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Götz-Dietrich Opitz (München)


Thomas Baumer (2002): Handbuch Interkulturelle Kompetenz. Zürich: Orell Füssli.


Philologen und Kulturwissenschaftler landen nicht mehr automatisch im Lehramt oder in der Redaktionsstube. Immer häufiger kombinieren sie ihre "brotlose" Kunst mit BWL- oder Jura-Modulen, um sich neue Berufsfelder zu erschließen. So gesehen könnte es sich lohnen, einmal einen Blick auf die einschlägige, gewaltig proliferierende Literatur zu werfen. Wer amazon.de anklickt, erhält einen ersten Eindruck davon, dass im Zeitalter der Globalisierung interkulturelle Studien Hochkonjunktur haben. Dort werden allein 184 Titel zu diesem Thema geführt. Zum Stichwort "interkulturell / Wirtschaft" findet man 22 Treffer, wovon gut die Hälfte seit dem Jahr 2000 erschienen sind. Eine dieser Studien ist diejenige von Thomas Baumer.

Firmen mit Auslandsinteressen waren lange vor der öffentlichen Multikulturalismus-Debatte in Deutschland die ersten, die den wirtschaftlichen Nutzen von Interkulturalität im Management und am Arbeitsplatz erkannten. Seriöse Autoren wie beispielsweise Jürgen Rothlauf weisen darauf hin, dass die Fachliteratur schon in den 80er Jahren zu Einschätzungen wie der folgenden gelangte: "The new world market will not only be international, but intensely intercultural" (Elashmawi/Harris 1993: 1). Auch wenn hierüber Einigkeit zu herrschen scheint, scheiden sich die Geister angesichts der Frage, was Globalisierung im Sinne der weltweit zunehmenden Verflechtung von Unternehmensaktivitäten in kultureller Hinsicht denn konkret bedeutet.

Den Entwicklungsstand weltwirtschaftlicher Verflechtungen dokumentiert der World Investment Report 2002 der UN-Unterorganisation UNCTAD. Ihm zufolge entwickelten sich vor allem die ausländischen Direktinvestitionen (FDI) rasant. Sie kletterten im Jahr 2000 um 18% auf den Rekordstand von 1,3 Trillionen US-Dollar und wuchsen damit schneller als andere Richtgrößen der Weltwirtschaft. Getragen wird der globale FDI-Zuwachs von mehr als 60.000 transnationalen Konzernen (TNCs) mit über 800.000 Filialen weltweit. Etwa 90% der 100 größten TNCs (ohne Finanzsektor) haben ihren Hauptsitz innerhalb der aus den Industrieländern der EU, den USA und Japan bestehenden Triade. Mitte der 90er Jahre wurde geschätzt, dass allein im europäischen Ausland ca. 80.000 Mitarbeiter privatwirtschaftlicher und öffentlicher Organisationen aus Deutschland tätig sind (Stahl 1998: 1).

Beindruckt von diesen Zahlen ist man umso erfreuter über Beiträge wie den von Baumer, von denen man sich erhofft, dass sie Licht ins Dunkel wirtschaftlicher Interkulturalität bringen mögen; zumal Auswahlentscheidungen für Auslandseinsätze zumindest in Deutschland nahezu ausschließlich aufgrund der fachlichen Eignung der Kandidaten getroffen werden, ohne dabei Einstellungen und Fähigkeiten zu berücksichtigen, die für den Umgang mit Menschen anderer Kulturen unerläßlich sind (vgl. Stahl 1998: 27).

 

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Der Titel von Baumers Studie Handbuch Interkulturelle Kompetenz deutet auf hohe Ansprüche und auf hohe Sachkompetenz hin, versteht man doch unter dem Begriff "Handbuch" ein systematisches Nachschlagewerk, das in der Lage sein muss, einen systematischen Überblick über ein umfassendes Sachgebiet zu vermitteln. In der Tat möchte Baumer hoch hinaus. Denn seine Arbeit verspricht nichts geringeres als dem "weltweit wachsenden Bedürfnis nach mehr Kenntnis über interkulturelle Kompetenz und deren Beurteilungsmöglichkeiten in Beruf, Forschung und Privatleben" (11) gerecht zu werden.

Dies aber vor allem vor dem Hintergrund, "dass es sich in der Frage der internationalen wirtschaftlichen Kontakte nicht mehr allein darum dreht, in Mitteleuropa oder mit den angelsächsischen Ländern Geschäfte zu machen" (11), so Baumer in seinem Vorwort. Da "Kontakte im Ausland, bei geschäftlichen und privaten Reisen, bei Verhandlungen und im Umgang mit politischen Veränderungen, religiösen Einflüssen usw." auch einen "neuen Umgang mit anderen Kulturen" erforderlich machen, soll die Studie helfen, "diese Sensibilität zu entwickeln und die Voraussetzungen dafür abzuklären" (12). Der werbende Klappentext bringt das Anliegen des Handbuchs auf den Punkt: "Die Fähigkeit, mit Menschen aus anderen Kulturen erfolgreich zu kommunizieren, stellt für den international tätigen Manager eine Kernkompetenz dar".

Baumer steigt direkt in das breit gesteckte Themenfeld ein. Er tut dies, ohne eingangs den komplexen Begriff Kultur zu problematisieren, damit der Leser weiß, was man in der Theorie darunter versteht und wovon in der vorliegenden Studie eigentlich die Rede sein soll. So werden zunächst die in "vier Dimensionen" aufgeteilten "Kulturunterschiede" dargestellt, die dem 5-D-Modell des holländischen Sozialpsychologen Geert Hofstede (2001) entlehnt sind. Die aufwendige Studie zu den fünf Kulturdimensionen "Machtdistanz", "Individualismus versus Kollektivismus", "Maskulinität versus Feminität", "Unsicherheitsvermeidung" und "Kurzzeit- versus Langzeitorientierung" gilt als die bedeutendste Arbeit zu dieser Thematik. Ihre Ergebnisse werden jedoch von Baumer weder erläutert noch diskutiert, sondern als gegeben vorausgesetzt. 2001 veröffentlichte Hofstede die zweite Auflage seines Werkes, in der er die Kritik an seiner Methodologie zu entkräften sucht.

Ohne einen roten Faden erkennen zu lassen, setzt sich die Vorstellung kulturrelevanter Aspekte patchworkartig fort (18-20): Man erfährt von "drei Gruppen von Kulturen" (linear-aktiv, multi-aktiv, reaktiv), die nur ungenügend beschrieben sind; es werden "Wertauffassungen" wie "Wahrheit" thematisiert, die "offensichtlich kulturell sehr verschieden sind" – beispielsweise sei Wahrheit in Japan und Großbritannien "eine feine Sache, solange sie keinen unnötigen Aufruhr verursacht", was immer das heißen mag; plötzlich ist von "Art und Zeit der Einführung bei Meetings" die Rede, um "Art und Wesen des Umgangs miteinander" zu beschreiben (2–3 min. in Deutschland, 12–13 min. in Frankreich, 15 min. in Japan, 20–30 min. in Spanien, Italien); daran schließt sich unvermittelt ein längeres Kapitel über "Strukturmerkmale von Kulturen" an. Dies sind in der Tat sehr wichtige und interessante Informationen. Doch leuchtet nicht unmittelbar ein, welche Konsequenzen sie für die Berufspraxis gerade von wirtschaftlichen Führungskräften haben können. Einige Beispiele zur Erläuterung wären hier sinnvoll gewesen.

 

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Im besagten Kapitel über "Strukturmerkmale von Kulturen" (21–48) wagt Baumer eine kursorische Beschreibung des "Nationalcharakters" ausgewählter Kulturkreise. Da er dieser schwierigen Aufgabe nur sehr wenig Platz einräumt, ist die Beschreibung auch bedenklich. Denn sie gibt zu Mißverständnissen Anlass. Baumer weist zwar später darauf hin, dass "Stereotype eine lange Geschichte" haben, "und das macht es auch so schwer, sie zu überwinden" (49). Doch riskiert er fahrlässig, eben diese zu reproduzieren. So leitet er die vier knappen Absätze über China folgendermaßen ein: "Das Herzstück der chinesischen Ethik ist kindliche Ehrfurcht". Eine "bestimmende Haltung" in den arabischen Ländern, für die er einen Absatz zur Verfügung stellt, sei es, "unter allen Umständen `das Gesicht wahren´ zu müssen ... und/oder mit einer entsprechenden Gegenmaßnahme (Vergeltung, Rache) das `Gleichgewicht´ wiederherzustellen". Als Beispiel für damit angeblich in Zusammenhang stehende, "gravierende strategische Fehleinschätzungen" führt er "kriegerische Auseinandersetzungen (zum Beispiel Bündnis zwischen Ägypten und Jordanien gegen Israel im Sechstage-Krieg 1967)" an. In einem noch kürzeren Absatz zu Spanien und Lateinamerika liest man, dass dort "das Gewicht der Familie meist stärker als staatliche Instanzen" wiege. Deshalb seien "Freisprüche bei familiären Beziehungen statistisch häufiger"; ein "Gesetzesbruch ... muss zwangsläufig in eine Festnahme münden" (21–24). Man könnte sich dazu verleiten lassen, Baumer zu unterstellen, dass hier Chinesen auf kindliche, Araber auf bellikose und Lateinamerikaner auf zum Verbrechen neigende Wesen reduziert werden. Um mit den eigenen Worten Baumers zu antworten: "Kulturelle Kurzsichtigkeit und Enthozentrismus sind die Vorstufe zum kulturellen Imperialismus" (57).

Um das komplexe Themenfeld methodisch verständlicher aufzubereiten, wäre es sinnvoll gewesen, wenn Baumer für das Phänomen Kultur konstituierende Begriffe wie Ethnizität, Rasse, soziale Klasse, Geschlechter-Beziehungen (gender) und Nation problematisiert hätte. Sie können als in der sozialen Praxis sprachlich konstruierte und reproduzierte Konzepte aufgefaßt werden, die ohne ihre historische Dimension nur unzureichend beschrieben wären. Eine derart heuristisch motivierte Taxonomie kulturell relevanter Konstrukte, die auch und gerade für das internationale Wirtschaften von Bedeutung sind, hätte die notwendige Systematik erzeugt, an der sich der Leser hätte allgemein orientieren können; gerade um ein besseres Verständnis des unterschiedlichen "Nationalcharakters" der von Baumer ausgewählten Kulturkreise zu erhalten, in denen entsandte Führungskräfte tätig sind.

Der von seiner Heimatnation geprägte kulturelle Balast der Führungskraft muß fast zwangsläufig in Konflikt geraten mit der Kultur des Gastlandes, in dem er für sein Unternehmen tätig ist. Das hier angedeutete, eindimensionale Spannungsverhältnis entpuppt sich jedoch als viel komplexer, wenn man bedenkt, dass im Gegensatz zum Nationalstaat multinationale Konzerne weitgehend unabhängig von ihrem ursprünglichen Standort geworden sind. Aus Linguistik und Biologie entlehnte Metaphern begreifen transnationale Formationen wie TNCs als "zwitterhafte" Gebilde, die "aus Verschiedenem zusammengesetzt" sind, als komplexe "Hybride" multipler Identitäten, die sich losgelöst von speziellen örtlichen Wurzeln im "enträumlichten" Global Village bewegen (Leggewie 2000: 882–883), gleichsam "im Spannungsfeld von globalen Intergrationserfordernissen und lokalen Anpassungsnotwendigkeiten" (Stahl 1998: 11).

 

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Die Loyalität eines innerstaatlich agierenden Traditionsunternehmens mit Stammhaus-Mentalität gilt der Nationalökonomie, ein deterritorialisierter Konzern aber sieht sich dem heimatlosen "shareholder-value" verpflichtet. Diese tendenzielle geographische Ungebundenheit und Ortlosigkeit schwächt lokale Rückbindungen erheblich ab und erschwert eine Identifikation mit dem Lokalen. Die bekanntesten Indikatoren für ausländische Aktivitäten, an denen sich die internationale Ausrichtung eines Unternehmens bemessen lassen, sind folgende: Der Exportanteil, die im Ausland erbrachten Umsätze, die Anzahl der Mitarbeiter im Ausland, die Nationalität des Topmanagements bzw. dessen internationale Orientierung, die Anzahl der Tochtergesellschaften bzw. die Anzahl der ausländischen Unternehmensaktivitäten und die Höhe der ausländischen Direktinvestitionen (vgl. Rothlauf 1999: 5 und Stahl 1998: 9). Die damit einhergehende kulturelle Vielschichtigkeit zwischen Lokalität und Globalität, die sich proportional zum Transnationalisierungsgrad des Unternehmens verhält, bleibt bei Baumer unerwähnt.

Weiter geht es in seiner Studie mit der menschlichen "Wahrnehmung", die (wie wohl jeder weiß) "selektiv" ist. Man erfährt, dass die "Eskimos für `Schnee´ 16 verschiedene Bezeichnungen (in einem Wort) kennen" – eine Erkenntnis, die von dem bekannten Metalinguisten und Sprachphilosophen Benjamin Lee Whorf (1963) bereits vor vierzig Jahren verbreitet wurde. Man wird belehrt, dass wir bei "den Navajo-Indianern Farbennamen finden, die ungefähr unserem Weiß, Rot und Gelb entsprechen, dagegen keine einheitlichen Namen für unser Schwarz, Grau, Blau und Grün". Man kann sich hier beim besten Willen keine Nutzanwendung für Führungskräfte in der Privatwirtschaft vorstellen – es sei denn, der Manager eines Tiefkühlkost-Anbieters möchte Verhandlungen mit den Innuit führen, oder es ist notwendig, mit Navajo-Indianern vertragliche Vereinbarungen über die Farben des Firmenlogos eines geplanten Joint Ventures zu treffen.

Auch die folgende Erkenntnis ist in ähnlicher Weise dekontextualisiert: Es wird darauf hingewiesen, dass "Hopi-Indianer keinen Vorstellungsraum, sondern nur reale Gegenstände" (Abschnitt zu "Raum", 27) kennen, dass "es in ihrem Glauben und ihrer Sprache verstanden werden muss, dass die Schamanen der Sanema-Indianer fliegen können" (Abschnitt "Denken", 29), oder dass es "vor wenigen Jahrzehnten im klassischen Arabisch mehr als sechstausend Wörter gab, die sich allein auf das Kamel bezogen" (30). Diese Beobachtungen sind zwar sicherlich von allgemeinem Interesse. Doch begründet Baumer in keinster Weise, warum sie besonders für international tätige Manager von praktischer Relevanz sein könnten.

 

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Im Teil II wendet sich Baumer endlich der Frage zu, was "interkulturelle Kompetenz" denn nun eigentlich heißen soll. Hier wagt er eine "erste Begriffdefinition" von "Kultur". Nach dem mühsamen Crescendo der vorausgegangenen Seiten ist der Leser gespannt, was folgt: "Kultur wird definiert als `Gesamtheit der geistigen und künstlerischen Äußerungen einer Gemeinschaft, eines Volkes´, eine `gepflegte, kultivierte Lebensweise´ oder auch `angebaute junge Pflanzen resp. gezüchtete Mikroorganismen oder Gewebszellen´"... – "Gezüchtete Mikroorganismen" oder "Gewebszellen"? Ein wenig verblüfft schaut man in den Anmerkungsapparat und stellt fest, dass diese Definition dem "Duden, Band 10 (Bedeutungswörterbuch)" (169) entnommen ist, der auf dem Gebiet "interkulturelle Kompetenz" wohl kaum als fachspezifische Autorität gelten kann.

Eine solche Autorität stellt der seit über 35 Jahren auf dem Gebiet der angewandten anthropologischen Linguistik tätige Wissenschaftler Richard Lewis dar (http://www.crossculture.com/rdl/rdl.html), dessen Definition von Kultur (vgl. Lewis 2000) anschließend zitiert wird. Lewis begreift Kultur als "kollektive Bewußtseinsprogrammierung, die die Mitglieder einer Gruppe von denen einer anderen unterscheidet" (77). Baumer trägt hier auch eine eigene Definition bei, indem er schreibt, dass Kultur "... ein System von Konzepten, Überzeugungen, Einstellungen, Wertorientierungen" sei, "die sowohl im Verhalten und Handeln der Menchen als auch in ihren geistigen und materiellen Produkten sichtbar werden – vereinfacht gesehen ist Kultur also die Art und Weise, wie die Menschen leben und was sie aus sich selbst und ihrer Welt machen" (77). Hier bleibt Baumer ebenfalls eine Begründung schuldig, aus der ersichtlich würde, warum gerade die zitierten Definitionen dem Untersuchungsgegenstand am angemessensten sind. Noch werden aus ihnen für die Praxis des Wirtschaftens nutzbare Operationalisierungen abgeleitet.

Verwirrenderweise findet man bereits in den vorhergehenden Abschnitten einige wenige der vermissten Operationalisierungen, die den angesprochenen Leserkreis am meisten interessieren dürfte. So weist er darauf hin, dass als interkulturell "alle Beziehungen verstanden" werden, in denen auch "andere Codes, Konventionen, Einstellungen und Alltagsverhaltensweisen erfahren werden" (54). An dieser Stelle ist Baumer auch am stärksten und behandelt zumindest ansatzweise die selbst gestellte Frage, über "welche Fähigkeiten und Kenntnisse Fachkräfte verfügen müssen, um diesen mit der Internationalisierung des Wirtschaftens und der Globalisierung des Wettbewerbs um Arbeitsplätze und Betriebsstandorte verbundenen Herausforderungen entsprechen zu können" (57).

Baumer antwortet mit den Ergebnissen einer empirischen Untersuchung des deutschen Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) von 1995 und fasst zusammen: fachliche Kompetenz, Fremdsprachenkompetenz, Offenheit und Toleranz sowie interkulturelle Kompetenz, also "die Fähigkeit, mit ausländischen Partnern, Kollegen oder Kunden auf einer gemeinsamen Ebene kommunizieren und kooperieren zu können" (58). Baumer läßt es freilich bei dieser oberflächlichen Feststellung bewenden und verweist lieber auf "Standardwerke" wie der Managerknigge 2000 (1997), Speaking Globally (1997), Global Business Behavior (1999), Clever Reisen (1999), Kiss, Bow, or Shake Hands (1994), Doing Business Internationally (1995) und das bereits erwähnte Handbuch Internationale Kompetenz (2000).

 

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Um sein eigenes Handbuch in einem noch aktuelleren Licht erscheinen zu lassen als die Erscheinungsdaten der zitierten Standardwerke, hat Baumer ein im Kontext des Erkenntnisinteresses eher überflüssiges Kapitel aufgenommen, das dem Thema "Wertverständnis und globales Konfliktpotenzial" gewidmet ist. Darin werden die "Terror-Attacken vom 11. September" angesprochen, die auch im "wirtschaftlichen Umfeld ... starke negative Auswirkungen" gehabt hätten, wobei er lediglich das Beispiel "Swissair" nennt. Diese zeigten, dass ein – freilich nicht näher belegtes – "Umdenken, ein Wandel der Werte und Denkweisen" im Gange sei (63). Das Beispiel "Swissair" kommt übrigens nicht von ungefähr: Bis 1999 hat Baumer bei der Schweizerischen Fluggesellschaft als Division Manager und Deputy General Manager gearbeitet.

Baumer kehrt im Teil II zumindest kurz zum eigentlichen Thema zurück und befasst sich im Kapitel "Anwendungsbereiche" auf immerhin 10 Seiten mit dem Komplex "interkulturelles Management", also mit den "kulturbedingten Unterschieden im Arbeitsverhalten von Menschen" (80). Es werden Eigenschaften für eine "erfolgreiche Kundenpartnerschaft" thematisiert, auf "immaterielle Werte" wie die "Motivation der Mitarbeitenden" oder den "emotionalen Wert" als der "wirtschaftliche Wert von Gefühlen" eingegangen sowie "Aspekte in der Menschenführung" angerissen; es wird der Manager mit seinen "Kernkompetenzen" als "Leader in einer Weltkultur" skizziert, wobei der "Führungsrolle im asiatischen Raum" besondere Aufmerksamkeit geschenkt wird. Die Frage beispielsweise, was mit "Weltkultur" gemeint sein soll, ob es sie überhaupt gibt, und wenn ja, warum es sie gibt, behandelt Baumer nicht.

Im Zeitalter des Postfordismus haben die Strukturveränderungen des globalen Marktes eine sowohl wirtschaftlich erzwungene als auch beruflich freiwillige transnationale Arbeitsmigration ungelernter wie auch gut ausgebildeter Arbeitskräfte hervorgebracht. Der international tätige, weil in der Regel in Großunternehmen beschäftigte Manager ist also Teil einer Migrationsbewegung, auf die Baumer nur am Rande eingeht. Unternehmen in den verschiedenen Nationen weisen voneinander abweichende Kulturen auf, die auf die jeweilige Ethnokultur zurückgeführt werden können. Im Vergleich mit einem rein national operierenden Unternehmen ergibt sich mit der Aufnahme grenzüberschreitender Geschäftsaktivitäten eine Heterogenisierung der Umwelten, die für die unternehmerischen Entscheidungsträger relevant sind. Diese wichtigen Umwelten finden bei Baumer keine Erwähnung. Die Börse, auf der sich Akteure unterschiedlicher Nationalität tummeln, ist eine von ihnen. Je nach Transnationalisierungsgrad können sich ethnozentrische Firmen zu Unternehmen mit polyzentrischer Ausrichtung und schließlich zu solchen mit regio-/geozentrischer Orientierung entwickeln (vgl. Rothlauf 1999: 41–43 und Stahl 1998: 14–16). Dies muß Folgen für das spezifische Anforderungsprofil international tätiger Führungskräfte haben, die vielfältigen Interessens- und Loyalitätskonflikten ausgesetzt sind (ebd.: 147–229), auf die Baumer aber ebenfalls nicht eingeht.

 

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Dem Kapitel "Anwendungsbereiche" schließen sich in Baumers Studie Kapitel an, die sich zum Teil wieder sehr weit vom Hauptthema entfernen. Es erübrigt sich daher, auf den Text en detail einzugehen: Die Rede ist von "Fremderfahrung in der Philosophie", von "Multikulturalität in der Armee" und von "Multikulturalität in Schulen". Baumer geht auch auf "psychologische Grundlagen, Problemlösungsprozesse" ein sowie auf "transkulturelle Medizin und Psychiatrie". Diese sich auf über 70 langen Seiten (90–161) erstreckenden Ausführungen haben zweierlei gemein: Zum einen werden die Inhalte häufig in Form von "bullets" epigrammatisch verkürzt dargeboten, was den oberflächlichen, zuweilen schlampig wirkenden Telegrammstil der Studie bedingt. Zum anderen besteht der insgesamt 108 Fußnoten umfassende Anmerkungsapparat zu über einem Viertel aus in der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) erschienenen Artikeln. Die überwiegende Mehrzahl der 29 NZZ-Artikel stammt aus den Jahren 2000 und 2001; nur drei aus den Jahren 1997, 1998, 1999. Die meisten beziehen sich auf Ereignisse in der Schweiz, wie beispielsweise das "tragische Beispiel interkultureller Probleme ... an einer Schule in St. Gallen", wo der "Vater eines jugoslawischen Mädchens den um Integration bemühten Lehrer erschoss" (98).

Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass hier in aller Eile und auf Kosten der Qualität die Seiten eines Buches gefüllt werden sollten. So erinnert man sich an einen Hinweis im Vorwort: "Ausgangspunkt für dieses Buch war eine Diplomarbeit im Jahre 1998 mit dem Titel `Handbuch Interkulturelle Kompetenz´" (11) während des berufsbegleitenden BWL-Studiums von Baumer. Der Grund für die Eile war vermutlich folgender: Laut Klappentext ging die "Entstehung des vorliegenden Werkes mit der Gründung des CICB Center for Intercultural Competence (www.cicb.net) einher".

Als Fazit ist folgendes festzuhalten: Die mangelhafte theoretische Grundlegung und die unpräzise begriffliche Fokussierung des Themas Interkulturalität in Teil I zeichnen dafür verantwortlich, dass die Studie keine erkennbare Entwicklungslinie verfolgt, die man als stringent bezeichnen könnte. Es wird nicht offengelegt, mit welcher Methode der Autor gedenkt, dem angesprochenen Leser das komplexe Themengebiet näher zu bringen, noch vermag jener hinter dem Aufbau der Gliederung eine innere Logik zu erkennen, die den Ausführungen eine klare Struktur verliehe.

Das zusammenhanglose Sammelsurium aneinandergereihter und im Sinne des Themas unzureichend begründeter Einsichten, nebensächlicher Selbstverständlichkeiten, fragwürdiger Anekdoten und vorurteilsbehafteter Stereotypen erschwert es gerade dem unvorbereiteten Leser, einen greifbaren Erkenntnisgewinn zu erzielen. Am Ende der Lektüre des oft im verkürzenden Telegrammstil gehaltenen Handbuchs muss dieser, mit einer derart ungeordneten Datenfülle konfrontiert, noch verwirrter sein, als er es angesichts der komplizierten Sachproblematik ohnehin schon war. Der angesprochene Leser, insbesondere der international tätige Manager, wird aus diesem Handbuch eher wenige konkrete Handlungskompetenzen beziehen können. An der Tatsache, dass zumindest bei deutschen Führungskräften eine geringe Bereitschaft zu Auslandseinsätzen besteht (vgl. Stahl 1998: 25), wird sein Werk daher wohl nicht viel ändern können.

 

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Bibliografie

Elashmawi, Farid und Philip R. Harris (1993): Multicultural Management: New Skills for Global Success. Houston: Gulf Publishing Company

Hofstede, Geert H. (22001): Culture's Consequences: Comparing Values, Behaviors, Institutions, and Organizations Across Nations. Beverly Hills: Sage. [11980]

Leggewie, Claus (2000): "Hybridkulturen", in: Europa oder Amerika: Zur Zukunft des Westens. Sonderheft Merkur, hg. von Karl Heinz Bohrer und Kurt Schell. 54. Jg., Heft 617/618, 878–889.

Lewis, Richard D.(2000): Handbuch Internationale Kompetenz. Frankfurt am Main: Campus.

Rothlauf, Jürgen (1999): Interkulturelles Managment. München, Wien: Oldenbourg.

Stahl, Günter K. (1998): Internationaler Einsatz von Führungskräften. München, Wien: Oldenbourg.

Whorf, Benjamin Lee (1963): Sprache, Denken, Wirklichkeit. Beiträge zur Metalinguistik und Sprachphilosophie. Reinbek.

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