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Katja Hettich (Bochum)



Dirk Naguschewski und Sabine Schrader (Hg.) (2009): Kontakte, Konvergenzen, Konkurrenzen. Film und Literatur in Frankreich nach 1945. Marburg: Schüren. (= Marburger Schriften zur Medienforschung 7)



Intermedialität ist seit etwa Mitte der 1990er Jahre so "in",1 dass der Verdacht aufkommen könnte, das Thema habe sich – zumindest in seiner theoretischen Konturierung – allmählich erschöpft. Das Forschungsparadigma inspiriert jedoch nicht nur immer neue Einzelstudien, sondern bietet auch noch immer reichlich Stoff für theoretische und methodologische Diskussionen – gerade zwischen den Disziplinen. Dies gilt auch für jene intermediale Liaison, der in der Literaturwissenschaft des 20. Jahrhunderts die größte Aufmerksamkeit zuteil wurde: dem Verhältnis ihres genuinen Gegenstands zum Film.

Die achtzehn Beiträge des vorliegenden Sammelbandes, der aus einer Sektion des 5. Frankoromanistentags 2006 in Halle hervorgeht, entwerfen ein breites Spektrum möglicher Annäherungen an das Thema. Sie sind gleichmäßig in sechs Teilbereiche untergliedert: "Intermedialitäten", "Film und Theatralität", "Autorschaften", "Literarisches im Film" und "Filmisches in der Literatur". Unter dem Stichwort "Intermedialitäten" präsentiert der erste Teil drei ganz verschiedenartige Herangehensweisen an die Beziehung zwischen Literatur und Film. Einleitend wirft Christian von Tschilschke mit einem Abriss über die literaturzentrierte Intermedialitätsforschung die Frage nach deren generellem Erkenntniswert auf. Er beantwortet sie mit der Forderung, intermediale Bezüge über eine rein typologisierende Beschreibung hinaus nach ihren kulturspezifischen Funktionen zu befragen, sie auf "Kulturthemen" zurückzuführen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt "für die Selbstverständigung einer Kultur von vitaler Bedeutung sind, weil sie als problematisch [...] wahrgenommen werden" (S. 25). Dass es gerade in der traditionell komparatistischen deutschen Romanistik erhellend sein kann, die nationalkulturellen Besonderheiten intermedialer Bezugnahmen zu vergleichen, umreißt von Tschilschke schlüssig an Beispielen der französischen, spanischen und italienischen Gegenwartsliteratur. Anstatt hier die gemeinsame Tendenz zu filmischen Schreibweisen auf das transkulturelle Phänomen der Postmoderne zurückzuführen, macht er eine Funktionalisierung für kulturspezifische Themen aus: im roman nouveau für die "Auseinandersetzung mit der Literatur als Institution und Wert", in der nueva narrativa española für die "Problematisierung von Erinnerung und Identität" und in der nuova narrativa italiana für "die Frage nach der Darstellbarkeit und Bewertung des Medienwandels" (S. 25).




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Beinahe als direkte Antwort auf von Tschilschke lässt sich Birgit Wagners Beitrag lesen, insofern es auch ihr um eine kulturspezifische Einordnung intermedialer Bezüge geht. Allerdings ist ihr bei der Analyse dreier zeitgenössischer französischer Filme in Anlehnung an Roland Barthes gerade die "Moral der Form" ein Anliegen: die Frage, wie Filmemacher intermediale Anspielungen als solche markieren und an welches Publikum sie sich damit wenden. In ihrer an der Genetteschen Intertextualitätssystematik orientierten Analyse der Zitatpraktiken kommt sie zu dem Ergebnis, dass sich die Film-Text-Beziehungen ihres Untersuchungskorpus deutlich von der lange Zeit gängigen, oftmals rein spielerischen Intermedialitätspraxis der Nouvelle Vague unterscheidet. L'Esquive (F 2004, Abdellatif Kechiche), Confidences trop intimes (F 2004, Patrice Leconte) und Beau travail (F 1999, Claire Denis) fungierten stattdessen als 'ernste Transpositionen', in denen die Überführung literarischer Stoffe in zeitgenössische Kontexte neue Sinndimensionen eröffnet. Dabei sind die Filmbeispiele für die Kenner der Prätexte gleich doppelt kodiert, indem sie Formen des Ausdrucks kultureller und geschlechtlicher Identität nicht nur als aktuelle Problematik, sondern zugleich in ihrer Geschichtlichkeit reflektieren. Nach der Vorstellung dieser zwei konkreten Analyseansätze liefert Oliver Fahle einen interessanten, jedoch voraussetzungsreichen Beitrag zur Bildmedientheorie: Ausgehend von Maurice Blanchots Literatur-, Michel Foucaults Erkenntnis- und Gilles Deleuze' Filmtheorie schlägt er das Konzept des Außen als "bildmediales Konzept der Moderne" (S. 49) vor, in dessen virtuellem Zwischenraum zwischen An- und Abwesendem mediale Grenzen ausgelotet werden könnten.

Den zweiten Teil zu "Film und Theatralität" eröffnet Franz-Josef Albersmeier mit einem Beitrag zu den Wechselbeziehungen innerhalb der Theater-, Film- und Literaturproduktion, der auch gut in das nachfolgende Kapitel zu "Autorschaften" gepasst hätte. Bisherige Ansätze einer integrierten Mediengeschichte bilanzierend, schließt er an seine Habilitationsschrift (1985) an und fordert in Anbetracht der intermedialen Verzahnung des Werks zahlreicher Autoren zu einer verstärkten Engführung film- und literaturwissenschaftlicher Forschung und Lehre in der deutschen Romanistik auf. Um einen weiten Begriff des 'Theaterfilms', der die Theatralität alltäglicher Inszenierungen und Rollenspiele verhandelt, geht es in den Aufsätzen von Volker Roloff und Carla Gago zu Filmen von Louis Malle bzw. Manoel de Oliveira. Diese werden durch Aufnahme theatraler Strukturen zu "Werkstätten einer intermedialen Reflexion" (S. 78), die Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Blickstrukturen im Dispositiv des Theaters und des Films zu analysieren vermögen.

Der dritte Teil stellt drei Fallbeispiele einander gegenüber, die zeigen, aus welch unterschiedlichen Voraussetzungen heraus "Autorschaften" zwischen Literatur und Film entstehen und verhandelt werden können. Dirk Naguschewski beschreibt die parallele Entwicklung von frankophoner Literatur und Filmkunst im postkolonialen Afrika als eine den besonderen Produktions- und Rezeptionsbedingungen geschuldete Notwendigkeit. Am Beispiel des senegalesischen Schriftstellers und Filmemachers Sembene Ousmane legt er dar, wie afrikanische Autoren in den 1960er Jahren die "Poetologie des Films" (S. 110) als Medium des Selbstausdrucks entdecken: Anders als in der europhonen Literatur können hier afrikanische Erfahrungswelt und anti-imperialistische Kritik zumindest teilweise eine semiotische Kodierung erfahren, die von der Sprache der ehemaligen Kolonialmacht unabhängig ist und die auch nicht-alphabetisierte Zielgruppen erreicht. Besonders interessant ist Naguschewskis Gegenüberstellung dieser Form der Autorschaft und der politique des auteurs der Nouvelle Vague: Während diese den Film noch theoretisch mit der Metapher der caméra-stylo gegen die Literatur als Kunst behaupten muss, ergibt sich in der Praxis afrikanischer (Film-)Autoren wie der Ousmanes der eigene Wert der Bilder gegenüber dem geschriebenen Wort ganz natürlich.




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Explizit im Zentrum steht die Dialektik von Filmbild und Text in den Werken, denen sich Petra Metz im folgenden Beitrag widmet. In den 1970er Jahren gestaltete der belgische Künstler, Dichter und Filmemacher Marcel Broodthaers einige seiner Künstlerbücher und Experimentalfilme als abstrakte Referenzen an das Werk Charles Baudelaires. Metz erläutert, wie er dabei nicht nur den konventionell als konstitutiv erachteten Gegensatz von Stillstand (des Textes) und Bewegung (des Bildes) in Frage stellt, sondern im Spiel mit der künstlerischen Signatur auch die zeitgenössische Debatte um die Zuschreibung von Autorschaft aufgreift. Zum Abschluss des dritten Teils rückt Marcus Stiglegger das "intermedial angelegte[...] Gesamtkunstwerk" (S. 135) eines der wohl prominentesten französischen Grenzgänger zwischen Literatur und Film ins Zentrum seiner Überlegungen: die Romane, Filme und Autobiografien von Alain Robbe-Grillet.

Zurecht ist der vierte Teil des Bandes ("Literarisches im Film") nicht mit dem leicht missverständlichen und überkommene Diskussionen um die 'Werktreue' evozierenden Schlagwort der "Literaturverfilmungen" betitelt: Die hier versammelten Aufsätze betrachten die filmische Transformation literarischer Vorlagen nicht als einfache Übertragung von Hypo- in Hypertext. Stattdessen beleuchten sie, einem medienkomparatistischen Ansatz folgend, die wechselnden Sinnhorizonte und Wirkungen, die unterschiedliche Medialisierungen des gleichen Stoffes mit sich bringen können. Johanna Borek zeichnet die Geschlechterinszenierungen in drei französischen Kriminalfilmen der 1980er Jahre mit Michel Serrault als inter- und intramediale Interaktionsprozesse zwischen literarischen und filmischen Genrekonventionen sowie Starimages nach. Hier erweist sich der von Jay David Bolter und Richard Grusin geprägte Begriff der 'Remediatisierung', wie er auch im Zentrum der kürzlich erschienenen Dissertationsschrift von Andrea Seier (2007) steht, als fruchtbar. Kirsten von Hagen und Marijana Erstić befassen sich mit den Mehrfachadaptationen zweier französischer Romanklassiker: Victor Hugos Notre Dame de Paris bzw. Gustave Flauberts Madame Bovary. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, inwiefern verschiedenartige Adaptionspraktiken den bereits den literarischen Vorlagen inhärenten Medienreflexionen Rechnung tragen.

Den Band beschließen mit dem Teilbereich "Filmisches in der Literatur" drei Aufsätze zu einem besonders spannenden Aspekt, der im Vergleich zur klassischen und mittlerweile unter neuen Vorzeichen wiederentdeckten Beschäftigung mit 'Literaturverfilmungen' noch immer vergleichsweise wenig literaturwissenschaftliche Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat. Hier geht es nicht etwa schlicht, wie die Analogie zum Titel des vorhergehenden Kapitels vermuten lassen könnte, um die novelization von Kinostoffen, also um 'das Buch zum Film'. Es geht um die aktuelle Tendenz französischsprachiger Romane, über die Thematisierung kinematografischer und televisueller Sehanordnungen sowie die Erzeugung entsprechender Lektüreeindrücke die Spezifika der fremdmedialen wie der eigenen Repräsentationstechniken auszuloten. Tanguy Viels Roman Cinéma (1999) adaptiert in diesem Sinne nicht Joseph L. Mankiewicz' Kriminalfilm Sleuth (GB 1972), sondern literarisiert dessen Strategien der Rezeptionslenkung, indem er die Eindrücke und mentalen Operationen eines Zuschauers bei der wiederholten Sichtung des Films wiedergibt. Susanne Schlünder stellt in ihrer aufschlussreichen Analyse den nicht unerheblichen Aspekt heraus, dass Viels Romantitel zum Trotze der besondere Reiz für den Ich-Erzähler gerade darin besteht, den Film nicht in einem Kino, sondern als Videoaufzeichnung auf dem heimischen Fernsehgerät zu sichten, wo lebensweltliche und medial vermittelte Wahrnehmung stärker ineinander fließen.




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Damit wird bereits ein Thema angesprochen, das im Fokus der beiden folgenden Aufsätze steht: die literarische Thematisierung des Fernsehens. Es ist schade, dass der Buchtitel und auch die Überschrift des letzten Kapitels diese durchaus begrüßenswerte Ausdehnung des Themenkomplexes – wohl der Prägnanz wegen – nicht als solche transparent machen. Schließlich fordert das Populärmedium Fernsehen offenbar sowohl die Literatur als auch die Intermedialitätsforschung zu ganz andersartigen Fragen heraus als der Film. Ist dieser im öffentlichen Ansehen gerade des bildungsbürgerlichen Frankreichs längst als Kunst mit einer eigenen, analysewürdigen Formensprache etabliert, so thematisieren literarische wie literaturwissenschaftliche Diskurse um das Fernsehen seltener dessen spezifische audiovisuelle Darstellungsstrategien. Viel häufiger findet über Systemreferenzen eine allgemeine Medienkritik statt, die oft eine metafiktionale Selbstvergewisserung bedeutet. Diese Perspektive macht augenfällig, wie wichtig es generell ist, den Diskussionsgegenstand genau zu bestimmen: Welchen Aspekt fokussiert das Reden über Intermedialitäten im Einzelfall – geht es um Kommunikationssysteme, ästhetische Produkte, Wahrnehmungsdispositive, Programminhalte oder Rezeptionsformen?

Weniger um fernsehspezifische Ästhetik als um die gesellschaftsbildende Funktionen bestimmter Programmformate und ihrer Rezeptionspraktiken geht es in den Romanen, die Kathrin Ackermann und Viola Prüschenk untersuchen. Ackermann warnt zurecht davor, "Beziehungen zwischen Literatur und Fernsehen lediglich als Variante zu denen zwischen Literatur und Film zu betrachten" (S. 204). Sie zeichnet nach, wie in drei aktuellen Romanbeispielen gängige Diskurse um das Fernsehens aufgegriffen werden: der materielle und strukturelle Sog der fließenden Fernsehbilder in Jean-Philippe Toussaints La télévision (1997), das Fernsehen als trügerische Erlebnis- und Erinnerungssimulation in Delphine Coulins Les Traces (2004) und in Jean-Hubert Gailliots L'hacienda (2004) als "epistemologische [...] Metapher" (S. 214), mit der (bild-)mediale wie literarische Wirklichkeitsanordnungen in Frage gestellt werden. Gegenstand von Viola Prüschenks Überlegungen ist Kossi Efouis La fabrique de cérémonies (2001), in dem Strategien der kollektiven, individuellen und medial vermittelten Aufarbeitung von Gewalterfahrungen und Unterdrückung in Togo überblendet werden. Prüschenk macht anschaulich, dass die abrupten Sprünge zwischen Erzählsträngen und -perspektiven dabei weniger als narrative Montagetechniken funktionieren denn als Mittel der Simulation einer dem 'Zapping' vergleichbaren Rezeptionsstrategie: Die diskontinuierliche Erzählstruktur vermittelt den Eindruck, als schalte der traumatisierte Protagonist zwischen Bewusstseinsinhalten hin und her und dosiere so aktiv die Auseinandersetzung mit seinen Erinnerungen und Erlebnissen. Nicht ganz überzeugend ist der Umgang der Autorin mit dem vage bleibenden Begriff des "televisiven" Schreibens, in dem ganz unterschiedliche Formen der thematischen, diskursiven und auf die Rezeptionsästhetik zielenden Bezugnahme auf Film und Fernsehen, sogar auf Musik, zusammenfließen. Diese Schwierigkeiten verweisen freilich auf die generelle Komplexität solcher intermedialer Verflechtungen und insbesondere auf die noch mangelnde Theoretisierung der literarischen Bezugnahme auf das Fernsehen, die Prüschenk selbst konstatiert (vgl. S. 218). Vielleicht vermag der gerade von Kathrin Ackermann und Christopher F. Laferl herausgegebene (der Rezensentin noch unbekannte) Sammelband zum "Fernsehen in Literatur und Film" (2009) weitere Anregungen zu geben.




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Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es dem Sammelband gelungen ist, anregende und abwechslungsreiche Beiträge zu den "Kontakten, Konvergenzen und Konkurrenzen" zwischen Film und Literatur in Frankreich (und der Frankophonie) zusammenzustellen. Den Anspruch, nicht nur für eine romanistische Leserschaft von Interesse zu sein, der sich in der Wiedergabe französischer Zitate in deutscher Übersetzung andeutet, kann er dabei durchaus einlösen.

Für die romanistische Intermedialitätsforschung zeichnen sich zweierlei Tendenzen mit geradezu entgegengesetzter Stoßrichtung ab, die jedoch beide eine vielversprechende und richtungsweisende Entwicklung bedeuten könnten: Einerseits zeigt sich die Wichtigkeit nationalphilologischer Kompetenzen bei der Einordnung intermedialer Phänomene in ihre medienkulturellen Kontexte. (In dieser Hinsicht wäre es wünschenswert gewesen, dass im vorliegenden Buch – vielleicht im Vorwort – die Entwicklung des Literatur- und Mediensystems speziell im Frankreich der letzten Jahrzehnte noch ausführlicher dargestellt worden wäre, zumal auch die Wahl des Kriegsendes 1945 als titelgebende Zäsur nicht ganz klar wird.) Andererseits erfordert eine Auseinandersetzung, die sich nicht im Aufspüren von Interferenzen zwischen literarischen und filmischen 'Texten' erschöpft, die Integration literatur-, film- und medientheoretischer Diskurse: Nur in Form einer interdisziplinären Medienkomparatistik lässt sich adäquat beleuchten, wie die zunehmende Durchdringung unterschiedlicher Textualitäten und Medialitäten hybride Ausdrucksformen des alltäglichen und künstlerischen Weltbezugs reflektiert und neue ästhetische Sinngebungen produziert.


Bibliografie

Ackermann, Kathrin / Laferl, Christopher F. (Hg.) (2009): Transpositionen des Televisiven: Fernsehen in Literatur und Film. Bielefeld: Transcript.

Albersmeier, Franz-Josef (1985): Die Herausforderung des Films an die französische Literatur. Entwurf einer Literaturgeschichte des Films, Band I: Die Epoche des Stummfilms (1895–1930). Heidelberg: Winter.

Paech, Joachim (1997): "Intermedialität". In: MEDIENwissenschaft. Rezensionen –Reviews, 1/1997, 12–30.

Seier, Andrea (2007): Remediatisierung. Die performative Konstitution von Gender und Medien. Berlin: LIT.


Anmerkung

1 So prägnant formulierte Joachim Paech den Boom des neuen Forschungsparadigmas in seinem häufig zitierten Aufsatz von 1997.