PhiN 47/2009: 57



Ralph Poole (Istanbul/Salzburg)



Helge Mooshammer (2005): Cruising: Architektur, Psychoanalyse und Queer Cultures. Wien: Böhlau.



Will ein schwuler Mann auf Reisen gehen und sich über die örtliche gay scene informieren, so wird er wahrscheinlich den jährlich erscheinenden Ratgeber Spartacus International Gay Guide konsultieren. Neben diversen Rubriken wie Bars, Cafés, Discos, Saunas gibt es auch die Kategorie Cruising Area, womit meistens Parks, Toiletten, o.ä. gekennzeichnet sind, an denen sich Männer einfinden auf der Suche nach (sexuellen) Begegnungen. Cruising in diesem Sinne bedeutet also das Umherstreifen, Sichten und Kontaktieren an bestimmten hierfür durch Lage und Architektur geeigneten, niemals aber offiziell ausgezeichneten Orten. Wird bei diesem Verständnis und Gebrauch von Cruising bereits deutlich, wie sehr diese erotische Praxis an eine spezifische Topographie sowie an ein gruppenspezifisches, informelles Wissen um solche Orte gebunden ist, so erhebt Helge Mooshammer in der vorliegenden Studie diesen Konnex zur Grundlage einer Neubetrachtung von Wissensproduktion im Allgemeinen und von der Rolle der Architektur darin im Speziellen.

Selbst Architekt und Wissenschaftler, verschreibt sich Mooshammer einem "wirksamen Zusammenbringen von Architektur und deren Diskurs mit den alltäglich erfahrenen Realitäten von Raum" (7), und es ist sein erklärtes Ziel, der Politik der Sichtbarkeit in den Produktionen von Wissen entgegenzuarbeiten. Er stellt sich damit gegen eine lang angestammte und immer noch überwiegend und unhinterfragt praktizierte Reduktion der Bedeutung von Architektur auf ihre Repräsentationsfunktion, d. h. auf ihre schiere Sichtbarkeit. Stattdessen plädiert er für eine Ausweitung der Relevanz von Architektur in mehrerer Hinsicht: der Kreis der Beteiligten soll erweitert werden, der Blick soll sich von der Oberfläche zum Erleben architektonischer Räume hin verschieben, es soll damit nach alternativen Narrativen gesucht werden und in der entstehenden Betonung des Performativen soll sich Geschichte zu einem ständig neuen subjektiven Erlebnis gestalten.

Cruising ist hierbei für Mooshammer ein neuralgischer Punkt, der zu dieser neuen Betrachtung und Erlebnisweise von Architektur führen kann. Denn die Orte des Cruising in ihrem nicht präfigurierten Skript, ihrer nicht offen-sichtlichen Oberflächenstruktur, ja: in ihrem inhärenten Dunklen, Un-Sichtbaren und Geheimnisvollen entfalten sich erst in dem Moment des begehrenden Begegnens der Beteiligten.




PhiN 47/2009: 58


Widmet sich die Studie also der generellen Befragung der Rolle von Architektur in den Prozessen der Wissensproduktion, also einer Hinterfragung der Akte des Beschreibens und Repräsentierens, so bietet sich in dem Phänomen des Cruisung für Mooshammer ein Anschauungsbeispiel, das verschiedene Bereiche umfasst und zusammenbringt.

Im Wesentlichen sind das die Felder Psychoanalyse, Queer Cultures und Architektur, und jedem dieser Felder ist ein Abschnitt der Untersuchung gewidmet, wobei es sich lediglich um eine jeweilige Schwerpunktsetzung handelt, denn Prämisse der Argumentation ist die Tatsache, dass sich diese Felder in ihrer ständigen Überkreuzung gerade im wechselseitigen Austausch – theoretisch wie praktisch – produktiv weiterentwickeln lassen.

Auf dem Weg hin zu einer Entwicklung von Theorien einer relationalen Architektur trachtet Mooshammer, sich von der Interpretation des Materials (als Inbegriff vom Dogma des Sichtbar-Machens) zugunsten einer Erkundung der körperlich agierenden Performanz des Subjekts (samt der dazugehörigen Verwicklungen und Unwägbarkeiten) zu verabschieden. Auf dem Gang entlang der "Wege durch die Landschaften unseres Begehrens" (14) folgt die Untersuchung in diesem Sinne keinem linear entwickelten Argument, "sondern einer Vielzahl an Erzählungen/Spuren/Fährten, die dieses Feld durchkreuzen und sich in ihm wieder verlieren" (17). Schon die Metaphorik dieser Be- und Umschreibung der Methodik lässt erkennen, dass Mooshammer stark von psychoanalytischem und poststrukturalistischem Gedankengut beeinflusst ist, besonders wie es sich jüngst infolge der piktorialen Wende der 1990er auf dem Gebiet der Visuellen Kultur niedergeschlagen hat.

Mooshammer nähert sich daher auf sehr kreative Weise der in den letzten Jahren heiß diskutierten Frage nach dem materiellen Besitz von Bildern und Texten im digitalen Zeitalter (Stichworte Virtualität und visuelle Simulation) und damit einer Umschreibung der Idee des Copyright als einer Gleichsetzung von Wissen mit ihrem Objekt hin zu performativen, nicht archivierbaren und somit auch nicht kommodifizierbaren kulturellen Phänomenen. Schlüsselmomente der Architektur- und Kulturgeschichte werden noch einmal und neu betrachtet und in den Kontext einer Vorstellung von Raum als sozialer Praxis gestellt. Diese rekonfigurierenden Betrachtung des Austauschs von Praxis und Theorie, von Vergangenheit und Gegenwart, von Stadt und Selbst folgt der Leitfrage: "Auf welche Weise kann eine Praxis des Unplanbaren Disziplinen der Planung, wie etwa Architektur, neu informieren?" (20)

Wien, die Stadt Freuds, ist Schauplatz von Mooshammers erster Relektüre. In einer radikalen Abkehr, die Lesbarkeit einer Stadt als Anhäufung von Baumaterial zu verstehen, nutzt er Freuds Ineinanderblenden von Psychoanalyse und Archäologie, um eine Verbindung der Stadt mit unserer Psyche herzustellen. Die analytische Technik konkretisiert sich hier als Prozess wechselseitiger Transformation.




PhiN 47/2009: 59


Mooshammer setzt sich dabei mit zwei Leitfiguren der urbanen Moderne auseinander: der Figur des Detektivs und der des Flaneurs. Edgar Allan Poe und Sherlock Holmes stehen für die Erfindung des Detektivs, Charles Baudelaire und Walter Benjamin für die Beschreibung des Flaneurs. Benjamin hat beide Schlüsselfiguren der Moderne zusammengeführt über das Motiv des Verbrechens: "Welche Spur der Flaneur auch verfolgen mag, jede wird ihn auf ein Verbrechen führen" (vgl. Benjamin 1997: 39).

Mooshammer verneint nun die dieser Vorstellung zugrunde liegende Annahme einer grundsätzlichen Lesbarkeit der Stadt als Text oder Bild, "eine Lesbarkeit, die verdeckt operiert, entschlüsselt und aufklärt" (32).

Der Voraussetzung, dass Räume prinzipiell von einer lesbaren Gestalt sind, setzt er nun einen Blickwechsel entgegen.

Statt dem Primat des Lesens zu folgen soll die Betonung auf dem Erzählen (und damit Erleben) liegen, auf "der narrativen Verwicklung der erzählenden Person in die von ihr gesponnene Geschichte" (32-3). Während die moderne Kultur des Detektivischen dem Drang nach dem Aufspüren von Wahrheiten hinter der Oberfläche des Dargebotenen folgt, besagt Freuds archäologische Metapher, dass unser heutiges Denken und Handeln immer mit unserer eigenen und unserer kollektiven Vergangenheit in Verbindung steht. Wohl besteht eine Verbindung zwischen dem Akt des detektivischen Aufspürens und der kryptologischen "Ausgrabung" vergangener Schichten und Geschichten. Und doch besteht der Unterschied in der Funktion der zu erwartenden Aufdeckung von Wahrheit. Das Motiv und den Täter eines Verbrechens aufzuspüren beruht auf einer unumstößlichen – ethischen –Annahme von Wahrheit. Das Erkunden von körperlichen Erlebnisweisen in Räumen hingegen verschreibt sich einer standpunktbezogenen Positionalität und damit einer skriptlosen Dynamik der Subjektivität.

Am Beispiel des Wiener Paradiesgartl veranschaulicht Mooshammer, wie untrennbar der verlockende Name mit den verschütteten Traumata Wiens verbunden bleibt. Auf der offiziellen Stadtkarte von heute ist der Name verschwunden, und doch lebt er in Liedern und Erzählungen weiter und das seit Mitte des 15. Jahrhunderts. Aus einem privaten Renaissancegarten wurde später ein Bestandteil der Basteien während der Türkenbelagerung, um wieder später zum zivilen Schauplatz sonntäglicher Spaziergänge zu mutieren. Der demokratische Frauenverein wurde dort gegründet, und in verschiedenen Zeiten wurde zu Walzer, Jazz, Techno und Easy Listening gelauscht. Politik und Vergnügen liegen an diesem Ort seit Jahrhunderten in Schichten gehäuft neben- und aufeinander, und dem heute Sichtbaren kann daher nur als einer "Konstruktion einer mit Jetztzeit geladenen Vergangenheit" (73) begegnet werden. Sichtbares Material (Oberfläche) vermischt sich mit unsichtbarer Bedeutung (Geschichte). Ähnlich der Logik von Träumen entziffern sich – architektonische wie textuelle – Räume über das schichtweise erlebende Freilegen des unbewussten Dahinter- und Darunterliegenden.





PhiN 47/2009: 60


Den Brückenschlag zur gegenwärtigen kulturhistorischen Theoriediskussion macht Mooshammer hier über die von Siegfried Kracauer abgeleiteten Idee der Hieroglyphe. Die Analyse von Spuren bedingt die Analyse derer, die diese Spuren hinterließen. Das Entziffern von Raumbildern – Hieroglyphen – öffnet uns Einblicke in gesellschaftliche Erfahrensweisen: "Wo immer die Hieroglyphe irgendeines Raumes entziffert ist, dort bietet sich der Grund der sozialen Wirklichkeit dar" (vgl. Kracauer 1989: 186). Das Auf- und Abarbeiten an der archäologischen Metapher konkretisiert sich schließlich im eigentlichen und titelgebenden Interesse der Studie: dem Cruising. Theorie und Praxis kommen hier zusammen und inspirieren den Architekten in Mooshammer. In dem Maße, wie er Theorie ein Begehren zuschreibt, wird auch ein Ort durch die körperliche Praxis des Cruising mit sublimem Mehrwert angereichert.

In dem 'queeren' Mittelteil des Buches geht es um die nicht mainstream-konforme amerikanische schwule Forschung ab den 1960er Jahren, also um die Aufarbeitung homosexuellen Begehrens im Zuge der politischen Emanzipationsbemühungen. Eingehend werden einzelne Cruising-Orte analysiert, so der Pinienwald nahe dem Strand von Versilia um Torre del Lago. Und die Lektüre zentraler Texte und Filme der letzten Jahrzehnte von Derek Jarman und Renaud Camus bis Isaac Julien und Kutluğ Ataman zeichnen performative Prozess des Überschreibens nach, wonach diese Werke "Material zur Produktion gegenepistemologischer Kategorien von Örtlichkeit und Raum [liefern], durch die Cruising in der Regel gedacht wird" (97). Cruising ist einerseits an einen Ort gebunden, andererseits aber auch durch die suchende Tätigkeit der Teilnehmer bedingt. Dies lässt sich fassen in dem Begriff des Labyrinthes, womit sowohl das Verlorengehen wie auch das Überrascht-Werden verstanden wird als ein (erst) sich über die performativen Akte des Suchens generierendes Raumkonzept. Anders als der Flaneur, der immer 'in', niemals aber 'von' der Straße ist, immer primär distanzierter, ungesehener Beobachter ist, ist der Cruiser genuin involviert: "Cruising auf der Suche nach Sex ist mehr als ein intellektuelles Mäandern, ein abgehobenes visuelles Genießen, das uns voneinander getrennt hält. Es privilegiert Erregung, Wechselseitigkeit und Durchdringung" (105).

Der zunächst konstruiert erscheinende Zusammenhang von der Erregung des Körpers beim Cruising hin zur aufgeregten Theorie wird einerseits über (Architektur-)Geschichte hergestellt, anderseits durch die Subversivität des schwulen Handelns. Eröffnet wird dieser Diskurs zwar mit der zweifelhaften Aussage eines "fiktiven Theoretikers namens David […], der bei Theorie immer an Sex and während er Sex hat immer an Theorie denkt" (105). Wenn Mooshammer an dieser Stelle seine Leser zu einem Überdenken "der Brüche innerhalb unseres eigenen Feldes theoretischer Beschäftigung" auffordert, so mag der eine oder die andere Leser/in doch irritiert sein. Sind Theorie und Sex denn wirklich untrennbar miteinander verknüpft?

In einem Frontalangriff auf 'Lifestyle-Architekturen', die sich dem Hype von Interimskultur und damit innerhalb des offiziellen Diskurses der Architektur-Fachwelt situieren, verweist Mooshammer auf die Tatsache, dass es Cruising-Lokalitäten schon lange gibt, wenn auch meist im Verborgenen.




PhiN 47/2009: 61


Verbindet das nostalgische Erinnern an ein sexuelles Florieren dieser Stätten den Cruiser mit dem Flaneur und markiert an dieser Stelle auch den Cruiser als eine zentrale Figur der Moderne, so ist es doch das politische Moment, das den entscheidenden Hiatus öffnet. Damals wie heute ist das Cruising eine Aktivität am Rande des Gewöhnlichen und Erlaubten. Und gemäß den Slogans der Gay Liberation der 1970er Jahre ist in diesem Sinne das Private immer auch das Politische und findet damit Eingang in theoretische Diskurse. Es ist die Anreicherung von Räumen mit diesem spezifischen Begehren, das ein 'Queering' nicht nur des Ortes, sondern auch von Theorie produziert, "in dem die Einschränkungen der vorgeblichen Ratio sozialräumlicher Strukturen durch Sinnlichkeit aufgelöst werden" (110).

"Das Faszinierende an den Orten, wo Cruising stattfindet", so fasst Mooshammer auf für seinen akademischen Schreibstil ungewöhnlich eingängliche Weise zusammen,

ist ja nicht (nur), dass Männer dort anonymen Sex haben, sondern die Art und Weise, wie entgegen einer Vielfalt von verhaltensnormierenden Diskursen und entgegen ihren Regeln zur Inanspruchnahme von Raum neue Potenziale aus einem Ort herausgeholt werden und Orte so ihre getrennte Identität gegenüber den Körpern, die sie bewohnen, aufgeben. (113)

Auf die drohende Gefahr der Gettoisierung von Erotik und Sexualität einerseits sowie die Kommerzialisierung von queer spaces andererseits Bezug nehmend, fordert Mooshammer die Leser seines Buches, Architekten und Theoretiker, auf, vom Cruising zu lernen. Denn in einem Zeitalter, das durch komplexe Prozesse wie der umgreifenden Mediatisierung geprägt ist, von einer zunehmenden Trennung von Erfahrung und Körper, vermag Cruising als ein Modell epistemischer Sondierung zu wirken. Wenn wir (bzw. die Architekten) erkennen, wie im Cruising das erotische Potenzial der begehrenden Körper als produktive Quelle in die Gestaltung von Raum zurückgeführt wird, "ohne dabei in die Falle eines reproduzierenden Repräsentierens zu geraten" (118), dann kann aus solchen Schauplätzen neue Sichtweisen auf hergebrachtes Denken und Handeln entwickelt werden.

Mooshammer nähert sich über das Sprechen von Cruising einer relationalen Architektur und damit einem Auflösen der Regeln und Formen traditioneller Architektur. Die Bewegung von der Materie zum Raum bzw. von der Festschreibung zur Bewegung geschieht auf der Basis eines Lernvorgangs. Durch das Lernen von der Praxis des Cruising eröffnen sich Fantasien der Raumgestaltung und -veränderung, denen Mooshammer zuletzt noch nachgeht. Er fasst diese Träume in die Metapher des labyrinthischen Archivs. Es geht nun nicht mehr um Cruising im engeren Sinne – d.h. als eine erotische Praxis –, sondern um urbane Phänomene der Körperaktion im Raum mit Akteuren wie Skateboarder, Raver, Free Runner und Flash Mobber.

Das für das Rotterdamer Hafengelände konzipierte Pavillon transPORT 2001 oder das für die Gestaltung des Foyers des Hippodrome-Theaters in Birmingham entworfene Projekt Aegis Hyposurface sind interaktive Kunst/Architekturwerke, die nicht nur einen experimentellen Umgang mit exakten Wissenschaften praktizieren, sondern sich dezidiert mit den Limitationen auseinandersetzen, die sich aus der traditionellen Gleichsetzung von Wissen und Sichtbarkeit ergeben.




PhiN 47/2009: 62


Das vom Cruising abgeleitete Begehren und Sich-verführen-Lassen als ein performatives Modell der Raumpraxis lässt sich hier – auch theoretisch – überführen in datengeleitete Wege des Denkens. Das Umherstreifen in physischer Landschaft wird nun einem "Cruising in den Datenströmen des Internets" als einem "virtual landscaping" gleichgesetzt (148-50). Und in der Praxis des "Versioning" als einer datengeleiteten architektonischen Formgebung verschiebt sich der Fokus von der gebauten Architektur hin zu einem Prozess der Architekturfindung, die gezielt mit dem Verführungspotenzial spielt, die sich aus der Lücke zwischen uns und dem gebauten Raum ergibt.

Die Stadt als ein immer wieder neu zu erlebendes Abenteuer öffnet sich vielstimmigen und vielgerichteten Gleichzeitigkeiten. Architektur wird relational in dem Maße, wie sie sich einer "lebendigen Archäologie" verschreibt, "wo unbekannte und verwischte Spuren aus den Ruinen physischer Räume in den weiten Raum von Imagination und Projektion führen" (173). Urbane Räumlichkeit lässt sich – hier im Rekurs auf Jacques Derrida – neu definieren, wenn Architektur "als das räumlich und zeitlich konstruierte soziale Geflecht" (176) sich selbst zu definieren beginnt. In dem Maße, wie sie sich auflöst – verflüssigt –, wird relationale Architektur zum Modellfall für das Ineinandergreifen von manifesten und latenten Diskursen:

Anstelle einer sich wechselseitig ausschließenden Gegenüberstellung von Produktion und Verführung, lässt ein 'producere' (Sichtbar-Machen) durch ein 'seducere' (Auf-die-Seite-Führen) – eine Verführung des Geistes durch das Auge – Landschaften entstehen, in denen wir im Cruising entlang Derridas Wegen der Architektur als Denken dem Unbekannten begegnen. (177)

Mit diesem Resümee beschließt Mooshammer seine tour de force durch die von dekonstruktiver Theorie geleiteten Betrachtungen. So spannend sein Ansatz und seine Erkenntnisse wie Forderungen sind, so schwer ist allerdings auch der Zugang zu seinem Buch. Poststrukturalistischer Jargon wird hierbei keineswegs leserfreundlich demontiert, sondern in seiner ganzen komplexen Unverständlichkeit zelebriert. Das ist umso mehr zu bedauern, weil es doch das Anliegen des Autors ist, gerade die Welten der Hoch- und Populärkultur miteinander zu kreuzen. Das gelingt ihm lediglich als erkenntnisleitendes Interesse, rhetorisch verbleibt die Studie ausschließlich auf der Ebene höchst verklausulierter – unerregender – Wissenschaftssprache. Der im Konzept der Cruising so zentrale Leitgedanke des Genusses öffnet sich dem Leser dieses Buches nur dann, wenn er gewohnt ist, Deleuze, Derrida & Co. als Bettlektüre zu schmökern. Dabei hat die Forschung durchaus ansprechende, anspruchsvolle und doch genussreich lesbare Arbeiten zu ähnlichen Themenkomplexen vorgelegt, so beispielsweise George Chaunceys Studie von 1994 über das Gay New York: Gender, Urban Culture, and the Making of the Gay Male World, 1890-1940.

Und wenn Mooshammer in einer kleinen Randbemerkung von den "Men-only-Landschaften" spricht (158), so offenbart sich weiterhin ein blinder Fleck seiner Studie.




PhiN 47/2009: 63


In ihrem Aufsatz "The Lesbian Flâneur" zeigt Sally Munt, wie sehr doch das urbane Abenteuer auf einer Verstellung von Raumpenetration beruht, die traditionell männlich besetzt ist. Und es wären gerade auch Bilder der Mobilität für Frauen vonnöten, um ein transgressives Raumerleben wirklich als solches postulieren zu können, denn: "Feminist struggles to occupy spheres traditionally antipathetic to women go back to the imposition of post-industrial revolution bourgeois family divisions into male-public/female-private spaces […]"(vgl. Munt 1995: 120). Bilder sexualisierter Frauen – und die lesbische Flaneurin ist ein Beispiel einer solchen Sexualisierung – haben dann radikales Potential, wenn sie männliche Traditionen unterminieren:

As a fantasy she transcends the limitations of the reader's personal circumstances. In her urban circumlocutions, her affectionality, her connections, she breaks down the boundary between Self and Other. She collapses the inviolate distinction between masculinity and femininity. Her threat to heteropatriarchal definitions is recognized by hegemonic voices, hence the jeering shout 'Is it a man or is it a woman?' is a cry of anxiety, as much as aggression. (vgl. Munt 1995: 121)

Dies ist nicht nur ein Beispiel dafür, wie theoretisches Begehren sich auch in verständliche Rhetorik kleiden kann, sondern auch dafür, wie sehr vermeintlich geschlechtsneutrale Queer Theory doch immer noch – und immer wieder – ungewollt von einem geschlechtsspezifischen Blick geleitet wird.

Diese Kritik will nicht so sehr Mooshammers beträchtliches Verdienst schmälern als vielmehr entlang Mooshammers eigenen hohen Ansprüchen zu einem Weiterdenken und -schreiben auffordern, um blinde Flecken zu füllen und auch das Begehren einer Leserschaft mit weniger geschultem Theoriewissen anzuregen.



Bibliographie

Benjamin, Walter (1997): Ein Lyriker im Zeitalter des Hochkapitalismus. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Kracauer, Siegfried (1989): "Konstruktion eines Raumes" [1930], in: Schriften, Vol. 5.2 [1927-1931]. Ed. Inka Mülder-Bach. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 185–192.

Munt, Sally (1995). "The Lesbian Flâneur", in: David Bell and Gill Valentine (Ed.): Geographies of Sexualities. London and New York: Routledge, 114–125.