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Silke Segler-Messner (Stuttgart)



Die poesia visiva als Modell digitaler Texte: Carlo Belloli – Lamberto Pignotti – Eugenio Miccini



The poesia visiva as a Model for Digital Texts: Carlo Belloli – Lamberto Pignotti – Eugenio Miccini
Ten years after the Brasilian poet Decio Pignatari and the German artist Eugen Gomringer founded the new poetics of concretism also in Italy – beside major movements like the Gruppo 63 – various groups of poets and artists try to overcome the limits of poetry as a strictly verbal form of communication. The merging poesia visiva or, as she is called in the Italian context, the poesia tecnologica of the 1960's and the 1970's represented by poets such as Lamberto Pignotti and Eugenio Miccini transcends the semantic confines of the concrete experiments and uses extralinguistical material produced by the mass media (photographs, advertisements or comic strips). The roots of this movement lie in the historical avant-garde and in the works of previous experimental poets like Carlo Belloli or Pierre Garnier. In the discussion of the poesia visiva as a model for digital texts I want to show on the one hand the main aspects of the historical development of an experimental poetry in Italy, which is part of a global revolt against traditional forms of representation, and on the other hand I underline the obvious analogies between visual poetry and hypermedia.



1 Visuell oder konkret: Abgrenzungsversuche

Bereits zehn Jahre bevor Eugen Gomringer seine ersten konstellationen veröffentlicht, erscheinen 1944 in Mailand die Testi-poemi murali von Carlo Belloli, die als Vorläufer der Konkreten Poesie gelten.1 Gleichzeitig publiziert der dem Futurismus nahe stehende Autor die Parole per la guerra, die nicht nur auf den freien Vers zurückgreifen, sondern die Revision der überkommenen Darstellungsmodi anvisieren. Auch wenn sich der italienische Dichter selbst keiner literarischen Strömung zurechnet, übernimmt sein Werk eine wichtige Vermittlerfunktion zwischen den parole in libertà wie den tavole parolibere der futuristischen Avantgarde zu Beginn des Jahrhunderts und den sich nach dem Zweiten Weltkrieg neu formierenden neoavantgardistischen Gruppierungen, die nach innovativen poetischen Dichtungsformen suchen. Lúcia Machado de Almeida beschreibt ihn deshalb als einen Wegbereiter experimenteller Poetik, der Italien den Anschluss an die internationale Diskussion ermöglichte.

Questo è il grande merito di Belloli e sotto tale aspetto il suo contributo permette all'Italia di ripartecipare al dialogo internazionale delle avanguardie poetiche con un preciso ruolo anticipatore. La ricerca di Belloli è stata quella di un isolato per scelta volontaria, di un silenzioso operatore della sobrietà verbale, del microverso, della sintesi semantica, della neutralità espressiva semiologicamente strutturata. Fuori dai gruppi la ricerca di Belloli ha però istigato la formazione di gruppi, ha precisamente orientato verso modalità nuove del fare poetico. (Machado de Almeida 2000: 147)




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Die Wiederentdeckung des Ideogramms, die Aufwertung der Materialität der Zeichen, die sich frei im Raum verteilen sollen, sowie die Auflösung der logisch-diskursiven Syntaxstrukturen zugunsten der Fokussierung auf den visuell-bildlichen Charakter des einzelnen Wortes bilden Leitsätze der konkreten Dichter und stehen gleichzeitig im Mittelpunkt von Bellolis frühen Texten.2 Bellolis Poetik zielt demnach weniger darauf ab, heterogenes Material zu einer linguistischen Synthese zusammenzuführen, als mit einem Minimum verbaler Elemente ein Maximum poetischer Konzentration zu erreichen. In Treni (vgl. Abb. 1)verwendet der Künstler ausschließlich den Titelbegriff und den Buchstaben "i" zur Konstitution eines Textes, der den Eindruck der Beweglichkeit und Schnelligkeit ebenso evoziert wie den Klang des Pfeifens eines Zuges durch die Wiederholung des Buchstaben "i" in einer horizontalen Linie.

Abb. 1: Belloli, Treni

Einer vollkommen anderen Kompositionsstruktur unterliegt Guerra terra (vgl. Abb. 2). Durch die Permutation des ersten Konsonanten von guerra entsteht die Begriffsfolge "guerra" – "terra" – "serra", die typographisch im Raum verortet wird und die Auswirkungen des Krieges semantisch umkreist.

Abb. 2: Belloli, Guerra terra




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In Abgrenzung zur Konkreten Poesie, die Belloli zufolge aus technischen Spielereien mit dem Sprachmaterial besteht, entwickelt er das Konzept einer poesia visiva, die weder ein Netz von Analogien schöpft, noch eine Geschichte erzählt oder eine Situation beschreibt, sondern unmittelbar die poetische Botschaft zum Ausdruck bringt.

Poesia visuale, dunque, non provocatoria, né evocatoria, ma istigatrice di sintesi, di indispensabilità verbale, di visualità direttamente generata e sollecitata dalle scelte semantiche. Poesia visuale che non rappresenta ma presenta. Poesia visuale che non esaurisce un argomento lessicale ma lo suggerisce. Poesia visuale epurata da situazioni semantiche occasionali, biografiche, esotiche, intrinseche, stupefatte, dal nesso, dalla polemica, dall'impegno pseudopolitico. (Belloli 2000: 150)

Im Vordergrund steht die Reduktion poetischen Sprechens auf einzelne Wörter und ihre typographische Präsentation. Auch wenn Belloli in seinen ersten Experimenten auf das Medium Buch beschränkt bleibt, entwickelt er seinen Ansatz in den folgenden Jahren konsequent weiter. Mit den Corpi di poesia, Arrangements von Wortobjekten in synthetischen oder transparenten Substanzen wie Pyramiden, Kuben oder Polygonen, versucht er die traditionelle Trennung von Kunst und Poesie zu überschreiten, um semantische und semiotische Strukturen miteinander zu verbinden. Die Seite des Buches allein reicht seiner Meinung nicht aus, da der Dichter seine Kreativität nicht auf eine vorgegebene Fläche beschränken kann. Belloli sieht im Poeten einen modernen Architekten, der dreidimensionale Gestaltungsräume zu erobern und die Poesie als konstitutiven Bestandteil der urbanen Massengesellschaft zu integrieren sucht. Weniger die etymologische, strukturelle oder phonetische Entwicklung poetischer Kommunikation interessieren ihn als die Visualisierung semantischer Strukturen, die den Betrachter zur Mitarbeit animieren, indem er durch die ungewöhnliche Präsentation sprachlicher Zeichen dazu aufgefordert wird, sein eigenes Dichtungs-Objekt zu entwerfen. "Poesia visuale come spettacolo visivo di percezione globale, ultramobile, spaziocondizionante." (Belloli zit. n. Giannì 1986: 113)

Im Jahr 1959 führt Belloli die Entwürfe, die zwischen 1952 und 1959 erschienen sind, in seiner Theorie der audiovisualizzazione zusammen, die er im Rahmen des Bandes Textes audiovisuelles präsentiert.3 Für Belloli steht die organische Verwendung der Typographie in Verbindung mit Bedeutungsstrukturen im Vordergrund. Sein Versuch, sich gegen die Traditionslinie Mallarmé, Apollinaire und Marinetti abzugrenzen, wirkt in diesem Zusammenhang konstruiert, da in seiner poesia audiovisuale das Zusammenspiel von Lautgestalt, Visualität und Semantik eine wichtige Rolle spielt. Die Aufmerksamkeit des Lesers bzw. Betrachters soll durch die unmittelbar sinnliche Präsentation auf den Akt der Wahrnehmung selbst gelenkt werden. Nicht die Suche nach einer übergeordneten Wahrheit oder die Zerstörung der Sprache als Bedeutungssystem motiviert die Interaktion zwischen Künstler und Betrachter, sondern die Lust, die Wirklichkeit figurativ zu modellieren, ohne sie im gleichen Augenblick mit Sinn aufzuladen. "La poesia visiva intende, invece, formare la pura materia linguistica in corrispondenti costruzioni sul piano […] e nello spazio […], dove la parola autonoma […] agisca percettivamente sul consumatore." (Belloli 2000: 150)




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Belloli selbst liefert mit acqua (vgl. Abb. 3) ein beeindruckendes Beispiel für diese neue Form des Dichtens. Der audiovisuelle Text besitzt eine Spiegelachse, die ihn in zwei Teile gliedert. In der oberen Hälfte erscheint "acqua" im Gegensatz zu den dreigliedrigen Substantivreihen, die sich im mittleren Feld des Textes um "acqua" gruppieren, als einziger Begriff, der fett gedruckt ist. Der untere Teil reflektiert den oberen in spiegelbildlicher Verkehrung, d.h. nun sind die Substantivfolgen fett und "acqua" mager gedruckt. Die einzige Ausnahme bildet das Syntagma "uomini acqua nave", das die Welt des Wassers mit dem menschlichen und dinglichen Lebensbereich ursächlich verbindet und sich im Zentrum des Gedichtes befindet. Durch den typographischen Wechsel von Normal- zu Fettdruck entsteht der Eindruck einer plötzlichen Erleuchtung, der sich bei der Betrachtung von "acqua" ergibt. Das, was zuvor durch die Omnipräsenz des Wassers unsichtbar blieb, steigt an die Oberfläche und gewinnt an Kontur: "voci sole palma", "uomini acqua nave", "pesce occhio orizzonte" etc. Die Interdependenz von Natur, Mensch und Objektwelt wird in unterschiedlichen Variationen durchgespielt, die alle die Vision eines harmonischen kosmischen Miteinanders umkreisen. Typographie und Semantik sind in Bellolis Poem "acqua" organisch verbunden und reproduzieren sowohl die Wellenbewegung des Wassers als auch seine Spiegeleffekte. Gleichzeitig rückt der Vorgang des Sehens und Erkennens bei der Betrachtung einer sich spiegelnden Oberfläche in den Vordergrund und wird durch die Technik der Kontrastierung visualisiert.

Abb. 3: Belloli, acqua




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Obwohl Belloli auf der Beispiellosigkeit seiner poesia audiovisuale insistiert, bleiben offensichtliche Affinitäten zur Konkreten Poesie sichtbar. Auch seine Textgebilde lassen sich weder allein dem traditionellen Bereich der Lyrik noch dem Gebiet der Kunst zurechnen, sondern stoßen an die Gattungsgrenzen und stellen das herkömmliche Verständnis von Dichtung in Frage. Obwohl Hugo Friedrichs Einschätzung der Konkreten Poesie als "maschinell ausgeworfener Wörter- und Silbenschutt"4 in aktuellen Untersuchungen einer Revision unterzogen worden ist, bleibt die gattungsgeschichtliche Einordnung experimenteller Lyrik ein Problem. Im Unterschied zu den Texten Mallarmés, Apollinaires und der Avantgarden zu Beginn des Jahrhunderts, die immer wieder als Beispiel für die Autonomisierung lyrischen Sprechens angeführt werden, sieht sich die visuelle Poesie mit dem Vorwurf konfrontiert, sie sei auf die Schriftlichkeit fixiert und vernachlässige den phonetischen Aspekt.5 Nach Peter Demetz zeigt sich jedoch in diesen Bewertungen Konkreter oder visueller Poesie eine grundsätzliche literarhistorische Problematik. "Die Literaturgeschichte handelt lieber von der Historie jener Gedichte, in welchen sich graphische Kontur, Klang und Bedeutung in glücklichen Bündnissen zusammenfinden, als uns die Annalen der radikalen Störungs- und Emanzipationsprozesse innerhalb der Gedichtstruktur zu liefern." (Demetz 1981: 277)

In vielen Definitionsversuchen lyrischer Dichtung tauchen experimentelle Formen von Poesie aufgrund ihrer Verstöße gegen konstitutive Gattungsmerkmale nicht auf. An die Stelle klassischer Formelemente tritt in den Texten der konkreten oder der visuellen Dichter das Prinzip der Permutation, der Assoziation sprachlichen Zeichenarsenals mit einem optischen oder akustischen Code, der nicht an das Mimesisprinzip rückgekoppelt ist, sondern Selbstreferentialität vorgibt.6 Klaus Schenk hebt in diesem Zusammenhang hervor, dass die Frage nach den Grenzen des Lyrischen eng mit einer Problematisierung der Funktion der Schrift für lyrische Texte verbunden ist.7 Damit steht die Analyse des Verhältnisses von lyrischer Subjektivität und Schriftlichkeit im Mittelpunkt einer literaturwissenschaftlichen Analyse experimenteller Dichtungsformen.

Die Konzentration der Nachkriegsdichtung auf die Materialität der Texte lässt sich vor diesem Hintergrund als Reaktion auf die Ausdifferenzierung des poetischen Raumes wie auf die Konkurrenz mit den neuen technischen Medien deuten. Die Inflation der Begrifflichkeiten zur Bezeichnung neuer avantgardistischer Strömungen wie experimentelle, materiale, abstrakte, absolute, konkrete oder spatialistische Literatur verweist auf den Versuch, die Reflexion über die bislang unentdeckten Verbindungen zwischen bildender Kunst und Poesie zum Ausgangspunkt einer Suche nach neuen Gestaltungsmöglichkeiten zu machen. Wird mit dem Begriff 'Abstraktion' die sich seit den zwanziger Jahren des 20.Jahrhunderts vollziehende Loslösung künstlerischer Produktivität von dem Gebot einer wirklichkeitstreuen Nachahmung erfasst, kommt in dem Ausdruck 'Konkretion' die Präsentation der Kunstmaterialität zum Ausdruck.8 So taucht das Adjektiv 'konkret' zunächst im Kontext der Malerei auf und wird erst in einem zweiten Schritt auf die Literatur übertragen.




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Nachdem Theo van Doesburg den Begriff konkrete Kunst zur Akzentuierung der Innovationen der modernen Malerei eingeführt hat, erhebt er auch für die Wortkunst die Forderung nach einer unmittelbaren Inszenierung ihres sprachlichen Materials, wodurch nicht die Referenz auf eine außertextuelle Wirklichkeit, sondern der Konstruktcharakter künstlerischer Kommunikation selbst thematisiert wird.9 Ausgehend von der Feststellung, dass ein experimenteller Text unabhängig von seiner prinzipiellen Offenheit grundsätzlich an dem Prozess der Signifikation teil hat, können zwei Phasen innerhalb der Konkreten Poesie unterschieden werden: Bestand das primäre Ziel der konkreten Dichter darin, die Prämissen textueller Materialität aufzudecken, eröffnet die Kritik an der prinzipiellen Sinngebundenheit sprachlicher Zeichen ein neues Feld lyrisch-künstlerischer Experimente, die die Grenzen zwischen Wort und Bild aufzuheben streben.

Genau an dieser Grenze zwischen präsentierter Materialität und linguistisch-semiotischer Auseinandersetzung mit dem Prozess der Bedeutungskonstitution lassen sich auch die Autonomiebestrebungen der Vertreter visueller Poesie situieren. Bereits Carlo Belloli versuchte sein Unbehagen gegenüber der Bezeichnung "konkret" auf die scheinbar willkürlich motivierten Wortarrangements zurückzuführen, die zu rein typographischen Spielereien degenerieren und den Betrachter verstören, ohne ihn mit einzubeziehen. Die Stellungnahmen der Begründer der poesia tecnologica und des Gruppo 70, Lamberto Pignotti und Eugenio Miccini, weisen in eine ähnliche Richtung, wenn sie die wesentliche Differenz zwischen dem Etikett "konkret" und dem Label "visuell" in dem unterschiedlichen Umgang mit den Wort-Bild-Relationen sehen. Während der konkrete Dichter aus ihrer Sicht die Worte als Bilder verwendet und damit den figuralen Charakter der Schrift instrumentalisiert, betrachtet der visuelle Dichter Worte und Bilder als autonome Räume, die er miteinander interagieren lässt.10 Verlieren die graphischen Zeichen in den konkreten Texten ihre kommunikative Transparenz und nötigen den Leser, sich der Materialität ihrer Spur bewusst zu werden, nähern sich in der synästhetischen Erfahrung der visuellen Dichter Schrift und Bild wechselseitig an und es entsteht ein intermedialer Dialog.

In questi anni e in questo contesto culturale nasce e si sviluppa la poesia visiva, come fenomeno totalmente diverso e innovativo rispetto al concretismo, sia sul piano linguistico che su quello ideologico; come si sarebbe detto in anni successivi, "ponendosi come una scuola di guerriglia semiologica, essa prospetta potenzialmente – nell'ambito di una civiltà dei segni, nell'ambito di una società di massa – un'autenticità rivoluzione culturale" (Pignotti). Una rivoluzione che si sarebbe manifestata "non… solamente al livello dei codici mediante una liberatoria novazione sintattica che azzera le dipendenze e fa interagire i segni, ma anche a livello delle pluralità morfologiche offerte dalla comunicazione medesima stravolgendone le funzioni ed elevando le contraddizioni…" (Miccini) (Pignotti/ Stefanelli 1980: 171f.)




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Zehn Jahre nachdem sich der brasilianische Dichter Decio Pignatari und Eugen Gomringer darauf geeinigt haben, ihre neue Dichtungsform als Konkrete Poesie zu bezeichnen, entsteht in Italien neben der den Literaturbetrieb dominierenden Strömung der Gruppo 63 mit der poesia tecnologica bzw. visiva ein Dichtungskonzept, das versucht, die Konkrete Dichtung im Hinblick auf ihre Einbindung in die moderne Massenkultur zu überschreiten.11 Die visuelle Poesie löst sich aus dem Kontext des Konkretismus und versucht durch den Rückgriff auf die jüngsten wissenschaftlichen Entdeckungen und die vielfältigen Möglichkeiten der Neuen Medien, eine Ästhetik zu entwickeln, die an die Kommunikationsformen des modernen Menschen anknüpft und eine dynamische Öffnung der Wahrnehmung für die Pluralität der Wirklichkeit anstrebt. In Fortführung der futuristischen Revolte gegen den Vergangenheitskult werden humanistisch geprägte Bildungseinrichtungen wie das Museum für überholt erklärt und der luna park gilt als der Ort, an dem die 'wahre' Schönheit zu finden ist.12

Eine genaue Abgrenzung der visuellen gegenüber der Konkreten Poesie ist nur bedingt möglich, insofern beide Richtungen ebenso viele gemeinsame wie trennende Charakteristika aufweisen.13 Beide Konzepte zählen zu den experimentellen Bewegungen des 20. Jahrhunderts und setzen die Arbeit der historischen Avantgarden fort.14 Im Gegensatz zu den Texten der konkreten Dichter, die auf dem Programm der Konkreten Kunst aufbauen, bedient sich die visuelle Poesie von Anfang an unterschiedlicher ästhetischer Ausdrucksformen und zeichnet sich durch eine Pluralität der Stile, Quellen und Schreibweisen aus, die auf eine Revolution des traditionellen Kunst- und Literaturbetriebs zielen. Im Hinblick auf die Nutzung der Möglichkeiten der Neuen Medien scheinen konkrete wie visuelle Darstellungsformen gleichermaßen dazu prädestiniert, elektronisch (re-)inszeniert zu werden, wie Friedrich W. Block im Hinblick auf die Analogien zwischen visueller Poesie und Hypermedia ausführt: "Studiert man die Theorien zu elektronischen Texten, so macht man schnell eine zunächst verblüffende Beobachtung: Sie reformulieren bezüglich der textuellen Möglichkeiten und Auswirkungen des Computermediums ständig Positionen der modernen Avantgarden, des literarischen Experiments, insbesondere auch der visuellen Poesie. " (Block 1997: 187) Die Schreibweisen konkreter und visueller Dichter bilden demnach eine Schnittstelle zwischen experimenteller und digitaler Literatur.


2 Zwischen Wort und Bild: der intermediale Raum der visuellen Poesie

In Analogie zu Carlo Belloli wie zum Gruppo 70 distanziert sich auch Pierre Garnier von der Konkreten Poesie und begründet im Gegenzug seine eigene Bewegung, den Spatialisme. In dem Manifeste pour une poésie nouvelle et phonique, das erstmals 1962 in Les Lettres 29 erscheint, fordert er eine Revision poetischen Sprechens, um dem Bewusstseinswandel des modernen Menschen Ausdruck zu verleihen. Die Funktion der Worte erschöpft sich nicht darin zu bezeichnen, zu beschreiben oder zu lehren. Unabhängig von ihrem informativen Wert führt die verbale Sprache ebenso wie die Dinge ein Eigenleben, das, gebannt in das Medium Buch, zu verschwinden droht. Das Ziel einer neuen Dichtung besteht in der Wiederherstellung der räumlichen und phonetischen Materialität der Poesie. Das visuelle Gedicht soll nicht gelesen, sondern wahrgenommen werden. Es beeindruckt den Leser zunächst durch seine allgemeine Gestalt, erst dann durch die erfassten Worte. Garnier unterscheidet in diesem Zusammenhang zwischen Lesen als passivem Akt und Wahrnehmen als Entfesselung einer Kettenreaktion.




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In einem zweiten Manifest zur visuellen Poesie vom 31. Dezember 1962 (Les Lettres 30) spricht Garnier von der neuen Dichtung als einer Rückkehr zum Spiel der Oberflächen, nachdem die Urgründe des Unbewussten im 20. Jahrhundert erforscht worden sind. In der Welt der Objektivierung wird das Wort zu einem freien, autonomen Objekt, das in der Rede des Dichters seine Sakralität in Anlehnung an die heiligen Sätze der Tora wieder erlangt. Der sakrale Charakter der sprachlichen Zeichen basiert auf ihrer rein materiellen Gegenwärtigkeit, die auf nichts anderes verweist als auf das Zeichen selbst. Wenn sich in der Körperlichkeit die Spiritualität des Seins verbirgt, muss der Maler oder Dichter diese aufdecken. In der visuellen Dichtung können sich die Ideen materialisieren und in eine Wechselbeziehung mit dem Betrachter treten. Er nimmt das Objekt wahr und wird gleichzeitig von dem Gegenstand selbst affiziert. Die visuelle Poesie reorganisiert die alltägliche Wahrnehmung und versucht durch die Ästhetisierung der Erfahrung die menschlichen Sinnesorgane zu aleatorischen Kombinationen anzuregen. Garnier skizziert den Weg zu einer objektiven Poesie als Rückkehr zur Ursprungslosigkeit, zu einem stimmlosen Sprechen und zur vollkommenen Autonomie der Sprache. Dieses Universum in Bewegung lässt den Dichter ebenso viele Formen und Gesichter annehmen wie die Dinge, die zu Garanten kosmischer Stabilität avancieren.

1963 entwirft Garnier ein Positionspapier, das den Spatialisme als übergeordnete Bezeichnung für experimentelle Poesie zu lancieren sucht. Eine Kopie des programmatischen, spatialistischen Entwurfs wird allen Künstlern mit der Bitte um Unterstützung zugeschickt. In Les Lettres 32 erscheint dieser dann unter dem Titel Position I Du Mouvement International und listet die Namen derer auf, die dieser allgemeinen Definition einer poésie concrète als "travaillant le langage-matière, créant avec lui des structures, transmettant une information d'abord esthétique" (Garnier 1968: 138) zugestimmt haben. Zu den Unterzeichnenden gehören: Mario Chamie, Carlfriedrich Claus, Ian Hamilton Finlay, Fujitomi Yasuo, John Furnival, Ilse Garnier, Pierre Garnier, Eugen Gomringer, Bohumila Grögerova, Josef Hiršal, Anselm Hollo, Sylvestre Houédard, Ernst Jandl, Kitasono Katue, Franz von der Linde, E.M. de Melo e Castro, Franz Mon, Edwin Morgan, Ladislav Novak, Herbert Read, Toshihiko Schimizu, L.C. Vinholes, Paul de Vree, Emmett Williams, Jonathan Williams. Die Funktion der einzelnen Richtungen der konkreten, phonetischen, objektiven, visuellen, phonischen und kybernetischen Poesie besteht Garnier zufolge nicht mehr in der Übermittlung von Inhalten oder in der Artikulation der Selbstsuche eines Ich, sondern in der Freisetzung von Energien. Insofern handelt es sich weniger um die Konstitution einer neuen Kunst als um einen Paradigmenwechsel der Wahrnehmung – "Il faut pulvériser notre langage usé." (Garnier 1968: 133)




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Auch wenn Garnier allgemein als einer der führenden Künstler der experimentellen Dichtung gilt, fällt auf, dass in dem 'Manifest' vom 10. Oktober 1963 weder ein italienischer noch ein weiterer französischer Dichter aufgeführt ist. Das mag zum einen daran liegen, dass Garnier keine anderen Künstler, die in diesem Bereich arbeiteten, kannte, und kann zum anderen als Verabschiedung einer national begrenzten Gruppenbildung gedeutet werden, die sich als Avantgarde versteht. Henri Chopin, der der Konkreten Poesie nahe stand, bekundet am Schluss der Erklärung zwar seine Sympathie für diese internationale Initiative, möchte sich selbst aber nicht als Teil einer gemeinsamen Strömung verstanden wissen, die sich auf eine gemeinsame Position festlegt. Für ihn besteht die Besonderheit der zeitgenössischen Poesie in ihrer prinzipiellen Offenheit gegenüber anderen Ausdrucksformen. In dieser Unbestimmtheit wie in der Abschaffung des werkzentrierten Autorbegriffs sieht er die Herausforderung poetischen Sprechens: "Non. Je n'ai pas signé la 'Position I' parce que tout est remis en cause au XXe siècle. Et même la pensée qui n'est qu'une invention de l'homme qui a peur d'être rien…" (Garnier 1968: 143)

Auch die italienischen Vertreter der poesia visiva betrachten sich zwar als Teil einer globalen künstlerischen Erneuerung, möchten sich jedoch keiner literarischen Gruppe zuordnen, da diese Klassifikation ihrem Selbstverständnis als bricoleur widerspricht, der unterschiedliche ästhetische Codes miteinander verbindet.15 Lamberto Pignotti zieht in dem Band Sine æsthetica, sinestica. Poesia visiva e arte pluridimensionale eine vorläufige Bilanz seiner Aktivitäten als visueller Dichter und diffamiert den Wunsch nach einer klaren Definition von Bewertungsstrategien als vorzeitige Festschreibung eines Phänomens, das sich in permanenter Bewegung befindet. Diese Einschätzung teilt auch Eric Vos, der in der Einleitung zu dem Band Experimental – visual – concrete. Avantgarde poetry since the 1960s darlegt, dass es noch zu früh ist, die jeweiligen Begrifflichkeiten zu definieren, dass es vielleicht nur darum gehen kann, Grundzüge herauszuarbeiten.

Now, is it merely too early to hope for positive and unequivocal definitions of 'Experimental poetry', 'Visual poetry', and 'Concrete poetry', and for a single, if not final, solution to the problems concerning the interrelationship of these poetries within the framework of contemporary, 'innovative', 'avantgarde' literature and art, or shall we never arrive? The point is that this is not the right question – it presupposes that 'unequivocality' and 'finality' are the goals we ought to pursue, and there is reason to suggest that they are not. Surely, the poetic developments that dominated the segment of twentieth-century poetry that we are accustomed to categorize as 'experimental' show forth some characteristic tenets and traits, which are fully worth investigating, but they do not lead to an enduring, final state. (Vos 1996: 25f.)

Die Artikulation einer poetischen Erfahrung, die den traditionellen Raum der gedruckten oder beschriebenen Seite verlässt, um in neue Bereiche vorzudringen, eröffnet nach Pignotti ein Feld unvorhersehbarer Interaktionen. Das Wort, das sich mit dem Bild, dem Raum oder dem Klang verbindet, präfiguriert eine Kunst, die die Wahrnehmung aller Sinne einbezieht. Diese arte sinestetica tritt jedoch nicht mit dem Anspruch auf, die Welt neu zu gestalten oder die Totalität des Seins zu reflektieren.16 Stattdessen werden bereits existierende Versatzstücke alltäglicher und ästhetischer Wahrnehmung in einer spielerischen, intermedialen Remontage der Wirklichkeit neu kombiniert.




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Der Betrachter entdeckt in den Werken der visuellen Poesie demnach nichts vollkommen Neues, sondern kann sich seiner eigenen Wahrnehmungsstrukturen vergewissern, die im Zeitalter der Massenmedien durch Werbung und Fernsehen gelenkt sind. "La poesia di quegli anni Sessanta è un fenomeno che nella società tecnologica e nella civiltà dell'immagine, che allora si svelano e alimentano dibattiti, appare a prima vista quasi familiare." (Pignotti 2000: 187) Indem der Künstler/Dichter die Medialisierung des menschlichen Alltags zum Gegenstand seiner Arbeit macht, kann er auf ironisch-kritische Weise die Künstlichkeit und den Konsumcharakter der neu entstehenden Bilderwelten entlarven. Die poesia visiva kann deshalb aus der Sicht Eugenio Miccinis als genuin demokratische Kunst verstanden werden, die bis heute ihren Bildungsauftrag, die Entfremdung zwischen Gesellschaft und Literatur bzw. Kunst aufzuheben, nicht verloren hat.

Sembrava perfino patetico parlare di classi sociali e popoli, quando ormai trionfava l'invadenza dei mezzi di communicazione di massa. Il nuovo "volgare si fondava sulla simultaneità delle percezioni, su linguaggi pluricodice o mixed-media", sul superamento dei generi letterari e degli idoletti. Noi poeti visivi abbiamo puntato in basso, in quella lingua effettivamente parlata dalle masse, nostra fonte di ispirazione, nostro lessico e nostro oggetto di riscatto. E guardare criticamente il presente significava allungare lo sguardo in avanti. Non si possono confinare quelle esperienze in quel preciso momento storico. Siamo convinti che la nostra tensione ideologica, il nostro riscatto siano ancora legittimi nei confronti di una civiltà che non è affatto mutata e che anzi ci sembra ancor più imbarbarita. (Miccini 2000: 38)

Durch die unverkennbar ideologische Aufladung des künstlerischen Schöpfungsprozesses sah sich die poesia visiva häufig mit dem Vorwurf konfrontiert, als Medium eines politischen Engagements zu fungieren, das der Literatur einen didaktisch-aufklärerischen Impetus zuweist. Für Adriano Spatola ist die Gefahr eines Rückfalls in überholt geglaubte Begründungsmuster des Literarischen in der visuellen Poesie insbesondere deshalb gegeben, weil sie die Formen der Massenkommunikation aufgreift und damit selbst die kritisierten Darstellungsmuster – wenn auch unter umgekehrten Vorzeichen – reproduziert. Um den dekonstruktiven Anspruch der poesia visiva zu betonen, spricht Lamberto Pignotti von "contropubblicità", "controrotocalco" oder von "controfumetto".17

In einer Serie von "francobolli", die zwischen 1966 und 1968 entstehen, versieht Pignotti die abgebildeten historischen Köpfe mit Sprechblasen, so dass eine Form der Popkunst entsteht, die zum einen die Briefmarke in ihrer Funktion als Symbol der Kommunikation aufwertet und zum anderen eine Verbindung zwischen Alltagswelt und Kunst herstellt.18 Die künstlerische Verfremdung und Bearbeitung des vorgefundenen Materials gibt dem Betrachter die Möglichkeit, aus seiner Rolle als passiver Konsument auszubrechen, indem er sich der Mechanismen ideologischer Infiltrierung durch die Massenmedien bewusst wird. Der Entlarvung der medialen Trivialisierung individueller Lebenswirklichkeit korrespondiert dabei die Entdeckung neuer Imaginations- und Handlungsspielräume, in denen sich das Ungesagte bzw. das Vergessene artikuliert.




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Di conseguenza queste esperienze possono essere lette come reperti di una civiltà di parole e di immagini di massa che è in via di estinzione, che va in 'decomposizione', che diventa da 'visibile invisibile', e quindi come possibili prefigurazioni dell'apocalisse, ma anche diversamente come l'attuarsi di un processo inverso in cui le lacune e i vuoti vanno, davanti all'occhio dell'osservatore, progressivamente riempiendosi. (Pignotti zit. n. Giannì 1986: 147)

Diese Visualisierung des vermeintlich Unsichtbaren konstituiert das Leitmotiv einer Serie von poesie visive mit dem Titel Visibile invisibile (vgl. Abb. 4), die Lamberto Pignotti in den achtziger und neunziger Jahren produziert. In Analogie zu antiken Fresken, die nur noch teilweise erhalten oder übermalt sind,19 variiert er hier die Fotographie einer Frau, deren Konturen nur schemenhaft zu erkennen sind. Sichtbar sind Teile eines meist gesichtslosen weiblichen Körpers, der gerade in einer Bewegung innehält oder von einem weißen Gewand verdeckt wird. Durch die weiße Retuschierung einzelner Teile des Photos entsteht der Eindruck eines dynamischen Wechsels zwischen Ver- und Enthüllen, zwischen Licht und Schatten, zwischen Reden und Schweigen, der sich in der Gegenüberstellung der handgeschriebenen Worte visibile und invisibile als Movens des Textes materialisiert. Die Begriffe sind typographisch voneinander abgesetzt – visibile in großen schwarzen Druckbuchstaben, invisibile in roter Schreibschrift, klein geschrieben – und korrelieren mit der Signatur des Künstlers. Die geweißten Flächen, die Schrift und der weibliche Körper interagieren miteinander, indem sie sich spiegeln, beleuchten oder verdecken. Der Name verbürgt weder eine Wahrheit noch artikuliert er eine eindeutige Botschaft, allenfalls verweist er auf die Spur eines Subjekts, das dieses Ensemble arrangiert hat und ebenso der paradoxen Simultaneität von Sehen und Verschwinden preisgegeben ist wie die weibliche Figur.

Abb. 4: L. Pignotti, Visibile invisibile 1985




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Lamberto Pignottis Versuch, das Unsichtbare in der Präsentation des Wahrgenommenen aufzuspüren, rekurriert auf eine Rhetorik des Schweigens, die die Dominanz der Schriftlichkeit in der lyrischen Rede problematisiert. Die Feststellung, dass das menschliche Kommunikationssystem von Leerstellen und Dissonanzen geprägt ist, dass das Wort in seiner schriftlichen Fixierung weniger auf etwas Sicht-, Fühl-, Hör- oder Riechbares als auf ein anderes Wort verweist, hatte bereits die Futuristen dazu animiert, die poetische Sprache synästhetisch umzukodieren und nach Bereichen jenseits kommunikativer Rede zu suchen.20 Auch Umberto Eco weist in seinem Trattato di semiotica generale darauf hin, dass die verbale Sprache zwar ein wesentlicher Bestandteil des menschlichen Universums ist, aber nicht der einzige Modus der Mitteilung.21 Gestik, Mimik, kurzum die gesamte Welt außersprachlicher Zeichen bildet gemeinsam mit der menschlichen Sprache ein komplexes Zeichengefüge, das es in dem jeweiligen Kommunikationsakt zu dechiffrieren gilt.22

Wenn die Vertreter der visuellen Poesie bereits zu Beginn der sechziger Jahre den Prozess des Lesens durch den des Wahrnehmens substituieren und den intermedialen Austausch zwischen Subjekt und Objekt in den Vordergrund rücken, wenden sie sich gegen eine autor- und sinnzentrierte Rezeption, die den Blick auf die Polyphonie literarisch-künstlerischer Produktion verstellt. Knapp fünf Jahre später wird Roland Barthes den Tod des Autors proklamieren und die grenzenlose Freiheit des Lesers zur Maxime der Lektüre erheben.23 Er stellt damit nicht nur die Vorstellung von einem für das abgeschlossene Werk verantwortlichen Subjekt in Frage, sondern versucht gleichzeitig den Text beziehungsweise die écriture von ideologischen Zwängen und Gattungskonventionen zu befreien. Schreiben und Lesen stehen nicht mehr länger unter dem Diktum des Signifikats. Im Gegenteil, durch die Freisetzung der Signifikanten wird die Lust geweckt, verborgene Verbindungslinien und Konnotationen zu entdecken, die unterschiedlichen Codes zu dechiffrieren. Da das konditionierte kleinbürgerliche Publikum jedoch daran gewöhnt ist, alle künstlerischen Ausdrucksformen in binäre Strukturen einzuordnen, werden experimentelle Schreibweisen ausgegrenzt und marginalisiert.

Aucune signifiance (aucune jouissance) ne peut se produire, j'en suis persuadé, dans une culture de masse (à distinguer, comme l'eau du feu, de la culture des masses), car le modèle de cette culture est petit-bourgeois. C'est le propre de notre contradiction (historique), que la signifiance (la jouissance) est tout entière réfugiée dans une alternative excessive: ou bien dans une pratique mandarinale (issue d'une exténuation de la culture bourgeoise) ou bien dans une idée utopique (celle d'une culture à venir, surgie d'une révolution radicale, inouïe, imprévisible, dont celui qui écrit aujourd'hui ne sait qu'une chose: c'est que, tel Moïse, il n'y entrera pas). (Barthes 1973: 63)

Lamberto Pignotti rekurriert auf diese Passage aus Barthes' Le plaisir du texte, um den subversiven Charakter der poesia visiva zu akzentuieren. So gehört sie zwar seit längerem zum Begriffsrepertoire des alltäglichen Sprachgebrauchs und hat Eingang in Enzyklopädien wie Anthologien gefunden, zählt jedoch nach wie vor zu jenen Bewegungen, die sich außerhalb des Kunstsystems befinden und nur bedingt Teil des ökonomischen Konsumkreislaufs geworden sind. Dem hohen Maß an öffentlicher Anerkennung korrespondiert nicht der wirtschaftlicher Erfolg, der die Aufnahme in den etablierten Kunstbetrieb sichert. Insofern kann die poesia visiva zugleich als Gegenreaktion auf künstlerische Kommunikationsmodelle gelesen werden, die sich der Vermittlungswege der Massenmedien bedienen, um ihr Publikum zu erreichen. Auch die visuelle Poesie greift auf die neu entwickelten technischen Produktions- und Darstellungsweisen zurück, jedoch weniger zur Verbreitung und Vervielfältigung ihrer ästhetischen Botschaft als zu einer kritischen Revision.




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Lucidamente infatti la poesia visiva si è posta subito come genere che ortodossamente non rientra né nella letteratura, né nella pittura. L'albero geneaologico, la culla e i progetti per il futuro sono stati posti fin dall'inizio all'insegna della tecnologia e delle communicazioni di massa. Non per piegarsi ad esse, ma per piegarle a finalità critiche, ideologiche, estetiche. […] La poesia visiva, una scrittura verbo-visiva, muove, come ho già detto qui e in altre occasioni, dalla 'bi-grafia' per proporre e realizzare diversi tipi di 'plurigrafia'. (Pignotti 1990: 22)

Aufgrund ihres Status als Grenzgänger zwischen Literatur und Kunst widersetzt sich die poesia visiva einer klaren theoretischen Fundierung. Sie bemächtigt sich der gesamten Wirklichkeit und unterzieht sie einer ästhetischen Transformation, indem sie neue Verbindungslinien zwischen der Sprache und den Dingen, zwischen Daten und Zeichen oder zwischen der Alltags- und der Kunstgeschichte zu erstellen sucht. Aus der Sicht Pignottis existiert keine adäquate Theorie, die diesen Ansatz erfassen könnte, da die visuelle Poesie wie viele andere poetische Verfahren in Anlehnung an Roman Jakobsons Ausführungen in seinen Essais de linguistique générale24 nicht allein auf die Möglichkeiten der Sprachkunst beschränkt ist, sondern auf die Erkenntnisse der allgemeinen Semiotik zurückgreift. Den Ausgangspunkt der intermedialen Experimente bilden insofern pragmatisch-semiotische Überlegungen, die den Ursprung der Zeichen und ihren Wandel untersuchen. "Infatti la poesia visiva, esulando pure dal suo significato originario e acquisito, può essere vista ormai come una matrice suscettibile di generare combinazioni di parole e immagini, ma anche di porporre un repertorio di possibilità espressive, magari prescindendo dai media impiegati." (Pignotti 1990: 33)

Der vehemente Abgrenzungsgestus der italienischen Collage-, Versatzstück-, bzw. Bild-Wort-Künstler gegenüber der Konkreten Poesie erweist sich in diesem Zusammenhang als rhetorische Strategie zur Akzentuierung des Innovativen. Gleichzeitig wird die Nähe zu den Zeichentheorien der Konkreten Poesie verdeckt, die ausgehend von der Theorie der Werkgenese als Zeichengenese die Vision einer kombinatorischen Universalsprache entworfen haben.25 Ohne die Experimente und theoretischen Grundlagen dieser Dichter, die sich bereits die Prinzipien der Massenkommunikation zunutze gemacht haben, ist das künstlerische Engagement der visuellen Poeten nicht denkbar. Gleichzeitig versucht die poesia visiva stets, die engen Grenzen rein verbaler Darstellung zu überschreiten und Formen einer synästhetischen Erfahrung zu realisieren, die alle menschlichen Sinnesorgane stimuliert. Das happening bzw. die performance bilden hier das ideale Forum für die Inszenierung visueller Poesie als Gesamtkunstwerk. Aktionen wie das von Eugenio Miccini und Lamberto Pignotti initiierte Projekt Poesia e no, bei dem Vortrag und Projektion visueller Lyrik alternieren und von diversen außerpoetischen Manifestationen wie z.B. Film und Musik begleitet werden, oder der intermediale Zusammenschnitt von Bild und Text in den so genannten cinepoesie unterstreichen das deklarierte Ziel eines ebenso künstlerischen wie gesellschaftlichen Bewusstseinswandels. Wenn das Publikum keinen Zugang mehr zur Lyrik hat, wie Eugenio Miccini in seinem einleitenden Aufsatz zu dem Katalog der Ausstellung Poesia totale schreibt, dann muss die Poesie aus der Enge des Buches ausbrechen und den öffentlichen Raum durchdringen. Sie muss ihr Publikum suchen und darf sich nicht auf ihren elitären Status zurückbeziehen.




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3 Die Dynamisierung der Wahrnehmung

Das zentrale Anliegen der poesia visiva resultiert in der Aufhebung der ästhetischen Differenz zwischen sprachlichen und bildlichen Ausdrucksformen. Die Medien Wort und Bild sind nicht mehr eindeutig voneinander zu trennen und lassen sich nur im Rahmen einer allgemeinen Zeichentheorie beschreiben.26 In dem Augenblick, in dem die verschiedenen Codes interagieren, eröffnet sich ein intermedialer Gestaltungsraum, der von den institutionellen und technologischen Entwicklungen abhängig ist, die sich im Bereich der technischen Verbreitungsmedien vollziehen. Diese Interdependenz von Technik und ästhetischer Kommunikation kommt nicht nur in Bezeichnungen wie poesia tecnologica zum Ausdruck, sondern auch in der Instrumentalisierung non-verbaler Zeichencodes, die der Werbung, dem Fernsehen oder dem Radio entnommen werden. Auch wenn in diesem Beitrag das besondere Augenmerk der visuellen Poesie Italiens gilt, lässt sich die experimentelle Programmatik nicht national begrenzen. In den Textsammlungen Miccinis und Pignottis tritt das Spanische, Französische, Englische oder auch Russische gleichberechtigt neben die italienische Muttersprache. In dem Lyrikband Parola per parola, diversamente stellt Lamberto Pignotti in einem abschließenden Kommentar klar heraus, dass ihm die Schöpfung eines linguaggio super-nazionale vorschwebt, der jenen Prozess der Entwurzelung, der bewussten Verfremdung vorantreibt, den die russischen Formalisten "ostranenija" nannten. In Analogie zu den dadaistischen Textexperimenten werden im Rahmen dieser Technik des spaesamento Worte, Sätze oder Bilder aus unterschiedlichen Quellen ausgeschnitten und in einer Collage zusammengesetzt, so dass es zu unvorhergesehenen Reaktionen zwischen den unterschiedlichen Medien kommen kann.

Con una tecnica del genere si può ad esempio imprimere una carica estetica e ideologica divergente da quella emessa alla fonte delle communicazioni di massa – dove oggi prevalentemente si fabbrica la merce 'linguaggio': di qui il problema dell'alienazione linguistica, in termini attuali – specie quando essa non sia 'la bocca della verità' ma 'la voce del padrone'. Il poeta ha la possibilità di deformare, dirottare, invertire i comandi. (Pignotti 1976: 116f.)

Eine sehr anschauliche Illustration dieser Technik liefern Eugenio Miccinis Collagen, die aus Bildern und Photos aus Zeitungen und Illustrierten, Werbeslogans, Schlagzeilen, Zeitungsartikeln und Briefausschnitten bestehen.




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Uomini vi presentiamo una danza
il misterioso errore
che lascia segni
il gesto soffice dei poeti.
Ricordate le imprese
della notra epoca.
Cerchiamo il significato nascosto
della bellezza: forme perfette!
Al primo incontro
che piacevole sorpresa!
La vita è una colpa difficile.
Se non riuscite a fare del mondo
una repubblica di felici
cari scrittori
la vostra arte sarà
così leggera e invisibile
che solo voi saprete
di averla fatta.
1967

Abb. 5: Eugenio Miccini, Poesie visive [collages]

Durch die Kombination von Bild und Text sind diese poesie visive medienreflexiv und metapoetisch zugleich. Mit dem Verfugen unterschiedlicher Versatzstücke problematisieren sie das Verfahren der Textkonstitution ebenso wie den Akt der Lektüre. Durch das simultane Erfassen von Bild und Text scheint keine Leserichtung vorgegeben zu sein, auch wenn bestimmte Begriffe durch ihre typographische Gestaltung in Großbuchstaben oder Fettdruck den Blick des Betrachters auf sich ziehen und somit ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken. Der Rezipient ist dadurch aufgefordert, Bedeutungsketten zu bilden, die einzelnen verbalen Bausteine zu einem Gedicht zusammenzustellen, das ein Netz aus Verknüpfungen und Querverweisen herstellt und unterschiedliche Lesarten ermöglicht. Dieser prinzipiell offene Prozess der Semiose wird bei Miccini dadurch konterkariert, dass er die abgedruckten poesie visive auf der gegenüberliegenden Seite der Sammlung in einen linearen Text übersetzt, der einer vertikalen Lektürerichtung folgt. Er bietet damit nicht nur eine mögliche Lesart an, sondern nimmt gleichzeitig eine Reduktion der plurimedialen Präsentation auf ihren Schriftcharakter vor. Trotz der stets propagierten Annäherung von Wort und Bild wird letzteres in den Hintergrund gedrängt und von der Dominanz des Geschriebenen überlagert. Das Bildliche scheint sich auf seinen ornamentalen Charakter zu beschränken und wird dadurch gegenüber dem Wort in seiner Bedeutung herabgesetzt.

Mit der intermedialen Überkreuzung unterschiedlicher Codes, der räumlichen und visuellen Gestaltung der Blattseite und mit der Aufwertung eines aktiven Rezeptionsvorgangs liefert die poesia visiva wesentliche Prämissen für die Darstellungs- und Produktionsweisen der Neuen Medien. Für Lamberto Pignotti ist sie der einzige Bereich, der seit den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts die Beziehung zwischen Wort und Bild einer experimentellen Analyse unterzieht.27




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Wie bereits dargelegt, zeichnet sich die visuelle Poesie insbesondere durch den Versuch aus, eine transversale Kunstform zu schaffen, die durch ihre grundsätzliche Offenheit gegenüber allen zeichenhaften Ausdrucksformen auch den Umgang mit den elektronischen Medien maßgeblich beeinflussen kann.28 Aus der Sicht Klaus Peter Denckers ist die visuelle Poesie vielleicht sogar in der Lage, der Bildüberflutung wie der Verkümmerung des Rezeptionsvermögens durch die fortschreitende Technologieentwicklung entgegenzuwirken.29 Unabhängig von dem latent medienkritischen Potenzial, das den poesie visive inhärent ist, können sie durch ihre Aktualisierung in den Hypermedien vollkommen neue Dimensionen von Dynamik erhalten.

Gegenüber dem fixierten Zustand von zweidimensionalen Blatt- und Druckwerken und von dreidimensionalen Textobjekten sind die Texte auf dem Bildschirm graduell vorläufig und variabel, sie verändern sich während der Lektüre und sind veränderbar von Seiten des Benutzers. Damit eröffnen sich neue Möglichkeiten, Rezeption zu konzeptualisieren. [...] Das vormals statische Material der Signifikanten wird beweglich, und seine Bewegung erfolgt in Abhängigkeit von der physischen Präsenz des Rezipienten. Der Körper wird daher selbst zu einem Signifikanten des Werkes neben anderen, die ihn mitqualifizieren. Auch darin besteht eine entscheidende Erweiterung der visuellen Poesie. (Block 1997: 192)

Der Prozess der Dynamisierung vollzieht sich Block zufolge auf zwei Ebenen. Zum einen kommt es durch die Animation und Programmierung visueller Texte zu einer veränderten Inszenierung von Raum und Zeit. Zum anderen verändert die digitale Verlebendigung von Bildern und Texten die Rolle des Rezipienten, der schon in den Programmen der historischen Avantgarden zu einem aktiven Koproduzenten der Text- und Sinnherstellung und damit konstitutiver Bestandteil des ästhetischen Prozesses wurde, eine Dynamisierung, die entsprechende Auswirkungen auf den Lektüreprozess hat (vgl. Segler-Messner 2003). Mit der Digitalisierung visueller Poesie werden durch die potenzielle Hypertextualität vollkommen neue Formen der Lektüre bzw. der Interaktivität aktiviert. Der so genannte Hypertext, den Heiko Idensen als "Sprache in Aktion, assoziatives Verknüpfen von Sprechpartikeln, Visualisieren von Ideenfragmenten, Bild-Schirm-Denken, Verzetteln, über-den-Rand schreiben" (Idensen 1996: Anm. 1 168) definiert, eröffnet dem Autor die Möglichkeit, den Lektüreprozess zu steuern und den Leser anhand gezielter Verknüpfungen durch seinen Text zu manövrieren. Darüber hinaus appelliert er an die Produktivität und Kreativität des Lesers, der sich zappend durch den virtuellen Raum bewegt. Die Links vermitteln dabei den Eindruck einer erlebbaren Vielschichtigkeit. Im Mittelpunkt des Aufnahmeprozesses steht jedoch weniger das ruhige Zusammenlesen aus einer räumlichen Konfiguration als der 'Sprung'. Von einer Seite zur anderen kann der Text, der Ort, die Zeit und das Medium wechseln, folgt der Leser, getrieben von seiner Neugierde, dem Rhythmus des eigenen Lese- bzw. Wahrnehmungstempos. Dabei gilt aus hermeneutischer Perspektive der Grundsatz, "dass das Rezipienteninteresse nur über eine schrittweise Abnahme der Erkenntnisdifferenz zwischen Text und Rezipient zu leisten ist." (Honegger 2002: 68) Das bedeutet konkret, dass eine konstruktive Rezeption nur in dem Fall gewährleistet ist, in dem durch den Rückgriff auf bekannte Wahrnehmungs- und Erfahrungsmuster unentdeckte Sinnpotenziale erschlossen werden.




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Es reicht demnach nicht aus, wenn die Autoren visueller Poesie, wie Heiko Idensen und Matthias Krohn (1991) in Bezug auf die Situation der digitalen Kunst zu Beginn der neunziger Jahre feststellen, den Computer nur als "Schreib- und Graphikwerkzeug für Druck- und Blattwerkzeuge" (Block 1997: 185) benutzen. Obwohl Bild und Text durch die Neuen Medien beliebig verwendet, verändert und dynamisiert werden können, bedarf das Kunstwerk eines Konzepts, um nicht der Gefahr einer trivialen Animation des sprachlichen Materials zu erliegen. Die visuelle Poesie kann auch in diesem Zusammenhang der Computerkunst als Modell dienen, insofern sie mit einfachen technischen Mitteln eine komplexe und vielfältige Interaktion verschiedener Medien erzielt, während der komplexen Produktion eines digitalen Kunstwerks eine meist einmalige, flüchtige Rezeption gegenübersteht. Trotz der auffälligen Analogien zwischen visueller Poesie und Neuen Medien zeigt sich in der Produktion, wie Urs Honegger bemerkt, "keine Kontinuität von prädigitaler zu digitaler visueller Poesie" (Honegger 2002: 69). Nur wenige Autoren aus der etablierten Kunst- und Literaturszene engagieren sich in der Computerkunst. Weder Lamberto Pignotti noch Eugenio Miccini sind mit ihrer poesia tecnologica in die virtuelle Welt des Cyberspace vorgedrungen, auch wenn sie mit theoretischen Stellungnahmen auf Seiten italienischer Webliteratur wie z.B. auf der von Catherina Davino eingerichteten Plattform präsent sind.30 Mit ihren Versuchen, den in die Museen und Galerien verbannten Bereich der Kunst der Alltagswirklichkeit der Massengesellschaft anzunähern, unterminieren sie tradierte Kategorien der Wahrnehmung und ebnen einer ästhetischen Kommunikation den Weg, die angesichts der vollkommenen Entpolitisierung künstlerisch-literarischer Aktivität am Ende des 20. Jahrhunderts als Gegenbewegung zur medialen Entmündigung des Einzelnen zu verstehen ist.


Abbildungen

Abbildung 1: Carlo Belloli, Treni (1943), in: http://www.ubu.com/historical/belloli/belloli1.html, 17.2.2004.

Abbildung 2: Carlo Belloli, Guerra, terra (1943), in: http://www.ubu.com/historical/belloli/belloli2.html, 17.2.2004.

Abbildung 3: Carlo Belloli, acqua (1961), in: http://www.artpool.hu/Poetry/soundimage/Belloli.html, 17.2.2004.

Abbildung 4: Lamberto Pignotti, Visibile, invisibile, 1985, in: Giannì, Eugenio(1986): Póiesis. Ricerca poetica in Italia. Arezzo: Istituto statale d'arte, 148.

Abbildung 5: Eugenio Miccini, Poesie visive [collages], in: Miccini, Eugenio (1985): Poesia e no 1963–1984. Udine: Camponotto Editore, 34f.




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Anmerkungen:

1 Eugenio Giannì bezeichnet ihn sogar als Initiator der poesia concreta, vgl. Giannì (1986: 111).

2 Das zentrale Nachschlagewerk zur Konkreten Dichtung ist nach wie vor der von Mary Ellen Solt herausgegebene Band, vgl. ((Solt 1970).

3 Vgl. Belloli (1959).

4 Friedrich (21968: 13).

5 Vgl. Schenk (2000: 154).

6 Gottfried Willems spricht hier von einer "Entmimetisierung der Künste". Er schreibt im Hinblick auf die Kunst der Moderne: "Literatur und Bildende Kunst gehen gleichermaßen davon ab, ihre Ziele ausschließlich oder auch nur vorzüglich mit den Mitteln eines mimetischen Illusionismus erreichen zu wollen. Damit aber wird eben das Prinzip beseitigt oder zumindest begrenzt, das zuvor die gesamten Wort-Bild-Beziehungen regierte. Anschaulich zu reden, hieß für die Literatur, den Leser zu illusionieren, sprechend darzustellen für die Bildende Kunst, auf die Suggestion der Bildillusion zu setzen, in Wechselbeziehungen einzutreten, bedeutete für die beiden Künste, die Aufgaben in Angriff zu nehmen, die aus der Unterschiedlichkeit ihrer jeweiligen Mittel der Illusionierung erwuchsen, und die Vereinigung von Wort und Bild in Wort-Bild Formen galt grundsätzlich als fragwürdig, insofern so keine einheitliche, bruchlose Illusionierung möglich zu werden schien. Nun öffnet sich im Zusammenhang mit der Entmimetisierung der Künste ein neuer Spielraum für Wort-Bild-Formen, und die Wechselbeziehungen zwischen Wort- und Bildkunst, die sich nicht mehr primär an den Wesensunterschieden ihrer jeweiligen Mimesis abzuarbeiten haben, nehmen eine Wendung, die vielerorts auf ein reges Miteinander, auf Verbindungen der Künste in dieser oder jener Form [...] hinauslaufen." (Willems 1989: 159)




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7 Vgl. Schenk (2000: 154f).

8 Vgl. Schenk (2000: 158).

9 Vgl. Ernst (2002: 258).

10 Vgl. hierzu auch Spatola (1978).

11 Vgl. Picchione (1996: 101), vgl. hierzu auch Anselmi (1996).

12 Vgl. Pignotti (1990: 7): "Emblematicamente da qualche tempo il deposito della bellezza non è più il museo ma il luna-park. "

13 Vgl. hierzu Honegger (2002: 30).

14 Claus Clüver beschreibt Konkrete Poesie als historisches Genre, das zu Beginn der fünfziger Jahre einsetzte und um 1970 endete. Vgl. Clüver (1996: 277f).

15 Vgl. Pignotti (1990: 28): "L'artista che impiega i mezzi espressivi della più varia provenienza ha certamente le caratteristiche del bricoleur che mira a parlare tramite gli oggetti, a comporre un ambiente che evidenzi il linguaggio."

16 Vgl. Pignotti (1990: 27).

17 Vgl. Pignotti (2000: 188).

18 Vgl. Pignotti / Stefanelli (1980: 189f).

19 Vgl. Pignotti zitiert nach Giannì (1986: 147): "Le abrasioni che danno luogo a scene di 'visibilità ridotta' o di 'in-visibilità', con modalità retoriche che si rifanno alla figura della preterizione, suggeriscono evidenti parallelismi con le parti andate perdute di antiche affreschi o con le raschiature di remoti palinsesti."

20 1913 widmet Carrà eine seiner Schriften der Interdependenz zwischen Klängen, Geräuschen und Gerüchen. Neben seinem Text Pittura dei suoni, rumori e odori erscheint im gleichen Jahr Prampolinis La cormofonia, il colore dei suoni. Sieben Jahre später verfasst Marinetti ein Manifest, das die Kunst des Tastens als Erweiterung der menschlichen Sinneswahrnehmung zelebriert (Il tattilismo).

21 Vgl. Eco (1984).

22 Zu dem Zusammenhang von Semiotik und Konkreter Poesie vgl. Vollert (1999: 22-61).

23 Antoine Compagnon (2000) geht dem Postulat des vermeintlichen 'Tod des Autors' in der virtuellen Welt des Internets nach.

24 Vgl. Jakobson (1963: 210): "De toute évidence, un bon nombre des procédés qu'étudie la poétique ne se limitent pas à l'art du langage. […] Celui qui étudierait la métaphore chez les surréalistes pourrait difficilement passer sous silence la peinture de Max Ernst ou les films de Luis Bunuel, L'Age d'or et Le Chien andalou. Bref, de nombreux traits poétiques relèvent non seulement de la science du langage, mais de l'ensemble de la théorie des signes, autrement dit, de la sémiologie (ou sémiotique) générale."

25 Vgl. hierzu Schulze (2000: 188).

26 Vgl. Honegger (2002: 61).

27 Vgl. Pignotti (1996).

28 Vgl. Idensen/Krohn (1991).

29 Vgl. Dencker (1997: 182).

30 Vgl. Karenina.it – I linguaggi dell'arte del Novecento – Eugenio Miccini, in: http://www.geocities.com/Paris/Lights/7323/eugniomiccini.html, 4.7.2003.