PhiN 10/1999: 27





Jörg Fehr (Berlin)



Hulst, Harry van der/Snider, Keith (Hgg.) (1992): The Phonology of Tone – The Representation of Tonal Register. Berlin: Mouton de Gruyter.



Der vorliegende Sammelband thematisiert einen Teilbereich der Phonologie, der wie kein anderer die Entwicklung phonologischer Ansätze seit Chomsky/Halles Sound Pattern of English beeinflußt und motiviert hat, nämlich die Tonologie. Diese beschäftigt sich mit der Beschreibung von Phänomenen, bei denen Töne, d.h. distinktive Tonhöhenunterschiede, eine Rolle spielen. Sprachen, in denen derartige tonale Distinktionen zu beobachten sind, werden aufgrund dieser Tatsache typologisch als Tonsprachen klassifiziert. Die prominentesten Vertreter dieser Klasse sind die sino-tibetischen Sprachen (z.B. Mandarin, Kantonesisch) und die Bantu-Sprachen Südafrikas.
Wie der Untertitel des Bandes bereits signalisiert, behandeln die Aufsätze, die ausnahmslos im Kontext der nicht-linearen (generativen) Phonologie verortet sind, hauptsächlich den repräsentationellen Aspekt der Ton-Beschreibungen. Als weitere thematische Einschränkung kommt hinzu, daß ausschließlich Tonregister-Phänomene betrachtet werden. Der Terminus Register faßt dabei die sequentiellen Tonveränderungsphänomene downstep, downtrend und upstep zusammen, und hat nichts mit der klassischen, von Kenneth Lee Pike (1948) eingeführten Kategorie Registerton zu tun, die in der modernen Tonologie-Terminologie meist unter Levelton rangiert.

Der Einleitungsaufsatz der beiden Herausgeber Keith Snider und Harry van der Hulst, "Issues in the Representation of Tonal Register", ist eine hervorragende Einführung nicht nur in die Thematik des Sammelbandes, sondern auch in die Repräsentationsweise der nicht-linearen, sprich: autosegmentalen Phonologie. In der Einleitung des Aufsatzes weisen die Autoren auf die Besonderheit tonaler Oppositionen hin, die diese von anderen phonologischen abhebt, nämlich ihr relativer Charakter: ob ein phonetischer Ton als phonologisch hoher oder als tiefer Ton zu klassifizieren ist, hängt in besonderem Maße von dem tonalen Kontext ab, in dem er steht. Die offensichtliche Parallele zu Akzent-Phänomenen bleibt jedoch, vielleicht ob dieser Offensichtlichkeit, unerwähnt.
Zur erwähnten Relativität der tonalen Kontraste kommt nach Snider/Hulst noch das Problem der Register, die sie nach Clements (1990) als Frequenzbänder innerhalb der Stimmlage des Sprechers definieren, die die Tonhöhen-Extrema für die Realisation von Tönen in einer gegebenen Äußerung festlegen. Diese Register sind unter bestimmten Bedingungen verschiebbar, so daß sich die Höhe der einzelnen Töne (phonetisch gesprochen: die Grundfrequenz, durch die sie realisiert werden) innerhalb einer Äußerung verändert. So kann es beispielsweise dazu kommen, daß ein äußerungsfinaler Hochton sich auf dem gleichen Niveau befindet wie ein äußerungsinitialer Tiefton.



PhiN 10/1999: 28



Im folgenden behandeln Snider/Hulst dann Grundprobleme bei der Repräsentation solcher Registerphänomene, angefangen bei der Frage, wieviele Tonhöhenstufen für die Repräsentation notwendig sind und wie diese in Termen von distinktiven Merkmalen kodiert werden können. Anschließend gehen sie auf das schon als klassisch zu bezeichnende Problem der Behandlung von Konturtönen (steigend, fallend, steigend-fallend etc.) ein, das nicht zuletzt auch die Entwicklung der autosegmentalen Phonologie motiviert hat. Die darauffolgende Diskussion über die Frage der einheitlichen Repräsentation sowohl von Konturtönen als auch von Registereffekten mündet in der Vorstellung von Sniders Ansatz zur adäquaten autosegmentalen Beschreibung von Registerverschiebungen (downstep, upstep).
Der Aufsatz schließt mit pointierten Zusammenfassungen der anderen Sammelbandbeiträge.

Mary Clark argumentiert in ihrem Aufsatz "Representation of downstep in Dschang Bamileke" für eine Beschreibung von Downstep- (bzw. Downtrend-) Phänomenen auf der Ebene phonetischer Implementierungsregeln. Ihrer Meinung nach ist Downstep phonologisch vorhersagbar, so daß die Annahme einer gesonderten Register-Ebene in der autosegmentalen Repräsentation, die z.B. Hyman (1985) und andere zur Darstellung des Downsteps vorgeschlagen haben, nicht notwendig ist. Vielmehr sollen phonetische Implementierungsregeln die Registersenkung bewerkstelligen. Im folgenden diskutiert sie dann zwei tonologische Ansätze, die Downstep phonologisch zu erklären versuchen, nämlich Clements/Ford (1979) bzw. Pulleyblank (1986), die davon ausgehen, daß Downstep durch unassoziierte (floating) Tieftöne verursacht wird, und Goldsmith (1976) bzw. Hyman (1985), die für die Behandlung des Downsteps ein sekundäres Tonfeature verantwortlich machen, das in Nicht-Downstep-Sprachen zur Ausbildung von mittleren oder extratiefen Tönen führt. Anschließend stellt sie ihre Modifikation des Hymanschen Ansatzes vor, der u.a. Hymans Tonfeatures [UPPER] und [RAISED] auf voneinander unabhängige Ebenen versetzt, dominiert von einem tonalen Knoten. Weitere Details des Ansatzes werden sodann mit Hilfe einer Analyse der Downstep-Phänomene im Dschang Bamileke illustriert. Clark verwendet für diese Analyse das Lexikon-Strata-Modell der Lexikalischen Phonologie von Kiparsky (1982).

"Register Tones and Tonal Geometry" von Larry Hyman beschäftigt sich mit den rekursiven Eigenschaften des in manchen Tonsprachen auftretenden Upstep-Phänomens. Unter Upstep versteht er dabei die Register-Anhebung von Hochtönen. Hyman schlägt ein Modell der Tonfeature-Geometrie vor, daß neben den beiden Tonfeatures H und L einen tonalen Wurzelknoten (TRN) sowie einen tonalen Knoten (TN) beinhaltet. Die Tonfeatures sind über die tonalen Knoten mit den tonalen Wurzelknoten verbunden, so daß nach Hyman alle relevanten Tondistinktionen, die in afrikanischen Sprachen auftreten, dargestellt werden können. Im folgenden wendet Hyman sein Modell auf Upstep-Phänomene in drei afrikanischen Tonsprachen an und kommt zu dem Ergebnis, daß in allen dreien der Upstep-Prozeß die Registeranhebung eines Hochtons direkt vor einem Tiefton verursacht.



PhiN 10/1999: 29



"Angriff ist die beste Verteidigung", scheint sich Robert Ladd gesagt zu haben, als er seinen Aufsatz "In defense of a metrical theory of intonational downstep" schrieb ... Anstatt der vom Titel her zu vermutenden Verteidigung des von ihm vertretenen Ansatzes einer Repräsentation von Registerverschiebungen in Intonationssprachen (z.B. Englisch) mit Hilfe metrischer Bäume, serviert Ladd den Lesern lieber eine massive Kritik des Modells von Pierrehumbert (1980) bzw. Pierrehumbert/Beckmann (1988). Er bemängelt, daß Pierrehumbert bestimmte Downstep-Phänomen als paralinguistisch abtut, wobei sie sich seiner Meinung nach auf eine Definition des Begriffs paralingustic stützt, die jeglicher unabhängigen Motivation entsagt. Weiterhin beanstandet er das von Pierrehumbert (1980) bzw. Pierrehumbert/Beckmann (1988) vorgeschlagene phonetische Tonhöhenbereichsmodell, das Registerverschiebungen in seinen Augen kontrafaktisch darstellt, sowie ihre Interpretation experimenteller Daten. So begründet seine Kritik auch sein mag, mich als Leser interessiert eigentlich viel mehr, wie nach seinem Modell die Daten zu interpretieren sind, ja, wie genau sein Modell überhaupt aussieht. Außer einigen wenigen Bemerkungen im Einführungsteil seines Aufsatzes schweigt sich Ladd darüber nämlich aus. Den Herausgeber scheint dies ebenfalls aufgefallen zu sein, lautet doch der letzte Satz ihrer Zusammenfassung des Laddschen Aufsatzes lapidar: "A discussion of Ladd's model is found in Clements (1990)" (20).

Victor Manfredi offeriert in "Spreading and Downstep: Prosodic Government in Tone Languages" eine Downstep-Analyse im Rahmen von Kaye, Lowenstamm und Vergnauds Government Phonology. Bamba (1984) folgend geht er davon aus, daß Downstep aufgrund der Interaktion zwischen Tönen und metrischen Konstituentenstrukturen entsteht. Dieses Abhängigkeitsverhältnis versucht er mittels Government Phonology (GP) zu beschreiben. Neben einer ausführlichen Diskussion der autosegmentalen Behandlungen tonaler Phänomene präsentiert Manfredi seine GP-Ton-Analyse am Beispiel so genannter Assoziativkonstruktionen, die für bestimmte afrikanische Sprachen offenbar typisch sind. Da er eine direkte Beziehung zwischen syntaktischer und metrischer Struktur annimmt, ist der eigentlichen Ton-Analyse eine detaillierte, syntaktische vorgeschaltet.

Seine Analyse der beiden afrikanischen Tonsprachen Dschang und Ebrié führt John Stewart in seinem Beitrag "Dschang and Ebrié as Akan-type total downstep languages" zu dem Schluß, daß beide autosegmental gesehen die gleichen vier tonalen Segmente besitzen, nämlich zwei [-stepping]-Töne L und H, die die herkömmlichen Leveltöne repräsentieren, und zwei [+stepping]-Töne l und h, die für Down- bzw. Upstep verantwortlich sind. Mit Hilfe dieser vier Autosegmente versucht er, die Unterschiede und Gemeinsamkeiten im Downstep-Verhalten zwischen den beiden Sprachen und im Vergleich zu einer weiteren afrikanischen Tonsprache (Akan) zu erklären.



PhiN 10/1999: 30



Eine alphabetische Sortierung kann schon recht unpraktisch sein ... Genau dieser Gedanke kam mir in den Sinn, als ich zu Moira Yips Aufsatz "Tonal register in East Asian Languages" ganz am Ende dieses Sammelbandes vorstieß, denn inhaltlich gesehen gehört er an den Anfang, thematisiert Yip hier doch den entscheidenden Terminus, von dem die Aufsatzsammlung handelt bzw. laut Untertitel handeln sollte. Wie eingangs von mir bereits angedeutet, ist der Ausdruck tonal register für den phonologisch vorgebildeten Linguisten etwas mißverständlich. Kenneth Lee Pike unterscheidet in seinem klassischen Werk Tone Languages (1948) nämlich zwei (theoretische) typologische Klassen: register-tone languages und contour-tone languages, wobei erstere Tonsprachen umfaßt, die Register besitzen – eine kleine, beschränkte Zahl von Tonhöhenkontrasten zwischen Level-Tonemen – während letztere anstatt von Level-Tonemen dynamische ("gliding") Toneme zur Bedeutungsunterscheidung verwenden (vgl. Pike 1948: 5ff.). Der Register-Begriff in diesem Sammelband ist dagegen recht variabel: das eine Mal ist das durch den höchsten und den tiefsten distinktiven Ton begrenzte Intervall gemeint, das durch Downstep oder Upstep in tiefere und höhere Lagen verschoben werden kann, ein anderes Mal wird Register zur Feindifferenzierung von Tönen allgemein verwendet.
Yip unterscheidet drei verschiedene Registertypen: Register als tonales Merkmal, als Phonationsmerkmal und als intonatorisches Merkmal. Unter tonalem Register versteht sie ein distinktives Merkmal [upper], das den Tonhöhenbereich in zwei Hälften teilt und durch ein sekundäres Merkmal [raised] näher spezifiziert wird. Dies ermöglich ihr die Repräsentation von vier Level-Tönen und vier Konturtönen. Die Notwendigkeit des besagten Register-Features belegt sie anhand von tonalen Kontrasten in vier chinesischen Sprachen. Der zweite Registertyp findet sich im Bereich der Phonation: einige Sprachen zeigen Kontraste bezüglich der Stimmhaftigkeitsqualität von Vokalen; sie sind behaucht [murmur] oder pharyngalisiert [+spread glottis]. Solche Phonationsunterschiede sind in gewisser Weise den Tönen phonologisch ähnlich und beeinflussen häufig auch die Tonhöhe der entsprechenden Silbe. Daher untersucht Yip die phonologische Beziehung zwischen laryngalen Features, zu denen [murmur] und [+spread glottis] gehören, und tonalen Merkmalen. Als Ergebnis präsentiert sie eine Feature-Geometrie, bei der [murmur] sowohl vom tonalen Wurzelknoten als auch vom laryngalen Klassenknoten dominiert wird, während [spread glottis] nur vom Laryngal-Knoten abhängt. Auf diese Weise versucht sie, die beobachteten Gemeinsamkeiten und Unterschiede der beiden Phonationsfeatures im phonologischen Verhalten gegenüber den tonalen Merkmalen zu erklären und begründet ihren Ansatz wiederum anhand von Beispielen aus zwei sino-tibetischen Sprachen. Den dritten Registertyp schließlich identifiziert Moira Yip bei der Beschreibung der Interaktion zwischen Tönen und Intonation im Hausa und Mandarin. Sie stellt fest, daß in diesen Sprachen intonatorische Register von tonalen geschieden werden müssen, und daß erstere vielmehr eine phonetische Realisationsart letzterer sind. Bei der Überprüfung ihres Ergebnisses am Beispiel der Intonation des Mandarin zeigt sich dann, daß die intonatorischen Effekte nicht auf die Realisation tonaler Registerfeatures beschränkt sind, sondern sämtliche tonalen Spezifikationen betreffen können.



PhiN 10/1999: 31



Zusammenfassend läßt sich sagen, daß der vorliegende Sammelband sicherlich für Tonologen von großem Interesse ist, zumal eine Fülle von Details zu den verschiedensten Downstep-Phänomenen dargeboten werden, daß aber andererseits diese Datenfülle den Leser, der sich nicht im speziellen mit Downstep beschäftigt, sehr leicht überfordert. Linguistisch interessierten Afrikanisten, die aufgrund des impliziten Bantusprachen-Schwerpunkts ein potentieller Interessentenkreis sein könnten, wird die Lektüre dieses Werkes extrem schwerfallen, da sie eine sehr gute Vorbildung in autosegmentaler Phonologie voraussetzt. Ähnliches gilt auch für nicht tonologisch "sozialisierte" Phonologen, für die vermutlich nur der erste und der letzte Aufsatz genießbar sein werden – alle anderen sind entweder zu stark auf die Behandlung der einzelsprachlichen Phänomene ausgelegt oder, im Falle von Ladds Aufsatz, diskutieren Details eines theoretischen Ansatzes, dessen Rahmenkonzept und Prämissen einfach als bekannt vorausgesetzt werden.


Bibliographie

Bamba, Moussa (1984): Etudes phonologiques du Mahou. Master's thesis, Université du Québec à Montréal.

Chomsky, Noam/Halle, Morris (1968): The Sound Pattern of English. New York: Harper and Row.

Clements, George (1990): "The Status of Register in Intonation Theory: Comments on the Papers by Ladd and by Inkelas and Leben", in: Beckmann, Mary E. und Kingston, John (Hgg.), Papers in Laboratory Phonology I: Between Grammar and the Physics of Speech. Cambridge/Mass.: Cambridge University Press, 58–72.

Clements, George/Ford, Kevin (1979): "Kikuyu Tone Shift and its Synchronic Consequences", in: Linguistic Inquiry 10, 179–210.

Goldsmith, John (1976): Autosegmental Phonology. Diss. MIT Cambridge/Mass. [New York: Garland, 1979].

Hyman, Larry (1985): "Word Domains and Downstep in Bamileke-Dschang", in: Phonology 2. 47–83.

Kiparsky, Paul (1982): "Lexical Morphology and Phonology", in: Linguistics in the Morning Calm. Hg. von der Linguistic Society of Korea. Seoul: Hanshin, 3–91.

Pierrehumbert, Janet (1980): The Phonology and Phonetics of English Intonation. Diss. MIT Cambridge/Mass.

Pierrehumbert, Janet/Beckmann, Mary E. (1988): Japanese Tone Structure. Cambridge/Mass.: MIT Press.

Pike, Kenneth Lee (1948): Tone Languages – A Technique for Determining the Number and Type of Pitch Contrasts in a Language, with Studies in Tonemic Substitution and Fusion. Ann Arbor: University of Michigan Press.

Pulleyblank, Douglas (1986): Tone in Lexical Phonology. Dordrecht: Reidel Publ.

Impressum