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Beatrix Müller-Kampel (Graz)



Corpusbildung in der empirischen Kanonforschung:
Methodische Vorüberlegungen und Materialien zum historischen Roman um 1900 in Literaturgeschichten



Establishing a Corpus for Empirical Canon Research: Methodological Preliminaries and
Material Based on Literary Histories of German Historical Novels Around 1900

More often than not literary history and criticism are based on tacit preselections regarding the texts they use for interpetation and literary historiography – canon research attempts to systematically unravel the foundations of these decisions. Using the German historical novel around 1900 as an example, the essay aims to trace the general conditions and tendencies of literary canon formation, demonstrating how the differences and overlaps between various canons can be explained by reference to the different scientific and sociological foundations of the respective textual corpus. After the description of how the selection of a specific corpus supports the formation of distinct canons by comparing the different corpora used for educational, commercial or historiographic purposes, the article will describe a number of critical approaches to the historical investigation into canon formation.



1 Grundgesamtheit

Zumeist ergibt sich ein allererster methodischer Stolperstein empirischer Kanonforschung dadurch, daß zu den Corpora von Texten (Autoren, Themen, Motiven etc.), deren Kanonisierung / Dekanonisierung / Rekanonisierung untersucht werden sollen, keine Grundgesamtheit zur Verfügung steht. Worauf der kanonisierende Selektionsprozeß quantitativ gründet, liegt schlicht und einfach nicht vor – was Wunder, wenn die Kanonforschung sich auf Fallstudien konzentriert oder weitere theoretisch-terminologische Prolegomena vorlegt. Für den deutschsprachigen historischen Roman 1780 bis 1945 ist die vollständige Erfassung der Gundgesamtheit – ein Glücksfall für die Erforschung seiner Kanonisierung – bereits geleistet und als Datenbank abrufbar (Habitzel / Mühlberger 1997: Startseite).1 Sie weist für die Jahre 1890 bis 1914 (die Zeitspanne gelte in der Folge als synonym für die Kennzeichnung "um 1900") 1.071 historische Romane von 574 AutorInnen aus.




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Manche von den VerfasserInnen versprachen sich offenbar besondere (symbolische und / oder pekuniäre) Gewinne von der Gattung und publizierten innerhalb dieser zweieinhalb Jahrzehnte gleich mehrere historische Romane. Auf fünf oder mehr publizierte historische Romane brachten es in diesen zweieinhalb Jahrzehnten:

Karl Berkow (5)
Louise Haidheim (5)
Felix Nabor (5)
Anton Ohorn (5)
Johannes Renatus (5)
Minna Rüdiger (5)
Georg Schäfer (5)
Heinrich Vollrat Schumacher (5)
August Sperl (5)
Philipp Spieß (5)
Moritz von Berg-Nesselröden (6)
Georg Ebers (6)
A. von der Elbe
(d.i. Auguste von der Decken) (6)
Ludwig Ganghofer (6)
Ernst Muellenbach (6)
Charlotte Niese (6)
Paul Schreckenbach (6)
Walther Schulte vom Brühl (6)
Joseph Spillmann (6)
Rudolf von Tavel (6)
Karl Beyer (7)
Felix Dahn (7)
Otto von Golmen (7)
Josef von Lauff (7)
Henriette von Meerheimb (7)
Gustav Adolf Müller (7)
Edith Gräfin von Salburg (7)
Anton Schott (7)
Hans Werder (7)
Elisabeth von Maltzahn (8)
Arthur von Rodank (8)
Gregor Samarow (8)
Oscar Mysing (9)
Conrad von Bolanden (11)
Johannes Dose (14)
Armin Stein (17)
Wilhelm Jensen (27) (ebd.).

Das Corpus der VielschreiberInnen von historischen Romanen führt fürs erste eines vor: daß der Maßstab von Kanonisierung, ob nun in ihrer positiven oder negativen, ästhetischen oder ideologischen Variante (Begriffe nach Korte 2002: 25–38) keiner der Produktivität oder Professionalität ihrer Autoren ist.


2 Das kommerzielle Corpus von heute

Daß keiner bzw. keine der Genannten mit ihren historischen Romanen etwas gestiftet hätte, was des bleibenden Denkens, Erinnerns, Lernens, Genießens, also eines Kanons, wert wäre, wird heute kaum jemand ernstlich in Zweifel ziehen – zumindest niemand, der an ihre "Geschichtsbilder", historischen "Lebensbilder" oder "Volksromane" jene ästhetischen Parameter legt, wie sie sich im Europa des 19. Jahrhunderts im Feld der Kunst, genauer: im Teilfeld der sich als autonom setzenden Literatur nach langwierigen definitorischen Kämpfen durchgesetzt hatten und scheinbar noch heute den Maßstab literarischer Kritik bilden.2




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Für die heutigen Verleger und Käufer, diese Souveräne der kommerziellen Ökonomie im Gegensatz zur vorgeblich antonymen ästhetischen Ökonomie, gilt dies schon nicht mehr so uneingeschränkt wie für literarische oder literaturhistorische Connaisseurs: Von den 37 aufgeführten Massenproduzenten historischer Belletristik waren zum Zeitpunkt der Recherche, Ende 2004, auf dem Buchmarkt immerhin acht mit insgesamt 43 Buchpublikationen vertreten, darunter allerdings nur neun zwischen 1890 und 1914 erschienene Geschichtsromane:

Ludwig Ganghofer: Der Klosterjäger. Roman aus dem 14. Jahrhundert (1893), Das Gotteslehen. Roman aus dem 13. Jahrhundert (1899)
Minna Rüdiger: Waldtraut. Nach der Chronik des Pfarrers zu Heinrichshagen erzählt (1891)
Joseph Spillmann: Der schwarze Schuhmacher. Erzählung aus dem Schweizer Volksleben des 18. Jahrhunderts (1903)
Armin Stein: Samuel Urlsperger, der Patriarch des süddeutschen Pietismus. Ein Lebensbild (1899)
Rudolf von Tavel: Der Houpme Lombach. Berndeutsche Novelle (1903), E Gschicht us de trübste Tage vom alte Bärn (1907), Gueti Gschpane. Berndeutsche Erzählung (1913), Jä gäll, so geit's. E luschtigi Gschicht uus truuriger Zyt (1901).3


3 Ein kanonsoziologischer Selbstversuch

Schaut man unter den 1.071 Geschichtsromanen nach literaturgeschichtlich Kanonisiertem aus, ergibt sich ein ganz anderes Corpus als das der verlegerisch verwertbar Gebliebenen. Doch wer oder was verbirgt sich hinter diesem 'Bekannten', identifiziert von einem 'Man', das sucht, wiedererkennt, aussiebt, einordnet und als 'bleibend' qualifiziert? Das "Man" zum Zeugen anzurufen, ist, wie schon Musil im "Mann ohne Eigenschaften" konstatierte, "eine ungenaue Angabe; man könnte nicht sagen, wer und wieviele so dachten, immerhin, es lag in der Luft" (Musil 1978: 245). Jedenfalls schien es Musil gewiß, daß dieses "man" eher aus "Aller-schaften" (Musil 1955: 893) denn aus Eigenschaften bestehe, sich also, nunmehr soziologisch gesprochen, im und als Ich auspräge je nach Herkunft, Erziehung, Ausbildung, Bildung und Position(en) im sozialen Feld. Was nach einer ersten spontanen Sondierung unter den 1.071 Geschichtsromanen bleibt an bekannten Namen und Titeln, mag in der Tat beeinflußt sein von den Zufällen, der Willkür und der Beliebigkeit einer individuellen literarischen Sozialisation, und dennoch sedimentiert sich Objektiv-Soziales darin: nämlich welche Spuren die Institutionen und Institute des kollektiven Erinnerns im persönlichen Gedächtnis hinterlassen haben. Bei einem für die späten 1970er und frühen 1980er Jahre in Österreich typischen Studium der Germanistik wird man folgende Namen und Titel aus der Grundgesamtheit historischer Romane wiedererkennen und vielfach auch klassifizieren können:




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Hermann Bahr
Adolf Bartelst
Rudolf Hans Bartsch Schwammerl. Ein Schubert-Roman (1912)
Karl Bleibtreu
Lena Christ
Michael Georg Conrad
Felix Dahn. Chlodovech. Historischer Roman aus der Völkerwanderung (1895)
Georg Ebers. Kleopatra. Historischer Roman (1894)
Marie von Ebner-Eschenbach
Gustav Frenssen. Jörn Uhl. Roman (1901)
Ludwig Ganghofer. Der Mann im Salz. Roman aus dem Anfang des 17. Jahrhunderts (1905)
Ricarda Huch
Wilhelm Jensen
Erwin Guido Kolbenheyer
Hermann Löns. Der Wehrwolf. Eine Bauernchronik (1910)
Fritz Mauthner
Conrad Ferdinand Meyer. Angela Borgia. Novelle (1891)
Walter von Molo
Adam Müller-Guttenbrunn
Wilhelm Raabe. Hastenbeck. Eine Erzählung (1899)
Peter Rosegger. Peter Mayr, der Wirt an der Mahr. Eine Geschichte aus deutscher Heldenzeit (1893)
Hermann Sudermann
Clara Viebig. Die Wacht am Rhein. Roman (1902)
Jakob Wassermann. Caspar Hauser oder die Trägheit des Herzens. Roman (1908)
Ernst von Wildenbruch.

An den Rändern mag dieser Kanon von regionalen Besonderheiten, individuellen Schwerpunkten von Lehrenden und privaten Lieblingslektüren bedingt sein, in seinem Kernbestand spiegelt er indessen das, was im deutschsprachigen Raum der 1970er und 1980er Jahre die Akademia, ob nun in positivem oder pejorativem Sinne, als (be-) merkenswert befand an Autoren und historischen Romanen um die Jahrhundertwende. Wiederum ist es ein äußerst kleines Teilcorpus – an historischen Romanen gerade einmal rund 1% der Grundgesamtheit –, und überdies verbindet man literaturgeschichtlich mit den meisten Autoren anderes als die Gattung historischer Roman: etwa mit C.F. Meyer den Schweizer, Raabe den deutschen und Ebner-Eschenbach den österreichischen Realismus; mit Karl Bleibtreu und Michael Georg Conrad den Naturalismus; mit Rudolf Hans Bartsch, Ludwig Ganghofer, Adam Müller-Guttenbrunn und Peter Rosegger die regionale Populärliteratur; mit Georg Mauthner die Sprachphilosophie und mit Adolf Bartels, Gustav Frenssen, Erwin Guido Kolbenheyer, Hermann Löns und Walter von Molo die völkische und nationalsozialistische Literatur.




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Was man daraus als wertvoll akzeptiert und sich aneignet über Lektüre oder Studium, gründet und überlappt sich mit weiteren kanonischen Corpora, beispielsweise dem gymnasialen Kanon. An Titeln aus der Grundgesamtheit findet sich, ich spreche nun von mir, in der umfänglichen Mitschrift zum Deutschunterricht im Maturajahr 1976 nur einer: Roseggers "Peter Mayr, der Wirt an der Mahr", an weiteren Autoren noch Felix Dahn, Marie von Ebner-Eschenbach, C.F. Meyer und Wilhelm Raabe – doch werden sie in andere Kontexte als den des historischen Romans gestellt: "Hat von den Realisten am meisten Humor", steht im Diktat der Deutschlehrerin über Wilhelm Raabe zu lesen. "Im Laufe der Zeit wird er immer pessimistischer" (Müller-Kampel 1975/1976: 15). In jeweils zwei bis fünf Zeilen wird Bezug genommen auf: "Die Chronik der Sperlingsgasse", "Der Hungerpastor", "Abu Telfan", "Der Schüdderump", "Alte Nester“, "Die Akten des Vogelsangs" und "Das Odfeld".

Raabes historische Erzählung über die Folgen der Schlacht bei Hastenbeck 1757 zählte augenscheinlich nicht zum Kanon der Deutschlehrerin; über "Hastenbeck" erfahre ich erst bei der Vorbereitung zum Rigorosum 1985. Gewürdigt wird er von Dietmar Goltschnigg, Verfasser des Kapitels "Vorindustrieller Realismus und Literatur der Gründerzeit" in der von Viktor Žmegač herausgegebenen Geschichte der deutschen Literatur vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart (Žmegač 1980), die ich als Studiengrundlage benutze. "Hastenbeck" firmiert dort als Beispiel für Raabes modernistische Perspektivierung des Geschehens "durch eine entschiedene Betonung der einzelnen Figurenstandorte, was auch in auktorial erzählten Werken möglich ist, wie in 'Horacker' (1876), 'Das Horn von Wanza' (1880), 'Das Odfeld' (1888) und 'Hastenbeck' (1899)" (Goltschnigg 1980: 98). Auf die individuell zusammengestellte Rigorosen-Leseliste zum "Roman vom bürgerlichen Realismus bis zur Gegenwart" gelangte "Hastenbeck" dennoch nicht – womöglich deshalb, weil der universitären Kanonisierung keine gymnasiale vorangegangen war und die Novelle sich auch nicht im kleinen, doch wohlsortierten Bücherschrank des Vaters fand. Damit tut sich ein weiterer Kanonhorizont auf: jener der Eltern oder der Familie, die durch Weitergabe kulturellen Kapitals nicht nur den Boden bereiten für dessen Kumulation und künftige soziale Investition, sondern auch wertend und urteilend die ersten Grenzen dessen abstecken, worin man 'literarischen Geschmack' oder 'ästhetischen Sinn' ausbildet und übt.

Der lebensgeschichtliche Gang zurück zu den Quellen literarischen Wissens und Wertens ist so individuell nicht, wie das Anekdotische es erscheinen läßt. Vielmehr spricht alles dafür, daß sich darin nichts oder kaum anderes verdichtet als allgemeine Prozesse der Kanonisierung – Prozesse einer Soziogenese von Titel-, Text- und Deutungskanones, die ich im weitesten Sinne als (klein-)bürgerlich oder bildungsbürgerlich ansprechen möchte. Die rezeptiven Schaltstellen des einschlägigen Kanonwissens (Korte 2002: 34) bilden stets Kanoninstanzen:




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Instanzen der Konsekration dessen, was von wem zu lesen sei, wie es zu verstehen und weiterzugeben sei und welches Bild man sich von einzelnen Autoren zu machen habe. Schulen, Universitäten, Buchmarkt, Literaturkritik, Bibliotheken, Zeitschriften, Theaterspielpläne, Buchgemeinschaften, literarische Vereine, Stipendien und andere Prämierungssysteme zählen dazu, aber auch bestimmte Textsorten wie die Literaturgeschichte (Bourdieu 2001: 92).


4 Literaturgeschichtliche Corpora

Ihren zentralen Funktionsbestimmungen nach hat jede Literaturgeschichte zu vermitteln und zu orientieren, "durch Verknappung zu ordnen" und "einen schnellen Zugriff auf das Material zu erlauben" (Fohrmann 1993: 176). Kraft "sinnstiftende[r] Ordnungs- und Interpretationsverfahren" führen Literaturgeschichten "inhaltlich die Interpretationsmodi von Literatur und Kultur zu einer bestimmten Zeit innerhalb einer zeitspezifischen Gesellschaftsformation und ihres Bildungsverständnisses vor Augen" (Schumann 1994: xi). Hinter dieser "Agentur der Ordnung" (Japp 1980: 62) steht nach Pierre Bourdieu ein ganzer "Berufsstand der Bewahrung und Feier, von Kunst- und Literaturhistorikern, Exegeten" und "Analytikern", die das Vergangene registrieren, kodifizieren, objektivieren und kanonisieren (Bourdieu 2001: 92).

Freilich stellt die Gattung Literaturgeschichte nur eine unter vielen etablierten Diskursformen, konventionalisierten Kommunikationsmustern und soziokulturellen Instituten dar, mit denen literarisches Wissen und ästhetische Wertungen erzeugt, verbreitet, verfestigt oder verhindert werden. Zugleich wird man unterstellen dürfen, daß keine davon nicht wenigstens peripher damit operiert – und sei es nur, daß die daran Beteiligten das aus Literaturgeschichten bezogene Wissen in ihre eigene Kanonisierungspraxis einbringen.

Immerhin durchzieht aus Literaturgeschichten gezogenes Leitwissen schulische wie universitäre Curricula; mit Literaturgeschichten bereiten sich Lehrende auf die Unterrichtseinheit oder die Vorlesung, Studierende auf die Prüfung vor; was bleibt daraus an Wissen und Werten, gibt man offen oder verdeckt, absichtsvoll und / oder habituell weiter in elterlicher bzw. schulischer Erziehung, beruflicher Tätigkeit oder freundschaftlichem Gespräch. Aus der vielfältigen funktionalen Verwertbarkeit und sozialen Verwertung von Literaturgeschichten lassen sich überdies Kanonisierungsgrade einzelner Texte weit genauer bestimmen als, sagen wir, durch Forschungsliteratur, die auf Experten zugeschrieben ist.






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5 Ein Corpus aus aktuellen kanonischen Literaturgeschichten

Welche Titel weisen nun Literaturgeschichten der Gegenwart als bleibend aus an 1890 bis 1914 erschienenen Geschichtsromanen (unabhängig davon, ob man sie zustimmend oder gegen den Strich lesen solle)? Zieht man die an deutschsprachigen Universitäten meistbenutzten zu Rate, nämlich die Geschichte der deutschen Literatur vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart, herausgegeben von Viktor Žmegač (Žmegač 1980), Deutsche Literatur. Eine Sozialgeschichte, herausgegeben von Horst Albert Glaser (Glaser 1982, 1983), und Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart, begründet von Rolf Grimminger ("Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur" 1996, 2000), erhält man einen Kanon aus 19 Romanen:

Hermann Bahr: Die Rahl Roman (1908).
Ders. Drut. Roman (1909)
Adolf Bartels: Die Dithmarscher. Historischer Roman in vier Büchern (1897–1898)
Walter Bloem: Das eiserne Jahr. Roman (1910–1914)
Georg Ebers: Kleopatra. Historischer Roman (1894)
Max Eyth: Der Schneider von Ulm. Geschichte eines zweihundert Jahre zu früh Geborenen (1906)
Gustav Frenssen: Jörn Uhl. Roman (1901)
Ludwig Ganghofer: Der Klosterjäger. Roman aus dem 14. Jahrhundert (1893)
Ders. Die Martinsklause. Roman aus dem Anfang des 12. Jahrhunderts (1894)
Ricarda Huch: Der große Krieg in Deutschland (1912–1914)
Nathanael Jünger: Hof Bokels Ende. Ein Bauernroman aus der Lüneburger Heide zur Zeit des letzten Königs von Hannover (1908).
Ders. J. C. Rathmann & Sohn. Ein Hamburger Roman (1913)
Erwin Guido Kolbenheyer: Amor Dei. Ein Spinoza-Roman (1908)
Hermann Löns: Der Wehrwolf. Eine Bauernchronik (1910)
Conrad Ferdinand Meyer: Angela Borgia. Novelle (1891)
Wilhelm Raabe: Hastenbeck. Eine Erzählung (1899)
Robert Schweichel: Um die Freiheit. Geschichtlicher Roman aus dem deutschen Bauernkriege 1525 (1899)
Hermann Sudermann: Der Katzensteg. Roman (1890)
Jakob Wassermann: Caspar Hauser oder Die Trägheit des Herzens (1908).

So reizvoll es sein mag, die Nennungen und Einträge in den heutigen 'großen Drei', wie ich sie der Kürze halber nenne, in ihren literaturhistorisch-ästhetischen Einordnungen, Gewichtungen und Urteilen jenen in früheren Literaturgeschichten gegenüberzustellen, so methodisch prekär scheint doch ein solcher Vergleich: Aus kanonischen Literaturgeschichten ein synchrones Sample zu erstellen und davon ausgehend literaturgeschichtliche Kanonisierungsprozesse erforschen zu wollen, läuft letztendlich auf vergleichendes Tautologisieren beziehungsweise auf einen Zirkelschluß hinaus: Die erst zu ermittelnde Konklusio wird zur Prämisse erklärt.




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Überdies kommen den drei Unternehmungen unterschiedliche Reichweiten zu: Die von Viktor Žmegač herausgegebene Literaturgeschichte brachte es bislang auf mehrere Auflagen (einschließlich einer CD-Rom-Ausgabe in zwei Auflagen), während sich das Erscheinen von "Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur" über nicht wenige Jahre erstreckte. Infolge unterschiedlicher Kanonisierungszeit, Kanonisierungsgrade und Kanonisierungseffizienz sind die 'großen Drei' also nur bedingt miteinander vergleichbar. Immerhin führt dieses weitere Corpus vor, wie radikal literaturgeschichtliche Kanonisierung aus der Grundgesamtheit des Publizierten aussiebt, wie fern sie der kommerziell-verlegerischen Kanonisierung steht und wie nahe jener, die vielfach als partikular-subjektiv gilt oder empfunden wird.


6 Ein Corpus aus aktuellen kanonischen Werklexika

Welche aktuellen Archive, welche Speicher des kollektiven literarischen Gedächtnisses bieten sich sonst an, um, davon ausgehend, Kanonisierungsprozesse zu erfassen? Als 'Speicher' literarischer Kanones sind neben Literaturgeschichten auch literaturgeschichtliche Referenzwerke anzusprechen, Werklexika, die mittels Inhaltsangaben und knapper Kontextauskünfte Erstinformationen zu einzelnen Dichtungen bieten. Auf der Suche nach Basisinformation zu Romanen und Erzählungen aus dem deutschsprachigen Raum greift man gegenwärtig meist zu folgenden Kompendien: zu "Kindlers neuem Literatur-Lexikon" (Kindler 1970–1974, 1974, 1988–1998, 2000), dem zweiten Band von Wilperts "Lexikon der Weltliteratur" (Wilpert 1968, 1980, 1993, 2000), "Reclams Romanlexikon", herausgegeben von Frank Rainer Max und Christine Ruhrberg (Max / Ruhrberg Hg. 1998–2000, 2000, 2002), sowie neuerdings zu "Harenberg. Das Buch der 1000 Bücher. Autoren, Geschichte, Inhalt und Wirkung", herausgegeben von Joachim Kaiser (Kaiser 2002).

Ganz gleich, ob die Sekundärlektüre von Einträgen die Primärlektüre der Texte vorbereiten, nachbereiten oder sie überhaupt ersetzen soll, diese Werklexika vermitteln einen Kanon ebenso, wie sie ihn setzen. Dabei hat man es weder bei der Summe der berücksichtigten Texte noch bei deren Durchschnittsmenge mit 'dem' literarischen Kanon zu tun, den es zumindest als Unikat nicht bzw. nicht mehr oder womöglich gar nie gegeben hat, ja nicht einmal mit einem kategorial geschlossenen Kanon. Statt dessen bündeln die Werklexika divergierende Kanones: Meist von einem erklecklichen Stab geisteswissenschaftlicher SpezialistInnen nach im weitesten Sinne akademischen Grundsätzen erstellt, präsentieren bzw. repräsentieren sie literarische Expertenkanones.




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Im Unterschied dazu stehen die modischen Empfehlungskanones für den orientierungsbedürftigen "Bildungsspieler", wie Dietrich Schwanitz ihn nennt (Schwanitz 2002: 512), dem es auf kommunikative Machination und nicht aufs Lesen ankommt. In der Zahl der Einträge vermutlich von kaum anderem als verlegerisch-kommerziellen Kalkulationen begrenzt, vermischen bzw. kumulieren sie Kernkanones und Randkanones, historische und aktuelle Kanones, postulierte und gültige Kanones, schließlich Positiv- und Negativkanones, denn während die Alltagssprache das 'Kanonische' mit dem Mustergültigen und Wertvollen, mit ästhetischer Qualität und moralischer Akzeptanz synonym setzt, wird auch 'Minderwertiges', 'Triviales', gar 'Verabscheuungswürdiges' eingeschlossen, sofern ihm eine wie immer definierte kultur- oder literaturgeschichtliche Markanz zukommt. Trotz dieses In- und Nebeneinanders von Sub- und Spezialkanones stellen die genannten literarischen Referenzwerke zusammengenommen "einen Konsens darüber dar, was eine Gruppe von anerkannten Fachvertretern einem gebildeten Publikum als 'maßgebliche' Literatur vermitteln möchte" (Kuon 1998: 247), verstehen sich somit als Sachwalter dessen, was der kollektiven Erinnerung bzw. Beschäftigung wert sei, und werden auch als solche angesehen.

Was blieb nun in ihnen an historischen Romanen aus den Jahren 1890 bis 1914? Gemessen an der Gesamtmenge der in diesem Zeitraum erschienenen 1.071 historischen Romane von 574 AutorInnen kaum eine Hand voll, nämlich gerade einmal 16:4

Johann Hinrich Fehrs: Maren. En Dörproman ut de Tied von 1848–1851 (1907).
Gustav Frenssen: Jörn Uhl. Roman (1901).
Ludwig Ganghofer: Der Klosterjäger. Roman aus dem 14. Jahrhundert (1893).
Ders. Die Martinsklause. Roman in zwei Bänden aus dem Anfang des 12. Jahrhunderts (1894).
Ders. Der Ochsenkrieg. Roman aus dem 15. Jahrhundert (1914).
Enrica von Handel-Mazzetti: Die arme Margaret. Ein Volksroman aus dem alten Steyr (1910).
Georg Hermann: Jettchen Geberts Geschichte. Roman (1906–1908).
Ricarda Huch: Das Leben des Grafen Federigo Confalonieri (1910).
Ders. Der große Krieg in Deutschland (1912–1914).
Erwin Guido Kolbenheyer: Amor Dei. Ein Spinoza-Roman (1908).
Ders. Meister Joachim Pausewang. Roman (1910).
Hermann Löns: Der Wehrwolf. Eine Bauernchronik (1910).
Conrad Ferdinand Meyer: Angela Borgia. Novelle (1891).
Wilhelm Raabe: Hastenbeck. Eine Erzählung (1899).
Hermann Sudermann: Der Katzensteg. Roman (1890).
Jakob Wassermann: Caspar Hauser oder die Trägheit des Herzens. Roman (1908).




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Die Liste kumuliert jene historischen Romane, die in den genannten Referenzwerken mit einem Haupteintrag bedacht sind, generiert also ein Corpus aus Teilkanones, die zahlenmäßig weit auseinander liegen: Von den 1.071 historischen Romanen der Jahre 1890 bis 1914 ist nachzulesen: in "Kindlers neuem Literatur-Lexikon" über zwölf,5 in Wilperts "Lexikon der Weltliteratur" über elf,6 in "Reclams Romanlexikon" über acht,7 und in Harenbergs "Buch der 1000 Bücher" über einen.8 Nur ein Roman erfüllt die Zulassungsbedingungen aller Herausgeber: "Caspar Hauser" von Jakob Wassermann. Bei immerhin sechs Romanen gehen Kindler, Wilpert und Reclam d'accord: bei Frenssens "Jörn Uhl", Huchs "Leben des Grafen Federigo Confalonieri", Löns' "Wehrwolf", Meyers "Angela Borgia", Sudermanns "Katzensteg" und eben Wassermanns "Caspar Hauser". Bemerkenswert scheint, daß durchaus eigenwillige Akzente gesetzt werden: Den Herausgebern von "Reclams Roman-Lexikon" sind die beiden Romane Kolbenheyers, "Amor Dei" und "Meister Joachim Pausewang", keines Eintrags wert, sehr wohl jedoch jenen von "Kindlers Neuem Literatur-Lexikon" und des "Lexikons der Weltliteratur". Sieben der insgesamt 16 historischen Romane scheinen in jeweils nur einem Werklexikon auf: Fehrs "Maren" bei Wilpert, Ganghofers "Ochsenkrieg" bei Kindler, "Der Klosterjäger" und "Die Martinsklause" bei Reclam, Handel-Mazzettis "Die arme Margaret" bei Kindler, Hermanns "Jettchen Gebert" bei Wilpert und Huchs "Der Dreißigjährige Krieg" bei Kindler.

Konkret wird nunmehr das für Werklexika eingangs allgemein Konstatierte: Heute als Pioniere der Moderne oder zumindest Statthalter ästhetischer Qualität Gefeierte (Raabe, C.F. Meyer oder R. Huch) finden sich ebenso in diesem kumulierten kanonischen Corpus wie einst für solche Angesehene (Sudermann, Frenssen, Hermann); von Beginn an dem Trivialen Zugeschlagene (Ganghofer) ebenso wie erst nach und nach dem Kolportagevorwurf Ausgesetzte (Handel-Mazzetti); politisch-ideologisch bis heute Tolerierte (Meyer, Hermann, Wassermann, Huch, Raabe – mit Einschränkungen) ebenso wie in bestimmten Phasen der Rezeption oder doch spätestens seit 1968 Verdammte (Ganghofer, Frenssen, Kolbenheyer, Löns); durch massenhaften Absatz zu Vermögen und Renommee Gekommene (Sudermann, Ganghofer, Frenssen, Kolbenheyer, Wassermann, Löns) ebenso wie distributiv und pekuniär minder Erfolgreiche oder Erfolglose (Meyer, Raabe, Hermann, Fehrs, Huch). Innerhalb der Gattung Werklexikon bemißt sich die Aufnahme eines historischen Romans in das Textcorpus also weder an heute noch zum Zeitpunkt des Erscheinens gültigen ästhetischen oder moralischen Kriterien.

Ob die Aufnahme / Kanonisierung mit stofflich-motivischen Texteigenheiten wie etwa erzählter Zeit, Schauplatz und Figuren korreliert, könnte durch quantative Vergleiche mit der Grundgesamtheit und einem kontextuell-qualifizierenden Längsschnitt durch Kanones unterschiedlicher Zeitspannen / Epochen erfolgen.




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Das Corpus historischer Romane in kanonischen Werklexika läßt diesbezüglich kaum signifikante Zusammenhänge erkennen: Zeitlich bieten sie ein Spektrum vom 12. bis zum späten 19. Jahrhundert, wobei lediglich das 13. Jahrhundert ausgespart bleibt und sich dem Spätmittelalter und der Frühen Neuzeit allein Ludwig Ganghofer widmet.9 Ähnlich weit gestreut sind die Schauplätze: Bis auf Meyers "Angela Borgia", das in Ferrara, Kolbenheyers "Amor Dei", das in Amsterdam, und Huchs "Leben des Grafen Federigo Confalonieri", das in Italien, Österreich, Frankreich und der Schweiz situiert ist, vermitteln zwar alle Romane Prospekte von Dörfern, Städten und Landschaften im deutschsprachigen Raum, doch beziehen sie sich auf ganz unterschiedliche Länder und Regionen.10 Erzähltechnik und Konzepte sind schon eher auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen: Die meisten bieten rekonstruktiv-parabolische Mischformen (Aust 1994: 33) mit unterschiedlichen Gewichtungen von Historisierung und Aktualisierung, und bis auf Raabe und ansatzweise auch Gustav Frenssen überschreiten sie die poetologischen Grenzen des traditionell erzählten historischen Romans kaum einmal. Wie gewohnt schließen die Autoren den "Hiatus von Fiktion und Historie" (Geppert 1976: 34) nach den Prinzipien der Objektivitätsillusion, des einsinnigen logischen und eindeutigen ideologischen Schließens, der Selbstevidenz von Geschehen und Historie sowie der zeitlichen Stabilität und räumlichen Zentrierung (ebd.: 148–150). Ideologisch-politisch sind die 16 Romane allesamt wertkonservativ, kein einziger sozialistisch oder kommunistisch geprägt.

Die den Romanen eingeschriebenen poetologischen Regulative sind schon nicht mehr so leicht zu fassen wie Thematik, Erzähltechnik und Erzählhaltung, da es dazu z.T. beträchtlicher textueller und kontextueller Interpretationsleistungen bedarf. Gerade hier kämen nun jene kognitiv-evaluativen Raster zum Tragen, die uns, vermittelt über Kanoninstanzen, schichten- und gruppenspezifisch als 'literarischer Geschmack' oder, innerhalb der Literaturwissenschaft, als 'ästhetische Sachkenntnis' ansozialisiert wurden. Warum nicht eine dieser Kanoninstanzen, eben Literaturgeschichten, daraufhin befragen, welche poetologischen Grundmuster den 16 über Referenzwerke auf uns gekommenen Geschichtsromanen zugrunde liegen und zugrunde gelegt worden seien? Und weiters, ob und welcher Art sich die Formen und Stile des kanonisierenden Sprechens über diese historischen Romane seit deren Erstpublikation zwischen 1890 und 1914 verändert haben?


7 Ein Corpus kanonischer Literaturgeschichten seit 1890

Dabei stellt sich abermals das Problem der Corpusbildung: Die Geschichte der Kanonisierung historischer Romane um 1900 anhand literaturgeschichtlicher Einträge nachzuzeichnen und analysieren zu wollen, ohne sich wie üblich auf die 'Exemplarizität' der Auswahl oder die behauptete "Bedeutsamkeit" einzelner Literaturgeschichten zu berufen, nötigt fürs erste zu einer Gesamterhebung.




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Zieht man die "Bibliographie der deutschen Literaturgeschichten" 1835 bis 1899 von Waltraud Fritsch-Rößler (Fritsch-Rößler 1994) sowie die "Bibliographie zur deutschen Literaturgeschichtsschreibung 1827–1945" von Andreas Schumann (Schumann 1994) zu Rate und ergänzt beide für den Zeitraum seit 1945 um systematische Recherchen im Karlsruher virtuellen Katalog,so ergibt sich eine Grundgesamtheit von rund 650 deutschen Literaturgeschichten. Als heuristisch sinnvoll und begründbar erweist sich beispielsweise folgendes Bündel von Selektionskriterien: alle narrativ verfahrenden Literaturgeschichten, die gegenständlich den gesamten deutschen Sprachraum berücksichtigen bzw. zu berücksichtigen beanspruchen, in deutscher Sprache und innerhalb des deutschsprachigen Raumes erschienen, seit 1890 erstpubliziert und in der Folge in mindestens fünf Auflagen erschienen bzw. wiederaufgelegt und seit 1890 dreimal oder öfter aufgelegt wurden, zeitlich mindestens ein Jahrhundert umfassen und auf ein breiteres, weder bildungs- noch wissenssoziologisch noch geschlechtsspezifisch vordefiniertes Publikum hin zugeschrieben sind.11 Zahlenmäßig ergab dies 27 Literaturgeschichten, verfaßt oder herausgegeben von (in chronologischer Reihenfolge):

August Friedrich Christian Vilmar
Adolf Stern (d.i. Adolf Ernst)
Robert Koenig
Otto von Leixner
Max Koch
Friedrich Vogt
Wilhelm Lindemann
Adolf Bartels
Eduard Engel
Alfred Biese
Karl Heinemann
Anselm Salzer
Alois Bernt
Paul Fechter
Walther Klöpzig
Walther Linden
Franz Koch
Hermann Lechner
Gerhard Fricke
Fritz Martini
Hans Jürgen Geerdts
Kurt Rothmann
Viktor Žmegač
Wolfgang Beutin
Kurt Böttcher
Zdenko Škreb
Ljerka Sekulić.12




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Hätten sie denn alle die Geschichtsromane der Sudermann, Meyer, Ganghofer, Raabe, Frenssen, Hermann, Fehrs, Kolbenheyer, Wassermann, Handel-Mazzetti, Huch und Löns für gleich bedeutsam gehalten wie die Herausgeber heutiger Referenzwerke, so hätte man es (abzüglich jener Fälle, in denen eine Erstkanonisierung infolge der Gleich- oder Vorzeitigkeit der Romanpublikation nicht möglich war) mit 308 möglichen Einträgen zu tun. Tatsächlich sind es weit weniger, nämlich 129. Am auffälligsten ist an der Verteilung und Dichte der Verweise, daß seit 1919 die poetologische Auseinandersetzung mit Geschichtsromanen in Literaturgeschichten spürbar nachläßt – womöglich ein Zeichen dafür, daß die Gattung, wie sie zwischen 1890 und 1914 gepflegt wurde, der literarischen Historiographie bis heute als kommunikativ überholt, ästhetisch inferior oder ideologisch willfährig gilt? Jedenfalls hielten nicht wenige Geschmacksrichter und Geschmacksträger bereits Mitte des 19. Jahrhunderts das Genre für dubios (Aust 1994: 85) – nach Hugo Aust "trotz", vermutlich jedoch gerade wegen "seines lesegeschichtlichen Erfolgs, der nationalpädagogischen Nostrifizierung und der jungdeutschen Politisierung" (ebd.). Zuungunsten des historischen Romans schlug, zumindest unter den Auspizien poetischer Originalität, Innovation, Distinktion und antiökonomischer Kunstökonomie, dessen massenhafte und serienmäßige Produktion aus (ebd.: 88f.). Womöglich hängt also die auffällige Dekanonisierung historischer Romane in Literaturgeschichten seit 1919 unter anderem damit zusammen, daß die Gattungspraxis bereits in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts als 'banal' galt, also das Genre mit wachsender Streuung des Publikums seinen symbolischen Kredit verloren hatte13 – offenbar bis heute, wie ein Blick in zeitgenössische Literaturgeschichten belegt. Auch aus der Sicht eines gattungsgeschichtlichen Spezialisten wie Hugo Aust hat der Geschichtsroman um 1900 nicht viel, aber zumindest "Vielerlei" zu bieten:

Der erste historische Roman, der nach dem letzten realistischen Exponenten des Genres (Das Odfeld [1888]) gattungsgeschichtlich einen ästhetischen Höhepunkt darstellt, ist Döblins Die drei Sprünge des Wang-lun (1915). [...]
Dazwischen, zwischen 1888 und dem Ersten Weltkrieg, liegt Vielerlei: Wicherts kritische Preußen- und Ordensromane, die historische Heimatkunst mit ihren Berg-, Bauern- und Selbsthelferromanen (Ganghofer, Löns), die zum Teil der völkisch-nationalen Literatur entgegenarbeiten, sodann insbesondere die Neuromantik, die das nominell realistische Genre um innerliche, existentielle, religiöse, mystisch-mythische und metaphysische Dimensionen bereichert (Handel-Mazetti, Brod, Kolbenheyer, Perutz), und die 'schöne' Historiographie, die auf dokumentarisch akribischem Weg dem Sinn und Unsinn in der Geschichte nachspürt (Huch, Wassermann).
(Aust 1994: 112)

Mag das literaturgeschichtliche Interesse an historischen Romanen nachlassen – von dessen gänzlichem Verschwinden kann keine Rede sein.




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Sudermanns "Katzensteg" freilich, bis Ende der 1940er Jahre Ausgangs- und Zielpunkt vorwiegend positiver gattungspoetologischer Bestimmungen, scheint literaturgeschichtlich seit den 1960ern tot – wie auch Handel-Mazzettis und Kolbenheyers historische Romane.


8 Ein Beispiel: C.F. Meyers Angela Borgia (1891)

Um einen Blick auf zwei zu werfen, von denen wir spätestens im Gymnasium hörten und danach als Studierende der (Deutschen) Philologie zu lernen hatten: Meyers "Angela Borgia" war den literarischen Historiographen stets nur einer beiläufigen Erwähnung wert; das daran geknüpfte Urteil schwankt im Kontext der durchwegs überschwenglichen Haupteinträge zwischen indifferent, positiv oder sogar negativ. Bartels glaubte "böse[] Gedächtnisfehler[]" in der Novelle zu entdecken, Gedächtnisfehler, "die die Altersschwäche des Dichters anzeigen" (Bartels 1902: 756), Biese "bemerkt" an ihr "die beginnende Ermattung des Dichters" (Biese 1911: 335), Salzer einen entschiedenen "Zug zur Manier" (Salzer 1912: 2052). Paul Fechter führt 1932 die Formel "mit sinkender Kraft" für Meyers Novelle ein (Fechter 1932: 633); wortidentisch taucht sie 1937 bei Franz Koch (Koch 1937: 242) und 1949 bei Gerhard Fricke wieder auf (Fricke 1949: 300). Den rhetorisch-stilistischen Angelpunkt der Kanonisierung bildet dabei Meyers biologisches Alter,14 das mit Werkbiographie vermittels des Tertium comparationis "Schwäche" verknüpft und in eins gesetzt wird.

Die eingeschränkte Kanonisierung von Meyers "Angela Borgia" gründet freilich in mehr als geriatrischen Gedankenfiguren – am meisten wohl im ungewöhnlich hohen Kanonisierungsgrad des Autors als schöpferischen Poeten wie auch einzelner zuvor erschienener Texte, vor allem "Huttens letzte Tage" (1871), "Jürg Jenatsch" (1876), der "Gedichte" (1882) sowie der historischen Novellen "Der Heilige" (1880), "Die Hochzeit des Mönchs" (1883/84) und "Die Versuchung des Pescara" (1887).15 In dem Anfang der 1890er bereits konsolidierten C.F.-Meyer-Kanon deutschsprachiger Literaturgeschichten fand, überspitzt formuliert, "Angela Borgia" allenfalls als Anhängsel Platz. Mögen sich die den Dichter betreffenden Deutungskanones seitdem auch verändert haben, "Angela Borgia" figuriert in Literaturgeschichten nach wie vor als Wurmfortsatz dessen, was von C.F. Meyer zu lesen und zu schätzen sei.


9 Ein zweites Beispiel: Wilhelm Raabes Hastenbeck (1899)

Äußerst rar sind auch die Auskünfte und Urteile über Wilhelm Raabes "Hastenbeck" – und dennoch läßt sich aus ihnen erahnen, wie entscheidend sich die literaturhistorische Einschätzung des Autors im Laufe der Zeit gewandelt hat:




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Am Beginn des 20. Jahrhunderts gilt es, ohne daß dies näher spezifiziert wäre, als ausgemacht, daß "Hastenbeck" zu den "vortrefflichen" (Biese 1911: 256), ja "zu unsern vortrefflichsten geschichtlichen Dichtungen" zähle (Engel 1906: 930). Um eine Begründung bemühen sich in den darauf folgenden Jahrzehnten nur zwei Literaturhistoriker – und auch die nur en passant: Nach Anselm Salzer belege Raabes "Hastenbeck" gemeinsam mit der "Chronik der Sperlingsgasse" die deutschnationale Grundhaltung des Autors:

Stolz hat er sich jederzeit zu seinem Volke bekannt; gleich in der 'Chronik' ruft er aus: 'Vergesse ich dein, Deutschland, so werde meiner Rechten vergessen',16 und seinem letzen Buche 'Hastenbeck' (1899) setzte er das stolze Wort des Freiherrn von Stein als Motto vor: 'Ich habe nur ein Vaterland, das ist Deutschland'. (Salzer 1912: 1851)17

Ähnlich die qualitative Beschlagwortung in der 1937 erschienenen "Geschichte deutscher Dichtung" von Franz Koch: "Immer lauter ertönt aus Raabes Werk der Ruf nach einer wirklichen deutschen Einheit, am lautesten in 'Gutmanns Reisen', zuletzt im 'Hastenbeck', der unter dem Eindruck von Bismarcks Sturz entstanden ist" (Koch 1937: 253). Bei einem solchen, nach 1945 unweigerlich chauvinistisch assoziierten Motto – "Ich habe nur ein Vaterland, und das heißt Deutschland" – und einem von Beginn an äußerst schwachen Kanonisierungsgrad wundert es kaum, daß Hastenbeck in auflagenstarken Literaturgeschichten seit 1945 nicht einmal erwähnt wurde – bis 1980, als Dietmar Goltschnigg in dem von Viktor Žmegač herausgegebenen Sammelwerk die Novelle in einen gänzlich anderen Werte- und Bewertungszusammenhang stellte: jenen des formalästhetischen Neuerers Raabe (Goltschnigg 1980: 98). So selten ein Urteil über Hastenbeck gefällt wird und so knapp es ausfallen mag, prägnante Kanonisierungsstile lassen sich dennoch dahinter erkennen: ein affektiv-kathektischer Kanonisierungsstil (Hastenbeck als "vortrefflicher" Geschichtsroman), ein ideologisch-moralischer (Hastenbeck als Bekenntnis zum Deutschtum) und ein formalästhetischer (Hastenbeck als Dokument poetologischer Innovation) (Hahn 1987: 30f.).


10 Fragehorizonte

Ob die genannten Stile einer allgemeinen Kanonisierungstypologie in Literaturgeschichten entsprechen und diese wiederum an bestimmte historische Phasen des Kanonisierungsprozesses gebunden sind, wird man nur aus einem weit umfassenderen Corpus an Rezeptionsdokumenten ersehen können – auf Ebene der literarischen Gattung etwa durch eine systematische Recherche normpoetologischer Wertungen in Literaturgeschichten.




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Siebt man beispielsweise aus den 129 Einträgen zu den 16 obgenannten Geschichtsromanen alle gattungspoetologischen Kommentare und Werturteile (vom Epitheton bis zur mehrzeiligen Meinungsäußerung) heraus und collagiert die Zitate in der Reihenfolge ihres Erscheinens, schälen sich mehrere Phasen der Kanonisierungspraxis heraus. Im Prinzip sind es vier mit politischen Phasen identische: von 1890 bis 1918, 1919 bis 1945, 1946 bis 1968 und 1969 bis zur Gegenwart.18

Wie bereits nach kursorischer Durchsicht zu erkennen, korrespondiert die Vielzahl von Möglichkeiten und Spielarten, mit denen rhetorisch und stilistisch, bzw. auf Ebene des Satzes: syntagmatisch und paradigmatisch, kanonisierende Wertungen vorgenommen werden, mit jener ihrer möglichen Erforschung. Auf paradigmatischer Ebene drängt sich eine Corpusbildung nach den zur Wertung geeigneten und dementsprechend häufig gebrauchten Wortklassen Adjektiv und Abstraktum (Substantiv-, Verbal- und Adjektivabstrakta) auf – ein durchaus lohnendes Verfahren, wird doch aus deren diachroner Zusammenschau der Verlauf (die historische 'Flugbahn') gattungsspezifischer Zensurierung / Normierung / Kanonisierung ersichtlich, die nun ihrerseits ästhetikgeschichtlich, sozialgeschichtlich, ja sogar ökonomiegeschichtlich kontextualisiert werden können (Müller-Kampel 2004).

An aussagespezifischen im Unterschied zu wortklassenspezifischen Parametern für die Konturierung von Kanonisierungsstilen wäre die vergleichsweise simple Kategorisierung in kognitive, motivationale und theoretische Wertungen (Worthmann 1998: 12) denkbar, die in einem weiteren Schritt um die Frage nach ihrer Pragmatik zu erweitern wäre. Alois Hahn wiederum schlägt im Anschluß an die Normtypologie von Parsons die Unterscheidung zwischen kognitiven, kathektischen und moralischen Kanonisierungstechniken vor: Eine kognitive wäre dann wirksam, wenn dem Kritisierten die Plausibiliät entzogen wird ("Es ist unwahr, daß... "), die kathektische stigmatisiert es als etwas Häßliches, Lächerliches, Verächtliches oder Ekelhaftes, die moralische bezieht sich auf dessen (in Abrede gestellte) Erlaubtheit (Hahn 1987). Für welchen kategorialen Raster man sich immer entscheiden mag, dessen Korrelierung mit der Dichotomie von 'Kunst' und 'Trivialität' verspricht in jedem Fall Aufschluß über die Traditionen, in die sich ein Literaturhistoriker stellt, wie auch über dessen Verständnis von der Gattung beziehungsweise über sein generelles Selbstverständnis als Professionist literarischer Vermittlung.

Versieht man in einem nächsten Schritt die 129 chronologisch geordneten Einträge mit Variablen des Umfangs, der Wertung, des Erscheinungsjahres und des Autors, öffnen sich weitere Horizonte möglicher Kanonforschung. Quantifizierende treten an die Stelle qualifizierender Verfahrensweisen.




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Hinsichtlich der AutorInnen könnte man beispielsweise nach Wechselbezügen zwischen ihren synchronen Positionen im literarischen Feld, will heißen: zwischen ihrer sozioökonomischen und regionalen Herkunft, ihrem beruflichen Werdegang und Status, der Geschlechts- und Konfessionszugehörigkeit, der zeitgenössischen Rezeption, der eigen- oder fremddefinitorischen Verhaftung in bestimmten literaturhistorischen Traditionen, mit der zeitgleichen wie späteren Kanonisierung (respektive Dekanonisierung und Rekanonisierung) fragen. Mit demselben Ziel wären ihre zwischen 1890 und 1914 erschienenen Geschichtsromane nach erzählerischen Grundkategorien wie Figur, Zeit, Ort, Geschehensverknüpfung, Stil, Konzept sowie nach den publizistisch-distributiven Kriterien Auflage, Verlag und Verlagsort (bzw. deren Nimbus) zu quantifizieren, mit den entsprechenden quantitativen Befunden der 1.071 in diesem Zeitraum erschienenen historischen Romane zu vergleichen und innerhalb der geltenden Gattungshierarchie und Gattungsdiskussion zu verorten. Zugleich wären das Ausmaß und die Formen der Primärkanonisierung in Literaturkritik und Forschungsliteratur zu erfassen.

Diese 'Startbahnen der Kanonisierung', wie ich sie nennen möchte, könnten nunmehr mit Fragen nach den 'Flugbahnen' literaturgeschichtlicher Kanonisierung verknüpft werden: ob, in welchem Ausmaß und welcher Art auflagenstarke Literaturgeschichten Geschichtsromane um 1900 kanonisieren, welche unterschiedlichen Akzente zeitgleich erschienene Literaturgeschichten setzen, welchen Wandlungen die Rezeptionsgeschichte(n) unterliegen und worauf sie zurückzuführen sind: auf den 'Zeitgeist', auf geänderte Funktionsbestimmungen der Gattung Literaturgeschichte, unterschiedliche Rollenverständnisse des Literaturhistorikers oder auf dessen persönliche als wiederum gruppenspezifische Vorlieben. Dies führte uns mitten in unser eigenes Feld: in das der Literaturgeschichtsschreibung und den darin geltenden Aufnahmekriterien und Spielregeln. Ein kollektivbiographischer Fragehorizont tut sich auf: ob und wenn ja welche Gemeinsamkeiten oder Affinitäten bestehen zwischen der regionalen und sozialen Herkunft, den sozialen Dispositionen / Positionen / Positionierungen der kanonisierten Autoren und jenen der kanonisierenden kanonischen Historiographen der Literatur. Denn man sollte es mittlerweile denken dürfen: daß es enge Entsprechungen gibt zwischen Kanonisierungsstil und Position im literaturgeschichtlichen Feld (Bourdieu 1992: 73).


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Dossier I: Corpusbildung kanonischer Literaturgeschichten

Auswahlkriterien

Alle

(1) narrativ verfahrenden Literaturgeschichten, die

(2) gegenständlich den gesamten deutschen Sprachraum berücksichtigen bzw. zu berücksichtigen beanspruchen,

(3) in deutscher Sprache und

(4) innerhalb des deutschsprachigen Raumes erschienen,

(5) seit 1890

(6) erstpubliziert und in der Folge in mindestens fünf Auflagen erschienen bzw. wiederaufgelegt und seit 1890 dreimal oder öfter aufgelegt wurden,

(7) zeitlich mindestens ein Jahrhundert umfassen und

(8) auf ein breiteres, weder bildungs- noch wissenssoziologisch noch geschlechtsspezifisch vordefiniertes Publikum hin zugeschrieben sind.


(1) Textsorte: Narrativ verfahrende Literaturgeschichte. Um Vergleichbarkeit nicht nur in gegenständlichen Schwerpunktsetzungen, sondern auch in Präsentationsweisen und Formen der Darstellung (Rhetorik, Stil) zu ermöglichen, empfiehlt sich die Beschränkung auf narrativ verfahrende Geschichten der Literatur. Ausgeschlossen bleiben dementsprechend literaturgeschichtliche Proben- und Mustersammlungen, chronologische Daten- und Biographiensammlungen und Bibliographien, kartographisch, kalendarisch oder tabellarisch gehaltene Literaturgeschichten und Lesebücher.

(2) Literaturgeschichten des gesamten deutschen Sprachraums. Die Einschränkung leitet sich aus den perspektivischen, i.e. kategorialen Unterschieden von Geschichtswerken zur deutschsprachigen Literatur und komparatistischen und / oder Geschichtswerken zur 'Weltliteratur' her. Unberücksichtigt bleiben demzufolge weltliterarische, (gesamt-)europäische oder komparatistische Literaturgeschichten, da in ihnen die historiographischen Raster zur Erfassung des historischen Romans 1890–1914 als zu weit wie auch zu heterogen erscheinen – zumindest im Vergleich mit Geschichten der deutschsprachigen Literatur. Mutatis mutandis gilt dies für regional begrenzte Literaturgeschichten wie Literaturgeschichten Österreichs, der Schweiz bzw. generell einzelner Regionen, da hier infolge einer geringeren Grundgesamtheit dargestellter Autoren und Texte der Raster zu eng erscheint.

(3) Publikationssprache Deutsch: Da nicht-deutschsprachige Geschichten der deutschsprachigen Literatur für die Ausbildung eines kollektiven literarischen Gedächtnisses im deutschsprachigen Raum keine maßgebliche Rolle gespielt haben dürften, werden englische, französische, russische etc. Geschichten der deutschsprachigen Literatur ausgeschlossen.




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(4) Erscheinungsort deutscher Sprachraum: Dasselbe gilt für auf deutsch, jedoch im nicht-deutschsprachigen Ausland erschienene Literaturgeschichten.

(5) Erscheinungszeitraum seit 1890: Zeitlich besehen durchläuft (nach Hans Güther) jeder Text mehrere Phasen der Kanonisierung: "1. den Protokanon als Vorbereitungsstadium und Textreservoir des eigentlichen Kanons; 2. die Kanonisierungsphase, in der der Kanon als mehr oder weniger systematisches Gebilde in Absetzung von anderen Traditionen formuliert wird; 3. die Phase der Praktizierung des Kanons, in der seine Mechanismen voll zur Wirkung gelangen; 4. die Entkanonisierungsphase, in der der Kanon an Obligatorik verliert und abgebaut wird; 5. schließlich ein postkanonisches Stadium, wie es sich in der Zeit nach dem Zerfall eines Kanons herausbildet" (Günther 1987: 139). Um auch die Protokanonisierungsphase in den Blick zu bekommen, dieses "Nadelöhr" (ebd.), durch das die Literaturgeschichtsschreibung aus dem vorhandenen Romanreservoir nach einem Prozeß des In-, Neben- und Nacheinander von Primär- und Sekundärrezeption ganz bestimmte Texte schleust, wird als Stichjahr dasselbe Jahr festgesetzt wie für die primärliterarische Corpusbildung: 1890.

(6) Auflagenhöhe: Mindestens fünf seit einer ersten Auflage 1890 / insgesamt fünf, davon mindestens drei seit einer Wiederauflage 1890: Die Anzahl der Auflagen, die bei 1890 und danach publizierten Literaturgeschichten auf fünf bzw. bei bereits zuvor erschienenen auf insgesamt fünf sowie mindestens drei nach 1890 fixiert wird, stellt als Indikator für die tatsächliche Verbreitung ein prekäres Aufnahmekriterium dar. Dies gilt nicht nur für bloß ordinalnumerische Auflagenvermerke nach dem Schema "1. / 2. / x. Aufl.", sondern auch für die Angaben der erschienenen Exemplare ("30.-24. Tsd"). Beides eröffnet einen weiten Spekulationsspielraum über die tatsächliche Popularität der Literaturgeschichte. Denkmöglich sind hier alle Distributionsvarianten zwischen Verkaufserfolg bei gleichzeitig spärlicher Rezeption (sofern die einmal erstandene Literaturgeschichte im Regal verstaubt) und schleppendem Verkauf bei weiter Verbreitung (sofern die wenigen verkauften Exemplare weitergegeben oder über Bibliotheksentlehnungen eine hohe Reichweite erreichten). Dennoch stellen Auflagenzahlen kein unbrauchbares oder gar willkürliches Richtmaß zur Ermittlung von Rezeption und Wirkung dar: Immerhin bieten sie Indizien dafür, um wieviel öfter und länger solche Literaturgeschichten auf dem Markt erhältlich waren als ihre entsprechenden Pendants, um wieviel stärker sie sich im Feld der Literaturkritik und Literaturhistorie positionieren konnten, um wieviel größer mithin ihr Publikum und ihre Wirkung war.

(7) Zeitlicher Horizont von mehr als einem Jahrhundert: Je ausgedehnter die temporale Definition des literaturgeschichtlichen Gegenstandes, desto stärker der Zwang zur objektbezogenen Verknappung und argumentativen Überspitzung. Um also Einträge und damit Literaturgeschichten einigermaßen sinnvoll, d.h. ohne eklatante heuristische Schieflagen oder interpretatorische Verzerrungen, miteinander vergleichen zu können, ist eine Abgleichung nach Maßgabe der dargestellten Zeiträume vonnöten. Das Auswahlkriterium hält zwar harten empirischen Ansprüchen nicht stand, da es mit einem Jahrhundert und mehr einen recht willkürlich anmutenden zeitlichen Schnitt setzt und überdies voluminöse mehrbändige Literaturgeschichten umfassender und detaillierter belehren als knapp gefaßte, doch rechtfertigt es sich zugleich durch eine ähnliche Zielsetzung: Allgemeiner gehaltene Literaturgeschichten mit weiterem zeitlichen Horizont werden ein an Überblicken und generalisierenden Einblicken interessiertes Publikum ansprechen wollen – und auch daraufhin konzipiert sein –, während Literaturgeschichten zu einer Epoche, zu einigen wenigen Dezennien oder "zur Gegenwart" als Zielgruppe eher speziell Interessierte und (Vor-)Informierte im Auge haben.




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Nicht berücksichtigt werden demzufolge punktuelle Literaturgeschichten einzelner Epochen, Strömungen, aber auch Gattungs-, Themen- und Motivgeschichten, die programmatisch auf anderes abzielen als auf generelle Einblicke in literatur- oder kulturhistorische Prozesse.

(8) Zielgruppenorientierung 'allgemein Interessierte' und 'Gebildete': Die diesbezügliche Corpusbildung bemißt sich an Untertiteln, Vor- und Nachworten, der generellen Anlage und vor allem den in Andreas Schumanns Bibliographie vorgenommenen Rubrizierungen (Schumann 1994). Ausgesondert werden gruppenspezifisch, professional oder geschlechtsspezifisch vordefinierte Literaturgeschichten wie etwa Literaturgeschichten für Offiziere, "höhere Töchter", "Jungfrauen" und vor allem Literaturgeschichten für den Schulgebrauch. Die laut Titel und /oder nach Vorwort / Nachwort / Zulassungsvermerk einer Behörde im Impressum als Schulbücher ausgewiesenen Literaturgeschichten sind auf eine gänzlich andere Zielgruppe hin konzipiert als 'allgemeine' Literaturgeschichten: in den allermeisten Fällen auf Jugendliche, was die Autoren auf eine altersgemäße, i.e. simplifizierende syntaktisch-stilistische Darstellungsform hinarbeiten ließ; auf Unkundige, denen vergleichsweise weniger Material und nur herabgestufte Differenzierungen zugemutet wurden; schließlich auf Bildungsbedürftige, deren erfolgreiche Belehrung spezifische Formen der didaktisierenden Aufbereitung des Materials erforderte.


Dossier II: Vier normpoetologische Pasticcios aus kanonischen Literaturgeschichten

Pasticcio I: Von 1890 bis 1918

Um einen "vortrefflichen historischen Roman[]"vorlegen zu können, hat der Autor folgende allgemeinen Vorbedingungen zu erfüllen: Er ist "realistische[r] Erzähler ersten Ranges", "feine[r] Charakteristiker und treffliche[r] Schilderer", "ein Psychologe [..,] ein Seelenkünder" und "ein Beobachter, dem nichts entgeht". Er versteht es, "auch den feinsten Regungen Ausdruck zu verleihen", "mit einer geistvollen Lebens- und Menschenkenntnis" für eine Figur "nicht nur unser tiefstes Mitleid, sondern auch unser innigstes Mitgefühl zu erwecken" und "geht [...] unbekümmert um den Erfolg [...] seinem hohen Ideale nach". Der dementsprechend verfertigte historische Roman "zeichnet ein bunt bewegtes Bild" aus der vergangenen Zeit, "fesselt", "packt und ergreift uns in tiefster Seele" und "zwingt uns zu leidenschaftlichem Lieben oder Hassen gegenüber seinen Menschen, weil er in ihnen das Ewige, das Allgemeinmenschliche, das Typische darstellt." Als besondere "Vorzüge" einer solchen "Meisterschaft" der "packenden Erzählungskunst" zeichnen sich ab: "Eigenart des Stoffes und der Behandlung", "Kraft der Erzählungskunst", "Energie der Darstellung", "die völlige [erzählerische] Verschmelzung von Kunst und Leben", "große Treue in der Lokalfärbung wie in der Zeitstimmung" sowie "naturgetreu packende Darstellung der Ereignisse" im Sinne einer "Belebung der Vergangenheit", und zwar "nicht durch großen Aufwand geschichtlicher Gelehrsamkeit, sondern durch rein dichterische Mittel". Im einzelnen heißt das: "Bildkraft, Bildfülle, [...] scharfe Beobachtung [..,] warme Schilderung der Sitten und Gebräuche des Volkes, gewaltige Natursymbolik [...], Schärfe in der Charakterisierung [d]er Gestalten" und eine "echte[], wirkliche[]","schöne, überreich mit allen Mitteln der Kunst belebte Sprache" "von edler Einfachheit, "die der Autor "lebensecht zu gestalten weiß".





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Ob nun "mit wenigen Strichen", "in bewundernswerter Kleinmalerei" oder mit "Schärfe", stets wird "in unmittelbare[r] Anschauung" von "gesehene[n] oder [...] nachempfundene[n] Vorgänge[n]" "mit vollendeter Kunst", "meisterlich", "lebenswahr[]","vielseitig und innig" erzählt, wodurch "ein erschütterndes Bild" der Zeit entsteht. Die "große Kunst der Darstellung" entfaltet sich "auch in der Gestaltung zahlloser Nebenpersonen und reizvoller Episoden," die "den einmal gewonnen Leser mit vielen kleinen starken Fäden fest[hält]". Konzeptionell ist "eine freie, echt menschliche, von inniger Liebe zu seinem Volke durchtränkte Lebensanschauung und Moral" gefordert, kurzum: "Heimatsliebe [!]". Auf tut sich dergestalt "eine ganze Welt, die das Menschendasein in seinen Höhen und Niederungen widerspiegelt, eine Welt, [...] die für den tiefer Schauenden [...] beschaulich und erbaulich ist", ja mehr noch: in welcher der Leser selbstvergessen eintauchen darf, denn "die Menschen leben mit uns und sprechen zu uns." "Die Gegenwart entschwindet dem Leser".

Mutatis mutandis kreidet man dem 'mißglückten' bzw. 'minderwertigen' historischen Roman zwischen 1890 und 1918 an: fehlende "dichterische Unmittelbarkeit" "manieristische Überfeinerung", "Mangel straffen Baues", gewaltsame und effektvolle Wendungen, die "ins Krasse hinüber[spielen]", "Schattenwesen der Gestalten", Sentimentalität, "Übertreibung der Tendenz" und "Sensationswut". Insbesondere erregt man sich an der "Ausbreitung einer sinnlichen Erotik, die [...] zur schwülstigen Stimmung sich entwickelt" und "mit Berechnung auf die Sinnlichkeit der Leser geschildert" wird. "Schlecht oder gar nicht komponiert", "entbehrt" ein solches auf "Mode" berechnetes Machwerk "des einheitlichen Stils", so daß es "weder beim Lesen fesselt, noch tief in der Erinnerung wurzelt, ja daß kaum eine Gestalt, kaum ein Ereignis deutlich sichtbar haftet."

(In der Reihenfolge der Belege: Biese 1911: 256, Koenig 1893: 489, Lindemann / Salzer 1898: 1091, Salzer 1912: 2275f. und 2232, Heinemann 1911: 295 und 235, Salzer 1912: 2052, Heinemann 1911: 235, Koenig 1893: 402, Biese 1911: 535, Leixner 1894: 1096, Biese 1911: 570, Bartels 1902: 670f., Engel 1906: 972, Koenig 1893: 489, Heinemann 1911: 288, Engel 1906: 930, Salzer 1912: 2279 und 2276, Heinemann 1911: 288, Engel 1906: 1076, Salzer 1912: 2052, 2243 und wieder 2052, Engel 1906: 1077, Engel 1909: 335, Engel 1906: 1077, Engel 1909: 335, Salzer 1912: 2232 und 2275, Biese 1911: 600, Heinemann 1911: 267, Biese 1911: 570, Engel 1906: 930, Heinemann 1911: 288, Salzer 1912: 2279, Biese 1911: 570, Heinemann 1911: 295, Bartels 1902: 756, Salzer 1912: 2052 und 2187, Biese 1911: 535, Engel 1906: 1077, Salzer 1912: 2402, Heinemann 1911: 267, Bartels 1902: 670, Salzer 1912: 2280, 2187 und 2279, Leixner 1894: 1096, Salzer 1912: 2281, Engel 1906: 1076.)


Pasticcio II: Von 1919 bis 1945

Die normpoetologische Devise lautet nach wie vor "Realismus" – ein Realismus von "erzählerischer Wucht und mitreißendem Tempo der Bewegung", ein Realismus, der mit einer "Fülle scharfgezeichneter, packender Einzelbilder" die geschilderte Zeit "an unserem Auge vorüberziehen", ja "blutvoll erstehen" und "seinen Helden einem breiten Wurzelgeflechte geschichtlicher Bindungen entwachsen" läßt. In "herrlicher Sprachkraft" trifft der Autor die historische "Patina des Tons" und formt sie zur historisch glaubhaften "Sprachmelodie". Künstlerisch "Echtes und Bleibendes" bietet ein historischer Roman, wenn er "geistige Phasen der Vergangenheit zu gestalten [..,] am Bild des Vergangenen den Sinn des Gegenwärtigen sichtbar zu machen" weiß und dergestalt ein "Gebilde" schafft, "das in aller Geformtheit etwas von der Freiheit und vom Beglückenden des gewachsen Kunstlosen behalten hat."




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Den konzeptionellen Fluchtpunkt bilden nunmehr eine bestimmte Erzählhaltung und die ihr eigentümliche Motivik, als da sind: Aufnahme der "wichtigste[n] Volksproblem[e] der Deutschen", "Ruf nach einer wirklichen deutschen Einheit", Schilderung des "Zusammenhang[s] zwischen Bauerntum und nordischer Rasse", Verdichtung der Motive "zu einem leuchtenden Bilde deutscher Seelenhaftigkeit". Löst der historische Roman alle diese Bedingungen ein, so werden ihm die besten Zensuren zuteil: "vom Volksmäßigen gesehen ausgezeichnete Arbeit", "tiefstes, seelenvollstes, schönstes und völkisch bedeutsamstes Buch" oder gar: "eines unserer völkischen Grundbücher".

Negativ schlägt folglich zu Buche, wenn der Roman "eines solchen weltanschaulichen Gehaltes entbehrt und sich aus einer Fülle einzelner [...] Bilder aufbaut", "in Kulturbildern steckenbleibt", "weder frei von Literatur noch von Bildungszutaten" oder überhaupt "romantische[s] Erzeugnis[] einer unwirklichen Welt" ist und so "den Sinn des großen Geschehens [...] nicht deutlich macht". Auf krude Rassen- oder Liberalenhetze läßt man sich – zumindest bei der Begutachtung einzelner historischer Romane – nicht ein, sondern greift zur feineren Klinge psychologischer Wertung: Jakob Wassermann wird nicht als Jude diffamiert, sondern als seelenloser Gestalter wesenlos-theatralischer Figuren: Er "brachte nur das Wissen um die Möglichkeit der Seele mit, nicht die Seele selbst". Ricarda Huch wird nicht als Humanistin mit Häme bedacht, sondern als weiblicher Ahasver auf der Suche nach dem Eigentlichen bedauert: "[S]ie weiß nicht um die Notwendigkeiten des Lebens aus eigenem Gefühl und glaubt darum nicht an sie, sondern wandert, Erfahrung und Gesetz suchend und sammelnd, hinter ihnen her."

(Linden 1937: 429, Fechter 1932: 757, Linden 1937: 417, Klöpzig 1933: 179, Linden 1937: 439, Koch 1937: 327, Linden 1937: 445, Koch 1937: 327, Fechter 1932: 804, Linden 1937: 412, Fechter 1932: 841, 757 und 831, Koch 1937: 253 und 305, Linden 1937: 445, Fechter 1932: 801, Linden 1937: 417 und 433f., Koch 1937: 325, Linden 1937: 445, Fechter 1932: 801, Bernt 1920: 186, Linden 1937: 417, Fechter 1932: 776 und 826)


Pasticcio III: Von 1946 bis 1968

Gütesiegel wie "monumentales Bild" oder "großartige Einzelstudie" heften Literaturgeschichten zwischen 1946 und 1968 jenen historischen Romanen um 1900 an, die kraft einer "eindrucksstarke[n]", "mächtigen und mit nie ermattender Gestaltungskraft durchgeführten Bilderfolge" "packend zu erzählen" wissen. Dies kann "als zartes Spiel von zierlichen, humorvoll genossenen Nuancen, als Zauber des Kleinen und Geruhsamen" gelingen, ebenso aber "mit einem lehrhaften und bildkräftigen Predigtstil" oder "den Reizen des spannenden Unterhaltungsromans." Unabdingbar sind freilich "meisterhaft gestaltete, geschlossene Szenen von plastischer Gegenständlichkeit," Ergebnis reicher "Quellenkenntnis" und gestalterischer "Durchdringung" des "gewaltigen historischen Materials". Um den "Reiz" der dargestellten Zeit einzufangen, hat sich der historische Dichter "epischer Objektivität" zu befleißigen, hinter welcher er "unsichtbar wird". So ausgewogen in den Farben Gerhard Fricke sich den "bilderreichen Teppich" der historischen Dichtung auch wünscht, bestimmte Wertsetzungen erringen dennoch seine Sympathie: thematisch-konzeptionelle Orientierung am "Gesamtschicksal[] eines Volkes", "Bindung an heimatliche Landschaft und Stammesart" oder die Absicht, "den inneren Werdegang des deutschen Volkes in seinen entscheidenden 'Schwellenzeiten' sichtbar zu machen und damit zugleich das überzeitliche Wesen, gewissermaßen die Entelechie deutscher Volkheit, zielsetzend für die Gegenwart zu entwickeln."





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Alles "Äußerliche, Sensationelle und Grelle" läßt auch zwischen 1946 und 1968 einen historischen Roman in Ungnade fallen, weiters "Handlung und Konflikte", die "auf künstlichen Voraussetzungen" beruhen, oder erzählerische Verfahrensweisen, die von "metaphysischem Grüblertum" durchzogen sind und "in die reine Unterhaltungsliteratur einmünden[]".Erstmals geraten mit der von Hans Jürgen Geerdts herausgegebenen, 1965 in Berlin / DDR erschienenen "Deutschen Literaturgeschichte in einem Band" Konzepte und Stile ins Visier, in denen sich "die barbarische Epoche" – nämlich der NS-Zeit – "schon angekündigt" hatte oder die "von kolonialistischer Gesinnung getragen[]" waren.

(Martini 1951: 510, Fricke 1949: 365, Lechner 1946: 316, Fricke 1949: 365, Martini 1951: 466, 516 und 515, Fricke 1949: 348, Martini 1951: 509f. und 516, Fricke 1949: 365, 338 und 334, Martini 1951: 466 und 591, Fricke 1949: 338, Geerdts Hg. 1965: 480.)


Pasticcio IV: Von 1969 bis zur Gegenwart

'Qualität' verleihen seit 1969 eine "distanzierende Erzählweise, die versteckte Motive in der Verhaltensweise der Gestalten leicht verfremdet hervortreten läßt", sowie "Geschlossenheit und Dichte der Darstellung". Hochwertige historische Dichtungen handeln thematisch-motivisch eine "komplexe, unschwer aktualisierbare Problematik" ab, streben ein "kritisches Gesellschaftsbild" an bzw. dringen "zu einem humanistischen Weltbild vor" und werden dergestalt Zeugnis "der krisenhaften Bewußtseinslage eines bürgerlichen Dichters", das stets durch "sittlichen Ernst" und "Aufrichtigkeit tief berühr[t]."

Geschichtsromane der Jahrhundertwende genügen diesen Ansprüchen freilich kaum; Tadel, Ablehnung, Entrüstung herrschen in Literaturgeschichten seit den 1970ern vor. Auf das Ästhetische beziehen sich dabei nur Viktor Žmegač und Dieter Borchmeyer, die an Jakob Wassermanns "Caspar Hauser" die mitunter "reißerische[n] Züge" und "kolportagehaften Elemente" konstatieren. "Die Absicht des Autors, ein breites Panorama seiner Zeit zu bieten, wird von schablonenhafter und unzulänglicher sprachlicher Gestaltung getrübt." Angelpunkt aller sonstigen Urteile ist die Moral, genauer: die politische Moral im Sinne ideologischer Korrektheit, wogegen vor allem Gustav Frenssens "Jörn Uhl" und Hermann Löns' "Der Wehrwolf" verstießen, und zwar mit Folgendem: dramatisch aufgeballte "Reduktion und Verkürzung" der historischen Dimension, die "das menschliche Leben unter naturgesetzliche Schicksalshaftigkeit" stellen; Flucht "aus der tiefgreifenden Erfahrung prozeßhafter Geschichte [...] in eine andere Welt, in die Statik naturhafter Wiederkehr des gleichen"; entsprechendes "Vermeiden aktueller bäuerlicher Gegenwartsprobleme" zugunsten einer Glorifizierung "des ewigen Bauerntums norddeutscher Stammesart"; Feier von "Geschichte als schicksalshaften Mythos", Feier aber auch von "Sadismus, Mord und Raub aus einer seltsamen Mischung von Lust und Notwehr"; "provinziell-konservative[r] Antikapitalismus [...], aggressiv aufgeladen mit völkischen und rassischen Überlegenheitsansprüchen"; "Verherrlichung des bodenständigen Stammestums und der heimatlichen Scholle als Hort und Quell reinen Menschentums" sowie "Antiintellektualismus". "Mythos tritt hier an die Stelle der wissenschaftlich fundierten Weltsicht des Naturalismus. Gesellschaftliche Prozesse werden nicht als Verhältnis von Ursache und Wirkung erklärt, sondern als Mythos bzw. Naturvorgang erzählt." "Christentum ist hier nur Zierrat eines brutalen Heidentums, das im Gefolge der 'germanischen Renaissance' seit Paul de Lagarde (1827–1891) immer mehr an Boden gewonnen hatte und ihn vorbereitete für den Nationalsozialismus." "Das darwinistische Recht des Stärkeren legitimiert [...] jedes Mittel".




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Die gleichsam optimistische Kehrseite dieser Programmatik zeigten aus literaturgeschichtlicher Perspektive die Romane Ludwig Ganghofers auf: "Als kleinbürgerlicher Unterhaltungsschriftsteller schuf er Beispiele einer reaktionären 'Heimatkunst' aus der Alpenwelt". "Sein irrationaler Biologismus versteigt sich aber noch nicht, wie bei den meisten Heimatkünstlern, zum Antisemitismus. Die historische, volkskundliche 'Exaktheit' und die Verwendung der Mundart erweisen sich, im Gegensatz zum Naturalismus, als kulissenhafter Scheinrealismus, die ethnographisch treue Information der vormärzlichen Dorfgeschichte weicht einer ins Urwüchsige erhöhten Touristenfolklore."

(Borchmeyer / Žmegač 1980: 382, 374 und 381, Autorenkollektiv 1983: 533 und 479, Borchmeyer / Žmegač 1980: 381f., Žmegač / Škreb / Sekulić 1981: 270, Baur 1980: 411, 409, 411, 408 und 410, Autorenkollektiv 1983: 516, Rothmann 1978: 217, Baur 1980: 411, 409 und 410, Geerdts Hg. 1965: 401, Baur 1980: 407.)


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Anmerkungen

1 "Die Datenbank weist alle deutschsprachigen Originalromane nach, deren Inhalt im wesentlichen vor der Geburt des Autors spielt, die mindestens eine Länge von 150 Seiten erreichen und die zwischen 1780 und 1945 erschienen sind. Zusätzlich sind auch alle historischen Romane (400 Titel, Umfang mindestens 200 Seiten) der DDR enthalten. Es handelt sich insgesamt um 6700 historische Romane."

2 Der Beitrag fußt auf den literatursoziologischen Theoremen und der Begrifflichkeit Pierre Bourdieus.

3 Für die Durchführung der Recherche danke ich Christine Schnattler (Graz).




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4 In der Aufnahme historischer Romane weichen die unterschiedlichen Ausgaben und Auflagen der Werklexika nicht voneinander ab.

5 Frenssen: "Jörn Uhl", Ganghofer: "Der Ochsenkrieg", Handel-Mazzetti: "Die arme Margaret", Huch: "Der Dreißigjährige Krieg", Huch: "Das Leben des Grafen Federigo Confalonieri", Kolbenheyer: "Amor Dei", Kolbenheyer: "Meister Joachim Pausewang", Löns: "Der Wehrwolf", C.F. Meyer: "Angela Borgia", Raabe: "Hastenbeck", Sudermann: "Der Kastensteg", Wassermann: "Caspar Hauser".

6 Fehrs: "Maren", Frenssen: "Jörn Uhl", Hermann: "Jettchen Gebert", Huch: "Das Leben des Grafen Federigo Confalonieri", Kolbenheyer: "Amor Dei", Kolbenheyer: "Meister Joachim Pausewang", Löns: "Der Wehrwolf", C.F. Meyer: "Angela Borgia", Raabe: "Hastenbeck", Sudermann: "Der Kastensteg", Wassermann: "Caspar Hauser".

7 Frenssen: "Jörn Uhl", Ganghofer: "Der Klosterjäger", Ganghofer: "Die Martinsklause", Huch: "Das Leben des Grafen Federigo Confalonieri", Löns: "Der Wehrwolf", C.F. Meyer: "Angela Borgia", Sudermann: "Der Kastensteg", Wassermann: "Caspar Hauser".

8 Wassermann: "Caspar Hauser".

9 12. Jh.: Ganghofer: "Die Martinsklause", 14. Jh.: Ganghofer: "Der Klosterjäger", 15. Jh.: Ganghofer: "Der Ochsenkrieg".

10 Auf das Berchtesgadische (Ganghofer: "Die Martinsklause", "Der Klosterjäger", "Der Ochsenkrieg"), das Weserland (Raabe), Holstein (Frenssen), Berlin (Hermann), Nürnberg und Ansbach (Wassermann), Steyr in Oberösterreich (Handel-Mazzetti), Breslau (Kolbenheyer) und die Lüneburger Heide (Löns)

11 Zur Begründung siehe Dossier I: Corpusbildung kanonischer Literaturgeschichten am Ende des Beitrags.

12 Siehe Bibliographie.

13 "Tatsächlich nimmt der mit einer bestimmten kulturellen Praxis verknüpfte Kredit mit wachsendem Umfang und vor allem mit wachsender sozialer Streuung des Publikums tendenziell ab (und zwar deshalb, weil der Wert des Kredits an Anerkennung, den der Konsum verschafft, abnimmt, wenn die besondere Kompetenz, die dem Konsumenten zuerkannt wird, abnimmt, ja tendenziell ihr Vorzeichen wechselt, wenn diese unter eine bestimmte Schwelle sinkt)" (Bourdieu 2001: 190).

14 Im Erscheinungsjahr von "Angela Borgia", 1891, zählt Meyer 66 Jahre; die Publikation der bereits von den Zeitgenossen als 'herausragend' oder 'erstklassig' wahrgenommenen Texte wie "Das Amulett" (1873), "Jürg Jenatsch" (1874), "Der Schuß von der Kanzel", "Der Heilige" (1879) oder "Gedichte" (1882) liegt z.T. bereits mehr als 15 Jahre zurück.

15 Ausnahmslos alle Literaturgeschichten aus dem Sample widmen C. F. Meyer umfangreiche Einträge, die längste Biese mit 26 Seiten (Biese 1911: Abschnitt "Conrad Ferdinand Meyer", 317–343).




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16 Das Zitat lautet recte: "Deutschland, großes Vaterland", in Analogie zum ebd. zitierten Psalm 137,5 "Vergesse ich dein, Jerusalem, so werde meiner Rechten vergessen". (Raabe 1965: 167)

17 Motto aus "Hastenbeck" recte: "'Ich habe nur ein Vaterland, das heißt Deutschland'. / Freiherr vom und zum Stein". (Raabe 1968: 6)

18 Siehe Dossier II am Ende des Beitrags.