fichtes absolutes "Ich" hinausreichende und von Hegel als "absolute Innerlichkeit" apostrophierte, wird diese permanente Beweglichkeit der Subjektivität in der Leere der postmetaphysischen Ära einerseits als ein fortschreitender Prozess der Selbstgewinnung verstanden; und so wird sie etwa auch im Bildungsroman der deutschen Klassik artikuliert. Andererseits wird die Diskrepanz zwischen Vernunft und Gefühl, zwischen Verstand und Trieb, zwischen Seele und Körper, die seit Descartes den anthropologischen Diskurs mitbestimmt, aufgrund der attestierten Erkenntnisohnmacht des Subjektes noch weiter verschärft. Auch deshalb avanciert die innere Spaltung des Subjektes, die oft in Form von Doppelgängern in die Außenwelt projiziert wird, in der Romantik zu einem allgemeinen Topos (Krauss 1967, vgl. Pouvreau 2002: 65–81).




PhiN 57/2011: 2


Unter den ästhetischen Implikationen dieser paradoxen Situation, in der das labile und innerlich zerrissene Subjekt dargestellt wird, ist nicht nur, dass sein Bildungsweg, und d.h. der Weg eines im Grunde autopoetischen, stets im Prozess des Werdens sich befindenden Ichs, durch einen exhalierten Empfindsamkeitsdiskurs artikuliert wird.2 Für die literarische Praxis der Romantiker und ihrer Schicksalsgenossen, wie Hölderlin oder Jean Paul, führt das Ideal der Selbstgewinnung, der Selbstwerdung zur Grenzüberschreitung bis zum Unendlichen hin, und das heißt immer wieder bis zum Wahnsinn oder bis zum Tod hin.3

Die exzessive Selbstreflexivität und die damit verbundene Evokation eines unendlichen Prozesses, der über eine Selbstsuche auf die harmonische Koexistenz von Verstand und Leidenschaft hinaus zielt, korrespondiert nämlich mit der Unabschließbarkeit dieses Subjektfindungs- bzw. Subjektbildungsprojektes und somit mit dem Bewusstsein, dass die Sehnsucht nach Perfektibilität, die zugleich zu dieser Zeit ein Politikum ist, nie in ihrer ganzen Tragweite erfüllt werden kann. Das gespaltene, einen Grund außerhalb der Zeit suchende, selbstreferenzielle und selbstreflexive Subjekt wird deshalb oft in seiner Ohnmacht und Verzweiflung dargestellt.4

Ihm, diesem innerlich zerrissenen Subjekt, gegenüber werden in vielen zeitgenössischen literarischen Werken Porträts, Bilder bzw. Gemälde, Spiegel und Spiegelbilder gestellt. Bei Goethe, bei Jean Paul und Tieck, um hier nur einige Beispiele zu nennen, fungieren Bilder als diejenigen Folien des Erzählens, die das künftige Schicksal der Helden darlegenund die Reihe ihrer möglichen Identitäten bzw. Rollen festhalten.5 Sie dienen dabei als Fluchtpunkte, die der ständigen Beweglichkeit des Subjektes entgegenstehen und zugleich auf sie hindeuten. Auch dort, wie etwa bei ETA Hoffmann, wo sie die Erkenntnisohnmacht des Subjektes unterstreichen und z.B. als Auslöser von psychischen Krisen literarisch inszeniert werden, demonstrieren Porträts bzw. Bilder den Prozesscharakter bzw. die Labilität des Ichs.

Somit scheinen Bilder und Porträts ex negativo auf das hinzuweisen, wonach das Subjekt sich so begierig sehnt: nach einer substanziellen Ganzheit, nach einer in-sich-nicht-widersprüchlichen Selbstidentität. Darin liegt aber auch die Gefahr, die der literarische Einsatz von Porträts und Bildern in sich birgt: Wenn Porträts bzw. Abbilder das rekapitulieren und zu kompensieren suchen, was nicht da ist, und das ist das Fehlen der zeitlosen Kongruenz des Subjektes, holen es zugleich als Mangel wieder ein. Doch ohne (Ab-)Bilder auszukommen ist kein leichtes Unternehmen.

Das zeigt u.a. der Versuch Jean Pauls in seinem Roman mit dem Titel Titan ein anthropologisches Panorama anzubieten und gleichzeitig einen Subjektentwurf zu konzipieren, der Porträts und Abbilder nicht vorsieht und sich zugleich jenseits der bestehenden Dichotomien, Irrungen und Wirrungen des Subjektes zu behaupten sucht. Zu zeigen, dass dies bei Jean Pauls Roman Titan nur um den Preis der metaphysischen Verblendung derjenigen Figuren, die ein erfolgreiches Subjektkonzept repräsentieren, gelingt, ist das eine Anliegen der vorliegenden Untersuchung. Daran anschließend soll die besondere Funktion der Porträts und der Abbildungen im Roman analysiert und diskutiert werden. Sie demonstrieren nämlich am deutlichsten die Konsequenzen des metaphysischen oder postmetaphysischen Standorts seiner Figuren. Dabei wird sich zeigen, dass Jean Paul obschon er durch seinen Roman – mit einem Wort von Jürgen Fohrmann – die "Metaphysik als funktionale Größe wieder emphatisch" fordert, sie ad absurdum führt, indem er sie fast wie einen ad hoc Autismus inszeniert.6 Diese Einbeziehung der Subjekte in einer "bildlosen", metaphysischen Totalität, die kongruente Sinneszusammenhänge und kohärente Identität verspricht, kann, wie zu zeigen versucht wird, ihr Versprechen nur um den Preis der Naivität einhalten.




PhiN 57/2011: 3


2

Das was für die Literatur dieser Schwellenzeit allgemein gilt, gilt auch für Jean Paul. Er geht davon aus, dass eine systematische Erziehung bzw. Bildung des Subjektes nötig sei. Er thematisiert deshalb ziemlich detailliert in seinem Erziehungsroman die Bildung seiner Hauptfigur, Albano. Er thematisiert aber auch am Beispiel von Roquairol, dem Freund und Nebenbuhler von Albano, die Verunsicherung des Subjektes auf diesem Bildungsweg. Er bearbeitet also literarisch die Tatsache, dass Selbstgewinnung und Selbstgefährdung nah bei an einander stehen, dass die Idee der Vervollkommnungsfähigkeit des Menschen mit dem Gedanken der Korruptibilität eng verbunden ist. Titan, in dem eine Schauerapparatur mit Doppelgängern, Geister, unheimliche Begegnungen, Prophezeiungen, dunkle Geheimnisse und Verschwörungen aufgestellt wird, ist aber zugleich eine Abrechnung mit der Weimarer Klassik (Kopke 1984: 74–75), mit der Philosophie von Kant und Fichte (Dembeck 2009: 138ff), sowie ein utopisch- politischer Gegenentwurf zur französischen Revolution (Berhorst 2002: 344–75).

Es ist dabei dieser 'unmögliche' Anspruch auf Totalität, der den literarischen Wert und die Modernität des Romans ausmacht und aus dem die ostentative Fragmentierung des Erzählten resultiert, die ihrerseits fast die 'Verselbständigung' des Erzählmaterials hervorruft. Exemplarisch dafür ist, daß die auktoriale Erzählfigur im Laufe des Romans schwindet, die Erzählperspektive sich ständig wechselt, der anfänglich erhabene Ton von komischen Glossen und ins Groteske steigende Szenen unterbrochen wird, während das verklärende Ende, das die Apotheose der Hauptfigur bedeutet, abrupt ist.

Doch die häufige Zersetzung des Handlungsfadens, erlaubt die systematische Polyperspektivierung des Erzählten, aber auch die Dramatisierung subjektiver Gefühle und Stimmungen, sowie detaillierte Beschreibungen der psychischen Abgründe der Romanfiguren.7 Somit gelingt es Jean Paul den Verlust der Selbstverständlichkeit des menschlichen Ichs, am Beispiel Roquairols und Schoppes literarisch umzuschreiben. Doch er versucht ihn auch auszugleichen und zugleich zu überwinden. Dass diese Rettung nicht nur über das Individuum, sondern auch über die Politik läuft, ist ihm bewusst. Er bemüht sich auch deshalb eine – eher unzeitgemäße – politische Antwort auf die Wirren der Zeit zu geben (Bruyn de 1986: 237-8), indem er am Ende des Romans den "weisen" Albano als den gerechten Fürsten inthronisieren lässt.

Auch aus diesem Grund erzählt der Roman eine Verschwörungsgeschichte (Simon 2006: 238–45) und suggeriert somit den fehlenden Überblick über die geheimen Relais der jeweiligen politischen Machapparatur (Jordheim 2007: 347–98). Die Bedeutung der Machenschaften, der Kabalen und Intrigen der Politik sind deshalb für die Konstruktion des Romans essentiell. Sie inszenieren und erklären die Masken und die Posen des Subjektes in der Öffentlichkeit, sie positionieren die Figuren im gesellschaftlichen Spiel und im privaten Raum. Doch neben den sozialen Rollen, die das Subjekt zu spielen hat und es korsettähnlich formieren, eine eminente erzählstrategische Bedeutung für die Konstitution des Subjektes im Roman haben auch lebendige und malerische Abbilder, sowie optische Geräte.8 Der Roman wird nämlich – wie auch so oft in der Literatur der Zeit – nicht nur von seriellen Figuren und Doppelgängern bevölkert, die die tiefgreifende Verunsicherung des Subjektes implizit darstellen.9 Er wird auch durch einen vielfältig variierten Einsatz von Bildnissen und Spiegeln, optischen Instrumenten und Guckkasten, Miniaturbildern und Wachsfiguren bereichert, die die Erkenntnisohnmacht des Subjektes unterstreichen und die Unmöglichkeit stabiler Identität demonstrieren.




PhiN 57/2011: 4


Doch das Besondere am Roman ist, dass die Erkenntnisohnmacht des Subjektes, die diese Inflation an optischen Erfahrungen, Täuschungen und Geräte impliziert, für manche Figuren zugespitzt dargestellt wird, während für andere, und das sind die hohen, platonisch konzipierten Menschen (vgl. dazu Kiermeier 1980: 122–58), deren Wahrnehmungsfeld jenseits der sinnlichen Erscheinungen liegt, dies nicht der Fall ist. Um diese Eigentümlichkeit des Romans zu erläutern, ist ein kleiner Exkurs auf die Handlung notwendig: Um vor den Mordplänen eines benachbarten Fürstentums den Nachfolger des Throns zu schützen, wächst Albano bei einem Landesedelmann und dessen Tochter Rabette.

Ohne seine königliche Abstammung zu kennen und im Glauben, dass er der Sohn eines spanischen Grafen ist,10 verliebt er sich in Liane, die ätherische Tochter des Ministers, und befreundet sich mit deren Bruder Roquairol. Als Liane das Geheimnis seiner Abstammung erfährt, verzichtet sie auf ihn und stirbt. Albano verzweifelt von dem Verlust der Geliebten liegt am Sterben und wird von der Erscheinung Lianes in Gestalt der ihr ähnelnden Idoine gerettet. Roquairol verführt und verlässt Rabette, während Albano auf einer Reise in Italien sich in Linda verliebt. In Linda ist aber auch Roquairol seit seiner frühen Jugend verliebt, und indem er seine täuschende Ähnlichkeit mit Albano und ihre Nachblindheit ausnutzt verführt er sie. Roquairol inszeniert daraufhin die Geschichte der Verführung Lindas als Theaterstück und als Darsteller seiner selbst begeht er am Ende Selbstmord.11 Linda hat keine andere Wahl als ins Kloster zu gehen, während Albano Idoine heiratet12 und auf den Thron steigt.13

Der Text bietet also eine Galerie von Doppelgängern und Spiegelbildern. Albano, der edle, höhere Mensch, der 'Titan' wird seinem Doppelgänger Roquairol, dem bösen, amoralischen Ästhet gegenübergestellt.14 Ihre äußere Ähnlichkeit lässt dabei die innere Differenz noch schärfer ans Licht treten, während ihre Komplementarität sie als zwei Seiten einer Medaille erscheinen läßt. Die "himmlische" Liane ist das Spiegelbild der "irdischen" Idoine; Schoppe, eine satirisch skizzierte Figur, stirbt beim Ansehen seines Doppelgängers, Siebenkäs; Linda, ihre Mutter und Karoline, die imaginäre Freundin von Liane, sind bis zum Verwechseln ähnlich.

Das Arsenal der Figuren, wie schon angedeutet wurde, scheint in zwei verschiedenen Ordnungen anzugehören, die durch die Handlung miteinander verwickelt sind und voneinander abhängig sind. Interessant für unseren Zusammenhang ist die Feststellung, dass diejenigen die im Roman zugrunde gehen, innerlich beweglich sind und durchaus erpicht, die "wahren" Begebenheiten um das Subjekt aufzudecken, sei es im Bezug auf die Verschwörung oder die verschleierte Identitäten der Figuren, sei es im Bezug auf das Wissen, dass das Subjekt mit sich selbst nicht identisch ist und somit immer neue Positionen einnehmen kann, sowie dass die äußerste Grenze in diesem Fluss der Identitäten nur der Tod ist.

Also diejenigen die sich in der Welt der Erscheinungen und der Repräsentation bewegen, zerbrechen innerlich und werden zerstört, wie z.B. Roquairol. Die anderen, die den Schleier der Erscheinungen nicht wahrnehmen,15 wie Albano die Hauptfigur, sehen kaum etwas und deshalb brauchen sie diejenigen, die sich den Erscheinungen widmen und die Zeichen zu deuten suchen, um sich zu recht zu finden. So ist es bezeichnenderweise Schoppe, derjenige der die wahre Geschichte über die Herkunft Albanos aufdeckt. Albano selbst ist daran kaum interessiert, herauszufinden wer er ist. Dafür sorgen ja andere.

Diese dem Roman inhärente Paradoxie führt das propagierte Ideal des platonisch inspirierten Anti-Genies letztlich ad absurdum. Die platonische Anthropologie Jean Pauls präsumiert nämlich ein in sich eingekapseltes, außerhalb der Zeit stehendes Subjekt, das Macht über sein "wahres" Selbst dank einer ostentativen "Blindheit" verfügt, die letztlich auch seine harmonische Eintracht garantiert und die letztlich als ein metaphysisches Charisma inszeniert wird.




PhiN 57/2011: 5


Doch dieses von der Welt abgeschottetes, ignorantes Subjekt kann sich nicht verändern, nicht entwickeln. Es kann nur durch die Bewegungen und aufgrund der Beweglichkeit anderer Figuren neu positioniert werden und das ist genau was Albano passiert. Dass dabei durch diese Unterscheidung, zwischen denjenigen, die in der Welt der Erscheinungen zugrunde gehen und denjenigen, die von den Erscheinungen nicht irritiert werden, die Aporien, die aus der defizitären menschlichen Wahrnehmungsapparatur entstehen und in einem labilen und innerlich zerrissenen Subjektkonstrukt kulminieren, unbeantwortet bleiben, liegt auf der Hand.

Doch das in zwei Lager geteilte Personal ist in der Logik des Romans ein nötiger Kunstgriff. Die erklärte Absicht von Jean Paul war nämlich nicht allein das Scheitern des Subjektes darzustellen, das sich selbst nicht vergewissern kann, obschon er dieses Scheitern am Beispiel von Roquiarol im Roman drastisch inszeniert. Das, was er vielmehr mit seinem gewaltigen Romanprojekt beabsichtigt ist ein Porträt des hohen Menschen zu liefern. Und es ist diese neuplatonische Lösung, die Jean Paul als Antwort auf die Subjektproblematik dieser Schwellenzeit favorisiert, die die oben beschriebene Paradoxie aufrechterhält. Wie alle Platoniker, so soll nämlich auch Albano, der Held des titanischen Romans, lernen bzw. wissen oder schon immer gewusst haben, dass alles nur Abbilder von Ideen sind und Abbilder der Abbilder haben keinen rechten ontologischen Status. Sie können nur bedingt und gefälscht die Wirklichkeit wiedergeben. Und nur dieses Wissen kann ihn in der Welt des Romans vom Sog der Erscheinungen, vom Sog der Verunsicherung, vom Sog der Zeit retten. Aber weil er ohne Abbilder auskommen soll, aber gleichzeitig ohne Abbilder, sei es Buchstaben oder Bilder, die Welt nicht deutbar ist, so muss jemand anders diese Aufgabe übernehmen und das sind nämlich die Figuren, wie Schoppe, die an ihre exzessive Selbstreflexivität zugrunde gehen.


3

Die Niederschrift von Titan war für Jean Paul eine langwierige Prozedur. Fast zehn Jahre arbeitet der Autor an seinem "Kardinal- und Kapitalroman", der von der Kritik zwiespältig aufgenommen wird, und nicht mal annähernd den Erfolg von Hesperus haben wird.16 Ludwig Tieck "nennt den Titan sogar das schlimmste, wohin Jean Paul sich je verstiegen habe" (Wuthenow 2001: 887). Während aber die zeitgenössische Kritik sich auf das Krankhafte, auf das Verderbliche und das Verführerische konzentrierte17, wird der heutige Leser mit der empfindsamen Exaltation des Opus und mit der an das Absurde grenzenden Diversität des Erzählmaterials konfrontiert (vgl. dazu Sprengel 1982: 11–30), das aus einem romantischen Inventar zu stammen scheint, wie man es etwa aus Schillers Geisterseher (vgl. dazu Harich 1974: 447–8) oder E.T.A. Hoffmanns Erzählungen und Romanen kennt. Ähnlichkeit und Idealisierung in einer für den Roman exemplarischen, strukturellen Verbundenheit sind oberflächig gesehen die Modi des Erzählten. "Ideal" und "Ähnlichkeit" sind hier allerdings nicht in einer antinomischen Beziehung. Vielmehr könnte man sagen, dass die "Serialität" des Ideals ihre Fundierung auf der Ähnlichkeit der Figuren mit einander findet, denn ohne sie wäre die paradigmatische Entfaltung der ideellen Figuren nicht möglich; oder umgekehrt, dass die Figuren Abbildungen einer Idee sind und deshalb mit einander ähnlich. Albano sieht deshalb darin nur sich selbst oder was schon längst durch vorgegebene Ideen präfiguriert bzw. präformiert war.

So wird Liane, die "erste" Liebe Albanos, stets mit Marienbildern verglichen. Ob Marienstatuen oder Madonnen Albano "trifft" seine Geliebte, noch lange bevor er sie gesehen hat und liebt sie bevor er sie kennenlernt. Als er sie zum ersten Mal tatsächlich sieht, heißt es: "und der selige Jüngling sah die junge offene stille Marienstirn bestrahlt" (Titan: 188). Aber auch nach ihrem Tod sind es die Marienbilder, die an die Geliebte erinnern und ihre Figur fast leitmotivisch im Roman wiederkehren lassen. Erst als er am Ende des Romans ihre Doppelgängerin, Idoine, heiratet, wird die Reihe der Marienbilder beendet.




PhiN 57/2011: 6


Das Porträt dient dabei als eine weitere Vervielfältigung der Figuren, doch es wird stets negativ markiert.18 So wird der Wunsch von Bouverot, der Liane heiraten will ein Miniaturporträt von ihr zu malen von ihr entschieden abgelehnt und als sie blind ist19, zeichnet er sie, ohne daß sie es merkt. Die kleine dramatische Szene gewinnt ihre besondere Brisanz durch ihre aussagekräftige Metaphorik, die das Porträtieren mit der Begierde des Malers zusammenkoppelt und so den Akt des Sehens und des Malens als eine Vorspannung einer "Vergewaltigung" darstellt. Als die blinde Liane ihn doch erkennt, – denn am Anfang verwechselt sie ihn mit Albano, eine der vielen Verwechselungen im Roman – , versucht sie zu entfliehen und bietet Gott ihr ihre Sehkraft zurückzugeben.

Da gab der Alliebende sie ihr wieder, die Qual der Natur, die lauten Anstalten des Begräbnisses öffneten der Scheinleiche wieder das Auge. […] Er selber holte aus dem Zimmer den Miniatur-Riß ab und schleppte sich wie ein hungriges, verwundetes Ungeheuer verdrüßlich und langsam aus dem Hause hinaus. (Titan: 500–1.)

Die Beute des hungrigen Ungeheuers bleibt – dank göttlicher Fügung – nur das kleine Porträt der nun sehenden Liane. Das Miniaturbild fungiert dabei fast wie eine rituelle Vorbereitung eines späteren, zum Glück nicht stattgefundenen Angriffs. Und obwohl es nicht näher beschrieben wird, wird indirekt auf die Falschheit des Porträts hingewiesen. Aus der anfänglichen Konstellation, die die innere Ruhe und Geistigkeit Lianes gegenüber der Hastigkeit und Lüsternheit des Malers darstellt, wird im Bezug auf das Porträt die Parallele zwischen Weiß und Farben gezogen, um die Farbpalette des Begierde gegen die weiße Gestalt anspielen zu lassen.

Die Macht der Begierde ist vielfarbig, während die Seligkeit sich durch das weiße Licht äußert: "Häßlich leckten seine vielfarbigen Panther-Augen gleich roten, scharfen Tiger-Zungen über das süße, weiche Antlitz […] Endlich hatt' er sie Bunt auf Weiß" (Titan: 498).20 Doch die "giftige(n) Tinten auf das weiße Elfenbein" können niemals – in der Logik des Passus – die weiße Gestalt Lianes erfassen. Die Ähnlichkeit des Porträts zu Liane wird somit suspendiert, das "wahre" Antlitz der Frau wird nicht abgebildet. Auf dem Bild ist eher die Begierde des Malers zu sehen, während dabei Liane vom Subjekt zum Objekt degradiert wird.21 Dies erklärt auch warum es nicht nur Liane ist, die nicht abgebildet werden will, und den Akt des Gemalt-Werdens als einen Gewaltakt erlebt, sondern dass sowohl Albano, als auch Idoine nicht porträtiert werden wollen.

Exemplarisch für die Abneigung gegen die Abbilder ist eine Szene auf Isola Bella, wo Albano sich zusammen mit seiner echten und seiner vermeintlichen Schwester, Julienne und Linda, befindet. Zuerst sehen sie eine Wachsfigur22, die angeblich die tote Severina abbildet, die aber keine andere ist als Linda, die dabei ist und niemand sie im Abbild wiederkennt und dann sieht Albano zuerst sein Spiegelbild, das ihn beunruhigt….

Auf der Schwelle kam es dem Grafen ein, in das Nebenzimmer zu schauen; er macht' es auf und fuhr zusammen, rief aber: "Geht nur voraus!" und ging hinein. Er hatte nämlich sich im Spiegel zweimal nachgespielt erblickt. Drinnen fand er sich in einer Nische in französischer Uniform stehen in Wachs, aber schon als Jüngling, und darneben, was die Tür bedeckt hatte, seinen Vater auch als Jüngling, altmodisch gekleidet, aber schön wie ein griechischer Gott; […]Er stürzte tief ins Meer der Vergangenheit. […] Man rief draußen.




PhiN 57/2011: 7


Er blickte wieder in sein Gesicht, aber zornig. "Wozu zweimal", sagt' er und zerquetschte sein Gesicht, aber ihm war es wie Selbstmord und Betasten des Ichs. Die väterliche Gestalt gönnte er noch weniger der fremden und unbewachten Stelle, aber sie war ihm zu heilig zur kleinsten Berührung (Titan: 713–4.).

Die Wachsfiguren, die so unheimlich wirken, bilden nicht nur die Vergangenheit ab, wie es im Passus beschwört wird, sondern auch die mögliche Zukunft. Albano will nämlich nach Frankreich, um dort zu kämpfen. Eine Diskussion hat soeben stattgefunden, während der Julienne und Linda ihn umzustimmen versuchen, sein Unternehmen zu vergessen, – freilich ohne Erfolg. Und nun findet er (eigentlich überraschenderweise) eine Wachsfigur, die ihn in einer französischen Uniform darstellt. Trotzdem scheint Albano nicht überrascht, sondern eher wütend zu sein. Die Zerstörung des Abbildes, die wie Selbstmord und Betasten des Ichs empfunden wird, wird durch die unsinnige Verdoppelung des Gesichtes erklärt.

Er zerquetscht also zornig sein Gesicht, weil er den Zweck des Abbildes in platonischer Manier nicht anerkennen kann. Mehr noch: er ahnt, dass das Betasten des Ichs nur durch Bilder zustande kommt, daher auch der Hinweis auf den Selbstmord. Es ist der Mord an der Selbsterkenntnis durch Spiegelungen, die er nicht nötig hat. Denn das, was er in dieser Szene eigentlich ablehnt, ist nicht nur sich selbst in Abbildern wiederzuerkennen und durch Bilder festgelegt werden. Er wehrt sich auch gegen die Entmachtung seiner Souveränität so wie Liane sich gegen den Angriff des Malers gewehrt hat. Er wehrt sich zudem gegen die Aushöhlung seiner Einmaligkeit, gegen das Untergraben seiner Autonomie durch einen ihm fremden Willen. Auf den Porträts wird nämlich, so wie Albano und die anderen hohen Figuren durch ihre Handlungen suggerieren, nicht das Subjekt abgebildet, das in dieser Konstellation zum Objekt wird, sondern der Wunsch, die Begierde eines Anderen.

Die Wiederkehr der Vergangenheit in der Gegenwart wird dabei als die einzige Funktion der Bilder anerkannt, denn nur so kann die Wiedererinnerung, die Anamnese evoziert werden. So wird das Wachsbild als Zeichen der Todes und der endgültigen Abwesenheit (Severina), sowie als Erinnerung an die Vergangenheit (der Vater in seiner Jugend) erduldet. Doch dass das Abbild Albanos eine künftige Situation, eine noch nicht realisierte Subjektposition darstellt, wird nicht in Erwägung gezogen. Er merkt es nicht, denn er sieht nur die Verdoppelung seines Ichs, das letztlich für ihn das einzige Signifikante ist, und nicht seinen Körper, der in einer französischen Uniform dargestellt wird. Und dieses Verkennen ist ein im Roman wiederkehrendes Verkennen, das ausschließlich die platonisch konzipierten Hauptfiguren charakterisiert und sein Pendant in ihrer Antipathie gegen Porträts und Abbilder aller Art findet.

Die Ablehnung gegen das Porträtieren, die sowohl Albano, Liane und Idoine ausdrücklich teilen, ist nämlich exemplarisch für den Versuch die Subjektvorstellung der Zeit mit dem platonischen Ich-Ideal Jean Pauls im Roman zu verschmelzen. Die Verdoppelung des Gesichts durch das Porträt scheint einerseits eine Setzung der Identität zu sein, die die Suche nach weiteren Identitäten begrenzt und deshalb unerwünscht ist. Da dies das romantisch-klassische Ideal der Subjektivität untergräbt, werden die Porträts als eine Gefahr inszeniert.

Doch jede Abbildung ist in noch zweierlei Hinsicht suspekt: sie ist ontologisch unhaltbar und sie kann niemals die Idee adäquat materialisieren. Der Text in der Absicht den hohen Menschen zu skizzieren, setzt deshalb die platonische Aversion der Figuren gegen Abbilder emphatisch in Szene. Deshalb wird auch der Akt des Porträtierens als ein Angriff auf das autonome und d.". in der Logik des Romans zugleich auf das metaphysisch fundierte Subjekt dargestellt. Die Wut, ja die Feindlichkeit der idealisierten Hauptfiguren gegenüber den Porträts ist insofern erklärbar.




PhiN 57/2011: 8


Jedoch ohne die deutungsbedürftige Welt der Abbilder und der Erscheinungen zu interpretieren, ohne Selbstreflexivität kann man eigentlich zu keiner Erkenntnis gelangen.

Dafür sorgen deshalb diejenigen Figuren, die zu einer postmetaphysischen Ordnung angehören und einerseits die Gefahren der Selbstsuche bzw. die existentielle Not des Subjektes drastisch veranschaulichen, andererseits aber imstande sind das komplexe Gewebe der Romanwelt zu überschauen, sowie in diese Welt einzugreifen und zu verändern.

Schoppe, derjenige, der die Rätsel der Porträts löst, derjenige also, der sich am intensivsten mit dem Ich auseinandersetzt, ebnet zugleich den Weg Albanos zum Thron. Interessant ist dabei, dass am Tag, an dem Schoppe das Geheimnis der Herkunft Albanos lüftet, der Tag ist, an dem er stirbt, nachdem er seinen Doppelgänger Siebenkäs getroffen hat.

"Niemand hat meine Gestalt" (sagte Schoppe erschüttert) "als der Ich." […] "Ich bin Siebenkäs", sagte das Ebenbild zärtlich und trat ganz nahe. – "Ich auch, Ich gleich Ich", sagt' er noch leise, aber dann brach der überwältigte Mensch zusammen, und dieser reinigende Sturm wurde ein seufzendes, stilles Lüftchen. Mit weiß werdendem Gesicht, krampfhaft sich selber die starren Augen zuziehend, stürzte er um, [… ]. (Titan: 847)

Während Schoppe mit der Identitätsformel Fichtes "Ich ist gleich Ich" stirbt, weil er seinen Doppelgänger gesehen hat, so bleibt Albano von der Entdeckung seiner wahren Identität ungerührt. Das Ich-Völkchen, das eigentlich Albano sehen sollte, aber Schoppe erblickte, ließ Albano in seiner Ich-Ethik unverändert.

Er scheint bis zum Ende sicher zu sein, dass Spiegelungen nicht einmalig sind und die Menschen, die in seinem Leben seriell auftraten für ihn nichts mehr als Spiegelungen gewesen sind. Wie z.B. Idoine, die als Ebenbild von Liane erscheint, Siebenkäs, der Schoppe ersetzt. Die Wiederholbarkeit der Abbildungen erlaubt deshalb Albano ohne weiteres "sich von seinem ganzen vorigen Leben" loszureißen, als er die Wahrheit seiner Herkunft erfährt.

Der hohe Mensch Jean Pauls braucht sich mit seiner neuen Identität nicht abfinden, denn seine Identität ist eine a priori gegebene und wird durch eine metaphysische Idee festgelegt, auch wenn gemäß dem romantischen-klassischen Ideal versucht wird ihn als ein sich stets entwickelndes Subjekt darzustellen. Diese Entwicklung findet jedoch nur vordergründig statt. Er, der stets im Zentrum der Handlung steht, wird vom Treiben der anderen Figuren, in die er nur sich selbst und seine eigene Ideale sieht, ohne sie jemals wahrzunehmen, zwar auf dem Handlungsbrett bewegt, doch innerlich bleibt er unberührt. Fast am Ende des Romans fasst Albano rückblickend sein Leben zusammen:

Sonderbar ists, daß ich immer auf Gräbern Spiegel finde, worin die Toten wieder lebendig gehen und blicken. So fand ich auf Lianens Grabe ihr lebendiges Bild und Echo; meinen alten liegenden Schoppe fand ich, wie Sie wissen, auch hinter einem Spiegelglas aufrecht und rege,[…]. Ich versichere Sie, sogar meine Eltern werden mir vorgespiegelt, meinen Vater kann ich in einem Zylinderspiegel, und meine Mutter durch ein Objektivglas sehen. (Titan: 867)

Die Ähnlichkeit wird somit auch jenseits des Grabes behauptet, während die lebendigen Porträts der Anderen, die Galerie des Helden – auch mit anderen Namen – bewohnen. Dieselbe Ähnlichkeit, an der Schoppe letztlich stirbt, irritiert Albano deshalb nicht, weil sie nicht konstitutiv für seine Identität ist.




PhiN 57/2011: 9


Für ihn, der die Anamnese Lehre Platos verkörpert und mit ihm die Abneigung gegen Abbilder teilt, hat das Subjekt eine metaphysische Begründung und deshalb sollte es sich von der Scheinwelt, die aus Spiegelungen und Abbilder besteht, möglichst wenig irritieren lassen und auch diese Paradoxie, dass man letztlich von der Subjektsuche und Subjektgewinnung absehen sollte, denn daran wird man, wie Schoppe, zerbrechen, trägt der kapitaler Erziehungs- bzw. Bildungsroman Jean Pauls in sich, ein Roman der mit Porträts und Abbildern hantiert, um dann nur diejenigen Hauptfiguren überleben zu lassen, die die Romanwelt "blind" durchqueren und deshalb bis zum Ende unverändert bleiben. Dass man es bis zum hohen Menschen in einem Prozess des Werdens schaffen kann, wie es z.B. die Figur Albanos darzustellen versucht, indem sie am Anfang des Romans die bekannten Mustern des Bildungsroman erfüllt, das kann das utopische Denken dieser Schwellenzeit imaginieren und es auch als ein Politikum darstellen. Die wahre Geschichte des Subjektes und der Gesellschaft sieht allerdings anders aus. Es ist demnach kein Zufall dass die Lieblingsfigur der Forschung nicht Albano, sondern der innerlich zerrissene Ästhet, Roquairol ist.23



Bibliographie

Apel, Friedmar (1992): Romantische Kunstlehre: Poesie und Poetik des Blicks in der deutschen Romantik. Frankfurt am Main: Dt. Klassiker-Verlag.

Berhorst, Ralf (2002): Anamorphosen der Zeit. Jean Pauls Romanästhetik und Geschichtsphilosophie. Freie Univ., Diss.—Berlin, 1999. Tübingen: Niemeyer (Studien zur deutschen Literatur, 162).

Bruyn, Gunter de (1986): "Dämmerungen: Jean Paul und die Politik". In: Sinn und Form: Beitrage zur Literatur, Jg. 38, ". 6, 1147–1162.

Dembeck, Till (2009): "Fichte dem Buchstaben nach auslegen". In: Jahrbuch der Jean-Paul-Gesellschaft (2009) Jg. 44, 113–140.

Dürbeck, Gabriele (1998): Einbildungskraft und Aufklärung. Perspektiven der Philosophie Anthropologie und Ästhetik um 1750. Tübingen: Niemeyer (Studien zur deutschen Literatur, 148).

Eickenrodt, Sabine (1999): "Kopien der Kopien. Urbild und Abbild in Jean Paul´s Titan". In diess. (Hg.): Übersetzen, übertragen, überreden. Würzburg: Königshausen und Neumann, 95–108.

Eickenrodt, Sabine (2006): Augen-Spiel. Jean Pauls optische Metaphorik der Unsterblichkeit. Göttingen: Wallstein.

Fohrmann, Jürgen (1985): "Jean Pauls Titan. Eine Lektüre". In: Jahrbuch der Jean-Paul-Gesellschaft, Jg. 20, 7–32.

Frank, Manfred (1990): Das Problem "Zeit" in der deutschen Romantik. Zeitbewußtsein und Bewußtsein von Zeitlichkeit in der frühromantischen Philosophie und in Tiecks Dichtung. 2., überarb. Aufl. Paderborn: Schöningh.




PhiN 57/2011: 10


Hagenbüchle, Roland (1998): "Subjektivität. Eine historisch-systematische Hinführung". In: Fetz, Reto Luzius; Hagenbüchle, Roland; Schulz, Peter (Hg.): Geschichte und Vorgeschichte der modernen Subjektivität. Berlin, New York: ". de Gruyter (European cultures, v. 11), 1–88.

Harich, Wolfgang (1974): Jean Pauls Revolutionsdichtung : Versuch einer neuen Deutung seiner heroischen Romane. Reinbek bei Hamburg: Das neue Buch.

Hesse, Sandra (2010): Das janusköpfige Ich. Jean Paul, Fichte und die Frühromantik. Univ., Diss. u.d.T.: Hesse, Sandra: Problematische Selbstverhältnisse—Freiburg i. Brsg., 2004. Heidelberg: Winter (Beiträge zur neueren Literaturgeschichte, 271).

Jordheim, Helge (2007): Der Staatsroman im Werk Wielands und Jean Pauls. Gattungsverhandlungen zwischen Poetologie und Politik. Univ., Diss.—Oslo, 2006. Tübingen: Niemeyer (Communicatio, 38).

Kiermeier, Joseph (1980): Der Weise auf den Thron! Studien zum Platonismus Jean Pauls. Stuttgart: Klett-Cotta, 122–158.

Klinkert, Thomas (2002): Literarische Selbstreflexion im Medium der Liebe. Untersuchungen zur Liebessemantik bei Rousseau und in der europäischen Romantik (Hölderlin Foscolo Madame de Staël und Leopardi). Freiburg im Breisgau: Rombach (Rombach Wissenschaft : Reihe Litterae, 92).

Koller, Hans-Christoph (1986): "Bilder, Bücher und Theater. Zur Konstituierung des Subjekts in Jean Pauls Titan". In Jahrbuch der Jean-Paul-Gesellschaft (1986), Jg. 21, 23–62.

Kopke, Wulf (1984): "Jean Pauls Auseinandersetzung mit Werther und Wilhelm Meister im Titan". In: Wittkowski, Wolfgang (Hg.): Goethe im Kontext: Kunst und Humanität, Naturwissenschaft und Politik von der Aufklärung bis zur Restauration; Ein Symposium. Tübingen: Niemeyer, 69–82.

Koselleck, Reinhart (2004): "Einleitung". In: Brunner, Otto; Conze, Werner; Koselleck, Reinhart (Hg.): Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland. Studienausg. Stuttgart: Klett-Cotta, XIII–XXIII.

Krauss, Wilhelmine (1967): Das Doppelgängermotiv in der Romantik. Studien zum romantischen Idealismus. Nendeln: Kraus Repr. (Germanische Studien, 99).

Markschies, Lothar (1957): Die Struktur von Jean Pauls Titan. In: Korff, Hermann A.; Müller, Joachim (Hg.): Gestaltung – Umgestaltung. Festschrift zum 75. Geburtstag von Hermann August Korff. Leipzig: Koehler & Amelang VOB, 189–205.

Merkel, Gabriel (1800): "Briefe an ein Frauenzimmer über die wichtigsten Produkte der schönen Literatur in Teuschland" [Über Titan, Bd. 1], In: Sprengel, Peter (1980): Jean Paul im Urteil seiner Kritiker. Dokumente zur Wirkungsgeschichte Jean Pauls in Deutschland. München: Beck (Wirkung der Literatur, 6), 36–40.

Minter, Catherine J. (2002): "Jean Paul and Women's Anthropology". In: Forum for Modern Language Studies, Jg. 38, 315–325.

Müller, Götz (1996): "Der verborgene Prinz. Variationen einer Fabel zwischen 1768 und 1820". In: ders.: Jean Paul im Kontext. Gesammelte Aufsätze. Riedel, Wolfgang (Hg.). Würzburg: Königshausen & Neumann., 29–44.




PhiN 57/2011: 11


Paul, Jean (2001): Titan, hg. v. Wuthenow, Ralph-Rainer, Frankfurt am Main: Insel. [Zitiert unter der Sigle Titan]

Pfotenhauer, Helmut (1996): "Bilderfluch und Bilderflut. Zu Jean Pauls Hesperus". In Jahrbuch der Jean Paul Gesellschaft (1996), Jg. 31, 9–21.

Pouvreau, Ruth (2002): Schöpferische Weltbetrachtung. Zum Verhältnis von Einbildung und Erkenntnis in Texten der deutschen Romantik. Freie Univ., Diss.—Berlin, 2001. Amsterdam: Rodopi (Fichte-Studien-Supplementa, 15).

Rehm, Walter (1950): "Roquiairol. Eine Studie zur Geschichte des Bösen". In: Orbis Litterarum, Jg. 8, 161–258.

Schulz, Gerhard (1996): Romantik. Geschichte und Begriff. München: Beck.

Simon, Ralf, (2006): "Commercium und Verschwörungstheorie – Schillers Geisterseher und Jean Pauls Titan". In: Jahrbuch der Jean-Paul-Gesellschaft (2006), Jg. 41, 221–249.

Sprengel, Peter (1982): "Zur Wirkungsgeschichte von Jean Pauls Titan". In: Jahrbuch der Jean-Paul-Gesellschaft, Jg. 17, 11–30.

Voßkamp, Wilhelm (2004): "Ein anderes Selbst". Bild und Bildung im deutschen Roman des 18. und 19. Jahrhunderts. Göttingen: Wallstein-Verl. (Essener kulturwissenschaftliche Vorträge, 15).

Wölfel, Kurt (1989): "Jean Pauls poetischer Republikanismus. Über das Verhältnis von poetischer Form und politischer Thematik im 18. Jahrhundert". In: ders. (Hg.): Jean Paul-Studien. 1. Aufl. Frankfurt a.M.: Suhrkamp (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft, 742).

Wölfel, Kurt (1984): "Die Unlust zu fabulieren: Über Jean Pauls Romanfabel, besonders in Titan". In: Fruhsorge, Gotthardt; Manger, Klaus; Strack, Friedrich (Hg.): Digressionen: Wege zur Aufklärung Festgabe für Peter Michelsen. Heidelberg: Winter (Beitrage zur neueren Literaturgeschichte Dritte Folge: 63), 163–175.

Zeller, Christoph (1999): "Zeichen des Bösen. Raabes Die Akten des Vogelsangs und Jean Pauls Titan". In: Raabe-Gesellschaft: Jahrbuch der Raabe-Gesellschaft, 112–143.



Anmerkungen

1 Zur Subjektivität in einer historischen Perspektive siehe u.a. Hagenbüchle (1998).

2 Deshalb wird es die Liebe sein, die als das versöhnende Prinzip par excellence zelebriert wird. Durch die ihr zugeschriebene metaphysische Macht können die Gegensätze zwischen Vernunft und Imagination, Geist und Sinnlichkeit, zwischen Innen und Außen, zwischen Individuum und Sozietät, zwischen dem Einzelnen und dem Universum überwunden werden. Dass es sich meistens in der Literatur der Zeit eher um das Scheitern der Liebe, als um ihr Gelingen handelt, deutet auf das Scheitern des Subjektes hin, über diese Gegensätze hinaus zu gelangen. Klinkert suggeriert deshalb zurecht, dass "die Literatur durch die Thematisierung von Liebe ihre eigenen Probleme" zu überwinden sucht. Doch nicht nur wie Klinkert behauptet, weil "Die scheiternde Liebe... zu einem Tropus für die Ohnmacht der Literatur als autonomes Teilsystem in der modernen Gesellschaft [wird]", sondern auch, weil ihr problematisches Sujet, das labile und zerrissene Subjekt, diese Ohnmacht geradezu bedingt (Klinkert 2002: 57, 250).




PhiN 57/2011: 12


3 Diese problematische Lage des Subjektes wird kritisch auch in den damaligen metaliterarischen Reflexionen widerspiegelt. Als Beispiel für das Bewusstsein der Bewegtheit, für die Sehnsucht nach Grenzüberschreitung in dieser Ära des metaphysischen Relativismus kann Schlegels Vorstellung einer progressiven Universalpoesie gelten, so wie der Versuch Kleists im Marionettentheater eine mythische Einheit zu restituieren, als Zeichen der Nostalgie nach einer verlorenen Ganzheit und der Suche nach einem fiktionalen Korrektiv der inneren Spaltung des Subjektes zu lesen ist. Siehe dazu u.a. Apel (1992).

4 Wesentlich für die Bedeutung der Zeit in der Romantik ist die Studie von Frank (1990).

5 Hinzu kommt, dass die neuere Forschung auf die enge Beziehung zwischen Bilder, Abbilder und Bildlichkeit und dem Begriff der Bildung, wie er im Bildungsroman problematisiert wird, hingewiesen hat. Siehe dazu: Dürbeck (1998) und Voßkamp (2004).

6 "Auch der Titan arbeitet vor allem an einem Problem: den Konsequenzen, die sich aus dem diagnostizierten Ende von Metaphysik ergeben. Jean Paul versucht mit dieser Diagnose umzugehen – um dann dennoch Metaphysik als funktionale Größe wieder emphatisch zu fordern. In der sprachlichen Inszenierung, als letztem Bezugsfeld, will Jean Paul nämlich Identität in einem umfassenden Sinn wiedergewinnen. Seine Wortkaskaden und schon expressionistischen Phantasien zielen auf Vermischung, wollen das Getrennte in Kommunikation versetzen. Die Vielzahl der sphärischen Bilder versucht qua Technik, aber doch im Kern mimetisch, die in Mythos und Metaphysik gedachte Verkettung noch einmal nachzuahmen. Gegen scheiternde Aufklärung tritt Jean Paul mit einer Flut von Worten an, die darauf zielen, den Zusammenhang durch eine komplementär-vollständige Darstellung von Welt gegenwärtig zu halten – auch wenn sich der Zusammenhang nicht zu einem Faden entwirren läßt" (Fohrmann 1985: 32). .

7 "Jean Paul läßt seine Figuren sich wechselseitig relativieren, bringt sie je zueinander in eine Beobachter- und Teilnehmerposition. Sie agieren und reflektieren sich gegenseitig. Die inverse Spiegelbildlichkeit Albanos zu Roquairol, Lianes zu Idoine und Linda und Schoppes zum Kahlkopf usw. zeugt von einer Nähe, die auch als Identitätsverlust begriffen werden kann. Das in-der-Schwebe-Halten von Fixierung und Auflösung bestimmt die mehrschichtige Gesamtkonstruktion des Romans. Das unendliche Abschweifen, von dem Jean Paul träumt (sein "Papierdrache"), verhindert die Festlegung auf ein Programm, und selbst Albanos Fürsten-'Beruf', als vordergründige Lösung des Romans wird dann im "Komet" parodiert. Einheit und Transparenz, die eine Vernunft haben sich trotz erheblicher Anstrengungen nicht nachweisen lassen. Gerade im Schreibverfahren wird eine programmatische Lösung verhindert, die konträr zum Schreibverfahren selbst stehen würde. Das Feld der sich auf paradoxe Weise ausschließenden Konzepte, die im Raum des Romans in Kommunikation treten, legt nur frei, daß Welt in Schoppeschen Sinne ein Konstruktionszusammenhang ist – und es gleichzeitig nicht sein darf". (Fohrmann 1985: 30–31)

8Für die Wichtigkeit der optischen Geräte und die metaphorische Bedeutung der Maschine bei Jean Paul siehe Helmut Pfotenhauers Bemerkung: "Exzerpthefte, die Tausende von Seiten und 120 Bände umfassen und für seine Romane immer wieder ausgeschlachtet worden sind, stellen einen untrüglichen Indikator für die Wichtigkeit dieses Motivs der künstlich erzeugten Nachbilder dar. Einer der umfangreichsten unter den Registerartikeln, welche die Exzerpthefte ordnen sollen, ist der zum Stichwort "Maschine". Darunter sind an die unzähligen Einträge zu Automaten, künstlichen Menschen, Statuen, Nachbildungen des Lebens verzeichnet, welche dann in den Romanen wiederkehren". (Pfotenhauer 1996: 10–11)




PhiN 57/2011: 13


9 Es war Jean Paul, der den Begriff Doppelgänger prägte (Schulz 1996: 95).

10 Vgl. dazu die Bemerkung von Wölfel: "Wenn Jean Paul also mit der Erfindung einer genealogisch-dynastischen Verwicklung, durch die der Romanheld erst zusammen mit der Offenbarung der Vorgeschichte zu seiner "bürgerlichen" - Identität gelangt, dennoch arbeitet, dann kann das Verhältnis von, vorgegebener Welt der Vorgeschichte und gegebener Welt der Gegenwartshandlung nicht wie im Barockroman das von allgemeinem Wahrheits- und Daseins-Grund und ungesichert-fremdem Raum der Abenteuer sein, kann der Held nicht mit der Entdeckung seines Herkommens, mit der Ankunft in seiner Herkunft', zu seiner Wahrheit gelangen. Denn seine wahre Identität ist ja keine "äußere", sondern eine "innere", nicht die eines "Hauses", sondern eines Individuums. (Nicht ein einziges Mal wird am Ende des Romans Albano bei dem Namen genannt, der ihm "in Wahrheit" zukommt, nachdem er Cesara nicht mehr heißen kann. Er wird weiterhin wie er immer hieß, mit seinem Vornamen, also dem ihm als Individuum zukommenden Namen, benannt" (Wölfel 1984: 65–66). Zur Struktur des Romans siehe: Markschies (1957). Zur Fabel des Titans: Müller (1996: 29–44).

11 Zur Figur von Roquiairol wichtig ist immer noch die Studie von Rehm (1950).

12Zu den Frauengestalten in Titan siehe u.a.: Minter (2002: 321–25).

13 Die Erhöhung Albanos zum Fürsten versteht Wölfel als einen " übergang in eine messianische Gestalt" und dies steht "nicht im Zeichen der Revolution, sondern ist Produkt der eschatologischen Konzeption des Charakters" (Wölfel 1989: 231).

14 Vgl. dazu die Bemerkung von Christoph Zeller "Das Genie lautete nach den frühesten Plänen Jean Pauls der Titel des Romans. Der Held hätte demnach durch ein übermaß an "Kraft", an Leidenschaft, die schlechten Seiten seines Wesens veräußern sollen. [...] Die Aufspaltung des widersprüchlichen Genies in seine Extreme gestattet schließlich die metaphorische Darstellung eines Konflikts, der sich im Innern entwickelt: Albano und Roquairol sind zwei Seiten desselben Prinzips, die Pole menschlicher Phantasietätigkeit – "Engel" und "Teufel" des dichterischen Schaffens" (Zeller 1999: 125).

15 Wölfel bemerkt im Hinblick auf Albano: "Ein 'Charakter', in diesem Sinne verstanden, bildet sich bei Jean Paul nicht in 'in den Strom der Zeit', wie Goethes Leonore im Tasso meint; jenseits von aller Welt und Zeit ist er anfänglich da, und er verharrt in allen Bewegungen als ein Unbewegtes, in aller Veränderung als ein Unveränderbares, weil er nicht von dieser Welt ist" (Wölfel 1989: 228).

16Selbstkommentar von Jean Paul in der Vorschule der ästhetik, hier nach Wuthenow (2001: 890).

17 "Richter besitzt ein glänzendes Genie, aber den verderbtesten Geschmack, den man je einem Schriftsteller verziehen hat; Kraft eine poetische Welt zu schaffen, aber nicht Einsicht genug, sie zu ordnen; kränklich lebhaftes, verworrenes Kunstgefühlt und zu wenig, all zu wenig Künstlersinn" (Merkel 1800: 36–37).

18 Hans-Christoph Koller stellt in seinem Aufsatz "Bilder, Bücher und Theater. Zur Konstituierung des Subjekts in Jean Pauls Titan" fest, daß alle wichtige Nebenfiguren (die scheitern, oder sterben), irgendeine besondere Beziehung zur Kunst haben. Was die Bilder betrifft, so sind sie seiner Meinung nach von unübersehbarer Bedeutung. Sie präformieren nämlich die Wünsche des Helden, indem sie anstelle von den Objekten bzw. Personen selbst treten. Die Vorenthaltung der Wunschobjekte "macht Albano besonders empfänglich für Bilder" (Koller 1985: 29) Diese Empfänglichkeit beschränkt sich nicht nur auf seine Liebe zu Frauen, sondern beinhaltet nahezu alle mögliche Objekte. (vgl. Koller 1986: 27) Interessant – aber nicht in ihrer vollen Konsequenz gezogen – ist Kollers Erklärung für die Ablehnung Albanos gegenüber seiner Spiegelbildern bzw. gegenüber der Vervielfältigung seines Ichs. An der Wahl Albanos, Roquairol zum Freund zu machen, ist die (von Albano erwünschte innerliche) Ähnlichkeit zwischen den beiden die Grundlage der Freundschaft. [ich bin wie du, schreibt er ihm in seinem ersten Brief.] So kommt Koller zu dem Schluß, dass "[d]ie Wahl des Freundes nach dem Kriterium der Ähnlichkeit mit dem eigenen Ich [erfolgt]. [...] Und Albano braucht einen solchen Freund, ein ihn verdoppelndes Spiegelbild, um selbst ganz zu sein, denn erst wer "zweimal" lebt, ist "wie unsterblich", und erst dem verdoppelten Ich erschließen sich "die Alpen der Schöpfung", der Frühling und die Fülle der Welt. Seine Attraktivität für Albano bezieht das Bild des ähnlichen Gegenübers allerdings daraus, daß es ihm in einer entscheidenden Hinsicht unähnlich ist. [...] Damit Albano an einem Spiegelbild seiner selbst zum "hohen" Menschen reifen kann, muß dieses Spiegelbild ihm etwas voraus haben: es muß edler, schöner und vollkommener sein, als er selbst es ist. Wie das Ich in Lacans "Spiegelstadium", konstituiert sich Albanos Ich auf dem Weg über das Bild eines anderen, vollkommeneren Gegenübers. Doch wie das Ich des "Spiegelstadiums" seine Abhängigkeit von diesem anderen verkennt, so bleibt auch Albano die Herkunft seines Ichs verborgen. Er, dessen Sehnsucht nach Größe von dem Wunsch geprägt ist, aus eigener Kraft groß zu sein, statt von fremder Hand getrieben zu werden, muß sich auch in der Freundschaft die Illusion der Autonomie bewahren. So muß er beides verkennen: daß seine Sehnsucht nach dem Freund nur dem eigenen Spiegelbild gilt, und daß er nur durch dieses ähnlich-unähnliche Gegenüber das ist, was er ist. Während Liane ihr Spiegelbild idealisiert und dessen ähnlichkeit mit sich selbst verkennt, weil sie ihr Ich verleugnet, verkennt Albano umgekehrt das Bild des anderen und dessen Einfluß auf sich selbst, weil er sein Ich idealisiert. Der Begegnung mit den (Spiegel-)Bildern seiner selbst, so läßt sich folgern, weicht er deshalb aus, weil sie die geheime Struktur offenzulegen drohen, die seiner Subjektivität zugrunde liegt." (Koller 1986: 32–33.)
Koller hat Recht mit seinen Überlegungen. Es ist richtig, daß Albano das Bild des Anderen und dessen Einfluß verkennt. Doch im Rahmen des Romans ist diese Verkennung m.E. ein taktischer Zug, der auf die Idealisierung des Helden abzielt. Die dunkle Figur Roquairols ist nötig, um die Figur des hohen Menschen, für den Albano typologisch steht, mit leidenschaftlichen Nachdruck hervorheben zu können. Die äußerliche Ähnlichkeit bezeugt hier den inneren Unterschied. Daß dies eine Ausnahme im Roman darstellt, spricht für eine Erzählstrategie, die ex negativo die Kongruenz des edlen Subjektes beschwört. Während nämlich die wechselseitige Relativierung der anderen Figuren, deren Spiegelbildlichkeit ihre Identität als kontigent erweisen läßt, sie zu Ersatzteilen der Textmaschinerie degradiert, ist Albano ein anderes Schicksal vorenthalten. Er ist nämlich, derjenige der von den Bildern der Anderen ernährt wird, aber als ein Ideal-Ich – das sogar jenseits der Zeit steht – keine Vervielfältigung oder Fragmentierung aufweisen darf (Koller 1986: 27ff, 32–33).




PhiN 57/2011: 14


19 Zur Blindheit Lianes siehe Eickenrodt (2006: 316–19).

20 "Es war für ihn kein Opfer, sondern ein Vor-Genuß, ein süßer Imbiß, den Kuß dieser zarten, kleinen Hand und Lippe und die ganze Schaustellung seines brennenden Herzens hinauszusetzen, bis er ihren Abriß mit den Gift- Tinten auf das weiße Elfenbein durch die schnelle Dupfmaschine seiner Hand abpunktieret sah." (Titan: 498)

21 Vgl. dazu die Interpretation dieser Szene, die Sabine Eickenrodt liefert (Eickenrodt 1999: 100–105).

22 "Platons Politeia und ihr Höhlengleichnis steht für Jean Paul von Anfang an als einschlägiges Modell dahinter: Die Sinnenwelt der in der Erdhöhle Eingeschlossenen ist, erkenntniskritisch gesehen, nur Schatten und Schein, und die Körper, die diese Schatten erzeugen, sind, ontologisch gesehen, den flüchtigen Schatten gleich und lediglich Gefängnis der unwandelbaren Seele und ihrer Ideen. Wo die Schattenrisse sind, sind die Wachsnachbildungen nicht weit" (Pfotenhauer 1996: 10).

23 Siehe z.B. dazu u.v.a. Hesse (2010). Hesse befasst sich in ihrer Arbeit im Grunde genommen ausschließlich mit Roquairol und Schoppe. Albano widmet sie nur zwei oder drei Absätze. Den Grund dafür gibt sie wie folgt an: "Während also Albanos Charakter und Geschichte des Vergleichs mit Roquairol bedürfen um profiliert hervorzutreten, konstruieren sich Roquairol und Schoppe unabhängig von Albano im Zuge eigenständiger Erzählstränge" (Hesse 2010: 162). Albano wird – so Hesse – zur Hauptfigur, nur weil alle andere sterben! (Hesse 2010: 302).