Hanno Ehrlicher (Paris) Kampf und Konsens
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Unete a la batalla, |
Die im Gedicht geäußerte Aufforderung zur Fortführung des Kampfes wird zusätzlich unterstrichen durch die darauf folgende Eingliederung Kims in die Reihe der 'alten' Kämpfer, die nach Verlesen des Gedichtes dessen Appell durch den Gestus der gehobenen Faust aufgreifen und bekräftigen (vgl. Abb. 6).
Seine symbolische Überhöhung erhält dieser Kontinuitätsgedanke durch die Rückgabe der spanischen Erde, die David beim Tode Blancas als Erinnerungszeichen aufgehoben hatte. Mit der Rückgabe der tierra schließt sich einerseits ein Lebenskreis und die vom Film erzählte subjektive Geschichte, erneuert sich andererseits jedoch eine Traditionslinie, die zu Beginn als unterbrochen gekennzeichnet war. Die Lebensgeschichte, der Kim zunächst als einem ihr unbekannten Objekt entgegengetreten war, hat sich durch ihre Spurensuche mit einem Sinn gefüllt, den sie am Ende wie das Aufnehmen des roten Tuches unmissverständlich symbolisiert weiterzutragen bereit ist. Mit ihrer Rede am Grab Davids schließt Kim nicht nur einen Traditionsbruch, der innerhalb ihrer eigenen Familie offenbar stattgefunden hat, sie wird zugleich zu einer Wiedergeburt Blancas, die im Film geradezu zur Ikone der 'unschuldigen' Revolution erhoben wurde, und zum Bestandteil einer ideologischen Gemeinschaft, die im kollektiven Erinnern für das Fortleben des Einzelnen über dessen biologische Grenzen hinaus sorgen soll.
Der Schluss des Films gelangt damit gerade nicht zu einem Ende der in ihm erzählten Geschichte, sondern versucht dieses Ende zu transzendieren und als Appell in die Zukunft zu verlängern. Ken Loach inszeniert seine filmische Erinnerungsarbeit nicht als Recherche oder historiographische Rekonstruktion, sondern "ein historisches 'revivre'" (Seeßlen 1996: 20), ein imaginäres Nacherleben und Verlebendigen von Geschichte, wobei der Zuschauer idealer Weise, d.h. bei Annahme des Identifikationsangebotes, diese Verlebendigung über den Rahmen der Zeitlichkeit des Films hinaus sichern soll, indem er, gleichsam an die Seite Kims tretend, sich den Appell zur Weiterführung des Kampfes zu eigen macht.
Der Regisseur lässt bei dieser Verlebendigung von Geschichte in geschickter Weise die vermeintliche Authentizität des Dokuments mit der Fiktion einer inszenierten Geschichte zusammenspielen, um so die Überzeugungskraft seiner Bilderzählung zu steigern. Sein hochemotionales Kriegsdrama weist alle wesentlichen Ingredienzien auf, die es prinzipiell zum kommerziellen Abenteuerfilm qualifizieren würden einen Protagonisten mit hohem moralischen Identifikationswert, einen spannungsreichen Plot mit klaren Freund-Feind-Konstellationen und eine tragisch endende Liebesgeschichte.
Was es dennoch vom Illusionsfilm Hollywoodscher Prägung unterscheidet, ist neben der klaren ideologischen Parteinahme für die Opfer (hier: die Opfer des Bürgerkriegs, die auch in der 'linken', kommunistischen Erinnerung bis dato weitgehend verschwiegen wurden), vor allem dieser dokumentarische Gestus, der die Entschiedenheit der Parteinahme überhaupt erst legitimiert, weil er den Glauben an das Erzählte steigert. Den life-Effekt seiner Filme erzeugt Loach nicht referentialistisch-deskriptiv, durch Abbildung von Elementen der Realität, sondern durch die Glaubwürdigkeit der Darstellung, also performativ. Für die Wirksamkeit des dokumentarischen Gestus ist dabei die 'Echtheit' des gefilmten Materials der Darstellung völlig sekundär und dementsprechend können in Land and Freedom auf der rahmenden Ebene der erzählten Gegenwart auch reale historische Dokumente (Zeitungsausschnitte und Bildmaterialen aus Archiven) problemlos mit 'falschen', d.h. nur historisch wirkenden Bildern (die Schwarz-Weiss-Photographien der Schauspieler) vermischt werden. Entscheidend für den Eindruck ist allein die Glaubwürdigkeit der Darstellung und an ihr arbeitete Ken Loach während der Dreharbeiten mit entsprechender Gründlichkeit und diversen Techniken, vor allem aber durch eine Schauspielerführung, die auf eine möglichst hohe unmittelbare Identifikation der Darsteller mit ihrer Rolle zielt.29
Die emotionale Wirkungsmacht von Land and Freedom entsteht durch eine artifizielle, durch bewusste Gestaltung des kinematographischen Produktionsprozesses erzeugte Pseudodokumentarität, welche den Glauben ans Fiktionale im Sinne einer nur vorgestellten Wirklichkeit bekräftigt. Der Glaube an die Fiktion wird dabei zur Vorraussetzung der schauspielerischen Rolle und soll ¨ber die Glaubwürdigkeit des Rollenspiels später im Zuschauer wieder neu erzeugt werden.30
Problematisch erscheint an diesem Vorgehen nicht die viel diskutierte Aufhebung der porösen Grenze zwischen Fakten und Fiktionen31 und das Ausnutzen des Illusionspotentials des filmischen Mediums an sich. Problematisch ist der dabei erhobene emphatische moralische Anspruch, für die Opfer der Geschichte zu sprechen und deren verlorenen Kampf zu revitalisieren, sowie die ideologische Vereinnahmung des mimetischen Potentials erzählter Geschichte. Ideologisch deshalb, weil der Film die 'Gemachtheit' seiner Bilder, sein künstliches Konstruktionsprinzip, nicht offenbart, sondern systematisch verbirgt und sich zur spontan-unmittelbaren 'Natur' stilisiert wobei nicht zufällig Weiblichkeit als Statthalterfigur für die 'Natur' eingesetzt wird.32
Wieweit man auch immer Ken Loach in seinem kämpferischen Appell folgen möchte, man wird seinem Film, jenseits der Frage nach künstlerisch-ästhetischer Gelungenheit, zugestehen müssen, dass er die angestrebte gesellschaftspolitische Wirksamkeit nicht verfehlt hat. In Spanien und anderen Ländern erreichte er ein publizistisches Echo, das weit über das übliche Maß der üblichen Filmkritik hinaus reichte. Während der Dreharbeiten zum Film geäußerte Bedenken, das Bemühen des britischen Regisseurs, erstmals seit Jaime Caminos La vieja memoria (1978) wieder in einem Film an die Rolle der internationalen Brigaden zu erinnern, müsse "en un país de amnésicos" (Martí 1994) wie Spanien scheitern, erwiesen sich als unbegründet. Ganz im Gegenteil der Film trug zweifellos mit dazu bei, dass der "Pakt des Schweigens", der in der spanischen transición geschlossen worden und lange Zeit wirksam war, sich allmählich immer mehr auflöste und einer neuen Erinnerungsdebatte Platz machte, die sich nicht zufällig im Vorfeld der Parlamentswahlen von 1996 verschärfte. Ohne hier eine komplette Presseschau zum Film geben und auswerten zu können33, darf doch behauptet werden, dass Ken Loachs Film als ein Katalysator wirkte bei der schon erwähnten Wendung, welche die öffentlich formulierte Erinnerungspolitik seit Mitte der 90er Jahre nahm.
Zumindest kommt man zu diesem Ergebnis, wenn man der Einschätzung Vicente Arandas folgt, der im Film von Ken Loach ausdrücklich einen Wegbereiter sah, der das Terrain für seinen eigenen Film, Libertarias (1996) geebnet habe.34 Die Tatsache, dass der Film von einem britischen Regisseur gedreht wurde, spielte dabei zumindest unterschwellig auch eine Rolle, sei es, um die in ihm eingenommene parteiische Positionierung als Einmischung von außen zu delegitimieren, sei es, um umgekehrt die Staatsbürgerschaft des Regisseurs zum Argument dafür zu machen, dass das nationale konsensuelle Vergessen nur mit Hilfe einer Störung durch einen Fremdkörper, durch "uno de fuera" erfolgreich aufgebrochen werden könne (vgl. Baeta 1995).
Angesichts der eindeutigen ideologischen Perspektive, mit welcher der Britte Loach sich auf eine subjektive, bewusst aus dem Spektrum des Möglichen gewählte Geschichte "aus der spanischen Revolution" beschränkt, kann die in der Debatte ebenfalls geäußerte Gleichsetzung der ausländischen Nationalität des Regisseurs mit Neutralität (vgl. Mendiola 1995) nur verwundern. Die über die von der Kritik eingenommenen unterschiedlichen Haltungen hinweg zu beobachtende Insistenz auf dem Nationalen, welche die realen Produktionsbedingungen des Films vollständig ignoriert und nicht empirisch zu begründen ist, bestätigt damit die schon am Archiv-Streit geäußerte These, dass das kollektive Erinnern des Bürgerkriegs in Spanien seine ideologische und politische Brisanz als Kampf um die imaginäre Einheit der Nation erhält.
David Truebas Film Soldados de Salamina ist in seiner sozialen Wirkungsdynamik nicht erklärbar ohne den vorangegangenen enormen literarischen Erfolg des gleichnamigen Romans von Javier Cercas (2001).35 Buch und Film sind inzwischen zu einem höchst effizienten Medienverbund verschmolzen, der sich nur noch zu heuristischen Zwecken auflösen lässt.36 Der efecto Cercas, von dem angesichts des Booms memorialistischer oder pseudomemorialistischer Literatur im Zuge des Verkaufserfolges des Romans gesprochen wurde, hat sich zu einem Phänomen ausgeweitet, das die Grenzen des Ausgangsmediums längst überschritten hat und sich auch nicht mehr an einen singulären Autor und dessen mögliche Intention zurückbinden lässt.37 Obwohl der Film somit als Bestandteil eines intermedialen Komplexes zu verstehen ist, werde ich mich im Folgenden auf das filmische Narrativ beschränken und seine Position in der spanischen Erinnerungsdebatte diskutieren.
Während Ken Loachs Film als eine Störung von 'außen' wirkte, die durch eine entschieden subjektive und ideologisch einseitige Erinnerungsarbeit den in der Transitionsphase etablierten gesellschaftlichen Konsens Mitte der 90er Jahre irritierte, reagiert Trueba auf einen Roman, der seinerseits die seitdem neu eröffnete batalla del recuerdo aufgreift, um eine neue, konsensfähige Form des Erinnerns zu artikulieren. Angesichts der polemischen Polarisierungen, welche die publizistische Debatte rund um die Erinnerung an den spanischen Bürgerkrieg im allgemeinen bestimmt und die bereits am Beispiel des Archiv-Streitfalls belegt wurde, ist die Tatsache, dass Truebas Film wie zuvor schon Cercas' Roman ein praktisch ungeteilt positives publizistisches Echo fand und im Jahr seines Kinostarts38 zum spanischen Beitrag für den Oskar gewählt wurde, ebenso bemerkenswert wie erklärungsbedürftig. Wie muss ein spanischer Film im Jahr 2003 von der Vergangenheit eines Bürgerkriegs erzählen, der reale Opfer produziert hat und tiefe Wunden im phantasmatischen 'Körper' der Nation hinterließ, um dabei sein Publikum nicht weiter zu spalten, sondern es zu einen und so zu einem symbolischen Repräsentanten der Nation werden zu können? Ich werde im Folgenden versuchen, diese Frage zu beantworten, indem ich im Vergleich zu Land and Freedom von Ken Loach wesentliche Erzählmomente von Soldados de Salamina analysiere.
Im Anfang war, auch in diesem Film, der Tod, aber er wird nicht als individuelles Sterben ins Bild gesetzt, sondern als Massengrab. In einem langen travelling shot fährt die Kamera in einer langsamen, immer wieder von Inserts mit Filmdaten unterbrochenen Suchbewegung über schlammig-feuchten Waldboden und trifft dabei zunächst auf verstreute Gegenstände (Kleidungsstücke, ein Schuh, eine Patrone und eine liegengelassene Decke), bis sie schließlich bei ihrem eigentlichen Objekt angelangt ist: einem Leichenhaufen, den sie in einer langsamen, leicht auf- und dann wieder absteigenden Halbkreisbewegung zu umrunden beginnt, bevor sie ihn plötzlich wieder verlässt und den Zuschauer ins Dunkle führt. Der danach erscheinende Titel leitet vom Vorspann zur ersten Einstellung des Hauptfilms über, welche die zuvor begonnene Kreisbewegung fortsetzt und in dieser Bewegung zwei Zeitebenen verbindet, die sonst sehr deutlich miteinander kontrastieren.
Die schwarz-weiss gehaltenen Bilder des Vorspanns differieren mit der Farbigkeit der nun einsetzenden 'neuen' Zeit, das Bild des 'vergangenen' Grauens in der freien Natur weicht dem Interieur einer Wohnung, die mit allen Insignien bürgerlichen Wohlstandes versehen ist. Wo eben noch ein Haufen aufeinanderliegender Leichen zu sehen war, fällt der Blick des Zuschauers nun auf eine CD mit Leonhard Cohen als Field Commander und darf sich anschließend sogar in ein einladend weiches Bett legen. Der Film hat einen Zeitsprung getan und ist dabei bruchlos und wie schwebend39 von einer grauenvollen Vergangenheit in eine postmoderne Moderne gelangt, wo der Bürgerkrieg allenfalls noch als eine medial vermittelte Erinnerung präsent ist, wie die Bilder aus dem Fernsehen zeigen, an denen die Kamera ebenfalls vorüberzieht. Der müde Blick, mit dem die Protagonistin, die junge Journalistin und Hochschuldozentin Lola Cercas, auf den Bildschirm ihres Computers und dort auf das leere virtuelle Blatt ihres Textverarbeitungsprogramms blickt, signalisiert Einsamkeit inmitten des Medienalltags (CDs, Fernseher, Computer) und zeigt dabei unmissverständlich, dass die Gegenwart zwar von den Traumata der Kriegserfahrung weit entfernt, aber deshalb noch längst keine erfüllte Zeit ist. Zwischen dem unvorstellbaren Realen aus der Vergangenheit, den vielen Leichen aus dem Bürgerkrieg, und der von der Präsenz der Simulakren ausgehöhlten Gegenwart, scheint jeder Bezug verloren (Vgl. Abb. 7 und Abb. 8).
Wie Land and Freedom versucht auch der Film von Trueba grundsätzlich, auf dem Wege des Erinnerns einen solchen Bezug herzustellen, aber dabei setzt er das Illusionspotential der Kinematographie ganz anders ein und nimmt eine diametral entgegengesetzte, nämlich fiktionsbetonte und entschieden konstruktivistische Haltung ein. Eine erste, ganz entscheidende Differenz liegt dabei schon in der Wahl der Perspektive auf die Vergangenheit. Wo Ken Loach das Erinnern in den Rahmen einer privaten Familiengeschichte inszeniert und so die Rückschau auf den vergangenen Kampf zu einer geglückten Bewahrung des großväterlichen Erbes durch die Enkelin werden lässt, folgt bei Trueba das Erinnern an den Bürgerkrieg nicht den Spuren der 'eigenen' familiären Vergangenheit, sondern der Geschichte eines Anderen. Die Anekdote vom doppelten Überlebensglück des Falange-Ideologen Sánchez Mazas, der nicht nur bei einer Massenerschießung von faschistischen Gefangenen am Santuario del Collell bei Banyoles mit dem Leben davonkommt, sondern dem Tod gleich darauf noch ein zweites Mal entgeht, als er von einem republikanischen Soldaten aufgefunden wird, dieser ihn aber laufen lässt und nicht verrät, ist dabei zunächst Frucht eines reinen Zufalls, Fund während der Bibliotheksrecherche für einen literarischen Beitrag zu einer Sondernummer von El País zum Bürgerkrieg, einem Thema, das Lola Cercas eigentlich nicht berührt und dem sie sich aus lediglich professionellem und ökonomischem Interesse widmet.40
Erst nach dem Tod des eigenen Vaters wird die Überlebensgeschichte Sánchez Mázas zu einer regelrechten Obsession, da sie nun als Supplement für den unwiederbringlichen Verlust einer Geschichte fungiert, über die sie nichts mehr erfahren kann, nachdem sie offensichtlich zu lange Zeit davon nichts wissen wollte.41 Aus dem zunächst nur rasch konstruierten "secreto esencial" des Bürgerkriegs (so der Titel der Auftragsreportage), das, so insinuiert der Artikel, in einer Gemeinsamkeit jenseits des Unterschiedes von Opfer- und Täterpositionen liegt42, wird eine systematische Recherche. In ihrem Verlauf gewinnt der Film einen deutlich dokumentarischen Gestus, wenn er nicht nur Lola Cercas bei ihrem Aufenthalt in der Madrider Nationalbibliothek und beim Lesen alter Zeitschriften zeigt, sondern auch ihre Interviews mit authentischen Zeitzeugen der Geschichte (Daniel Angelats und Joaquim Figueres), bzw. deren Nachkommen (Jaume Figueres) präsentiert und schließlich auch an den authentischen Ort der Erschießung führt und diesen so zu einem filmischen lieu de mémoire werden lässt. Wie in Ken Loachs Dokudrama wird dabei authentisches Filmmaterial (NoDo-Aufnahmen, die jedoch teilweise auch nachbearbeitet wurden) mit filmischen Reinszenierungen gemischt und so die Grenze zwischen Fakten und Fiktion bewusst verwischt. Anders als dort werden dokumentarische Spuren hier jedoch nicht zur bloßen Authentifizierung des Erzählens, zur Erhöhung seiner Glaubwürdigkeit, eingesetzt, sondern die Spurensuche und das historiographische Bemühen um eine möglichst lückenlose Rekonstruktion der Vergangenheit ausgestellt.
Der Zuschauer wohnt einem Rekonstruktionsversuch bei, der im Schreibakt Lolas kulminiert, der zu einem nachgerade somatischen Nach-Erleben der Geschichte führt. Dieses Nacherleben wird im Film durch rasche Wechsel zwischen den beiden diegetischen Ebenen erreicht, die durch Farbeinsatz bzw. dessen Fehlen stets markiert bleiben, sowie durch Verwendung eindeutiger Pathos-Gesten, die Lola zu einem Opfer der von ihr re-aktualisierten Geschichte stilisieren: Der imaginäre Nachvollzug des Geschehenen nimmt sie so mit, dass sie vor Erschöpfung ihre Hand, die noch von den Spuren ihres Aufenthalts am ehemaligen Tatort gekennzeichnet ist, ans Herz legt (Vgl. Abb. 9), Beruhigungsmittel nimmt und sich flach auf den Boden legen und ausruhen muss.
Lolas Manuskript, das die von Sánchez Mázas den amigos del bosque zwar versprochene, aber nie geschriebene Erzählung nachholt, steht am Ende der historiographisch-dokumentarischen Erzählbewegung des Filmes und markiert zugleich dessen Wende hin zur Fiktion. Denn mit der negativen Reaktion von Lolas Freundin Conchi, die sich als Leserin mehr persönliche Beteiligung des Erzählers an seinem Stoff wünscht, ist der Versuch desavouiert, auf dem Wege 'objektiver' Spurensuche zu einem glaubwürdigen Erzählen zu gelangen. Wie die irreversibel verlorene Geschichte des Vaters durch die Geschichte vom Überleben des Falangisten Sánchez Mázas substituiert worden war, wird nun dessen historische Überlebensgeschichte durch die fiktive Heldengeschichte vom vergessenen Republikaner Antonio Miralleles ersetzt. Der Film macht dabei unmissverständlich deutlich, dass er die Frage nach der Wahrheit der Geschichte, nach der Rekonstruierbarkeit authentischen Geschehens, aufgibt zugunsten der Frage nach dem Gelingen glaubwürdigen Erzählens.
Während die Geschichte Sánchez Mázas aus der Suchbewegung des Rechercheprozesses entstand, ist Miralles' Geschichte Ergebnis der Frage aus dem Literaturunterricht, welche Qualitäten denn wohl einen Helden auszeichneten.43 Der Zufall einer aufgeblätterten Seite aus einem Buch in der Bibliothek wird nun ersetzt durch den nächtlichen Einfall Lolas, der Miralles aus dem Bericht ihres Schülers Gaston García Diego könnte das von ihr benötigte Gegenstück zu Sánchez Mázas bilden und der Republikanische Soldat sein, der ihn laufen ließ. Miralles existiert und funktioniert als fiktive Gestalt, weil er für die nötige menschliche 'Tiefe' des Erzählens sorgt und als round-charakter wirkt44, der das Erzählgerüst mit den von Conchi als prototypischer Leserin eingeklagten Emotionen versorgt. Mit Miralles wird dabei weniger eine ideologische Fokusverschiebung von 'rechts' nach 'links' erreicht, vom Falange-Ideologen zum Republikaner, als vielmehr die Verabschiedung von Ideologie selbst eingeleitet. Der Figur aus der 'großen' Geschichte wird ein Held des Alltags entgegengestellt, der Sphäre der Ideen der instinkthafte Körper. "Su cuerpo era un mapa de cicatrices" erinnert Diego in seinem Aufsatz mit Bewunderung und die Narben, die auch das Gesicht des Alten durchziehen, werden dementsprechend prominent ins Bild gesetzt, als Lola ihren 'neuen' Helden in einem Altersheim in Dijon besucht. Wichtiger als die unterschiedlichen Schlachten, in denen Miralles seine Narben empfangen hat (und die direkt mit dem ersten Arbeitsunfall parallelisiert werden), ist die Tatsache, dass dieser Mensch, trotz der tiefen Eingrabungen der Geschichte, unverwüstlich-vital geblieben ist und seine Lebenskraft auch noch im Altersheim im Angesicht des Todes ungebrochen ist.
Die inhaltliche Botschaft, die Miralles seiner Interviewpartnerin zu übermitteln hat, "lo único que importa es estar vivo", bleibt dabei im Grunde genommen dieselbe, die auch schon Sánchez Mázas seinem Gesprächspartner als die Erkenntnis übermittelte, die er durch seine doppelte Konfrontation mit dem möglichen eigenen Tod gewonnen habe ("entonces se conoce todo lo que es vano y quimérico y se distingue todo aquello por lo que vale la pena vivir")45. Aber der menschlich-sentimentalische Wert dieser Botschaft und ihre Glaubwürdigkeit ist ungleich größer, wenn sie nicht mehr einem erfolgreichen faschistischen Schriftsteller in den Mund gelegt wird, der sie im Nadelstreifenanzug bequem vom Sessel aus vorträgt und dabei in eine barocke desengaño-Rhetorik verfällt, sondern von einem alten vergessenen Republikaner geäußert wird, der durch unprätentiöse Geradlinigkeit charkterisiert ist ("nada de señor. Miralles a secas" insistiert er dementsprechend schon am Telefon).
Die Figur Miralles wird aber nicht nur zur Absage an die 'große' Geschichte der Denker und Lenker zugunsten der instinkthaft handelnden 'kleinen' Helden des Alltags (wie sie zuvor auch schon im Fernsehen zu sehen waren und dabei Conchi zum Weinen brachten), sie wird zum Anlass, die Frage nach der 'Wahrheit' des Geschehens ins Nichts zu versenken. Das "nada", das Miralles Lola als Antwort auf die Frage, was der Soldat, der Sánchez Mazas das Leben rettete, wohl gedacht habe, mitgibt und sein "no" auf die Frage, ob er denn dieser Soldat gewesen sei, destruiert den Sinn einer 'objektiven', um Spurensuche bemühten Geschichtsschreibung, an deren Stelle am Ende umso hemmungsloser die Feier menschlich-subjektiver Gefühle als 'eigentliche' Wahrheit gesetzt werden kann. Auch Truebas Film endet, wie der von Ken Loach, mit der Imagination einer idealen Familiengemeinschaft:
Vendre a verle. Vendré con mis amigos. No se preocupe, Traeré a Gastón, y a Conchi y a Aguirre. Le encantará conocerlos. Pasaremos todo el día juntos como si fuéramos una familia.46 |
Die Familie, die hier beschworen wird, ist freilich keine Kampfgemeinschaft, die durch eine gemeinsame Ideologie zusammengehalten wird und die Verhältnisse der Welt verändern möchte, sondern eine Gemeinschaft von Empfindsamen, die sich durch Gespräch und Erinnern über die je eigenen Verluste hinweghelfen und schlicht Gefühle miteinander teilen will. In dieser Abwendung vom Ideologischen besteht die konsensstiftende Kraft dieses Films, der gar keine Möglichkeit zur Polemik mehr lässt, weil er die Frage nach den Gründen des Bürgerkriegs und der Opfer, die in ihm produziert wurden, als Nebensächlichkeit zurückstellt und stattdessen die Emotionen der Überlebenden, die den Tod nicht selbst erlitten, aber als Verlust ihrer Nächsten erfahren haben, zu seinem eigentlichen Interesse macht.
Man kann in dieser Haltung den Versuch erkennen, den Konsens des Schweigens, der in der Transición etabliert wurde, durch ein konsensorientiertes Erinnern zu ersetzen, das explizit alle ideologischen Positionen einschließt und keinen Unterschied zwischen den Toten machen will. Der Abschied von Lola Cercas von Miralles spiegelt und bricht ja nicht zufällig den Abschied Sánchez Mazas, als er sich von den "amigos del bosque" trennt und verspricht, sie nie zu vergessen (vgl. Abb.11 und Abb. 12). Anders als der falangistische Ideologe hält Lola Cercas ihr Versprechen durch das Schreiben eines Buches, das zum Medium der Erinnerung wird, zu dessen Verlängerung sich der Film von Trueba macht. Das Erinnern von Soldados de Salamina tut dabei, anders als das revival des Anarchismus im Film von Ken Loach, niemandem weh, weil es sich nicht als faktisch-objektive 'Wahrheit', sondern als fiktional-konstruierte 'Vorstellung' inszeniert und dabei Überparteilichkeit beanspruchen kann, indem es Sieger und Verlierer des Bürgerkrieges zur Sprache kommen lässt und beide Parteien durch den Appell an die menschlich-elementare Empathiefähigkeit und gemeinsame Verlusterfahrungen vereinen kann.
Auch wenn der Film seine Sympathien dabei nicht völlig gleichwertig zwischen Sánchez Mazas und Miralles verteilt, konnte er doch selbst von Seiten der Falange Española Independiente mit Erleichterung aufgenommen werden, die ihre Rezension mit einer Beobachtung über den befriedenden Charakter des Films enden lässt, nicht ohne diesen 'Frieden' selbst sofort wieder ideologisch-polemisch zu durchbrechen:
El resultado final no fue tan terrible como se preveía. Con los acordes del pasodoble Suspiros de España, las luces volvieron a alumbrar la sala y se pudieron ver los rostros apacibles de los espectadores. Todo el mundo tenía claro que la guerra civil había terminado y que no había que desatar una caza del fascista.Que aprendan la lección Vicente Aranda, Moncho Armendáriz o Imanol Uribe.47 |
Als eigentlicher 'Gewinner' aus dem erinnerten Bürgerkrieg geht in Los soldados de Salamina die Macht fiktionalen Erzählens hervor, wobei die Fiktion nicht als Medium des Ideologischen benutzt wird, sondern als Mittel einer erfolgreichen Konsensstiftung, bei der nicht nur keine der ideologischen Positionen, die sich in der derzeit so aktuellen batalla del recuerdo streiten, ausgeschlossen wird, sondern in der Gestalt Miralles sogar auch noch das vergessene republikanische Exil mit in die kollektive Erinnerungsgemeinschaft aufgenommen wird.48
Der phantasmatische Körper der Nation, der im spanischen Bürgerkrieg mit auf dem Spiel stand und in den aktuellen publizistischen Symbolkriegen immer wieder beschworen wird, erscheint in den Soldados de Salamina nicht als wirkliche Einheit, sondern als imaginäres Paar eines Paso-Dobles. Während die gewaltsame Spaltung der Nation metaphorisch in der Figur des Helden Miralles als faszinierende Landkarte von Narben erscheint, als Landschaft, in der die Spuren der Gewalt zwar eingezeichnet und lesbar bleiben, die sich aber immer wieder vitalistisch regeneriert, verschafft die imaginäre weibliche Braut, die dieser Held immer wieder in weiblichen Ersatzkörpern (der Prostituierten auf dem Campingplatz sowie des Körpers Lolas, die Miralles am Ende des Gesprächs um eine Umarmung bittet, vgl. Abb. 10) sucht, den nötigen Trost, um die Gewalterfahrung erfolgreich zu überwinden bzw. zu verschmerzen. Beides, männlich-vitalistisches Heldentum und die zum ungebrochenen Weiterleben nötige imaginäre Vereinigung dieses Helden mit seiner Braut, findet im Bolero-Tanz zur Melodie von Suspiros de España, mit dem der Film endet, seinen symbolischen Ausdruck.49
Die fiktionale Konsensstiftung in Truebas Film, die erfolgreich die polemischen ideologischen Oppositionen durchquert hat, kulminiert in einem imaginären Liebespaar, dessen imaginärer Charakter es umso identifikationsstiftender macht, weil es so den Zuschauer zur Projektion eigener Bedürfnisse einlädt.
Man kann dieser filmischen Erzählung, die auf konsensuelles Erinnern zielt und dabei die reale Geschichte der Opfer hinter der subjektiven Lust und den Wünschen der Überlebenden zurücktreten lässt, im Vergleich zu Ken Loachs polemischer Intervention zugute halten, dass sie das Illusionspontial filmischen Erzählens wesentlich deutlicher ausstellt und weder den Konstruktcharakter der Geschichte noch die Medialität subjektiv konstruierter Erinnerung verbirgt; zugleich wird man doch auch kritisch feststellen können, dass vergangene Opfer in diesem Prozess medialer Ersatz-Erinnerung doch etwas zu leichtfertig als Wunsch-Objekt der Historiographie ad acta gelegt und ins bittersüß-melancholische Unbehagen an der eigen Zeit überblendet werden. Die Inklusion der unterschiedlichen ideologischen Positionen in die imaginäre Gemeinschaft der subjektiv Trauernden hat gegenüber Loachs quasi-biologischer Überzeugungsgemeinschaft den Vorteil, einen spanischen Geschichts-Streit zu beenden, bevor er noch wirklich begonnen hat. Ihr Nachteil und die Voraussetzung zum Funktionieren dieser Inklusion ist der Ausschluss einer Suche nach den objektiven Spuren der Toten, die für letztlich irrelevant und unfruchtbar erklärt wird. Die verlorene Lebensgeschichte von Lolas Vater, die stellvertretend für so viele in der Transición verlorenen Geschichten stehen mag, ist nach ihrer doppelten Substituierung durch die Überlebens-Geschichten zweier Anderer, einem historisch verbürgten faschistischen Schriftsteller und einem fiktiv konstruierten republikanischen 'Helden', am Ende jedenfalls erfolgreich aufgehoben und aus der Erinnerung des Zuschauers praktisch verschwunden. Und auch die in den historiographischen ersten Teil der Narration eingelagerte reale Familiengeschichte der Figueres, das kommunikative Gedächtnis Jaume Figueres, der an seinen Vater erinnert, ist lediglich ein Übergangselement50, das zum Gelingen der Konstruktion einer 'höheren' literarischen 'Wahrheit' und des symbolischen Über-Vaters und Helden Miralles benutzt wird.51
Zum Glück braucht, so behauptet der Film, jede und jeder zwar seinen Helden und Übervater, der aber, zum Glück, ja nicht unbedingt aus der eigenen realen Familie stammen muss, sondern als glaubwürdige Identifikations- und Projektionsfigur auch so konstruiert werden kann, wie es der Wunsch will. Ohne das staatlich verordnete Vergessen der Transición fortzusetzen, liefert Truebas Film auch keine direkte Kritik an diesem Vergessen, indem er sich aktuellen Initiativen zu einer materiellen recuperación de la historia anschlösse. Jenseits dieser Alternative und jenseits auch der unangenehmen und schmerzlichen Fragen nach den Gründen des Geschehenen schlägt er ein kollektives, auf subjektivem Wunsch und Vorstellung beruhendes Erinnern als erfolgreiche Therapie für die Bewältigung einer traumatischen Vergangenheit vor.52 Er erinnert dabei nicht an irreparable Verluste, sondern macht erinnerndes Erzählen zum konsensstiftenden und allzu idealen prothetischen Ersatz für das Verlorene.
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Winter, Ulrich (2004): "Spaniens Intellektuelle. Eine neue Diskussionskultur und die Debatte um Identitäten und "Erinnerungsorte (19762002)", in: Bernecker, Walther L. / Discherl, Klaus (Hg.): Spanien heute. Politik, Wirtschaft, Kultur. 4. vollständig neu bearbeitete Auflage. Frankfurt am Main, 631655.
1 Der vorliegende Beitrag basiert in seinem Kern auf einem Vortrag, der in spanischer Sprache im Rahmen der von Burkhard Pohl und Jörg Türschmann geleiteten Sektion Cine español desde 1989 auf dem Hispanistentag in Bremen im März 2005 gehalten wurde.
2 Gerade die jüngere kulturwissenschaftliche Gedächtnisforschung hat denn auch verstärkt auf den organischen Zusammenhang von Vergessen und Erinnern insistiert und die geschichtsträchtige, schon von Platon gesetzte Opposition von Erinnern und Vergessen in Frage gestellt. Als ein Beispiel sei nur der Band von Grätzel (1993) genannt.
3 Zu nennen ist in erster Linie die großangelegte Studie von Paloma Aguilar Fernández (1996), die die Erinnerungskultur und -politik vom Ausgang des Bürgerkriegs bis zur Transición nachzeichnet; daran schließt Alberto Reig Tapia (1999) in seiner Studie an, die allerdings gerade dort einen deutlich polemischen Tonfall anschlägt, wo sie sich in die aktuellen Erinnerungsdebatten einmischt. Während eine systematische sozial- und politikgeschichtliche Untersuchung zum kollektiven Erinnern des Bürgerkriegs damit noch in den Ansätzen steckt, ist die Forschung zur Darstellung des Bürgerkriegs in Film und Bild, die natürlich auch Formen der Erinnerung einschließt, inzwischen Legion. Als besonders relevant für unsere eigene Fragestellung ist die Arbeit von Ana Luengo (2004) zu nennen.
4 Paloma Aguilar Fernández (1996), auf deren Ausführungen ich mich hier vor allem stütze, spricht von der "reconversión del Desfile de la Victoria", was mir kein ganz gelungener Ausdruck scheint, denn "reconversión" impliziert ja logisch eine Rückkehr zu einem status quo antes, den es in diesem Falle vor dem Franquismus ja nicht gegeben hatte. Vielmehr handelt es sich um eine Art politischer "Bedeutungsinversion" (Aby Warburg), bei der das formale Gerüst tradiert, aber gleichzeitig resemantisiert wird und damit auch eine veränderte ideologische Funktion erhält.
5 In der Rückschau auf den 50. Jahrestag des Bürgerkriegs konstatierte die Zeitschrift Arbor jedenfalls einen Kurswechsel und den Beginn einer "neuen" Historiographie, die vom Bemühen gekennzeichnet sei, "aus einer ernsten und würdigen Perspektive, mit strengen Bewertungskriterien und angemessenen akademischen und wissenschaftlichen Instrumenten" zu operieren (Bernecker 1998a: 122).
6 Der ABC druckte sogar das Titel-Editorial, das schon zum 50. Jahrestag erschienen war, wortgleich noch einmal ab und veränderte lediglich die Bildauswahl.
7 "[...] en 1996 el debate giró mucho más en torno a la cuestión de la Memoria que en torno a la de la Historia" (Reig Tapia 1999: 330).
8 Neben der schon mehrfach erwähnten Studie von Aguilar Fernández (1996) ist vor allem der im gleichen Jahr erschienene Sammelband von Julià u.a. (1996) zu nennen. Seitdem sind kontinuierlich weitere Untersuchungen erschienen, die sich kritisch mit der Vergangenheitsverarbeitung in der Transición auseinandersetzen, u.a. Vilarós (1998), Resina (2000), Medina Domínguez (2001), Subirats (2002), sowie das jüngst von José Manuel López de Abiada (2004) herausgegebene Dossier zu Memoria y transición española.
9 In einer Diskussion zur "Vergangenheitsbewältigung in Spanien", die am 25. September 2004 im Instituto Cervantes in Berlin im Rahmen des 4. Internationalen Literaturfestivals Berlin stattfand, äußerte Rafael Chirbes pointiert die These von der Instrumentalisierung der Bürgerkriegserinnerung in dieser Zeit durch den PSOE, der nach einem Jahrzehnt neoliberalistischer Regierungspolitik unter Druck gestanden habe, gegenüber dem konkurrierenden Partido Popular wieder ideologisches Profil zu gewinnen und sich daher auf die so lange Zeit ignorierte republikanische Vergangenheit zurückbesann.
10 Vgl. dazu das Portal der Asociación para la Recuperación de la Memoria Histórica, die sich der Aufklärung von Morden und Massenhinrichtungen widmet: http://www.geocities.com/priaranza36/ [20.9.2005]. Auch die deutschen Medien haben inzwischen über diese Debatte berichtet. Besonders bemerkenswert scheint mir das Hörfunk-Feature von Gabriele Knetsch, das am 22.04.2004 im SWR 2 lief. Das Manuskript steht zum Download bereit unter http://www.swr.de/swr2/sendungen/wissen-aula/archiv/2004/04/22/index.html [20.9.2005].
11 Eine Übersicht über die Debatten lässt sich im Rahmen eines Aufsatzes nicht liefern. Daher sei nur nur auf die wichtigsten Spuren der Arbeit an einer republikanischen Erinnerung verwiesen, die sich im world-wide-web finden lassen. Neben der schon genannten Asociación para la Recuperación de la Memoria Histórica sind dies vor allem: die Site der Vereinigung Desaparecidos de la Guerra Civil [http://www.nodo50.org/despage/, 20.9.2005], das Portal del Exilio mit einer Dokumentation zum Schicksal des republikanischen Exils [http://www.portaldelexilio.org, 20.9.2005] sowie die Asociación de Amigos de la Brigadas Internacionales [http://www.brigadasinternacionales.org, 20.9.2005 ].
12 Vgl. Antonio Elorza: "Salamanca/ Barcelona. Otra vez el archivo", in: El Pais digital, 4.06.2000.
13 Vgl. Juanan Hernández: "La batalla de la memoria", in: El Pais digital, 29.07.2002.
14 Nach dem erneuten politischen Machtwechsel kündigte der aktuelle Ministerpräsident, José Luis Rodríguez Zapatero eine "solución estable y definitiva" an und bekräftigte seinen Willen, zu einem "gran acuerdo" zu gelangen. Zu diesem Zwecke wurde am 15. Juni 2004 eine Comisión permanente del Patronato del Archivo de Salamanca eingerichtet, die noch pünktlich vor dem Weihnachtsfest einen Vorschlag zur Regelung des Streitfalls vorlegte, der u.a. die Rückgabe der umstrittenen Originaldokumente an die katalanische Autonomieregierung vorsieht. Die Reaktionen der Stadtregierung von Salamanca und der Junta de Castilla y León auf diese Entscheidung zeigten freilich, dass damit keineswegs endgültig 'Frieden' auch nur in diesem Symbolkrieg um die Einheit und den Körper der Nation eingekehrt ist, sondern der Streit sich lediglich auf die juristische Ebene verschieben wird. In einem Schreiben an die Zentralregierung beschwor die Junta einmal mehr die Gefahr eines "desmembramiento" der Nation und machte deutlich, was ideologisch auf dem Spiel steht in diesem Konflikt, der pragmatisch längst hätte gelöst werden können. Vgl. dazu den Bericht in El País: "El Gobierno de Castilla y León inicia una batalla 'jurídica y política' por el Archivo" (31.12.2004, S. 36). Zum Zeitpunkt der Niederschrift dieses Artikels (März 2005) war ein Ende der Debatte jedenfalls noch nicht abzusehen.
15 Eine objektive Darstellung der Archivgeschichte lässt sich derzeit sicher nicht finden, da es keine politisch desinteressierte Seite gibt. Das Kulturministerium verbreitet offizielle Informationen unter http://www.mcu.es/archivos [20.9.2005]. Sachlich und informativ gehalten ist auch der Artikel von Nuria Azancot "El archivo de Salamanca. Cuáles son y qué contienen los papeles de la discordia", in: El Cultural, 7.01.2004 [http://www.elcultural.es/historico_articulo.asp?c=9878, 20.9.2005].
16 Die Einrichtung der Dokumentationsstelle während des Krieg und die dabei verfolgten Absichten belegt Josep Cruanyes (2003), der sich freilich auf die Herkunft der aus Katalonien stammenden Dokumente konzentriert.
17 Zum Ablauf der Ereignisse vgl. Hugh Thomas (2003: 547ff.). Das Geschehen und der Wortlaut der Reden sind in zwei voneinander abweichenden Versionen von Luis Portillo und Emilio Salcedo, der den Erinnerungen José María Pemans folgt, überliefert worden. Eine kritische Gegenüberstellung der Versionen bietet Carlos Rojas (1988), dem auch das Zitat entnommen wurde (S. 288). Für unser Argument ist nicht die exakte Rekonstruktion des Treffens entscheidend, sondern der Beleg des in der Rede eingesetzten Körper-Imaginären, das Unamuno zu seiner Gegenintervention provozierte. Auch in der Überliefung Portillos kommt dieses Imaginäre in der Metapher vom "cáncer" der Autonomien und dem "chirurgischen" Eingriff des Faschismus dagegen zum Ausdruck, allerdings in etwas verändertem Wortlaut ("cortando en la carne viva como un cirujano resuelto, libre de falsos sentimentalismos", zit. nach Hugh Thomas, 548), der zudem nicht Millan Astray zugeschrieben wird, sondern Francisco Maldonado.
18 Man denke nur an die besonders wirkungsmächtige, von Titus Livius übermittelte Parabel vom Magen und den Körpergliedern, mit der Menenius das Volk von der secessio plebis abgebracht und zur Rückkehr nach Rom bewogen haben soll (vgl. Livius: Ab urbe condita libri, II.32, 8ff). Die dabei zum Ausdruck kommende Strategie zu einer Somatisierung und Substantialisierung der sozialen Ordnung ist keineswegs eine isolierte Erscheinung, die nur das Staatsdenken der Antike beträfe, sondern kennzeichnet das politische Imaginäre bis in die Gegenwart hinein, wie die Studie von Susanne Lüdemann (2004) zeigt, die einige wesentliche Stationen der politischen Organismus-Metaphorik von Platon bis zu Ferdinand Tönnies analysiert.
19 Zur Repression im Hinterland beider Kriegszonen vgl. die Studie von Alberto Reig Tapia (1985), die nicht quantitiv Opferzahlen gegeneinanderstellt, sondern qualitative Unterschiede analysiert.
20 Die Unterscheidung von "kommunikativem" und "kulturellem" Gedächtnis als zwei unterschiedliche Formen des kollektiven Gedächtnisses haben besonders Jan und Aleida Assmann etabliert. Während das kommunikative Gedächtnis auf mündlicher Alltagskommunikation beruht und höchstens drei Generationen zurückreichen kann, verfestigt und objektiviert sich im kulturellen Gedächtnis Erinnertes zu symbolischen Formen die dauerhaft tradiert werden können. Dazu auch den Eintrag "kulturelles Gedächtnis" in Pethes/ Ruchatz (2001: 329ff).
21 Zum Filmwerk Ken Loachs gibt es mittlerweile eine ganze Reihe von Veröffentlichungen. Grundlage zur eigenen Arbeit bildete der Sammelband von George McKnight (1997) sowie der Überblick von Francis Rousselet (2002).
22 Während das erwähnte Triptychon noch ausschließlich von Parallax-Pictures unter Obhut der Fernsehanstalt Channel 4 produziert wurde, leitete Land and Freedom die Ära der multinationalen Koproduktionen ein (produziert von Parallax zusammen mit der spanischen Filmgesellschaft Messidor Film und der deutschen Road Movies Production). Alle weiteren seither entstandenen Kinofilme waren Koproduktionen und auch stofflich pendelt Loach seitdem zwischen globalen Konflikten (Carla's Song 1996, Bread and Roses, 2000) und Milieustudien, die wieder "very british" sind (neben dem Film The Navigators von 2001 vor allem die Glagow-Trilogie My Name is Joe, 1998, Sweet Sixteen, 2002, und A fond Kiss, 2004).
23 Der Film übernimmt dabei den Titel einer der Hauptzeitschriften der Federación Anarquista Iberica (FAI).
24 Kritik an der mangelnden Objektivität des Film erhoben unter anderem der ehemalige spanische KP-Chef Santiago Carillo (Vgl. El Pais, 6.4.1995), sowie der Historiker Solé i Sabaté, der den Film als gelungene Fiktion bespricht, die historiographisch gesehen jedoch mangelhaft sei (vgl. El Temps, 24.4.1995). Zur Diskussion um den historischen Wahrheitsgehalt vgl. Durgan (1976).
25 Dass diese Geschichte in weiten Teilen George Orwells Hommage to Catalonia folgt, ist wiederholt von der Filmkritik angemerkt worden, braucht hier aber nicht im einzelnen belegt zu werden, da nicht Fragen von Originalität und Schöpfertum zur Debatte stehen.
26 Nach dem Vorspann wird die filmische Haupthandlung noch insgesamt sieben weitere Male unterbrochen, bevor der Film mit dem Begräbnis Davids am Ende wieder ganz in die Gegenwart einmündet, von der er ausgegangen war. In diesen Unterbrechungen der Haupthandlung wird immer wieder die Enkelin Kim beim Lesen von Briefen und Zeitungsdokumenten und dem Ansehen von Bildern ihres Großvaters gezeigt, wobei sie zunehmend fasziniert wird und ihre eigene Gegenwart im Sog dieser Faszination vergisst.
27 Als Mittel zum fade out der Lektüre-Gegenwart fungiert dabei meist die Erzählerstimme (in sechs der sieben Fälle), teilweise auch die Hintergrundmusik (in zwei Fällen). Nur in einem einzigen Fall erfolgt der Übergang durch reine Bildmontage.
28 "Camaradas, da igual ser español, inglés, americano o chino, somos una sola clase de personas con las mismas aspiraciones y la misma esperanza en una sociedad justa e igualitaria. Quisiera que os unieseis a nosotros, que nuestra lucha sea la vuestra. Unámonos, unámonos. Haced vuestra la devisa 'No pasarán'" (0:06:34 h ff). Filmzitate werden hier und im folgenden direkt nach den spanischen Untertiteln transkribiert und mit chronometrischen Angaben belegt.
29 Eine Hauptstrategie ist dabei das gezielte Casting von Laienschauspielern (die in Land and Freedom vor allem in der Szene zum Einsatz kamen, in der die Bewohner des von den POUM-Militionären rückeroberten Dorfes die Kollektivierung des Landbesitzes diskutieren und beschließen. Ein zweites Verfahren besteht in der Synchronosierung von Drehablauf und Filmchronologie und der dabei bewusst erzeugten Ignoranz der Schauspieler ihrer Rolle gegenüber. Da die Schauspieler kein Gesamtdrehbuch ausgehändigt bekommen, sondern nur jeweils kurzfristig über den weiteren Verlauf ihrer Rolle informiert werden, entsteht eine Art konstruierter Spontaneität. Zur Gestaltung der Dreharbeiten informiert im einzelnen Wandler (1996).
30 Im Interview zum Film insistiert Ken Loach dementsprechend häufig auf diesem Glaubensziel und unterstreicht dessen Erreichung, "a real belief in what they [i.e. die Schauspieler] were doing", als Schlüssel zum Erfolg. Ich beziehe mich dabei auf Zusatzmaterial zu der von mir benutzten DVD-Ausgabe des Films (Cameo Media S.L, 2004).
31 Dass die Kritik an Ken Loach's Mischung von Fakt und Fiktion ihrerseits kritikabel ist, zeigt Petley (1997).
32 Auf der Ebene der erzählten Vergangenheit gilt dies für Blanca, die zunächst als vermeintliche Prostituierte eingeführt wird, um ihrem Namen dann doch alle Ehre zu machen und zur Inkarnation der unschuldigen, betrogenen Revolution zu werden. Ken Loach nutzt dabei die Frauenfigur zur Aufklärung seines Protagonisten, der dank Blancas nicht nur von seinen männlichen Begehren nach Besitz des Frauenkörpers gereinigt wird, sondern auch von seinem politisch naiven Vertrauen auf den Kommunismus als Partei der proletarischen Revolution. Auf der Ebene der Erzählgegenwart übernimmt die Figur von Kim ebenfalls die ideologische Funktion einer Naturalisierung, indem sie als Verkörperung der politisch und ideologisch motivierten Erzählperspektive.
33 Eine selektive Durchsicht und Bewertung des Presseechos in Spanien nimmt Köhler (1996) vor.
34 In einem Interview mit Manuel Montero gab er folgendes Statement: "En estos años [d.h. Anfang der 80er Jahre, als Aranda bereits ein fertiges Drehbuch zu seinem Film besaß] había una especie de consenso para no hacer películas sobre la Guerra Civil. Ahora, con cintas como Tierra y libertad, este periodo de nuestra historia vuelve a aparecer como si fuese una novedad, cuando en realidad lo que sucede es que hemos estado guardando silencio porque nadie, por lo que fuera, quería enfrentarse al tema. O porque no era rentable hacer ese cine, o por una especie de acuerdo tácito de no remover viejos litigios durante la transición. Pero el asunto, como se deduce de los resultados del filme de Loach, interesa y, en cambio, los productores y los directores nos lo hemos estado autoprohibiendo" (La Voz de Asturias, 13.3.1996, p. 67.)
35 Der Verweis auf den enormen kommerziellen Erfolg des Buches über 200.000 verkaufte Exemplare in den ersten 10 Monaten , dem zahlreiche Literaturpreise, Übersetzungen in Fremdsprachen und schließlich Truebas Film folgten, ist inzwischen schon zu einem Topos der Literaturkritik geworden, der die Frage nach den Gründen dieses Erfolges umso interessanter macht.
36 Von diesem Medienverbund zeugt das Drehbuch zum Film, das mit einem Vorwort von Javier Cercas erschien (vgl. Trueba 2003), sowie das Buch Diálogos de Salamina (Cercas / Trueba 2003), das sich im Untertitel als "paseo por el cine y la literatura" bezeichnet.
37 Vom "nuevo efecto Cercas" sprach z.B. Nora Catelli in einem Artikel in El Pais vom 9.11.2002 und vermutete dabei, dass die Wirksamkeit des Romans von Cercas in einer Historisierung des Bürgerkrieges liege ("Puede decirse que Cercas convirtió la actualidad en pasado: escribió la primera novela histórica de la guerra civil").
38 Der Film wurde 2002 von der spanischen Firma Lolafilms produziert und kam im März 2003 in die spanischen Kinos.
39 Für diesen Übergang sorgt neben der Kreisbewegung des travellings dabei vor allem die Kontinuität der Musik, die den diegetischen Ebenenwechsel nur ganz sublim durch Einsatz eines neuen Instrumentes (Piano) unterstreicht, aber keinen Bruch bewirkt.
40 Deutlich wird das Desinteresse an der Vergangenheit in der Reaktion Lolas auf den Vorschlag ihres Redaktionschefs, einen Beitrag für eine Sondernummer zum Thema Guerra civil zu verfassen: " La Guerra Civil otra vez, no por favor. ¿Queda alguien a quien le siga interesando eso? Como sois las tías. Eso lo podría haber dicho mi padre, que es un carca con demencia senil" [05:0605:15 min] [Ich zitiere direkt nach den Filmdialogen und nicht nach dem inzwischen veröffentlichten Drehbuch, da es in etlichen Nuancen vom realisierten Produkt abweicht, H. E..]
41 Diese unwiderbringlich verlorene private Geschichte des Vaters wird im Film durch das Photo angezeigt, das Lola nach seinem Tod in seiner Brieftasche findet. Auf ihm sind drei junge Männer in Uniform zu sehen, "probablemente falangistas", wie das Drehbuch vereindeutigend kommentiert (Trueba 2003: 22), auf der Rückseite steht geschrieben: "Queridos padres, el chico de la izquierda es Alonso. Lo mató una granada una semana después de tomar la foto. Tengo muchas ganas de veros, Marzo 1938." [17:4018:00 min]. Die Geschichte des Vaters, deren Spuren Lola hier aufliest, scheint allerdings durch Amnesie schon vor seinem Tode verloren, wie seine Frage "¿qué guerra?" zeigt, mit der er auf Lolas Erinnerungsartikel reagiert. Arthur Huges sieht dieses autobiographische Vergessen als "symbolic of contemporary Spanish society" und stellt dagegen Lola als Repräsentatin eines Prozesses kollektiven, vermittelten und nicht auf direkter Erfahrung beruhenden Erinnerns. Ich zitiere mit freundlicher Genehmigung des Autors aus dem noch unveröffentlichten Manuskript.
42 In ihrem Artikel verweist Lola Cercas nicht nur auf die Tatsache, dass die beiden Brüder auf jeweils unterschiedlichen Seiten des Bürgerkriegs standen, sondern setzt den Tod Machados über den Zufall der zeitlichen Nähe mit der Beinahe-Erschießung Sánchez Mazas in Verbindung: "Por esas mismas fechas, en el norte de Cataluña, en el santuario del Collell fusilaban a otro poeta y escritor, Rafael Sánchez Mazas" [09:20 min ff]; Der im Film verlesene Zeitungsartikel weicht nicht nur von der Drehbuchversion ab, sondern weist insgesamt einige wesentliche Veränderungen im Vergleich zur Romanvorlage auf. So wird Sánchez Mázas, der im Buch als "uno de los fundadores e ideólogos de la Falange" bezeichnet wird (Cercas 2001: 25), zum "fundador e ideólogo de la Falange" tout court. Trotz der Veränderungen, bleibt die Grundaussage des Artikels freilich erhalten, der jenseits der Frage nach den ideologischen Gründen des Krieges und der Beteiligung einzelner Akteure in den intimen und subjektiven Gefühle der vom Tod ihrer Mitmenschen Betroffenen das 'eigentliche' zu ergründende Geheimnis des Bürgerkrieg ausmacht. Ana Luengo trifft bei der Analyse der ideologischen Position des Artikels sicher einen richtigen Punkt, wenn sie den dort konstruierten "paralelismo imparcial" für ein typisches Argument der "reconciliación nacional" hält (Luengo 2004: 241), wesentlicher noch als diese scheinbare Neutralität scheint mir jedoch die systematische Verschiebung des historischen Interesses weg von den Opfern hin zu den Gefühlen der Überlebenden.
43 Zur Rehabilitierung des Heroischen in Soldados de Salamina vgl. auch den Artikel von Christian von Tschilschke (2005), der David Truebas Film in einer Reihe mit André Malraux und Carlos Saura als symptomatisches Epochenzeichen behandelt.
44 E. M. Forsters Unterscheidung zwischen "round characters" und "flat characters" ist während der ersten Unterrichtsstunde Lolas an der Tafel zu sehen [c.a. 03:50 min]
45 1:09:451:09:55 h.
46 1:48:261:48:43 h
47 Ich zitiere nach einer anonym erschienenen Rezension, die sich auf den Web-Seiten der Falange findet:
http://www.e-falange.com/fei/documentos/Soldados%20de%20Salamina.html [20.9.2005]
48 Die Rede vom "Gewinner" ist angesichts des fulminanten Verkaufserfolges zumindest für die Romanvorlage zutreffend. Die Behauptung des fiktiven autobiographischen Erzähler Cercas "son los poetas los que siempre ganan las guerras", die er in kritischer Intention gegen eine ideologisch ausgerichtete Literatur formuliert (Cercas 2001: 51) ließe sich also durchaus auch als Motto seines eigenen ent-ideologisierenden Erzählens verstehen.
49 Anders als Arthur Hughes sehe ich die spanische Nation deshalb nicht als eindeutig weiblich gegendert, sondern im Paar des Bolero repräsentiert. Der junge Soldat, der vielleicht Miralles ist, umarmt nicht nur die Nation, sondern verkörpert diese zugleich. Tröstendes platonisches Versprechen dabei ist es, dass zwei Mängelwesen durch Vereinigung wieder zur perfekten Einheit verschmelzen können, wobei therapeutisch wichtig nicht die Wahrheit des Mythos, sondern der Glaube daran ist.
50 Die partielle Nutzung des kommunikativen Gedächtnisses macht Soldados de Salamina noch nicht zum Anwalt dieses Gedächtnisses, das vielmehr bewusst in einer kulturellen, konsensbetonten und fiktionsbewussten Erinnerungsarbeit aufgehoben wird, wobei das Aufgehobene eben nicht nur affirmiert, sondern zugleich auch negiert wird. Wenn der Autor sich im Gespräch mit David Trueba selbst zum bloßen Aufzeichnungsmedium des von ihm eingesetzten kommunikativen Gedächtnisses stilisiert (vgl. Diálogos de Salamina, 55), ist diese Bescheidenheit vielleicht eine Zier, aber entspricht kaum dem literarischen Selbstbewusstsein, auf das der ganze Roman, der ja zuallererst die erfolgreiche Bewältigung einer schriftstellerischen Krise inszeniert, abzielt.
51 In seinem Gespräch mit David Trueba bezeichnet Cercas Miralles selbst als "una especie de padre simbólico o histórico, no sé" (vgl. Cercas/Trueba 2003: 21). Die hier zelebrierte Unentschiedenheit zwischen historischer und symbolischer Bedeutung ist kennzeichnend für Cercas' Argumentationsstrategie schlechthin und wird mit Verweis auf Aristoteles als das Recht der Literatur zur Konstituierung ihrer eigenen "verdad esencial mediante la manipulación de las verdades accidentales, mediante la mentira" behauptet (ebd.: 18). Bewusst übergangen wird bei diesem Rückgriff auf die aristotelische Poetik freilich die Tatsache, dass dort der Modus literarischer, nicht auf Faktizität sondern auf Wahrscheinlichkeit basierender Mimesis explizit abgegrenzt wird vom prinzipiell gleichwertigen Modus historiographischer Rekonstruktion. Die entscheidende Pointe des Verfahrens von Soldados de Salamina ist dagegen das bewusste Ausspielen beider Erzählmodi und die Abwertung des Historiographischen als eine obsessive und letztlich erfolglose Suche, die ins Leere führt, eine Leere, aus der dann die konstruierte erfundene 'Wahrheit' literarischer Fiktion als umso produktiverer Ersatz-Sinn behauptet werden kann. Spezifisch postmodern und ganz und gar unaristotelisch ist dabei die Wendung der Wahrscheinlichkeitskategorie, die bei Aristoteles ja noch durchaus normativen Charakter besitzt, ins rein Subjektive. Die Essenz der "verdad esencial" der Literatur wird zur Angelegenheit privater Wunscherfüllung, weshalb konkurrierende ideologische Lesarten denn auch als Erfolg verbucht werden können "porque cada lector lee su propia novela: una novela no es más que una partitura, y es el lector quien la interpreta" (ebd.: 45).
52 Auch Hughes kommt zum Ergebnis, Lolas Versuch zur Rekonstruktion des "secreto esencial" des Bürgerkrieg "attempts to create meaning out of the traumatic past".
Abb. 16: Filmstills aus Land and Freedom
Abb. 1: Die Gegenwart als ideologisches Kampffeld
Abb. 2: Der 'Moder' der fremden Vergangenheit
Abb. 3: Der Einsatz des Dokumentarischen (1)
Abb. 4: Der Einsatz des Dokumentarischen (2)
Abb. 5: Fortsetzung des Kampfes (1): Die erhobene Faust von David
Abb. 6: Fortsetzung des Kampfes (2): Davids Enkelin Kim
Abb. 712: Filmstills aus Soldados de Salamina
Abb. 7: Die Schrecken der Vergangenheit...
Abb. 8: ... und die Leere der Gegenwart
Abb. 9: Lolas somatisches Nach-Erleiden der Geschichte
Abb. 10: Der vernarbte Held uns seine Ersatzgeliebte
Abb. 11: Abschied Sánchez Mazas: "no me olvidaré de vosotros"
Abb. 12: Abschied Lola Cercas: "no me olvidaré de usted"