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Florian Sedlmeier (Salzburg)



Hybridität und Dritter Raum im Kontext von Inter-Disziplinarität und postkolonialer Theoriebildung



Hybridity and Third Space in the Context of Interdisciplinarity and Postcolonial Theory
The article reinvestigates two key conceptual metaphors that have been shaping postcolonial theorization and cultural theory: hybridity and the third space. Reading both concepts and their critical history as symptomatic for these larger discursive formations, I offer a metatheoretical perspective that interrogates the problem of inter-disciplinarity. In effect, their contested status can be regarded as epitomizing the benefits as well as the costs of redrawing disciplinary boundaries. Based upon these diagnoses, the article briefly sketches a framework of problems and questions that arise from the focus on cultural turns and conceptual as well as disciplinary transgressions.



Die zeitgenössische Omnipräsenz der Metaphern "Dritter Raum" und "Hybridität" im populären Diskurs und in einer Reihe von wissenschaftlichen Disziplinen1 ist ebenso aufschlussreich wie ihre gleichzeitige Funktion als konzeptuelle Ko-Konstituenten eines großen interdisziplinären Forschungszusammenhangs, der als Kulturwissenschaften bezeichnet werden kann.2 Das verstärkte theoretische Interesse an beiden Konzepten, deren (Wieder-)Aufleben in den 1980er Jahren zu suchen ist und deren Ausdifferenzierung seit den 1990er Jahren eine enorme Bandbreite an kritischen Erweiterungen hervorgebracht hat, kann demzufolge als symptomatisch gelesen werden – und zwar sowohl für das Bekenntnis zu Inter-Disziplinarität als auch im Sinn eines Lehrstückes über Theoriebildung selbst und damit als reflexiver Kommentar zur Frage der Inter-Disziplinarität.3 In diesem metatheoretischen Rahmen spielen sich die folgenden Überlegungen ab, die über eine Begriffsgenealogie zu theoriestrukturellen Bemerkungen gelangen, um schließlich, anhand der Rezeption insbesondere Homi Bhabhas und ganz allgemein der postcolonial studies, die Frage nach dem Zusammenspiel von ternär organisierten Überschreitungskonzepten und institutionellen Grenzziehungen zu stellen.




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Der vorliegende Aufsatz formuliert folglich aus einer Skizzierung der Karriereverläufe der Konzeptmetaphern Hybridität und Dritter Raum heraus allgemeine Thesen zu den Problemfeldern der Theoriebildung und der Inter-Disziplinarität und bietet somit eine selbstreflexive Perspektive an, die bislang in der postkolonialen Rezeption der Konzepte weitgehend unbeachtet geblieben ist, wobei nach den Gründen für diese Unterlassung zu fragen ist.



Hybridität und Dritter Raum als Traveling Concepts

In seinem wichtigen Aufsatz "Traveling Theory" argumentiert Edward Said, dass jedes Theorem mehrere Phasen des Transfers und der Verschiebung durchläuft. Ein Konzept, so Said, sei zunächst in einen wie auch immer konstruierten Ursprungskontext eingebettet. In einem zweiten Schritt wird die kritische Idee dann in einen anderen Zusammenhang mit divergierenden raumzeitlichen Koordinaten übersetzt. Dieser Übertragungsprozess verläuft jedoch nicht ohne Reibung – schließlich hat der neue Kontext sein eigenes Reservoir an Prämissen und Spielregeln, die mit denjenigen des eindringenden Konzeptes kollidieren. Der finale Schritt in Saids metatheoretischer Reflexion besteht in der (teilweisen) Inkorporation und Assimilation des importierten Theorems, in dessen Bedeutungsverschiebung und Zurichtung durch den neuen Kontext (vgl. Said 1983: 226f.).4

Mit Saids Metatheorie lässt sich sehr gut umschreiben, was Konzepten widerfährt, wenn sich Disziplinen füreinander öffnen. Es empfiehlt sich jedoch, eine Dimension hinzuziehen, die sich vielleicht am besten mit dem Begriff der Konjunktur bezeichnen lässt: Konzepte und deren Modifikationen in disziplinären Feldern unterliegen Trends; sie werden aktiviert, verschoben, kritisiert, ad acta gelegt und wiederaufgenommen bzw. neu aufgeladen, wobei, wie bereits erwähnt, der Ballast an Bedeutungsebenen, der sich über Jahrhunderte angesammelt hat, immer mittransportiert wird und werden muss. Je jünger seine Genealogie, desto weniger Ballast haftet einem Konzept an, desto leichter kann es adaptiert, mit neuen Konnotationen überzogen oder unterfüttert werden. Im konkreten Fall der Hybridität erweist sich das ideologische Gepäck, das der Begriff auf seiner Reise durch die Disziplinen angesammelt hat, als beträchtlich. Da es mittlerweile eine Reihe von Untersuchungen gibt, welche diese Aufladungen nachzeichnen, beschränkt sich der folgende Aufriss auf einige basale Eckpfeiler und Einteilungen.5




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Diskurs der Kontamination: Eine Begriffsgenealogie

Strukturell wie machttheoretisch ist das Konzept des Hybriden in dem, was man vereinfacht als westliche Kulturkonstruktionen bezeichnen kann, zunächst in einen Diskurs der Kontamination eingebettet: Vermischungen von ursprünglich rein gesetzten Einheiten werden hierbei als schwach, prekär, monströs, fremd- und abartig, immer jedoch als bestehende Ordnungen gefährdend angesehen. Es lassen sich innerhalb dieses Diskurses grob zwei Polaritäten und ihre Wandlungen abstecken: Einerseits die Schnittstelle Mensch-Natur, die sich spätestens seit dem 19. Jahrhundert zusehends um den Nexus Mensch-Technik erweitert sieht; andererseits die Achse Mensch-Anderer, die sich im Zug der Moderne – verstanden als Prozess der kolonialen Welterschließung – diskursiv formiert hat. In jedem Fall sind Fragen der Hybridität stets auch an Fragen nach dem Stellenwert des Menschen selbst angedockt, der in einem Geflecht diskursiver Skripte positioniert werden muss, und zwar zunächst in einem allgemein anthropologischen, später zunehmend in einem ethnografisch-kulturdifferentiellen Sinn, dem im vorliegenden Essay, der die Theoriedebatten in den postcolonial studies als Beispiel wählt, das Hauptaugenmerk gilt.6

Die Wiederentdeckung und Neukodierung des Konzeptes der Hybridität als subversives Desideratum postkolonialer Theoriebildung, wie sie insbesondere Homi Bhabha vorgenommen hat, steht unter schwierigen Vorzeichen. So hat etwa Robert Young gezeigt, dass sich mit der Reaktivierung des Begriffes in der Moderne eine Menge Ballast angesammelt hat. Aus der Botanik und Biologie heraus entwickelte sich im Zug des Kolonialismus eine Rassentheorie, für die Hybridität zu einem zentralen Fetisch avancierte. Für Young ist das Phantasma der Vermischung bzw. die Tabuisierung desselben in einen Diskurs des sexuellen Begehrens und der sexuellen Reproduktion eingelagert: „Theories of race were thus also covert theories of desire" (Young 1995: 9), wobei diverse Varianten existierten, die zumeist von der Angst unterfüttert waren, die konstruierte – und qua Rassendiskurs scheinbar verwissenschaftlichte – Reinheit von Einheiten könne durch miscegenation untergraben werden.7 Das Bedrohungsszenario rassischer Indifferenz muss also immer zusammen gedacht werden mit einem Begehren nach Überschreitung, das allein schon im Reise- und Forschungsdrang des Kolonialismus angelegt ist und sich in der Exotisierung und Erotisierung des Fremden widerspiegelt.






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Ein weiterer wichtiger Durchlaufpunkt für das reisende Konzept des Hybriden ist der Bereich der Semiotik, wobei hier Michail Bachtins Texttheorie und Yuri Lotmans Kultursemiotik zu nennen sind.8 Zielte die Praktik des Kolonialismus letztlich darauf, kulturelle Differenzen in einer Politik der Auslöschung qua Inkorporation zu absorbieren, um so das Bedrohungsszenario der Schwächung durch Vermischung zu umgehen, begreift Bachtin den notwendigerweise hybriden Text gerade als Panorama von divergierenden Positionen, die sich in einer Reihe dialogischer Kontrapunkte manifestieren und irreduzibel bleiben. Lotman transferiert und modifiziert Bachtins Texttheorem schließlich in eine Kulturtheorie, die semiotisch fundiert ist. Er definiert den kulturellen Raum als Semiosphäre, als dynamischen hybriden Prozess von Kontamination und Umformung. Binäre Konstruktionen befinden sich in kontinuierlicher Auflösung und erzeugen Anschlussmöglichkeiten ebenso wie Kollisionen, da die Gesamtheit semiotischer Codes, welche die Semiosphäre formen, grundsätzlich asymmetrisch organisiert ist, wobei die von Lotman universell gesetzte Semiosphäre zugleich die Grundbedingung für Kommunikation überhaupt bildet. Was Lotman in die Diskussion einführt und womit er über Bachtin hinausgeht, ist eine abstrakte Vorstellung von Kultur als Zeichen- und Aushandlungsprozess, allerdings auf Kosten einer weitgehenden Reduzierung machttheoretischer Aspekte.

In der semiotischen Prägung durch Lotman und Bachtin kündigt sich eine Auf- und Umwertung des Hybriden an, die Kontamination nicht nur positiv besetzt, sondern sie als unabdingbares Resultat zeichentheoretischer wie kultureller Prozesse versteht. An diesem Punkt setzen postkoloniale Theoretiker wie Homi Bhabha an, wobei drei zentrale Fragen bei vielen seiner Rezipienten und Kritiker wiederkehren:
(1) Kann sich ein Begriff einfach seiner Vergangenheit entledigen oder wird er nicht unweigerlich von früheren Kontaminationen eingeholt? Die Schwierigkeit dieser Loslösung scheint hinreichend demonstriert. Theoriestrukturell entscheidender ist (2) die Frage danach, ob die Vorstellungen des Hybriden wie des Dritten Raumes binäre oder jedenfalls monolithisch gedachte Einheiten voraussetzen oder ob es sich bei der Drei um eine Ursprungssetzung handelt, aus der dann erst binäre bzw. monolithische Konstruktionen hervorgehen. Daran gekoppelt ist (3) das Problem der Theoriebildung selbst bzw. das Selbstverständnis einer postkolonialen Theoriebildung als politisch engagiert, was letztlich oftmals einer Theorieverweigerung gleichkommt.9 Dies berührt schließlich auch den Bereich der Inter-Disziplinarität und damit der institutionellen Mechanismen universitärer Wissensproduktion generell – Aspekte, die bislang in den postcolonial studies kaum reflektiert werden.





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Die Rezeption Homi K. Bhabhas als Lehrstück postkolonialer Theoriebildung

Zunächst ist festzustellen, dass Bhabhas Sammlung von Aufsätzen sowohl formal als auch semantisch und strukturell selbst ein hybrides Gebilde ist. Es werden alle wichtigen theoretischen Strömungen des 20. Jahrhunderts (Psychoanalyse, Linguistik, Poststrukturalismus, Dekonstruktion, um die wichtigsten zu nennen) sowie narrative und literarische Strategien zu einer Kulturtheorie amalgamiert. Bhabhas Beiträge, von denen die wichtigsten gesammelt als The Location of Culture publiziert worden sind, können grundsätzlich als Versuch gewertet werden, einen textuell geprägten Konstruktivismus mit einer machtstrukturellen Diskursanalyse auszubalancieren, worin auch die theorieinnovative Leistung seiner Konzepte zu sehen ist.

Verortet werden muss dieses Unterfangen in einer Kritik an liberalen Vorstellungen von Multikulturalismus. Bhabha argumentiert dezidiert gegen eine Politik der Diversität und deren alleinigen Fokus auf Anerkennung, da sie letztlich binäre oder monolithische Organisations- und Ordnungsmodelle reproduziere und somit essentialistische Vorstellungen der hegemonialen Kultur fortpflanze. Dagegen setzt er ein Konzept von kultureller Differenz, die einerseits irreduzibel ist, und andererseits einem Verschiebungsmechanismus, einer différance im Sinn Derridas, unterliegt und somit niemals eins mit sich selbst sein kann bzw. sich selbst immer schon vorgängig und entfremdet ist. Während also der Multikulturalismus kulturelle Einheiten und Inhalte als gegeben annimmt, fokussiert Bhabha die Mechanismen und rhetorischen Strategien, mit denen Aussagen über Kultur getroffen bzw. Kulturen fixiert werden. Er rückt die Prozesse der Signifikation und Identifikation selbst ins Zentrum, die sich allerdings immer schon in einem hegemonialen Machtgefüge befinden.

Angesichts dieses Theoriedesigns kann die Umwertung des Hybriden unter bewusster Unterschlagung rassenbiologischer Begriffskontaminationen als postkoloniale Strategie gewertet werden, die Bhabha selbst als Re-Evaluierung des Vergangenen unter den Bedingungen der Gegenwart beschreibt. Doch ist nun dieses Hybride und Dritte monolithischen Einheitskonstruktionen vorgängig oder nachgeordnet?10 Die Frage kann nicht eindeutig beantwortet werden, was einerseits mit dem Theorieeklektizismus zu tun hat, den Bhabha betreibt, und andererseits mit der Streuung und Modifikation seiner Konzepte und Metaphern über eine breite Spanne von Essays. Es scheint mir allerdings aufgrund der inneren Logik, die seine Konzepte vereint, unangemessen, eine der beiden Lesarten auszuklammern.





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Die meisten Rezipienten situieren das Dritte und Hybride nachgeordnet, verstehen also Bhabhas Kulturtheorie letztlich als Subversionsmoment, in dem Einheiten zu einem Mischgebilde fusionieren, das sie selbst auflöst. Die Fokussierung auf diese Lesart hat eine Reihe von kritischen Revisionen produziert. Die Einwände reichen von Benita Parrys materialistischer Kritik zu Arif Dirliks Elitismusvorwurf (vgl. dazu Parry 2004: 13-36 sowie Dirlik 1997: 328-356). Derartige Einwürfe basieren letztlich auf einem Verständnis des Intellektuellen als Aktivisten und setzen voraus, dass Theoriebildung selbst gesellschaftlichen Wandel unmittelbar anzutreiben hat. Ihre Kritik an Bhabha arbeitet sich demzufolge an dessen mangelnder empirischer Verwurzelung ab und versteht seine Konzepte als bloßes theoretisches Laborspiel. Das Interessante an solchen Repliken ist ein paradoxales Verhältnis zur Inter-Disziplinarität: Mit dem Verweis auf einen Mangel an empirischer Fundierung werden soziologische und ethnografische Teildisziplinen wie die area studies – gegen deren Prämissen sich Bhabha explizit verwehrt – dominant gesetzt, allerdings oft gerade gepaart mit einer Klage über fehlende Inter-Disziplinarität. Bhabhas interdisziplinäre und mithin hybride Theoreme werden hingegen universalistisch verstanden, als theoretische Verschleierungen des Partikularen, der harten sozialen Fakten und epistemologischen Grundfesten.

Das andere – und weit weniger ausgebildete – Verständnis vom Hybriden als ternär bzw. multipel organisierter Ursprungserzählung wird an Pheng Cheahs Kritik deutlich. In seiner Diskussion von James Clifford und Homi Bhabha betont Cheah, dass beide die Vermischung als potenzielles Reservoir denken, das der Ausbildung getrennter Einheiten vorgängig ist. Cheah wendet sich somit gegen eine lange Zeit dominante Strömung innerhalb der postcolonial studies, die Überschreitungsmodelle wie den Kosmopolitanismus oder die Diaspora favorisiert, deren Aufkommen mit dem Konzept des Hybriden eng verknüpft ist. Das Beharren auf der Wichtigkeit nationalstaatlicher Konstrukte führt Cheah zu der ebenso simplen wie berechtigten Feststellung, dass das Setzen des Hybriden und Dritten als Ursprung letztlich eben genau dies ist und bleibt: eine Setzung (vgl. Cheah 2006: 80-119). Allerdings, und dies wäre ein Einwand, der Cheah gegenüber angebracht ist, geht gerade Bhabha keineswegs von einer Irrelevanz der Kategorie des Nationalstaates aus.11

Vielleicht ist die Frage danach, ob die Drei nun der Zwei und Eins vorausgeht oder nachgeordnet ist, nicht so entscheidend wie viele Beobachter glauben. Oder sie ist nur insofern von Bedeutung, weil es aus konstruktivistischer Reflexion heraus letztlich unmöglich ist, zu beurteilen, was den Ursprung wofür bildet.





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Wichtiger erscheint, die Begriffe nicht nur im Sinn ihrer Genealogie zu historisieren, sondern auch in Bezug auf ihre derzeitige Konjunktur, ihre Leerstellen sowie ihre Leistung für die institutionelle Re-Formation dessen, was gegenwärtig als (vergleichende) Kulturwissenschaften bezeichnet werden kann, zu befragen. Vier Aspekte, mit denen dieser Aufsatz thesenartig schließt, verdienen hierbei besondere Aufmerksamkeit.

Der überwiegende Teil der nordamerikanischen Rezeption zum Hybriden besitzt eine fundamentale Leerstelle, die im deutschen Kontext von Kien Nghi Ha offengelegt wird: Eine fehlende Bereitschaft, die Vermarktungsfähigkeit des Hybriden zu theoretisieren, die dem Subversionspotenzial der Kategorie diametral entgegen gesetzt ist. Demzufolge ist es gerade die Reinigung des Begriffes von seinen ideengeschichtlichen Kontaminationen, die ihn „als kulturelle Konfiguration für unterhaltsame Identifikationen und konsumtive Erheiterung interessant" (Ha 2005: 61) macht. Das Hybride als Desideratum, welches die Illusion von spielerischer Grenzauflösung entwirft, wird also keineswegs zufällig zu einem historischen Zeitpunkt erneut virulent, da technologische und ökonomische Entwicklungen kulturelle Differenzen und ihre Mischformen immer schneller global zirkulieren lassen. Der Kulturfetisch als Warenfetisch hat sicherlich ein transformatives Moment, erschwert jedoch die gerne proklamierte subversive Sichtweise.

Ein zweiter Kritikpunkt betrifft die Theoriebildung im postkolonialen und damit auch kulturwissenschaftlichen Feld. Das Verhältnis von generellen Makrotheorien – und zu diesen ist Bhabhas Kulturtheorie zu zählen – und spezifischen Untersuchungen auf dem Mikrolevel steht hier im Zentrum. Der Bereich der postcolonial studies strukturiert sich entlang einer Serie von Oppositionen, von denen Universalismus versus Partikularismus in diesem Kontext die bedeutsamste ist.12 An den heftigen Widerständen, die konstruktivistische Theoreme wie diejenigen Bhabhas auslösen, lässt sich ein Bild des politisch engagierten Intellektuellen, das in den neuen sozialen Bewegungen der 1960er und 1970er Jahren verwurzelt ist, die wiederum mit dem Ende des Kolonialismus klassischer Prägung einhergehen, ablesen. So paradoxal die Rückbindungsversuche an kulturalistische Modelle auch anmuten, so unumgänglich scheinen diese Reklamationen, betrachtet man sie als eine Politik des strategischen Essentialismus, wie sie etwa von Diana Fuss und Gayatri Spivak formuliert worden ist.13 Singuläre Einheiten bzw. binäre Konstruktionen sind nach dieser Logik unvermeidlich, um dem als bedrohlich empfundenen Auflösungspotenzial des Hybriden Einhalt zu gebieten.




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Ein dritter Aspekt schließlich verweist zurück auf die konjunkturelle Einbettung von Konzepten und ermöglicht eine weitere wissenschaftskritische Volte. Es ist bezeichnend, dass Hybridität in den postcolonial studies bislang ungleich mehr Aufmerksamkeit erfahren hat als der Dritte Raum, dessen begriffsgenealogisches Gepäck, wie bereits beschrieben, wesentlich leichter ausfällt. Daraus lässt sich ein Argument entwickeln, das insbesondere auf die nordamerikanische Kultur der Theoriedebatten zutrifft. Die Kritik an Theoremen und Konzepten ist weit ausgeprägter als deren produktives Weiterdenken. Wie sonst ist zu erklären, dass das Hybride eine Bandbreite von Einführungsbüchern produziert und kritische Revisionen erfährt, wohingegen der Dritte Raum vergleichsweise unbehelligt und unbeachtet bleibt? Strukturlogisch funktionieren schließlich beide Konzepte analog. Hybridität bietet schlicht mehr begriffshistorische Angriffsfläche für die Fortsetzung dessen, was um 1990 mit dem unglücklichen Label culture wars versehen worden ist und weiterhin ungebrochen jene Diskussionskultur der multikulturellen Anerkennungs- und Identitätspolitik proliferiert, wie sie Bhabha so überzeugend entwaffnet hat.

Damit korrespondiert ein vierter und letzter Punkt, welcher die für die postcolonial studies und die Kulturwissenschaften konstitutive Inter-Disziplinarität berührt. Die Fluktuation von Theoriemodellen über Disziplinengrenzen hinweg und das damit verbundene Infragestellen bzw. die Rekonstruktion dieser Grenzen wird durch Konzepte wie das Hybride und den Dritten Raum exemplarisch verkörpert. Die konzeptuellen Wiederbelebungs- und Umwertungsversuche und die Neuordnung der geistes- und sozialwissenschaftlichen Landschaft bedingen sich also wechselseitig. Jenseits von produktiver Euphorie14 und reaktionärer Skepsis empfiehlt es sich hier – aus metatheoretischer Sicht – die Bedingungen disziplinärer Grenzziehungen und damit die verknüpften transdisziplinären Wechselwirkungen der einzelnen turns ins Blickfeld zu rücken. Die Verweigerung einer derartigen Reflexion, die etwa genauer untersuchen könnte, weshalb die linguistische Wende in der Ethnografie an eine nahezu gleichzeitig zu diagnostizierende anthropologische Wende in den Literaturwissenschaften gekoppelt ist, verdient Aufmerksamkeit. Die Folgen solcher Neuausrichtungen, für die das Hybride als Konzept wie auch als metaphorische Beschreibung zentral gesetzt werden kann, sind noch schwer abzuschätzen. An der Tatsache, dass Bhabha sein Theorieamalgam nicht zuletzt aus literarischen Analysen gewonnen hat, lässt sich die Wichtigkeit einer Insistenz auf wie auch immer konstruierten disziplinären Grenzen ablesen – gerade in Anbetracht der persistenten Weigerung der postcolonial studies, die für die Literaturwissenschaften bei allem ideologischen Ballast immer noch konstitutive Praxis des close reading anzunehmen.




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In diesem Sinn kann die hitzige Debatte um das Hybride als Lehrstück gelesen werden, das den Blick sowohl auf Konzeptfluktuationen zwischen als auch auf die Disziplinen selbst lenkt.


Bibliografie

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Anmerkungen

1 In alphabetischer Reihenfolge können im Bereich der Sozial- und Geisteswissenschaften unter anderem folgende Disziplinen genannt werden: Anthropologie, Biologie, gender studies, Geografie, Linguistik, Literaturwissenschaften, postcolonial studies, Soziologie und Übersetzungswissenschaften.

2 Die Spannung zwischen Konzept bzw. Analysekategorie und deskriptiver wie extensiver Metapher ist für die Verwendung von Termini wie Hybridität und Dritter Raum von entscheidender Bedeutung. Und es scheint gerade die Schwierigkeit der Differenzierung zwischen diesen beiden Funktionen zu sein, die auch die Kette theoretischer Wenden befeuert, die sich in den letzten Dekaden Disziplinen überschreitend etabliert haben (vgl. Bachmann-Medick 2006: 26-27).

3 Die gewählte Schreibweise "Inter-Disziplinarität" soll den Prozess des Oszillierens zwischen fachlichen Grenzziehungen, deren Überschreitungen und Rekonstitution verdeutlichen.

4 In seinem sehr differenzierten Kapitel zu den Spuren des Hybriditätskonzeptes in diversen Theorien gelangt Nikos Papastergiadis zu einem ähnlichen Verlaufsmodell (vgl. Papastergiadis 2000: 186). Mieke Bal (2002) hat – erstaunlicherweise ohne auf den oben genannten Text von Said zu rekurrieren – eine Art akademischen Reiseführer vorgelegt, der eine Reihe von traveling concepts in den Sozial-, Kultur- und Geisteswissenschaften auf ihre Transferierungen und die damit verbundenen Bedeutungstransformationen hin untersucht.

5 Was den thirdspace anbelangt, so zeigen sich in seiner Begriffsgenealogie weniger ideologisch prekäre Sedimente. Seine Wurzeln sind in den postcolonial studies (Bhabha 1994), in der Geografie (Soja 1989, 1996), sowie in der Postmoderne generell (Jameson 1991 ) zu suchen. Für Jameson führt die Postmoderne eine räumliche Vermessung der temporal ausgerichteten europäischen und nordamerikanischen Moderne ein und betont so die raumzeitliche Qualität gesellschaftlicher Formationsprozesse (vgl. Jameson 1991: 154-180). In mehreren Publikationen hat Edward Soja das Raumparadigma und den Begriff des thirdspace als Gegenpol zum historischen Materialismus konzipiert. Einen guten ersten Überblick über den sog. spatial turn und seine inter-disziplinären Einflüsse bietet die Einführung von Döring und Thielmann (2008) zu einem Sammelband.

6 Aufgrund dieser Schwerpunktsetzung muss es an dieser Stelle genügen, auf die Achsen Mensch-Natur und Mensch-Technik extrem gerafft zu verweisen.




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Die Imagination von Chimären kann von vormodernen Mythologien unterschiedlicher Kulturen über die „dunkle" romantische Tradition europäischer und angloamerikanischer Prägung bis hin zum konzeptuellen Wiederaufgreifen im postfeministischen Diskurs nachverfolgt werden. Generell lässt sich in diesen Phantasmen der Entgrenzung und Durchmischung eine Umwertung diagnostizieren, bei der eine lange Tradition der negativen Besetzung (menschliche Hybris, Verlust der Menschlichkeit, etc.) im Kontext der Postmoderne in eine überwiegend positiv geladene Transgressionsvariante übersetzt wird. Zu den Ablagerungen der negativen Ladungen vgl. Ha (2005: 17-22). Einen mittlerweile klassischen Aufsatz, der paradigmatisch für eine postfeministische Umwertung steht, hat Donna Haraway (1991) vorgelegt.

7 Es ist an dieser Stelle wichtig, darauf hinzuweisen, dass Youngs Arbeit bereits im Kontext der Bhabha-Rezeption steht und also versucht, dessen vermeintlich simple Umwertung des Begriffes als subversives und transgressives Denkwerkzeug einzuholen und historisch rückzubinden.

8 Die folgenden Ausführungen zu Bachtins und Lotmans Semiotik der Hybridität orientieren sich zum Teil an Papastergiadis (2000: 182-188). Die entsprechenden Referenzwerke sind Michail M. Bakhtins The Dialogic Imagination (1981) bzw. Yuri M. Lotmans Universe of the Mind. A Semiotic Theory of Culture (2000).

9 Diese Problemkonstellationen finden sich sowohl bei Young (1995) als auch bei Papastergiadis (2000); am deutlichsten identitätspolitisch politisch ausgerichtet werden sie von Virinder S. Kalra, Raminder Kaur und John Hutnyk (2005) in ihrer gemeinsam verfassten Monografie.

10 In einem Interview bringt Bhabha die Konzepte der Hybridität und des Dritten Raumes auf folgende Formel: "But for me the importance of hybridity is not to be able to trace two original moments from which the third emerges, rather hybridity to me is the 'third space' which enables other positions to emerge. This third space displaces the histories that constitute it […]" (Bhabha 1990: 211). Nach dieser Logik der Emergenz markiert Hybridität selbst einen Dritten Raum, der Positionen jenseits binärer Kodierungen ermöglicht. Entscheidend ist hier in jedem Fall das produktive und kreative Moment der Konzepte und weniger deren Bedeutung für das Nachverfolgen dualistischer Wissenssysteme. Die Frage nach der Vorgängigkeit oder Nachordnung bleibt jedoch in der Schwebe.

11 In seinem Schlüsselaufsatz "DissemiNation: Time, Narrative and the Margins of the Modern Nation" fokussiert Homi Bhabha (1994: 139-170) zwar die Grenzen des Konstrukts "Nationalstaat" und kehrt dessen inhärente Instabilität heraus. Jedoch bezweifelt er keineswegs die zentrale Bedeutsamkeit dieser Organisationseinheit sozialen und kulturellen Lebens.

12 Für eine überzeugende Zusammenstellung und Diskussion derartiger Relationen und Problemfelder siehe Erhard Reckwitz (2000).

13 Für die Unumgänglichkeit wie auch die damit verbundenen Schwierigkeiten eines strategischen Gebrauchs von essentialisierbaren Kategorien im Hinblick auf Identitätspolitik siehe Diana Fuss (1989, mit Fokus auf Geschlechterdifferenz) und Gayatri Chakravorty Spivak (1993, mit Fokus auf die Schnittstelle von Geschlechterdifferenz und kultureller Identität).

14 Diese Position findet sich etwa in dem Aufsatz von Elisabeth Bronfen und Benjamin Marius (Bronfen 1997), der einem Band mit übersetzten Schlüsseltexten aus dem angloamerikanischen Kontext vorangestellt ist.