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Tobias Döring (Berlin)



Mario Klarer (2001): Ekphrasis. Bildbeschreibung als Repräsentationstheorie bei Spenser, Sidney, Lyly und Shakespeare. Tübingen: Niemeyer.



Dieser Anblick muss wahrhaft grauenvoll sein: Die schöne Lavinia, Tochter des ruhmreichen Feldherren Titus, ist geschändet und verstümmelt. Blut tropft ihr aus dem Mund, denn die Vergewaltiger haben ihr die Zunge rausgeschnitten, damit sie das Verbrechen niemandem erzählen kann. Vergeblich dringt daher der Onkel, als er sie so findet, in sie, doch zu sprechen:

Speak, gentle niece, what stern ungentle hand
Hath lopped and hewed and made thy body bare
Of her two branches, those sweet ornaments
Whose circling shadows kings have sought to sleep in,
And might not gain so great a happiness
As half they love. Why dost not speak to me?
Alas, a crimson river of warm blood,
Like to a bubbling fountain stirred with wind,
Doth rise and fall between thy rosed lips,
Coming and going with thy honey breath.
But sure some Tereus hath deflowered thee
And, lest thou shouldst detect him, cut thy tongue.
Ah, now thou turnst away thy face for shame,
And notwithstanding all this loss of blood,
As from a conduit with three issuing sprouts,
Yet do thy cheeks look red as Titan's face
Blushing to be encountered with a cloud.
Shall I speak for thee? Shall I say 'tis so?

Statt des Opfers muss der Entdecker sprechen und die schlimme Tat, indem er ihre Folgen sieht und liest, aus visuellen Spuren rekonstruieren und in Worte übersetzen.




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Was sich hier in Titus Andronicus, der wüsten Rachetragödie des jungen William Shakespeare, auf der Bühne darstellt, lässt sich so als schrecklich körperliche Inszenierung eines klassischen rhetorischen Problems begreifen: wie nämlich etwas visuell Gezeigtes zur Sprache gebracht werden kann, d.h. wie die Worte zu den Bildern stehen und in welcher Weise sie für einander einstehen können. Unter dem Kennwort der 'Beschreibungskunst' wird dieses Problem klassischerweise als Ekphrasis bezeichnet.

In seiner Studie über Strategien der Bildbeschreibung in der englischen Renaissanceliteratur führt Mario Klarer die zitierte Szene an, weil sich darin "strukturell eine dramatische Umsetzung eines Emblems" findet (156), mithin einer sinnhaften und zu jener Zeit besonders populären Wort-Bild-Kombination, die zur Reflexion über ekphrastische Strategien nötigt. Wenn hier eine Figur dem stummen Leidensausdruck einer anderen die Stimme leihen und dessen Botschaft übermitteln muss, spielt das Theater mit den Spannungen von visueller und textueller Repräsentation, die emblematisch ins Verhältnis gesetzt werden. Doch bei Shakespeare liegt die Pointe dieser Szene gerade darin, dass ein vorausliegender Repräsentationsakt mit im Spiel ist, ein konkreter Text, der das aktuelle Wort-Bild-Problem bereits klassisch formuliert und jetzt – wir befinden uns in der Spätzeit des römischen Imperiums – noch überboten werden soll. Wie die zitierte Rede (und der weitere Verlauf des Stückes) klar belegt, ist den handelnden Figuren der Fall von Tereus und Philomela wohlbekannt, den Ovid in seinen Metamorphosen beschreibt: wie jener König seine Schwägerin schändet und ihr die Zunge raubt und wie Philomela die Geschichte gleichwohl dadurch mitteilt, dass sie einen Bildteppich webt, der das grausame Geschehen aller Welt bezeugt. Um eben dieser Kommunikation durch beredte Bilder vorzubeugen, haben Lavinias Vergewaltiger ihr nicht nur die Zunge, sondern gleich auch die Hände abgehackt. Jetzt bleibt der Familie des Opfers nur, die sichtbaren Verstümmelungen ihres Körpers selbst zu deuten – wobei letztlich der Ovid-Text, den sie mit ihren Armstümpfen durchblättert, die klärende Beschreibung bietet und die Verbrecher überführt.

Mit solcher Drastik und Gewalt wird das ekphrastische Problem nicht oft verhandelt, gleichwohl ist die Rivalität von bildlicher versus sprachlicher Erfassung und Vermittlung von Wirklichkeit, die darin zum Ausdruck kommt, auch andernorts präsent. Der alte Topos von den "Schwesterkünsten" Dichtung und Malerei sowie die reiche Rezeptionsgeschichte des ästhetischen Programms, das Horaz in die Devise ut pictura poesis zusammenfasste, dürfen jedenfalls nicht darüber hinweg täuschen, dass die semiotischen Wechselbeziehungen und kulturellen Austauschverhältnisse, um die es geht, zugleich von Konflikten und Machtansprüchen künden. Der vielleicht einflussreichste Text hierzu, Leonardos Paragone, rückt diesen Wettstreit der Künste zudem in einen gesellschaftlichen Kontext, wenn er ihn auch im Hinblick auf den Wettstreit der Künstler um soziale Anerkennung und Möglichkeiten öffentlicher Einflussnahme auslegt.




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Jedenfalls mögen die genannten Beispiele zeigen, dass mit den Strategien von "Bildbeschreibung" höchst brisante Zusammenhänge zur Diskussion stehen und dass die herrschenden Repräsentationstheorien einer Zeit wohl Aufschluss über deren Ansichten und Praktiken von Herrschaft überhaupt geben. Dies gilt zumal für die Renaissance, weil sie, wie ihre kulturellen Zeugnisse eindrucksvoll belegen, die Verbindung von Repräsentation und Macht sehr produktiv zu nutzen und gestalten wusste. Wenn Klarer daher unternimmt, "das herrschende repräsentationstheoretische Klima im England des späten sechzehnten Jahrhunderts zu rekonstruieren" (1), reicht das Interesse seiner Studie weit über Belange der Poetik oder Kunsttheorie hinaus und weist ins Zentrum der politischen Kultur dieser Epoche.

Denn mit der Reformation und ihrem Programm des Bildersturms lässt sich der Wort-Bild-Konflikt auch noch religionspolitisch wenden. Nach einem ersten Überblickskapitel über die Rhetorik des Bildes im Rahmen des frühneuzeitlichen Repräsentationsverständnisses untersucht Klarer daher mit Edmund Spensers Farie Queene einen großen Text, der Ekphrasis in ein christlich-reformiertes Epos einrückt und sich dabei, wie es heißt, "zwischen neoplatonischer Betonung des Visuellen und reformatorischem Ikonoklasmus hin- und herbewegt" (50). Die weiteren Kapitel gelten Philip Sidneys Ekphrasen in The New Arcadia im Vergleich zur Kunsttheorie des elisabethanischen Miniaturmalers Nicholas Hilliard, der manieristischen Stilpraxis von John Lyly Euphues-Romanen mit ihren antithetischen Oppositionen im Vergleich zur Technik des chiaroscuro in der bildenden Kunst, sowie – im letzten und längsten Abschnitt – dem paragone von Wort und Bild in der Bühnenpraxis und metadramatischen Reflexion bei Shakespeare. Die erkenntnisleitende These all dieser ausgreifenden Lektüren komplexer und kanonischer Werke bildet der eingangs konstatierte Gegensatz "zwischen Ikonophilie in der Literatur und Ikonophobie in der offiziellen religiösen Staatsideologie" in England, wo Klarer ein "widersprüchliches Klima" sieht, da Bildbeschreibungen hier sowohl als "Zeichen eines Kontinuums antik-klassischer Traditionen" wie auch Differenzmarkierung "gegenüber den katholischen Literaturen des Kontinents" fungieren (23).

Wie die pointierte Formulierung dieses Gegensatzes nahelegt, fußt Klarers Untersuchung auf den Arbeiten zur Funktionsgeschichte von Bildtheorien, die W.J.T. Mitchell seit Mitte der '80er Jahre vorlegt und die insbesondere in der amerikanischen und englischen Kulturwissenschaft vielfältige Forschungstätigkeit und Diskussionen zur Visualität und Textualität angeregt haben. Auf diesem Hintergrund liegt der unbestreitbare Gewinn von Klarers Buch in seiner knappen und oftmals hilfreich gerafften Darstellung, die einen großen Problemzusammenhang in einem relativ eng umgrenzten Zeitraum in den Blick nimmt und durch exemplarische Lektüren von sehr einschlägigen Texten – mit Beispielen der bildenden Kunst illustriert – anschauliches Material bereitstellt. So findet sich viel Wissens- und Lesenswertes, nicht zuletzt in den ausgiebigen Fußnoten, in denen besonders auch ältere Forschungsliteratur in reichem Maße angeführt und im Licht neuerer Fragestellungen gewürdigt wird.




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Dennoch stellt sich als Gesamteindruck dieser groß angelegten Untersuchung eine – um einen Begriff der Bildkunst zu bemühen – gewisse Skizzenhaftigkeit ein. Denn wie auf knapp zweihundert Textseiten vielleicht nicht anders möglich, werden viele der spannendsten Punkte eher an- als ausgedeutet, und manche der Deutungsperspektiven, die entworfen werden, wirken zumindest differenzierungsbedürftig.

Dies gilt vor allem für die zentrale These des vorherrschenden Ikonoklasmus als "der religiös-motivierten Staatsideologie" im Tudor-England (36). Mit kurzen Verweisen auf die englische Reformationsgeschichte seit Heinrich VIII. beruft der Autor sich dazu vor allem auf die Arbeiten von Margaret Aston, allerdings ohne deren neuere Veröffentlichungen zu erwähnen (beispielsweise The King's Bedpost, 1993), aus denen zu entnehmen wäre, dass protestantischer Ikonoklasmus nur eine unter mehreren widerstreitenden Tendenzen der elisabethanischen Ordnungsmacht bildete, der nicht einmal höchste Repräsentanten fraglos zuzurechnen sind. Gerade Elisabeth I. unternahm immer wieder kalkulierte Darbietungen eines Bilderglaubens, der ihr von protestantischen Eiferern als Idolatrie vorgehalten wurde. Die kulturelle Spannung, um die es geht, liegt wohl weniger zwischen "Literatur" und "Staatsideologie" als vielmehr in letzterer selbst begründet.

Weiterhin verwundert, dass der Autor auch den Gewährsleuten zur Theorie und Analyse von Ekphrasis, die er eingangs nennt, im weiteren kaum folgt. So legt er seiner Untersuchung zwar die bekannte Definition von James Heffernan (1993) zugrunde, entfaltet bei den Analysen allerdings gerade nicht den für Heffernans wie für Mitchells Argumentation gleichermaßen konstitutiven Gegensatz einer geschlechterkodierten Auffassung von Bild-Text-Konzepten. Gerade an dem diskutierten Beispiel aus Titus Andronicus hätte sich jedoch besonders deutlich zeigen lassen, dass ein "repräsentationstheoretisches Klima" wohl nie unabhängig von gesellschaftlichen Wetterlagen vorliegt. In den Modellgeschichten der geschändeten Lavinia wie der webenden Philomela ist jedenfalls höchst bemerkenswert, dass sie Bildproduktion als 'weiblich', Sprachgebung als 'männlich' signifizieren – eine kulturelle Zuschreibung von Repräsentationsakten, deren Voraussetzungen und Folgen Mitchell bis hin zu Lessings Laokoon verfolgt hat (Mitchell 1986).

Dass Klarers Studie auf Überlegungen solcher Art weitgehend verzichtet, macht ihre Textlektüren vielleicht leichter zugänglich, nimmt ihrem Thema aber einige Brisanz. So kommen zwar viele Bezugspunkte zur philosophischen Tradition in den Blick, nicht aber so folgenreiche Medientechniken des 16. Jahrhunderts wie die Kartographie, die den Problemzusammenhang von Wort-Bild-Repräsentationen in einen dezidiert machtpolitischen Rahmen stellen und daher in den letzten Jahren Gegenstand etlicher sehr aufschlussreicher Untersuchungen geworden sind (z. B. Klein 2001).




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Gegenüber solchen Vorstößen, den herkömmlichen Gegenstandsbereich der englischen Literaturwissenschaft neuerdings kulturwissenschaftlich zu öffnen und vertiefen, entwickelt die vorliegende Studie ihr Vorhaben eher vor dem Horizont von geistesgeschichtlicher Tradition und, wie der Autor selbst erklärt, "Motivgeschichte" sowie "landeskundlichen Aspekten" (185). Man braucht deren Bildungs- und Erkenntniswert nicht geringschätzen, um dennoch zu bezweifeln, dass daraus die abschließend in Aussicht gestellte Gewinnung "neuer und frischer Perspektiven" (185) für das Fach zu erwarten ist.

Bibliographie

Aston, Margaret (1993): The King's Bedpost. Reformation and Iconography in a Tudor Group Portrait. Cambridge: Cambridge UP.

Heffernan, James (1993): Museum of Words. The Poetics of Ekphrasis from Homer to Ashbery. Chicago, London: University of Chicago Press.

Klein, Bernhard (2001): Maps and the Writing of Space in Early Modern England and Ireland. London: Palgrave.

Mitchell, W. J. T. (1986): Iconology: Image, Text, Ideology. Chicago, London: University of Chicago Press.

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