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Susanne Mühleisen (Frankfurt/Main)




Emil Schwörers Kolonial-Deutsch (1916).
Sprachliche und historische Anmerkungen zu einem "geplanten Pidgin" im kolonialen Deutsch Südwest Afrika




Emil Schwörers Kolonial-Deutsch (1916).
Kolonial-Deutsch, a proposal made during WW I for a German-based contact variety for colonial South-West Africa, is not only a historical footnote of colonial language politics but also an interesting example of an artificial language which seeks to imitate the simplification processes of natural contact varieties. This paper looks at the structural choices made in Schwörer's Kolonial-Deutsch and discusses their possible influences (English-based pidgins, Bantu languages, foreigner talk). It also compares selected features of this artificial language with natural German-based contact varieties (Gastarbeiterdeutsch, Unserdeutsch, Küchendeutsch) and discusses pidgins as models for artificial languages, especially in the context of the end-19th century profusion of their 'a posteriori' representatives.



1 'Kolonial-Deutsch' – eine sprachplanerische Kuriosität der Kolonialgeschichte

Deutsche Kolonialgeschichte spielt im heutigen öffentlichen Bewußtsein kaum eine Rolle. Im Jahr 2004 jedoch rückte dieser Teil der deutschen Vergangenheit ein wenig ins Rampenlicht, zumindest was die Kolonialpolitik in der größten der ehemaligen deutschen Kolonien, im damaligen Südwest Afrika, anbelangt: Die blutige Niederschlagung des sogenannten Herero-Aufstandes jährte sich zum hundertsten Mal und war Anlaß für zahlreiche historische Dokumentationen und Features über diesen Teil der deutschen Kolonialgeschichte in den Medien.

Für sprachlich Interessierte stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, wie denn eigentlich die Kommunikation zwischen deutschen Kolonialbeamten und den Herero oder den vielen anderen sprachlichen Gruppen in der Region funktionierte. Die koloniale Sprachsituation mit einer kleinen, aber sozial dominanten Sprache in begrenztem Kontakt mit einer größeren, sprachlich diversen Bevölkerungsgruppe wäre typisch für das Entstehen eines Pidgins, einer rudimentären Kontaktsprache, wie Beispiele aus der Kolonialgeschichte belegen (z.B. Nigerian Pidgin English). Die soziale und funktionale Begrenzung der Interaktion zwischen Kolonialherren und Kolonisierten begünstigt die Entwicklung einer solchen Hilfssprache, die zumeist die lexikalischen Elemente der dominanten Sprache übernimmt und grammatikalisch relativ simpel ist. Wird die Kontaktsprache – beispielsweise also ein Pidgin-Deutsch – dann auch noch von verschiedenen einheimischen Sprachgruppen als Verständigungsmittel untereinander benutzt, dann stehen die Chancen gut, dass sich das Pidgin stabilisiert und die grammatikalischen Regeln sich verfestigen oder sogar ausbaut werden.




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Das Entstehen eines Pidgins ist normalerweise eine ungeplante Aktion, die sich aus den kommunikativen Bedürfnissen der Interaktionspartner ergibt. Zumeist geht ja eine Pidginisierung auch aus einer unvollständigen Sprachlernsituation hervor – unvollständig, weil der Kontakt zur sozial dominanten Gruppe zu limitiert ist und der Bedarf an Kommunikation bereits mit eingeschränktem Vokabular und einfachen Dialogstrukturen zu decken ist. Ein geplantes Pidgin ist also eine Art Oxymoron, ein Widerspruch in sich selbst. Genau dies aber wurde für die Kommunikation in Deutsch Südwest aufgeworfen: "Vorschläge einer künftigen deutschen Kolonialsprache in systematisch-grammatikalischer Darstellung und Begründung" wurden unter dem Titel Kolonial-Deutsch von dem ehemaligen Kolonialbeamten Dr. jur. Emil Schwörer (1916) in Deutschland veröffentlicht. Wie das Publikationsjahr nahelegt, zielte Schwörers 62-Seiten starkes Büchlein darauf ab, die deutschen Expansionsträume während des ersten Weltkrieges auch sprachlich zu untermauern und die erhoffte Vormachtstellung Deutschlands im südlichen Afrika weiter auszubauen.

Nach dem Krieg und dem einhergehenden Verlust der Kolonien wurde Schwörers Idee einer deutschen Kolonialsprache obsolet. Seine Vorschläge wurden nie in die Praxis umgesetzt – und es bleibt von der Lektüre auch etwas fraglich, wie eine Umsetzung hätte vor sich gehen sollen. Kolonial-Deutsch in dieser Form gibt es daher lediglich auf dem Papier. Dennoch ist diese historische linguistische Anekdote für eine Reihe von Gesichtspunkten interessant:

  1. Kolonial-Deutsch dient als eingermaßen ausführliche zeitgenössische Illustration für koloniale Sprachpolitik, ihrer ideologischen Begründung und all ihren praktischen Umsetzungsproblemen.
  2. Es dient ebenso als Beispiel für eine reduzierte Varietät, die zum einen auf die Intuition des Muttersprachlers basiert, aber auch von dessen Wissen über genuine Kontaktsprachen beeinflußt war. Schwörer, so scheint es von der Lektüre von Kolonial-Deutsch, war mit Pidgin-Englisch in anderen Teilen des kolonialen Afrika vertraut, ebenso verweist er einige Male im Text auf die Struktur von Bantu-Sprachen und Swahili. Es ist interessant zu sehen, welche linguistischen Merkmale er für sein "vereinfachtes Deutsch" heranzieht und inwieweit sich diese Merkmale von denen echter Kontaktvarietäten (z.B. Unserdeutsch, Gastarbeiterdeutsch) unterscheiden oder überschneiden. Ein Vergleich mit der im heutigen Namibia noch gesprochenen Varietät Küchendeutsch gibt ebenfalls Aufschluss über konstruierte versus reale Simplifizierungsmerkmale.
  3. Schließlich fällt der Vorschlag in eine Periode einer ausführlichen Diskussion über und Vorschlägen für künstliche Sprachen, einer Art "Suche nach der perfekten Sprache" am Ende des 19. und Beginn des 20. Jahrhunderts. Auch Schwörers Konstrukt ist eine künstliche Sprache, die sich allerdings auf die Besonderheiten der kolonialen Situation orientiert und nicht für den "allgemeinen Sprachgebrauch" (anders als Baumann 1916) gedacht ist.

In diesem Beitrag möchte ich zunächst den historischen Hintergrund beleuchten, vor dem die Idee des Kolonial-Deutsch hervorgerufen wurde, um dann einige der von Schwörer konstruierten sprachlichen Merkmale darzustellen. Diese Eigenschaften sollen dann mit einigen genuinen Kontaktvarietäten verglichen werden. Der dritte Teil des Artikels beschäftigt sich mit dem Vergleich von künstlichen Sprachen und Pidgins als Modell für Reduktionsprozesse.




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1. 1 Deutsch Südwest Afrika: Historischer und sprachpolitischer Hintergrund

Südwest Afrika, das heutige Namibia, war seit 1884 ein deutsches Protektorat und wurde Deutschlands einzige Kolonie mit einer erheblichen Anzahl deutscher Siedler. Eine Erhebung im Jahr 1903 zählte eine weiße Bevölkerung von 4.640 Menschen, davon 2.998 Deutsche, der Rest Buren oder Briten (in Anonym 1907: 26). Obwohl das Gebiet nur dünn besiedelt war, trafen die deutschen Kolonialherren auf eine große Vielzahl von ethnischen und linguistischen Gruppen. In zeitgenössischen Kolonialzeitschriften findet man demographische Informationen über die einheimische Bevölkerung, zum Beispiel werden in der "Kolonie und Heimat" (1911: 30) Zahlen von 20.000 Hereros, 19.000 Damaras, 14.000 "Hottentotten" (Nama oder Khoi Khoin) genannt, ebenso wie "einige tausend Buschleute, namentlich im Osten der Kolonie, in der Kalahari, und 8.000 Eingeborene im Caprivizipfel". Die Mehrheit der Sprachen im damaligen Südwest Afrika und heutigen Namibia sind Bantu-Sprachen. Ethnologue (2004) listet nicht weniger als insgesamt 29 Sprachen1, unter ihnen auch Englisch (mit 10.941 Sprechern2) und Afrikaans (133.324 Muttersprachlern, 1991 census). Deutsch3 spielt mit immerhin 12.827 Sprechern auch heute noch eine Rolle, wenngleich Englisch als internationales und Afrikaans als intra-nationales Verständigungsmittel sicher die größere Bedeutung zukommt.

Die Konkurrenz mit den in der Region schon früher etablierten Sprachen Englisch und Afrikaans war denn auch während der deutschen Kolonialzeit ein vielbeachtetes Thema. In dem 1907 erschienenen Südwest-Afrika deutsch oder britisch? (Anonym 1907) wird die Frage der europäischen Vorherrschaft zur nationalen Angelegenheit. Der (nichtgenannte) Autor moniert zur Kommunikation in der Kolonie, "Während die Engländer prinzipiell nur ihre eigene Sprache sprechen, überbieten sich unsere Beamten, Soldaten und Farmer, das so überaus armselige Afrikanerholländisch zu radebrechen" (1907: 26). Einige Jahre später wird von einem anderen Autor die Sprachsituation etwas anders dargestellt:

Die Umgangssprache ist die deutsche Sprache. Fast alle Eingeborenen verstehen ganz gut deutsch. Wenn man sich mit einem Eingeborenen nur schwer oder gar nicht verständigen kann, dann ist es ratsam, einen anderen Eingeborenen hinzuzuziehen, von dem man weiß, daß er deutsch gut versteht und spricht. Sehr häufig sagt nämlich der Eingeborenen "ja" zu allem, hat aber eigentlich nichts verstanden. Man ist dann ungehalten, wenn er seine Sache falsch macht, deshalb überzeuge man sich vorher, ob er auch alles richtig verstanden hat. (Von Gleichen 1914: 30)

Es ist natürlich bei der Verschiedenheit der Texte und Autoren – bei dem einen handelt es sich um eine ideologische Kampfschrift, bei dem anderen um einen praktischen Ratgeber für angehende Farmer in Südwest – schwierig zu beurteilen, ob die Bedeutung des Deutschen als Kommunikationsmittel tatsächlich zugenommen hatte. Der stetige Anstieg der Siedler, die in dem ersten Viertel des 20. Jahrhunderts von Deutschland nach Südwest Afrika auswanderten4, lässt jedoch vermuten, dass es tatsächlich zu Kommunikationsszenen, wie von Gleichen sie beschreibt, gekommen sein mag.




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1.2 Kolonialdeutsch als "sprachliche Waffe"

Aber auch für Schwörer stand als Beweggrund für seinen Vorschlag weniger die Notwendigkeit der Kommunikation mit den diversen einheimischen Sprachgruppen im Vordergrund, als vielmehr, der schon bestehenden sprachlichen Dominanz von Englisch und Afrikaans etwas entgegenzusetzen5. In seinem Vorwort macht er deutlich, dass der Zweck des Buches über die unmittelbaren Kommunikationsprobleme hinausgeht. Schwörer sieht seinen Beitrag im Zeichen eines generellen Wettlaufs um ökonomische und politische Dominanz zwischen den europäischen Kolonialmächten:

Als völkisch denkende Vaterlandsfreunde dürfen wir daher vor kleinen sprachlichen Opfern, die sich tausendfach lohnen, nicht zurückschrecken. Dies gilt gerade jetzt um so mehr, als es sich auch nach den Friedensschlüssen um einen schweren Wettkampf unserer Sprache mit der englischen handeln wird, die ihr durch ihre Einfachheit, ihre leichte Erlernbarkeit und Verbreitung in allen Erdteilen leider ohnehin so sehr überlegen ist. Deshalb darf uns unsere Muttersprache im internationalen Wettbewerb nicht eine hindernde Schranke sein; sie soll vielmehr zu einem der wichtigsten Verständigungsmittel der Welt werden, uns selbst aber zu einer modernen sprachlichen Waffe im künftigen wirtschaftlichen Völkerkrieg […]. (Schwörer 1916: 6)

Die Motivation für Kolonial-Deutsch wird in der Einleitung äußerst ausführlich dargelegt. Es hat hier den Anschein als ob Schwörer befürchtet, dass die "sprachlichen Opfer" einer reduzierten Version des Deutschen nicht von der weiteren Öffentlichkeit in Deutschland akzeptiert würden. Wie Schwörer versichert, würde diese neue Sprache nur in den Kolonien angewendet und hätte keinen Einfluss auf das Hochdeutsch, das zuhause gesprochen wird – und auch nicht auf die Sprache der Deutschen untereinander in den Kolonien. "Das K.[olonial]-D.[eutsch] soll und will nicht anderes sein als eine dürftige, aber sehr brauchbare Arbeitsmagd neben ihrer vornehmen hochdeutschen Schwester" (Schwörer 1916: 20). Schwörer sieht dagegen eine ganze Reihe von Vorteilen eines Kolonial-Deutsch, wie er in seiner Einleitung ausführt und die wie folgt zusammengefasst werden können:

  1. Die Sprache wird ein Symbol für deutsche Autorität in der Kolonie sein;
  2. Sie wird die Kommunikation zwischen deutschen Kolonialherren und Einheimischen erleichtern (und bringt die Kolonialherren hierin nicht in eine "unwürdige" sprachliche Position wie bei Swahili, siehe Fußnote 5);
  3. Sie wird der Kommunikation zwischen Einheimischen verschiedener Sprachgruppen dienen;
  4. Durch das Wegfallen der Sprachbarriere wird es für die Kolonialadministration einfacher sein, Leute von einem Teil der Kolonie zum anderen zu transferieren. Mobilität wird dadurch erleichtert;
  5. Kolonialdeutsch wird den Gemeinschaftssinn in der Kolonie fördern und für die Einheimischen Zugang zur deutschen Kultur schaffen;
  6. Die neue Sprache wird regelmäßiger und "ästhetischer" sein als das "unschöne, korrumpierte […] dazu unlogische, häufig sogar lächerliche" (1916: 16) Pidgin-Englisch, das schon in vielen Teilen des afrikanischen Kontinents vorherrscht:
In Anbetracht solcher Aussichten [der Vorteile des K.D.] werden die opponierenden Stimmen jener Kritiker nicht durchdringen, die die koloniale Sprachreform mit Scheingründen oder mit den Waffen des Spottes bekämpfen und vielleicht von "Pidgin-Deutsch" im Sinne einer Sprachverschlechterung oder gar einer "Verhunzung" der deutschen Sprache reden werden. Der Vergleich mit dem Pidgin-Englisch wäre nur insoferne berechtigt, als auch dieses eine bedeutende Vereinfachung und Erleichterung des Geschäftsverkehrs bezweckt (weshalb noch kein praktischer Engländer oder Amerikaner diese häßliche Sprache bekämpft hat). Im Uebrigen aber aber muß jede Verwandtschaft zwischen dem korrumpierenden Pidgin-Englisch und dem systematisch gebildeten K.D. entschieden abgelehnt werden. (Schwörer 1916: 25f.).




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Im letzten Argument wird deutlich, dass Schwörer Kolonial-Deutsch neben dem praktischen und politisch-ökonomischen Nutzen auch aus sprachideologischen Gründen für notwendig hält. Offenbar wird hier die mechanische Regelvereinfachung als "höherwertig" angesehen als natürliche Simplifizierungsprozesse, wie sie in Pidgins nachzuvollziehen sind.



2 Kolonialdeutsch im sprachlichen Vergleich

Schwörers nachdrücklicher und wiederholter Verweis auf Pidgin-Englisch läßt jedoch die Vermutung zu, dass er auch einige der Eigenschaften dieser Kontaktsprachen für sein Kolonial-Deutsch heranzieht. Als weiteres Modell und einflussreiche Quelle auf seine Auswahl an Reduzierungsmerkmalen gibt er einen anderen zeitgenössischen Vorschlag für ein künstlich simplifiziertes Deutsch an (z.B. Schwörer 1916: 6), nämlich das Weltdeutsch von Adalbert Baumann, "[…] wenn auch "Kolonial-Deutsch", das zunächst nur für unsere Kolonien bestimmt ist und den besonderen afrikanischen Verhältnissen (namentlich in lautlicher Beziehung) Rechnung zu tragen hat, zum Teil andere Wege einschlagen muß als das universelle "Welt-Deutsch" (Schwörer 1916: 6). Baumanns Ausführungen zu Weltdeutsch wurden ebenfalls 1916 publiziert, waren jedoch zuvor schon in Vorträgen öffentlich gemacht worden. Im Unterschied zu Kolonialdeutsch war Weltdeutsch nicht für den spezialisierten Gebrauch in den Kolonien gedacht, sondern als generelles internationales Kommunikationsmittel "für unsere Bundesgenossen und Freunde!", wie im Titel der Veröffentlichung (Baumann 1916) vermerkt ist6. Als dritte Quelle, die Schwörers Auswahl an sprachlichen Merkmalen beeinflusst haben mag, kommt noch Schwörers Kenntnis – zumindest erscheint dies im Text impliziert – von Swahili7 und/oder anderen Bantu-Sprachen. Schwörer erwähnt phonologische und grammatikalische Bantu-Strukturen im Zusammenhang mit Überlegungen zu lexikalischen Präferenzen ("leichter oder weniger leicht auszusprechen") oder auch bei der Entscheidung, im Kolonialdeutsch nur ein grammatikalisches Geschlecht zu bestimmen: "Auch das sonst ziemlich formenreiche Kisuaheli hat (gleich anderen Bantu-Sprachen) überhaupt keinen bestimmten oder unbestimmten Artikel und daher auch keine erkennbare Verschiedenheit des Geschlechts der Hauptwörter" (Schwörer 1916: 29).


2.1 Sprachliche Merkmale des Kolonialdeutsch

Schwörer macht zwei graduell verschiedene Vorschläge, wie "das koloniale Sprachproblem" gelöst werden kann, und zwar beschreibt er diese als "System A" – eine Art Minimallösung – und als das sehr viel weiter gehende und detailreicher dargelegte "System B".

System A: stellt lediglich zwei Kriterien auf:

  1. Auswahl von 500 bis zu allerhöchstens 800 Wörter, Vermeidung von Synonymen und Bedeutungsähnlichkeiten, "[dabei] sind solche zu bevorzugen, die für die Eingeborenen leicht aussprechbar sind" (1916: 17);
  2. Verwendung der Verben im Infinitiv, "in Verbindung mit ganz wenigen, nur in Gegenwart und Vergangenheit zu konjugierenden Hilfszeitwörtern" (1916: 18);

Hinzu kommen nicht weiter spezifizierte Vereinfachungen im Satzbau.




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System B: baut auf System A auf, stellt aber eine wesentlich radikalere Lösung dar:

I. Lexikon wie in System A

  • Der Wortschatz wird reduziert auf ungefähr 500 bis 600 Basisworte, eine Wortliste ist dem Text angehängt. Der Hauptbestandteil der Wortliste ist den offenen Kategorien Hauptwort (ca. 200), Zeitwort (ca. 100), Eigenschaftswort (ca. 100) und Umstandswort (ca. 50) zugeordnet, geschlossene Kategorien wie Fürwort beinhalten immerhin auch noch 37, Verhältniswort 19, Bindewort 11 Einträge.
  • Um die Bezeichnungsmöglichkeiten zu erweitern, werden folgende Strategien vorgeschlagen: a) Multifunktionalität von Basiswörtern, b) Kombinationen von allgemeineren Begriffen für spezialisiertes Vokabular (z.B. de alte Mann für Greis oder de junge Mann für Jüngling), c) Komposita (Last-Mann für Arbeiter, Arbeit-Mann für Vormann), d) Gebrauch von Negation (z.B. nicht sauber für schmutzig), e) Umschreibungen;

II. Grammatik

1. Substantiv, Artikel, Pronomen

  • Gebrauch von gender-neutralen bestimmten Artikeln für Nomen im Singular (de) und im Plural (die). Als unbestimmter Artikel soll das ebenfalls gender-neutrale eine im Singular und Plural fungieren. Sowohl bestimmte als auch unbestimmte Artikel können oft weggelassen werden.
  • Regularisierung der Pluralendung mit -en (-n in Fällen, wo der Singular auf -er, -el oder -e endet; z.B. Lager/n, Esel/n oder Kanne/n);
  • Wegfallen von Kasusmarkierungen. Genitiv und Dativ werden mit Präpositionen und bestimmtem Artikel gebildet, zum Beispiel von de Mensch (gen.) oder zu de Mensch (dat.);
  • Pronomina bleiben relativ komplex (mit Possessiv- und Dativformen), Reflexivpronomen fallen weg;
  • Numerale bleiben ähnlich wie im Hochdeutschen, bis auf die Positionierung in höheren Zahlwörtern, wo, ähnlich wie im Englischen, die kleinere Zahl der Dezimalzahl nachgestellt wird (z.B. zwanzig-drei statt dreiundzwanzig);

2. Verben und Verbformen

  • Alle Verben erscheinen in der Infinitivform des Präsenz, bis auf 5 Modal- und Hilfsverben (tun, wollen, können, müssen, sein, haben), die in Gegenwarts- und Vergangenheitsformen konjugiert werden. Futur wird mit Hilfe von temporalen Adverbien (z.B. morgen) ausgedrückt;
  • Passivform entfällt;
  • die Imperativform wird durch eine Infinitivform ersetzt, die dem Objekt vorangestellt ist8, z.B. Holen (INF) Wasser (N) statt Hol (IMP) Wasser (N);




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3. Adjektive, Adverbien und Präpositionen

  • Alle attributiven Adjektive enden ausnahmslos auf -e, ungeachtet Genus (da im K.D. nicht unterschieden), Kasus oder Zahl (z.B. eine gute Esel, die gute Eseln, von de gute Esel);
  • Adverbialformen von Adjektiven bleiben wie im Hochdeutschen. Einige Fragewörter erscheinen in analytischer Form (z.B. von was anstatt wovon);
  • Die Anzahl der Präpositionen ist reduziert: als wichtigste Verhältniswörter werden aufgelistet: an, auf, für, in, von vor, wegen und zu. Daneben sind als sekundäre Präpositionen aus, bei, bis, gegen, mit, noch, neben, ohne, seit, über und um angegeben;

4. Koordination

  • Die Anzahl der Konjunktionen ist reduziert (Gruppe I: aber, auch, oder, und, wenn, wie; Gruppe II: bis, daß, denn, vor, weil);
  • Einfache Satzstellung, möglichst ohne Rekursion (wenn, dann mit koordinierenden eher als subordinierenden Konjunktionen) ist bevorzugt;

III. Schreibweise

  • Die Orthographie bleibt an das Hochdeutsche angelehnt (anders als in Baumanns Weltdeutsch (1916), das eine Art phonemische Schreibweise – "in laut-shrift geshriben!" – verwendet9.)

Wie genau diese Regeln implementiert werden sollten bleibt ziemlich vage in Schwörers Vorschlag. Selbst wenn diese Regeln in einer Sprachlernsituation eingesetzt werden, scheint es doch denkbar unwahrscheinlich, dass Muttersprachler in einer alltäglichen Sprachsituation im Umgang mit einheimischen Sprechern und Sprecherinnen oder gar anderen Deutschen diese Regeln konsistent anwenden würden. Viel wahrscheinlicher ist es, dass ein Muttersprachler mit den Nichtinitiierten sogenannte "foreigner talk"-Strategien, d.h. generelle natürliche Vereinfachungsstrategien gegenüber Sprachlernenden verwendet (siehe z.B. Hinnenkamp 1982) – die zum Teil auch in Kolonialdeutsch vorkommen10, so z.B. der Gebrauch der unkonjugierten Infinitivform des Verbs oder das Wegfallen des Artikels im Deutschen. Trotz gewisser Ähnlichkeiten zwischen Kolonialdeutsch und solchen natürlichen Reduktionsmerkmalen (siehe auch 3. 2.) erscheint ein Erfolg in der praktischen Anwendung von Kolonialdeutsch fraglich:

  1. Foreigner talk-Strategien sind viel flexibler als die Regeln des Kolonialdeutsch,
  2. Einige der Regeln erscheinen unnötig komplex, beispielsweise was das Pronominalsystem oder die Konjunktion der Hilfsverben angeht,
  3. Für das Erlernen von Kolonialdeutsch müsste großflächig Gelegenheit zu gesteuertem Sprachlernen geschaffen werden,
  4. Durch die bereits bestehende Präsenz von Englisch und Afrikaans besteht kein hoher Kommunikationsdruck für das Erlernen von Kolonialdeutsch.

Während Schwörer keine detaillierten Angaben macht, wie die praktische Umsetzung vonstatten gehen soll, gibt er einige konstruierte Dialoge in verschiedenen Situationen als Beispiele dafür an, wie die Kommunikation in Kolonialdeutsch funktionieren soll:




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Beispiele von Kolonialdeutsch in konstruierten Dialogen und Schrift

1. Sprachprobe (p. 56): Gespräch eines Weißen mit einem Eingeborenen

W (Plantagenbeamter): "Bist du bei unsere Pflanzung? Kannst du Deutsch?"
E (Eingeborerer, intelligent): "Ja wohl, bana. Ich bin bei Ihre Pflanzung. Ich kann Deutsch. Ich kann sagen Alles in Deutsch und ich kann verstehen nun alle Menschen seit 4 Wochen.
W: "In was für eine Schule bist du gewesen?"
E: "Ich bin nit gewesen in Schule; ich tat lernen de neue Sprache von einige Kameraden, die sind gewesen in Schule von de Mission."
W: "Ist dir schwer gewesen, Deutsch lernen?"
E: "Nein, bana, gar nit schwer. De neue Sprache ist gut für die Eingeborenen; de ist leicht für uns, weil de hat nit viele Worten. Ich habe können sagen keine deutsche Wort vor fünf oder sechs Monaten. Niemand tat verstehen mir an Anfang. Das ist gewesen nit gut für meine Arbeit. De Vormann (Aufseher) tat zanken mir oft; ich habe nit können verstehen, was er tat befehlen. Ja, de neue Sprache ist sehr gut für uns."
[…]

2. Sprachprobe (p. 57): Der Sprachunterricht

Aufseher (Eingeborener, der gut K.D. spricht): "Ich will nun wieder halten Schule für euch, weil ich habe Zeit an diese Abend für eine halbe Stunde. Aber ihr müßt gut aufpassen; denn ihr müßt lernen de deutsche Sprache so schnell wie möglich. Also aufpassen! A, sagen mir, was ist das?" (zeigt seine Hand)
A (Anfänger): "Diese sein Ande".*
Aufseher: "Gut, aber du mußt sagen: "Das ist eine Hand". B, sagen mir, was ist diese Sache?" (zeigt eine Grammatik).
B (Anfänger): "Diese Sage ise eine Buge fü leanen de deitse Spage."*
Aufseher: "Ja, ist recht, aber deine Sprache ist noch nicht gut." (korrigiert B) "So nun will ich wieder C fragen. Ich tat gestern fragen de gleiche Sache." (zeigt ein Kaiser-Bild) "er ist das, C? Tust du nun wissen?"
C (Anfänger, sehr ungewandt): "Ne, ise glose Mann, abe ig wissen nit, was ise."*
[…]

* [Fußnote im Originaltext] Hier soll annähernd die Aussprache der noch ungeübten Eingeborenen (Abschleifung der Wörter, Beifügung eines Vokals als Endung) zum Ausdruck gebracht werden. Es müßte sehr viel Zeit überflüssiger Weise darauf verwendet werden, wenn man den Schwarzen die sehr zahlreichen schwierig auszusprechenden Wörter des H.D. [Hochdeutsch] einigermaßen richtig beibringen wollte.

Die letzte der Sprachproben soll hier zeigen, dass Kolonial-Deutsch auch für kompliziertere Sachverhalte und in formaleren Registern eingesetzt werden kann als nur für reduzierte und direkte Kommunikationsbelange:




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3. Sprachprobe (p. 58-59): Unsere Kolonien

Unsere Kolonien sind gewesen vor de letzte große Krieg viel zu weit aus einander. Unsere Feinden haben daher können angreifen von alle Seiten und mit alle Mitteln, auch mit eine große Zahl von Krieg-Schiffen. Das ist gewesen eine sehr böse Zeit für uns alle, für die Deutschen, aber auch für die Eingeborenen und wir haben nicht können halten alle unsere Kolonien. Diese müssen von nun an mehr zusammen liegen; angreifen ist dann schwer möglich und man hat mehr Respekt vor uns.
[…]

Abgesehen von der etwas plumpen konstruierten Lobhudelei für den eigenen Sprachentwurf erscheinen die Dialoge auch aus anderen Gründen als unrealistisch. Eine Konstruktion wie "Ist Dir schwer gewesen, Deutsch lernen" (Sprachprobe 1) ist relativ komplex, mit Dativ-Markierung des Pronomens 'Du – Dir' und der Partizip Perfekt-Bildung des Verbs 'sein – ist gewesen', die Vereinfachung im Vergleich zum Hochdeutsch liegt hier also höchstens in der Wahl des Verbs und im Wegfallen des 'zu' bei dem Infinitivkomplement lernen. Ausdrücke wie Schule halten (Sprachprobe 2) sollen verdeutlichen, wie durch Kombination von Basiswörtern der Wortschatz reduziert werden kann. Dennoch scheint es arbiträr und zu sehr an den Transfer aus dem Hochdeutschen ('Unterricht (ab)halten') angelehnt, wo das Verb 'halten' schon eine metaphorische Erweiterung erfahren hat. 'Schule machen' wäre daher mindestens so plausibel und semantisch transparenter.

Ob Kolonial-Deutsch einen Praxis-Test bestanden hätte oder nicht, kann heute wohl nicht mehr nachgeprüft werden. Durch den Vergleich mit einigen natürlichen Kontaktsprachen lässt sich jedoch nachvollziehen, ob das Konstrukt Schwörers an natürliche Reduktionsprinzipien angelehnt ist, oder ob es sich gänzlich von den Varitäten unterscheidet, die sich aus genuinen Kontaktsituationen gebildet haben. Im folgenden sollen daher einige der häufigsten Vereinfachungsprinzipien in frühen Stadien des Zweitspracherwerbs (Basic Variety) und in Kontaktvarietäten mit deutscher lexikalischer Basis (Unserdeutsch, Gastarbeiterdeutsch) mit denen des Kolonial-Deutsch verglichen werden.


2.2 Kolonialdeutsch und echte Kontaktsprachen

Bei den drei genannten Vergleichsvarietäten handelt es sich um durchaus sehr unterschiedliche Varietätstypen, die verschiedene Stadien der Involvierung im Sprachkontakt darstellen:

  1. Unserdeutsch, das in Rabaul (Papua Neuguinea) und um Brisbane (Australien) gesprochen wird, stellt die einzige deutsch-basierte kreolisierte Varietät dar (Mühlhäusler 1984: 28). Bei einem Kreol – einer erweiterten Kontaktsprache, die muttersprachlich gesprochen wird – kann man mit einer stabilen Normbildung sowohl innerhalb der Sprachgemeinschaft (synchron) als auch über die Generationen hinweg (diachron) rechnen.




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  2. Bei Gastarbeiterdeutsch hingegen handelt es sich eine Zwischensprachvarietät (interlanguage) – einem fossilisierten Stadium des unvollendeten Zweitspracherwerbs – die beträchtliche inter- und intrasprachliche Variation aufzeigt. Das in Deutschland von Migrationsarbeitern unterschiedlicher sprachlicher Herkunft gesprochene Gastarbeiterdeutsch ist daher sehr viel weniger stabil als das o.g. Unserdeutsch oder auch ein stabiles Pidgin.

  3. Mit Basic Variety (cf. Klein & Perdue 1997) ist ein Typ von Varietät gemeint, der regelmäßig in den ersten Stadien von natürlichem Zweitspracherwerb vorkommt. Die Strukturen von Basic Variety (BV) scheinen unabhängig von Zielsprache und von L1 des Lerners zu sein. Oft kommt es in diesem Stadium des Spracherwerbs zu einer Fossilisierung und eine weitere Annäherung an die Zielsprache bleibt aus. Deumert (2003: 571) listet folgende Charakteristika von BV auf:

    1. Keine funktionale Flexion,

    2. Wortschatz besteht hauptsächlich aus Elementen der offenen Kategorien (Nomen, Verben plus einige Adjektive und Adverbien), einem minimalen Pronominalsystem (das die Bezeichnung von Sprecher, Hörer und nicht-spezifizierten Dritten erlaubt), einige wenige Zahlworte, ein einziges Wort für die Negation, keine Komplemente,

    3. Struktur der Äußerungen wird durch drei Arten von Einschränkungen bestimmt: Syntaktische Beschränkungen (generalisierte NP-V-NP Struktur), semantische Beschränkungen (weitgehend Agens-Verb-Patiens Struktur) und pragmatische Beschränkungen (z.B. einfache Thema-Rhema Struktur); komplexe hierarchische Strukturen (vor allem Subordination) fehlen in der BV,

    4. Zeitliche Referenz wird zu Beginn der Äußerung definiert (gewöhnlich durch den Gebrauch von Zeit-Adverbien).

Im Vergleich mit den von Schwörer gemachten Vorschlägen für Kolonial-Deutsch gibt es einige Gemeinsamkeiten, aber auch eine Reihe von Unterschieden:

  Basic Variety Kolonial-Deutsch
Keine funktionalen Flexionen +
Wortschatz hauptsächlich aus lexikalischen Kategorien + +
Minimales Pronominalsystem +
Einzelner Negator + +
Wenig Zahlwörter +
Keine Komplemente +
NP-V-NP Struktur + +
Agens-Verb-Patiens Struktur + +
Simple Thema-Rhema Struktur + ?
Kaum Subordination + +/–
Temp. Adverbien als Zeitreferenz + +




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Die wenigen Sprachbeispiele in K.D. lassen natürlich nur begrenzte Rückschlüsse auf, beispielsweise, pragmatische Beschränkungen zu. Der in Beispiel 1 aufgeführte Satz "Ist Dir schwer gewesen, Deutsch lernen" zeigt jedoch, dass hier die Thema-Rhema Struktur nicht die einfachste Form aufweist. Die Einleitung mit dem hervorgehobenen, neuen Informationsteil (Rhema: "ist Dir schwer gewesen") und dem anschließenden Thema ("Deutsch lernen") ist zumindest eine markiertere Form der Satzperspektive als die Thema-links – Rhema-rechts Variante.

Subordination soll zwar im Kolonialdeutsch explizit vermieden werden, kommt aber de facto auch bisweilen vor (siehe Sprachbeispiel 1). Die NP-V-NP Struktur gilt jedoch auch für das Kolonial-Deutsch, und zwar nicht nur im Hauptsatz ("ich tat lernen de neue Sprache von einige Kameraden"), sondern auch im Nebensatz ("die sind gewesen in Schule von de Mission"). Das K.D. umgeht so die besondere Schwierigkeit für Sprachlerner im Deutschen ("H.D."), dass es zwar im Hauptsatz eine SVO-Struktur hat, die sich aber in Nebensätzen zur SOV-Struktur wandelt.

"Couldn't natural languages be much simpler?", fragen Klein & Perdue (1997) im Titel ihres Aufsatzes zu den Prinzipien von Basic Variety, das ja eine Art Abstraktion der frühen Stadien von Lernersprachen darstellt. Die Frage ist, ob natürlich vorkommende Kontaktsprachen tatsächlich ähnlich konsistent einfach strukturiert sind. Der Blick richtet sich daher auf einen Vergleich zwischen Kolonialdeutsch und den beiden vorgenannten deutsch-basierten Kontaktsprachen.

Hier fallen einige Unterschiede zum Kolonial-Deutsch auf, beispielsweise

  UNSER-
DEUTSCH
GASTARBEITER-
DEUTSCH
KOLONIAL-
DEUTSCH
Bestimmte Artikel +/– +
Flexion von Hilfsverben +
Inversion im Fragesatz +

Wie hier gezeigt wird, ist die Satzgliedstellung bei einem Fragesatz wie "Bist Du bei unsere Pflanzung?" (Sprachprobe 1, oben) eher untypisch und würde in beiden Beispielen von natürlichen Kontaktvarietäten durch Veränderung der Intonation im Aussagesatz realisiert ("Du bist/sein bei unsere Pflanzung?")




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Wie Mühlhäusler (1984: 54) jedoch in seinem ausführlichen Vergleich von verschiedenen Pidgin-Deutsch Varietäten anhand von Bickertons Merkmalliste11 für Kreolsprachen aufweist, gibt es überraschend wenig Konsistenz, was die sprachlichen Charakteristika von vereinfachten Varietäten des Deutschen angeht12. Dies betrifft nicht nur den Unterschied zwischen den natürlich vorkommenden Varietäten, sondern auch den Unterschied zwischen natürlichen und künstlich konstruierten Varietäten. Auch weisen einige der natürlich vorkommenden Pidgin und Kreol-Varietäten "untypische" Merkmale, wie beispielsweise den Einsatz eines Kopulaverbs auf – beides auch Teil der grammatikalischen Merkmale von Unserdeutsch und Gastarbeiterdeutsch, sowie auch von Schwörers Kolonial-Deutsch.

Auf der anderen Seite gibt es natürlich auf eine ganze Reihe von Merkmalen, die die natürlichen Kontaktsprachen und dem Kolonial-Deutsch gemeinsam haben, vielleicht weil sie grundsätzlichere Kernmerkmale sind, z.B. dass Präpositionen multifunktional sind, dass die Verben weitgehend im Infinitiv erscheinen. Auch die Reduzierung des Lexikons auf einen Basiswortschatz mit den dazugehörigen lexikalischen Expansions-Strategien, wie es im Kolonial-Deutsch vorgeschlagen wurde, sind generelle Merkmale von natürlichen Pidgin-Sprachen13.


2.3 Kolonialdeutsch und Küchendeutsch

In der Diskussion über den "Realitätsbezug" von Kolonial-Deutsch bietet sich ein Exkurs über eine weitere Varietät an: Zwar wurde Kolonial-Deutsch im damaligen Südwest-Afrika nie eingesetzt, dennoch hat die deutsche Präsenz ihre sprachlichen Spuren im kolonialen und nach-kolonialen Namibia hinterlassen. Dies gilt vor allem für das Hochdeutsch (siehe auch unter 2.), das viele Nachfahren deutscher Siedler pflegen. Darüber hinaus gibt es allerdings auch eine – bislang wenig beachtete – Kontaktvarietät, die von schwarzen Namibiern mit unterschiedlichem muttersprachlichen Hintergrund als Zweitsprache gesprochen wird. In ihrer Studie zu Sprachkontakt und Zweitspracherwerb untersucht Deumert (2003) die Präsenz und Struktur des Namibian Black German (oder "Küchendeutsch", wie es auch von seinen Sprechern genannt wird). Da die meisten Küchendeutsch-Sprecher über 50 Jahre alt sind, so Deumert, kann man davon ausgehen, dass diese Kontaktvarietät in geraumer Zeit aussterben wird. Jüngere schwarze Namibier orientieren sich stärker an Englisch oder Afrikaans als inter-ethnische Kommunikationssprachen, beide Sprachen wurden in unterschiedlicher Weise – Afrikaans vor und Englisch nach Namibias Unabhängigkeit im Jahre 1990 – durch die Sprachpolitik des Landes gefördert.

Die Entwicklung von Küchendeutsch scheint duch die sozio-politischen Verhältnisse unter dem Apartheid-Regime unter ähnlichen Bedingungen verlaufen zu sein, wie sie typischerweise bei Kontaktsprachen zu finden sind:

The legal, political as well as socioeconomic isolation of the African population defined a contact situation vaguely reminiscent of the colonial settlements on which many pidgins and creoles developed: access to the lexifier was limited and restricted to the work environment, and acculturation to the superstrate community was even in principle impossible. (Deumert 2003: 577)




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Die Autorin sieht Küchendeutsch als einen Grenzfall zwischen Pidgin und Interlanguage an, schließlich erfolgte der Spracherwerb von Deutsch eher unter individuell verschiedenen (Arbeits-)bedingungen. Wenngleich der Gebrauch von Küchendeutsch hauptsächlich der Verständigung zwischen schwarzen Namibiern und deutschsprechenden weißen Namibiern vorbehalten ist, gibt es doch auch bestimmte Situationen, wo Deutsch auch über diese spezielle inter-ethnische Kommunikation hinaus eine Rolle spielt, "these include conversational banter, ritual insults and verbal duelling, swearing, the keeping of secrets as well as instances of conversational Afrikaans-German code-mixing" (Deumert 2003: 577).

Deumert analysiert in ihrer Studie die Merkmale im Küchendeutsch von vierzehn Informanten und Informantinnen verschiedener Muttersprachen, die alle zwischen 1920 und 1949 geboren wurden14. Hierbei ergibt sich ein sehr viel differenzierteres Bild über die Variation und Präferenz bei bestimmten Merkmalen15:

  • Genus-Markierungen sind im Basilekt (= der von der Standardsprache am weitesten entfernte Varietät) komplett verschwunden, werden aber noch im Mesolekt (= einer mittleren Varietät) verwendet.

  • Tempus-Markierungen werden in Küchendeutsch im Verb vorgenommen, Vergangenheit wird zu 76 % durch die Perfekt-Konstruktion (Hilfsverb & Partizip Perfekt), zu 6 % nur durch das Partizip und zu 16 % nicht im Verb markiert (sondern etwa durch temporale Adverbien). Lediglich in 2 % der Fälle wurde das Präteritum verwendet.

Ein Vergleich zwischen Kolonialdeutsch und Küchendeutsch kann hier nicht vorgenommen werden, da Deumerts Studie sich hauptsächlich mit Variation und Präferenz von verschiedenen Tempus-Markierungen beschäftigt. Man kann jedoch feststellen, dass das Wegfallen der Genus-Markierungen im Kolonialdeutsch sich in der genuinen Kontaktsprache Küchendeutsch wiederholt. Tempus-Konstruktionen aus den Beispielen in Kolonialdeutsch wie "[er] tat zanken" oder "[ich] tat gestern fragen" erscheinen jedoch eher unwahrscheinlich und würden in Küchendeutsch plausibler als AUX + PP, d.h. hier einer Form von 'haben' + 'gezankt' (weniger häufig: -en Form, 'gezanken') bzw. 'gefragt' realisiert.



3. Kolonialdeutsch und aposteriorische künstliche Sprachen: Sprachutopie am Ende des 19. Jahrhunderts

Der Vergleich zwischen Kolonialdeutsch und echten Pidgins und Zwischensprachvarietäten wirft die Frage auf, inwieweit Pidgins auch als Modelle für künstliche Sprachen gelten können. Letztlich haben Pidgins mit künstlichen Sprachen (wie eben Kolonial-Deutsch) gemeinsam, dass sie beides Hilfsprachen sind, die für den nicht-muttersprachlichen Gebrauch bestimmt sind und oft für recht spezialisierte und zugleich begrenzte Zwecke eingesetzt werden. Der Unterschied besteht darin, dass die einen natürliche und ungesteuerte Produkte des Sprachkontakts sind und die anderen konstruierte Kunstprodukte oft eines einzelnen Erfinders darstellen. Um die Zeit, als Kolonial-Deutsch (und auch Weltdeutsch) verfasst wurden, waren eine enorme Anzahl von Vorschlägen für künstliche Sprachen im Umlauf, wobei der Höhepunkt der Blütezeit der künstlichen Sprachen – Ende des 19. Jahrhunderts – schon wieder abgeflaut war. Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über einige wenige der wichtigsten und bekanntesten künstlichen Sprachen, die zwischen 1880 und 1928 geschaffen wurden16.




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Beispiele von bekannten künstlichen Sprachen Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts

Aposteriori: basiert auf einer oder mehrern natürlichen Sprache/n
Apriori: basiert auf philosophischen Prinzipien, nicht (zumindest nicht bewusst) an eine natürliche Sprache angelehnt

Sprache Erfinder Jahr Kommentar
Volapük Johann Martin Schleyer 1880 Aposteriori; basiert hauptsächlich auf Englisch und Deutsch
Lingualumina Frederick William Dyer 1875 Apriori
Chabé Abane Eugène Maldant 1886/87 Apriori
Esperanto Ludwig L. Zamenhof 1887 Aposteriori; hauptsächl. westeuropäischer Wortschatz, slavischer Einfluß auf Syntax
Völkerverkehrssprache Carl Dietrich 1902 Apriori
Idiom Neutral V. K. Rosenberger 1902 Aposteriori; basiert auf romanischen Sprachen
Interlingua Giuseppe Peano 1903 Aposteriori; Latein ohne Flexionen
Lingua Internacional   1905 Aposteriori
Mondlingvo   1906 Aposteriori
Ido Louis de Beaufront oder Louis Couturat 1907 Aposteriori; modifizierte Version von Esperanto
Romanal WA Micheau 1909 Aposteriori; basiert auf romanischen Sprachen
Ro Edward Powell Foster 1913 Apriori
Weltdeutsch Adalbert Baumann 1916 Aposteriori; basiert auf Deutsch
Occidental Edgar von Wahl 1922 Aposteriori; basiert weitgehend auf romanischen Sprachen
Novial Otto Jespersen 1928 Aposteriori; hauptsächlich Ido Vokabular und Occidental Grammatik

Quellen: Crystal (1987: 353), Libert (2000)




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Dieser Zeitraum brachte nicht den allerersten Boom für künstliche Sprachen. In früheren Zeiten, vor allem im 17. Jahrhundert, hatte es ein ähnlich starkes Interesse an diesem Thema gegeben. Damals beruhten jedoch die meisten Versuche eine künstliche Sprache zu konstruieren auf philosophischen Prinzipien und nicht auf natürlichen Sprachmodellen, wie Libert in seinen Ausführungen zu den sogenannten apriorischen Sprachen verdeutlicht:

"[…] some artificial languages have not (or at least not consciously) been based on one or more natural languages. These have been called 'a priori languages'. There might be several motivations behind the creation of such languages: the desire to make a neutral language, or a language following rules of logic or reflecting reality more clearly than natural languages. Often the term 'a priori' seems to be applied only or mainly to the vocabulary of a language, and this might be the part of language that would be the easiest to build from scratch; however, one can also attempt to create an a priori grammar" (Libert 2000: 1)

Im Gegensatz zu den vorherrschenden Modellen des 17. Jahrhunderts ist es auffällig, dass es sich um die vorletzte Jahrhundertwende (19. auf das 20. Jh.) bei der Mehrheit der Vorschläge um aposteriorische Sprachen handelt, d.h. Hilfssprachen, die sich an natürlichen Sprachen orientieren (und normalerweise mit einer speziellen Sprache oder Sprachgruppe assoziiert sind). Die Beweggründe hinter diesen verschiedenen Orientierungen sind recht verschieden: Erfinder von apriorischen Sprachen versuchen eine Sprache zu bilden, die für alle Sprecher neutral ist, die auf den Regeln von Logik und Philosophie basieren; dahingegen versuchen die Vertreter der aposteriorischen Sprachen lediglich die Komplexität und die "Unordnung" in einer natürlichen Sprache (oder einer Synthese von mehreren natürlichen Sprachen) zu reduzieren. Umberto Eco macht dies bei seiner Definition von aposteriorischen Sprachen deutlich:

Kriterien dieser Sprache sind zunächst die Vereinfachung und Rationalisierung der Grammatik (die schon von den apriorischen Sprachen versucht worden war), aber nach dem Vorbild der natürlichen Sprachen, und dann die Schaffung eines Wortschatzes, der alle Benutzer so stark wie möglich an die Wörter der natürlichen Sprachen erinnert. In diesem Sinne wäre eine Welthilfssprache […] eine aposteriorische Sprache, da sie aus einem Vergleich und einer ausgewogenen Synthese der existierenden natürlichen Sprachen hervorgehen würde. (Eco 1994: 323)

Die Gründe für eine Verschiebung des Fokus von apriorischen auf aposteriorische Sprachen mögen vielfältig sein, ein schwerwiegender unter ihnen sicherlich auch der relativ geringe Erfolg der apriorischen Sprachen. Zusätzlich jedoch hat bestimmt auch der Anstieg der und das erhöhte Bewusstsein für eine internationale Kommunikation für einen begrenzten Zweck eine Rolle gespielt. Nicht zufällig fällt in genau die Blütezeit dieser Sorte von künstlichen Sprachen auch der Höhepunkt der Kolonialzeit. Die Erfahrungen aus den natürlichen Prozessen der Regelvereinfachung, die in Pidgins und Jargons im Kolonialkontakt gemacht werden konnten, könnten hier eine nicht unerhebliche Rolle gespielt haben. In diesem Sinne können Pidgins in der Tat als Modelle für künstliche Sprachen gelten.




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Ironischerweise funktionieren künstliche Sprachen am besten, wenn sowohl die Zahl der Benutzer und Benutzerinnen als auch die Funktionen, für die sie eingesetzt werden, stark beschränkt bleibt. Volapük, beispielsweise, kollabierte Ende des 19. Jahrhunderts zu dem Zeitpunkt als sein Erfinder, Johann Martin Schleyer, die Kontrolle über die vielen Modifizierungen, weiteren Vereinfachungen und Restrukturierungen verlor, die die stark angewachsene Zahl der Sprecher und Sprecherinnen machte17 – sozusagen als die Benutzer die Sprache kreativ zu verwenden begannen. Umberto Eco schreibt in seinem Buch Die Suche nach der vollkommenen Sprache "es ist dies die Tragik aller Projekte künstlicher Sprachen: Wenn ihre frohe Botschaft kein Gehör findet, bewahren sie sich ihre Reinheit; wenn ihre Botschaft sich aber verbreitet, fällt die Sprache in die Hände der versammelten Proselyten und wird, da das Bessere der Feind des Guten ist, 'babelisiert'" (1994: 324).

In diesem Sinne sind natürliche Simplifizierungen von Sprache, wie man sie in Pidgins findet, gerade aufgund ihrer stärkeren Flexibilität und weniger strikten Regelmäßigkeit sehr viel erfolgreicher als ihre mechanischen Imitationen.



4 Schlussbemerkungen

Über das potenzielle Schicksal von Kolonialdeutsch, wäre es denn in dem ihm zugedachten Rahmen eingesetzt worden, kann man nur spekulieren. Es scheint jedoch sehr zweifelhaft dass dieser sehr künstlichen Sprachsituation für sowohl eine kleine Anzahl deutscher Muttersprachler und einer größeren Zahl von Sprachlernern Erfolg beschieden wäre ohne – und das scheint das wahrscheinlichste Szenario zu sein – dass die Regeln in der kreativen Anwendung eine Phase der Diffusion durchlaufen hätten, um sich dann womöglich neu zu fokussieren.

Wie bereits zu Beginn dieses Beitrages erwähnt wurde, bleibt Kolonialdeutsch eine historische Fußnote, sowohl für die Forschung über koloniale Sprachpolitik, als auch für die Untersuchung von künstlichen Sprachen. Zur Zeit der Publikation von Kolonialdeutsch hatte sich bereits die politische Situation verändert und Südwest Afrika war unter südafrikanischer Kontrolle. Am Ende des ersten Weltkrieges waren schließlich auch die kolonialen Expansionsträume Deutschlands zu einem Ende gekommen und Kolonialdeutsch verschwand unwiderruflich in den Archiven der Kolonialgeschichte.




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Bibliographie

Anonym (1907): Südwest-Afrika deutsch oder britisch? Leipzig: Dieterich'sche Verlagsbuchhandlung.

Baumann, Adalbert (1916): Das neue, leichte Weltdeutsch für unsere Bundesgenossen und Freunde! Seine Notwendigkeit und seine wirtschaftliche Bedeutung von Prof. Dr. Adalbert Baumann. Vortrag, geh. 1915 . In laut-shrift geshriben! Diessen vor München: Huber, 31 Seiten.

Bickerton, Derek (1981): Roots of Language. Ann Arbor: Karoma Press.

Crystal, David (1987): "Artificial languages", in: The Cambridge Encyclopedia of Language. Cambridge: Cambridge UP, 352–356.

Deumert, Ana (2003): "Markedess and salience in language contact and second language acquisition – evidence from a non-canonical contact language", in: Language Sciences 25: 561–613.

Eco, Umberto (1994): Die Suche nach der vollkommenen Sprache. [Ricerca della lingua perfetta nella cultura europea, Übersetzung Burkhart Kroeber]. München: Beck.

Ethnologue (2004): "Languages of Namibia", http://www.ethnologue.com, accessed 03. September 2004.

Gleichen, Raimund Freiherr von (1914): Ratschläge für angehende Farmer in Deutsch Südwest Afrika. Berlin: Dietrich Reimer.

Grimm, Hans (1928): Die dreizehn Briefe aus Deutsch-Südwest Afrika. München: Albert Langen.

Hinnenkamp, Volker (1982): Foreigner Talk und Tarzanisch. Eine vergleichende Studie über die Sprechweise gegenüber Ausländern am Beispiel des Deutschen und des Türkischen. Hamburg: Buske.

Klein, Wolfgang & C. Perdue (1997): "The Basic Variety (or: Couldn't natural languages be much simpler?)", in: Second Language Research 13 (4), 301–347.

Kolonie und Heimat (1911): Eine Reise durch die deutschen Kolonien. Vol IV: Südwest-Afrika. Berlin: Verlag Kolonialpolitische Zeitschriften.

Libert, Alan (2000): A Priori Artificial Languages. München: LINCOM Europa. (= Languages of the World, 24).

Mühlhäusler, Peter (1984): "Tracing the roots of pidgin German", in: Language and Communication 4 (1): 27–57.




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Schmidt, Johann (1998): Geschichte der Universalsprache Volapük. Saarbrücken: Ed. Iltis.

Schwörer, Emil (1916): Kolonial-Deutsch. Vorschläge einer künftigen deutschen Kolonialsprache in systematisch-grammatikalischer Darstellung und Begründung. Diessen vor München: Huber, 62 Seiten.



Anmerkungen

1 Die größten Sprachgruppen werden in Ethnologue (2004) wie folgt angegeben: KWANYAMA: 713.919 Sprecher in Namibia zusammen mit Ndonga und Kwambi (1991 census); NAMA: 176.201 Zugehörige in Namibia (1992 Barnard), bestehend aus 70.000 Nama und 105.000 Damara (1998 J.F. Maho); HERERO: 113.000 in Namibia (1991 census).

2 Gemeint ist hier Englisch als Muttersprache. Als Verkehrssprache und offizielle Sprache ist Englisch natürlich sehr viel weiter verbreitet.

3 Hier ist eine deutsche Standardvarietät (Hochdeutsch) gemeint, nicht das in 3. diskutierte "Küchendeutsch" (siehe Deumert, im Druck).

4 In Grimm (1928: 25) wird auf eine Volkszählung von 1926 verwiesen, laut der damals insgesamt 24.200 Weiße (nicht näher spezifiziert) und 235.000 "Farbige" in Südwest-Afrika lebten, in der sogenannten Polizeizone (dem eigentlichen Kolonisationsgebiet) war das Verhältnis 24.000 Weiße zu 91.000 Einheimische.

5 Mit Bezug auf die damalige deutsche Kolonie Deutsch-Ostafrika (Tanganijka) gilt dies auch für Swahili, das in diesem Gebiet Verkehrssprache war (und ist) – auch für die deutschen Kolonialherren: "Daß dem Durchschnitts-deutschen (der z.B. bei Kisuaheli meist über eine Art von "Pidgin-Kishuaheli" nicht hinauskommt) die sehr unerwünschte Rolle des radebrechenden, sprachlich Unbeholfenen und Unterlegenen, statt umgekehrt, zufallen muß, ist ein sicher nicht bedeutungsloser Grund für die baldige Einführung des K.D." (Schwörer 1916: 24).

6 Allerdings ist die Motivation, nämlich die Behauptung der deutschen Sprache gegenüber dem "Vormarsch" des Englischen, ähnlich der des Kolonialdeutsch, wie z.B. im folgenden Absatz deutlich wird (Weltdeutsch ist in einer Art phonemischen Schreibweise verfasst): "in disem kampfe hat England ainen ungeheüren fortail in der umfasenten ferbraitung sainer laichten sprache, di fon 1/10 der mensh-hait gesprochen wird. es gehört fer-blendung dazu, di bedeütung dises for-sprunges zu fer-kenen oder zu untershäzen. innerhalb unseres blokes mus selbst-ferständlich sowol aus politishen wi kulturelen gründen di deütshe sprache di ainhaitliche ferkers- und hilfs-sprache sain" (Baumann 1916: 6)

7 Da Swahili damals (und heute) Verkehrssprache in Tanganjika, der anderen großen deutschen Kolonie im Osten Afrikas war, ist dies für einen Ex-Kolonialbeamten nicht unwahrscheinlich.

8 Anders als eine im H.D. ebenfalls gebräuchliche "Befehlsform", nämlich die Stellung der Infinitivform nach dem Objekt, z.B. "Wasser holen!"

9 Wie Baumann (1916: 11) ausführt, sind "di grösten shreken der deütshen sprache […], aine regellose recht-shraibung, mit der selbst der deütshe maist nicht zurecht komt. […] der deütshe hat z.b. für das lange i fünf fer-shidene shraib-arten, di der sprach-laie nicht immer begründen kann, nemlich i ie ih ieh und y, z.b. mir Bier ihr flieh Tyrann […]"




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10 Schwörer verweist auf die dem "foreigner-talk" ähnlichen "baby-talk" Strategien in seiner ausführlichen Begründung für K.D.:"Jede Mutter hat für ihr Kind eine besondere Kindersprache. Warum sollen wir nicht auch der afrikanischen Umgebung Rechnung tragen? Warum wollen wir gerade von den dortigen Eingebornen ein korrektes Deutsch verlangen, das wir selbst so oft nicht sprechen?" (Schwörer 1916: 26).

11 Derek Bickerton hat 1981 eine 12-Punkte-Liste von sprachlichen Merkmalen aufgestellt, die typischerweise in Kreolsprachen – unabhängig von den konkreten sprachlichen Einflüssen – vorkommen.

12 Allerdings ist die Liste etwas irreführend. So wird z.B. Kolonialdeutsch der Wegfall von bestimmten Artikeln zugeordnet, was sich weder aus der Beschreibung Schwörers noch aus seinen Sprachbeispielen schließen lässt.

13 Nicht jedoch von den muttersprachlich gesprochenen Kreolsprachen.

14 Deumert (2003: 576) gibt dies als einen repräsentativen Ausschnitt aus ihrem Gesamt-Corpus aus Interviews und Gesprächen mit 126 Sprechern und Sprecherinnen an (ca. 150 Aufnahmestunden an Datenmaterial).

15 Der eigentliche Fokus der Studie liegt auf der Rolle von Markiertheit und Salienz im Zweitspracherwerb.

16 Diese Übersicht gibt in der Tat nur einen kleinen Teil der damals zirkulierenden Menge an Vorschlägen für künstliche Sprachen wieder, sehr viele von ihnen waren auch Modifizierungen der erfolgreichsten dieser Sprachen, des Esperanto.

17 Bereits zehn Jahre nach seiner Erfindung hatte sich Volapük vorn Europa aus weltweit ausgebreitet, es existierten 1889 in Europa, Amerika und Australien 283 Volapük-Clubs mit Kursen, Diplomen und Zeitschriften (Eco 1994: 324, zur Geschichte von Volapük siehe auch Schmidt (1998).

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