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Yvonne Stork (Freiburg)



Holger Siever (2008): Übersetzen Spanisch – Deutsch. Ein Arbeitsbuch. Tübingen: Narr. (= narr studienbücher)



Siever bildet als Dozent im Fachbereich Angewandte Sprach- und Kulturwissenschaft der Universität Mainz-Germersheim vornehmlich Übersetzer und Dolmetscher aus. Angehende Übersetzer sind denn auch die Zielgruppe seines Arbeitsbuchs Übersetzen Spanisch – Deutsch (cf. 13). Der zum Selbststudium und für Übersetzungskurse gedachte Band eignet sich aber meines Erachtens ebenfalls für Absolventen von nicht speziell auf das Übersetzen ausgerichteten Bachelor- sowie von Lehramtsstudiengängen, da er neben der übersetzerischen Kompetenz auch allgemein die muttersprachliche Kompetenz fördert.

Der Autor konzentriert sich auf Übersetzungsprobleme, die aus der unterschiedlichen Grammatik bzw. Syntax des Spanischen und des Deutschen resultieren. Er beschränkt sich bewusst auf die Satzebene. Diese Entscheidung impliziert natürlich – hieraus macht der Verfasser auch gar keinen Hehl –, dass stilistische, adressaten-, text- bzw. textsortenbezogene Überlegungen lediglich eine sehr untergeordnete Rolle spielen1. Siever ist sich darüber im klaren, dass neuere Übersetzungstheorien die Bedeutung der Textebene für gelungenes Übersetzen hervorheben. Dieser Fokus hat aber dazu geführt, dass grammatikalische bzw. syntaktische Phänomene in der Literatur vernachlässigt werden. Für das Sprachenpaar Spanisch – Deutsch gibt es im Grunde genommen nur zwei relevante Bücher, in denen der Schwerpunkt auf grammatikalischen Problemen liegt, nämlich die als Nachschlagewerk angelegte Vergleichende Grammatik Spanisch – Deutsch von Nelson Cartagena und Hans-Martin Gauger (Mannheim 1989) und Kommunikativ handeln auf Spanisch und auf Deutsch – ein übersetzungsorientierter funktionaler Sprach- und Stilvergleich von Christiane Nord (Wilhelmsfeld 2003). Beide Publikationen richten sich eher an Fortgeschrittene, Siever dagegen wendet sich primär an Anfänger. Insofern stößt er mit seinem Buch in eine Lücke.

Aufgebaut ist das Werk wie folgt: An die Einleitung (Kap. 1, 11–25) schließen sich acht Kapitel an, die jeweils einem zentralen Phänomen der spanischen Grammatik bzw. Syntax gewidmet sind, das bei der Übersetzung vom Spanischen ins Deutsche von besonderer Bedeutung ist:




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"Das spanische Gerundium" (Kap. 2, 27–41), "Der spanische Infinitiv" (Kap. 3, 43–56), "Das spanische Partizip" (Kap. 4, 57–64), "Die spanischen Verbalperiphrasen" (Kap. 5, 65–104), "Adverbiale Bestimmungen und Appositionen" (Kap. 6, 105–116), "Relativsätze" (Kap. 7, 117–128), "Spalt- und Sperrsätze", in denen das Subjekt nach links ("Fue el rey que entró en la sala") bzw. rechts ("Cuando llegan es el lunes") herausgestellt wird (Kap. 8, 129–142) und "Einleitungssätze", wie etwa "Lo que pasa es que", "O sea que" oder "Hay quien" (Kap. 9, 143–148). In allen Kapiteln legt Siever den Fokus sinnvollerweise auf die Aspekte, die für Übersetzer aus dem Spanischen ins Deutsche besonders ergiebig sind. So führt er im Kapitel zum spanischen Infinitiv drei Typen von Infinitivkonstruktionen an, die man aus translatorischer Perspektive unterscheiden kann. Doch da der erste Typ ("reine" Infinitivsätze, die im Deutschen im allgemeinen auch mit Infinitivkonstruktionen wiedergegeben werden) und der zweite (Infinitivkonstruktionen vom Typ "Pisos para alquilar", die mit Infinitiv – "Wohnungen zu vermieten" –, unter Umständen auch mit Partizip ins Deutsche übersetzt werden) den angehenden Übersetzer im allgemeinen nicht vor besondere Probleme stellen, konzentriert sich Siever auf den dritten, für Übersetzer deutlich vielschichtigeren Typ, die präpositionalen Infinitivsätze. Er präsentiert temporale, kausale, finale, konzessive, konditionale und modale Infinitivkonstruktionen und zeigt auf, dass diese Infinitivsätze im Deutschen im allgemeinen durch verschiedene Arten von Nebensätzen oder durch ein substantiviertes Verb, aber nur selten durch eine Infinitivkonstruktion wiedergegeben werden.

Alle genannten Kapitel 2 bis 9 weisen die gleiche Struktur auf: Zunächst werden die syntaktischen Phänomene und das Spektrum ihrer Funktionen erläutert. Die einzelnen Funktionen werden anhand von spanischen Beispielsätzen, die aus grammatischen Werken, übersetzungswissenschaftlichen Fachbüchern, verschiedenen aktuellen Zeitschriften sowie Romanen stammen, und "typischen" Vorschlägen für die Übersetzung ins Deutsche präsentiert. Es ist Siever wichtig, nicht eine vermeintlich ideale Lösung anzugeben, sondern mehrere mögliche Lösungen darzubieten, die dann je nach Kontext, Textsorte, Stil des Textes unterschiedlich geeignet sind. Er möchte die Leser zum Ausprobieren ermuntern: "Es geht um das Herausarbeiten und Einüben grundsätzlicher Formulierungsmöglichkeiten. Und es geht darum, dass Sie ein Gefühl für die stilistischen Nuancen der deutschen Sprache entwickeln" (48). Jedes der acht Kapitel endet mit einem umfangreichen Übungsteil, der eingeläutet wird durch eine "übersetzungsrelevante Satzanalyse" (z.B. 34), die aus einer formalen und einer funktionalen Satzanalyse besteht. Der Übungsteil enthält Übungssätze auf zwei verschiedenen Niveaus, die denselben Quellen entnommen sind wie die Beispielsätze.




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Auf die acht Themenkapitel folgt ein Kapitel "Gemischte Übungssätze" (Kap. 10, 149–157), das Sätze in vier unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden beinhaltet, die mindestens zwei der in den vorherigen Kapiteln behandelten Phänomene enthalten. Den Abschluss bildet Kap. 11, "Das Modalverb werden in der Übersetzung" (159–163). Erst stutzt man als Leser, weil der Autor in diesem Kapitel vom Deutschen ausgeht. Aber der Blickwinkel erweist sich durchaus als sinnvoll, da Siever beleuchtet, wie vielfältig werden bei der Übersetzung von spanischen Gerundial-, Infinitiv- und Partizipialkonstruktionen ins Deutsche eingesetzt werden kann. Eine knappe Bibliographie (165s.) rundet das Buch ab.

Das Arbeitsbuch Übersetzen Spanisch – Deutsch ist zweifellos ein gelungenes Projekt. Siever geht didaktisch klug vor. Es gelingt ihm, die Leser zum Übersetzen zu animieren. Dadurch, dass er immer wieder auf typische Lösungen für die verschiedenen Phänomene abhebt, bewirkt er, dass sich Lösungsmuster einschleifen. Der Lerneffekt ist auch deshalb groß, weil Siever nie seinen Fokus aus den Augen verliert: Was ist an den verschiedenen syntaktischen bzw. grammatischen spanischen Phänomenen aus der Perspektive von Studierenden, die ins Deutsche übersetzen wollen, spannend oder evtl. tückisch? So gerät sein Buch an keiner Stelle zu einer Abhandlung zentraler Phänomene der spanischen Grammatik, die man ähnlich auch in einer Grammatik finden könnte. Positiv ist auch die Vielzahl an Übungssätzen in unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden2. Der Stil des Buches ist schnörkellos ohne trocken zu sein.

Zum Schluss ein paar kritische Anmerkungen: Das Arbeitsbuch wurde zwar im allgemeinen sorgfältig lektoriert bzw. Korrektur gelesen – störend allerdings "der Tempus" (67) –, doch bei den spanischen Beispielen finden sich einige Nachlässigkeiten. Als Beispiel für ein direktes Objekt in Form einer mit a eingeleiteten Präpositionalphrase nennt Siever das indirekte Objekt a sus padres ("Juan escribió a sus padres", 23). Weitere Fehler sind lo statt le in "Aun doliéndolo mucho la pierna, fue a casa andando" (38) sowie in "Como no lo hacían caso, el bebé se echó a llorar" (80), "mostra" statt "muestra" (122), "surprende" statt "sorprende" (136), "haver" statt "hacer" (66), "me propuso plantear preguntas" statt "me propuse" für "wollte ich Fragen stellen" (46).

Geteilter Meinung kann man bezüglich der Entscheidung Sievers sein, "nicht jeden Beispielsatz auf seinen stilistischen Wert hin ab[zu]klopfen und an[zu]merken, ob damit eine bestimmte Übersetzung als gelungen, weniger gelungen oder gar nicht gelungen zu gelten hat" (48). Mitunter stellt er kommentarlos Alternativen nebeneinander, die von sehr unterschiedlicher Qualität sind; ein solches Vorgehen scheint mir nicht unbedingt sinnvoll. Beispielsweise wählt er zur Illustration der Verbalperiphrase dar por + Partizip den Satz "Daba por sentado que sus proyectos se realizarían al pie".




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Als Übersetzung präsentiert er neben "Sie ging fest davon aus, dass sich ihre Projekte sofort verwirklichen lassen würden" ohne Kommentar den sehr ungelenken Satz: "Er sah es als feststehend an, dass sich seine Projekte sofort verwirklichen lassen würden" (94). Die Konstruktion lo que pasa es que, die er im Kapitel "Einleitungssätze" vorstellt, exemplifiziert er anhand des Satzes: "Lo que pasa es que no tengo dinero." Neben gelungenen Übersetzungen ("Es ist nämlich so, dass ich kein Geld habe."/"Ich habe nämlich kein Geld."/"Ich hab' kein Geld. So schaut's aus.") offeriert er auch – ohne jede Wertung – "Das, was passiert ist, ist, dass ich kein Geld habe." (144). In der Mehrzahl der Fälle lässt er allerdings schlechte Lösungen nicht einfach im Raum stehen, was meines Erachtens die deutlich bessere Entscheidung ist. Im Kapitel "Spalt- und Sperrsätze" z.B. wählt er für die Konstruktion ser + Präpositionalphrase + que den Beispielsatz "Fue con desdén que la miró" (132). Als eine von zwei Übersetzungslösungen führt er an: "Es war mit Abscheu, dass er sie ansah", um aber gleich im Anschluss darauf hinzuweisen, dass "die Wiedergabe spanischer Spaltsätze, die eine Präpositionalphrase enthalten, durch einen deutschen Spaltsatz recht problematisch sein kann. Das Ergebnis ist meist unidiomatisch und schwerfällig, so dass für die Übersetzung in der Regel der Verzicht auf den Spaltsatz anzuraten ist" (132).

Kapitel 9 trägt, wie erwähnt, die Überschrift "Einleitungssätze". Hiermit bezeichnet Siever "jene Hauptsätze, die keine eigene rhematische Aussage enthalten, sondern zur Aussage des Nebensatzes überleiten oder eben diese einleiten. (...). Sie haben so gut wie keinen sachlichen Informationswert" (143). Als typische einleitende Wendungen nennt er die Konstruktionen es que und lo que pasa es que. Er kommentiert salopp, wie es nicht dem Niveau des übrigen Buches entspricht: "Natürlich bietet auch die deutsche Grammatik die Möglichkeit, ähnlich nichts sagende Einleitungssätze wie im Spanischen zu bilden. Aber sprechen und schreiben wir Deutschen wirklich so umständlich? Diese Konstruktionen verwenden wir nur in den seltensten Fällen. Viel eher greifen wir zu adverbialen und anderen Lösungen" (143). Bei den angeblich "nichts sagenden Einleitungssätzen" geht es um das Phänomen der Abtönung. Dieses ist im Deutschen wie im Spanischen ein Charakteristikum der Nähesprache. Doch während im Deutschen vorwiegend durch Partikeln wie eigentlich, ja, schon, doch und aber abgetönt wird, erfolgt Abtönung im Spanischen häufiger durch Konstruktionen wie es que und lo que pasa es que.

Ungeachtet dieser kleineren Einwände handelt es sich insgesamt aber zweifellos um eine gelungene Arbeit.




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Anmerkungen

1 Beispielsweise geht Siever nur an wenigen Stellen darauf ein, inwiefern die Textsorte die Übersetzung ändern könnte. So weist der Verfasser im Kapitel zum spanischen Infinitiv darauf hin, dass im Deutschen in Märchen der Verbalstil dominiere, spanische Infinitivkonstruktionen demnach in Märchen eher mit einem Nebensatz zu übersetzen seien. In amtlichen Verlautbarungen überwiege im Deutschen dagegen der Nominalstil, weshalb es passender sei, für die spanischen Infinitivkonstruktionen im Deutschen substantivierte Infinitive zu wählen.

2 Siever schreibt allerdings in seinem Buch, Hinweise auf mögliche Lösungen zu den Übungssätzen gäbe es auf der Website des Narr-Verlags (cf. 18). Bisher wird man dort jedoch nicht fündig, was laut Auskunft des Verlags vom Mai 2009 daran liegt, dass die von Siever zu diesem Zweck betriebene Entwicklung einer speziellen Software noch nicht komplett abgeschlossen ist.