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Rolf Lohse (Göttingen)



Jan Siebert (2005): Flexible Figuren. Medienreflexive Komik im Zeichentrickfilm. Bielefeld: Aisthesis Verlag. (= Kulturen des Komischen, 2)



Diese Studie, die 2003 an der Universität Karlsruhe (TH) als Dissertation angenommen wurde, dient der "Erforschung einer speziellen Form der Konstruktion des Komischen" (9) im Zeichentrick- und Animationsfilm. Dieses Ziel wird präzisiert auf die Analyse von "filmisch erzeugten komischen Momenten, die infolge eines kurzen Aussetzens der Handlung die Bedingungen der eigenen Konstitution in den Vordergrund rücken und damit eine komikerzeugenden Inkongruenz schaffen" (9). "Der entscheidende Ausgangspunkt der [...] Arbeit besteht [...] darin, dass der komische Zeichentrickfilm eine Vielzahl seiner komischen Strategien aus der (körperlichen) Flexibilität seiner Figuren und deren Umgebungen bezieht, die [...] auf die Besonderheiten des Herstellungsprozesses zurückverweisen." (79)

Ins Zentrum seiner Studie stellt Siebert den Begriff der medialen Selbstreflexivität, der "sich auf ein Prinzip der produktiven Kollision differenter Wahrnehmungsebenen zurückführen" (9) läßt. Aus systematischen Gründen unterscheidet Siebert zwischen selbstreflexiven Strukturen, die sich allein auf das untersuchte Medium beziehen, und solchen, die sich aus intermedialen Zusammenhängen speisen. Diese Unterscheidung ist sinnvoll, weil auch die "komische Intermedialität [...] notwendigerweise selbstreflexiv" (234) ist, sich aber gut abgrenzen läßt von der Selbstreflexivität innerhalb eines Mediums.

Damit sind die Untersuchungsfelder der beiden Hauptkapitel 6 und 7 genannt, in denen die Quellen der Komik detailliert untersucht werden: Die unerwartete Offenlegung der Gestaltungsprinzipien des Zeichentrick- oder Animationsfilm und die dadurch mögliche innovative Ausgestaltung der Handlung durch "Inkongruenzen zu den Gesetzen des filmischen Realismus" (12) sowie die "intermediale Bezugnahme auf verwandte Bildmedien" (9) in Form von Anspielungen, Zitaten und Parodie. Die Untersuchung wird abgerundet durch die Analyse der Komik, die durch Abweichungen von und Inkongruenzen "zur Welt der physikalisch-biologischen Gesetze" (12, 61) generiert wird (Kapitel 5). Durch die Stufung und sukzessive Fokussierung der Analyse gelingt es Siebert, das umfangreiche Material auf eine übersichtliche Weise geordnet darzustellen– von allgemeinen Differenzen in den Darstellungsverfahren bis zu den speziellen intermedialen Relationen. Die Auswahl des Korpus – er analysiert Szenen aus ca. 100 Trickfilmen und Trickfilmserien und zitiert zum Vergleich ca. 50 konventionelle Spielfilme – ist durch den systematischen Ansatz der Arbeit und die Verfügbarkeit von Filmen bestimmt: Es umfaßt neben aktuellen Trickfilmen auch eine Reihe von Beispielen aus der frühen Trickfilmgeschichte und aus der Blütezeit der us-amerikanischen "Major Studios".




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Das zweite Kapitel "Phänomenologie des Zeichentrickfilms" (15–20) dient der Definition und Abgrenzung des (Zeichen-)Trickfilms vom '"Realfilm'". Mit diesem griffigen Terminus bezeichnet Siebert den konventionell hergestellten Spielfilm, der durch das Abfilmen von vorhandenen Dingen und Personen entsteht. Der Trick- oder auch Animationsfilm setzt zwar auch eine Aufzeichnungsapparatur voraus, das Dargestellte existiert aber nur als eine Reihe von Zeichnungen, die aufeinanderfolgende Momente der in Einzelphasen zerlegten Bewegungen der "Toons" (= der Zeichentrickfiguren, 135) enthalten, oder als (Computer-)Animation. Hinsichtlich der bisher vorliegenden Forschungsliteratur stellt Siebert heraus, daß sich erst seit ca. 1990 von einer fundierten akademischen Auseinandersetzung mit dem komischen Zeichentrickfilm sprechen läßt, insbesondere im Rahmen der 1988 gegründeten Society for Animation Studies.

Das dritte Kapitel ist der theoretischen Grundlegung des verwendeten Komikbegriffs gewidmet (21–40): Der Untersuchungsgegenstand Film legt es nahe, solche Ansätze zu privilegieren, "die zum einen das Komikverfahren als Prozess begreifen, der nach bestimmten strukturellen Mechanismen verfährt, und die zum anderen die konfliktreiche Konstrastierung zweier Ebenen beobachten, auf denen ein solcher Vorgang beruht" (21). Unter dieser Voraussetzung grenzt Siebert den Begriff des Komischen von dem des Lachens und des Humors ab. Mit Attardo (24) unterscheidet Siebert drei Großgruppen von Komiktheorien, die er jeweils präzise skizziert und kritisch würdigt. Die Überlegenheitstheorien (24 ff.) und Entlastungstheorien (28 ff.) betrachten das Komische jeweils in einer sozialen bzw. psychologischen Perspektive, die Inkongruenztheorien (30 ff.) hingegen beschreiben die zugrunde liegenden Bedingungen einer komischen Situation ("mindestens zwei im weitesten Sinne unvereinbare Elemente", 31) und beschreiben die intellektuellen Prozesse bei deren Rezeption (Koestler, Raskin, Deckers & Buttram). Da es diesen Theorien regelmäßig jedoch an der "uneindeutigen Zuordnung zum Komischen" mangelt, nimmt Siebert die Erklärungsansätze von Henri Bergson (33 ff.) und Michail Bachtin (35 ff.) genauer in den Blick. Bergsons Analyse des Komischen als eine Form, "die den Gehalt unterdrückt" (34) erscheint als besonders geeignet, die Komik der selbstreflexiven Momente des Trickfilms zu erklären. Bachtins Theorie der karnevalistischen Verkehrung zeigt Affinitäten zur "Haltung [...], die diejeinigen Zeichtrickfilmer einnahmen, die mit den Entwürfen skurriler Szenarien die Welt auf mehrfache Weise umstülpen" (37). Ein jüngerer – letztlich auf Überlegungen Joachim Ritters aufbauender – theoretischer Ansatz, der die "Komik als Transgressionsmechanismus" (38) interpretiert, beschreibt die Verstöße gegen den jeweiligen '"Normalzustand'" als spielerische Transgressionen eben dieser Normalität und als eine ökonomische Möglichkeit, den Verlauf der Grenzen zu erkunden, die diesen Normalzustand konfiguieren. Diese Theorie erscheint als geeignet, auch die Überschreitung von Mediengrenzen zu erfassen (39).

Im vierten Kapitel "Zur Geschichte der Konstruktion des Komischen im Zeichentrickfilm" (41–60) betont der Autor, daß der Zeichentrickfilm neben dem komischen Genre auch zahlreiche ernste Themen besetzt, die ausführlich in einschlägigen Überblickspublikationen beschrieben werden. Ein Großteil der in den vergangenen 30 Jahren erschienenen historischen Darstellungen fokussiert allerdings ausschließlich auf die amerikanische Produktion (42). In einem kursorischen historischen Überblick skizziert Siebert die Entwicklung des Zeichentrickfilms von den frühesten Formen der lighting sketches eines Windsor McCay über die vieles überstrahlende Produktion der Disney-Studios (49), die die ersten vertonten Zeichentrickfilme auf den Markt bringen, bis hin zu dem anarchischen Cartoons der Nachkriegszeit (51). Er weist auf jüngere Entwicklungen der Gattung in Werbung und Fernsehen (54) hin und diskutiert die Folgen der Computeranimation seit den 1980er Jahren (55). Ein Ausblick auf die neuesten Entwicklungen (58) mit perfekt animierten Filmen, wie Shrek, und ästhetisch auf anderen Pfaden wandelnden Fernsehserien wie Die Simpsons und South Park, runden diesen Überblick ab.




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Im fünften Kapitel zum Thema "Komische Inkongruenz zur Welt der physikalisch-biologischen Gesetze" (61) erfaßt Siebert den Zeichentrickfilm als "eine kreative Verfremdung des realfilmischen Darstellungsmodus" (61), die in der Folge zu den ästhetischen Normen dieses Modus in Relation gesetzt wird. Er greift aus den Darstellungsverfahren des Zeichentrickfilms zwei heraus, deren komisches Potential durch eine besonders deutliche Distanzierung von denen des Realfilms entsteht: die Metamorphose (62 ff.) als "dramatisch motiviertes Verwandlungsprinzip" (62) und die Deformation (73 ff.), deren Slapstick-Qualität in der Abkehr von physikalischen Gesetzmäßigkeiten (Squash-and-stretch-Animation, 74 f.) und in einer besonderen Darstellungsweise extremer Affektlagen – als übertriebene Körperveränderungen – (79 f.) liegt. Entscheidend für die komische Wirkung radikaler Metamorphosen und Deformationen durch unverhältnismäßige Gewaltanwendung sind das Fehlen von ernsthaften Folgen und die Nonchalance, mit der die Figuren auf sie reagieren. Das komische Potential solcher Verformungen demonstriert Siebert anhand der Serie La Linea von Cavandoli (68 f.), Felix the Cat von Otto Messmer [und nicht Messner (123)] (70 f.) und der "Toons" Tom und Jerry (75). Beispiele für die Externalisierung extremer Affekte sieht Siebert in den Filmen Who framed Roger Rabbit? (81) und The Ren & Stimpy Show (86). Siebert stellt heraus, daß mit Blick auf die Erzeugung der Komik der Zeichentrickfilm "seine spezielle mediale Konfiguration viel stärker [als der Realfilm] [...] einbeziehen kann" (78).

Das Hauptkapitel 6 "Komische Inkongruenz zu den Gesetzen des filmischen Realismus: Selbstreflexive Komikverfahren im Zeichentrickfilm" (88–163) verfolgt – wie der Titel erkennen läßt – zwei Argmentationslinien, die nicht auf der gleichen Ebene liegen: Siebert setzt zum einen die Überlegungen aus Kapitel 5 fort und konkretisiert an einer Reihe von Vergleichen zwischen Real- und Trickfilmen die Unterschiede hinsichtlich der jeweiligen Darstellungskonventionen. Zum anderen stellt er kritisch das Verfahren der Selbstreflexivität dar, referiert wichtige theoretische Erklärungsansätze und erstellt eine Typologie, deren Gliederung die anschließenden reichhaltigen Beispiele überschaubar ordnet.

In seinem Forschungsüberblick über die "filmischen Figuren der Selbstreflexivität" stellt Siebert fest, daß dieses Verfahren aus den bildenden Künsten und der Literatur stammt und früh vom Film übernommen wird. Die Forschung hat sich anfänglich mit der Thematisierung der Aufnahmeapparatur vor allem in Hollywoodfilmen auseinandergesetzt, seit Ende der 70er Jahre wird das Konzept der Selbstreflexivität auf der Basis von linguistischen und semiotischen Theorien zu einem wichtigen Bestandteil der Filmtheorie (Stam, Siska, Fredericksen, Schäfer, Schleicher, Metz, Sierek). Auch in der Filmpraxis folgte der Angst vor der Entzauberung der Magie des Kinos (92) das Interesse an der besonderen Suggestivwirkung selbstreflexiver Verfahren (93). Aufbauend auf der analytischen Typologie von Kirchmann (98 f.), die auch nach den Funktionen der Selbstreflexivität fragt (101) und der für die Analyse von Zeichentrickfilmen entwickelten Typologie selbstreflexiver Operationen von Lindvall (102) entwickelt Siebert seine vom Allgemeinen zum Speziellen voranschreitende Klassifizierung der autothematischen Verfahren im Zeichentrickfilm, die immer auch mit Blick auf ihr komisches Potential analysiert werrden. Unter Berücksichtigung von Keipers Hinweis auf die impliziten Formen der Selbstreflexivität, die neben den expliziten bestehen können (98), gliedert er seine Analysen in die Bereiche Film und Ästhetik, Film und Wahrnehmung, Film als Gegenstand und (Industrie-)Produkt, Film und seine Rezeption, Film und Fernsehen/Neue Medien. Die jeweils im Zentrum stehenden Fragen sind die nach der "adaptierten Realfilm-Selbstreflexivität", nach der spezifischen Trickfilm-Selbstreflexivität" sowie die in Kapitel 7 zu diskutierende "zitierte Realfilm-Selbstreflexivität".




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Im Unterkapitel "Film und Ästhetik – Film und Kunstwerk" (104–116) untersucht Siebert das komische Potential der Erzählform Zeichentrickfilm. Als Beispiele greift er die Trickfilmserien South Park und The Simpsons heraus. Insbesondere an der Serie South Park zeigt er, daß die Form von in der Abkehr vom zeitgemäßen Darstellungsstandard, ja in dem zur Schau gestellten Dilettantismus (106f.), der Trash-Ästhetik (108) hohes komisches Potential birgt. Der "Trash-Diskurs" (111), der zwischen der "Ästhetisierungsverweigerung" (110) und einer bewußten "Ästhetisierungsstrategie" (111) changiert "verleiht dem gesamten Äußeren eine distanzierte Entrücktheit" (106), die die dargestellten Grausamkeiten und verbalen Entgleisungen abmildere. Im Abschnitt Film und Wahrnehmung (116–121) untersucht Siebert die Darstellung von Wahrnehmungs- und Rezeptionsstrukturen, ohne jedoch schon diejenigen zu berücksichtigen, die den Zuschauer betreffen. Es geht um Momente, in denen Elemente in die Handlung einbrechen, die unmißverständlich darauf hinweisen, daß das Gezeigte als Film verstanden werden will: etwa wenn eine Figur im Film das Prinzip des Daumenkinos vorführt oder (120 f.) die Hintergründe oder die Verkleidung auf Wunsch von Protagonisten verändert werden (120). Im Abschnitt "Film als Gegenstand und (Industrie-)Produkt" (122–136) werden weitere Strategien behandelt, die auf der Aufdeckung der künstlerischen Verfahren beruhen: wenn etwa Figuren selbst zum Pinsel greifen und ihre Welt umgestalten (123) oder nach der helfenden Hand eines Zeichners rufen, wie in La linea. Unmißverständlich wird auch in Apartés, Blicken in die Kamera und durch kommentierende Zwischentitel immer auch das Filmmedium thematisiert (124 f.). Ob allerdings diese Hinweise auf das Medium in der Regel auf "desillusionäre Selbstinszenierung" (129) zielen, könnte in Frage gestellt werden, weil sie m. E. eine Erweiterung der Diegese hindeuten, die von nun an das Bewußtsein der Medialität einschließt. Wenn Figuren mit einem solches Bewußtsein ausgestattet werden, wäre es kein logischer Bruch mehr , wenn sie, um ihre Handlungsziele zu erreichen, zu Mitteln greifen dürften, die in einer Diegese, die ein solches Bewußtsein nicht enthält, gar nicht denkbar wären. Nur dann wird eine Figur sinnvoll nach einem Pinsel greifen können, um die Welt zu verändern, wenn in der Welt, in der sie sich bewegt, ein solches Handeln überhaupt sinnvoll ist. Die desillusionäre Selbstinszenierung des Mediums eröffnet auf diese Weise ganz neue Handlungsoptionen und dramatische Verwicklungen.




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Künstliche Kratzer, simulierte Pannen beim Filmvorführen und das Zeigen der Perforation, die die Grenze der Filmwelt markiert, verweisen auf den "Film als materiales Produkt" (129–134). Das Unterkapitel "Der Film als Industrieprodukt" (134–136) ist Verweisen auf das Medium gewidmet, die auf die industrielle Vermarktung anspielen. Das Kapitel "Film und seine Rezeption – Film und Kino" (137–151) erweitert die Argumentation um den Faktor Zuschauer, der im Verlauf des Filmes einen Platz zugewiesen bekommt, sei es über den Blick in die Kamera (137), der signalisiert, daß die Figur um die Rezeptionssituation weiß, sei es durch Monologe, die eindeutig an die Zuschauer adressiert sind und dank derer "Bündnisse mit den Zuschauern" (141) zustande kommen, sei es durch "Schattenspiele" (144), bei denen der Schatten eines Zuschauers das Filmbild durchquert, auf den die Figuren reagieren können. Der Autor zeigt, daß solche "Interaktionen zwischen Leinwand und Zuschauerraum" (148) komplexe und teils paradoxe Formen annehmen können. Im Abschnitt "Film und Fernsehen/Neue Medien" (151) isoliert Siebert potentiell komische Neuerungen der Form des Zeichentrickfilms, die mit der Ausstrahlung im Fernsehen einhergehen. Der nun tägliche Programmwechsel führt zu Filmserien, die am Ende jeder Episode auf die Folgeepisode (153) verweisen und von Werbepausen unterbrochen werden, auf die sie teils kritisch und witzig reagieren (160). In den sich entwickelnden "Zeichentrick-Soaps" (154), die ein gleichbleibendes Personal garantieren, ergeben sich komische Effekte dadurch, daß etwa die gleichbleibende Verkleidung der Figuren thematisiert wird (157).

Sehr überzeugend gelingt Siebert in diesem sehr reichhaltigen sechsten Kapitel seiner Studie der Drahtseilakt, gleichzeitig die Differenzen zwischen dem Trickfilm und dem herkömmlichen Spielfilm sichtbar zu machen und das komische Potential der selbstreflexiven Figuren zu benennen. Diese doppelte Zielsetzung gerät im 7. Kapitel etwas aus dem Blick. Denn es geht Siebert hier zunächst darum, die verschiedenen Elemente zusammenzutragen, an denen sich ein Transfer vom fotografischen Spielfilm bzw. vom Comic zum Zeichentrickfilm und Animationsfilm erkennen läßt. Da intermediale Beziehungen, die Siebert mit großem Differenzierungsvermögen analysiert, nicht zwangsläufig Komik generieren, schränkt er die Analyse auf Filmbeispiele ein, die durch "komische Intermedialität" geprägt sind. Trotz der Umakzentuierung der Frage, die sich nun nicht mehr auf den Gebrauch eines Verfahrens (hier Intermedialität, im sechsten Kapitel ging es um Selbstreflexivität) für die Konstruktion des Komischen richtet, sondern – das Komische gleichsam voraussetzend – auf die Konfigurationen "komischer Intermedialität", ist dies insofern eine sinnvolle Einschränkung, als dadurch der Aspekt des Komischen in diesem tatsächlich viel weiter ausholenden Kapitel deutlich im Blick bleibt.

Das Hauptkapitel 7 "Komische Inkongruenz zwischen Medien: Intermediale Komikverfahren im Zeichentrickfilm" (164–235) sichtet in einem ersten Abschnitt die "Theorien der Intermedialität" (164–171) und zeichnet den Forschungsstand nach. Intermedialität, die Siebert sinnvoll von der Multimedialität abgrenzt (164), wird "als eine besondere Variante des selbstreflexiven Kommentars" (164) verstanden und als ein Begriff eingeführt, der besonders in der Semiotik und Medienwissenschaft seit den 80er Jahren diskutiert wurde (Hess-Lüttich, Hansen-Löve, Wolf, Spielmann, Zima, Mecke, Müller). Siebert schließt sich Paechs, Roloffs und Meckes Forderung nach einer "konzeptionellen Engführung" (169) bei der Verwendung dieses Begriffes an, um die rein ornamentale Verwendung fremdmedialer Elemente auszuschließen; das Relevanzkriterium ist die Implikation in den Bedeutungsprozeß. Besonderes Interesse bringt Siebert der von Böhn entwickelten Kategorie des "Formzitats" (171–177) entgegen, einer Sonderform der Parodie (172 f.), die über inhaltliche Übernahmen hinaus den Transport "stereotyper Ausformungen" (173) eines Mediums in ein anderes Medium zu beschreiben gestattet. Die Mediendifferenz kann in Form "medialer Verstöße" (176) relevant werden für die Erzeugung von Komik (175).




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Es kann zunächst überraschen, wenn Siebert im Unterkapitel "Zeichentrickfilm und Realfilm (177–217) auf die gemeinsamen Ursprünge dieser Filmgattungen verweist (177). Doch diese Sichtweise erklärt sich durch die sehr frühe Übernahme von Erzählverfahren des fotografischen Spielfilms durch den Trickfilm und durch den gegenläufigen Transfer von bildmagischen Verfahren durch Spezialeffekte (178). Auch der Kunstgriff der Enttarnung künstlicher Kulissen spricht nach Siebert für die Nähe der beiden Filmgattungen (178 ff.).

Darstellungsverfahren – wie Kamerafahrten und Zooms – werden vom Trickfilm übernommen (180) und im Zeitalter computergenerierter Effekte zu einer neuen Qualität gesteigert (181). Die paradoxen 'Outtakes' im Trickfilm (183), die teilweise schon im Unterkapitel "Der Film als Industrieprodukt" (134–136) beschrieben wurden, deuten auf die Übernahme des Trends, den Filmen als "Bonusmaterial" unterhaltsame Filmschnipsel beizugeben, die allerlei Pannen beim Film, Versprecher, mißlungene Kamerafahrten u.ä. zeigen und auf großes Publikumsinteresse stoßen. Solche Pannen, die beim Trickfilm aufgrund seines Herstellungsverfahrens gar nicht möglich sind, werden nun als vorgetäuschte Abfälle gezielt hergestellt. Siebert zeigt, daß Zeichentrickfilme sogar neue Vermarktungstrends parodistisch aufgreifen können, wie etwa den, schon vorhandene Filme nachträglich zu verändern. Dies zeigt er sehr überzeugend anhand der South Park-Folge "Free Hat" (186–188). Breiteren Raum – und dies zurecht – nimmt die Untersuchung von "Zitaten und zitatähnlichen Anspielungen" ein (190–206), die in den beiden Zeichentrickserien South Park und The Simpsons zahlreiche Beispiele für die tatsächliche Übernahme von Filmausschnitten, für Remakes berühmter oder typischer Szenen sowie für die Übernahme vereinzelter Elemente, wie Montagemuster, Dekorationen, und für punktuelle Hinweise auf die Bezugsfilme ortet, etwa in Form eines Filmplakats.

Hinweisen auf musikalische und verbale Zitate (206–212) geht der Autor ebenfalls nach. In – auch mit Hinblick auf die Komik – sehr interessanter Weise spielen Trickfilme mit der Dichotomie Dreidimensionalität versus Zweidimensionalität (212–217). Dieses Spiel ist weniger als eine Übernahme aus dem Realfilm zu verstehen als vielmehr als eine Reaktion auf die jüngeren perfekt dreidimensional angelegten Animationsfilme und als eine Bezugnahme zum Comic – jener zweiten wichtigen Bezugsgattung des Zeichentrickfilms, der das abschließende Unterkapitel "Zeichentrickfilm und Comic" (217–235) gewidmet ist. Der Film Flatworld (215–217) eignet sich sehr gut für diesen abschließenden Schwenk im analytischen Teil, weil hier zweidimensionale Figuren und Gegenstände in einer dreidimensionalen Welt bewegt werden und dies aufgrund der fehlenden dritten Dimension zu verblüffenden Bewegungsmöglichkeiten führt. Siebert erklärt den Trend zu einem einheitlichen Äußeren der Figuren in Trickfilmserien (219) durch die dem Comic entlehnte Notwendigkeit, daß die Helden wiedererkennbar sein müssen. Dieser Faktor der Wiedererkennbarkeit könnte allerdings auch – wie in dem schon behandelten Unterkapitel "Film und Fernsehen/Neue Medien" angedeutet wurde, dem Prinzip der Trickfilmeserie (157) geschuldet sein. Siebert faßt die "distinktiven Merkmale des Comics" zusammen (221) und zeigt, wie Comic und Zeichentrickfilm hinsichtlich akustischer Phänomene kreuzweise aufeinander Bezug nehmen: Geräuschnotationen im Comic stehen Sprech- und Gedankenblasen im Zeichentrickfilm gegenüber (223–229). Auch Lautmalereien finden, so kann Siebert an dem Streifen Werner – beinhart zeigen, paradoxerweise Eingang in den Zeichentrickfilm (229–223), der zwar über eine Tonspur verfügt, dessen graphisches Repertoire durch Lautmalereien erweitert werden kann, die eindeutig aus der Gattung Comic stammen. Denselben Ursprung haben wohl auch farbliche Eigentümlichkeiten, auf die Siebert abschließend hinweist (233–234).




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Das achte Kapitel "Anstelle eines Fazits: Ein paradigmatischer Fall medienreflexiver Komik" (236–246) aktualisiert viele der Ergebnisse der vorangegangen Analysen in der abschließenden Betrachtung des französischen Trickfilms Comics Trip (238–245), der als ein außerordentlich einfallsreiches Paradebeispiel für die selbstreflexiven und intermedial-selbstreflexiven Verfahren der Zeichentrickfilms dienen kann.

Eine ausführliche Bibliographie schließt den Band (249). Das Fehlen eines Registers der Filmtitel, Autoren und Sachbegriffe schränkt die Nutzbarkeit dieses Buches leider deutlich ein, das nichtdestotrotz einen sehr wertvollen Beitrag zur Erforschung einer Filmgattung leistet, deren Populär-Image die Wissenschaft allzu lange von der Erforschung abgehalten hat.

Kritisch anzumerken ist, daß die Beschreibungskategorien, etwa zur Unterscheidung des Trickfilms und des Realfilms teilweise etwas präziser hätten gefaßt werden können, so wäre etwa der – punktuell durchaus gebrauchte – Diegesebegriff sehr sinnvoll zu verwenden für die Beschreibung der Überraschungswirkungen, die durch das Zeigen der Ränder der gezeichneten Welt in Dumb Hounded (131) oder der Kulissenhaftigkeit der dargestellten Welt in Duck Amuck (117 f.), Who framed Roger Rabbit? (179) oder Lucky Ducky (234) entstehen. Das Herausfallen aus der eigenen Welt in Dumb Hounded (133) kann als unerwartetes Ereignis verstanden werden, das aber ebenso wie die übrigen Gegebenheiten des fiktiven Raumes in der Diegese verankert ist, der man es am Anfang des Filmes nur nicht angesehen hat, daß sie ein farbloses Jenseits auf der anderen Seite der zeitweilig sichtbaren Perforation vorsieht. Zur Beschreibung des jeweils vorausgesetzten fiktional konstruierten Bezugsrahmens, innerhalb dessen ein Geschehen zu einem unerwarteten Ereignis wird, kann der Diegesebegriff von großem Nutzen sein. Der Begriff der Ontologie (61, 103, 112, 119, 185, 236) hingegen erscheint als weniger geeignet, um Filmgattungen zu charakterisieren und die Unterschiede zwischen den in verschiedenen Gattungen gezeigten Welten zu beschreiben, denn er bezieht sich auf die Frage nach der Existenz von Welt, die aber gerade im Film – selbst im Realfilm – immer nur eine Konstruktion (lies: Diegese) ist, deren Konventionen diesseits ontologischer Fragen liegen und die sich sinnvoll wohl eher in Kategorien wie Nähe und Ferne von der Lebenswelt oder der erfahrbaren Welt, (Un-)Verläßlichkeit und Fiktionalität diskutieren lassen. Die von Siebert analysierten Beispiele für Selbstreflexivität zeigen ja nicht Vorgänge, die wirklich geschehen, sondern solche, die auf der Voraussetzung von Darstellungskonventionen Verstöße gegen einige dieser Konventionen vollführen.




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Problematisch ist weiterhin die essentialisierende Beschreibung von Sachverhalten, wie etwa bei der Rede vom "Wesen des Komischen" (131) oder dem "Wesen des Comic" (221). Das Problem dieser Darstellungsweise ist, daß das zu Erklärende zumeist vorausgesetzt werden muß. Die Tatsache, daß Dinge und Sachverhalte selten so sind, wie sie erscheinen, und die Einsicht, daß die Dinge ihre Form und Sachverhalten ihre Bedeutung häufig erst durch die an sie angelegte Definition gewinnen und zu dem werden, als was wir sie erkennen, zwingt zur Vorsicht bei Aussagen über das Wesen von Dingen oder Sachverhaten. Es gelingt auch dem Autor dieser Rezension nicht immer, dem circulus vitiosus der essentialistischen Beschreibung zu entgehen – denn irgendwie muß man die Dinge ja mal beim Namen nennen –, aber es ist aus grundsätzlichen Erwägungen die methodische Vorläufigkeit von Aussagen zu fordern, die eine analytische Herangehensweise erst ermöglicht.

Die essentialistische Beschreibung wird auch immer dann problematisch, wenn sie zu Identifikationen führt, die zunächst einleuchten, die aber möglicherweise ein tiefer liegendes Problem verdecken können. So erscheint die Anthropomorphisierung von Filmprotagonisten problematisch: Was bedeutet es eigentlich, wenn eine Zeichentrickfigur von den "eigenen Gefühlen" überwältig wird (80)? Es ist doch eher so, daß die Figur gar keine hat, sondern daß ihr durch eine bestimmte Art der Darstellung Gefühle zugeschrieben werden. Die geschieht auf eine so suggestive Weise, daß man zur Annahme neigt, die Figur hätte sie. (Die meint wohl auch der Terminus "Penetration", 79ff.). Da dies eine Zuschreibung ist, steht sie allen Manipulationen (durch Überzeichnung, durch Reduktion der Reaktion) offen, auf die die Figur keinen Einfluß haben kann. Hinsichtlich der systematischen Beschreibung und auch der Darstellbarkeit erscheint es mir sinnvoller, der Figur keine eigenen Gefühle zuzuschreiben, denn dann ist nicht mehr klar zu sagen, wer die Übertreibungen verantwortet. Die Analyse von Darstellungskonventionen erfordert unzweideutig den Begriff der Inszenierung. Und damit eine große Aufmerksamkeit für die Art und Weise, wie die inszenierten Vorgänge im Detail beschrieben werden.

Flexible Figuren von Jan Siebert ist trotz dieser kritischen Einwände ein sehr anregendes und ertragreiches Buch, das sich an Film- Medien-, Kultur-, und Literaturwissenschaftler richtet und mit großem Gewinn gelesen werden kann. Es ist unter komiktheoretischen und medienwissenschaftlichen Gesichtspunkten von hohem Interesse und arbeitet fein differenzierend und sehr überzeugend die Konfigurationen von Selbstreflexivität im Zeichentrickfilm heraus.