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Rolf Lohse (Bonn)



Hans Grote (2006): Petrarca lesen. Stuttgart-Bad Cannstatt: Frommann-Holzboog.



In dieser klar gegliederten und lebendig geschriebenen Einführung in das Werk Petrarcas gelingt es dem Autor Hans Grote, die verschiedenen Facetten der Person und des Werkes auf anregende Weise sichtbar zu machen. Er tastet sich über die wenigen verfügbaren Lebensdaten an die "biographischen Konstruktionen" heran, die teils Petrarca selbst, teils die Nachwelt mit Blick auf die Person Petrarcas errichtet haben (13–41), und läßt sodann "textliche Konstellationen" des Werks des Frühhumanisten Revue passieren (43–140). Abschließend diskutiert Grote "philosophische Konzeptionen" Petrarcas (141–175). Gerahmt wird diese sehr lesenswerte Einführung in Leben und Werk eines der bedeutendsten Wegbereiters von Humanismus und Renaissance von einem Einleitungskapitel, in dem die "Konturen" (7–12) der ungebrochenen Nachwirkung des Werkes von Petrarca an einigen Beispielen skizziert werden, und den "Konklusionen" (177–181), in denen Grote die besondere Rolle und die Aufgaben zusammenfaßt, die Petrarca dem geistig Tätigen zuschrieb und die seit der Renaissance die unangefochten herausgehobene gesellschaftliche Stellung von Dichtern, Denkern und Philosophen begründen.

Sehr gelungen ist die Darstellung des Lebens Petrarcas, insbesondere die sehr lebendige Schilderung der Gelehrtenexistenz, die Petrarca geführt hat, seine Bücherkäufe, die weitgespannte Korrespondenz, seine Freundschaften und Fehden. Insbesondere hinsichtlich der Streitschriften und Briefe zeigt Grote, daß Petrarca immer wieder Aussagen über philosophische, ethische und kulturelle Probleme mit Freundschaftsbekundungen oder persönlichen Angriffen verknüpft, so daß neben die Sachaussage immer auch das Moment der Selbstinszenierung tritt.

Die Darstellung seines Werks überzeugt ebenfalls. Das Gesamtwerk wird nicht streng chronologisch dargestellt, sondern nach den Textsorten Geschichtswerke, Epen, Traktate, Dialoge, Polemiken, Briefe, Lyrik geordnet. Dabei verknüpft Grote immer auch die Frage nach der gewählten Form (Dialog, Traktat, Epos) und der jeweiligen inhaltlichen Positionsnahme mit dem Lebensweg Petrarcas. Die einzelnen Werke werden kurz und treffend vorgestellt, dabei erweist sich Grotes strikt sachorientierte Arbeitsweise als großer Vorzug: Die Einzelwerke werden ins Gesamtwerk eingeordnet, ihr unmittelbarer Anlaß genannt, und anschließend wird der Inhalt des jeweiligen Werks kursorisch (und in kleinerer Schrifttype) dargestellt. Geschickt verlegt Grote dabei die Darstellung des Canzoniere, in dem Petrarca sich mit der Liebe zu Laura dichterisch auseinandersetzt, an den Schluß seiner Darstellung und schafft damit eine bemerkenswerte und in solchen Einführungen selten anzutreffende Lesespannung. So gelingt es ihm, weit über den Rahmen der üblicherweise diskutierten Texte dem Leser auch solche nahezubringen, die seltener genannt werden. Dazu gehören sicherlich die Rerum memorandarum libri ("Bücher über erinnerungswürdige Begebenheiten"), die Degestis Cesaris ("Die Taten Cäsars" ) oder die Psalmi penitentiales ("Bußpsalmen").




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Bei den bekannteren und häufig diskutierten Werken De viris illustribus ("Von berühmten Männern"), dem Epos Africa oder den Triumphi gelingen dem Autor bei aller Knappheit gute einführende und Überblick bietende Darstellungen. Grote widmet den Polemiken (16 Seiten), den Briefen (29 Seiten) und der Lyrik (21 Seiten) besondere Aufmerksamkeit, zwölf Seiten allein dem bedeutenden Canzoniere oder Rerum vulgarium fragmenta, was angesichts der Bedeutung dieses Werks nicht übertrieben ist. Vergleichsweise kurz hingegen werden die Dialoge Secretum und De remediis utriusque fortune abgehandelt (je vier Seiten).

Sehr überzeugend analysiert Grote in den Traktaten die für Petrarca typische Stilfigur der "kontrastierenden Doppelung" (62, 65) und die zwei sich einander ausschließende Lebensmodelle (etwa vita activa vs. vita contemplativa) in einem Argumentationszusammenhang gegenüberstellt. Von der "kontrastierenden Dopplung" könnte nun eine Brücke geschlagen werden zu einem von der Forschung häufig diskutierten philosophischen Problem, das Petrarca mit besonderer Klarsicht erkannte und das mit der Frage nach dem christlichen Glauben verknüpft ist, die in der vorliegenden Darstellung vielleicht etwas in den Hintergrund tritt. Grote verweist zu Recht auf die Nähe Petrarcas zur christlichen Glaubenssphäre. Petrarca empfing die niederen Weihen (19) und stand mehrere Jahre in den Diensten des Kardinals Colonna. Das Problem, das etwa im Secretum verhandelt wird, das aber auch mit Blick auf De remediis utriusque fortune von Relevanz ist und zentral für Petrarcas Denken war, bestand darin, daß das Heil nicht mehr exklusiv in der Glaubenswelt zu finden war, sondern daß sich das frühhumanistische Bewußtsein mit einer radikalen Trennung von Glaubenswelt und Alltagswelt konfrontiert sah. In dieser sichert das Handeln und das Aushandeln von Kompromissen das Überleben und nicht mehr die Erlösungsgewißheit. Dieses Bewußtsein der Trennung resultiert letztlich in einem doppelten Bewußtsein (Trinkaus), das die Glaubenswahrheit und eine relative Wahrheit in der Lebenswelt unvermittelt nebeneinander wahrnimmt. Die stilistische Figur der "konstrastiven Doppelung" ließe sich auf diese Weise als Ausdruck eines tiefgreifenden Bewußtseinswandels deuten, der nicht nur in weiteren Werken Petrarcas zu Tage tritt, sondern auch bei späteren Renaissancedenkern begegnet.

Hinsichtlich der philosophischen Konzeptionen verweist Grote auf die große Vielfalt von unterschiedlichen Positionen im Denken Petrarcas, die sich nicht auf einen einfachen Nenner bringen lassen (141–143). Insbesondere geht der Autor auf das Begriffspaar "Fortuna und virtus" ein, auf die heutzutage eher der Literatur zugeschlagenen Verfahren der "Imitatio, Allegorie und Allegorese", auf das aus der Beschäftigung mit der Antike erwachsende historische Bewußtsein – "Zeiten und Zeit" – sowie auf die von Petrarca grundgelegten "Studia humanorum", die nicht nur als eine Textwissenschaft gedacht werden, sondern als ein umfassendes Bildungsideal. Die Darstellung dieser einzelnen Punkte gelingt Grote mit sicherer Feder und großem Engagement, so daß die durchaus gehaltvolle Lektüre viel Genuß bereitet. Kritisch anzumerken ist die etwas irritierende Bezeichnung "Intellektueller" für Petrarca, die in der Forschung modisch geworden ist: Die Bezeichnung Intellektueller wurde im ausgehenden 19. Jahrhundert in Frankreich erfunden, um kritisch engagierte Denker und Publizisten zu verunglimpfen. Sie erscheint daher mit Blick auf das Mittelalter sachlich wenig hilfreich, da sie die Unterschiede zwischen der Tätigkeit eines gelehrten Petrarca und derjenigen eines Schriftstellers und Denkers am Ende des 19. Jahrhunderts verwischt.




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Die abschließenden Lektürehinweise orientieren den Leser verläßlich auf der Suche nach weiterführenden Darstellungen, das Register gestattet ein schnelles Auffinden von Personen. Formal ungewohnt ist allein die Einordnung der mittelalterlichen Namen ins Register: Teils werden die Personen unter ihrem Vornamen, teils unter ihrem Beinamen verzeichnet. Auf "Robert von Anjou" folgt im Verzeichnis "Rotterdam, Erasmus von"; unter Dante sucht man vergeblich, wird aber unter "Alighieri, Dante" fündig. Dank des detaillierten Inhaltsverzeichnisses sind auch die behandelten Gegenstände ohne Schwierigkeiten zu erschließen.

Grotes Darstellung sei all denen empfohlen, die auf 190 stilsicher verfaßten Seiten sachlich verläßlich und außerordentlich unpedantisch mit einer der Größen der europäischen Geistesgeschichte bekannt werden wollen. Das Buch weckt Lust auf eine eingehende Beschäftigung mit Petrarca, und auch darauf, weitere Bücher der Reihe "legenda" des Frommann-Holzboog Verlags kennenzulernen, die neben dem großen Frühhumanisten mit Platon, Thomas von Aquin, Schelling, Fichte, Wittgenstein und Homer lockt.