PhiN 23/2003: 44




Fritz Hamm (Tübingen)




Kognitive versus realistische Bedeutungstheorien in der Sprachwissenschaft




Cognitive vs. realistic semantic theories in linguistics
The paper investigates the relationship between two research paradigms in natural language semantics. The first conception – cognitive semantics in a broad sense – aims at characterising the relation between linguistic expressions and mental constructs. The second approach – realistic semantics – tries to account for the aboutness character of language by concentrating on the relation between linguistic expressions and those aspects of the world they are about. The paper shows that both research fields which so far hardly acknowledge mutual existence, show characteristic shortcomings in empirical, conceptual, and formal respects. Furthermore, it argues that these shortcomings could be remedied by a specific combination of these approaches to natural language semantics.



1. Einleitung

Thema dieser Arbeit sind zwei konkurrierende Ansätze, die die Beschreibung der Bedeutung von Ausdrücken natürlicher Sprachen zum Gegenstand haben. Die eine dieser Forschungsrichtungen, die kognitiv orientierte Semantik, betrachtet als Gegenstand der Semantik die Erforschung der Beziehungen von sprachlichen Ausdrücken zu mentalen Konstrukten. Welche spezifischen Konstrukte dabei jeweils angenommen werden, ist von Theorie zu Theorie sehr verschieden und auch die Frage ob und wenn ja wie diese Konstrukte mit der Realität zusammenhängen, wird unterschiedlich beantwortet. Die andere dagegen – die objektivistische oder realistische Semantik – begreift als Ziel der Semantik die Charakterisierung der Beziehungen zwischen sprachlichen Ausdrücken und der Realität. Wiederum ist es theorieabhängig, welche konkrete Repräsentation für die Realität gewählt wird. Doch meist werden die zentralen Begriffe durch modelltheoretische Konzepte expliziert1.

Angesichts der Differenzen innerhalb der beiden Forschungsunterneh­men mag es vermessen erscheinen, die Trennlinie zwischen der kognitiven Semantik auf der einen Seite und der realistischen Semantik auf der anderen zu ziehen. Doch sehen zumindest einige der herausragen­den Vertreter der beiden Seiten diese Trennlinie als gegeben an, wie die folgenden Zitate von Lewis (1972), Cresswell (1985), Jackendoff (1994) und Lakoff (1987) belegen.

 


PhiN 23/2003: 45

 

 

I distinguish two topics: first, the description of possible lan­guages or grammars as abstract semantic systems whereby symbols are associated with aspects of the world; and second, the description of the psychological and sociological facts whereby a particular one of these abstract semantic systems is the one used by a person or a population. Only confusion comes of mixing these two topics. (Lewis 1972: 170)

Semantik studiert demnach die Beziehung der Symbole abstrakter Sy­steme zu unterschiedlichen Aspekten der Welt; also etwa zu Dingen, Zeitpunkten, Orten, Ereignissen, Situationen etc. Die Beschreibung psychologischer oder soziologischer Fakten ist bei einem solchen An­satz ausdrücklich ausgeschlossen. Einen weiteren Beleg findet man bei Cresswell. Er schreibt über die Semantik von Jerold Katz:

But Katz takes truth and reference to have no part in a semantic theory and so, whatever enterprise he is engaged in, it is not a semantical one as I understand the term. (Cresswell 1985: 27)

Um was immer es sich bei den Untersuchungen von Katz auch handelt, sie haben nach Cresswell auf jeden Fall nichts mit Semantik zu tun. Der letzte Satz des Zitates von Lewis – Only confusion comes of mixing these two topics – weist darauf hin, daß zwischen der realistischen Semantik und kognitiven Ansätzen eine tiefe Kluft besteht. Diese Kluft wird auch von der anderen Seite gesehen und ihre Existenz bekräftigt. Konsultiert man die Arbeiten eines kognitiven Semantikers wie Jackendoff, so wird von ihm eine relativ moderate Position vertre­ten. Hier wird nur der Anspruch erhoben, daß das primäre Interesse des Semantikers dem Aufbau konzeptueller Strukturen zu dienen hat und Begriffen wie Referenz, Wahrheit, Inferenz nur sekundäre Bedeutung zukommt.

Conceptual Semantics [...] is concerned most directly with the form of the internal mental representations that consti­tute conceptual structure and with the formal relations bet­ween this level and other levels of representation. [...] Con­ceptual Semantics is thus a prerequisite to [truth functional] semantics: the first thing one must know about an English sentence is its translation into conceptual structure. Its truth conditions should then follow from its conceptual structure plus rules of inference, which are stated as well in terms of conceptual structure. (Jackendoff 1994: 132)

Eine weitaus radikalere Position vertritt dagegen der kognitive Semantiker George Lakoff. Er behauptet nicht nur, daß die realistische Semantik empirisch uninteressant und inadäquat ist, da sie von modelltheoretischen Grundbegriffen ausgeht, sondern, daß sie intern inkonsistent ist. Es geht ihm dabei nicht darum, daß bestimmte Einzelansätze oder bestimmte Phänomenbeschreibungen inkonsistent wären – dies wäre eine sicherlich zutreffende Aussage –, sondern darum, daß die Wahl der grundlegenden Konzepte das gesamte Forschungsunternehmen ad absurdum führt. Es handelt sich hierbei sicherlich um die denkbar schärfste Zurückweisung der realistischen Semantik. Am explizitesten vertritt Lakoff diese Position in seinem Buch Women, Fire and Dangerous Things. Er bezieht sich auf Hilary Putnam, wenn er behauptet:

He has given a proof that, with a little work, will enable us to show that objectivist semantics, as is characterized ma­thematically using model theory, is internally inconsistent. In particular, the following two claims are inconsistent:
– Semantics characterizes the way that symbols are related to entities in the world.
– Semantics characterizes meaning. (Lakoff 1987: 229 )

 


PhiN 23/2003: 46

 

Aber das ist noch nicht alles. Selbst wenn die Inkonsistenz der objektivistischen Semantik behoben werden könnte, so ist laut Lakoff diese immer noch essentiell empirisch inkorrekt, da es eine Reihe von Beispielen gibt, die sie prinzipiell nicht adäquat beschreiben kann.

What all this shows is that objectivist semantics is empiri­cally incorrect in two ways: first, in its philosophical claims, and second, in its use of the mechanisms of mathematical logic. (Lakoff 1987: 215 )

Die These der vorliegenden Arbeit lautet, daß es aus empirischen wie methodischen Gründen wünschenswert ist, die beiden skizzierten semantischen Forschungsrichtungen zu kombinieren. Dies scheint jedoch angesichts der Aussagen von Lakoff schlicht unmöglich zu sein. Keine Theorie kann mit einer inhärent widersprüchlichen Theorie kombiniert werden. Es ist daher zu zeigen, daß die Argumentation, die zu den Thesen von Lakoff führt, nicht zutreffend ist. Dabei ist klar, daß der zweite Einwand, der die empirische Inadäquatheit der objektivistischen Semantik betrifft, nur nach der Widerlegung der These, daß diese Se­mantik inkonsistent ist, sinnvoll zurückgewiesen werden kann.

Es soll also gezeigt werden, daß weder die Aussage von David Lewis – only confusion comes of mixing these two topics – noch Lakoffs Ablehnung der Modelltheorie gerechtfertigt sind.

Gegliedert ist die Arbeit in drei Teile.

(1)Zuerst wird am Beispiel von Jackendoffs konzeptueller Semantik gezeigt, daß sich kognitive und realistische Ansätze in empirischer wie methodischer Hinsicht ergänzen können.
(2)Im Anschluß folgt die Widerlegung der Argumente von Lakoff. Es wird zuerst gezeigt, daß die Ableitung der Widerspüchlichkeit der realistischen Semantik mit einer inkorrekten Voraussetzung arbeitet, die auch für andere semantische Systeme verheerende Folgen hat.
(3)Schließlich wird auch der empirisch ausgerichtete Vorwurf von Lakoff widerlegt, indem gezeigt wird, daß die von ihm angeführten Beispiele einer modelltheoretischen Behandlung zugänglich sind.


 


PhiN 23/2003: 47

 

2 Die konzeptuelle Semantik

Betrachtet man angewandte Bereiche der Sprachwissenschaft, so fällt auf, daß realistisch orientierte Verfahren im Sinne von Lewis hier kaum eine Rolle spielen. Beispiele hierfür sind zum einen die historische Semantik – verwiesen sei hier auf die kritische Untersuchung von Koch (1995) zum Prototypenbegriff – und zum anderen die Sprachtypologie. Der semantische Bereich der modernen Sprachtypologie ist rein kognitiv geprägt. Charakteristisch hierfür ist die Studie von Leon Stassen zur intransitiven Prädikation an Hand eines samples von über 400 Sprachen (Stassen 1997). Stassen bezieht sich darin ausdrücklich auf Jackendoffs konzeptuelle Semantik; insbesondere zur Formulierung des tertium comparationis.

Jackendoff (1990) betrachtet die konzeptuelle Struktur eines Satzes oder einer Phrase als eine von Syntax bzw. von Phonologie unabhängige Komponente der Grammatik. Die Zusammenhänge werden durch sogenannte Korrespondenzregeln, die hier nicht weiter erläutert werden, hergestellt. Wichtigstes Ziel ist es Unterschiede und Zusammenhänge von Wortbedeutungen möglichst differenziert zu beschreiben.

Was jedoch ist eine konzeptuelle Struktur? Wie sieht beispielsweise die konzeptuelle Struktur des Satzes

(4)John ran into the room.

aus? Sie wird abstrakt durch die folgende indizierte Klammerung repräsentiert.

(5)[ Event GO ([ Thing JOHN], [ Path TO ([ Place IN ([ Thing ROOM])])])]

Die die Klammerung indizierenden Ausdrücke Event, Thing, Path, Place und noch einige andere bilden das Repertoire der konzeptuellen Hauptkategorien. Jede dieser Kategorien läßt sich genauer spezifizieren. Die Bedeutung des Beispielsatzes John ran into the room entspricht einem Ereignis. Dieses läßt sich weiter analysieren durch die Ereignisfunktion GO, die dem Verb entspricht und besagt, daß der Satz Bewegung ausdrückt. Das Subjekt des Satzes ist das erste Argument dieser Funktion. Ihr zweites Argument entspricht der Präpositionalphrase, die einen Pfad bezeichnet und selbst komplex ist; d.h. die Pfadfunktion TO bildet aus einem Ort einen bestimmten Pfad – FROM beispielsweise würde einen anderen bilden – und die Funktion IN formt aus einem Objekt einen Ort.

Die Information, die benötigt wird, um komplexe konzeptuelle Strukturen zu bilden ist im Lexikon verankert. Die lexikalischen Einträge für die Präposition into und das Verb run sind in (6) und (7) zusammengefaßt.

(6)

 


PhiN 23/2003: 48

 

(7)

Ein Lexikoneintrag enthält vier Informationen; das Wort und seine Kategorie, also etwa, daß into eine Präposition ist; den Subkategorisierungsrahmen, into verlangt beispielsweise eine Nominalphrase – kurz eine NP – als Objekt und schließlich die konzeptuelle Struktur. Die Koindizierung deutet an, daß die leere Argumentstelle dieser Struktur, die mit Thing indiziert ist, mit dem von der NP bezeichneten Objekt zu füllen ist.

Das Verb run kann mit oder ohne Präpositionalphrase vorkommen. Dies wird mittels der eckigen Klammern um das Symbol PP j , das für Präpositionalphrase steht, bezeichnet. Die konzeptuelle Struktur von run enthält die Ereignisfunktion GO mit ihren beiden – offen gelassenen – Argumentstellen. Dabei verweist der Index i auf das Subjektargument.

Die Bildung einer komplexen Struktur wie (5) erfolgt durch Einsetzen der jeweiligen Konzepte in die für sie vorgesehenen Plätze in den offenen lexikalischen Strukturen. Jackendoff nennt diese Operation Argumentfusion. Eine genaue Definition dieses Begriffes folgt weiter unten.

Falls keine Präpositionalphrase vorhanden ist, bleibt der Pfad unspezifiziert und der Satz John ran bedeutet John traversed some unspecified trajectory. Wichtig ist, daß eine konzeptuelle Struktur wie (5) durch verschiedene syntaktische Formen bezeichnet werden kann. Etwa durch:

(8)John entered the room.

(9)

Durch die Inkorporation der Bedeutung von into in den lexikalischen Eintrag von enter kann nun erklärt werden, warum im Gegensatz zu John ran John entered nicht heißt John traversed some path, sondern John went into something.

Weitaus komplexer zu beschreiben sind die Bedeutungsunterschiede und Zusammenhänge der Verben climb, pass, cross und put.

(10)a.Joe climbed.
 b.The train passed.
 c.Joe climbed the mountain.
 d.The train passed the station.
 e.Joe climbed through the tunnel.
 f.The train passed through the tunnel.

 


PhiN 23/2003: 49

 

Die Beispiele (10­a)–(10­f) zeigen Gemeinsamkeiten der Verben climb und pass, dagegen demonstriert Beispiel (11), daß im Gegensatz zu climb bei pass bestimmte Präpositionalphrasen systematisch ausgeschlossen sind.

(11)

Jackendoff zeigt, daß man diese Präpositionalphrasen als Pfade mit einer bestimmten Pfadfunktion charakterisieren kann und erhält damit die Möglichkeit die Grammatikalitätsverteilung der erwähnten Beispiele semantisch zu erklären.

Ähnlich wie climb und pass verhalten sich cross und jump. Beispielsweise sind cross over the river, cross to the other side korrekt, nicht jedoch *cross toward the house, *cross around the car, *cross up the stairs. Die Pfadfunktion von cross im Gegensatz zu der von jump muß also so beschrieben werden, daß sie solche Unterschiede zu erfassen erlaubt.

Put ist ein Verb, dessen Subkategorisierungsrahmen eine obligatorische Präpositionalphrase verlangt. Außerdem werden aber auch noch zusätzliche Beschränkungen für die Art der Präpositionalphrasen verlangt, wie die folgenden Beispiele in (12) zeigen.

(12)a.George put the book at the corner of the bed.
 b.Martha put the book into the drawer.
 c.*Groucho put the book from the shelf.
 d.?*Harpo put the book toward the bed.
 e.?*Chico put the book through the tunnel.
 f.*Gummo put the book to the floor.

Die Beschreibung dieser Art von Daten und die entsprechenden Generalisierungen in Jackendoffs Semantic Structures sind außerordentlich differenziert. Geleistet wird dies durch einen einzigen Begriff, den der Argumentfusion.

(13)[Argument Fusion]
To form the conceptual structure for a syntactic phrase XP headed by a lexical item H:
  1. Into each indexed constituent in H's LCS, fuse the conceptual structure of that phrase YP that satisfies the coindexed position in H's subcategorization feature.
  2. If H is a verb, fuse the conceptual structure of the subject into the constituent indexed i in H's LCS.

 


PhiN 23/2003: 50

 

Die Klausel (13­b) – Falls H ein Verb ist, fusioniere die konzeptuelle Struktur des Subjekts in die durch i indizierte Konstituente der lexikalischen konzeptuellen Struktur von H. – wurde angewendet um John in die durch i indizierte Position der konzeptuellen Struktur von run einzusetzen.

Dieser Begriff hat wesentlich mehr zu leisten, als lexikalische Substitution zu verwalten. Beispielsweise hat er auch dafür zu sorgen, daß John drank nicht einfach als John trank irgendetwas interpretiert wird, sondern als John trank etwas Flüssiges. Dies wird durch den folgenden Lexikoneintrag geleistet:

(14)

Angenommen John trinkt Wein, so muß die konzeptuelle Struktur von Wein mit diesem semantischen Merkmal fusioniert werden. Dies ist ein ganz andrer Vorgang als das Einsetzen von John an die durch i indizierte Stelle.

Mißlich ist, daß der Begriff der Fusion nicht weiter expliziert wird. Man muß einfach wissen, was mit was fusioniert werden kann. Angesichts der zentralen Stellung der Argumentfusion in der konzeptuellen Semantik wäre eine präzisere Fassung der Definition wünschenswert. In einer Arbeit von Jost Zwarts und Henk Verkuyl (Verkuyl & Zwarts 1994) wird gezeigt, daß der Begriff der Argumentfusion mit Hilfe von algebraisch-modelltheoretischen Methoden befriedigend geklärt werden kann. Dies ist ein Hinweis darauf, daß die konzeptuelle Semantik von den Methoden der modelltheoretischen Semantik profitieren kann.

Ein weiteres Ingredienz von Jackendoffs konzeptueller Semantik sind die sogenannten preference rule systems. Ihre Aufgabe ist es, Prototypeneffekte zu modellieren. Ihre Wirkungsweise läßt sich an den folgenden Beispielen erläutern.

(15)a.Bill saw Harry.
 b.Bill saw a vision of dancing devils.
 c.Bill saw the sign, but he didn't notice it at the time.
 d.*Bill saw a vision of dancing devils, but he didn't notice it at the time.

Preference conditions.

(16)a.x's gaze makes contact with y.
 b.x has a visual experience of y.

 


PhiN 23/2003: 51

 

In (15­a) sind beide Bedingungen erfüllt, in (15­b) ist Bedingung (16­a) erfüllt, in (15­c) ist Bedingung (16­b) erfüllt und in (15­d) sind beide Bedingungen verletzt.

Man beachte, daß Präferenzregeln nicht-monotone Regeln sind, d.h. Regeln, die verletzt werden können wie die Beispiele (15­b) und (15­c) zeigen. Erst wenn beide Präferenzbedingungen nicht erfüllt sind, erhält man das ungrammatische Beispiel (15­d). Nicht­monotone Regeln wurden in der modelltheoretisch orientierten Semantik zwar unter anderem zur Beschreibung von Generizität und dem Englischen Progressiv (Asher 1993) eingesetzt, sie gehören in dieser Forschungsrichtung jedoch sicherlich nicht zum Kern des semantischen Instrumentariums. Anders gesehen wird die Rolle der Nicht-Monotonie in den Arbeiten Hamm & van Lambalgen (2000), van Lambalgen & Hamm (2002) und Hamm & van Lambalgen (2002), in denen die Nicht-Monotonie in den Bedeutungsbegriff selbst integriert ist.

Es werden in der konzeptuellen Theorie semantisch interessante Fragen aufgeworfen, die unter einer rein realistischen Perspektive kaum Sinn haben.

In dieser semantischen Theorie wird angenommen, daß die scheinbar abstrakten konzeptuellen Strukturen mental verankert sind. Erste Hinweise, daß diese Hypothese korrekt sein könnte, geben die Untersuchungen von Jackendoff und Landau (Landau & Jackendoff 1993) zu den sogenannten what- und where-Systemen. Das what-System ist dabei ein System das für die mentale Strukturierung von Objekten verantwortlich ist, das where-System dagegen behandelt die Plazierung von Objekten im Raum. In natürlichen Sprachen läßt sich eine Asymmetrie im Wort­ schatz der objektdenotierenden Ausdrücke versus jener Ausdrücke – typischerweise Präpositionen –, die Objekte im Raum verorten, beobachten. Ein typischer Sprecher des Englischen beispielsweise verfügt über 10000 bis 15000 Wörter, die Gegenstände bezeichnen, dagegen selbst bei großzügiger Zählung über höchstens 100 Präpositionen. Erste sprach­ vergleichende Indizien lassen es plausibel erscheinen, daß es sich dabei um ein sprachunabhängiges Faktum handelt. Jackendoff/Landau haben Hinweise für die These gesammelt, daß diese Asymmetrie durch die interne mentale Struktur des what- versus where-Systems bedingt ist. In der konzeptuellen Semantik wird die Asymmetrie durch die spezifische, eingeschränkte Wahl der Pfadfunktionen wiedergegeben. Man beachte, daß allein die Formulierung einer Hypothese, die semantische Fakten durch Rekurs auf ihre mentale Verankerung zu erklären versucht, nach Lewis ein Beispiel für Begriffsverwirrung ist. Hypothesen dieser Art können jedoch durchaus zu tieferen systematischen Einsichten in die semantische Struktur des Wortschatzes führen.

So differenziert Jackendoffs semantische Beschreibung lexikalischer Einträge auch ist, so enthält seine Theorie doch eine Reihe von systematischen empirischen Lücken, die ihm zum Teil auch bewußt sind. Ich werde hier zwei kurz erwähnen. Das erste Problem betrifft die Semantik von Artikelwörtern oder Determinatoren. Die Beispiele in (17) erhielten in Jackendoffs Semantik alle dieselbe konzeptuelle Struktur (18) zugewiesen, denn alle NPs, die den Gattungsnamen Student enthalten, werden durch die Struktur [ Thing STUDENT ] repräsentiert.

(17)a.Jeder Student geht zum Bahnhof.
 b.Ein Student geht zum Bahnhof.
 c.Der Student geht zum Bahnhof.
 d.Die meisten Studenten gehen zum Bahnhof.

 


PhiN 23/2003: 52

 

(18)[ Event GO ([ Thing STUDENT], [ Path TO ([ Place BAHNHOF])])]

Dies ist sicherlich nicht adäquat. Weitaus entwickeltere Untersuchungen findet man hier in der modelltheoretischen Semantik. Man vergleiche etwa Westerståhl (1989).

Ein weiteres Beispiel für eine systematische Lücke ist die Behandlung von Modifikationen. Jackendoff führt hierzu die Regel (19) ein:

(19)

Ein konkretes Beispiel für die Anwendung dieser Regel ist:

(20)

Zu interpretieren ist der konkrete Fall als Unifizierung der Informationen, die man durch die Ausdrücke rot und Buch erhät zur Information rotese Buch. Probleme erhält man mit dieser Regel, wenn man Adjektive wie klein, groß, gut oder mutmaßlich betrachtet. Ein kleiner Elefant beispielsweise ist kein kleiner Gegenstand und ein mutmaßlicher Terrorist ist nicht unbedingt ein Terrorist. Solche Modifikationen lassen sich mit modelltheoretischen Methoden relativ problemlos beschreiben.

Ähnliches gilt für die in der konzeptuellen Semantik höchstens rudimentär vorhandenen Ansätze zur Analyse von satzübergreifenden pronominalen Bezügen bzw. der Blockierung solcher Bezüge wie dies durch die Beispiele in (21) exemplifiziert wird. Warum etwa ist der Bezug mit dem Pronomen sie in (21­a) auf die noch fehlende Murmel möglich, bei Beispiel (21­b) dagegen nicht?

(21)a.Hans ließ zehn Murmeln fallen und fand alle bis auf eine. Sie ist wahrscheinlich unter dem Sofa.
 b.Hans ließ zehn Murmeln fallen und fand nur neun. *Sie ist wahrscheinlich unter dem Sofa.

Daten dieser Art zeigen, daß die Untersuchungsbereiche der konzeptuellen und der realistischen Semantik auseinanderfallen. Es scheint als würde die theoretische Begrifflichkeit den Bereich der zu untersuchen­ den Phänomene determinieren. Eine einheitliche semantische Theorie sollte aber sowohl lexikalische als auch strukturelle Aspekte der Bedeutung adäquat behandeln.

Es läßt sich also zusammenfassend festhalten, daß eine Kombination kognitiver und realistischer Ansätze aus folgenden Gründen wünschenswert ist:

 


PhiN 23/2003: 53

 

(22)Das theoretische Werkzeug erlaubt eine präzisere Explikation zentraler Begriffe.

(23)Es können neue interessante semantische Hypothesen bezüglich der Strukturierung des Wortschatzes formuliert werden und in Bereichen überprüft werden, die der realistischen Semantik bisher kaum zugänglich waren.

(24)Es kann ein weitaus größerer empirischer Bereich semantisch erfaßt werden.



3 Ist die modelltheoretische Semantik inkonsistent?

Dem Vorschlag kognitive und realistische Ansätze zu verbinden, steht ein Argument entgegen, das George Lakoff in seinem Buch Women, Fire and Dangerous Things ausführlich entwickelt hat. Die eine der genannten Forschungsrichtungen – die realistische bzw. objektivistische Semantik – ist danach inkonsistent.

Die Inkonsistenz erhält man, wenn man der üblichen modelltheoretischen Vorstellung von Bedeutung ein weiteres semantisches Prinzip hinzufügt, das nach Lakoff jede semantische Theorie – gleichgültig ob sie kognitiv oder realistisch orientiert ist – zu erfüllen hat. Lakoffs Darstellung der modelltheoretischen Definition von Bedeutung sieht wie folgt aus.

(25)a.The meaning of a sentence is a function which assigns a truth value to that sentence in each possible situation (or possible world).
 b.The meaning of a term (a name or a noun phrase) is a function which assigns a referent (an individual) or kind to that term in each possible situation (or possible world).
 c.The meaning of an n-place predicate is a function which assigns a referent (a set of n-tuples of entities) to that predicate in each possible situation (or possible world).

Ein Eigenname oder Term wie Peter erhält demnach in Abhängigkeit von einer möglichen Welt einen Referenten zugeordnet und das intransitive Verb schlafen in Abhängigkeit von einer möglichen Welt eine Menge von Individuen, jene Individuen, die in dieser Welt schlafen. Der Satz Peter schläft ist bezüglich dieser Welt wahr, falls Peter ein Element der in dieser Welt schlafenden Individuen ist. Alle Informationen, die benötigt werden, um zu beurteilen, ob ein gegebener Satz wahr oder falsch (bezüglich einer Welt) ist, werden in dem Begriff der Struktur oder des Modells zusammengefaßt. Ein Satz ist also bezüglich eines Modells wahr oder falsch. Dies erklärt den Namen modelltheoretische Semantik. Ein Modell ist also nichts anderes als eine Menge von Individuen sowie eine Spezifikation ihrer Eigenschaften und ihrer Beziehungen zu anderen Individuen in einer Welt. Mit dem Konzept des Modells kann der Zentralbegriff dieser Art Semantik, der Begriff der Folgerung definitorisch eingeführt werden. Ein Satz S folgt aus einer gegebenen Anzahl von Sätzen §155 der 1837 erschienenen Wissenschaftslehre von Bernhard Bolzano (Bolzano 1978).

Ein Beispiel für eine Folgerungsbeziehung ist (26) aus Kalish & Montague (1964).

 


PhiN 23/2003: 54

 

(26)Angenommen ein Student, Hans, erfüllt die folgenden Bedingungen:
  • Wenn er arbeitet, bekommt er gute Scheine.
  • Wenn er nicht arbeitet, genießt er das Leben.
  • Wenn er keine guten Scheine bekommt, genießt er das Leben nicht.
Aus diesen Annahmen folgt, daß Hans gute Scheine bekommt.

Obwohl Lakoffs Beschreibung sicherlich nicht alle Ansätze der modelltheoretischen Semantik korrekt beschreibt, werde ich sie hier kritiklos akzeptieren.

Das folgende Zitat von Lakoff belegt die seiner Ansicht nach zentrale Stellung eines bestimmten semantischen Prinzips.

Any theory of meaning at all, modell-theoretic or not, must obey the following constraint: (Lakoff 1987: 230)

Die Bedingung lautet:

(27)The meanings of the parts cannot be changed without changing the meaning of the whole. (Lakoff 1987: 230)

Mit diesen Annahmen wird nun die Inkonsistenz der modelltheoretischen Semantik mittels eines Arguments von Hilary Putnam abgeleitet (Putnam 1980).

Gezeigt wird dies an Hand des Satzes (28):

(28)A cat is on a mat.

Gelingt es, Teile dieses Satzes zu finden, deren Bedeutung man ändern kann, ohne daß sich die Bedeutung des Satzes selbst ändert, so hat man einen Widerspruch zu jenem Prinzip der Semantik abgeleitet, das nach Lakoff Bestandteil jeder semantischen Theorie zu sein hat. Genau dies leistet Putnams Argument. Es zeigt, daß es möglich ist, Bedeutungen cat* und mat* zu finden, die definitiv verschieden sind von cat und mat für die jedoch gilt, daß A cat is on a mat genau dann zutrifft, wenn A cat* is on a mat* zutrifft. Da dann wegen Annahme (25­a) der realistischen Semantik A cat is on a mat dasselbe bedeutet wie A cat* is on a mat*, cat und mat aber nicht cat* und mat* bedeuten, hat man damit einen Widerspruch zu jenem Postulat abgeleitet, das besagt, daß die Bedeutungen der Teile nicht geändert werden können, ohne die Bedeutung des Ganzen zu ändern.

Es werden nun Bedeutungen cat* und mat* definiert, die definitiv verschieden sind von denen von cat und mat. Ziel ist es zu zeigen, daß A cat* is on a mat* dieselbe Bedeutung hat wie A cat is on a mat. Damit wäre der Widerspruch zu Lakoffs Postulat abgeleitet.

Die Definitionen von cat* und mat* machen von den drei Situationen in (29) Gebrauch.

 


PhiN 23/2003: 55

 

(29)a.Eine Katze ist auf einer Matte und eine Kirsche ist auf einem Baum.
 b.Eine Katze ist auf einer Matte und keine Kirsche ist auf einem Baum.
 c.Es gilt weder (29­a) noch (29­b).

Mit Hilfe dieser Situationen ist es möglich, die Bedeutungen von cat und mat auf völlig künstliche Weise zu ändern, ohne daß dies einen Einfluß auf die Bedeutung des Satzes hätte. Dies ist natürlich auch der Sinn des Arguments. Es soll schließlich die Schwäche des modelltheoretischen Ansatzes zeigen. Die Definitionen lauten:

(30)[Definition von cat*]
x ist ein cat* gdw. Fall (29­a) zutrifft und x eine Kirsche ist; oder Fall (29­b) zutrifft und x eine Katze ist; oder Fall (29­c) zutrifft und x eine Kirsche ist.

(31)[Definition von mat*]
x ist ein mat* gdw. Fall (29­a) zutrifft und x ein Baum ist; oder Fall (29­b) zutrifft und x eine Matte ist; oder Fall (29­c) zutrifft und x ein Quark ist.

Es wird nun wie folgt argumentiert. Angenommen Situation (29­a) ist gegeben. Dann ist der Satz A cat is on a mat wahr, denn in dieser Situation ist eine Katze auf einer Matte. Aber auch A cat* is on a mat* ist in dieser Situation wahr, denn cat* bedeutet in dieser Situation Kirsche und mat* Baum und es ist tatsächlich der Fall, daß eine Kirsche auf einem Baum ist. Für die Situationen (29­b) und (29­c) wird genauso argumentiert. Da damit alle Situationen erschöpft sind und man keine Differenzierung der Bedeutungen von A cat is on a mat und A cat* is on a mat* gefunden hat, obwohl man die Bedeutungen von cat und mat auf willkürliche Weise verballhornt hat, ist damit ein Widerspruch zu Prinzip (27) abgeleitet. Putnams Theorem zeigt, daß dies von einigen marginalen Fällen immer möglich ist.

Theorem 1 (Putnam). Sei L eine Sprache mit Prädikaten F 1, F 2, ..., F k (nicht notwendigerweise monadisch). Sei I eine Interpretation, die jedem Prädikat eine Intension zuordnet. Dann gilt: Falls I nicht trivial ist, dann existiert eine Interpretation J , die von I verschieden ist und dieselben Sätze in jeder möglichen Welt wahr macht wie I.

Dabei ist eine Interpretation nicht-trivial, falls wenigstens ein Prädikat in einer Welt eine Extension erhält, die von der leeren bzw. universellen Relation verschieden ist.

Lakoff diskutiert sechs denkbare Auswege, die ausnahmslos durch eine Anwendung von Prinzip (27) widerlegt werden.

Lakoffs Postulat hat eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Kompositionalitätsprinzip, das wie folgt lautet:

(32)Die Bedeutung eines Ausdrucks ist eindeutig bestimmt durch die Bedeutungen seiner Teile und die Art und Weise ihrer Kombination.

 


PhiN 23/2003: 56

 

Kompositionalität ist in der Tat ein zentrales Prinzip nahezu jeder semantischer Theorie. Es spielt sogar für die Beschreibung der Bedeutung von Tönen in der Intonationsphonologie (Pierrehumbert & Hirschberg 1990) eine Rolle. Und Davidson (1972) argumentiert vom Standpunkt der Lernbarkeit für dieses Prinzip, da es einsichtig macht, daß eine potentiell unendliche Menge von Bedeutungen auf der Basis einer endlichen Menge gelernt werden kann.

Man beachte jedoch, daß Lakoffs Prinzip eine Art von Umkehrung des Kompositionalitätsprinzips ist. Wird bei diesem Prinzip von den Teilen auf das Ganze geschlossen, so wird bei Lakoffs Postulat umgekehrt vom Ganzen auf die Teile geschlossen. Genauer formuliert heißt dies: Verändert sich die Bedeutung des Ganzen nicht, darf sich auch die Bedeutung seiner Teile nicht ändern. So wurde dieses Prinzip in seinem Inkonsistenzbeweis benutzt. Dies zeigt, daß die beiden Prinzipien voneinander unabhängig sind. Natürlich ist damit noch nicht nachgewiesen, daß Lakoffs Postulat falsch ist.

Die Behauptung von Lakoff lautet nicht, daß die modelltheoretische Konstruktionen der Semantik für die Aussagen-, Prädikatenlogik etc. inkonsistent wären, sondern nur deren Anwendung auf die Beschreibung der Semantik natürlicher Sprachen. Nimmt man jedoch sein Postulat für diese formalen Sprachen an, so läßt sich ebenfalls zeigen, daß deren Semanik inkonsistent ist. Das tertium non datur in prädikatenlogischer Notation lautet wie folgt:

(33)A(a) v ¬A(a)

Setzt man für A Lebewesen ein, so besagt die Formel, daß a ein Lebewesen ist oder, daß es nicht zutrifft, daß a ein Lebewesen ist. Die Semantik der Prädikatenlogik macht diese Formel wahr unabhängig davon ob A(a) wahr oder falsch ist. Das heißt auch hier gelingt es, die Bedeutung von Teilen zu ändern, ohne die Bedeutung des Ganzen zu ändern. Damit ist gezeigt, daß auch diese Semantik inkonsistent ist. Auf diese Weise kann für praktisch alle semantischen Systeme nachgewiesen werden, daß sie inkonsistent sind. Dies ist ein absurdes Resultat. Keine Bedeutungstheorie kann Lakoffs Postulat erfüllen. Damit bricht aber auch sein Inkonsistenzbeweis zusammen.

Lakoffs Prinzip (27) kann also kein Bestandteil semantischer Theorien sein. Daraus ergibt sich die Undurchführbarkeit von Lakoffs Inkonsistenzbeweis. Das Ziel kognitive und realistische Ansätze zu kombinieren ist also nicht bereits durch logisch-methodische Schwierigkeiten zum Scheitern verurteilt.



4 Mentale Räume

Es wird nun die These von Lakoffs diskutiert, der zufolge die modelltheoretische Semantik essentiell empirisch inadäquat ist. Welche semantischen Daten können grundsätzlich nicht modelltheoretisch behandelt werden? Lakoff nennt im Wesentlichen zwei empirische Bereiche. Bei dem einen handelt es sich um sogenannte Prototypeneffekte, bei dem anderem um jene Phänomene, denen Lakoff den Namen split reference gibt. Hier werden nur Beispiele für split reference behandelt.

(34)Harry saw one light move, but there were really many of them flashing. He saw it move in a circle, but they were just arranged in a circle and were flashing rapidly in sequence.

(35)We weren't able to use red objects in the experiment because there is no single wavelength that can be perceived as focal red.

 


PhiN 23/2003: 57

 

Lakoff sieht das Problem mit Beispiel (34) darin, daß die Realität von verschiedenen Personen verschieden verstanden wird. Zum einen wird sie aus der Perspektive einer Versuchsperson, die ein sich bewegendes Licht sieht, wahrgenommen zum anderen aus der Perspektive der Person, die den Versuch durchführt und die mehrere Lichter blitzen sieht. Bei beiden Wahrnehmungsinhalten handelt es sich um Aspekte der Realität. Es geht Lakoff dabei also nicht um verschiedene mögliche Welten, sondern darum, daß die eine reale Welt von Individuen in verschiedener – zum Teil sogar inkonsistenter Weise – verstanden und erfahren werden kann. Er behauptet:

Technically, this is beyond classical systems of objectivist semantics. (Lakoff 1987: 213)

Zur Lösung dieser Art von Problemen verweist er auf Fauconniers Theorie der mentalen Räume (Fauconnier 1985). Diese scheinen geradezu dafür gemacht, um mit dem Problem der split reference fertig zu werden. Man betrachte dazu die folgenden Beispiele:

(36)a.Platon steht im linken Regal.
 b.Die Bücher von Platon stehen im linken Regal.

Es ist klar, daß etwa im Kontext einer Bibliotheksszene Satz (36­a) dazu verwendet werden kann, um die Information in (36­b) zu übermitteln. Zur Herleitung dieses Resultats verwendet Fauconnier zwei mentale Räume - den Autorenraum und den Bücherraum -und Nunbergs pragmatisches Identifikationsprinzip (Nunberg 1979).

(37)[Identifikationsprinzip]
Falls zwei Objekte a, b durch eine pragmatische Funktion F verbunden sind, kann eine Beschreibung da von a dazu verwendet werden das Objekt b zu identifizieren.


Bild 1

In dem konkreten Beispiel ist a gleich Platon, F1 (Platon) sind die Bücher von Platon und die Beschreibung dPlaton ist der Name Platon selbst.

Ähnlich wären die Sätze in (38) bezüglich einer Restaurantszene bzw. einer Szene in einem Krankenhaus zu behandeln.

(38)a.Das Schnitzel ist gegangen, ohne zu zahlen.
 b.Das Sprunggelenk liegt auf Zimmer 7.

Beispiele dieser Art können recht komplex werden. Angenommen über Alfred Hitchcock wird ein Film gedreht, in dem Orson Welles Alfred Hitchcock spielt. Hitchcock, der es ja tatsächlich liebte in den eigenen Filmen eine Nebenrolle zu übernehmen, spielt auch in diesem Film die marginale Rolle eines Mannes an einer Bushaltestelle. Die Ambiguität der Aussage (39) kann dann mit Hilfe der mentalen Räume wie im Bild 2 aufgelöst werden. Dabei ist F d die Abbildung die den Schauspielern ihre Charaktere im Film zuordnet und F i bildet die realen Personen (in diesem Fall nur Hitchcock) auf die Filmpersonen ab. Im konkreten Fall also auf Orson Welles, der Hitchcock im Film verkörpert. Je nachdem ob die Abbildung Fd oder Fi gewählt wird, ergibt sich ein anderer Bezug für das Reflexivpronomen sich. Wählt man Fd, so bedeutet der Satz, daß Hitchcock sich in seiner Rolle als Mann an der Bushaltestelle sah. Wählt man dagegen Fi so bezieht sich das Reflexivpronomen auf den Filmcharakter Hitchcock, der von Orson Welles gespielt wird.

 


PhiN 23/2003: 58

 

(39)Hitchcock sah sich im Film.


Bild 2

Was jedoch sind mentale Räume? Laut Fauconnier 1985 bestehen sie aus zwei Komponenten. Zum einen aus Elementen a, b, c, ... und zum anderen aus Relationen, die zwischen diesen Elementen bestehen. Dies ist nicht anderes als ein Spezialfall des Modellbegriffes. Allerdings beinhaltet der Begriff des mentalen Raumes eine dynamische Komponente; die Modelle werden im Verlauf des Diskurses inkrementell aufgebaut. Doch auch dies ist aus der dynamischen Semantik, die sicherlich modelltheoretisch orientiert ist, seit langem vertraut2. Beispielsweise führt im Gegensatz zu einem Definitum ein Indefinitum ein neues Element in einen mentalen Raum ein. Dies ist Fauconniers Version der novelty condition aus Heim (1982).

Die Vorteile, mentale Räume schlicht als Modelle zu betrachten, liegen auf der Hand. Sie erlauben es, die Theorie mentaler Räume wesentlich präziser zu formulieren. Das Studium von Abbildungen zwischen Modellen ist seit langem ein zentrales Anliegen der Modelltheorie. Es ist zwar richtig, daß Funktionen wie sie das Identifikationsprinzip erfordert in der klassischen Modelltheorie nicht untersucht wurden, doch bei vielen Abbildungen, die in Fauconniers weiterführendem Buch Mappings between Thought and Language verwendet werden, handelt es sich um bekannte Abbildungen zwischen Modellen wie etwa Homomorphismen (Fauconnier 1985).

Ferner beachten weder Lakoff noch Fauconnier, daß auch bei dem Phänomen der split reference Folgerungsbeziehungen eine Rolle spielen. Beispielsweise folgt aus den Prämissen in (40)

(40)a.Fritz hat das Schnitzel bestellt.
 b.Das Schnitzel ist gegangen, ohne zu zahlen.

die Konklusion (41)

(41)Fritz ist gegangen, ohne zu zahlen.

Die dargelegten Überlegungen zum Verhältnis kognitiver versus realistischer Ansätze zur Beschreibung der Semantik natürlicher Sprachen lassen sich durch Bild 3 zusammenfassen (van der Does & van Lambalgen 2000).


Bild 3

 


PhiN 23/2003: 59

 

Sprachliche Ausdrücke werden demnach direkt in einer projizierten Realität oder einem mentalen Raum interpretiert. Dies entspricht dem Konstrukt der Realität über das die Sprecher einer Sprache verfügen. Die objektive Realität tritt hier gewissermaßen in sprachlich gefilterter Form auf. Diese Sicht der sprachlichen Realität wird von Barbara Landau und Ray Jackendoff in ihrer Arbeit zu den what- und where-Systemen entworfen. Nimmt man an, daß der Zusammenhang zwischen dem sprachlichen Entwurf der Realität und der objektiven Realität nicht völlig willkürlich ist, so läßt sich davon ausgehen, daß Ausdrücke indirekt einen semantischen Wert in der objektiven Realität zugewiesen bekommen. Die Beziehung zwischen projizierter Realität und objektiver Realität kann als Approximationsbeziehung verstanden werden. In den Analysen zur passiven Synthesis hat Edmund Husserl Wahrnehmung unter dieser Perspektive beschrieben.

So gehört zu jeder äußeren Wahrnehmung eine im Unendlichen liegende Idee, die Idee des voll bestimmten Gegenstandes .... Ich sprach von einer im Unendlichen liegenden, also unerreichbaren Idee, denn daß es eine Wahrnehmung geben könnte (als einen bgeschlossenen Prozeß kontinuierlich ineinander übergehender Erscheinungsverläufe), die eine absolute Kenntnis des Gegenstandes schüfe ... das ist durch die Wesensstruktur der Wahrnehmung selbst ausgeschlossen; denn evidenterweise ist die Möglichkeit eines plus ultra prinzipiell nie ausgeschlossen. (Husserl 1966)

Zusammenfassend läßt sich festhalten, daß es sowohl aus empirischen wie aus methodischen Gründen wünschenswert ist, kognitive und rea­ listisch orientierte Ansätze zur Erforschung der Semantik natürlicher Sprachen zu verbinden und daß einem solchen Vorhaben weder empirische noch methodische bzw. begriffliche Hindernisse im Weg stehen.



 


PhiN 23/2003: 60

 

Bibliographie

Asher, N. (1993): Reference to Abstract Objects in Discourse. Kluwer, Dordrecht.

Bolzano, B. (1978): Grundlegung der Logik: Wissenschaftslehre I/II. Felix Meiner Verlag, Hamburg. Herausgegeben von Friedrich Kambartel.

Chang, C. & J. Keisler (1973): Model Theory. North Holland, Amsterdam.

Cresswell, M. (1985): Structured Meanings: The Semantics of Propositional Attitudes. MIT Press, Cambridge, Mass.

Davidson, D. (1972): "Theories of Meaning and Learnable Languages", in: Y. Bar­ Hillel (Hg.): Logic, Methodology and Philosophy of Science. North Holland, Amsterdam.

Fauconnier, G. (1985): Mental Spaces. Cambridge University Press, Cambridge.

Hamm, F. & M. van Lambalgen (2000): "Nominalization, the Progressive and Event Calculus". Amsterdam/Tübingen, eingereicht bei Linguistics and Philosophy.

Hamm, F. & M. van Lambalgen (2002): "Formal Foundations for Semantic Theories of Nominalisations". Amsterdam/Tübingen, erscheint in: ZAS Working Papers in Linguistics.

Heim, I. (1982): The Semantics of Definite and Indefinite Noun Phrases. PhD thesis, University of Massachusetts at Amherst.

Hodges, W. (1993): Model Theory. Cambridge University Press, Cambridge.

Husserl, E. (1966): Analysen zur passiven Synthesis. Husserliania, Vol. Band XI. Martinus Nijhoff, Den Hague.

Jackendoff, R. (1990): Semantics Structures. MIT Press, Boston.

Jackendoff, R. (1994): Consciousness and the Computational Mind. MIT Press, Boston.

Kalish, D. & R. Montague (Hgg.) (1964): Logic. Harcourt, Brace & World, Inc., New York.

Kamp, H. & U. Reyle (1993): From Discourse to Logic. Reidel, Dordrecht.

Koch, P. (1995): "Der Beitrag der Prototypentheorie zur Historischen Semantik: Eine kritische Bestandsaufnahme", Romanistisches Jahrbuch 46.

Lakoff, G. (1987): Women, Fire and Dangerous Things. University of Chicago Press, Chicago.

Landau, B. & R. Jackendoff (1993): "'What' and 'where' in spatial language and spatial cognition", in: Behavioral and Brain Sciences 16, 217–265.

Lewis, D. (1972): "General Semantics", in: D. Davidson & G. Harman (Hgg.): Semantics of Natural Language. Reidel, Dordrecht.

Nunberg, G. (1979): "The Non-uniqueness of Semantic Solutions", in: Linguistics and Philosophy 3, 17–40.

Pierrehumbert, J. & J. Hirschberg (1990): "The Meaning of Intonational Contours in the Interpretation of Discourse", in: P. Cohen, J. Morgan & M. Pollack (Hgg.): Intentions in Communication. MIT Press, Cambridge.

Putnam, H. (1980): "Models and Reality", in: Journal of Symbolic Logic 45.

 


PhiN 23/2003: 61

 

Stassen, L. (1997): Intransitive Predication. Clarendon Press, Oxford.

van der Does, J. & M. van Lambalgen (2000): "A Logic of Vision", in: Linguistics and Philosophy 23, 1–92.

van Lambalgen, M. & F. Hamm (2002): "Moschovakis' Notion of Meaning as Applied to Linguistics". Amsterdam/Tübingen, erscheint in: Proceedings of the Logic Colloquium 2001.

Verkuyl, H. & J. Zwarts (1994): "An Algebra of Conceptual Structure: An Investigation in Jackendoff's Conceptual Semantics", in: Linguistics and Philosophy 17, 1–28.

Westerståhl, D. (1989): "Quantifiers in Formal and Natural Languages", in: D. Gabbay & F. Guenthner (Hgg.): Handbook of Philosophical Logic, Vol IV. Reidel, Dordrecht.



Anmerkungen

1 Ausführliche Darstellungen der Modelltheorie sind Chang & Keisler (1973) und Hodges (1993).

2 Man vergleiche etwa Kamp & Reyle (1993).

Impressum