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Hanno Ehrlicher (Heidelberg)



Das aufgegebene Anonymat. Kritische Anmerkungen zu einer philologischen Kanonrevision aus aktuellem Anlass



  Denn literarisch souverän ist, wer über den Kanon entscheidet (Schöttker 2002: 287).

 


The End of Anonymity. Critical Remarks on a Canonical Revision
Discussing about the authorship of the anonymous Vida de Lazarillo de Tormes (1554) has become as traditional as the text itself. The hypothesis that Alfonso de Valdés should be the author is not the newest one. However, what is new are the methods which are used to create new facts with the help of the new publishing technologies without respecting the philological state of the art. This kind of a canonical revision is problematic because the complexity of the text is obviously reduced to one variety and by this a piece of world literature loses its polysemic value.


Der aktuelle Anlass: "Alfonso de Valdés, autor del Lazarillo de Tormes"

Dass das Internet auch den Arbeitsalltag von Philologen, die in ihrer Mehrzahl als passionierte Anhänger der Buchkultur gelten, immer stärker prägt, werden nur solche Vertreter des Faches negieren können, die ein elektronisch publizierter Artikel wie der vorliegende voraussichtlich nie erreichen wird. Bei Lesern von PhiN darf dagegen vorausgesetzt werden, dass sie das Internet nicht nur prinzipiell wissensorientiert nutzen, sondern als technisches Medium zur öffentlichkeitswirksamen Verbreitung fachspezifischer Texte kennen und schätzen gelernt haben. Die Konsultation fachdiskursiver Publikationsforen bildet aber auch im wissensorientierten Umgang mit dem Internet eher die Ausnahme. Regel ist vielmehr die mehr oder weniger gezielte schnelle Informationsrecherche, die meist suchmaschinenbasiert vorgenommen wird. Bekanntlich besitzt Google dabei inzwischen trotz der grundsätzlich vorhandenen Optionenvielfalt faktisch ein Monopol, dessen gesellschaftliche Relevanz sich schon an der Tatsache ablesen lässt, dass der Produktname sprachübergreifend produktiv geworden ist und zu Verbbildungen vom Typus "to google" (englisch), "googeln" (deutsch) oder "guglear" (spanisch) geführt hat.1




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Wer derzeit nach dem Autor des 1554 in vier Editionen (Alcalá, Burgos, Medina del Campo und Antwerpen) anonym erschienenen Lazarillo de Tormes, einem der kanonischsten Texte der spanischen Literatur überhaupt, googelt, erhält – sofern er die Stichwortkombination "Autor" bzw. "autor" und "Lazarillo" eingegeben hat – als Suchergebnis an erster Stelle einen Weblink, der auf eine spanische Internetseite führt, deren Eingangsportal mit einer simplen Aussage aufwartet: "Alfonso de Valdés, autor del Lazarillo de Tormes".2 Eine Feststellung, die auf den weiteren Seiten, die mit dieser Homepage verlinkt sind, als das Forschungsergebnis der an der Universidad Autónoma von Barcelona einen Lehrstuhl für spanische Philologie bekleidenden Rosa Navarro Durán ausgewiesen3 und etwas näher erläutert, vor allem aber eindrucksvoll autorisiert wird: Eine lange Liste von 20 Publikationen ist unter dem Stichwort "itinerario de la investigación" versammelt und eine noch längere von 60 Titeln dokumentiert das enorme Echo, das die Autorin in der spanischen Presse gefunden hat. Allen voran ein enthusiastisches Lob Juan Goytisolos, der in der Kulturbeilage von El País Navarro Durán als außergewöhnlich kreative Forscherin lobte und sie zur Ausnahmeerscheinung einer ansonsten verstaubt-altväterlichen Zunft erklärte, "ejemplar en nuestros reinos de taifa universitarios y la atmósfera de ramplón y oficial conformismo" (Goytisolo 2003: 6). Für den Durchschnitts-Netzleser, für den die Information zur Autorschaft des Lazarillo von eher beiläufigem Interesse ist, dürfte diese Akkumulation von positiven Wertungen im Verbund mit einem ebenso eindrucksvoll angehäuften sozialen und symbolischen Kapital wahrscheinlich zur Akkreditierung der einleitenden Behauptung ausreichen. Die mit Googles Hilfe so rasch gefundene Information wird der von mir angenommene, durchaus nicht naive Leser als seriös und zuverlässig werten und in seinen bisherigen Wissenshorizont einarbeiten. Er wird so bis auf weiteres, d.h. bis er bei ausführlicheren Recherchen gegebenenfalls auf ein kritisches Korrektiv stößt,4 zum Verstärker der These einer Autorschaft von Alfonso de Valdés, die an sich ja keineswegs neu ist. Im seit nunmehr über 500 Jahre alten Bemühen um eine Identifizierung des anonymen Autors ist von der Forschung neben vielen anderen Kandidaten längst auch schon der Erasmist Alfonso de Valdés ins Spiel gebracht worden. Im Anschluss an Argumente, die Morel Fatio Ende des 19. Jahrhunderts formulierte, hatte Joseph V. Ricapito ihn 1976 noch einmal als möglichen Autor vorgeschlagen, allerdings seine These dabei noch vorsichtig als eine "hipótesis arriesgadísima" deklariert (Ricapito 1976: 44–51) und den Text des Lazarillo selbst deshalb auch nicht unter diesem Autornamen editiert. Navarro Durán nun hat diese begründete Vorsicht aufgegeben, präsentiert ihre These als faktische Gewissheit und ist dazu übergegangen, in einer ganzen Reihe von Neueditionen des Lazarillo die Autorfunktion Alfonso de Valdes' als sicheres Wissen zu verkaufen. Pragmatisch war sie dabei bereits so erfolgreich, dass in der Biblioteca Virtual Miguel de Cervantes, die wohl als die zentrale Instanz zur Übersetzung des literarischen Kanons der spanischsprachigen Welt ins elektronische Medium gelten darf, der Lazarillo momentan sowohl als anonymer Text als auch unter eindeutiger Autorschaft verbreitet wird.5 Weil es sich aber um einen Text handelt, der nicht nur unbestritten zum nationalen Kanon der spanischen Literatur gehört, sondern – als einer von ganz wenigen anonymen Texten der Neuzeit – auch zum Kanon der Weltliteratur, ist die in Spanien von Navarro Durán begonnene neue Editionspolitik längst keine interne Angelegenheit und kuriose Randanekdote mehr, zumal sich der Streit um ihre Autorschaftsthese inzwischen auch über einschlägige hispanistische Fachzeitschriften international ausgeweitet hat.6




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Einige kritische Anmerkungen von nicht direkt ins editorische Geschäft involvierter Seite scheinen mir deshalb nicht nur legitim, sondern sogar notwendig. Sie zielen nicht in erster Linie darauf ab, die mit großem Elan verbreitete These methodisch zu kritisieren, denn alles Wesentliche ist in diesem Punkte bereits gesagt worden (vgl. Pérez Venzalá 2004 sowie González Ramírez 2004). Vielmehr soll sie aus kulturwissenschaftlicher Sicht kritisch neu perspektiviert und dabei ihre unausgesprochenen Motive freigelegt werden. Als Kern des Problems erscheint dann eine philologisch autorisierte Kanonrevision, die strukturell unaufgeklärt verläuft, weil sie unreflektiert einem Wunsch nach Wertschöpfung und Verwertung folgt, der sich zwar rhetorisch als Bewahrung des kanonisierten literarischen Erbschatzes präsentiert, faktisch aber nur tradierte Werte ausbeutet und dabei die Literarizität des literarischen Textes einschränkt, wenn man darunter dessen intrinsische narrative und semiotische Qualitäten versteht. Ich will im Folgenden diese Kritik näher erläutern und die Implikationen analysieren, die mit der neuen Editionspolitik im spanischen Literatursystem verbunden sind.


Wer braucht den Autor? Implikationen des Anonymats und seiner Abschaffung

Irritierend an der Debatte ist bereits die Selbstverständlichkeit, mit der allgemein davon ausgegangen wird, dass eine sichere Identifizierung des realen Autors des Lazarillo einen enormen Gewinn bedeuten müsse, und das nicht nur für den engen Kreis der Fachspezialisten, sondern für die spanische Kulturgemeinschaft tout court. Die Presse spricht voller Überschwang von der Lösung eines Jahrhunderträtsels,7 wenn nicht gar von einem wissenschaftlichem Paradigmenwechsel im Sinne Thomas S. Kuhns.8 Der Enthusiasmus, mit dem die Medien den Impuls der Forscherin aufnahmen und die Nachricht von der vermeintlichen 'Entdeckung' des Autors als Sensation mit anhaltender Begeisterung verbreiteten, kontrastiert dabei auffällig mit dem mäßigeren und jedenfalls wieder schnell verhallenden Echo, das der überraschende materielle Fund eines vierten Überlieferungsträgers des Lazarillo ausgelöst hatte – und dies, obwohl er sich einer durchaus medientauglichen, nachgerade romanesken Geschichte verdankte (bei Bauarbeiten wurde in Barcarrota in der Extremadura eine eingemauerte und wahrscheinlich aus Furcht vor der Inquisition verborgene Geheimbibliothek entdeckt).9 Die neu gefundene Ausgabe von Medina del Campo hatte das vermeintlich sicher fixierte kanonisierte Korpus des Lazarillo wieder in Bewegung gebracht und damit auch der Philologie ein neues Aufgabenfeld eröffnet (Möglichkeit zur kritischen Edition des neuen Überlieferungsträgers, Notwendigkeit zum Vergleich der Varianten mit den bereits bekannten Textfassungen und zur Überprüfung der stemmatischen Verhältnisse, etc.10). Diese durch einen materiellen Fund begründete Dynamisierung des Kanonisierten hatte jenseits des Faches allerdings praktisch keine Folgen und führte auch nicht zu einer veränderten Editionspraxis der Verlage.




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Umgekehrt verhält es sich nun mit der Autorschaftsthese Navarro Duráns, die nicht mit neuen Dokumenten oder Archivfunden aufwarten kann, sondern lediglich auf mehr oder weniger gut begründeten Indizienbeweisen basiert. Dem kanonisierten Text hat die Forscherin materiell nichts Neues hinzuzufügen. Im Gegenteil, was sie neu 'findet', ist ein materiell nicht Vorhandenes, eine vermeintliche Lücke im tradierten Korpus, auf die sie ihre Autorschaftskonstruktion ausdrücklich und ganz zentral stützt. Der hypothetisch angenommene, nicht überlieferte Ursprungstext des Lazarillo habe, so ihre Vermutung, eine zusätzliche Seite besessen, die später herausgerissen wurde und deshalb in allen darauf folgenden Ausgaben fehle. Beweis für das Fehlen sei der plötzliche Adressatenwechsel im Prolog, in dem sich der Erzähler bekanntlich nach der Ansprache eines allgemeinen Lesepublikums unvermittelt an eine nicht näher identifizierte "Vuestra Merced" richtet. Mangelnde erzählerische Vermittlung wird als Indiz für eine fehlende Textstelle genommen, die Navarro Durán als eine regelrechte 'Verstümmelung' erscheint (so dass sie ausdrücklich vom "texto mutilado" redet11) und die sie zu heilen versucht, indem sie erzählt, was nicht mehr lesbar ist, im Prolog aber ursprünglich gestanden habe müsse. Ohne die Verstümmelung des Prologs habe der Text nicht nur eine eindeutige funktionale Trennung zwischen Autor (Alfonso de Valdés) und Erzähler (Lázaro bzw. Lazarillo) aufgewiesen, sondern auch das Beziehungsverhältnis zwischen den sozialen Instanzen geklärt, die in die Vida eingeschrieben sind und über deren genaue Rolle so viel gerätselt wurde: Vuestra Merced sei eine höherstehende Dame, die von der Liaison des Arcipreste de Talavera mit Lazarillos Frau erfahren habe und nun Lazarillo um Auskunft bitte, da sie selbst den Verrat ihrer Beichtgeheimnisse fürchten müsse. Soweit die Erzählung Navarro Duráns, die nicht als Supplementierung des Textes fungiert, sondern als Heilung einer skandalösen Öffnung und regelrechten 'Wunde', die dafür verantwortlich gemacht wird, dass die Forschung bisher nur in hermeneutischen Zirkeln um die immer gleichen Fragen rotierte, die mit einem Geniestreich nun aber ein für alle Mal wirkungsvoll geschlossen werden sollen. Alle Textwidersprüche sind in dieser Konstruktion aufgelöst, die bisherigen interpretatorischen Zentralprobleme werden als Scheinprobleme entlarvt und weitere Diskussionen somit überflüssig. "Imaginación creadora" fürwahr, wie sie Juan Goytisolo im Gegensatz zu einer "erudición a secas" lobt (Goytisolo 2003). Kreativ ist diese philologische Imagination im Sinne einer methodisch äußerst freien Spekulation, die das alte positivistische Fundament disziplinierter Quellen- und Archivarbeit hinter sich gelassen hat und vom Positivismus lediglich die Zielsetzung einer lückenlosen Rekonstruktion des Vergangenen übernimmt. Das von Lachmann zunächst in der germanistischen Editionswissenschaft etablierte Prinzip der emendatio wird einfach von der Wortebene auf die Ebene des Textes übertragen und der vermeintliche Fehler der Überlieferung durch Rekonstruktion eines Archetypus korrigiert. Navarro Durán belässt es folgerichtig auch nicht bei der bloßen Behauptung einer fehlenden Seite, sondern fügt diese in ihrer Textedition als Leerseite ein und macht die 'Verstümmelung', welche ihre eigene Nach-Erzählung autorisiert, so erst materiell sichtbar (vgl. Abbildung).




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Abb.: Die sichtbar gemachte 'Verstümmelung' (Ausschnitt aus der Edition Navarro Durán 2004, elektronische Version)
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Zu dieser kreativen Emendatio fühlt sich die Forscherin legitimiert, weil sie die überlieferten Drucke des Lazarillo allesamt für defizient im Vergleich zu dem von ihr vermuteten 'korrekten' Autortext hält, für verderbte schlechte Varianten. Der durch ihre Ergänzungsleistung hypothetisch konstruierte, aber thetisch zum nicht hinterfragbaren Faktum hypostasierte 'korrekte' Autortext zeichnet sich im Vergleich zum anonym überlieferten autorlosen Text des Lazarillo vor allem durch didaktisch-satirische Eindeutigkeit aus. Er verliert den Charakter des Äquivoken, dem die Interpreten manchmal mit äußerst ingeniösen Lektüren begegneten, meist aber mit Ratlosigkeit, wie Horst Baader schon für die ältere Forschung zu recht bemerkte (Baader 1972: 16). Navarro Durán tritt der Irritation des Äquivoken nun nicht mehr mit passiver Ratlosigkeit entgegen, sondern mit einer energischen Entschiedenheit zur Lösung, die von dezisionistischer Willkür bisweilen kaum mehr zu unterscheiden ist. Dass sie dabei vor allem auf die Revision des Anonymats abzielt, ist nur die Konsequenz der traditionellen philologischen Fixierung auf einen idealisierten, organisch geschlossenen immateriellen Autortext, in dessen Namen sich der Editor zum Korrektor der materiell vorhandenen Varianten machen und seine eigenen Eingriffe autorisieren konnte. Diese Praxis ist in der kritischen Editionswissenschaft längst keine unumstrittene Norm mehr. Die durch die poststrukturalistische Theoriebildung angestoßene Kritik an der diskursiven Funktion des Autors und ihren ideologischen Implikationen (maßgeblich dafür Barthes 1984 und Foucault 2001), hat, wenngleich mit einiger Verspätung, doch längst auch die Editionswissenschaften und damit den eigentlichen Kern der Philologie erreicht. Sowohl die in Frankreich und den USA maßgeblich entwickelten Positionen der "New Philology" (vgl. dazu Stackmann 1993 und 1994) als auch die der "Material Philology" (Nichols 1997), distanzieren sich unmissverständlich, obgleich in unterschiedlicher Form, "from textual criticism's ideal inherent in its quest to reconstitute a lost" (Nichols 1997: 16). Navarro Duráns editorische Praxis fällt nicht nur unbekümmert hinter diese kritischen Theorien zurück, sondern auch hinter die methodische Disziplin der traditionellen Editionswissenschaft und den argumentativen und methodischen Standards des Positivismus. Logisch verfängt sich ihre Argumentation in einer petitio principii und setzt die eigentlich zu beweisende Autorfunktion Alfonso de Valdés' immer schon voraus. Der zur Konstruktion der Autorschaft emendierte Prolog wird der zentrale Beleg dafür, dass die Kritik am Beichtsakrament die satirische Kernintention des Textes ausmache, der folglich nur von einem erasmistischen Autor, wie Valdés ihn darstellte, verfasst worden sein könne.




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In ihrem energischen Willen zur Schaffung eines zweifelsfreien originalen Autortextes legt die Interpretin methodisch ungesichert, aber phantasievoll konstruierend nur umso deutlicher den Wunsch frei, der in der philologischen Tradition sonst durch das wissenschaftliche Ethos höchstens verhüllt und sublimiert erahnt werden konnte: den Wunsch nach einem idealen Autor-Text, der zugleich als Autorisierungsinstanz für die eigene nach-schöpfende Arbeit fungiert, die als Verbesserung einer korrumpierenden geschichtlichen Kontingenz angelegt ist. Zu einem pragmatisch effektiven Eingriff in den Kanon kann ihre Errichtung der Autorfunktion jedoch erst durch Rückkopplung an das Literatursystem werden, das offenbar genauso unbeeindruckt vom theoretisch deklarierten "Tod des Autors" weiterhin auf die diskursive Funktion des Autors setzt. Gründe für die faktisch existierende Kluft zwischen literaturtheoretischer Entwertung und praktisch beibehaltener Wertschätzung des Autors lassen sich reichlich finden. Sie sind allesamt pragmatischer Natur:

Der Autor ordnet das Feld der Literatur. Er reduziert die Möglichkeiten des Umgangs mit ihr auf ein handhabbares Maß, und er verknüpft die Literatur mit Lebens- und Wertvorstellungen [...]. Der Autor ist im Alltag unserer Kultur die wichtigste Größe, um literarische Äußerungen so in Kontexte einzubetten, dass sie verstehbar sind und handlungsrelevant werden können (Jannidis u.a. 2000: 7).

Ordnung, Möglichkeitsreduktion, Verstehbarkeit und Handlungsrelevanz. In einem Wort, die Autorfunktion erleichtert den Umgang mit Literatur und macht diese praktikabler. Und umgekehrt: ein anonymer Text ist unpraktisch, weil er den auf Autorschaft basierenden Ordnungsmustern widerspricht und ein Störfall für den Betrieb darstellt. Der Verweis auf den pragmatischen Wert der Autorschaftsfunktion führt im Falle des Lazarillo dennoch nicht wirklich weiter, denn eben wegen der historisch wechselnden Attribuierungen der Forschung, die sich in entsprechend häufigen Wechsel der Katalogisierungen in den Bibliotheken niederschlug, erschien das überlieferungsbedingte Anonymat des Textes schließlich als die praktikabelste Lösung für Bibliotheken, Buchhandel und Leser und wurde spätestens im 20. Jahrhundert deshalb auch zur unbestrittenen Norm. Der von Rosa Navarro Durán und ihren Unterstützern betriebene Versuch, auf editionspolitischem Wege die Autorschaftsfunktion durchzusetzen, hat momentan die Konsequenz praktisch wieder die Unordnung zu stiften, die durch einen konsensuellen Verzicht auf eine eindeutige Autorschaftsfunktion überwunden worden war – vielleicht gegen die allgemeine Betriebsordnung aber in Einklang mit dem faktisch vorhandenen Text. Dieser Konsens ist nun zerbrochen und der nicht fachkundige Leser der Biblioteca Miguel de Cervantes z.B. weiß derzeit nicht genau, welchen Text er denn nun eigentlich am besten lesen soll, wenn er Lazarillo de Tormes lesen will, den er einmal mit und einmal ohne Autoren findet. So weit entfernt die These Navarro Duráns, die sich vom theoretischen Diskurs um die Funktion von Autorschaft mit einer mehrfachen Rolle rückwärts verabschiedet, davon ist, einen wissenschaftlichen Paradigmenwechsel zu bedeuten, die Selbststilisierung der Forscherin als einer Rebellin findet ihre Berechtigung darin (und nur darin), dass sie die etablierte Ordnung des Literatursystems durch Aufkündigung der konsensuellen Akzeptanz des Anonymats in der editorischen Praxis neu in Bewegung gebracht hat.




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Juan Goytisolo hat sich, seiner seit langem etablierten Rolle als unermüdlicher Nestbeschmutzer des kulturellen Establishments Spaniens folgend,12 wohl deshalb so entschieden an die Seite der Forscherin gestellt, weil er diese Rebellion gegen die Ordnung als eine progressive Revolution missverstand. Er selbst ist ja durch seinen durchaus kritischen Blick auf den literarischen Kanon bekannt und hat sich gerade im Bereich der novela picaresca mit Erfolg an einer Revision des Kanons beteiligt, wie seine entschiedene Parteinahme für den Estebanillo González (1990)Mitte der 1960er Jahre beweist, die ein neues Interesse der Forschung an diesem Text begründete und ihm auch jenseits der Philologie neue Leser sicherte (Goytisolo 1978). Ironischerweise handelte es sich bei diesem späten Picaroroman aber gerade um einen Text, der ganz bewusst wieder an den Lazarillo de Tormes als einer Pseudoautobiographie anschließt13 und sich damit in eine 'Gattungslinie' einreiht, deren strukturelle Bedingung – die formale Gleichsetzung von Autor-, Erzähler- und Protagonistenrolle – Navarro Durán mit ihrer Editionspolitik nun unterläuft. Die Vida y hechos de Estebanillo González zeigt mit aller Deutlichkeit, dass der Lazarillo im Siglo de Oro produktionsästhetisch als ein pseudoautobiographischer Text wirksam und in der literarischen Praxis als anonyme Vida zur Referenz wurde. Dass nun ausgerechnet ein so belesener und intertextuell schreibender Autor wie Goytisolo diese intertextuelle literarische Produktionslogik ignoriert und sich mit an der Abschaffung des Anonymats beteiligt, darf schon merkwürdig anmuten.


Philologie als Geschäft und Aufgabe: zum Umgang mit kanonischen Werten

Eine philologische These allein macht noch längst keine Kanonrevision, auch wenn sie von vornherein als kanonbildende Handlung intendiert sein mag und mit aller Entschiedenheit als Faktum behauptet wird. Zur Kanonisierung gehören mindestens zwei Voraussetzungen: die Rückkopplung der kanonbildenden Handlungen an das Literatursystem und die Akkumulation von gleichgerichteten Wertungen (Winko 2002: 15). Zu fragen ist also in diesem Fall, wie die Rückkoppelungsmechanismen verliefen, damit auf der Basis einer unter den Fachexperten äußerst umstrittenen und argumentativ schwach begründeten Autorschaftsbehauptung eine pragmatisch wirksame kanonverändernde Editionspolitik hervorgehen konnte. Navarro Duráns individuelles Motiv zur Errichtung der Autorschaftsfunktion Alfonso de Valdés' auf Kosten des tradierten Textes des Lazarillo ist an sich ja sehr leicht durchschaubar, wenn man ihre eigene Internetpräsentation mit einem Minimum an kritischer Distanz und soziologischem Wissen betrachtet und der von Pierre Bourdieu im deutschen Vorwort zu Homo academicus ausgesprochenen Aufforderung zur "Objektivierung des objektivierenden Subjekts" folgt (Bourdieu 1992: 10).




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Vor ihrer editionspolitischen Kanonrevision am Text des Lazarillo hatte die Philologin sich zunächst durch zwei Ausgaben im renommierten Cátedra-Verlag Ansehen erworben, Editionen desselben Autors, dem sie anschließend dann auch den anonymen Text attribuiert. Nicht von ungefähr bezeichnet sich die Professorin selbst auch stolz als "representante" des Autors, den sie sicherlich aufrichtig schätzt und im gegenwärtigen Literatursystem für zu wenig beachtet hält (Galindo / Navarro 2006). Die Errichtung der Autorschaftsfunktion Alfonso de Valdés' für den Lazarillo stellt in dieser Situation das effektivste Mittel zur Kanonisierung 'ihres' Autors dar, der sonst schwer über den sehr engen Kreis von Spezialisten des 16. Jahrhunderts hinaus einem breiteren Publikum zu vermitteln wäre. Der tradierte Kanonwert des kleinen Büchleins sollte transferiert werden auf einen Autor, dessen Kanonisierung auf dem literarischen Markt das eigentliche Interesse seiner selbsternannten Repräsentantin ist. Die Steigerung der Publizität des Autors bringt ganz unmittelbar eine Steigerung des symbolischen und finanziellen Kapitals der Repräsentantin. Das subjektive Interesse an einem solchen Transfer kanonischer Werte wäre an sich freilich noch kein Problem und könnte nur denjenigen skandalisieren, der noch dem tradierten Habitus des homo academicus anhinge und der Illusion verfallen wäre, die Aufgabe der Wissenschaft läge ausschließlich in der Produktion immaterieller Werte wie Wahrheit und Erkenntnis. In Zeiten eines drittmittelfixierten und zunehmend betriebswirtschaftlich ausgerichteten Universitätsmanagements ist dieser Zauber ohnehin längst strukturell mit dem eisernen Besen ökonomischer Rationalisierung ausgetrieben worden. Eine geschäftstüchtig an der Steigerung ihres Marktwerts im Literatursystem interessierte Philologie per se zu verurteilen, wäre weltfremd. Problematisch am untersuchten Fall ist aber doch, wie reibungslos eine einzelne Forscherin ihr subjektives philologisches Interesse am Transfer des Symbolkapitals eines kanonisierten Textes auf 'ihren' Autor sozial durchsetzen und – tatkräftig unterstützt von einer bauchrednerischen Presse – erfolgreich eine Allianz mit Verlagen schließen konnte, welche die Neuheit der Autorfunktion schlicht dazu nutzen, wissenschaftlich gesehen überflüssige Neuausgaben eines alten Textes zu legitimieren und so ihren Anteil am 'Schatz' des Siglo de Oro zu sichern. Dass die Abschaffung des Anonymats, die für ein Verständnis des Textes vor allem komplexitätsreduzierend wirkt, de facto so rasch voranschreitet, ist ein schlechtes Symptom für den Zustand der literarischen Öffentlichkeit in Spanien. Der von Hans-Jörg Neuschäfer kritisierte Trend des spanischen Literaturbetriebs zum Business, in dem Geschäftsinteressen wechselseitig so stark verzahnt sind, dass in diesem dichten Geflecht kein Freiraum mehr für Kritik bleibt (Neuschäfer 2004), betrifft schon längst nicht mehr nur die Gegenwartsliteratur, sondern kennzeichnet auch den Umgang mit dem Erbe der Klassik. Der Wert dieser Klassik ist in Spanien sozial so unumstritten, dass man nach wie vor auch im wissenschaftlichen Diskurs am Wertungsbegriff Siglo de Oro festhält, trotz des Wissens um seine problematische historische Herkunft als apologetisch-nationalistischer Kampfbegriff zur Verteidigung gegen die Dominanz der französischen Kultur (vgl. dazu Baasner 1995: 218–228).




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Navarro Durán selbst, die unter anderem auch einen Band zur Frage ¿Por qué hay que leer los clásicos? veröffentlicht hat,14 formulierte in einem Interview ihre Aufgabe als Philologin dezidiert als das Bemühen, die "riqueza" der klassischen Texte für die Gegenwart zu "aktivieren" (Galindo / Navarro 2006). Was darunter zu verstehen ist, zeigen ihre editorische Praxis und ihre Klassikeradaptionen für Kinder, auf deren enorme Auflagenhöhe sie im gleichen Interview stolz verweist. Die Aktivierung des symbolischen Kapitals des tradierten Kanons zur Mehrwertschöpfung in der Gegenwart wäre dabei, wie gesagt, gar nicht zu kritisieren, ginge dieses Geschäft nicht einher mit der Aufgabe jeglicher Bereitschaft zur argumentativ-diskursiven Auseinandersetzung mit abweichenden Positionen, die eigentliche Aufgabe einer der Aufklärung verpflichteten Philologie bleibt. Den Text des Lazarillo für Kinder nachzuerzählen ist ein durchaus ehrenwertes literaturdidaktisches Anliegen. Das infantile Publikum dazu zu nutzen, um eine fachlich hoch umstrittene Autorschaftshypothese einfach direkt auf dem literarischen Markt durchzusetzen und eine noch unmündige Leserschaft zur eigenen subjektiven 'Wahrheit' erziehen zu wollen (vgl. Navarro Durán 2006), zeugt dagegen von einem philologischen Willen zur Macht und zur Selbstautorisierung, der kritischen Einspruch notwendig macht. Mit der Öffnung zur Kulturwissenschaft haben die Philologien allgemein ihr Selbstverständnis als normative Wahrer des nationalen Kanons grundlegend revidiert und sind stattdessen vielmehr zu einer kritischen Analyse der kulturellen Mechanismen übergegangen, die jeder Kanonbildung unterliegen. Das zeigt die breite Debatte zum Verhältnis von Kanon, Macht und Kultur,15 die seit zwei Jahrzehnten in der Romanistik wie in den Literaturwissenschaften überhaupt intensiv geführt wird (vgl. Berger / Lüsebrink 1987, Dahmen u.a. 2000). Auch in dieser Hinsicht stellt sich der besprochene 'Fall' der spanischen Lazarillo-Philologie als ein Rückfall hinter erreichte kritische Standards heraus. Er bekommt eine höchst ironische Note dadurch, dass er ausgerechnet einen Text betrifft, der selbst eine besonders hintergründige und subtile Kritik an den sozialen Werten seiner Zeit zu leisten verstand, indem er sie mit ironischer Naivität vorbringt. Der Protagonist erreicht bekanntlich am Ende "la cumbre de toda buena fortuna" (Lazarillo: 135), wobei das rein materiell definierte Glück für den Leser als äußerst zweifelhaft erscheinen muss, da es durch eine hartnäckige Ignoranz des dafür zu bezahlenden sozialen und moralischen Preises erkauft ist. Der "paz en mi casa" zuliebe weigert sich Lázaro schlicht, Hinweise auf die Untreue seiner Frau ernst zu nehmen und verbietet sich jeden weiteren Einwand. Der arme protopikarische Schelm sichert sich so zuletzt mit der Beschränkung seines Wissenshorizonts und aktiver Ignoranz seinen prekären egoistischen Aufstieg in einer Gesellschaft, die in seinem Lebensbericht als durch und durch korrupt und heuchlerisch erscheint. Der 'Reichtum' des so unscheinbaren kleinen Textes, der als die unscheinbare Pseudoautobiographie eines taktisch operierenden und deshalb mit Vorsicht zu genießenden Erzählers inszeniert wird, liegt nicht zuletzt in einer ironischen Form von Kritik, die nicht didaktisch-eindeutig verläuft, sondern in einer hochgradig ambivalenten Erzählinstanz eingelassen und dort gleichsam versiegelt ist. Das ironische Eigenlob des prekären 'Aufsteigers' sorgt für eine prinzipielle Reversibilität der Auffassungsperspektiven, die als grundlegend für die ganze Gattung der novela picaresca gelten kann (Bauer 1994: 8–31), auch wenn der Begriff des "Pícaro" erst für den Protagonisten von Mateo Alemáns Guzmán de Alfarache prägend wurde.




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Der Streit der Interpretationen um den anonym tradierten Lazarillo, den sich die Forschung bisher geliefert hat, ist durchaus keine leere Betriebsamkeit gewesen, sondern war lehrreich, insofern er das ganze Potenzial an Polyvalenz herausgearbeitet hat, das schon in der frühneuzeitlichen Literatur zu stecken vermag und zu deren Verständnis man keines Autors jenseits des Textes bedarf. Der mündige Leser, für den literarische Mehrdeutigkeit keine unerträgliche Zumutung darstellt, sondern ein Anreiz zur selbstständigen Reflexion, kann das historisch bedingte Anonymat durchaus aushalten. Er muss die vom "mozo de muchos amos" erzählerisch ins Werk gesetzte Polysemie keinem letzten, den Sinn fixierenden Herren unterordnen. Zur genussvollen Lektüre benötigt er weder die Identität des historischen Autors, der sich mit guten Gründen nicht direkt in den Text einschrieb, noch eine sich selbst über die Funktion der Autorschaft autorisierende normative Philologie.


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Navarro de Adriaensens, José María (2005): "Rezension zu 'Navarro Durán (ed.) Novela Picaresca I. Alfonso de Valdès: La vida de Lazarillo de Tormes. Mateo Alemán Guzmán de Alfarache, Madrid: Fundación José Antonio de Castro'", in: Iberoamericana 5.20, 225f.




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Neuschäfer, Hans-Jörg (42004): "Von der Movida zum Kulturbusiness. Ein Blick in den Literaturbetrieb der Jahrtausendwende", in: Bernecker, Walther L. / Dirscherl, Klaus (Hg.): Spanien heute. Politik. Wirtschaft. Kultur. Frankfurt am Main: Vervuert, 607–630.

Nichols, Stephen G. (1997): "Why Material Philology? Some Thoughts", in: Tervooren, Helmut / Wenzel, Horst (Hg.): Philologie als Textwissenschaft. Alte und Neue Horizonte. Berlin u.a.: Erich Schmidt, 10–30.

Pérez Venzalá, Valentín (2004): "El Lazarillo sigue siendo anónimo. En respuesta a su atribución a Alfonso de Valdés", in: Espéculo 27. [http://www.ucm.es/info/especulo/numero27/lazaril.html, 11.09.2008]

Ricapito, Joseph V. (1976): "Introducción", in: Anonymus: Lazarillo de Tormes, hg. von Ricapito, Joseph V.. Madrid: Cátedra, 9–81.

Ruffinato, Aldo (2000): Las dos caras del 'Lazarillo'. Texto y mensaje. Madrid: Castalia.

Schöttker, Detlev (2002): "Der literarische Souverän. Autorpräsenz als Vorraussetzung von Kanonpräsenz", in: Arnold, Heinz Ludwig (Hg.): Literarische Kanonbildung. München: edition text + kritik, 277–290.

Stackmann, Karl (1993): "Die Edition – Königsweg der Philologie?", in: Gärtner, Kurt / Bergmann, Rolf (Hg.): Methoden und Probleme der Edition mittelalterlicher deutscher Texte. Tübingen: Niemeyer, 1–18.

Stackmann, Karl (1994): "Neue Philologie?", in: Heinzle, Joachim (Hg.): Modernes Mittelalter. Neue Bilder einer populären Epoche. Frankfurt am Main: Insel, 398–427.

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Anmerkungen

1 Zur Karriere des Neologismus im deutschsprachigen Raum vgl. Stefanie Wagner (2006).

2 Vgl. http://www.elazarillo.net, (1.10.2008).

3 Ihre Autorschaftsthese präsentierte Navarro Durán zunächst in monographischer Form im Jahr 2003 (Navarro Durán 2003a).

4 Selbstverständlich finden sich im Internet auch reichlich Informationsquellen, die als Korrektiv zur Autorisierungskampagne Navarro Duráns fungieren können: Schon der Eintrag in der spanischsprachigen Version von Wikipedia erfüllt diese Funktion, indem er die These Navarro Duráns in den Kontext der langen Autorschaftsdebatte stellt und ihren Geltungsanspruch relativiert: "Esta última atribución ha cobrado fuerza recientemente debido a las investigaciones de la profesora Rosa Navarro Durán, que se basa sobre todo en el cotejo de la obra con los diálogos conocidos de Alfonso de Valdés, el Diálogo de Mercurio y Carón y el Diálogo de las cosas acaecidas en Roma, pero las semejanzas son léxicas, no textuales, y no aducen hápax alguno, por lo que no prueban ni refutan nada y la autoría sigue sin resolverse". [http://es.wikipedia.org/wiki/Lazarillo_de_tormes, 1.10.2008]. Anders als Navarro Duráns Netzauftritt in eigener Sache (der aber institutionell nicht nur von der Universität Barcelona sondern auch von zwei größeren Verlagen gestützt ist), verlinkt der Wikipedia-Eintrag auf die divergierenden Positionen im Autorschaftsstreit und verweist sowohl auf die Selbstpräsentation Navarro Duráns als auch auf die deutliche Kritik von Valentín Pérez Venzalá 2004. Zudem ist auch die Diskussion der User einsichtig, die im Artikel zu einem vorläufigen Ergebnis kristallisiert. In diesem speziellen Fall entspricht die von Laienphilologen hergestellte Netzöffentlichkeit von Wikipedia durchaus den Standards der von Habermas idealtypisch konstruierten vernunftbasierten Struktur der bürgerlichen Öffentlichkeit (Habermas 1962), besser jedenfalls als die monologische Nutzung des Internets durch die Fachphilologen. In diese Kritik ist dabei nicht nur Navarro Durán selbst einzuschließen, sondern auch die Gegenthese einer Autorschaft Luis Vives, die Francisco Calero (2006) mit dem gleichen dogmatischen Gewissheitsgestus ("Luis Vives fue el autor del Lazarrillo de Tormes") und auf ähnlich spekulativer methodischer Basis aufstellte. Meine Kritik richtet sich daher auch nicht ad personam, sondern gegen eine bestimmte Form von Philologie im Netz, der ich im Interesse des Faches und mit dem Vorteil der Neutralität begegnen möchte.

5 In der Bibliotéca Virtual Miguel de Cervantes [http://www.cervantesvirtual.com, 1.10.2008] findet sich momentan sowohl eine digitale Edition des Textes auf der Basis der vier historischen Überlieferungsträger, die mit den Editionen von Alberto Blecua (Madrid, Castalia, 1972), von José M. Caso González (Madrid, BRAE 1967; Anejo XVII) und von Francisco Rico (Madrid, Cátedra, 1987) abgeglichen wurde, als auch eine digitale Version der Edition aus dem Jahre 2004 von Navarro Durán (vgl. Navarro Durán 2004).

6 Für die Autorschaftsthese Navarro Duráns vgl. die Rezension in der Hispanic Review (Josa 2003), kritisch gegen sie und für die Autorschaftsthese Caleros vgl. Navarrro de Adriaensens (2005) in Iberoamericana.

7 Was für Óscar Rodríguez von der Tribuna de Salamanca am 10. August 2003 immer noch eine Frage darstellte ("El misterio del Lazarillo. ¿resuelto?"), wurde von anderen Rezensenten glatt behauptet: Vgl. Elena Hevia, "Una experta desvela el enigma de la autoria del Lazarillo" (El Periódico, 26. Juli 2003) oder Héctor de Mauleón: "Se aclara un enigma de cinco siglos: Alfonso de Valdés, autor del Lazarillo de Tormes" (El Independiente, México, 4. August 2003, 28f.).

8 In diesem Sinne explizit Rafel Toriz, "Nota sobre el autor del Lazarillo de Tormes", in: Punto en Linea 4, s.a., s.p. [http://www.puntoenlinea.unam.mx, 1.10.2008]

9 Der Fund selbst ereignete sich bereits im Sommer 1992, zum Medienereignis wurde dann jedoch erst die Ausstellung der sogenannten "Bibliotéca de Barcarrota" Ende 1995. Vgl. dazu Cañas Murillo (2002), sowie die Informationen der Junta de Extremadura [http://www.bibliotecadeextremadura.com/bib_barca.htm, 1.10.2008].




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10 Vgl. Carrasco (1998) und den ausführlichen Bericht der neuen Debatte um die Textüberlieferung bei Ruffinato (2000: 99–136).

11 "No es, pues, raro que la vida de Lazarillo de Tormes, agudísima sátira erasmista, viviera tantos años oculta; sólo la mutilación de su texto oscureció algo su sentido y permitió que saliera a la luz en España a principio de los años cincuenta; las cuatro ediciones conservadas en 1554 dan prueba de ello. La Inquisición lo prohibiría cinco años más tarde. Mutilado, prohibido, expurgado. Pero el texto permanece con su intensidad, con su fuerza, con su belleza. Siempre lo hemos leído como una obra anónima, pero no es hija de la piedra, sino del mejor prosista de la primera mitad del siglo XVI, el mejor valedor de Erasmo en España: Alfonso de Valdés" (Navarro Durán 2003b: 36).

12 Programmatisch ist in dieser Hinsicht die Titelwahl des Autors für einer neuere Sammlung von Essays: Pájaro que ensucia su propio nido (Goytisolo 2001).

13 "Carísimo o muy barato letor, o quienquiera que tú fueres, si, curioso de saber vidas ajenas, llegares a leer la mía, yo me llamo Estebanillo González, flor de la jacarandaina. Y te advierto que no es la fingida de Guzmán de Alfarache, ni la fabulosa de Lazarillo de Tormes, ni la supuesta del Caballero de la Tenaza, sino una relación verdadera con parte presente y testigos de vista y contestes, que los nombro a todos para averiguación y prueba de mis sucesos, y el dónde, cómo y cuándo, sin carecer de otra cosa que de día, mes y año, y antes quito que no añado" (González 1990, I: 13f.). Zu diesem Text vgl. auch meine Ausführungen an anderer Stelle (Ehrlicher 2007).

14 Anders als der Titel vermuten lässt, handelt es sich bei dieser Publikation allerdings nicht um eine systematische Reflexion über den Status von Klassikern für die Gegenwart, sondern um eine Reihe von subjektiven Einzellektüren klassischer Texte: "Mi defensa de los clásicos para que intente ser convincente no puede ser más que una antología de vivencias, aventuras literarias, una lectura apasionada [...]. El recorrido que ofrezco es, pues, totalmente subjetivo [...]. Este libro es, pues, una invitación a compartir un paseo. Queda luego la aventura, la que cada cual puede buscar e imaginar. Ahí tiene a los clásicos que le ofrecen un territorio casi infinito" (Navarro Durán 1996: 8f.).

15 Vgl. dazu etwa Heydebrandt (1998). Eine reichhaltige Auswahlbibliografie bietet Zimmer (2002).