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David Nelting (München)



Werner Helmich, Helmut Meter und Astrid Poier-Bernhard (Hgg.) (2002): Poetologische Umbrüche. Romanistische Studien zu Ehren von Ulrich Schulz-Buschhaus. München: Fink.


Der vorliegende Band hätte als Festschrift zum sechzigsten Geburtstag von Ulrich Schulz-Buschhaus erscheinen sollen; jeder weiß, dass er als Gedenkschrift für einen der ohne Zweifel bedeutendsten Romanisten der letzten Jahrzehnte hat erscheinen müssen. Von dieser traurigen Tatsache soll im Folgenden zu abstrahieren versucht werden - der Rezensent der Gedenkschrift ist für einen erneuten Nachruf weder berechtigt noch befähigt. Freilich lässt sich bei dem Versuch einer weitgehend objektiven Durchsicht des Bandes feststellen, dass die Gesamtheit der Beiträge der hervorragenden Position entspricht, welche der im Vorwort sympathetisch in einem Theophrast-Pastiche als Polykrites präsentierte Ulrich Schulz-Buschhaus im Bereich des Faches einnahm und noch lange einnehmen wird. Kurzum: Poetologische Umbrüche ist ein ausserordentliches Buch, das durch seine überragende Qualität besticht. Das liegt zum einen an dem besonders interessanten Konzept des Bandes, epochale Umbrüche in Literatur und Literaturwissenschaft zum Gegenstand der Beiträge zu machen. Diese allgemeine Fragestellung ist sinnvoll aufgeteilt in die Abschnitte "Normbrüche und Normbildungen", "Literatur- und Poetologietransfer" sowie "Modellbildungsprozesse und ihre Reflexion". Und zum anderen liegt die herausragende Rolle, die der vorliegenden Gedenkschrift im Rahmen der romanistischen Publikationen dieser Jahre zukommt, natürlich auch in der vielseitigen und pertinenten Umsetzung des ergiebigen Konzept begründet. So haben insgesamt 29 durchweg renommierte Fachvertreter aus den Bereichen Romanistik, Amerikanistik, Germanistik und Soziologie sich mit Themen auseinandergesetzt, die als Einzeluntersuchungen meist hohe Bedeutsamkeit für ihr jeweiliges Sujet entwickeln, und die in ihrer Gesamtschau ein faszinierendes Panorama literaturwissenschaftlicher Untersuchungen von Petrarca bis Juan Goytisolo bieten.

Einen weiteren Vorzug des Bandes wird der Literaturwissenschaftler in der Tatsache veranschlagen, dass die vorgestellten Analysen – hierin ganz wie das Œuvre von Ulrich Schulz-Buschhaus – trotz souveräner theoretischer Reflexion stets das literarische System als primären Referenzpunkt fokussieren, und dies – ebenfalls ganz im Sinne von Ulrich Schulz-Buschhaus – in vielfach komparatistischer Manier. Auf diese Weise wird vorgeführt, wie Literaturwissenschaft in ihrem Idealzustand funktionieren kann, wenn nämlich literarische Kennerschaft, philologische und literarhistorische Präzision und theorieerfahrene Intelligenz zu Analysen höchster Gegenstandsadäquanz verschmelzen. Ein schlaglichtartiges Referat nur einiger weniger hier entwickelter Argumente soll dies ansatzweise verdeutlichen.



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Die inhaltlich und methodisch vielfältigen Beiträge sind innerhalb der drei Abteilungen des Bandes nach historischen Gesichtspunkten gegliedert. Den ersten Abschnitt, "Normbrüche und Normbildungen", eröffnet Frank-Rutger Hausmann mit: "Francesco Petrarcas Sonett ‚Solo e pensoso i più deserti campi’ – Versuch eines Lektüremodells" (19–28). Damit setzt der Band nicht nur mit einem Sujet allerhöchster literarhistorischer Dignität ein, sondern auch unter den Vorzeichen agnostischer Vernunft, denn Hausmann präsentiert als Modell dezidiert leserorientierter Verständnishilfe einen synthetisierenden Sinnkommentar von RVF 35, welcher die üblichen Textkommentare ergänzen soll und in ausdrücklicher Anerkenntnis der interpretatorischen Unerschöpflichkeit Petrarcas einen gleichwohl hervorragend repräsentativen "Ausschnitt der philosophischen, theologischen, künstlerischen und lyrischen Reichweite" (28) des Sonetts vorlegt und die Komplexität Petrarcascher écriture erklärend anschaulich macht. Eine systematische Einlösung des Hausmannschen Desiderats, so wie er dies hier exemplarisch vorführt, würde der Vermittlung Petrarcas ohne jeden Zweifel einen gewaltigen Schub geben. Es bleibt freilich abzuwarten, ob sich jemand dieses nicht nur verdienstvollen, sondern auch geradezu übermenschlich anmutenden Projektes annimmt.

Auf Hausmanns Ouvertüre folgen Helmut Meter, der in Bemühung um sorgsame Historisierung die transitorische Position Boccaccios zwischen Mittelalter und Renaissance betont ("Die ritualisierte beffa. Boccaccios Calandrino-Novellen", 29–45), Elvio Guagnini ("La ‚ragion pazza’. Etica, poetica, strategia narrativa nelle satire conclusive dell’Ariosto", 46–54), Margot Kruse ("Zum Begriff der ‘vérité’ und der ‘vérité opposée’ in Pascals Pensées", 55–73), Gisela Schlüter ("A rebours. Literarische Gegenaufklärung im Werk de Sades", 74–89) und Friedrich Wolfzettel mit: "Spanien als europäischer Orient und die (romantische) Andalusienreise: Edgar Quinets Mes vacances en Espagne im Kontext" (90–104). Dass Flauberts Spätwerk einen "Überschreibungsprozess" darstellt, welcher die poetologischen Vorgaben des kanonisierten, realistischen Flaubert (Madame Bovary und Education sentimentale) gleichzeitig "zu transformieren, zu verfremden und [...] zu konservieren sucht", zeigt Bernhard Teuber anhand der sukzessiven Textfassungen der Tentation ("Imagination und Historie in Flauberts Tentation de saint Antoine", 105–124). Teuber kommt zu dem Ergebnis, dass Flaubert mit der Tentation nicht einfach die alte sinnstiftende Ordnung der Antoniusvita, die christliche Allegorie, durch die historische Episteme des 19. Jahrhunderts ablöst, wie das Michel Foucaults Lektüre des Textes impliziert, sondern dass er, als guter Literat sozusagen, den Diskurs des Historismus als bloße "ästhetisierte Imagination" nachschreibt und damit nicht nur die "Wahrheit der Religion", sondern ebenso die zeitgenössisch prätendierte "Wahrheit der Geschichte" grundsätzlich in Frage stellt.



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Eine Modernität, welche sich ebenfalls auf der Basis der Reflexion der eigenen Fiktionalität konstituiert, thematisiert der Beitrag von Gerhard Regn, der Guido Gozzanos passatismo in ein völlig neues Licht rückt ("Abseits der Avantgarde: Gozzanos supplementäre Poetik und die Modernität des Passatismus [zu ‚L’Amica di Nonna Speranza’]", 125–139). Die 1911 als "libro di passato" erschienenen Colloqui Gozzanos, deren preziöse Eleganz damals im Vergleich zu den lärmend avantgardistisch sich gebärdenden Futuristen antiquiert anmuten musste, begreift Regn allem Anschein zum Trotz als überaus moderne Literatur, die keineswegs ästhetizistisch-eskapistisch verfährt, sondern in moderner Manier lebensweltlichen Defiziten "supplementär" sein will. Ihr spezifisch antiästhetizistisches und modernes Profil gewinnen die Colloqui zunächst durch den Dreischritt metapoetischer Reflexion, Ironisierung der Inszenierung von Autoreflexivität und schließlich Autoironisierung. Mehr noch. Als eine "Poetik des Begehrens", so Regn, "das auf die Lebenswirklichkeit gerichtet ist und das doch gleichzeitig um deren Uneinholbarkeit weiß" (127), ist Gozzanos Lyrik auch immer "Simulation von Mimesis". Und hierin erweist sich eine – semiotisch argumentiert – wesentlich avanciertere Modernität als jene der Futuristen, die darauf abzielten, "eine neue, dynamisch gewordene und erotisch besetzte Lebenswirklichkeit semiotisch fassbar zu machen und dabei die Semiotisierung gleichsam vergessen zu machen" (127) – ein substanzhaltiger Mimetismus, den Gozzanos bewusste Simulation, die mit literarischer Selbstironie auf die "unhintergehbare Zeichenhaftigkeit und damit Konventionalität allen Lebens" (139) antwortet, weit überschießt.

Vittorio Spinazzola ("Uomini e no, ovvero ‚Amore e Resistenza’", 140–155) und Helmut Pfeiffer ("Der Garten der Kultur und die Gewalt der Geschichte. Claude Simons Jardin des Plantes", 156–176) runden den ersten Abschnitt mit Studien zum Roman des zwanzigsten Jahrhunderts ab. Pfeiffer liest den 1997 erschienenen Jardin des Plantes, ein "portrait d’une mémoire", das als eine "Art modernisiertes Florilegium" (156) daherkommt, als "Roman der Globalisierung und ihrer sprachlichen Leere" (163). Der Roman hält, so Pfeiffer, den idées reçues etwa der journalistischen Rede zunächst eine Ästhetik der Negativität, sodann einen Gestus der Melancholie entgegen, die sich aus der "Konstellation von paradoxer Dauerpräsenz des Endes und blitzartigem Vitalitätsbewusstsein" ergibt, welch letztere Simon gegen die "Exuberanz der leeren Sprachen ausspielt" (173). Und ganz in diesem Sinne stellt sich Simons (inter)textuelles Spiel als das Ausspielen herkömmlich ludistischer Inszenierungen von Gedächtnis dar. Simons Ludismus zeichnet sich nämlich nicht nur durch die eigentlich erwartbaren Diskontinuitäten aus, die der mémoire prinzipiell eignen, sondern er ist auch – und darin liegt das Bemerkenswerte – von einer "katastrophischen Fremdheit geprägt [...], die jede Wiederholung nur als nicht einholbare Entzweiung ausstellen kann" (176).



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Die Sektion "Literatur- und Poetologietransfer" beginnt mit einem Aufsatz von Karlheinz Stierle über Reaktualisierungen der Äsopischen Fabel vom Astrologos, der an den Himmel schaut und dabei in einen Brunnen fällt, also in geistiger Hybris den praktischen Verstand verliert ("Der Astrolog im Brunnen. Formgeschichte und Problemgeschichte", 179–190). Stierle nimmt dabei Harald Weinrich beim Wort, der Hans Blumenbergs Reduktion der Fabel auf ihren philosophischen Gehalt inkriminiert und eine Betrachtungsweise gefordert hat, welche der Literarizität des Textes gerechter wird. In diesem Sinne unternimmt Stierle es, die "Philosophie an ihre Literarität zu erinnern" (182), und führt von Äsop den Faden weiter zu La Fontaines "Astrologue"-Variation. Stierle stellt deren lakonische Emblematik heraus und zeigt in einer genauen philologischen Lektüre, wie durch den literarischen Kunstgriff der emblematischen Verknappung die Vernunft nicht mehr wie beim antiken Hypotext personell gebunden ist, sondern auf eine abstrakte Ebene übertragen wird, und dass die Fabel nun die Gewissheit der wissenschaftlichen Überlegenheit der Gegenwart über das alte Paradigma der Astrologie in Szene setzt. La Fontaine aber ist nur Bindeglied einer intertextuellen Verknüpfung. Stierles Pointe besteht nämlich in dem Nachweis der Positivierung des Äsopschen Motivs bei Charles Baudelaire, der unter Rekurs auf die Fabel – "[...] les yeux au ciel, je tombe dans des trous" ("La Voix") – ein modernes, exzentrisches Ich proklamiert und den "Preis der Zerrüttung der Vernunft" (187) billigend in Kauf nimmt.

Ebenfalls eine konsequente Umsemantisierung traditioneller Versatzstücke untersucht Peter Kuon in: "Autobiographische Narration und danteske Intertextualität in Petrarcas Kanzone der Metamorphosen" (191–207). Kuon belegt eine umfangreiche Präsenz des "maestro negato" (Marco Santagata) in RVF 23 und macht dabei evident, dass Petrarca die dantesken Intertexte in entschlossener Negation stilnovistischer und christlicher Liebeskonzepte aufruft und statt einer Perpetuierung der tradierten Allegoresen die "Macht des dichterischen Wortes" feiert (207). Mit seiner Fokussierung Dantescher und gerade nicht Ovidscher Hypotexte beleuchtet Kuon entschlossen die ‚andere Seite’ der Metamorphosenkanzone, und damit ergibt sich ein sehr geschlossenes Bild in Hinblick auf den programmatischen Charakter des Gedichtes. Wenn kürzlich Marc Föcking (2000) die Kanzone 23 als verkleinertes Strukturmodell des Ovidius maior mit autoreflexivem Charakter und einer Strategie der Dekonstruktion christlich-mittelalterlicher Allegorese Ovids ausgewiesen hat, dann komplettiert Kuons Lesart diese Interpretation auf schlagende Weise: die Kanzone kann nicht anders als repräsentativ für Petrarcas frühneuzeitliche Abkehr von mittelalterlichen Schreibweisen und für seine radikale Aufwertung der poesia gelesen werden. Mit der produktiven Fortschreibung Petrarcas in der Hochrenaissance beschäftigt sich Bernhard König ("Herreras Theorie und Praxis eines ‚spanischen Petrarkismus’. Der Garcilaso-Kommentar und das Einleitungssonett von Algunas obras", 208–223), und Volker Kapp erhellt zentrale Aspekte des Transfers einer der prominentesten kunst- und dichtungstheorischen Kategorien: "Das Erhabene in Menzinis Dell’arte poetica und Boileaus Deutung von Longinos Peri Hypsos" (224–239).

Auch Klaus W. Hempfers Beitrag hat literarästhetische Theoriebildung zum Gegenstand: "Gattungskonstitution als Normverletzung: Zum Problem der Poetik ‚niederer’ Gattungen im Kontext der Regelpoetik" (240–253). Am Beispiel der Verssatire und des komischen Epos zeigt Hempfer für die französische und die italienische Literatur, wie sich neue Gattungen qua Verletzung gültiger Normen einer Regelpoetik herausbilden und wie diese Gattungskonstitution als Aporie jeglicher Regelpoetik zeitgenössisch poetologisch und metapoetisch reflektiert worden ist. Dabei wird deutlich, dass die neuen Gattungen entweder als problematisch thematisiert werden oder aber ihre Problematik zu eskamotieren versucht wird. Hempfer wäre indes nicht Hempfer, wenn er diesen philologischen Nachweis, den er anhand von Texten Voltaires, Boileaus, Dolces u.v.a. führt, nicht auf eine Konsequenz fundamentaler literaturtheoretischer Relevanz hin zuspitzte, und zwar die, dass "der Regelpoetik die eigene Dekonstruktion immer schon immanent ist und dass die Aufhebungsversuche der immanenten Dekonstruktion zu ihren Konstitutionsprinzipen" gehören (242).



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Die weiteren Beiträge des zweiten Buchkapitels situieren sich jenseits des historischen Gültigkeitsbereichs traditioneller Regelpoetiken und stammen von Dieter Meindl ("Madrid – Chicago– Montreal: Unterwegs zum modernen Schelmenroman", 254–269), Wido Hempel ("Musikgedichte von jenseits der Alpen und Pyrenäen", 270–283), Birgit Wagner ("Nord-Sud. Revue littéraire [1917–1918]. Eine Momentaufnahme der avantgardistischen Intelligenz", 284–296), Susanne Knaller ("Melancholische Detektive – Pierre Boileaus und Thomas Narcejacs D’entre les morts, Alfred Hitchcocks Vertigo und Victor Burgins Venise", 297–318) und Werner Helmich ("Die Abkehr vom realistischen Paradigma in der spanischen Erzählliteratur seit den sechziger Jahren und der interromanische Poetologietransfer", 319–335).

Den Auftakt zu dem dritten Abschnitt, "Modellbildungsprozesse und ihre Reflexion", liefert Klaus-Dieter Ertler ("Der Kanonisierungsprozess des frankokanadischen Landromans vor dem Hintergrund französischer Modellierungen", 339–354), danach kommen Astrid Poier-Bernhard ("Raymond Roussels Erbe[n]", 355–374), Giuseppe Petronio ("Lettura di una lirica di Giuseppe Ungaretti: Mattina", 375–384) und Peter V. Zima ("Subjektivität und Kontingenz in der spätmodernen Literatur: Die Ambivalenz des Zufalls", 385–398). Ausgehend von der Beobachtung, dass in der nachhegelianischen Philosophie, etwa bei dem Junghegelianer Friedrich Theodor Vischer und bei Friedrich Nietzsche, die "Subjektivität selbst als kontingentes Faktum" (390) erkannt wird, dekuvriert Zima die literarischen Strategien, mit denen auf diese anthropologische Lektion reagiert worden ist. Auf der einen Seite finden sich in diesem Zusammenhang Autoren wie Sartre, Moravia und Kafka, die den "naturwüchsigen Zufall" als Bedrohung des Subjekts inszenieren und dieses Konzept zugleich – im Falle Sartres – einzuholen trachten, während auf der anderen Seite Proust, Hesse und Breton das kontingente Faktum positivieren. Diesen Antagonismus deklariert Zima freilich als letztlich sekundär, da er die skizzierten Positionen in einen größeren historischen Zusammenhang stellt. Vor der Folie etwa des postmodernen Verzichts auf den Subjektbegriff verbindet die genannten Autoren trotz ihrer gegenstrebigen Wertung der kontingenten Setzung nämlich ein spezifisch modernes, einheitsstiftendes Anliegen: "individuelle Subjektivität durch Gesellschaftskritik und Reflexion zu stärken" (398). Im Anschluss fragt Hans Ulrich Gumbrecht: "Historians of Literature – Where Do They Find Their Inspiration?" (399–404), Jürgen Link und Ursula Link-Heer thematisieren die differenten Realismuskonzepte Bachtins und Auerbachs ("Karwoche oder Karneval? Auerbach und Bachtin über literarische Realistik", 405–427), und Joachim Küpper reflektiert über: "Grenzen der Horizontverschmelzung. Überlegungen zu Hermeneutik und Archäologie" (428–451). Küpper macht deutlich, dass die "postulierte Universalität der Hermeneutik eine Partialität verbirgt" (436), da hermeneutisch fundierte Historiographie dazu tendiert, die kontingenten Momente und die der "dominanten Entwicklungslinie [...] oppositiven" Möglichkeiten der Geschichte (447) dem Vergessen zu überantworten. Daher plädiert Küpper für eine Methodenkontamination von Hermeneutik und einer Archäologie, die sich "des schwachen geschichtsphilosophischen Substrats ihrer eigenen Modellierung inne ist" (449). Dabei bleibt vom hermeneutischen Paradigma in erster Linie die Basisannahme der Historizität des Verstehens übrig, und Küpper privilegiert nachdrücklich sein wegweisendes Konzept einer in Hinblick auf Foucaults Vorgabe unorthodoxen Archäologie, da "Geschichtsphilosophie und Hermeneutik in Epochen, die weder als saturiert noch als stabil gelten können, eine sedierende, die Produktivität des Denkens lähmende oder gar zur Selbstgefälligkeit verleitende Dimension haben können" (451).



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Zum Abschluss des Bandes signalisiert Alois Hahn, wie – hierin folgt er zunächst Emile Durkheim, später Niklas Luhmann – das Moment der Transgression gesellschaftlicher Norm zwar unvermeidlich ist, ja die Norm nachgerade konfirmiert, aber in Religion und Politik stets einer starken Tabuisierung unterliegt ("Transgression und Innovation", 452–465). In der modernen Kunst dagegen ist die Wertung der Transgression umgekehrt: hier ist sie nicht nur legitim, sondern konstituiert erst die Kunst der Avantgarde – ein Prinzip, das sich nur vor dem Hintergrund konventionalisierter Referenzlosigkeit des Kunstsystems entfalten kann. So ergibt sich das Paradoxon der Transgression als Norm, was im Umkehrschluss als wirklich transgressiven Akt den Verzicht auf das kanonisierte Transgressionsschema erscheinen lässt. M.a.W.: "Der angebliche Post-Modernismus in den Künsten ist nicht das Ende der Moderne, sondern die Transgression eines bestimmten Prinzips der Bildung von Anschlüssen" (463), und zwar dem der verbindlich gemachten Transgression. Abgerundet wird der Band durch Vita academica, Schriftenverzeichnis und Gipfelbuch von Ulrich Schulz-Buschhaus, welche die Person des großen Romanisten plastisch machen.

Es steht zu hoffen, dass die vorliegende Publikation ihre angemessen breite Wirkung nicht verfehlt und die im Kampf um kulturwissenschaftliche Pfründen mitunter prekär situierte Literaturwissenschaft zur stolzen Aufrechterhaltung jener Standards animiert, die in den Beiträgen vorgeführt werden und die Ulrich Schulz-Buschhaus in seinen zahlreichen Schriften stets vorbildlich ausgestellt hat.


Literatur

Föcking, Marc (2000): "Petrarcas Metamorphosen. Philologie versus Allegorese in Canzoniere Nr. XXIII", in: Germanisch-Romanische Monatsschrift NF 50 (2000), 271–297.

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