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Jing Xuan (München)



Der 'leidende Widerstand' im Okkupationskino.
Roberto Rossellinis christliches Sühneopfer in Roma, città aperta (1945)*



The 'suffering resistance' in Roberto Rossellini's Roma, città aperta (1945)
In Roma, città aperta, Roberto Rossellini offers an apparently manichean interpretation of the German occupation of Rome during the Second World War. At first sight, the Italian people are portrayed here as a morally superior community opposing the German invaders, who are, on their part, represented by the evil couple of a sadistic persecutor and a perverse seductress. However, if one takes in consideration the Christian discourses and iconographic images used by Rossellini, the simple antagonistic constellation on the surface reveals a narrative strategy which aims at a complex and contradictory rewriting of the history of the occupation. The central figure of the catholic priest, who dies as a martyr, incarnates the Christian ideal of 'suffering resistance', i.e. the passive resistance through sacrifice. The narrative structure of the film follows the topological scheme of the exegesis, so that the armed Resistenza can be read as the antithetical pre-figuration of the Christian propitiatory sacrifice, the latter being the real salvation of Italy both from the presence of foreign subjugation as well as from its own fascistic past. Thus, Rossellini's cinematographic fiction gives an imagined solution to the historical crisis of Italy after the fall of Mussolini: The politically divided land on the verge of civil war appears on the screen as a community based on Christian resistance, unified by a collective sacrifice that would eventually become a foundational myth of post-war Italy.


1 Die christliche Widerstandslehre im Okkupationsnarrativ

Der Umstand, daß die deutsche Okkupation im zweiten Weltkrieg in ihrer filmischen Nacherzählung oft eine christliche Sinndimension aufweist, ist in zweierlei Hinsicht bedeutsam: Zum einen wird dabei die Okkupationsgeschichte an die christliche Geschichtsteleologie angeschlossen, zum anderen erfährt der Sinngehalt des Widerstandes vor dem Hintergrund des christlichen Erlösungsmodells eine signifikante Verschiebung. Beide Aspekte lassen sich gleichsam kausallogisch aufeinander beziehen: Indem die NS-Besatzung in einen christlich-teleologischen Rahmen eingerückt wird, gewinnt die Überwindung der Fremdherrschaft eine heilsgeschichtliche Bedeutung. Der Widerstand steht damit nicht mehr nur an der historischen Schnittstelle zwischen Okkupation und nationaler Neugründung, sondern verweist zugleich auch auf den heilsgeschichtlichen Wendepunkt: das Sühneopfer Christi. Geht eine christliche Überformung des Okkupationsnarrativs mit einer thematischen Engführung von Widerstand und Opfer einher, so muß es auch nicht überraschen, daß die Figur des katholischen Priesters im Besatzungsfilm eine prominente Rolle spielt, denn wie niemand sonst verkörpert der Priester das christliche Ideal des passiven bzw. des leidenden Widerstandes und fungiert so auf eine durchweg ambivalente Weise als Sinnbild des besetzten Volkes.




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Um die paradigmatische Funktion der Priesterfigur näherhin zu erläutern, bietet es sich an, die ihr zugrundeliegende, christliche Widerstandslehre kurz in den Blick zu nehmen. Das "Widerstandrecht aus religiösen Beweggründen", schreibt Fritz Kern in seiner klassischen Studie zum mittelalterlichen Widerstandsrecht, "hat seinen Ursprung in den Nöten einer kirchlich organisierten Minderheit inmitten einer gleichgültigen oder feindlichen Gesellschaft" (Kern 1973: 175). Es beruht auf dem biblischen Gebot, "Man muß Gott mehr gehorchen als den Menschen" (Apg. 5.29, vgl. Die Bibel), wonach ein Christ der weltlichen Herrschaft den Gehorsam zu verweigern hat, sofern deren Gesetz dem Gesetz Gottes zuwiderläuft. Für das Urchristentum bleibt nichtsdestoweniger die Lehre vom duldenden Gehorsam maßgeblich, der zufolge eine tätliche Auflehnung gegen die Obrigkeit strikt abgelehnt wird. Das Verhalten der Christen zur heidnischen Herrschaft richtet sich grundsätzlich nach dem Paulinischen Wort: "Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat. Denn es ist keine Obrigkeit ohne von Gott. Wer sich nun wider die Obrigkeit setzt, der widerstrebt Gottes Ordnung" (Röm. 13.1).

Die Spannung zwischen dem Grundsatz des religiösen Ungehorsams und dem des duldenden Gehorsams zeigt sich seit den Anfängen des christlichen Gemeindelebens unter heidnischer Obrigkeit. Vor diesem Hintergrund ist auch das Prinzip des 'leidenden Widerstandes' zu verstehen, bei dem gerade die Antinomie zwischen Gehorsam und Ungehorsam aufgehoben wird. Das Paradebeispiel hierzu bieten die frühchristlichen Märtyrer, die den Kaiserkult verweigern und dafür hingerichtet werden (Kern 1973:175 ff.). Der doppelte Sinn ihres Verhaltens erhellt sich im Licht einer berühmten Bibelstelle. Als die Pharisäer Jesus die Frage stellen: "Ist's recht, daß man dem Kaiser Zinse gebe, oder nicht? "(Mt. 22.15), antwortet er: "Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist und Gott, was Gottes ist" (Mt. 22.21). Diese Trennung von Kaiser und Gott zeugt von einem dualistischen Herrschaftsverständnis: Jesus unterscheidet den weltlichen Herrscher von Gott und folglich auch die Gehorsamspflicht gegenüber dem menschlichen Gesetz von derjenigen gegenüber Gott. Das Wort des Herrn gilt selbstverständlich nicht nur für das römische Steuergesetz, sondern auch für die Richtergewalt des Kaisers. Wenn sich also die Märtyrer, ohne Gegenwehr zu leisten, hinrichten lassen, so bringen sie als Untertanen dem weltlichen Gesetzgeber den geschuldeten Gehorsam entgegen. Da sie jedoch durch ihren Tod zugleich den Götzendienst verweigern, fällt ihre Unterwerfung vor dem Kaiser als imperator mit ihrem Ungehorsam gegenüber dem Kaiser als divus zusammen. Eine solche, mit Kern gesprochen, "frommen Paradoxie" (Kern 1973: 180) ist dem 'leidenden Widerstand' der Märtyrer wesentlich. Hinzu kommt die christliche Symbolik des Blutes, durch die im Märtyrertod die Antinomie zwischen Leben und Tod gleichsam aufgehoben wird. Hat nämlich das Blut Christi den Neuen Bund gestiftet, so erweist sich das Blut der Christen als Samen – "semen est sanguis Christianorum" (nach Kern 1973: 180, Anm. 359) –, der, freilich in einem metaphorischen Sinne, die Ausbreitung und das Fortbestehen des christlichen Geistes garantieren soll.




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Inwiefern die christliche Widerstandslehre im Okkupationskino ihren Niederschlag gefunden hat, zeigt sich bereits deutlich an jenen beiden Werken, mit denen die filmische Aufarbeitung der Besatzungsgeschichte ihren Anfang nimmt: Leopold Lindtbergs Die letzte Chance (1944/1945) und Roberto Rossellinis Roma, città aperta (1945). Auf den ersten Blick scheint beide Filme wenig zu verbinden: Lindtbergs Film spielt zwar auch vor dem Hintergrund der deutschen Invasion Italiens, doch im Gegensatz zu Rossellinis klassischem Besatzungsdrama steht dabei das Thema der Kriegsflüchtlinge und der schweizerischen Asylpolitik im Vordergrund (Aeppli 1998). Gleichwohl besteht eine signifikante Schnittmenge zwischen den beiden Filmen: nämlich die Figur eines katholischen Priesters, der durch die Hinrichtung den Märtyrertod stirbt. Diesbezüglich lassen sich auf der Handlungsebene eine Reihe aufschlußreicher Parallelen feststellen. Sowohl der Dorfpfarrer bei Lindtberg als auch Rossellinis Pater Pietro sind Helfer und Opfer in Personalunion. Beide stehen den Verfolgten dadurch bei, daß sie je eine Fluchtaktion organisieren: Bei Lindtberg dient die Fluchtaktion dazu, eine Gruppe von Flüchtlingen in die Schweiz zu bringen, bei Rossellini soll sie Untergrundkämpfer aus dem besetzten Rom führen. Wenn sich die Priester bei ihrer Hilfeleistung selbst in Gefahr bringen und schließlich dafür hingerichtet werden, so eignet ihrem Tod zugleich die Bedeutung eines Gründungsopfers. In Die letzte Chance zeigt sich dies daran, daß der Tod des Pfarrers mit dem ausnahmsweise von der Obrigkeit gewährten Asyl einhergeht und damit auch jenen Neuanfang der politischen Flüchtlinge in der neutralen Schweiz bewirkt. In Roma, città aperta kommt das Moment der Neugründung in jenem symbolträchtige Tableau zum Tragen, mit dem der Film zu Ende geht: Wenn im Vordergrund die um Pater Pietro trauenden Jugendlichen Richtung Rom marschieren, im Hintergrund indessen die Kuppel des Petersdoms gen Himmel ragt, dann steht das Wahrzeichen der Ewigen Stadt wohl nicht zuletzt für einen Pater Pietro, der die römische Jugend im Verein mit seinem Namensvetter – dem Kirchengründer Petrus – in die Zukunft führt.

Unterlegt das motivische Zusammenspiel von Hinrichtung und Neugründung den Priesterhelden das figurale Muster der frühchristlichen Märtyrer, so erweisen sie sich nicht nur als Opfer der faschistischen Gewalt, sondern zugleich auch als Symbole des christlichen Widerstands. Jene "fromme Paradoxie" (Kern 1973: 180), die den 'leidenden Widerstand' der Märtyrer kennzeichnet, läßt sich nun auch auf ihre Hinrichtung übertragen. Wie die Märtyrer nehmen die Priesterhelden die Exekution widerstandslos an, und wenn jene dabei den Gehorsam des Untertanen mit der religiösen Ungehorsamspflicht zu vereinen wissen, so leisten diese den 'leidenden Widerstand' dadurch, daß in ihnen der Gehorsam gegen die 'Jurisdiktion' des Besatzers mit dem Ungehorsam gegen die Fremdherrschaft zusammenfällt.




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Damit aber nicht genug: Über ihre typologische Modellierung auf der Figurenebene hinaus kommt die Widerstandssemantik auch vermittels der Erzählstruktur zum Ausdruck. Wie bereits erwähnt, entfalten sich die Haupthandlungen von Die letzte Chance und von Roma, città aperta jeweils in einer Fluchtaktion in Folge der deutschen Invasion. In beiden Fällen geht also das Besatzungssujet mit dem Verfolgungsmotiv einher, und dies bedeutet wiederum, daß das Verhältnis zwischen dem Besatzer und dem besetzen Volk als die Aggression des einen und der Rückzug des anderen definiert wird. In der Hinrichtung des Priesters schlägt nun dieser Rückzug insofern in Konfrontation um, als sich der Priester durch seine Passivität zwar der Gewalt des Besatzers unterwirft, sich in dieser Unterwerfung jedoch zugleich ein der allgemeinen Fluchtbewegung gegenläufiges Moment abzeichnet, das die priesterliche Passivität dem Heldenmut anverwandelt. Wenn nämlich der Priester im Augenblick seiner Exekution den Waffen des Fremdherrschers den eigenen Leib entgegenhält, so setzt er als leidender Heros damit zugleich das Blutzeichen des christlichen Widerstandes.

Es ist nun kein Zufall der Filmgeschichte, daß der Priester-Märtyrer in der Geburtsstunde des europäischen Nachkriegskinos gleich zweimal auftritt. Vielmehr scheint sich das Okkupationsnarrativ gerade deshalb des christlichen Widerstandsdiskurses zu bedienen, um so einen neuralgischen Punkt der Okkupationsgeschichte – nämlich die innere Spaltung des besetzten Volks – zu eskamotieren. In der historischen Besatzungssituation hat die Bevölkerung keine einheitliche Kampffront gegen die Invasoren gebildet und bestand, wie im Falle Italiens (Collotti 1996: 238), gemeinhin aus einer leidenden bzw. sich anpassenden Mehrheit, der eine aktiv kämpfende Minderheit gegenüberstand. Dieser irreduzible Widerspruch innerhalb des besetzten Volks findet nun im Okkupationskino seine imaginäre Lösung. Der klerikale Held eignet sich hier besonders als kollektiver Sinnträger, da er sowohl für das im Widerstandskampf erfahrene Leiden als auch für die duldende Unterwerfung unter die Besatzungsmacht einstehen kann. Wenn also der Priester auf der Leinwand den Märtyrertod stirbt, so wird dabei der reale Widerspruch zwischen passiver Unterwerfung und aktivem Widerstand im Medium des Fiktiven aufgehoben. Der fiktionale Priester-Märtyrer stellt damit eine ideale Versöhnungsfigur dar, denn einzig er vermag es, das unter der Fremdherrschaft uneinige Volk als 'leidende Widerstandsgemeinschaft' zu konstituieren.

So gewendet steht der Priester-Märtyrer zeichenhaft für ein Okkupationsnarrativ, das weniger von der fremden Invasion als vielmehr von der eigenen problematischen Widerstandsgeschichte handelt. Aus dieser Perspektive möchte ich nun in der Folge Roma, città aperta eingehender untersuchen. Rossellinis Film läßt sich, so meine These, als die christliche réécriture der Okkupationsgeschichte schlechthin begreifen – eine réécriture, in der nicht nur die Besatzungssituation, sondern auch die Geschichte des besetzten Volks theologisch gedeutet werden. Wenn sich die Fremdherrschaft und die nationale Neugründung damit respektive auf Sündenstand und Heil beziehen lassen, so nimmt der Widerstandskampf in dieser Dialektik eine problematische Zwischenstellung ein. Zwar kann der aktive Widerstand durch seine theologische Überformung in einen leidenden, christlichen Widerstand überführt werden; zur endgültigen Reinigung eines moralisch wie politisch unreinen Italiens, bedarf es nichtsdestoweniger des durch einen Unschuldigen dargebrachten Sühneopfers, das der Priester als Figura Christi zu leisten hat.




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2 Okkupationsgeschichte als Heilsgeschichte

Roberto Rossellini ist zweifellos einer der Künstler, die das Bild von der Rolle Italiens im zweiten Weltkrieg wesentlich mitgeprägt haben. Wenn Roma, città aperta in diesem Zusammenhang eine zentrale Funktion zukommt, so vor allem deshalb, weil dort das Verhältnis von den deutschen Invasoren zur römischen Zivilbevölkerung auf die griffige Formel von Gut vs. Böse gebracht wird und das Gute vornehmlich durch einen Priester mit dem anspielungsreichen Namen Pietro Pellegrini verkörpert wird, der der Resistenza beisteht und schließlich mit seinem zerschossenen Leib das ästhetische Gründungsopfer für das Nachkriegsitalien stiftet. Seine Wirksamkeit verdankt der seinerzeit von Alberto Moravia als "patriotische Propaganda" (Meder 1998: 336) gefeierte Film dabei nicht zuletzt jenem Zusammenspiel von werdender Mutterschaft, sexueller Aberration und übersteigertem Sadismus, durch das Rossellini ein Melodram im Stile von Puccinis Tosca schafft. Ein spezifisch christliches Spektakel wird Roma, città aperta aber vor allem durch die Logik des Sühneopfers, wonach die Schuld allein vermittels des Blutes eines Unschuldigen – nach dem Paulinischen Wort also "mit dem teueren Blut Christi als eines unschuldigen und unbefleckten Lammes" (1 Petr. I. 1.19) – gesühnt werden kann.

Die für die gesamte Sinnstruktur des Films zentrale Schuldfrage scheint bereits in den ersten Bildern von Roma, città aperta geklärt zu sein: Diese zeigen deutsche Soldaten, wie sie vor der Spanischen Treppe aufmarschieren. Daran schließt sich der durch die fortlaufenden credits gekennzeichnete Prolog des Films an. Man sieht einen Militärkonvoi in eine leere Straße einrollen, eine fünfköpfige Fahndungseinheit steigt aus und betritt ein Wohnhaus, um dort einen Führer der Resistenza zu verhaften. Eine alte Dame im Nachthemd eilt zur Tür und bekreuzigt sich, bevor sie öffnet. Schließlich beginnen die deutschen Soldaten, die Wohnung zu durchsuchen. Die als eine Serie von Einbruchsmomenten in den italienischen Innenraum aufgebaute Darstellung der Invasion ist effektvoll – ebenso effektvoll wie die visuelle Konfrontation der alten Dame mit den Gewehrläufen. Dies gilt umso mehr, wenn man sich die historische Situation vergegenwärtigt: Italien stand im Sommer 1943 unter der Führung von König Victor Emanuel und der Regierung Pietro Badoglios. Mussolini wurde entlassen und verhaftet, die faschistische Partei aufgelöst. Die neue Regierung nahm Geheimverhandlungen mit den Alliierten auf, ohne dabei jedoch das Militärbündnis mit Deutschland aufzukündigen. Am 8. September verkündete Badoglio über das italienische Radio offiziell den Waffenstillstand. Am folgenden Morgen verließen die königliche Familie und ein Teil der Regierung, darunter Badoglio, Rom und begaben sich heimlich nach Pescara, um sich dort nach Brindisi einzuschiffen. Einen Tag später, am 10. September, begann die deutsche Gegenmaßnahme mit der Besetzung Roms (Blet 2000: 217). Die historische Situation Roms scheint sich also in den Anfangssequenzen von Rossellinis Film widerzuspiegeln. Die leere Straße deutet auf eine wehrlose Stadt hin, die, von ihren Schutzherren verlassen, nunmehr den fremden Eindringlingen offen steht.




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Daß Rossellinis Setzung dennoch mitnichten uninteressiert ist, zeigt sich an der im Vorspann ebenfalls mitgeführten Kampfthematik. Für letztere steht ein Kommunist und Mitglied des Comitato della Liberazione Nazionale (CLN), der unter dem Decknamen Giorgio Manfredi agiert. Parallel zum Eindringen der Deutschen sieht man nun Manfredi, der über die Dachterrasse flieht, kurz an einem Gaubenfenster innehalten, um so einen Blick auf die deutschen Soldaten zu werfen, die an der Tür seiner Pension klingeln. Dieser keiner Handlungslogik geschuldete Blick auf den Feind verbindet die weitere Flucht Manfredis mit der bedrohlichen Situation seiner Wirtinnen und das dergestalt, daß Manfredi gleichsam sehenden Auges die schutzlosen Frauen den bewaffneten Feinden überläßt. Wenn mit dieser Sequenz zugleich der Vorspann zu Ende geht, so wird damit ein in sich abgeschlossener Sinnzusammenhang markiert, der sich als mise-en-abyme der Besatzungsgeschichte Roms lesen läßt. Denn ebenso wie hier der italienische Mann und potentielle Beschützer die alten Frauen der Gefahr überläßt, ziehen sich ja in der historischen Wirklichkeit die Staatshalter Italiens und eigentlichen Beschützer Roms vor den deutschen Invasoren zurück.

In Anbetracht der gegebenen Strukturanalogie sticht die fiktionale (Um-)Besetzung der Figuren bei Rossellini freilich umso deutlicher ins Auge, ist es doch gerade ein kommunistischer Widerstandskämpfer, der hier die historische Fluchtbewegung auf der Leinwand nachzuvollziehen hat. An den solchermaßen markierten Anfang schließt die als Sühneopfer überformte Hinrichtung von Padre Pietro am Ende nun insofern an, als beide Momente zusammen eine programmatische Umdeutung offenkundig machen: In Roma, città aperta soll die Geschichte des besetzten Roms nicht politisch, sondern heilsgeschichtlich gelesen werden. Ein heilgeschichtliches Narrativ bedarf allerdings nicht allein des Bösen, sondern vor allem der Sündigen, die es durch den Opfertod zu erlösen gilt. Zur Konfiguration dieser Sündhaftigkeit gehört es, daß die Bosheit der Besatzer anhand zweier durch ihre perverse, nicht prokreative Sexualität gekennzeichneten Figuren zur Darstellung kommt. Hauptmann Bergmann ist ein Voyeur, der mit Hilfe von Fotos nach Verdächtigen sucht und durch Kamera und Lupe von seinem Schreibtisch aus über Rom herrscht.1 Er ist ferner ein Sadist, aus dessen direkt neben seinem Büro eingerichteter Folterkammer unentwegt das Geschrei seiner Opfer dringt. Bergmanns Erfüllungsgehilfin Ingrid setzt auf andere Methoden: Sie verführt einheimische Frauen. Ingrid und Bergmann verhalten sich nach dem Prinzip von Zuckerbrot und Peitsche komplementär zueinander, und während Bergmanns Folterknechte ihre Opfer mit Schweißbrennern malträtieren, belohnt Ingrid eine ihrer Informantinnen – die leichtlebige Marina – mit einem Pelzmantel und einem anzüglichen Klaps zwischen die Beine. Es kommt daher auch nicht von ungefähr, daß Marina schließlich ihren Kopf eben gerade zu jenem Zeitpunk auf Ingrids Schoß legt, als im Nebenraum der von ihr verratene Manfredi gemartert und Pater Pietro verhört werden, denn durch diese Parallelmontage wird gleichsam evident, daß mit dem peccatum nefandum weiblicher Homosexualität unweigerlich der Vaterlandsverrat einhergeht.




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Während das sadistisch-mephistophelische Paar Bergmann-Ingrid für die Bosheit der Besatzungsmacht steht, repräsentieren die sexuell unzüchtigen Frauen des Stadtproletariats metonymisch das korrumpierbare Volk. Die beiden weiblichen Hauptfiguren des Films – Marina und Pina – erweisen sich hier wiederum als ein Doppelgängerpaar, verbindet sie doch neben der gemeinsamen Herkunft aus dem Arbeiterviertel (Forgacs 2004: 121) auch der voreheliche Geschlechtsverkehr, den Marina mit Manfredi, Pina mit dem Drucker Francesco ausgeübt hat. Diese beiden, der fornicatio schuldigen Frauen aus der Unterschicht versinnbildlichen in Roma, città aperta den Sündenstand des Volks.2 Daß diese Gefallenheit durchaus in die völlige corruptio einmünden kann, zeigt sich besonders deutlich an Marina, deren im Sinne des Filmtitels 'geöffneter' Körper nicht nur – wie bei Pina – Ausdruck des moralischen Fehltritts, sondern zugleich Agent gesellschaftlicher Transgression ist. Marina, die als Revuetänzerin arbeitet, trachtet nach großbürgerlichem Lebensstil (Foracs 2004: 122), und wenn sie zur Aufrechterhaltung des ihr ungebührlichen Luxus' nicht nur versteckte Prostitution betreibt, sondern auch den Widerstand verrät, dann verbinden sich in ihr Sittenverfall, Aufsteigertum und Vaterlandsverrat. Ist Marina damit Inbegriff weiblicher Verwerflichkeit, so ist diese Verwerflichkeit nichtsdestoweniger ein gutes Stück weit ihrer unglücklichen Liaison mit Manfredi geschuldet. Es ist nämlich so, daß Manfredi, der seine Affäre mit Marina unter Hinweis auf deren moralisch fragwürdige Lebensführung aufkündigen will, gar nicht willens gewesen ist, seine Geliebte zu bessern. Darauf, daß dies durchaus möglich gewesen wäre, weist ihn nicht nur Marina selbst hin. Auch Pina hat Manfredi bereits versichert, daß die Liebe eine Frau verändern könne, und wenn sie im selben Atemzug beteuert, sie wolle heiraten, weil sie an Gott glaube, mahnt sie bei Manfredi zugleich zwei Dinge an, deren der Kommunist ermangelt: den Glauben und die Heiratswilligkeit. Erscheint Manfredi auf diese Perspektive als gewissenloser Frauenverführer und Atheist, so wird auf der anderen Seite die sakramentale Bedeutung von Pinas Eheschließung mit Francesco unterstrichen. Dies gilt umso mehr, als Francesco ursprünglich ebenfalls Kommunist gewesen ist und sich dank seiner gläubigen Verlobten nunmehr dazu entschlossen hat, die gemeinsame Sünde durch den heiligen Ehebund zu bereinigen.3 Im Gegensatz zu seinem Freund entzieht sich Manfredi dieser Verantwortung. Bei ihm geht der Abfall vom Glauben mit einer Abkehr von der männlichen Schutzfunktion einher und beides führt dazu, daß die – aufgrund ihrer eigenständigen (Körper-)Arbeit unkontrollierbar gewordene – italienische Frau sich von den Besatzern zu Verrat und Homosexualität verführen läßt.




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Im Hinblick auf das Sexualleben der italienischen Figuren erscheint das Nazi-Quartier in Roma, città aperta wie ein erschreckendes Spiegelbild der gefallenen Stadt. Die sexuelle Freizügigkeit der Stadt potenziert sich dort, wo der Fremdherrscher zwischen dem lesbisch kodierten Musikraum und der sadomasochistisch angehauchten Folterkammer seiner sexuellen Perversion frönt. Mehr noch als der Verlust der politischen Autonomie bedeutet bei Rossellini die Okkupation den Verlust des gesunden, gottgefälligen Geschlechtslebens, so daß sich die teuflische Macht der Invasoren wesentlich darin äußert, die heterosexuelle Norm durch die sexuelle Anomalie des peccatum nefandum zu unergraben.4 In diesem Zusammenhang scheint das Gespräch, das Pater Pietro und Pina beim Verlassen der Kirche miteinander führen, durchaus sinnfällig. Pina beklagt sich über die Nöte des Okkupationsalltags und hegt ihrem Beichtvater gegenüber den Zweifel, ob Gott überhaupt noch an den Menschen denke. Pater Pietro fragt sie im Gegenzug, wie oft denn der Mensch in diesen Tagen an Gotte denke. Daraufhin deutet die schwangere Witwe auf ihren aufgequollenen Bauch und gibt die Unwürde der Menschen der Gottesgnade gegenüber zu. Mit diesem Eingeständnis bekundet Pina aber nicht nur ihren individuellen Fehltritt. Aufgrund der allgemeinen Fragestellung um die Gottesferne der Menschen, in die Pinas Zeigegeste eingelassen ist, wird ihre voreheliche Schwangerschaft zur Metonymie für die Sünde des römischen Volkskörpers – einer Sünde, die weniger durch die Okkupation entstanden ist, als vielmehr durch diese erst offenkundig wird.

Ist bei Rossellini die Brutstätte des sündhaften Roms der sexuelle Körper, an dem die Besatzer ihre Macht ausüben, so wird das Übel der Okkupation an eben jenem Ort ausgetragen, wo nach der christlichen Moraltheologie die concupiscentia carnis anzusiedeln ist und das dieser ursächliche peccatum originale sichtbar wird. Um ein solches Unheil zu beenden, bedarf es demzufolge auch einer dem Heilsereignis sinnäquivalenten Lösung: mithin des Opfertodes eines Unschuldigen. Für ein solches Sühneopfer eignet sich in Roma, città aperta allein der Priester Pietro. Denn der Kommunist liefert sich durch seinen gleichermaßen kämpferischen wie sexuell aktiven Körper gerade der teuflischen Maschinerie der körperlichen Perversion aus, weshalb sein Martyrium auf dem Folterstuhl auch keineswegs die Qualität eines Sühneopfers für sich beanspruchen kann. Pater Pietro vermag hingegen bis zuletzt die notwendige Unschuld zu bewahren, hat er doch nicht nur an sich selbst die Entsagung des Körperlichen vollbracht, sondern zugleich den tollkühnen Anführer der Kindersaboteure am Bombenwerfen gehindert. Der Umstand, daß Pater Pietro den Todesschuß gerade von einem älteren, der NS-Ideologie bereits abtrünnigen deutschen Offizier erhält, fügt sich insofern in diesen Sinnzusammenhang, als der Offizier, wie dies die Selbsterhängung des österreichischen Deserteurs bereits vorankündigt, damit die Rolle des Judas als Vollstreckers des Heilsereignisses übernehmen kann, und somit unter dem freien Himmel des sündigen Roms eine imitatio christi zu ihrer Vollendung kommt, bei der Pater Pietro nach dem Vorbild des Herrn als Sündloser für die Sündigen stirbt.




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Der heilspendende Effekt von Pater Pietros Opfergang manifestiert sich durch die weinend dahin marschierenden Kinder, mit denen Roma, città aperta schließt. Seite an Seite schreiten hier Romoletto, der von Pater Pietro gerettete Bombenwerfer, und Marcello, Pinas Kind aus einer früheren Ehe. Wie der hinkende Widergänger des Romulus haben auch Mutter und Sohn sprechende Namen. Während Pina auf den Pinienbaum als christliches Symbol der Fruchtbarkeit verweist, trägt ihr Kind den Namen des heiligen Marcellus – jenes legendären Papstes, der nach dem Ende der Christenverfolgung die Kirchenordnung erneut wiederherstellte und bei Rom sein Grab fand. Gemäß der Logik dieses onomastischen Programms steht in Gestalt der legitimen Leibesfrucht der 'Mamma Roma' also ein heiliger Restaurator wieder auf, dem es vorbehalten ist, die Opfergabe Pater Pietros in die Restauration des Stiftungswerks Petri zu überführen. In diesem Sinne wird man Romoletto und Marcello dann wohl nicht zuletzt einmal als den weltlichen, einmal als den geistlichen Arm eines sich aus dem Sodom und Gomorrha der Deutschen Okkupation erhebenden neuen Staatskörpers zu lesen haben.


3 Zur Typologie des Widerstandes

Am Ende seiner christlichen réécriture der Okkupationsgeschichte bringt Rossellini den bei ihm von Anbeginn im Rückzug befindlichen aktiven Widerstand durch das von einem Unschuldigen dargebrachte Sühneopfer auf einen transzendentalen Neustand. Die historisch v.a. von Kommunisten und Partisanen geleistete Resistenza wird dabei jedoch nicht nur vermittels eines inszenierten Gottesbeweises ästhetisch überholt, sondern vor allem im Sinne der christlichen Geschichtstypologie durch das sakrifizielle Heilsmodell abgelöst. Als Schlüsselbegriff des christlichen Geschichtsverständnisses geht die Typologie bekanntermaßen auf die Bibelexegese der Kirchenväter zurück, der zufolge die Geschehnisse im Alten und Neuen Testament in einem Verhältnis von Verheißung zu Erfüllung zueinander stehen. Die Personen und Ereignisse des Alten Testaments werden also als 'Typen' oder figurae gelesen, die auf ihre jeweiligen Entsprechungen – 'Antitypen' oder implementa – im Neuen Testament verweisen (vgl. Auerbach 1967). In Roma, città aperta kommt diese typologische Denkfigur vor allem an dem Verhältnis des Widerstandskämpfers und des Priesters zum Tragen, deren jeweilige Tode aufeinander folgen, bevor der Film schließlich in den Trauermarsch der Jugendlichen vor dem Petersdom einmündet. Dem Schlußbild kommt hier die Funktion der Exegese zu, wirkt es doch auf die vorausgegangenen Ereignisse zurück und legt so deren sensus allegoricus bloß, wonach der Tod des Widerstandskämpfers auf das Sühneopfer des Pater Pietro vorverweist.




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Dem durch die Erzählchronologie andeuteten, typologischen Verhältnis zwischen Widerstandskampf und Sühneopfer liegt nun eine doppelte Verweisstruktur zugrunde, auf deren Etablierung der Film von Anfang an hinarbeitet. Auf der Figurenebene werden der Widerstandskämpfer und Pater Pietro im Sinne von Typus und Antitypus in ein sowohl analogisches als auch antithetisches Verhältnis gesetzt. Die Analogie entsteht dadurch, daß beide Figuren als christliche Märtyrer modelliert werden. Im Hinblick auf die Opfersemantik stehen sie dennoch antithetisch zueinander, denn im Gegensatz zu Pater Pietro stellt der Widerstandskämpfer kein unschuldiges Opfer dar, sondern weist eine symbolische 'Unreinheit' auf. Parallel zu einer derartigen Figurenkonstellation ergibt sich in thematischer Hinsicht eine ebenfalls typologisch lesbare Doppelsetzung: Einerseits wird die Resistenza christlich, d.h. vom aktiven zum leidenden Widerstand, umgedeutet andererseits kommt der Widerstandskampf – vermittels der Metapher des unreinen, abnormen Körpers – als ein politischer Ausnahmezustand zur Darstellung, der allein durch das Sühneopfer aufgehoben werden kann.

Zur Beleuchtung dieses komplexen Sachverhalts bietet sich die Figur des Widerstandkämpfers als Ausgangspunkt an. Diesem eignet eine palimpsestartige Identität, in der sich bei näherem Hinsehen bereits eine programmatische Umdeutung der Resistenza zur erkennen gibt. Rossellinis Widerstandskämpfer besitzt nämlich nacheinander insgesamt drei Namen. Zunächst tritt er als Mitglied des Comitato di Liberazione Nazionale (CLN) unter dem Namen Giorgio Manfredi auf. Wenig später wird er von Hauptmann Bergmann als Luigi Ferraris, ein wegen Verschwörung gegen den Staat in absentia verurteilter Kommunist, identifiziert. Durch einen von Pater Pietro besorgten falschen Ausweis erhält er schließlich einen zweiten Decknamen – Giovanni Episcopo –, den er bei seiner Verhaftung trägt und bis zu seinem Foltertod tragen wird (Bruni 2006: 99f.). Wie schon bei den anderen Figuren hat man es auch hier mit durchweg konnotationsreichen Namen zu tun. Der 'echte' Name Luigi Ferraris geht auf eine historische Person – einen italienischen Politikers aus dem 19. Jahrhundert – zurück (Seknadje-Askénazi 2000: 145) – die beiden noms de guerre sind dahingegen literarisch kodierte 'Kunstnamen'. Ersterer setzt sich aus Georg, dem Drachentöter aus der Legenda aurea und dem Titelhelden von Lord Byrons Versdrama Manfred (1817) zusammen. Bei letzterem liegt zuvörderst eine christliche Auslegung nahe, besteht er doch aus Giovanni, dem Namen des Täufers, und Episcopo, dem italienischen Wort für Bischof. Gleichwohl ist der literarische Ursprung nicht minder bemerkenswert, handelt sich dabei doch um den Titelhelden von Giovanni Episcopo (1891) – einer frühen Erzählung Gabriele D'Annunzios (vgl. Döge 2004).




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Liest man nun die drei Namen im Hinblick auf ihren sekundären Sinngehalt zusammen, so zeichnet sich darin eine semantische Verschiebung ab, die vom Politischen durch das Poetische ins Romaneske verläuft. Thematisch verweist der Namenswechsel beide Male auf eine Umdeutung des Widerstandskampfs – und zwar einmal durch eine romantische Verklärung, einmal durch eine christliche Neudefinition. Der erste Namenswechsel kennzeichnet den 'Identitätswandel' des Kommunisten von einem politischen Straftäter zu einem Widerstandskämpfer und spielt dabei auf ein zeitgeschichtliches Ereignis an: Am Vorabend der deutschen Okkupation schloß sich der Partito Comunista Italiana (PCI) mit den, unter Mussolini ebenfalls verbotenen, sozialistischen und liberalen Oppositionsparteien zu dem bereits erwähnten Comitato Di Liberazione Nazionale zusammen. Dieser bildete fortan den politischen Kern der Resistenza und nach dem Ende der Besatzung auch die Grundlage der ersten Nachkriegsregierung Italiens. Die Entstehung des CLN stellt dennoch nicht nur den Anfang der politischen Regeneration und Reorganisation des Landes dar, sondern bedeutet auch einen wesentlichen Wendepunkt für den antifaschistischen Widerstand, der ja von einem illegalen Kampf gegen den faschistischen Staat in einen legitimen Kampf gegen die Fremdherrscher übergegangen ist. Vor diesem Hintergrund scheint der Namenswechsel von Rossellinis Widerstandskämpfer umso signifikanter. Der Kommunist trägt ursprünglich den Namen eines historischen Politikers und mithin das Zeichen des Politischen. Daß 'Luigi Ferraris' im Film nur noch als Photo in den Akten der Gestapo auftaucht, kann demnach in dem Sinne gedeutet werden, daß mit dem alten Namen auch die politische Vergangenheit des antifaschistischen Widerstandes gewissermaßen ad acta gelegt wird. Der Wandel von einem politischen zu einem patriotischen Kampf wird bei Rossellini auf poetische Weise registriert. Der Funktionär des CLN bekommt ein legendär-heroisch klingendes Pseudonym, das der Resistenza die Aura einer romantischen Rebellion, damit aber auch den Charakter des Uneigentlichen verleiht.

Bei dem zweiten Namenswechsel des Widerstandskämpfers geht eine Modellierung der Figur als christlicher Märtyrer mit einer Neudefinition der Resistenza als leidendem Widerstand einher. Der Umdeutungsprozeß läßt sich im Hinblick auf die theatralische Vermittlung, die narrative Struktur und die Bildrhetorik beschreiben. Anders als der erste, elliptisch erzählte Namenswechsel des Widerstandskämpfers wird sein abermaliger Identitätswandel auf der Ebene der theatralischen Kommunikation sichtbar gemacht. Dies geschieht durch ein komisches Moment, das in die Szene der Paß-Übergabe eingelassen ist. Als Pater Pietro dem Widerstandskämpfer den Paß aushändigt, liest dieser sein neues Pseudonym langsam vor und gibt dazu folgenden Kommentar ab: "Giovanni Episcopo. M'ha ringiovinato di due anni. Grazie". Die Situationskomik rührt vorderhand von der falschen Einschätzung des Alters her. Als theatralisches Mittel erfüllt jedoch das Komische die Funktion, das Publikum auf die Diskrepanz zwischen dem Zeichen – einem vom christlichen Sinn 'erfüllten' Namen – und dem Bezeichneten – einem Kommunisten und Atheisten – und mithin auf die ideologische Implikation des Namenswechsels aufmerksam zu machen. Das Vorlesen der Namen kann dadurch als die Bestätigung des performativen Charakters der Paßübergabe verstanden werden: Im Modus des Komischen wird die Erfindung des falschen Namens durch Pater Pietro als eine 'Taufe' angedeutet, die semantisch auf den christlichen 'Wandel' des Widerstandskämpfers zielt.




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Die darauffolgende Konfiguration des Märtyrers kommt zunächst auf der Ebene der narrativen Struktur zum Tragen. Hierzu erweist sich der Handlungsaufbau des letzten Filmdrittels als überaus aufschlußreich. Mit den falschen Papieren versucht der Widerstandskämpfer, aus Rom zu fliehen, gerät dabei jedoch in die Hände der Gestapo und wird in deren Folterkammer zu Tode gemartert. Eine derartige Peripetie hat insofern eine thematische Bedeutung, als sich darin ein Umschlag von der Flucht zur Konfrontation vollzieht und damit jener erzählstrukturelle Wandel zum Tragen kommt, der – wie ich bereits in Bezug auf die Widerstandsemantik der Hinrichtung des Priesters dargelegt habe – für die Sinnkonstitution des leidenden Widerstands im Okkupationssujet wesentlich ist. Bei Rossellinis Widerstandskämpfer hängt der Umschlag von aktiver Flucht zu passivem Widerstand mit dem Namenswechsel zusammen. Giorgio Manfredi ist seit seinem ersten Auftritt, bei dem er durch das Dachfenster einen fernen Blick auf die deutschen Soldaten geworfen hat, dem Besatzer nicht näher gekommen.5 Direkt gegenüber tritt er den Deutschen erst, als er mit falschem Paß verhaftet wird. Wenn er beim Verhör Hauptmann Bergmann versichert, sein Name sei Giovanni Episcopo, so läßt sich das – in der dramatischen Situation zweifellos taktische – Bekenntnis zur christlichen Identität durchaus programmatisch lesen. Nach der fehlgeschlagenen Fluchtaktion muß er seine Identität als Giorgio Manfredi, die ja für den aktiven Widerstand gebürgt hatte, aufgeben und eine neue Identität im Zeichen des passiven Widerstandes annehmen. Die bereits oben angesprochene religiöse Dimension des Namens wird noch durch dessen fingierten Beruf unterstrichen. Wenn nämlich Giovanni Episcopo, wie es heißt, mit heiligem Öl und Meßwein handelt (Gottlieb 2004: 17), dann schafft er durch diese Beibringung erst die Grundlage dafür, daß der Priester die Messe zelebrieren kann. So gewendet wäre der falsche Episcopo also schon von Berufs wegen ein Zulieferer, dessen Werk der christlichen Vollendung der Resistenza Vorschub leistet. Nimmt man hier noch die christologische Dimension Pater Pietros hinzu, so kommt dem falschen Vornamen darüber hinaus auch eine typologische Funktion zu; denn ebenso wie Johannes der Täufer den Heiland ankündigt, verweist der Tod des Giovanni Episcopo auf das heilspendende Liebesopfer des Pater Pietro.

Die solchermaßen semantisch etablierte christliche (Be-)Deutung der Resistenza wird auf der Vermittlungsebene schließlich durch ikonographisch kodierte Einstellungen zum Ausdruck gebracht. Am auffälligsten ist dabei die bekannte Folterszene, in der der mit beiden Armen an die Wand gefesselte Widerstandskämpfer ausgepeitscht und mit einem Flammenwerfer malträtiert wird. In einer besonders aussagekräftigen Einstellung wird die rechte Bildhälfte von dem dunklen Rücken eines deutschen Soldaten ausgefüllt, die linke Bildhälfte hingegen von dem hell beleuchteten Körper des Widerstandskämpfers besetzt, dessen Erscheinungsbild dem am Kreuz sterbenden Christus nachempfunden ist.




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Diese Einstellung steht zwischen zwei weiteren, ebenfalls von der christlichen Ikonographie geprägten Einstellungen. Bei ersterer handelt sich um die Trauerszene nach Pinas Erschießung. Dort hält Pater Pietro die tot auf dem Boden liegende Pina dergestalt in den Armen, daß die Aufstellung der beiden Figuren ein Andachtsbild nach Art der Pietà aufruft.




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Die dritte Einstellung schließt sich an die Folterszene an: Pater Pietro kniet vor dem Folterstuhl und hält seine Hände in Gebetshaltung, um den dort zu Tode gequälten Widerstandskämpfer zu segnen.

Mit ihren jeweiligen Leitmotiven Trauer, Leiden und Weihe bilden die drei ikonographisch kodierten Einstellungen gewissermaßen ein filmisches Triptychon. Dem religiösen Bildprogramm entsprechend gipfelt dabei der thematische Höhepunkt in der 'Mitteltafel', dort also, wo der leidende Widerstandskämpfer – gleichsam ein Emblem der christlichen Resistenza – kraft einer imitatio Christi der 'dunklen' Macht des Besatzers standhält.

Wird dem Leiden des Widerstandskämpfers auf diese Weise der Sinn des christlichen Widerstands zugeschrieben, so steht sein Foltertod in deutlicher Analogie zur Hinrichtung von Pater Pietro. Daß zwischen den beiden Märtyrertoden dennoch ein wesentlicher Unterschied besteht, macht Rossellini durch eine kontrastreiche Bildsprache sichtbar. Läßt er zunächst den Widerstandskämpfer vermittels einer spektakulären Körperinszenierung als eine figura Christi erscheinen, so verzichtet er im Gegenzug bei der Inszenierung von Pater Pietros Hinrichtung auf jegliche religiöse Bildanspielung. Die Gegensätzlichkeit hinsichtlich der Bildrhetorik geht mit der antithetischen Körpersemantik der Figuren einher. Während Pater Pietro als unschuldiges Opfer keines bildlichen Hinweises auf das Sakrale bedarf, fallen bei der Darstellung des leidenden Widerstandskämpfers die Überdeterminierung der religiösen Sinndimension und die Symbolik des Unreinen zusammen. Bemerkenswert erscheint mir an dieser Stelle die bildlich suggerierte Parallele zwischen dem Widerstandskämpfer und Pina. Letztere wird ebenfalls in die Nähe einer figura Christi gerückt, als ihr lebloser Leib in der Trauerszene genau jene Position einnimmt, die in der Ikonographie der Pietà dem Leib Christi vorbehalten ist. Daß die Körper der Pina und des Widerstandskämpfers gleichermaßen auf den corpus Christi verweist, erklärt sich vorderhand durch den gemeinsamen Opfercharakter der beiden, von den NS-Besatzern getöteten Figuren. Wenn aber in zwei verschiedenen Einstellungen gezeigt wird, wie Pater Pietro jeweils vor der toten Pina und dem toten Widerstandskämpfer die Geste der Trauer bzw. der Segnung vollzieht, so verweisen die toten Körper der beiden Figuren ebenfalls paradigmatisch aufeinander. Was Pinas Körper bedeutet, weiß man, seit sie vor Pater Pietro auf ihren aufgequollenen Bauch als Zeichen der Sünde gezeigt hat.




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Paradigmatisch hierzu steht dann auch der nackte Körper des Widerstandskämpfers. Auch ihm eignet eine Symbolik des Unreinen – dies jedoch nicht mehr im Hinblick auf den moralischen Verfall, sondern hinsichtlich der politischen Krise. Ein weiteres Mal erweist sich das Spiel mit den Namen hier als aufschlußreich. Mit dem Decknamen Giovanni Episcopo wird Gabriele D'Annunzio und damit ein in den Faschismus verstrickter Autor zitiert. Ob ein solcher Kunstgriff als ein autoreflexiver Kommentar des Regisseurs gelesen werden will, dessen Filmkarriere bekanntermaßen mit einer faschistischen Trilogie begonnen hat (vgl. Bondanella 2004), mag dahingestellt bleiben. Weitaus signifikanter scheint mir die widersprüchliche Identitätszuweisung in Bezug auf die Figur des Kommunisten und das insofern, als so der anfängliche Antifaschist mit einem faschistisch konnotierten Namen überschrieben wird. Als Strategie der Figurencharakterisierung dienen die antinomischen Identitätsmerkmale dazu, den Widerstandskämpfer als Zeichen des politischen Konflikts zu setzen. Eben hierdurch wird er auch zur Komplementärfigur der Pina: Während die schwangere Witwe emblematisch für den sündhaften römischen Volkskörper steht, versinnbildlicht der Widerstandskämpfer das von radikalen Gegensätzen gekennzeichnete, unreine corpus politicum Italiens.

Die von Pina und dem Widerstandkämpfer getragene Körpersymbolik läßt sich damit auch auf die Widerstandsthematik selbst beziehen. Hierbei gilt es freilich, auch die dritte, körperlich gezeichnete Figur in Roma, città aperta – den hinkenden Romoletto – in die Überlegungen mit einzubeziehen. Alle drei Figuren verweisen metonymisch auf den gewaltsamen Widerstandskampf. Während der Widerstandskämpfer die politisch organisierte Resistenza repräsentiert, verkörpert Pina, als die einzige Figur im Film, die sich handgreiflich gegen die Besatzer wehrt, zusammen mit dem kleinen Saboteur die spontane Rebellion des unterworfenen Volkes. Werden sie allesamt im Hinblick auf ihren anormalen Körperzustand – Nacktheit, Schwangerschaft, Köperbehinderung – in Szene gesetzt, so scheinen sie den Widerstandskampf als einen physischen Ausnahmezustand zu verkörpern.6 Daß eine derart ausgeprägte Körpermetaphorik ihren ersten Sinn in einem politischen Ausnahmezustand hat, erklärt sich im Hinblick auf die historische Komplexität der Resistenza. Den geschichtlichen Hintergrund bildet die Lage Italiens als geteiltes Land. Italien hatte während der deutschen Okkupation zwei Regierungen. Einerseits bestand die von Rom geflüchtete Regierung Badoglios weiterhin unter dem Schutz der Alliierten fort andererseits hatte der durch den deutschen Handstreich befreite Mussolini eine Gegenregierung, die Repubblica Sociale Italiana (Republik von Salò), gegründet. Aufgrund dieser politischen Spaltung bezog der Widerstandskampf eine doppelte Frontstellung, die sich sowohl gegen einen 'äußeren' Feind, d.h. die NS-Besatzer, als auch gegen einen 'inneren' Feind, also die Faschisten innerhalb des Landes (Collotti 1996: 239) ausrichtete. Dies hatte zur Folge, daß bei der Widerstandsbewegung auch unterschiedliche, innerpolitische Konflikte auf gewaltsame Weise zur Austragung kamen. So wurde nicht nur der alte Kampf der Antifaschisten unter der Hand fortgeführt. Auch nahmen ideologisch heterogene Gruppierungen an der Widerstandsbewegung teil, was dazu führte, daß sich diese politisch zunächst pluralisierte und dann polarisierte. Der Partisanenkampf artete dadurch immer mehr in einen Bürgerkrieg aus – eine Situation, die den Italienern bis heute in traumatischer Erinnerung geblieben ist (Colloti 1996: 239).




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Die Verquickung von nationaler Befreiung und Bürgerkrieg, der die Widerstandsbewegung in ihrer geschichtlichen Entwicklung anheimfällt, macht die Resistenza zu einem prekären Gründungsmoment des Nachkriegsitalien. Auf ihre auch nach innen gerichtete Gründungsgewalt scheint Rossellini mit der Figur des kleinen Saboteurs anzuspielen, in dessen onomastischer Bindung an Romulus der Zusammenhang von Gründungsakt und Brudermord implizit zur Sprache kommt. Die im heidnischen Mythos artikulierte historische Problematik wird in der christlichen Überschreibung der Okkupationsgeschichte imaginär bewältigt: Der Widerstandskampf wird zunächst in einen passiven Widerstand umgewandelt und dann in religiös überdeterminierten Bildern ästhetisch stillgestellt. Folgt darauf das eigentliche, heilsame Opfer des Priesters, so wird das unreine Opfer des Widerstandskämpfers von einer direkten Kausalität zur nationalen Neugründung entbunden. Das interessante an dieser imaginären Bewältigung ist aber, daß Rossellini bzw. die Co-Autoren Sergio Amidei und Federico Fellini hier das Moment hin zu einer christlichen Überformung keineswegs verschleiern, sondern es in der Namensverschiebung des Widerstandskämpfers vom heroischen Manfredi zum braven Meßweinzulieferer gerade offen ausstellen. Die Autoren leisten damit eine Bewältigung der historischen Aporie und zugleich deren metapoetische Reflexion. Das heißt aber nicht, daß Rossellini sein Narrativ ins Uneigentliche der Ironie herabsenken möchte, nein, es scheint vielmehr so, daß er dieser Reflexion bedarf, um den seiner historischen Virulenz entschlagenen Kommunisten dienstbar zu machen für eine Aufhebung des tatsächlichen Konflikts in der erbaulichen Figur des priesterlichen Märtyreropfers. Sei es prämonitorisch, sei es kraft ebendieses Narrativs – auf diese Weise entwirft Rossellini am Ende des zweiten Weltkriegs ein Nachkriegsitalien, das, wie man weiß, wesentlich von der Democrazia cristiana geprägt sein wird. Die Schlußfügung des Films ist daher umso eindringlicher: ein kleiner, hinkender Romoletto marschiert Seit an Seit mit jenem 'großen' Bruder, in dessen Namen Marcello die Wiederherstellung christlicher Organisationsprinzipien auf italienischem Boden seine semantische Engfügung findet. In diesem Sinne ist Roma, città aperta auch ein Gründungsmythos – ein Gründungsmythos, der sich selbst im Medium des Films spiegelt, und der sich doch als das Produkt des leidenden Widerstands zu bewahren weiß.


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Anmerkungen

* Eine leicht veränderte Fassung des Artikels erscheint demnächst in: Le Dieu caché: Lectura Christiana des europäischen Nachkriegskinos, hrsg. v. Uta Felten u. Stephan Leopold, Tübingen: Stauffenburg.

1 Nicht uninteressant in diesem Zusammenhang ist der Umstand, daß Hauptmann Bergmann von einem homosexuellen Tanzsaalentertainer österreichischer Herkunft namens Harry Feist gespielt wird. Vgl. Bondanella (2004: 61), Rogin (2004: 132).

2 Nimmt man Lauretta, Pinas junge Schwester, hinzu, so stellt man fest, daß alle drei mit Namen versehenen italienischen Frauenfiguren in Roma, città aperta durch einen sündhaften Körper belastet sind. Lauretta, die sich mit den deutschen Soldaten einläßt, ist die unreife Version der durch und durch verdorbenen Marina. Vgl. dazu Landy (2004: 95).

3 Bei Rossellini kann die kirchliche Trauung einer schwangeren Witwe freilich nicht zustande kommen. Pina muß vor der Hochzeit erschossen werden. Der gottesfürchtigen Sünderin wird damit – ganz im Sinne von Pater Pietros "bene morire" – ein Tod als Opfer der Besatzungsmacht gewährt.

4 Eine ähnliche Analogie findet sich in Germania, anno zero (1948), wo der Anführer der Werwölfe wiederum deutlich homosexuell kodiert ist. Der Film ist allerdings insofern die Umkehrung von Roma, città aperta, als dort Rossellini das 'gefallene' Berlin nach Kriegsende in den Blick nimmt, die Wiederauferstehungssemantik jedoch tilgt: Während in Roma, città aperta also am Ende die Jugendlichen in eine neue Zukunft marschieren, wird sich in Germania, anno zero der von seinem homosexuellen Mentor zum Vatermord verführte Edmund von einem ausgebombten Haus in den Tod stürzen.

5 Es sei die einzige Darstellung des bewaffneten Widerstandskampfs im Film erwähnt: Eine Gruppe von Partisanen, darunter Manfredi greifen den Gefangenentransport an und retten dabei gleichsam Deus ex machina Francesco. Der Partisanenkampf führt allerdings keine positive Änderung herbei, vielmehr folgt darauf der Beginn des Verrats, als Francesco und Manfredi, die weiterhin in der Stadt gefangen blieben, nun bei Marina Unterschlupf suchen.

6 Mit dem Widerstandskampf ist hier der bewaffnete Widerstand gemeint. In Roma, città aperta kommen auch friedliche Widerstandsaktivitäten zur Darstellung. So hilft Pater Pietro etwa beim Geldschmuggel und fälscht selbst Ausweise; der Drucker Francesco arbeitet für die Untergrundpresse. Die gewaltlose Untergrundbewegung wird dadurch als positiver Gegenentwurf zum bewaffneten Widerstand gekennzeichnet, daß deren Repräsentanten – Pater Pietro und Francesco – beide Heiligennamen tragen. Für eine Lektüre des Films im Hinblick auf die römische Widerstandsgeschichte vgl. Rogin (2004).