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Jörn Glasenapp (Göttingen)

 


Schlafend morden und lesen: Charles Brockden Browns "Somnambulism" und Humes Erkenntniskritik


Murdering and Reading in Your Sleep: Charles Brockden Brown's "Somnambulism" and Hume's Epistemology
The fact that the structurally and stylistically most confusing novels of Charles Brockden Brown are imbued with a deep epistemological pessimism has been much discussed in recent research on the author, whose profound cognitive anxiety is commonly associated with the social, political and religious context of the 1790s – a period often called 'the culture of contradiction'. Without rejecting the contextual approach, I shall attempt to prove that there was another aspect which must be factored into the accounts of Brown's epistemological pessimism, namely that the novelist consciously grapples with David Hume's famous theory of causation, which he learned through reading the works of the British thinker and novelist William Godwin. The previous research on the subject completely neglects the fact that Godwin provided a shortened and simplified version of Hume's seminal ideas in his philosophical treatise An Enquiry Concerning Political Justice thereby calling Brown's attention to the Scotsman's skepticism, which later gained access into many of Brown's works, in particular Wieland, Stephen Calvert, and Edgar Huntly. Nowhere, however, is the influence as obvious as in Brown's deceptively simple tale "Somnambulism", which has been nearly completely ignored by the commentary. I shall attempt to fill the void both in understanding of Brown's reaction to Hume and in the scholarship of this neglected tale.


1 Eine nächtliche Kutschfahrt

"Das Nichtverstehen kommt meistens gar nicht vom Mangel an Verstande, sondern vom Mangel an Sinn" ( Schlegel 1967 : 176), lautet eines der vergleichsweise griffigen Athenäums -Fragmente Friedrich Schlegels, das sich zweifelsohne auch als Motto für Charles Brockden Browns Erzählung "Somnambulism" ( = S ) zweckentfremden ließe, einem ebenfalls als Fragment bezeichneten Text, der, im Mai 1805 in dem von Brown herausgegebenen Literary Magazine and American Register anonym veröffentlicht, erst spät von Weber ( 1963 ) als Werk des Autors identifiziert wurde. Dies wiederum mag ein wesentlicher Grund dafür sein, daß die Erzählung, die getrost als erste amerikanische detective story wird gelten können, bislang noch nicht das Kritikerinteresse gefunden hat, welches ihr gebührt. Und so stehen Weber, Krause ( 1984 : 332–336) und Schulz ( 1981 : 135–140), der dem Text immerhin ein Unterkapitel seiner Studie Suche und Abenteuer widmet, denn auch nach wie vor allein mit ihrem Bemühen, "Somnambulism" einen Platz in der Reihe der von der Forschung erschlossenen Werke Browns zu sichern.

Im Zentrum der Geschichte steht eine tragisch endende nächtliche Kutschfahrt, die von einem gewissen Mr. Davis und dessen Tochter Constantia unternommen wird. Und zwar trotz der wiederholten Warnungen des Ich-Erzählers Althorpe, welcher, verliebt in die junge Frau, die Gäste zum Bleiben drängt und im Anschluß daran, nachdem seine Worte keinen Widerhall finden, sich diesen als Eskorte anbietet. Jedoch wird auch dieser Vorschlag abgelehnt, so daß sich die beiden Davis' schließlich allein mit ihrem Kutscher auf den Weg machen.




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Die Sicht ist gut in der sternenklaren Nacht, und so kommt man eine ganze Weile ohne Schwierigkeiten voran, bis Miss Davis plötzlich eine Gestalt vor ihnen mitten auf der Straße bemerkt, die, kaum daß sich ihr die Kutsche nähert, erneut in der Dunkelheit verschwindet; allerdings nicht, bevor sie nicht auch von Mr. Davis registriert wird, der, ohne zu zögern, eine in jeder Beziehung vernünftige Erklärung für den unerwarteten Vorfall bereitstellt. "The person whom we just now saw is young Althorpe" (S: 14), weiß er seine Tochter zu beruhigen, und in der Tat sprechen einige Gründe für diese Überlegung: Denn hatte Althorpe nicht von möglichen Gefahren gesprochen? Hatte er ihnen nicht seine Begleitung angeboten? Zudem hat er sich in Constantia verliebt, und so scheint es dem Vater zu Recht alles andere als unplausibel zu sein, daß der junge Verehrer nun seinem Eskortendienst aus einiger Distanz nachkommt.

"That I own [...] is not improbable", pflichtet die Tochter dieser Ansicht bei, um im Anschluß daran das Gespräch über Althorpe, den sie als "rash and inconsiderate" apostrophiert, fortzusetzen. "Overweening and fickle, he will go on committing one mistake after another, incapable of repairing his errors, or of profiting by the daily lessons of experience" (S: 15), beschreibt die bereits Verlobte ihren unglücklichen Verehrer und nimmt für sich selbst den Standpunkt der Vernunft und Erfahrung in Anspruch, welcher sich jedoch keinesfalls als sicheres Erfolgsprinzip im Umgang mit den Unwägbarkeiten der Wirklichkeit herausstellen wird. Vielmehr ist das genaue Gegenteil der Fall, was in eindringlicher Weise anhand der folgenden Ereignisse offenkundig wird, deren rationale Durchdringung sich als zunehmend schwieriger erweist. Hierfür zeichnet zunächst einmal das erneute Auftauchen der geheimnisvollen Person verantwortlich, welches Mr. Davis' Überlegung, es handele sich hierbei um Althorpe, als einigermaßen fraglich erscheinen läßt: "As I live [...] that thing, whatever it be, haunts us. I do not like it. This is strange conduct for young Althorpe to adopt. Instead of being our protector, the danger, against which he so pathetically warned us, may be, in some inscrutable way, connected with this personage" (S: 16), verleiht der Vater seinen Bedenken Ausdruck, um nun allerdings Ermutigung seitens seiner Tochter zu erfahren: "What is at present inexplicable might be obvious enough if we were better acquainted with this neighbourhood" (S: 16), erklärt diese, und in der Tat scheint eine solche Zuversicht gerechtfertigt, taucht doch, kaum daß man den Rand eines Waldes erreicht hat, ein Anwohner in der Dunkelheit auf, der die Reisenden bezüglich der rätselhaften Gestalten in Kenntnis zu setzen vermag.

As to what you seed in the road [...] I reckon it was nothing but a sheep or a cow. I am not more scary than some folks, but I never goes out a' nights without I sees some sich thing as that, that I takes for a man or woman, and am scared a little oftentimes, but not much. I'm sure after to find that it's not nothing but a cow, or hog, or tree, or something. If it wasn't some sich thing you seed, I reckon it was Nick Handyside (S: 17),

formuliert er seine Erklärung, die, ganz und gar der eigenen Erfahrung verpflichtet, gleich in doppelter Hinsicht abgesichert ist. Denn wenn es sich bei den Erscheinungen auch nicht um Bäume oder umherlaufendes Vieh gehandelt haben sollte, so bestünde trotzdem keinerlei Grund zur Panik. Dann nämlich träte ein zweiter, gewissermaßen ein (Ersatz-)Gewohnheitsschluß in Kraft, demzufolge kein anderer als Nick Handyside, der schwachsinnige Sohn eines Bauern, den Weg der Kutsche gekreuzt habe.




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Als ein "mischief-loving idiot" (S: 19) beschrieben, mache es sich Handyside nämlich nicht selten zum Spaß, nächtlichen Reisenden aufzulauern, um diese dann mit seinem deformierten Äußeren sowie seinem laut tönenden Stimmorgan zu erschrecken. Daß er trotzdem vollkommen harmlos sei, dies versichert der Anwohner ausdrücklich, und so setzen die Davis', die sich die Erfahrungsschlüsse des Auskunftgebenden zu eigen gemacht haben, ihre Reise "with new confidence" (S: 19) fort, wobei sie sich weder durch das erneute Auftauchen der Gestalt, "which they doubted not to belong to Nick Handyside" (S: 19), noch durch das erforderlich werdende Aussteigen aus der Kutsche verunsichern lassen. Ganz im Gegenteil sogar, sind sich doch Vater und Tochter darüber einig, daß man den rätselhaften Schwachsinnigen, über den man nun so viel und zudem so Interessantes erfahren habe, nur zu gern einmal in Aktion erleben möchte – ein Wunsch, der, kaum ausgesprochen, prompt erfüllt wird: Ein gellender Schrei ertönt in unmittelbarer Nähe, das Pferd geht durch, galoppiert in wilder Panik los, überrennt um Haaresbreite die beiden Davis', um schließlich mit einer Eiche, "that grew in the road" (S: 11), zu kollidieren. Die Kutsche wird hierbei restlos zerstört.

Von einem Moment zum anderen hat sich somit die Situation gewandelt, die, zunächst als ungefährlich und berechenbar eingeschätzt, die Reisenden beinahe das Leben kostet. Diese erholen sich nur mühsam von dem Schock und begeben sich, da sich der Kutscher aufgemacht hat, das Pferd zu suchen, allein zur Eiche. Dort angekommen, schickt Miss Davis ihren Vater fort, damit sich auch dieser um das Auffinden des Pferdes bemühe. Sie selbst sei, so argumentiert sie, absolut sicher, denn Handyside – daran, daß er es war, der geschrien hat, kann es aus ihrer Sicht keinen Zweifel geben – habe ja nun sein Ziel, nämlich die panische Reaktion der Reisenden, erreicht. Gewiß werde er nunmehr von jedem weiteren Tun absehen. Zudem ginge von ihm, "if the report of the rustic was true" (S: 22), grundsätzlich keinerlei Gefahr aus.

Somit hält Miss Davis weiterhin an dem als Orientierungshilfe formulierten Erfahrungsschluß des Bauern fest, der sie glauben macht, auch die neue Situation, das Alleinsein bei der Eiche, unter Kontrolle zu haben und sich trotz der sie umgebenden Finsternis in völliger Sicherheit zu befinden – ein Glaube, zu dem sie angesichts der bezüglich Nick Handyside gemachten Aussagen zweifellos berechtigt ist, der sich jedoch nur zu schnell als fatal, als ein trügerischer Irrglaube herausstellen wird in der fiktionalen, der Kontingenz anheim gefallenen Welt der Brownschen Erzählung, in der vor allen Dingen der unvorhersehbare Sonderfall das Zepter zu schwingen scheint, welches jeden Erfahrungsschluß zur tödlichen Falle werden läßt und den von den Davis' hochgehaltenen Prinzipien wie Vernunft und Erfahrung eine drastische Absage erteilt.




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Ebendies nun muß die junge Frau am eigenen Leib erfahren, denn kaum hat sich ihr Vater ein kurzes Stück von der Eiche entfernt, da bricht das Unheil machtvoll über sie herein; und zwar in Form einer Pistolenkugel, die, plötzlich und aus nächster Nähe abgefeuert, Miss Davis sicher nicht zufällig ins Gehirn, den Sitz der Vernunft, schlägt. "[S]enseless" (S: 23) und blutüberströmt liegt sie am Boden, als ihr Vater zur Unglücksstelle zurückkehrt, der ob der Katastrophe den Verstand verliert, seinen Kopf auf den Boden schlägt und sich jammernd die Haare ausreißt. Wenngleich auch sehr bald Anwohner eintreffen, kommt für Miss Davis jede Hilfe zu spät.

"She languished till the next morning, and then expired." (S: 24) Mit diesen Worten endet die Geschichte, die den Leser mit zwei Charakteren konfrontiert, welche, wiewohl sie sinnvoll folgern und in jeder Hinsicht plausible Kausalschlüsse formulieren, am Ende vom Unheil ereilt werden. Ohne Frage ein bemerkenswerter, ja beunruhigender Ausgang demnach, der in keinem rechten Verhältnis zum Vorangegangenen zu stehen scheint und den Leser somit notwendigerweise vor den Kopf stößt. Dieser sieht sich nicht dazu in der Lage, das Unglück der Davis' auf ein moralisches oder epistemologisches Fehlverhalten zurückzuführen bzw. die Gründe für das Scheitern in den beiden Figuren selbst auszumachen, da diese doch genau in dem Sinne handeln, wie es ihnen die Gesetzlichkeit der Vernunft und Erfahrung vorschreibt, wie der Leser letztlich selbst gehandelt haben würde, wenn er nur in der Kutsche gesessen hätte. Zweifelsohne müssen die Davis' zunächst annehmen, es handele sich bei dem Verfolger um Althorpe. Und ebenso unumgänglich ist es, daß sie, nachdem sie die Auskunft des Anwohners erhalten haben, die rätselhafte Gestalt als Nick Handyside identifizieren. Da nun dieser expressis verbis als ungefährlich beschrieben wurde, verdient auch Miss Davis' Entschluß, allein bei der Eiche zu warten, keineswegs als unvernünftig charakterisiert zu werden. Und trotzdem liegt sie schließlich niedergestreckt mit einer Kugel im Kopf am Boden.

Nein, mit poetischer Gerechtigkeit hat das düstere Ende dieser wahrscheinlich überzeugendsten Geschichte des Autors nichts zu tun, die mich als deutschen Leser an Browns Zeitgenossen Heinrich von Kleist erinnert, der, sei es in seinen Dramen Die Familie Schroffenstein , Amphitryon und Penthesilea oder in seinen Novellen "Die Marquise von O." und "Die Verlobung von St. Domingo" immer wieder Szenarien entwirft, in denen die vernünftigen Kausalschlüsse, die sich den Aktanten über alle Maßen aufdrängen, ins Leere greifen und zu den so typisch Kleistschen Mißverständnissen führen, welche wiederum nicht selten für die abschließende Katastrophe verantwortlich zeichnen. Im Falle Kleists war es die freilich falsch verstandene Erkenntniskritik Kants, die den Autor in die epistemologische Krise stürzte, deren Auswirkungen so deutliche Spuren nicht nur in den hier genannten Werken hinterlassen haben.




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Im Falle Browns dagegen ist der Name jenes schottischen Philosophen zu nennen, der Kants "dogmatischen Schlummer unterbrach, und [dessen] Untersuchungen im Felde der spekulativen Philosophie eine ganz andere Richtung gab" ( Kant 1966 : 118) 1 : David Hume, der als der große Skeptiker 2 unter den britischen Empiristen für das epistemologisch brüchige Fundament verantwortlich zeichnete, auf dem Brown seine wichtigsten Erzählwerke schuf – ein Umstand freilich, den die Forschung bislang weitgehend ignoriert hat, nimmt man Hagenbüchle ( 1988 ) und Frank ( 1991 ) aus, die den allerorts erkennbaren epistemologischen Pessimismus des amerikanischen Autors ausdrücklich auch auf dessen intensive Auseinandersetzung mit den erkenntnisphilosophischen Überlegungen Humes zurückführen: "Whereas nineteenth-century English novelists tend to rely on Locke's epistemological optimism, Brown appears to follow Hume's devastating attack on causality and substance", formuliert Hagenbüchle (1988: 124) eine These, die in jeder Hinsicht auch von Frank (1991: 61) geteilt wird, der erklärt, daß "es Brown weniger mit den noch moderateren Grundsatzüberlegungen John Lockes, der im allgemeinen als 'Amerikas Philosoph' gilt, als mit der 'philosophical nescience', dem radikalen (nicht methodischen) Erkenntniszweifel David Humes" halte. Sowohl Hagenbüchle als auch Frank gelingt es, diese in der Tat bedenkenswerte Überlegung anhand von Analysen der Romane Wieland (1798) und Edgar Huntly (1799) zu konsolidieren.

Bereits früh, dies darf man annehmen, war der Amerikaner mit einzelnen Werken des Philosophen vertraut, dessen Thesen etwa auch bei den zahlreichen Treffen des Friendly Club besprochen wurden (vgl. Warfel 1949 : 48), jenem in New York um Elihu Hubbard Smith gebildeten Kreis intellektuell Interessierter, welchem neben Brown und Smith unter anderem der Dramatiker und Theatermanager William Dunlap, James Kent sowie der Geistliche Samuel Miller angehörten. 3 Daß die Beschäftigung mit dem Schotten in den folgenden Jahren nicht abbrach und keinesfalls als oberflächlich abgetan werden darf, dies beweist bereits ein flüchtiger Blick in Browns essayistisches Werk, in welchem sich der Autor, sei es in "Hume, Robertson and Gibbon", in "Modes of Historical Writing", in "On Anecdotes" oder in "Historical Characters Are False Representations" immer wieder auch an Hume abarbeitet, der in den genannten Texten freilich ausschließlich als vorbildlicher Geschichtsschreiber rezipiert wird. Bekanntlich standen die großen erkenntniskritischen Schriften Humes, das umfangreiche radikale Jugendwerk A Treatise of Human Nature (1739/40), welches kaum gelesen 'als Totgeburt aus der Presse fiel' 4 , sowie die schmalere Enquiry Concerning Human Understanding (1748) 5 ja auch lange Zeit im Schatten der History of England (1754, 1756, 1759, 1762), die, allgemein eine überragende Popularität erzielend, auch von dem jungen Amerikaner begeistert aufgenommen wird, der darüber den erkenntniskritischen Hume allerdings keineswegs aus den Augen verliert. Vielmehr tritt er mit diesem nicht zuletzt über Godwins Enquiry Concerning Political Justice ( 1793 ) in Kontakt, in welchem der radikale Autor des Caleb Williams eine reduzierte Elementarversion der berüchtigten Kausationslehre des Schotten abliefert 6 , der als erster die Existenz einer spezifischen kausalen Notwendigkeit leugnet und damit eine zutiefst beunruhigende Position markiert, die, von zahlreichen Zeitgenossen ignoriert, immer wieder Eingang in das fiktionale Werk Browns findet und daher auch im folgenden zumindest in Grundzügen vorstellig gemacht werden soll.




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Hierzu nun sei mir ein kurzer Exkurs gestattet, in welchem freilich allein die berühmten Assoziationsgesetzlichkeiten Humes Berücksichtigung finden können, wobei der eindeutige Schwerpunkt auf dessen Überlegungen zur Kausalität sowie zum Induktionsproblem liegen wird. Erst im Anschluß daran werde ich meine Analyse von "Somnambulism" wieder aufnehmen, die deutlich machen wird, daß Brown sein Augenmerk vor allem auf die dem Menschen eigene Neigung zur Gewöhnung richtet, welche in einem kontingenten Universum, in welchem die Zukunft nicht notwendig das ist, was sie der Vergangenheit gemäß zu sein versprach, ihre Funktion als Stütze vollständig verliert und nur zu schnell zur tödlichen Falle werden kann.


2 Assoziation, Kausalität und Induktion – eine Relektüre der nächtlichen Kutschfahrt 7

Jene Verknüpfung von Bewußtseinsinhalten, die sich im menschlichen Geist von selbst einstellt, die gleichsam mit uns geschieht, bezeichnet Hume als association , womit er einen Begriff zum Einsatz bringt, der spätestens mit John Locke und dessen 1689 zum ersten Mal erschienenen Essay Concerning Human Understanding in den philosophischen Diskurs Eingang findet. Im Gegensatz zu seinem großen Vorgänger jedoch, der das Phänomen der Vorstellungskombination nahezu ausschließlich mit pathologischen oder beinahe pathologischen Geisteszuständen in Beziehung setzt und zudem nur am Rande untersucht (vgl. Locke 1979 : 394–401), wendet der skeptische Schotte vor allem in seinem Treatise Seite um Seite auf, um sich der 'unbewußten Bewußtseinsmechanik' zu nähern und die association of ideas in all ihren möglichen Erscheinungsformen erkenntnisphilosophisch fassen zu können. Hierbei formuliert er jene drei Prinzipien, nach welchen der menschliche Geist 'automatisch' von einer Vorstellung zur anderen übergeht: 1) die Ähnlichkeit ( resemblance ), 2) der zeitliche und räumliche Zusammenhang ( contiguity in time or place ) sowie 3) die Kausalverknüpfung nach Ursache und Wirkung ( cause and effect ) (vgl. Hume 1978 : 10–13; ders. 1996 : 23–24).

Von allen Relationen nun gilt der kausalen das eindeutige Hauptinteresse Humes, stellt sie seiner Meinung nach doch die wichtigste Ordnungsstruktur des betrachtenden Subjektes dar, welches allein mit ihrer Hilfe über die Reichweite des Gedächtnisses und der Sinneswahrnehmung hinauszugehen vermag. "All reasonings concerning matter of fact seem to be founded on the relation of Cause and Effect . By means of that relation alone we can go beyond the evidence of our memory and senses" (Hume 1996: 26) 8 , profiliert der Philosoph die eminente Bedeutung der Kausalrelation, die es dem Menschen ermöglicht, die Wirkungen von Tatsachen vorherzusehen bzw. deren Ursachen zu erkennen. In der Tat wird unsere gesamte Lebensführung sowie unser Wirklichkeitsverständnis von dem Umstand bestimmt, daß wir in einem überwältigenden Maße kausale Schlüsse ziehen, und zweifellos bildet neben Tatsachenfeststellungen das Wissen um kausale Beziehungen ein zentrales Fundament einer jeden Wissenschaft.




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Wie aber gelangen wir zu einem solchen Wissen, zu jener Kenntnis kausaler Relationen? Sicherlich nicht, so Hume, durch apriorische Denkakte, denn dem Stein sieht man nicht an, daß er, wirft man ihn hoch, wieder herunterfallen wird. Auch das Schießpulver gibt seine Feuergefährlichkeit nicht im voraus zu erkennen, und so wird niemand glauben, "that the explosion of gunpowder [...] could ever be discovered by arguments a priori " (Hume 1996: 28) – ein Beispiel übrigens, das Godwin beinahe unverändert übernimmt, wenn er die rhetorische Frage stellt: "Can it be imagined that any man, by inspection and analysis of gunpowder, would have been enabled, previously to experience, to predict its explosion?" ( Godwin 1985 : 337–338)

Wenn nun also der apriorische Ansatz ins Leere läuft, so liegt die Überlegung nahe, die Existenz von Kausalrelationen auf aposteriorische Denkakte zurückzuführen, und tatsächlich sieht Hume hierin das gültige Erklärungsmodell. Diesem zufolge bildet die Erfahrung die alleinige Grundlage für jedes kausale Schließen, welches erst durch den ständig beobachteten Zusammenhang zweier Ereignisse – Hume (1978: 87) spricht hierbei von der "constant conjunction" – ermöglicht wird. Nur die durch den Geist nicht zu antizipierende Erfahrung lehrt uns, welche Ereignisse regelmäßig miteinander verknüpft sind. Der Kausalnexus ist demnach als nichts Analytisches, Logisches, sondern als etwas Synthetisches definiert. "The idea of cause and effect is deriv'd from experience , which informs us, that such particular objects, in all past instances, have been constantly conjoin'd with each other", erklärt Hume (1978: 89–90) 9 , der den Gedanken, daß der Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung eine notwendige Verknüpfung sei, allerdings mit Entschiedenheit verwirft, da wir, wenn wir von kausalen Zusammenhängen sprechen, ja genaugenommeneinzig und allein auf regelmäßige Zusammenhänge Bezug nehmen. Wir sind ausdrücklich nicht zu der Behauptung berechtigt, daß alles schlechterdings nicht anders geschehen kann, als es geschieht.

Dies macht Hume (1996: 63) anhand seines berühmten, auch von Godwin bemühten Billardbeispiels deutlich: "The impulse of one billiard-ball is attended with motion in the second. This is the whole that appears to the outward senses", schreibt er lapidar und weist somit unmißverständlich darauf hin, daß es nicht eben viel ist, was wir bei dem Zusammenstoß zweier Billardkugeln tatsächlich perzipieren. Denn einzig die Bewegung der ersten Kugel und sodann die Bewegungen beider Kugeln offenbaren sich unseren Sinnen, oder genauer gesagt: das verursachende Ereignis des Typs A (die rollende erste Kugel) sowie das verursachte Ereignis des Typs B (das Rollen beider Kugeln). Ein Ereignis des Typs C, das die Verknüpfung zwischen A und B bilden könnte, beobachten wir nicht. Allein die Kettenglieder, nicht aber das Verkettungsprinzip, erschließen sich somit unserem Sinnesapparat. "[W]e are never able, in a single instance, to discover any power or necessary connexion; any quality, which binds the effect to the cause, and renders the one an infallable consequence of the other", erklärt der Philosoph (Hume 1996: 63), dessen Überlegungen zufolge nur ein Aufeinanderfolgen, das post hoc , nicht jedoch ein Auseinanderfolgen, das propter hoc , vom menschlichen Bewußtsein beobachtet werden kann. Dieses nimmt somit nur Ereignisfolgen wahr, aber keine besonderen Eigenschaften, die sich als 'Ursache' oder 'Wirkung' bezeichnen ließen. Keine noch so genaue Beobachtung läßt uns erkennen, daß zwei Ereignisse Relationsglieder eines bestimmten Kausalschlusses sind. 10




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We have no notion of cause and effect, but that of certain objects, which have been always conjoin'd together, and which in all past instances have been found inseparable. We cannot penetrate into the reason of the conjunction. We only observe the thing itself, and always find that from the constant conjunction the objects acquire an union in the imagination,

erklärt Hume (1978: 93), dessen Überlegungen zufolge kausale Beziehungen weder direkt wahrnehmbar noch auf rein logisch-diskursivem Wege aus dem vorhandenen empirischen Material deduzierbar sind. Vielmehr sind sie bloße Produkte der Einbildungskraft, der imagination , durch die allein das menschliche Bewußtsein zwei Ereignisse als kausal verknüpft begreift. Ursache und Wirkung werden daher ausdrücklich als Zutaten bzw. Setzungen des betrachtenden Subjektes definiert, die Kausalanalyse ganz von der Objekt- auf die Subjektseite verlagert, 11 wobei sie allein auf der Tatsache fußt, daß wir das wiederholte Aufeinanderfolgen zweier Geschehnisse perzipieren, etwa den Fall eines Steines (Ereignis des Typs B), der in die Luft geworfen wurde (Ereignis des Typs A). Wenn wir nun n-mal beobachtet haben, daß auf ein Ereignis des Typs A ein Ereignis des Typs B folgte, so tritt eine diesen Zusammenhang betreffende Gewöhnung – Hume spricht von custom , zuweilen auch von habit – ein, der entsprechend wir eine Nötigung verspüren, ein Ereignis des Typs B zu erwarten, sobald ein Ereignis des Typs A eingetreten ist. Hume (1978: 128) konstatiert,

that the mind is determin'd by custom to pass from any cause to its effect, and that upon the appearance of the one, 'tis almost impossible for it not to form an idea of the other. Their constant conjunction in the past instances has produc'd such a habit in the mind, that it always conjoins them in its thought, and infers the existence of the one from that of its usual attendant.

Er legt somit seinen Finger auf die Unfreiheit des menschlichen Geistes durch die determinierende Gewöhnung, welche der Schotte in einer seiner vielzitiertenThesen aus der Enquiry als "the great guide of human life" (Hume 1996: 44) bezeichnet.

"Wenn Hume von einem Akt oder einer Neigung des Geistes spricht, will er damit nicht sagen, daß der Geist aktiv, sondern daß er aktiviert und Subjekt geworden sei", schreibt Gilles Deleuze ( 1997 : 15), und so läßt sich also festhalten, daß gemäß Humes psychologischer Hypothese der sogenannte Kausalschluß von der Ursache auf die Wirkung keineswegs als Fall rationalen Schließens, sondern bloß als das Ergebnis einer gewohnheitsmäßigen Erwartung charakterisiert werden darf. Da wir das, was wir gewohnheitsmäßig tun, ohne Überlegung, insofern also unwillkürlich tun, erklärt sich das Zwingende eines Kausalschlusses, da er – wie dargelegt – nicht logisch zwingend ist, demnach als die Unwillkürlichkeit einer Gewohnheit, deren Funktionsweise sich auf dem Prinzip der Induktion gründet. 12




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Diesem zufolge neigt der Mensch dazu, "to make the past a standard for the future." (Hume 1978: 133) Denn haben wir n-mal erlebt, daß ein in die Luft geworfener Stein schließlich zu Boden fällt, so erwarten wir dieselbe Ereignisabfolge auch für die Zukunft. Wie aber ist der Transfer von Vergangenem auf Zukünftiges, d.h. der Schluß vom Besonderen (n-malige Wahrnehmung der Ereignisfolge AB) zum allgemeingültigen Naturgesetz ('wenn ein Ereignis des Typs A gegeben ist, wird ein Ereignis des Typs B eintreten') zu rechtfertigen? Wie, um mit Popper ( 1979 : 33) zu sprechen, "kann man mehr wissen, als man weiß?" 13 Doch nur, wenn gezeigt werden könnte, daß die Zukunft und Vergangenheit eine Gleichförmigkeit aufweisen, also die sogenannte Gleichförmigkeits- bzw. Kontinuitätsthese Gültigkeit besitzt. Dies, so Hume, sei jedoch unmöglich, denn wenn auch vom günstigsten Fall ausgegangen werden könnte, daß bisher die Zukunft der Vergangenheit entsprach, so würde der induktive Schluß, da er Gehalt erweiternd ist, d.h. der Gehalt der Konklusion reicher ist als die Prämissen (von n auf n+1), niemals zu einem analytischen werden ( Streminger 1995 : 167; Popper 1979: 34). Desweiteren ist die Negation des Induktionsschlusses, daß also in Zukunft andere Bedingungen als in der Vergangenheit herrschen werden, vorstellbar und enthält demnach keinen Widerspruch. "We can at least conceive a change in the course of nature; which sufficiently proves, that such a change is not absolutely impossible. To form a clear idea of any thing, is an undeniable argument for its possibility, and is alone a refutation of any pretended demonstration against it", erklärt Hume (1978: 89), 14 der denselben Gedanken in dem berühmten Sonnenbeispiel prägnant zu fassen vermag:

That the sun will not rise tomorrow is no less intelligible a proposition, and implies no more contradiction, than the affirmation, that it will rise . We should in vain, therefore, attempt to demonstrate its falsehood. Were it demonstratively false, it would imply a contradiction, and could never be distinctively conceived by the mind. (Hume 1996: 25–26)

Wenn sich somit der Induktionsschluß analytisch nicht rechtfertigen läßt, so bliebe die Überlegung, ob dieser nicht aufgrund der Tatsache, daß doch bisher die Zukunft der Vergangenheit ähnlich war, zumindest als plausibler zu betrachten ist als seine Negation. Der Induktionsschluß ließe sich somit als ein Erfahrungssatz rechtfertigen. Doch bringt auch dieser Ansatz Probleme mit sich, da er uns zirkulär argumentieren läßt. Denn wollte man aus der Tatsache, daß sich der Induktionsschluß in der Vergangenheit bewährt hat, schließen, daß er sich auch in Zukunft bewähren wird, so hieße dies, selbst wieder einen Induktionsschluß zu formulieren, wobei seine Gültigkeit das Prinzip schon voraussetzte, das er erst beweisen will. Popper spricht hierbei vom 'unendlichen Regreß', den Streminger überaus klar herausarbeitet, wenn er darauf hinweist, daß die Feinstruktur des Schlusses: 'Bisher gab es eine Gleichförmigkeit im Naturverlauf, also wird es auch künftighin eine Gleichförmigkeit im Naturverlauf geben' genaugenommenfolgendermaßen lautet: 'Bisher gab es eine Gleichförmigkeit im Naturverlauf und da es eine Gleichförmigkeit im Naturverlauf gibt , wird es auch künftighin eine Gleichförmigkeit im Naturverlauf geben.' Dies bedeutet, daß allein unter Zuhilfenahme der zweiten (kursiv geschriebenen) Prämisse die gewünschte Schlußfolgerung ('Es wird auch künftighin eine Gleichförmigkeit im Naturverlauf geben') zu gewinnen ist, womit der gesamte Begründungsversuch freilich auf die folgende, alles andere als befriedigende Argumentation hinausliefe: Warum q? Weil p und weil q (Streminger 1995: 169).




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Hume hat diesen auch für meine Fragestellung überaus bedeutsamen Aspekt der Kausalanalyse erstaunlich luzide in seinem Anfang 1740 veröffentlichten Abstract seines Treatise dargestellt:

'Tis evident, that Adam with all his science, would never have been able to demonstrate , that the course of nature must continue uniformly the same, and that the future must be conformable to the past. What is possible can never be demonstrated to be false; and 'tis possible the course of nature may change, since we can conceive such a change. Nay, I will go farther, and assert, that he could not so much as prove by any probable arguments, that the future must be conformable to the past. All probable arguments are built on the supposition, that there is this conformity betwixt the future and the past, and therefore can never prove it. This conformity is a matter of fact , and if it must be proved, will admit of no proof but from experience. But our experience in the past can be a proof of nothing for the future, but upon a supposition, that there is a resemblance betwixt them. This therefore is a point, which can admit of no proof at all, and which we take for granted without any proof. (Hume 1978: 651–652)

Mit kaum zu übertreffender Prägnanz expliziert der Schotte die Unmöglichkeit, die Gleichförmigkeitsthese, sei es auf deduktive oder auf induktive Weise, zu rechtfertigen. Denn zum einen läßt sich diese in der Vorstellung negieren, d.h. als nicht analytischer Schluß dechiffrieren, zum anderen muß im induktiven Rechtfertigungsversuch der Gleichförmigkeitsthese die Gültigkeit derselben als bereits gerechtfertigt vorausgesetzt werden. Da nun aber die Wissenschaft ihre Thesen allein auf der Basis der Induktion formuliert, wird ihr Glaube an die Rationalität durch die folgerichtigen Überlegungen des Schotten als irrational dekuvriert, womit sich letzterer freilich selbst in eine existentielle Krise hineinargumentiert, von welcher der Schluß des ersten Buches des Treatise , "einem der existentiellsten Kapitel in der Philosophiegeschichte" (Streminger 1995: 180), beredtes Zeugnis abliefert. "The intense view of these manifold contradictions and imperfections in human reason has so wrought upon me, and heated my brain, that I am ready to reject all belief and reasoning, and can look upon no opinion even as more probable or likely than another", verleiht der Philosoph (Hume 1978: 268–269) seiner Mutlosigkeit und Verzweiflung Ausdruck, und er macht für diese vornehmlich die als "a principle so inconstant and fallacious" (Hume 1978: 265) bezeichnete Einbildungskraft verantwortlich, die uns mittels der Stützkategorie custom auf Irrwege führt, trotzdem aber unentbehrlich ist. Denn sie allein ist es, die jeder kausalen Relation zugrunde liegt, diese somit zur 'Kausalfiktion' erklärt und uns glauben macht, die Zukunft werde der Vergangenheit gleichen – ein Glaube, ohne den die menschliche Existenz freilich nicht denkbar ist, so daß wir, ob wir wollen oder nicht, dazu verdammt sind, die Führungsrolle der 'imaginierten' Kausalität zu akzeptieren.




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Deren Zweifelhaftigkeit nun stürzt nicht nur Hume, sondern auch Charles Brockden Brown in tiefste Verunsicherung, der die Tatsache, daß der kausale Zusammenhang zweier Ereignisse "lies merely in ourselves, and is nothing but that determination of the mind, which is acquir'd by custom" (Hume 1978: 266) immer wieder, sei es in Wieland , in Edgar Huntly oder in der hier zur Diskussion stehenden Erzählung, zum Katalysator der zumeist tragisch endenden Verwicklungen macht. Hierbei stellt sich das von Hume als "great guide of human life" bezeichnete Orientierungsprinzip custom , dem wir ja eigentlich unsere kognitive Sicherheit im Umgang mit der Umwelt verdanken, als eine überaus machtvolle (Ver-)Führerin heraus, die die Figuren, welche sich ihr anvertrauen, allerdings keineswegs sicher durch die nicht selten unentwirrbaren Handlungsgeflechte geleitet, sondern vielmehr dafür Sorge trägt, daß sie sich in den Fallstricken der epistemologisch brüchigen, da gänzlich unberechenbaren Wirklichkeit des Brownschen Kosmos verfangen.

Ein durch den Hume-Exkurs etwas geschärfter Blick zurück auf "Somnambulism" läßt dies in paradigmatischer Weise transparent werden, denn zweifelsohne ist es nicht zu widerlegen, daß es in letzter Konsequenz allein die dem Induktionsprinzip verpflichteten Gewohnheitsschlüsse des Bauern sind, die für die abschließende Katastrophe an der Eiche verantwortlich zeichnen. Wir erinnern uns: Der Auskunftgebende hatte erklärt, daß er, wenn er in der Vergangenheit nächtens das Haus verließ, stets rätselhafte Gestalten wahrgenommen habe (Ereignis des Typs A), und daß er, da sich diese schließlich immer als vollkommen ungefährlich, d.h. als Kuh, Schwein, Baum oder eben als Nick Handyside herausgestellt haben (Ereignis des Typs B), nun nicht mehr in Angstschweiß ausbreche, wenn er sich in der Dunkelheit nach draußen wage. Dies ist nur zu verständlich, denn gemäß Humes Überlegungen zur Kategorie custom sorgt, wenn wir das n-malige Aufeinanderfolgen zweier Ereignisse perzipiert haben, eine diesen Zusammenhang betreffende Gewöhnung dafür, daß wir uns genötigt fühlen, sobald ein Ereignis des Typs A aufgetreten ist, ein Ereignis des Typs B zu erwarten. Dieser Regel zufolge muß der Bauer, wenn er eine Gestalt im Dunkeln wahrnimmt, davon ausgehen, daß sich diese schließlich als Vieh o.ä. erweisen wird. Denn auf A folgt nun einmal B. Diese sich auf der Basis der Erfahrung gründende, freilich nur subjektive Gewißheit verleiht ihm seine Sicherheit im Umgang mit den unheimlichen nächtlichen Phänomenen, und er ist nur zu bereit, die ängstlichen Davis' an seiner eigenen Sicherheit teilhaben zu lassen, indem er ihnen von seinen, unter anderem auch die Ungefährlichkeit Nick Handysides betreffenden Erfahrungen berichtet.

Die Reisenden nun haben keinen Grund, dem Bauern zu mißtrauen, und so übertragen sie, seinem Hinweis folgend, dessen Gewohnheitsschluß auf ihre eigene Situation; mit anderen Worten: sie induzieren und glauben mehr zu wissen, als sie wissen, indem sie Gehalt erweiternd von n auf n+1 schließen, d.h., ausgehend von den einzelnen Erlebnissen des Auskunftgebenden, die folgende allgemein gültige Regel formulieren: 'Wenn in dieser Gegend im Dunkeln eine Gestalt auftaucht, so handelt es sich um umherlaufendes Vieh, einen Baum oder aber den ungefährlichen Nick Handyside.'




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Dank Hume jedoch wissen wir, daß ein solcher Schluß, dessen Folgerung mehr umfaßt als seine Vorbedingungen, analytisch nicht zu rechtfertigen ist, da er die Gleichförmigkeit des Naturverlaufs zur notwendigen Voraussetzung hat. Gleichzeitig macht er es zur Bedingung, daß das Ereignis des Typs A (das Auftauchen der Gestalt) in der Vergangenheit stets in Verbindung mit dem Ereignis des Typs B (Identifikation der Gestalt als Vieh o.ä.) aufgetreten ist. Doch ist dies zu gewährleisten? Ist es nicht vielmehr denkbar, daß es sich bei der Gestalt schon einige Male nicht um Vieh oder Nick Handyside gehandelt hat, daß dieser Umstand jedoch einfach nicht wahrgenommen und in die Prämissenmenge des Gewohnheitsschlusses aufgenommen wurde? Könnte es nicht zudem sein, daß der schwachsinnige Handyside durchaus schon gefährlich war, daß aber auch dies der Beobachtung entging? "Even though we examine all the sources of our knowledge [...] there may still remain a suspicion, that the enumeration is not complete, or the examination not accurate", konstatiert Hume (1996: 38–39), der es grundsätzlich zur Illusion erklärt, alle relevanten Fälle eines wie auch immer gearteten Phänomens zu kennen und zu meinen, ein abschließendes diesbezügliches Urteil fällen zu können.

Vor diesem Hintergrund nun ließe sich der unglückliche Tod von Miss Davis variantenreich erklären, die – ich spekuliere – etwa dem Angriff des keineswegs harmlosen, in seiner Gefährlichkeit allerdings nur nicht erkannten Handyside zum Opfer gefallen sein könnte, die aber auch von einem überhaupt nicht zur Debatte stehenden Wegelagerer getötet worden sein könnte, der schon häufiger die Gegend heimgesucht hatte, aber von niemandem bislang bemerkt wurde. Unzählige Erklärungsmuster sind denkbar, und auch wenn davon ausgegangen werden dürfte, daß in der Vergangenheit das Ereignis des Typs A immer in Verbindung mit dem Ereignis des Typs B aufgetreten ist, daß sich also die rätselhafte Gestalt stets als Vieh o.ä. herausgestellt hat, so könnte doch die Gleichförmigkeitsthese aufgehoben sein, was zur Folge hätte, daß sich erneut eine Unzahl von Möglichkeiten für die Todesursache ergäbe: Zwar handelte es sich bei der Gestalt im Dunkeln bislang immer um Vieh o.ä., doch trifft dies in dem zur Katastrophe führenden Fall nicht zu. Zwar war Handyside bislang immer gänzlich harmlos, doch ist er es nun nicht. Dies alles ist in dem Gewohnheitsschluß des Bauern nicht enthalten, der somit für Miss Davis zur tödlichen Falle wird.

Hatte die junge Frau dem Ich-Erzähler Althorpe noch attestiert, daß dieser, da er aus den "daily lessons of experience" (S: 15) nichts lerne, einer ungewissen Zukunft entgegensähe, so ist die Tatsache, daß ein auf der Erfahrung basierender Gewohnheitsschluß zu ihrem Tod führt, natürlich eine extreme Form von tragischer Ironie. Diese nun läßt in recht drastischer Weise offenkundig werden, daß die Stützkategorie custom in den heillos verrätselten fiktionalen Welten Browns nicht greift, in denen der Sonderfall den Normalfall darstellt und ein jeder, der dies nicht berücksichtigt, der also weiterhin an der Gewohnheit als Führungsinstanz festhält, "one mistake after another, incapable of repairing his errors" (S: 15) begehen und sich in unmittelbare Lebensgefahr begeben wird.




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Versinnbildlicht wird dies unter anderem auch anhand der schicksalsträchtigen Eiche bzw. der Szene, in welcher die von dem durchgehenden Pferd gezogene Kutsche an dem Baum zerschellt, der freilich keineswegs zufällig "in the road" (S: 11) wächst. 15 Nur so nämlich kann er seine Funktion als nicht in Rechnung gestellter Sonderfall erfüllen, der in diesem Fall vor allem ein Tier in Gefahr bringt, welches wie der Mensch als Sklave der Gewohnheit zu bezeichnen ist. So formuliert Hume (1996: 105–106) die These, "that the animal infers some fact beyond what immediately strikes his senses; and that this inference is altogether founded on past experience, while the creature expects from the present object the same consequences, which it has always found in its observation to result from similar objects", um etwas weiter unten seine bezüglich custom vorgenommenen Überlegungen nun vollständig auf "all the higher, as well as lower classes of sensitive beings, which fall under our notice and observation" zu übertragen: "It is custom alone, which engages animals, from every object, that strikes their senses, to infer its usual attendant, and carries their imagination, from the appearance of the one, to conceive the other, in that particular manner, which we denominate belief ." (Hume 1996: 106–107) 16

Konkret auf die hier diskutierte Situation bezogen, bedeutet dies, daß das Pferd, welches sich auf einer Straße bewegt, obgleich es dunkel ist, von einer ungehinderten Weiterfahrt ausgehen muß, da 'Straße' und 'freie Fahrt' in der Vergangenheit stets eine Verbindung eingegangen sind und somit eine auf Gewohnheit basierende Assoziationskette gebildet haben. Daß das Tier hiermit einem Irrtum zum Opfer fällt, zeigt einmal mehr die Unberechenbarkeit der kontingenten Wirklichkeit auf, mit der uns Brown auch in Wieland , Edgar Huntly oder Stephen Calvert konfrontiert – einer Wirklichkeit, die sich nicht mehr von einem vorgegebenen Erwartungshorizont aus verstehen läßt, in der derjenige, der sich auf seine Erfahrung verläßt und die Gewöhnung als "great guide of human life" akzeptiert, notwendig in die Falle geht, und zwar, weil die Ordnung der sich letztlich als unlösbare Dekodierungsaufgabe präsentierenden Welt, sei es durch das Auftreten rätselhafter Bauchredner, psychologisch unauslotbarer Schlafwandler oder aber einander gleichender Zwillinge, nachhaltig destruiert wird.


3 Der Leser als Schlafwandler

Habe ich mich in den vorangegangenen Ausführungen vorwiegend der Erkenntnistragödie der Davis' gewidmet, so ist es mir nun um den Leser der Geschichte zu tun, der – so zumindest lautet meine These – wie die unglücklichen Reisenden in die Gewohnheits- bzw. Assoziationsfalle tappt, dies allerdings gar nicht bemerkt, sondern im Gegenteil dazu eine Position innezuhaben glaubt, die es ihm erlaubt, das in die Katastrophe mündende Geschehen souverän von einem erhöhten gottgleich-allwissenden Standpunkt zu beobachten und zu beurteilen. Dieser, wie sich herausstellen wird, nur vermeintlichen Souveränität zufolge weiß der Leser, durch wessen Hand Miss Davis zu Tode kam, weiß er, noch dazu lange, bevor es zu der Tat kommt, daß diese nicht von Handyside, sondern von Althorpe, dem unglücklich Verliebten, begangen wurde.




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Doch nicht nur dies ist dem Leser bekannt: Auch der durchaus spektakuläre Umstand, daß der Mord schlafwandelnd verübt wurde, entzieht sich keineswegs seinem Erkenntnisradius, der bezüglich der rätselhaften Geschichte wahrlich unbegrenzt zu sein scheint und die Frage aufwirft, worauf sich dieser Erkenntnisvorsprung gegenüber den Davis' denn überhaupt gründet. Wie kommt der Leser dazu, ein derart ungewöhnliches Erklärungsmodell in Anschlag zu bringen? Liegt es an der Tatsache, daß neben Althorpe letztlich kein anderer Täter in Betracht kommt, daß dieser zudem einen Traum träumte, der den folgenden Ereignissen an der Eiche sehr ähnlich ist? Oder lassen die gleichermaßen unberechenbaren wie unkontrollierbaren Leidenschaften, die sich der Ich-Erzähler bereits zu Anfang selbst attestiert (S: 8), den späteren schlafwandelnden Killer erkennen?

Folgt man den Ausführungen der Forschung, so trifft keines der hier genannten Erklärungsmuster zu. Vielmehr wird einhellig auf den dreiteiligen, sich aus Titel, Untertitel und Vorwort konstituierenden paratextuellen Vorhof der Erzählung hingewiesen, der die Antwort auf das Rätsel von "Somnambulism" beinhalte. "Aufgrund des dem Erzählteil vorangestellten Zeitungsberichts weiß der Leser, daß kein anderer als Althorpe selbst der Mörder ist" schreibt Schulz (1981: 136) ganz im Sinne Krauses und Webers, die in der vorangestellten Einleitung "[t]he key to the story" (Krause 1984: 334) erkennen bzw. erklären, daß die Lösung der Geschichte "nicht so sehr aus der Erzählung selbst, sondern aus dem mit ihr verbundenen Kommentar des Zeitungsberichts und aus dem Gesamttitel klar [wird]." (Weber 1963: 280) Auch Frank schließt sich dieser Meinung an, wenn er konstatiert, daß "[o]hne den Titel und eine Einleitung, in der Brown sich auf einen historischen Präzedenzfall beruft, [...] diese eindeutige Festlegung [Althorpe zum Mörder zu erklären] jedoch nicht möglich [wäre], da der Ich-Erzähler ja keine Kenntnis von seinem Schlafwandeln haben kann" (Frank 1991: 75–76) – Thesen, die mir gleichermaßen richtig wie problematisch erscheinen, denn in der Tat haben Leseexperimente die beachtliche Bedeutung der paratextuellen Vorinformationen bestätigt, ohne die sich der Leser schwerlich dazu berechtigt sieht, Althorpe als schlafwandelnden Mörder auch nur in Betracht zu ziehen. Von dreizehn 'Probe-Lesern', denen ich die Geschichte ohne den paratextuellen Rahmen vorlegte, hat niemand auf einen somnambulen Althorpe gesetzt. Dieser allerdings wurde unverzüglich zum Mörder erklärt, sobald Titel, Untertitel und Vorwort nachgereicht wurden – ein Ergebnis, das die rezeptionssteuernde Macht der paratextuellen Äußerungen offenbar werden läßt, das zeigt, in welchem Maße diese den Leser dazu veranlassen, von einer ganz bestimmten, noch dazu ausgesprochen extrem anmutenden Deutung auszugehen, das jedoch – und hiermit komme ich zum problematischen Aspekt der homogenen Forschungsmeinung – nicht zeigt, ob Titel, Untertitel und Vorwort den Leser auch tatsächlich dazu berechtigen , Althorpe des Mordes anzuklagen. Dies ist in der Tat eine ganz andere Frage, die ich bereits an dieser Stelle vehement verneinen möchte, um im direkten Anschluß eine genauere Untersuchung der für eine 20seitige Erzählung doch recht ungewöhnlichen dreigliedrigen Paratextphalanx zu präsentieren, die zeigen wird, daß der Leser wie die Davis' auf ihrer Nachtfahrt mit einer höchst zweifelhaften Orientierungshilfe auf die Lektüre-Reise geschickt wird, daß er wie diese glaubt, die rätselhafte Situation intellektuell durchdringen zu können, daß er jedoch gerade durch den vermeintlichen Wissensvorsprung blind geworden ist und sich in die Gefahr des Irrtums begibt.




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4 Paratextuelles agenda setting

Beginnen wir also von vorn und damit mit dem Titel der Erzählung: "Somnambulism", ein, folgt man Genettes umfangreicher Typologie der Paratexte ( Genette 1992 ), thematischer Titel, der sich insofern vom rhematischen Titel unterscheidet, als seine deskriptive Funktion sich nicht darin gründet, dem Leser die Gattung oder Form des Folgenden offen zu legen, sondern diesem einen proleptischen Ausblick auf den Inhalt bzw. das Thema des sich anschließenden Textes zu gewähren. 17 'Der folgende Text handelt von dem Phänomen Schlafwandel.' So oder so ähnlich könnte die Erwartungshaltung des Lesers durch den Titel aussehen, der bereits an dieser Stelle eine Spannung auf die Art seiner Einlösung wachruft.

Es folgt der Untertitel, "A Fragment", der, zweifellos rhematischer Natur, den Leser bezüglich eines formalen Aspektes der Erzählung, nämlich deren Unvollständigkeit, in Kenntnis setzt und, kombiniert mit dem Titel, die Erwartungshaltung in nachstehender Hinsicht spezifiziert: 'Der folgende, unvollständige Text handelt von dem Phänomen Schlafwandel' – eine Erwartungshaltung, der auch der sich anschließende, dem Hauptteil vorangestellte Zeitungsextrakt entspricht, den ich, nicht zuletzt, da uns der Text selbst dazu einlädt ("The following fragment will require no other preface or commentary, than an extract from the Vienna Gazette of June 14, 1784" [S: 5, meine Hervorhebung]), als Vorwort bezeichnen möchte, um gleich darauf erneut Genette zu bemühen. Dieser nämlich erklärt, die Hauptfunktionen des Vorwortes bestünden im allgemeinen darin, a) eine Lektüre zu bewirken und b) dafür zu sorgen, daß diese Lektüre gut verlaufe, wobei er ersteren Punkt als Minimalziel, letzteren als Maximalziel des Vorwortes bezeichnet (Genette 1992: 191). 18 Vor allem das Maximalziel, d.h. die den Leser steuernde Funktion scheint in dem hier diskutierten Falle prominent zu sein, wird der Zeitungsextrakt, der die Geschichte eines jungen Mannes aus dem schlesischen Groß-Glogau erzählt, welcher schlafwandelnd die von ihm verehrte Frau erschießt, doch nicht nur zum "preface", sondern ausdrücklich auch zum "commentary" für den folgenden Haupttext erklärt. 19 Diesem nun sieht der Leser mit einer Erwartungshaltung entgegen, die sich, durch die Akkumulation der drei Paratexte nun schon recht konturiert, wie folgt beschreiben ließe: 'Der folgende, unvollständige Text handelt von dem Phänomen Schlafwandel, wobei die Information, daß Morde im schlafenden Zustand begangen werden können, wichtig zu sein scheint .'




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Mit diesem Vorwissen nun wird der Leser in den Haupttext entlassen, und es versteht sich von selbst, daß das hier nur kurz skizzierte paratextuelle agenda setting dafür Sorge trägt, daß die nun folgende Lektüre keineswegs mehr als 'neutral' oder 'unvorbelastet' bezeichnet zu werden verdient. Vielmehr wird ein Lesevorgang provoziert, der in gewisser Weise einer Krimilektüre gleicht, bei der der Mörder sowie der Hergang des Mordes bereits von vornherein bekannt sind. Und so wird der Leser im Hauptteil der Geschichte denn auch nur auf Vertrautes stoßen, wird er in Althorpe das amerikanische Äquivalent des schlafwandelnden Jünglings aus dem Bericht erkennen und Miss Davis bereits früh den baldigen gewaltsamen Tod prophezeien, der dann auch am Ende tatsächlich eintritt. Bezüglich der Mordursache wird es, wie gesagt, ebenfalls keinerlei Diskussionen geben, wofür zunächst einmal die Humesche Assoziationskategorie resemblance verantwortlich zu machen ist, die den Leser die beiden derart ähnlich anmutenden Mordfälle zueinander in Beziehung setzen, d.h. zu einer Klasse zusammenfassen läßt. Hiermit nun wäre die Grundlage zu einem weiteren Schritt gegeben, dem entsprechend der Leser, der gemachten Erfahrung aus dem Groß-Glogau-Fall folgend, dessen Mordursache per analogiam auf die im Haupttext beschriebenen Geschehnisse überträgt und damit auch das auf amerikanischem Boden verübte Verbrechen hinreichend erklärt zu haben meint. Der Groß-Glogau-Fall wird also gewissermaßen zur Erfahrungsgrundlage, 20 auf der der Leser seine Schlüsse bezüglich der Geschehnisse im Haupttext zieht. Ob dies ohne weiteres zulässig ist, wage ich allerdings zu bezweifeln, und zwar nicht zuletzt aufgrund des Umstandes, daß der einleitende Zeitungsextrakt, der von der Forschung einhellig als wichtigster Schlüssel zum Haupttext charakterisiert wird, bei genauerem Hinsehen nicht gar so unmißverständlich ist, wie es zunächst den Anschein hat, daß also bereits dem Erfahrungsfundament, von dem aus die weiteren Schlüsse gezogen werden, keinesfalls das Attribut 'eindeutig' zugesprochen werden kann.

Denn wie steht es mit dem Beweis dafür, daß der junge Mann aus Schlesien den Mord an der von ihm verehrten Frau tatsächlich, und noch dazu schlafwandelnd, begangen hat? Wird dieser wirklich erbracht? Nein, heißt es doch einzig und allein, der Verdächtigte "has been declared author of the murder", so daß sich die ketzerische Frage anschließen ließe, ob nicht schon viele Menschen des Mordes bezichtigt wurden, wiewohl sie unschuldig waren? – eine Frage, die der Leser zunächst nicht stellt, da er massiv durch die sprachliche Manipulation des Schreibers des Extraktes beeinflußt ist, der alles daran setzt, sein Publikum von der Rechtmäßigkeit des Urteils zu überzeugen. Und so werden Formulierungen wie "[t]he officers of justice took a good deal of pains to trace the author of the crime", "by carefully comparing circumstances" sowie "[a]fter an accurate scrutiny" (meine Hervorhebungen) in Anschlag gebracht, um den Boden zu bereiten, auf dem die These "there are good reasons for believing that the deed was perpetrated by the youth while asleep" in ihrer doch recht mäßigen Überzeugungskraft nicht mehr wahrgenommen wird.




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Allerdings nicht allein vor dem Hintergrund der mangelnden Eindeutigkeit des Zeitungsextraktes erscheint es mir problematisch, letzteren als Schlüssel zum Verständnis des Haupttextes zu erklären, kommt doch der durchaus bedenkenswerte Faktor hinzu, daß überhaupt nicht einzusehen ist, warum ein Mord, der in den Vereinigten Staaten begangen wurde, keine andere Erklärung haben könnte als ein in vielen Punkten scheinbar ähnlicher Mordfall, der ein paar tausend Kilometer jenseits des Atlantiks stattgefunden hat. Warum sollten zwei Mordfälle nicht in wesentlichen Punkten übereinstimmen können, auf den ersten Blick also vergleichbar sein, sich in letzter Konsequenz aber grundsätzlich voneinander unterscheiden?

But observe, I entreat you, with what extreme caution all just reasoners proceed in the transferring of experiments to similar cases. Unless the cases be exactly similar, they repose no perfect confidence in applying their past observation to any particular phenomenon. Every alteration of circumstances occasions a doubt concerning the event; and it requires new experiments to prove certainly, that the new circumstances are of no moment or importance,

wendet sich der skeptische Philo in Humes Dialogues Concerning Natural Religion ( 1993 : 49) an seinen Gesprächspartner Cleanthes. Er weist diesen somit nachdrücklich auf die Problematik jedweden Analogieschlusses hin – einer Problematik, der sich der Leser, seiner Gewohnheit entsprechend, Ähnliches in eins zu setzen und mit einer ähnlichen Erwartungshaltung zu belegen, nicht stellt; und dies, obgleich er mit einer Geschichte konfrontiert wird, die ihm in aller Drastik vor Augen führt, worin ein Sich-Verlassen selbst auf gänzlich plausibel anmutende Erfahrungsschlüsse – und um einen solchen handelt es sich bei der vom Leser getätigten Mordaufklärung ausdrücklich nicht! – münden kann. Denn wiewohl die Davis' allen Grund haben, von der Gültigkeit der Kausalformel 'Eine Person im Dunkeln ist entweder ein Vieh, ein Baum oder aber der ungefährliche Nick Handyside' auszugehen und diese infolgedessen auch auf ihre eigene Situation anzuwenden, liegen sie am Ende falsch, muß Miss Davis diesen Fehlschluß mit ihrem Leben bezahlen – zweifellos eine Warnung an den Leser, der diese allerdings bezüglich der Interpretation der Geschichte in den Wind schlägt; und zwar angesichts der im Haupttext ausgesparten Auflösung, der überdeutlich markierten Unbestimmtheit, die laut Iser ( 1994 : 246) "den Leser auf die Suche nach dem Sinn [schickt]." Diese Suche nun endet in dem hier diskutierten Fall ausgesprochen schnell, denn der Text liefert das in seiner Zweifelhaftigkeit unerkannt bleibende Werkzeug zur Schließung der Leerstelle ja gleich mit, indem er das 'Wissen' aus dem Groß-Glogau-Fall dem Leser an die Hand gibt, der das einmal schon funktionierende Lösungsmodell nur zu bereitwillig auf den amerikanischen Mordfall appliziert und diesen, obgleich er eine solche Bezeichnung überhaupt nicht verdient, kurzerhand für abgeschlossen erklärt. Somit wird allein durch den paratextuell gesteuerten Leseakt die Offenheit bzw. Rätselhaftigkeit aus dem Weg geräumt, wird aus dem Fragment ein vermeintlich vollständiges Ganzes.




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'Althorpe was the author of the murder and there are good reasons for believing that the deed was perpetrated by the youth while asleep', lautet das Resümee des Lesers, der, um die hier entwickelte These noch einmal klar zu formulieren, wie die Davis' mit einer Orientierungshilfe ausgestattet wird, welche, anstatt das verstandesmäßige Durchdringen der Situation zu gewährleisten, letzten Endes das genaue Gegenteil bewirkt, indem sie ihn bezüglich der nicht hinweg zu diskutierenden Rätselhaftigkeit der Geschichte mit Blindheit schlägt. Somit ist weniger Althorpe der Schlafwandler, als vielmehr der Leser, welcher in schlafwandlerischer Sicherheit der richtigen Deutung zu folgen meint und dem zu keinem Zeitpunkt bewußt ist, daß er sich auf überaus dünnem Eis befindet, wenn er eine Interpretation in Anschlag bringt, die sich mit keinem treffsicheren Argument begründen läßt, die freilich aber auch nicht als falsch abgewiesen werden kann. Nein, das Erklärungsmodell vom schlafwandelnden Mörder Althorpe ist ebenso denkbar wie eine Unzahl von anderen Lesarten, was die totale Offenheit des Textes unter Beweis stellt, der noch nicht einmal Möglichkeiten seiner Ausdeutbarkeit ausschließt – eine Offenheit, die der Leser aufgrund des paratextuellen Vorbaus nicht erkennt und die mich meine Untersuchungen zu "Somnambulism", welche gezeigt haben sollten, daß es sich bei der Geschichte um mehr handelt als "eine vergleichsweise grobschlächtige Sensationsstory" ( Schulz 1977 : 107), mit einem Warnruf Genettes schließen läßt: " Achtung vor dem Paratext! " (Genette 1992: 390)


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Anmerkungen

1 Zum Verhältnis der Humeschen und der kantischen Philosophie vgl. Farr ( 1982 ).

2 Wollte man Humes Skeptizismus beschreiben, so würde man dies wohl unter Verwendung des Attributs 'gemäßigt' tun, da sich der Schotte doch dezidiert gegen jede Form des radikalen Zweifels und der pyrrhonischen Skepsis wendet, deren Ziel es ist darzulegen, daß wir nichts wissen und zu keinerlei Erkenntnis fähig sind. Dies, so Hume, sei zwar argumentativ unwiderlegbar, doch sei der Pyrrhonismus gerade deswegen nahezu folgenlos und vor allem gänzlich unpraktikabel. Denn auch der radikalste Zweifler hat, sobald er seine Studierstube verläßt, seinen Sinnen zu trauen und muß Schlüsse ziehen, um im Umgang mit dem Alltäglichen überhaupt bestehen zu können. "The great subverter of Pyrrhonism or the excessive principles of scepticism is action, and employment, and the occupations of common life. These principles may flourish and triumph in the schools; where it is, indeed, difficult, if not impossible, to refute them. But as soon as they leave the shade, and by the presence of the real objects, which actuate our passions and sentiments, are put in opposition to the more powerful principles of our nature, they vanish like smoke, and leave the most determined sceptic in the same condition as other mortals", erklärt Hume in An Enquiry Concerning Human Understanding , um sich im Anschluß daran zum gemäßigten Skeptizismus ("mitigated scepticism") zu bekennen, der im Grunde nichts anderes meint als die Zurückhaltung des empirisch verfahrenden Wissenschaftlers, welcher niemals die Möglichkeit des eigenen Irrtums aus den Augen verliert (Hume 1996: 158–159, 161ff.) und somit Formulierungen wie " 'tis evident , 'tis certain , 'tis undeniable " (Hume 1978: 274) nicht verwendet. Auch im ersten Teil seiner posthum veröffentlichten Dialogues Concerning Natural Religion gibt sich Hume als ein Tadler des radikalen Zweifels zu erkennen. Zu Humes Pyrrhonismus-Kritik vgl. Popkin ( 1951 ).

3 Aller Wahrscheinlichkeit nach nahm der Friendly Club Ende 1793 oder Anfang 1794 seine Arbeit auf und setzte diese bis zum Tode Elihu Hubbard Smiths im Jahre 1798 fort. Man tagte regelmäßig samstags (mit Ausnahme der Sommermonate) bei einem der Teilnehmer, der für die Bewirtung sorgte und die Gesprächsthemen vorschlug. Hierbei standen zwar literarische Fragestellungen im Vordergrund, doch wurden auch politische, soziale, theologische und juristische Probleme diskutiert. Zudem diente der Club als ein in seiner Wichtigkeit kaum zu überschätzendes Forum für die schriftstellerisch tätigen Mitglieder, also vornehmlich Dunlap und Brown, die ihre Arbeiten vortrugen und zur Diskussion stellten. Zur Geschichte und Bedeutung des Friendly Club siehe Schäfer ( 1991 : 58–66), Cronin ( 1949 ) sowie May ( 1976 : 233f.).

4 "Never a literary Attempt was more unfortunate than my Treatise of human Nature. It fell dead-born from the Press ; without reaching such distinction as even to excite a Murmur among the Zealots", kommentiert Hume ( 1932 : 2) in seiner kurzen Autobiographie das nahezu vollständige Ausbleiben jeglicher Reaktionen auf das Erscheinen seines Hauptwerkes.




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5 Im Gegensatz zum umfangreichen Treatise war dieser Text, der im übrigen erst zehn Jahre nach seiner Erstveröffentlichung von Philosophical Essays Concerning Human Understanding in seinen heute so geläufigen Titel umgenannt wurde, ausgesprochen erfolgreich, wurde allein zu Lebzeiten des Autors zwölfmal neu aufgelegt und sorgte neben den 1752 erschienenen Political Discourses dafür, daß Hume innerhalb weniger Jahre als Großbritanniens führender Gelehrter gehandelt wurde (vgl. Streminger 1995: 311).

6 Und zwar vor allem in dem Kapitel "Of Free Will and Necessity" (Godwin 1985: 335–350). Zu Godwins Rekurs auf Humes Kausationkonzeption vgl. III ( 1940 ), Clark ( 1977: 42ff. ), Marshall ( 1984 : 94) sowie Ammitzbøll ( 1991: 23–26 ).

7 Für die Ausarbeitung der folgenden Seiten haben sich als hilfreich bzw. unentbehrlich erwiesen: Streminger (1995), Kallich ( 1946 ), Deleuze (1997), Craig ( 1979 ), Flage ( 1990 ), Danford ( 1990 ), Waxman ( 1994 ) sowie Kulenkampff ( 1997 ).

8 In vergleichbarer Weise heißt es im Treatise : "The only connexion or relation of objects, which can lead us beyond the immediate impressions of our memory and senses, is that of cause and effect". (Hume 1978: 89).

9 Auch Godwin erkennt der Erfahrung eine eminente Bedeutung ganz im Sinne Humes zu, wenn er schreibt, daß "[w]e know nothing of any substance, a supposed material body, for example, but by experience." Etwas weiter vorn verwendet er, um die Wirkungsweise der Erfahrung zu illustrieren, Humes Beispiel von der ständig aufgehenden Sonne, die das menschliche Bewußtsein zwingt, ihr Aufgehen auch für den nächsten Tag zu erwarten (Godwin 1985: 338, 337).

10 Auch Godwin hebt auf die Tatsache ab, daß wir zwar ein stetiges Aufeinanderfolgen zweier Ereignisse, nicht aber deren innere Verknüpfung wahrnehmen können, daß der Grund des Verursachens, das kausale Verbindungsglied, sich unserer Erkenntnis notwendigerweise entzieht: "No experiments we are able to make, no reasonings we are able to deduce, can ever instruct us in the principle of causation, or show us for what reason it is that one event has, in every instance in which it has been known to occur, been the precursor of another event of a given description", erklärt er in seinem Hauptwerk (Godwin 1985: 339), um denselben Gedanken in anderen Worten auch im 1797 erschienenen Enquirer zu formulieren: "We perceive the succession of events, but we are never acquainted with any secret virtue, by means of which two events are bound to each other." (Godwin 1797: 20).

11 Die kausale Verknüpfung "lies merely in ourselves, and is nothing but that determination of the mind, which is acquir'd by custom", erklärt Hume (1978: 266), und so ließe sich das, was wir gemeinhin als Kausalschluß bezeichnen, mit einigem Recht unter dem Terminus 'Kausalfiktion' fassen.

12 Vgl. hierbei auch Godwins Ausführungen zu custom bzw. habit (Godwin 1985: 124ff.).

13 Auf den Seiten 33–41 liefert Popper eine konzise, sehr klare Darstellung des Humeschen Induktionsproblems.

14 In ähnlicher Weise meldet sich Hume auch in seinen Dialogues Concerning Natural Religion zu Wort, wenn er Cleanthes konstatieren läßt, daß "[n]othing is demonstrable, unless the contrary implies a contradiction. Nothing, that is distinctly conceivable, implies a contradiction. Whatever we conceive as existent, we can also conceive as non-existent. There is no Being, therefore, whose non-existence implies a contradiction." (Hume 1993: 91).

15 Ebenfalls keineswegs zufällig scheint es zu sein, daß Brown in seiner Geschichte, in der die Identität einer geheimnisvollen Gestalt zur Diskussion steht, ein Pferd ausgerechnet mit einer Eiche kollidieren läßt. Denn sowohl das Pferd als auch die Eiche werden von Locke als Exempla bemüht, um in dem berühmten "Of Identity and Diversity" überschriebenen Kapitel seines Essay Concerning Human Understanding das Problemfeld der Identität zu verhandeln (Locke 1979: 330–331).

16 Zu Humes Konzept der animalischen Vernunft sei Schütt ( 1997 ) empfohlen.

17 Zur Unterscheidung von thematischen und rhematischen Titeln siehe Genette (1992: 82–89).

18 Gewöhnlich, so Genette (1992: 203), bestehe das Maximalziel des Vorwortes in erster Linie darin, "den – vorausgesetzten – Leser in den Besitz von Informationen zu bringen, die der Autor für eine gute Lektüre notwendig hält" – eine Überlegung, die auch in dem hier besprochenen Fall zunächst zuzutreffen scheint.

19 Freilich impliziert dies nicht, daß der als Vorwort fungierende Zeitungsextrakt nicht auch werbende Funktionen übernimmt und den Leser zu einer Lektüre bewegen soll.

20 Daß nicht allein ein n-maliges, sondern bereits ein einziges Aufeinanderfolgen von Ursache und Wirkung das Erfahrungsfundament für weitere Überlegungen und Schlüsse ("the foundation of reasoning") sein kann, erklärt Hume ausdrücklich (Hume 1996: 107).

 

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