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Yvonne Stork (Düsseldorf)



Richard Waltereit (2006): Abtönung. Zur Pragmatik und historischen Semantik von Modalpartikeln und ihren funktionalen Äquivalenten in romanischen Sprachen. Tübingen: Niemeyer. (= Beihefte zur Zeitschrift für Romanische Philologie, 338)



Im etwas sperrig wirkenden Untertitel der Monographie von Richard Waltereit klingt bereits an, daß das facettenreiche Phänomen der Abtönung in dieser Arbeit aus einer sehr umfassenden Perspektive beleuchtet wird. Waltereit betrachtet Abtönung als eine universale pragmatische Sprachfunktion, die in Sprachen, die nicht oder nur in sehr eingeschränktem Maße über Modalpartikeln verfügen, von anderen sprachlichen Mitteln übernommen wird. Anhand von Beispielen aus den Bereichen Wortbildung, Syntax und Prosodie zeigt der Autor überzeugend auf, daß die romanischen Sprachen in dieser Hinsicht über einen breiten Fächer an Ausdrucksmöglichkeiten verfügen.

Die Arbeit, bei der es sich um die Habilitationsschrift Waltereits handelt, besteht aus sieben Kapiteln und einem kurzen Rückblick (191–193). Im ersten (und längsten) Kapitel, "Einleitung: Modalpartikeln, Abtönungspartikeln, Abtönung" (1–37), präsentiert der Verfasser detailliert die theoretischen Grundlagen seiner Arbeit. Er stellt zwei universalistisch begründete Theorien der Abtönung vor, die seiner Ansicht nach für eine "pragmatische Charakterisierung von Abtönung" (21) geeignet sind und beide der Tatsache Rechnung tragen, daß Abtönung nicht nur in Form von Partikeln erfolgen kann. Die erste Theorie stammt von Koch/Oesterreicher und ist im Umfeld der Forschungen im Bereich Mündlichkeit und Schriftlichkeit entstanden. Ihr zufolge ist Abtönung eine illokutionäre Operation, die eine Modifizierung des Sprechaktes bewirkt. Die andere Theorie geht auf König/Requardt zurück. Sie fassen Modalpartikeln als "metapragmatische Instruktionen" auf, die dem Hörer helfen, für die betreffende Äußerung einen passenden Kontext zu suchen, in dem die Äußerung "die meisten kontextuellen Effekte hat und somit maximal relevant ist" (König 1997: 71; vgl. auch Koch/Oesterreicher 1990). Dieser Ansatz bindet also an die auf Sperber/Wilson zurückgehende Relevanztheorie an. Da dem Verfasser die Theorie von König/Requardt noch nicht genügend ausgefeilt erscheint und zudem seines Erachtens die Unterschiede zwischen Modalpartikeln und argumentativen Konnektoren wie aber oder übrigens noch nicht genügend herausgearbeitet worden sind, entscheidet er sich für den Ansatz von Koch/Oesterreicher und versteht Abtönung demzufolge als illokutionäre Operation, die den Sprechakt modifiziert. Der Sprechakt ist "zunächst ein sprachlich vollzogener Handlungszug in einem Aktivitätstyp bzw. einer Diskurstradition" (37); konversationelle Implikaturen stellen eine Verbindung zwischen Sätzen und Sprechakten her.




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Im Anschluß an diese einleitenden Überlegungen präsentiert Waltereit im zweiten Kapitel, "Was ist Abtönung? Zur dt. Partikel ja" (39–73), anhand der deutschen Partikel ja ein Abtönungsmodell, das nicht auf die Wortart Partikel beschränkt ist. Sieht man von ja als Modalpartikel ab, lassen sich die Funktionen von ja zwei Gruppen zuordnen. Fungiert ja als Antwortpartikel, als Bestätigungspartikel, als Annahme eines direktiven Sprechaktes oder als bestätigungseinholende Partikel, dann bezieht sich ja auf Redeinhalte. Wenn ja dagegen Kontaktsignal, Framer, hesitation phenomenon oder Reparaturmarker ist, dann nimmt ja Bezug auf die Struktur des Diskurses. Subsumierend spricht Waltereit von ja als Antwort- bzw. Bestätigungspartikel, als Diskurspartikel und als Modalpartikel. Während die syntaktische Position der Modalpartikeln nach satzgrammatischen Prinzipien bestimmt werden kann, richtet sich die Position der Antwort- bzw. Bestätigungspartikeln sowie der Diskurspartikeln nach Kriterien der Diskursstruktur. Gerade in neueren Arbeiten wird vielfach versucht, einen gemeinsamen Grundwert aller Verwendungen von ja herauszuschälen, doch dieses Unterfangen scheint dem Verfasser nicht sinnvoll.

Das Abtönungsmodell Waltereits basiert auf zwei Hypothesen. Einen Vorschlag von Hansen aufgreifend, zieht er Givóns Modalitätskonzeption (vgl. Givón 1995) für seine Analyse der Abtönungsformen heran und versteht Abtönung – dies die erste Hypothese – als "Antizipation der Hörerreaktion" (46). Abtönungsformen signalisieren, welche Reaktion der Sprecher erwartet und wie er diese Reaktion rechtfertigt. Sie sorgen für neue Implikaturen, die bewirken, dass der Satz besser in den Kontext passt. Die zweite Hypothese besagt, dass es die Funktion einer Abtönungsform ist, "eine typische Situation des Gebrauchs ihres nicht-modalen Gegenstücks zu evozieren". Das "Einverständnis zwischen Sprecher und Hörer über eine bestimmte Proposition wird durch die Modalpartikel vorausgesetzt und durch die Antwort- bzw. Bestätigungspartikel performativ hergestellt" (52f.). Mit evozieren meint der Verfasser, daß es in diachroner Hinsicht eine Verbindung zwischen der Modalpartikel und ihrem nicht-modalen Pendant gibt. Im Fall von ja ist der Zusammenhang insofern untypisch, als es sich bei der Modalpartikel ja vermutlich, so Waltereit unter Berufung auf Hermann Paul, um eine volksetymologische Reinterpetation der Modalpartikel je (die ihrerseits auf das Adverb je 'immer' zurückgeht) handelt.

In Kapitel 3 wendet der Verfasser sein Modell auf "Die französische Partikel quand même" an (75–108). Waltereit zeigt auf, daß die Verwendung von quand même als Partikel – hier knüpft er an die Grammatikalisierungstheorie von Detges (vgl. Detges 2001) an – zurückzuführen ist auf den strategischen Gebrauch des Adverbs quand même. Als Partikel modifiziert quand même Affirmationen hinsichtlich der erwartbaren Hörerreaktion, dergestalt, daß die Erwartungen an eventuelle Einwände des Hörers im Vergleich zu entsprechenden Affirmationen ohne quand même gesteigert werden. Die Partikel evoziert somit eine typische Verwendungssituation des konzessiven Adverbs. Während aber bei dem konzessiven Adverb quand même die "markierte Kookkurrenz" (76) zweier Sachverhalte im Vordergrund steht und die diskursive Hervorhebung des Sprechaktes von nachgeordneter Bedeutung ist, geht es bei quand même als Partikel vorrangig um die diskursive Hervorhebung des Sprechaktes. Die Unterschiede zwischen Adverb- und Partikel-Lesart spiegeln sich in der Stellung im Satz wider. Als Adverb steht quand même am Satzende, also in einer Fokusposition; als Partikel befindet es sich nicht mehr in einer Fokusposition, da hier ja nicht der Inhalt von quand même im Vordergrund steht.




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Wie hat man sich die Entstehung der Abtönungsform nun konkret vorzustellen? Der erste Schritt ist der abusive Gebrauch einer Form durch den Sprecher. Vermeintlich spricht dieser primär von der markierten Kookkurrenz zweier Sachverhalte, tatsächlich aber steht für den Sprecher die diskursive Hervorhebung der eigenen Rede im Vordergrund. Der zweite Schritt – und erst wenn dieser erfolgt, liegt Sprachwandel vor – besteht darin, daß der Hörer den abusiven Gebrauch einer Form durch den Sprecher erkennt und die Form als Abtönungsform reanalysiert, deren Funktion es ist, die Äußerung des Sprechers hervorzuheben, "indem ein Gegensatz zu einer anderen (wenn auch impliziten) Proposition suggeriert wird" (98). Da der abtönende Effekt von quand même im Prinzip für jeden Sprecher attraktiv ist, steht zu vermuten, daß der abtönende Gebrauch von quand même zunimmt. Je häufiger aber quand même abtönend verwendet wird, desto mehr verblaßt natürlich die abtönende Wirkung.

In den Kapiteln 4 bis 6 appliziert der Verfasser sein Modell für Abtönung, wie eingangs erwähnt, auf verschiedene Phänomene aus den Bereichen Wortbildung, Prosodie und Syntax. Kapitel 4 dreht sich um die "Diminutive im Portugiesischen" (109–127), in Kapitel 5 geht es um "Prosodische Abtönung" (129–150), und das 6. Kapitel beschäftigt sich mit der "Rechtsversetzung im Italienischen" (151–175). Exemplarisch werde ich das vierte Kapitel vorstellen.

Der Verfasser weist darauf hin, daß er nicht der erste ist, der Diminutive als Abtönungsverfahren bezeichnet. Vielversprechend scheint ihm der Ansatz von Dressler/Merlini Barbaresi (1994), die neben einer minorativen Funktion des Diminutivs zwei affektive Funktionen ansetzen, und zwar eine referentenbezogene und eine sprechaktbezogene. Sie gehen aus von "(i) der [...] Funktion 'klein'; (ii) der [...] Funktion 'niedlich', 'schutzbedürftig'; (iii) der [...] Funktion 'unernste Sprechsituation'" (118). Wie hängen nun die Funktionen 'klein' und 'niedlich' mit der Funktion 'unernste Sprechsituation' zusammen? Oder, anders formuliert: Wie entwickelt sich die Funktion 'unernste Sprechsituation' aus den beiden anderen Funktionen? Waltereit geht nämlich davon aus, daß die Funktion 'klein'/'niedlich' früher als die Funktion [nicht-ernst] ausgebildet wurde (hierüber herrscht in der Forschung keine Einigkeit). Laut Waltereit und Dressler/Merlini Barbaresi muß man diesbezüglich zwei Dinge unterscheiden. Zum einen kann das Sprechen mit Kindern, weil diese "klein, niedlich und schutzbedürftig" sind, "als eine per se unernste Situation gesehen werden" (120). Dressler/Merlini Barbaresi zufolge sind kinder-zentrierte Sprechsituationen zugleich nicht-ernste Sprechsituationen, weil Kinder in vielen Gesellschaften nicht die volle Verantwortung für ihr Handeln übernähmen und es oft um "verspielte" Situationen gehe. Der andere Aspekt ist, daß beim Sprechen mit Kindern häufig minorative Diminutive benutzt werden. "Weil also in einer bestimmten Sprechsituation eine bestimmte Form häufig vorkommt, die eigentlich eine ganz andere Bedeutung hat (der minorative Diminutiv), wird diese Form irgendwann auch zum Index für den Situationstyp des Sprechens mit Kindern" (120).




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Im Unterschied zu Dressler/Merlini Barbaresi, die von einer metaphorischen Beziehung zwischen minorativer und affektiver Funktion sprechen, geht Waltereit von einer metonymischen Relation aus, da die Beziehung zwischen klein und unernsten Situationen seiner Ansicht nach auf erfahrungsmäßiger Nähe beruht. Waltereits Argumentation überzeugt, ist allerdings nicht neu. Mutz kritisiert in ihrer Doktorarbeit zu Modifikationssuffixen im Italienischen ebenfalls Dressler/Merlini Barbaresis Deutung und vertritt – wie Waltereit – die Auffassung, daß die Diminutivsuffixe als "indexikalische Marker" fungieren, "die die interpersonale vertraute Beziehung zwischen den Kommunikationspartnern aufzeigen", es sich also um eine metonymische Beziehung handelt (Mutz 2000: 40). Waltereits conjectural history zufolge stellen die Sprecher irgendwann fest, daß Diminutive gerade in unernsthaften Sprechakten sehr häufig vorkommen. Die abtönende Funktion [nicht-ernst] beginnt sich bei der Form -inho herauszubilden, wenn ein Sprecher einen Referenten mit dem Diminutiv belegt, der weder klein noch niedlich ist, sondern der Sprecher vielmehr beabsichtigt, mit dem Diminutiv die "Unernsthaftigkeit der Situation" zu evozieren. Von Sprachwandel kann man natürlich erst dann sprechen, wenn der Hörer diese Verwendung des Diminutivs durchschaut. Da sich das Suffix als Abtönungsform auf den gesamten Sprechakt bezieht, können in dieser Verwendung des Suffixes auch andere Wortarten, etwa Adverbien, mit einem Diminutiv versehen werden. Da es für den Sprecher durchaus von Vorteil ist, von der "kommunikativen Regreßpflicht für seine Sprechakte zumindest teilweise" (116) entbunden zu sein, erfreut sich der abtönende Gebrauch von Diminutiven großer Beliebtheit. Ähnlich wie bei quand même führt auch bei -inho die häufige Verwendung als Abtönungsform dazu, daß die abtönende Wirkung, der pragmatische Effekt der "'Nichternstheit'" schwächer wird.

Im 7. Kapitel, "Abtönung in Abgrenzung zu anderen pragmatischen Kategorien" (177–189), legt der Verfasser überzeugend dar, wie sich Abtönung von den Kategorien Abschwächung und Höflichkeit unterscheidet. Abtönung kann laut Waltereit nicht nur als eine Strategie der Höflichkeit, sondern unter Umständen auch als eine Strategie der Unhöflichkeit fungieren. Außerdem setzten Höflichkeitsstrategien und Abtönungsverfahren an unterschiedlicher Stelle an, da erstere das Sprecher-Hörer-Verhältnis direkt beträfen, Abtönungsverfahren dagegen die Beziehung eines Sprechaktes zu seinem Kontext. Abschwächung grenzt sich Waltereit zufolge dadurch von Abtönung ab, daß sie "immer eine Reduktion der illokutionären Kraft eines Sprechaktes" ist (188). Die primäre Funktion von Abtönung besteht dagegen darin, die Modalität des Sprechaktes zu verändern. Daneben kann Abtönung in der Tat eine Abschwächung der illokutionären Kraft bewirken, in bestimmten Fällen verstärkt sie aber gerade auch die illokutionäre Kraft eines Sprechaktes.




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Waltereits Monographie ist eine gleichermaßen spannende wie überzeugende Arbeit. Seine Argumentation ist klar, ausbalanciert und souverän. Zu den verschiedenen Phänomenen aus den Bereichen Wortbildung, Prosodie und Syntax, auf die er das Abtönungsmodell appliziert, gibt es bereits einschlägige Studien, deren Grundausrichtung der von Waltereit entspricht, insofern als hier wie dort die betreffenden Verfahren als Abtönungsverfahren dargestellt werden. Diese Parallelen werden vom Autor auch gar nicht verschwiegen. Neu bei ihm – und deshalb wäre es grundfalsch, ihm Eklektizismus vorzuwerfen – ist, daß er eine Erklärung liefert, wie sich die abtönende Wirkung bei den verschiedenen Phänomenen entfaltet und daß er darüber hinaus aufzeigt, inwiefern es Übereinstimmungen zwischen diesen Verfahren einerseits und den deutschen Modalpartikeln andererseits gibt. Waltereit schlägt mit ausgeprägter Umsicht einen großen Bogen, verknüpft die verschiedenen Bereiche und fügt sie organisch zu einem Ganzen zusammen.



Bibliographie

Detges, Ulrich (2001): Grammatikalisierung. Eine kognitiv-pragmatische Theorie. Habilitationsschrift Universität Tübingen.

Dressler, Wolfgang U./Merlini Barbaresi, Lavinia (1994): Morphopragmatics. Diminutives and Intensifiers in Italian, German, and Other Languages. Berlin.

Givón, Talmy (1995): Functionalism and Grammar. Amsterdam.

Koch, Peter/Wulf Oesterreicher (1990): Gesprochene Sprache in der Romania: Französisch, Italienisch, Spanisch. Tübingen.

König, Ekkehard (1997): "Zur Bedeutung von Modalpartikeln im Deutschen: Ein Neuansatz im Rahmen der Relevanztheorie", in: Germanistische Linguistik 136, 57–75.

Mutz, Katrin (2000): Die italienischen Modifikationssuffixe. Synchronie und Diachronie. Frankfurt/M.