PhiN-Beiheft 2/2004: 141



Jochen Mecke (Regensburg)



Ästhetische Differenz in Print- und Hypertext(fiktion)



The Aesthetical Difference in Print- and Hypertext(fiction)
The following article argues that the theory of hyperfiction needs to be complemented by a discussion of the aesthetic dimension. The essay presumes that there is a fundamental difference between the material and technical conditions of literary communication on the one hand and aesthetic practice on the other, and that this fundamental difference is very often neglected by hypertext theory. In fact, modern literature very often uses this aesthetic difference as a course of poetic innovation. Thus, the French nouveau roman creates new poetic possibilities by transgressing the restrictions of the book medium. In the same vein, poststructuralist theory has shown that the technical and medial conditions of literature suggested a false image of literature, which did not correspond to its fundamental reality. For instance, the apparent closure of the book in fact only conceals a fundamental openness of sense. Starting from this observation, the article tries to show that hyperfiction, if it uses the same principle of an agonistic aesthetics, has to develop techniques quite different from the procedure of modern literature as well as from the theorems of poststructuralist theory. Finally, there will be an appeal for a theory of aesthetic difference.


1 Merkmale von Hypertext und Hyperfiktion

Die umfassende theoretische Auseinandersetzung mit Hyperfiktion entzündete sich bekanntlich an der von George P. Landow vorgetragenen These, Hypertext und Hyperfiktion seien als technische Umsetzung zentraler Elemente der poststrukturalistischen Literaturtheorie zu betrachten (Landow 1997: 65). Für die ungebrochene Wirkmächtigkeit dieser These spricht sowohl ihre Übernahme durch eine Reihe von Autoren als auch ihre ebenso häufig anzutreffende Kritik, denn auch letztere positioniert sich im Rahmen des von Landow festgelegten Koordinatensystems. Plausibilität bezogen Landows Thesen dabei aus Analogien zwischen Elementen der Literaturtheorie und dem Erscheindungsbild der Hypertextstruktur: Die Thesen von der Unabgeschlossenheit des Textes, vom Rezipienten als Produzenten und vom Tod des Autors entsprachen scheinbar zentralen Elementen der technisch-materiellen Struktur von Hypertexten. Und zweifelsohne waren auch zahlreiche Werke der Hyperfiktion von Michael Joyces Afternoon (1987) bis zu Shelley Jacksons Patchwork Girl (1995) von Elementen poststrukturalistischer Theoriebildung inspiriert, so dass es schien, man könne die Theorie der Hypertext-Praxis und die Praxis der Hypertext-Theorie miteinander kurzschließen. In der Zwischenzeit sind Landows Thesen vor allem dank einer Reihe konkreter Analysen von Hyperfiktionen einer Revision unterzogen worden. Insbesondere wurde in Frage gestellt, ob sie der Produktions- und Rezeptionspraxis der Hyperfiktion tatsächlich entsprechen. Doch gesetzt den Fall, die poststrukturalistische Theorie würde die technischen Strukturen von Hyperfiktionen tatsächlich angemessen beschreiben, so bedürften die Thesen Landows gerade aus diesem Grund umso mehr einer Revision. Denn die ästhetische Praxis ist nicht mit deren materiellen und medialen Rahmenbedingungen gleichzusetzen. Sie entsteht vielmehr – dies ist die These des vorliegenden Beitrags – aus der spannungsvollen Differenz zwischen ihren materiellen und medialen Rahmenbedingungen und dem Versuch ihrer Überwindung.




PhiN-Beiheft 2/2004: 142


Gerade wenn diese Rahmenbedingungen eine entscheidende Rolle für die Bestimmung der ästhetischen Praxis spielen, muss eine Unterscheidung zwischen verschiedenen Formen elektronischer Literatur vorgenommen werden. Denn längst nicht alles, was auf elektronischen Speichermedien reproduziert wird, kann automatisch Hypertext und Hyperfiktion zugerechnet werden. Literarische Werke, welche CD-Rom und World-Wide-Web als bloßen Archivierungs- und Publikationsort nutzen, stellen keine Hypertexte im engeren Sinne dar. Das elektronische Medium beschränkt sich in diesem Fall auf seine Funktion als reines Speicher- und Distributionsmedium, ohne irgendeinen Einfluss auf die nach wie vor vom Printmedium geprägte Struktur oder die monolinear erfolgende Rezeption des Textes zu nehmen. Im Unterschied zu solchen, bloß digitalisierten nutzen digitale Texte elektronische Techniken nicht nur als Speicher- und Distributionsmedium, sondern auch zur Produktion und Rezeption. Digitale Fiktionen unterscheiden sich mithin von ihren schriftlichen Vorläufern dadurch, dass hier das Medium die Struktur von Texten in entscheidender Weise beeinflusst und transformiert.1

Das wichtigste, durch das Medium selbst ermöglichte Strukturmerkmal betrifft die besondere Form sequentieller Abfolge der Textpassagen und somit auch der Lektüre. Bereits die erste Definition des Hypertextes durch Ted Nelson rückt diesen Aspekt in das Zentrum der Aufmerksamkeit:

By hypertext I mean non-sequential writing – text that branches and allows choices to the reader, best read at an interactive screen. As popularly conceived, this is a series of text chunks connected by links which offer the reader different pathways (Nelson 1987: 2).

Nelsons Definition krankt allerdings daran, dass verschiedene Arten der Linearität miteinander vermischt werden. Zunächst bezieht sich die These von der nicht-linearen Struktur der Hyperfiktion auf die materielle, technische Struktur des neuen Mediums. In diesem Fall ist mit nicht-linearer Struktur die Tatsache gemeint, dass Hypertexte aus Knoten und Verweisen bestehen, wobei die Verweise mehrere alternative Verknüpfungen der Knoten erlauben. Im Hinblick auf die materielle Struktur des Hypertextes ist die Beschreibung natürlich angemessen. Doch ergibt sich daraus allein noch kein Differenzkriterium, denn auch die rein materielle Struktur des Buches ist nicht linear. An und für sich erlaubt auch das Buch unterschiedliche Verknüpfungen einzelner Textpassagen.2 Die lineare Struktur ergibt sich erst aus dem Amalgam von Medium und Rezeptionsmodus. Während das Buch selbst eine dreidimensionale Struktur aufweist, wird die Lektüre nach wie vor von der linearen Schreib- und Lesetechnik der Handschrift und der mit ihr verknüpften Manuskriptkultur bestimmt.3 Dieser 'intermediale Anachronismus' deckt jedoch auf, dass die These von der Nicht-Linearität die materielle Struktur von Texten mit der kulturellen Rezeptionstechnik vermischt, die notwendig ist, um sie zu dekodieren. Die Linearität der Lektüre ergibt sich aus der Kombination des an und für sich nicht linearen Buchmediums, und einer aus der Manuskriptkultur stammenden linearen Schreib- und Lesetechnik.4 Überträgt man diese Differenzierung auf den Hypertext, so wird deutlich, dass sich dessen Nicht-Linearität lediglich auf die materielle Struktur im virtuellen Raum bezieht. Nicht-Linearität meint das technische Substrat der Hyperfiktion. Sie ist daher zunächst lediglich virtuell, nicht manifest. Die Lektüre des einzelnen Lesers hingegen – und damit auch die manifeste Struktur des Hypertextes – ist in jedem Fall linear, da der Leser aus den vielen Möglichkeiten jeweils einen bestimmten Pfad auswählen muss. Statt von einer nicht-linearen Struktur scheint es daher angemessener zu sein, von einer multi-linearen Struktur zu reden, die sich aus der Kombination der Nicht-Linearität des Mediums und der Linearität der Lesetechnik ergibt. Im Unterschied zur Buchlektüre ist hier allerdings lediglich die manifeste Struktur linear, nicht jedoch die virtuelle.




PhiN-Beiheft 2/2004: 143


Die virtuelle Multilinearität bietet dem Leser die Möglichkeit, an einen bereits besuchten Knoten zurückzukehren und von dort aus einem anderen Link zu folgen. Von Hyperfiktionen wird diese Möglichkeit genutzt, um durch die Link-Struktur alternative Versionen der bereits erzählten Geschichte zu präsentieren.5 Aus narratologischer Sicht ermöglicht Multilinearität somit die Aufhebung der Irreversibilität erzählter Zeit und damit auch die zeitlich versetzte Verwirklichung mehrerer Versionen der Geschichte, die für den Leser räumlich als verschiedene Pfade vorliegen. Der besondere ästhetische Reiz entsteht hier aus der Lektüre einer neuen Version der Geschichte vor der Kontrastfolie der bereits gelesenen. Die Unterscheidung zwischen einerseits materieller und medialer, andererseits virtueller und manifester Linearität leistet jedoch erst dann einen wichtigen Beitrag zum Verständnis der Hyperfiktion, wenn es nicht mehr nur um die Technik und Theorie, sondern um die Ästhetik und Poetik der neuen Gattung geht.

Dies gilt sowohl für die innere Struktur des Textes als auch für dessen Bezüge nach außen. In der radikalsten Form findet sich die Auflösung der Textgrenzen sicherlich in der durch vernetzte Formen der Kommunikation bestimmten 'Netzliteratur'.6 Hier wird der Bezug zwischen eigenem und fremdem Text in den Text selbst verlagert. Allerdings ist der Unterschied nicht so grundlegend wie er zunächst erscheinen mag. Denn auch in gedruckter Form vorliegende literarische Werke verweisen durch bestimmte Begriffe auf andere Texte, die im einfachsten Fall in einem Wörterbuch oder in einer Enzyklopädie nachgeschlagen werden können. Darüber hinaus verweisen Zitate, Anspielungen oder Assoziationen auf andere literarische Werke und stellen das Werk in ein komplexes Beziehungsgefüge oder Netz von Texten, die sich zu einem Textgewebe zusammenfügen, das letztlich den einzelnen Text nur noch als Knoten oder Kreuzungspunkt anderer Texte erscheinen lässt. Im Unterschied allerdings zu dieser, von der Intertextualitätsforschung ins Zentrum ihrer Überlegungen gerückten Tatsache, sind die intertextuellen Bezüge in der Netzliteratur nicht virtuell, sondern manifest. Die Hervorhebung von Links in einem Knoten weist explizit auf eine real vorhandene Verknüpfung hin und ist als implizite Aufforderung an den Leser/Benützer zu verstehen, dem angebotenen Pfad nachzugehen.7 Aus diesem technisch bedingten Unterschied folgt ein weiterer: Denn mit einem Link im Netz gelangt der Leser in einen anderen Text, von dem er nicht mit Sicherheit weiß, ob er noch zu dem gleichen – im Falle der Hyperfiktion – fiktiven Universum gehört oder ob er sich nicht bereits in einer anderen Fiktion oder gar in einem nicht-fiktionalen Text befindet. Die Grenzen zwischen Realität und Fiktion werden hier auf rein technischem Weg fließend. In struktureller Hinsicht entscheidender ist allerdings die damit verbundene Auflösung der Grenzen des Textes. Denn der Nutzer kann sich entscheiden, den Herkunftstext endgültig zu verlassen, um im Ankunftstext zu verbleiben. Da sowohl interne als auch externe Bezüge des Textes durch Querverweise hergestellt werden, heben Hypertexte die Trennung zwischen internen Verweisen auf den vorliegenden und externen Verweisen auf andere Texte auf, die Grenzen zwischen Intra- und Intertextualität verschwimmen. Dadurch wird die Identität des Textes selbst jedoch fließend. Ein Blick auf die gängige Praxis genügt allerdings, um sich zu überzeugen, dass diese Form der Auflösung von Textgrenzen selten ist und die meisten Hyperfiktionen im Rahmen ihres einmal festgelegten Universums verbleiben. Doch auch für diese Form von Hyperfiktionen, die auf einer CD-Rom ohne ästhetische Verluste abgespeichert werden können, ergeben sich grundlegende Transformationen der Struktur.




PhiN-Beiheft 2/2004: 144


Die Identität unvernetzter Hyperfiktionen wird nicht nur durch die Aufhebung ihrer Grenzen bedroht, sondern auch durch deren innere Struktur. In diesem Fall ist es nicht mehr, wie bei der Netzliteratur, der Außenbezirk des Textes, der sich nach innen stülpt und zu dessen Teil wird, sondern es sind die Randbezirke des Textes, die in das Zentrum rücken. So kann sich zum Beispiel die Hierarchie zwischen Text und Fußnote umkehren, denn zumindest für den Zieltext, auf den die Fußnote verweist, gilt, dass er der Fußnote des Ausgangstextes untergeordnet ist. Gleiches lässt sich für Zitate sagen, die ebenfalls durch einen einfachen Link den gesamten Text abrufbar machen, aus dem sie entnommen wurden.

Dank ihrer technischen Möglichkeiten sind Hyperfiktionen darüber hinaus in der Lage, die Grundlagen der aristotelischen Poetik zu unterminieren. Wenn wir die aristotelische Definition des Anfangs zugrunde legen als etwas, das "nicht notwendig etwas Vorangehendes zur Voraussetzung hat, nach welchem jedoch naturgemäß ein anderes da sein muss oder aber entsteht" (Aristoteles 1979: 31; 1451b), so wird bereits deutlich, dass Hypertexte keinen Anfang im traditionellen Sinne haben können. Durch ihre multilineare Struktur verstoßen sie gegen die Grammatik des Erzählens, indem sie den Anfang in den Plural verschiedener Möglichkeiten setzen, aus denen der Leser eine oder aber auch mehrere auswählen kann. So bietet etwa die Hyperfiktion Le Nœud gleich auf der Startseite zwei Möglichkeiten: "Tu peux partir. Personne ne le saura" und "Tu peux rester. Personne ne le saura" (Verrault 1998–2000). Zwar setzen beide 'Anfänge' des Textes wiederum eine Ausgangssituation voraus, doch ist diese – jemand befindet sich an einem Ort – so allgemein gehalten, dass beide Anfänge der Erzählung die aristotelische Bedingung der relativen Voraussetzungslosigkeit erfüllen. Durch das Angebot zweier Einstiegsmöglichkeiten wird der eigentliche Beginn des Textes verdoppelt.

Das Ende einer Erzählung definiert Aristoteles als etwas, das "selbst entweder einem anderen notwendig folgen oder beim gewöhnlichen Lauf der Dinge nach einem anderen vorhanden sein muss." Auf das Ende darf nichts anderes folgen (Aristoteles 1979: 31; 1450b). Hypertexte hingegen sind prinzipiell unabgeschlossen, da sie mehrere virtuelle 'Enden' haben, die zum Teil, wenn der Leser den Text zu einem als Scheideweg fungierenden Knoten zurückverfolgt und einen weiteren Weg auswählt, auch manifest werden können.8 Die archäologische und die teleologische Konstitution des Textes sind damit außer Kraft gesetzt.9 Die Möglichkeit, an jeden Knoten, unabhängig davon, ob dieser nun als Textseite oder als narrative Sequenz vorliegt, mehrere andere Knoten anzuschließen, verhindert die Festlegung einer für alle Rezipienten verbindlichen Struktur des Textes. Die 539 Knoten und 915 Links der Hyperfiktion Afternoon (1987) von Michael Joyce lassen die Anzahl möglicher Varianten ins Unermessliche wachsen, so dass die Rede von 'einem' Text unangemessen erscheint.

Auch die innere Struktur der Texte ist variabel, da einzelne Sequenzen nicht – wie in der aristotelischen Poetik vorgegeben – mit Notwendigkeit, sondern lediglich mit Möglichkeit aufeinander folgen.10 Die aus Knoten und Querverweisen zusammengesetzte Struktur sorgt dafür, dass verschiedene Lektüren des Textes voneinander abweichen und die Geschichte jeweils ganz andere Inhalte haben kann, je nachdem, welche Textblöcke vom Rezipienten aktiviert wurden. Wenn weder die Abfolge noch die tatsächlich gewählten Sequenzen oder Textblöcke festliegen, ist die Rede von 'ein- und demselben' Text problematisch. Auch die Verlagerung der Identität des Textes auf den Leser hilft hier nicht weiter, da jede Lektüre anders sein wird und oftmals auch der Versuch scheitern muss, den eigenen, erstmals eingeschlagenen Lektürepfad zu wiederholen. Damit erhält jede Lektüre sowohl einen individuellen als auch einen zeitlichen Index, die Einheit des Textes geht in einer Vielzahl individueller und zeitlicher Varianten auf.11




PhiN-Beiheft 2/2004: 145



2 Literaturtheoretische Antizipationen hypertextueller Technik?

In den genannten Besonderheiten des Hypertextes hat George P. Landow, wie eingangs erwähnt, eine technische Realisierung poststrukturalistischer Theorien gesehen. Hypertexte und Hyperfiktionen erscheinen ihm als "reification or embodiment of a principle that had seemed particularly abstract and difficult, when read from the vantage point of print" (Landow 1997: 65). Die Technik des Hypertextes inkarniert demnach eine Reihe von Theoremen der poststrukturalistischen Literaturtheorie wie zum Beispiel Intertextualität (Kristeva), Vielstimmigkeit (Bachtin), Dezentrierung (Derrida), die Rhizomstruktur (Deleuze, Guattari) moderner Texte, Multilinearität und Netzstruktur (Barthes, Bachtin), die Ablösung des lesbaren durch den schreibbaren Text (Barthes), die Offenheit und Unabgeschlossenheit des disseminierten Textes (Eco, Derrida), die Dekonstruktion des Verhältnisses zwischen Titel und Text (Derrida) und schließlich auch den oftmals beschworenen "Tod des Autors" (Barthes).12

Seit der ersten Auflage des Buches im Jahr 1992 sind eine große Anzahl neuer Hyperfiktionen und konkreter Untersuchungen entstanden, die zu einer Revision der Thesen Landows geführt haben. So gelten etwa die für die Aufhebung der Trennung zwischen Texten genannten Argumente lediglich für Netzliteratur (Landow 1997: 65). Schwerwiegender als diese etwa durch eine Differenzierung zwischen Hyperfiktionen und Netzliteratur zu relativierenden Einwände sind allerdings diejenigen Argumente, die sich auf grundlegende Annahmen beziehen. So begrüßt Landow bspw. den Hypertext als Inkarnation der Intertextualität und spricht von einem verstreuten Text ("dispersed text"). Zwar ermöglicht die Verknüpfung der Knoten durch Verweise eine Potenzierung intertextueller Strukturen, doch diese Potenzierung interner Intertextualität erfordert, wie bei der literarischen, "externen" Intertextualität auch, aus Gründen der Verständlichkeit eine umso größere semantische Autonomie und damit eine straffere Strukturierung der verknüpften Texteinheiten oder Knoten. Die Potenzierung von Komplexität durch Verlinkung wird um den Preis einer vorherigen Komplexitätsreduktion der verlinkten Texte erkauft.13

Entscheidender und grundsätzlicher sind allerdings diejenigen Kritiken, die sich auf die These einer auf technischem Wege erzeugten Offenheit des Textes beziehen. "Hypertext thus creates an open, open-bordered text, a text that cannot shut out other texts and therefore embodies the Derridean text" (Landow 1997: 80). Die durch unterschiedliche Kombinationen von Textknoten und Links erzeugte Offenheit des Textes impliziert allerdings noch nicht unbedingt dessen semantische Offenheit. Denn, wie bereits gezeigt, erfordert gerade die freie Kombinatorik der Knoten eine umso größere Verständlichkeit und damit auch eine relative semantische Geschlossenheit der kombinierten Texteinheiten. Simanowski hat im Anschluss an Umberto Eco die Unterscheidung zwischen kombinatorischer und semantischer Offenheit vorgeschlagen, um diese beiden Aspekte zu trennen (Simanowski 2002: 68). Nur die kombinatorische Offenheit ist für Hyperfiktionen charakteristisch. Aber diese Form der Offenheit muss die semantische Offenheit eines Textes nicht unbedingt steigern, sondern kann diese auch reduzieren. Gerade die Hyperlink-Struktur kann auch zu einer relativ großen semantischen Geschlossenheit beitragen, weil Hyperlinks durch die Hervorhebung des entsprechenden Textausschnitts mögliche Konnotationen eines Textes festlegen. Im Unterschied dazu hat der Leser eines Buchtextes prinzipiell die Möglichkeit, zu allen Lexemen und Textausschnitten seine eigenen Konnotationen zu entwickeln, indem er diese in der Vorstellung mit anderen ihm bekannten Texten verknüpft. Eine determinierte Form steht somit einer undeterminierten Form der Konnotation gegenüber.




PhiN-Beiheft 2/2004: 146


Die Unterscheidung zwischen kombinatorischer und semantischer Offenheit ist unter anderem auch deshalb relevant, weil sie es ermöglicht, eine weitere These, die George P. Landow und andere Theoretiker mit Hyperfiktionen verbinden, kritisch zu überprüfen. Es handelt sich um die als zentrales Unterscheidungskriterium der Hyperfiktion geltende Interaktivität. Wenn unter Interaktivität die "Teilhabe des Rezipienten an der Konstruktion des Werkes" zu verstehen ist, so liegt bei geschlossenen Hyperfiktionen eine Interaktivität vor, die "den Leser auffordert, den Text durch Navigationsentscheidungen selbst zusammenzustellen" (Simanowski 2002: 18). Allerdings muss auch hier festgehalten werden, dass diese technisch realisierte Interaktivität determiniert ist und sich daher immer in bestimmten Bahnen bewegt, auch wenn Autoren natürlich bei komplexen Hyperfiktionen nicht alle Bedeutungen der jeweils möglichen Kombinationen vorhersehen können. In jedem Fall ist diese Art von Interaktivität rein mechanisch und beschränkt sich zunächst einmal auf ein relativ armseliges "click and go". Im Unterschied dazu ist Interaktivität im traditionellen literarischen Text nicht medial gegeben, sondern muss erst durch bestimmte ästhetische Verfahren wie zum Beispiel Konnotation, Anspielung oder Symbolisierung erzeugt werden. Sie beschränkt sich dementsprechend nicht auf einen bloßen mechanischen Akt, sondern erfordert eine intensive Partizipation an der Konstruktion des Textes.

Die Überprüfung der Inkarnationsthese von Landow zeigt, dass die von ihm aufgestellte Analogie zwischen Texttheorie und Technologie keineswegs unmittelbar zwingend ist. Ihr grundlegendes Problem besteht in einem theoretischen Kurzschluss von der medialen Erscheinungsform und Oberflächenstruktur des Hypertextes auf die damit verbundenen ästhetischen Merkmale. Landow unterliegt somit einem grundlegenden Kategorienfehler: Mediale Strukturen können nicht unmittelbar als Inkarnationen von bestimmten Theorien betrachtet werden, mediale Formen führen nicht an und für sich zu bestimmten ästhetischen Effekten.


3 Kollusion zwischen Medienpraxis und theoretischer Dekonstruktion

Beschränkt man sich nicht auf die bloße Feststellung von Analogien zwischen Theorie und Technik, sondern analysiert die konkreten Funktionen beider Bereiche, so zeigt sich ein grundlegender Unterschied zwischen einer auf die Printmedien bezogenen poststrukturalistischen Literaturtheorie und einer Schreibpraxis, die sich in Hypertexten manifestiert.14 Besonders deutlich wird dies bei der Figur des Autors. 1968 verfasste Roland Barthes seinen berühmten Essay, in dem er den "Tod des Autors" verkündete. Seine Totenrede schien freilich insofern dem Motto "Der König ist tot, es lebe der König" zu folgen, als die vakant gewordene Position des Autors umgehend durch eine andere Figur eingenommen wurde: Nunmehr sollte der Leser in all diejenigen Funktionen einrücken, die der Autor im Begriff war zu verlieren.




PhiN-Beiheft 2/2004: 147


Die von Barthes ausgerufene literaturtheoretische Revolution teilt mit einigen ihrer realgeschichtlichen Vorgänger die bloße Umkehrung der Positionen im Machtgefüge, ohne dabei jedoch die hierarchische Struktur selbst zu verändern.15 Gerade der 'Fall' des Autors ist ein schöner Beleg dafür, dass literaturtheoretische Umwälzungen immer dann den diskreten Charme von Stürmen im Wasserglas haben, wenn sie allzu wörtlich genommen werden: Denn bei einer nüchternen Betrachtung dieser Totenrede kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Deutungshoheit und die verbrieften Rechte des Autors auf geistiges Eigentum nur deshalb das Objekt einer gezielten Kritik in der Theorie werden konnten, weil sie gleichzeitig in der Praxis als deren realiter unangetastete Ermöglichungsbedingung fungierten. Dekonstruktionen der Autorschaft funktionieren im Kontext unangefochtener gesetzlicher Geltung von Autorenrechten.16 Die Ablösung des Autors durch die Eigendynamik des Textes, der Intertextualität und des Signifikanten erscheint umso akzeptabler, je wirkungsvoller der Produktionsprozess ihm den alleinigen Status des Produzenten zusichert, je klarer die Materialität des Buchmediums die Unendlichkeit des Textes zum Abschluss bringt und je deutlicher das Flottieren des Signifikanten in fest gefügte Bedeutungen mündet. Ähnliches gilt für den literarischen Text überhaupt.

Die Geschlossenheit von Texten kann umso leichter innerhalb der literarischen Kommunikation in Frage gestellt werden, als das Buch materiell und medial gerade für diese Geschlossenheit sorgt. Intertextualität erscheint deshalb so lohnend, weil gerade das Medium Buch dem Text eine materielle Identität zuweist. Revolutionen und Destruktionen literarischer Kategorien und Hierarchien innerhalb des literarischen Feldes basieren offenbar auf juristisch, medientechnisch und ökonomisch gesicherten Hierarchien ästhetischer Kommunikation, die das Feld des Literarischen 'von außen' determinieren. Dadurch dass die mediale Grundlage des Buches Texten Anfang und Ende verleiht, kann der literaturtheoretische Diskurs gefahrlos und ohne irgendwelche Konsequenzen die archäologische und teleologische Struktur von Texten in Frage stellen. Zwischen literaturtheoretischen Destruktionen ästhetischer Kategorien innerhalb und deren unverbrüchlicher Geltung außerhalb des Feldes hat sich im Falle der Literatur eine Kollusion, ein konstitutives Zusammenspiel eingestellt.17

Was leistet in diesem Zusammenhang die poststrukturalistische Literaturtheorie? Man könnte nach dem oben Gesagten den Eindruck gewinnen, sie sorge lediglich für einen Theoriesturm im Wasserglas des literarischen Sicherheitssystems. Doch ein derartiger Vorwurf basiert auf dem gleichen Kategorienfehler wie Landows These, der Hypertext sei die technische Inkarnation poststrukturalistischer Theorien. Denn sie verwechselt eine Theorie, die sich bemüht, Diskurse zu beschreiben, unter denen bestimmte Institutionen der literarischen Kommunikation, wie z.B. der Autor, erst möglich werden, mit den konkreten Inkarnationen solcher Erscheinungsformen selbst. Die klassische Figur des Autors wird für tot erklärt, weil ihm traditionelle Funktionen wie z.B. die intentionale Festlegung und letztendliche Beherrschung des Sinns nicht mehr zukommen und weil er literarische Formen nicht aus bestimmten Sinn- und Bedeutungsintentionen hervorbringt und kontrolliert, sondern selbst, wie Roland Barthes in S/Z dargelegt hat, als ein Kreuzungspunkt verschiedener Diskurse betrachtet wird (Barthes 1970). Sinnkonfigurationen werden nicht vor dem Schreiben vom Autor intentional festgelegt, sondern ergeben sich aus der Bewegung des Schreibprozesses selbst. Dass die traditionelle Figur des literarischen Autors für tot erklärt wird, bedeutet keineswegs, dass es keine Autoren mehr gibt oder dass diese – wie Malcolm Bradbury in seiner Satire auf die französische Literaturtheorie mit dem Titel Mensonge insinuiert hat, keine Tantiemen mehr erhalten (Bradbury 1987: 22). Der poststrukturalistischen Theorie geht es um eine Analyse derjenigen Diskurse, die Figuren und Strukturen literarischer Kommunikation ermöglichen, nicht um deren praktische Abschaffung.18 Der Geltungsanspruch dieser Strukturen umfasst in gleicher Weise den Print- wie auch den Hypertext.19




PhiN-Beiheft 2/2004: 148



4 Ästhetische Differenz in der Moderne

Betrachtet man die theoretischen Dekonstruktionen literarischer Kategorien jedoch im Kontext der ästhetischen Praxis, auf die sie sich beziehen, so wird ein Unterschied zwischen ihrer jeweiligen Anwendung auf Druck- und auf Digitalmedien sichtbar. Dekonstruktivistische Theorien entsprechen nämlich einer ästhetischen Praxis, durch welche literarische Texte der Moderne ihre eigenen materiellen, diskursiven, technischen und juristischen Rahmenbedingungen unterminieren, um sich neue ästhetische Freiräume zu erschließen. In diesem Fall begleitet die Literaturtheorie den ästhetischen Entwicklungsprozess, indem sie aufzeigt, dass die genannten Rahmenbedingungen Texte nicht limitieren. Theorie und ästhetische Praxis befinden sich somit in einem Spannungsverhältnis zu den medialen und materiellen Rahmenbedingungen literarischer Produktion selbst. Die Differenz zwischen Theorie und Praxis spiegelt eine für die moderne Literatur charakteristische Differenz zwischen Medium und Ästhetik.

Ganz anders liegt der Fall hingegen bei der Anwendung dergleichen Theorien auf Medium und Ästhetik der Hyperfiktion. Stellt man die oben besprochenen Veränderungen literarischer Kategorien vom Print- zum Hypertext in den medien- und literaturgeschichtlichen Kontext, so zeigt sich, dass Hypertexte und Hyperfiktionen allein durch die spezifische Materialität ihrer Kommunikationsformen auf rein technischem Wege realisieren, was eine Reihe äußerst ambitionierter ästhetischer Projekte der Moderne zum Großteil gegen die Rahmenbedingungen des eigenen Mediums, d.h. des Buches, zu verwirklichen suchte. Mehr noch als die von George Landow hervorgehobene Konvergenz zwischen gegenwärtiger Literaturtheorie und Technologie müsste daher die prästabilierte Harmonie zwischen der literarischen Ästhetik der Moderne und der Technologie des Hypertextes ins Auge fallen.20

Dichtungsmaschinen wurden bereits lange vor ihrer elektronischen Programmierung konzipiert. Nach Kontingenzprinzipien, die den menschlichen Sinnhorizont überschreiten, dichteten bereits die Dadaisten und Surrealisten. Antonio Machados apokrypher Dichter-Philosoph Jorge de Meneses erfindet eine máquina de trovar, einen Apparat, der in der Lage ist, aus den Beiträgen eines Kollektivs ein Gedicht zu generieren, das gleich mehrere Autoren hat (Machado 1964: 326f.). In seiner Erzählung El jardín de senderos que se bifurcan entwirft Jorge Luis Borges die Grundidee einer Erzählung, die verschiedene Möglichkeiten des Fortgangs enthält. An jede Sequenz können jeweils andere Sequenzen angeschlossen werden, so dass sich das narrative Potential vervielfacht (Borges 1971: 112f.). Was bei Borges noch reines Konzept bleibt, ist in Julio Cortázars Roman Rayuela (1963) zum beherrschenden Element der Diskursstruktur geworden, denn der Roman lässt nicht nur eine mehrfach sequentielle Lektüre zu, sondern fordert diese vielmehr durch die Anlage des Textes vom Leser geradezu ein. Vergleichbare Vorgehensweisen finden sich unter anderem auch bei Italo Calvino (1979) oder in den Arbeiten der Gruppe Oulipo (1981).




PhiN-Beiheft 2/2004: 149


Wenn sich die poststrukturalistische Literaturtheorie in einer prästabilierten Harmonie mit modernen und postmodernen ästhetischen Praktiken im Rahmen des Printmediums befindet, so gilt dies nicht automatisch für die Ästhetik der Hyperfiktion. Wird die einfache poststrukturalistische Literaturtheorie auf Hypertext und Hyperfiktion angewandt, verliert sie den innovativen Impuls, den sie für die Ästhetik des Buches beanspruchen kann. Gesetzt den Fall, Landows Konvergenz- und Inkarnationsthesen würde ungeachtet der genannten Einwände tatsächlich eine angemessene Beschreibung der Strukturen von Hyperfiktionen liefern, so wäre sie in Bezug auf die materiellen und technischen Bedingungen hypertextueller, hypermedialer und hyperfiktionaler Kommunikation redundant. Sollte die Konvergenzthese allerdings den Anspruch erheben, nicht mehr nur die Technik, sondern auch die ästhetische Praxis zu beschreiben, so ist sie problematisch. Denn sie erfasst lediglich all jene Hyperfiktions-Projekte, die theoriekonform konzipiert wurden. Poststrukturalistische Theorie und ästhetische Praxis der Hyperfiktion befänden sich dann in einem hermeneutischem Zirkel des Theorie-Praxis-Kurzschlusses.

Dies hängt mit einer Besonderheit der modernen Ästhetik des Buchmediums zusammen. Gerade die genannten Beispiele zeigen, dass die moderne Ästhetik ihre Errungenschaften gegen die materiellen und medialen Bedingungen der literarischen Buchkommunikation durchzusetzen sucht. Auch wenn daher einige Autoren hypertextueller Erzählungen von den ästhetischen Experimenten der Moderne beeinflusst sind und die offenkundigen Analogien zwischen der Funktionsweise von Hypertexten und der Ästhetik der Moderne einige Bearbeiter dazu veranlasst haben, diese ästhetischen Experimente in Form von Hypertexten zu edieren, sollten die strukturellen Ähnlichkeiten jedoch nicht über grundlegende Unterschiede hinwegtäuschen.21 Wenn sich Texte dazu anschicken, die Strukturen des literarischen Diskurses im Medium des Buches zu unterminieren, so kommt dies jedoch gerade nicht einer hypertextuellen Gestaltung gleich. Denn die Ästhetik der literarischen Moderne unterminiert ihren eigenen Diskurs und dessen wichtigstes Medium in diesem Medium selbst. Dies geschieht sicher unter anderem auch, um Literatur von den medialen Bedingungen des Buches und der mit ihr einhergehenden Ideologie zu emanzipieren. Doch darüber hinaus gewinnen die Autoren aus der Überwindung medialer Einschränkungen ästhetische Innovationen. In Michel Butors zweitem Roman L'Emploi du temps (1956) wird dieser Versuch durch eine narrative mise en abyme selbst zum Teil der Geschichte. Der Held des in einer autobiographischen Perspektive geschriebenen Romans, Jacques Revel, der als Exportkorrespondent einer englischen Firma arbeitet, versucht sich gegen den im fremden Land drohenden Identitätsverlust zur Wehr zu setzen, indem er die Ereignisse seit seiner Ankunft aufzeichnet. Da er jedoch bemerkt, dass die Ereignisse der Gegenwart seine Sicht auf die Vergangenheit jeweils modifizieren, sieht er sich ab dem zweiten Kapitel veranlasst, Vergangenheit und Gegenwart im Wechsel zu erzählen, um so die Einflüsse der Gegenwart auf seine Sicht der Vergangenheit überprüfen zu können. Die Komplexität dieser Struktur wird im dritten Kapitel noch einmal gesteigert, da Revel nun die Ereignisse zum Zeitpunkt der Abfassung des zweiten Kapitels berichtet, allerdings nunmehr rückläufig, um dann im darauf folgenden Kapitel und Monat seines Schreibens der Komplexitätsspirale eine weitere Drehung hinzuzufügen, indem er damit beginnt, das im Juni geschriebene Kapitel nochmals zu lesen, auf der Suche nach Indizien von möglicherweise unterschlagenen Ereignissen oder Indizien.22 Die Hinweise mögen genügen, um zu verdeutlichen, dass Butor eine Struktur aufbaut, in der die einzelnen Textabschnitte eine Reihe von Querverweisen enthalten, die den Erzähler und auch den Leser veranlassen, zu anderen Kapiteln des Romans zu springen. Monolinearität wird auf diese Weise in Multilinearität verwandelt, literarische in hypertextuelle Fiktion. Um deren Funktion im Rahmen des Buches genauer zu beschreiben ist es sinnvoll, eine heuristische Unterscheidung einzuführen.




PhiN-Beiheft 2/2004: 150


Wenn Butor im Buchmedium Strukturen entwickelt, die denen der Hyperfiktion verwandt sind, so unterscheidet sich sein Verfahren gerade dadurch wesentlich von Hyperfiktionstechniken. Denn im Unterschied zur medialen, digital realisierten entwirft Butor eine konzeptuelle Hyperfiktionalität.23 Aus dieser Differenz zwischen konzeptueller Hypertextualität und medialer Textualität, zwischen multilinearer Erzählung und monolinearem Medium ergibt sich das Innovationspotenzial und der ästhetische Reiz des Romans. Das Beispiel Butors zeigt, dass moderne Subversionen in einem ästhetisch wirksamen Spannungsverhältnis zu ihrem materiellen Träger stehen. Erst aus der komplexen Relation zwischen experimentellen Techniken und einem Medium, das sich gegen sie sperrt, zwischen medialer Textualität und konzeptueller Hyperfiktionalität entsteht in diesem Fall die tatsächliche ästhetische Wirkung. Alle Versuche, die Linearität der Buchform zu sprengen und ein multisequentielles Erzählen zu ermöglichen, gewinnen erst vor dem Hintergrund der medialen Rahmenbedigungen und in Spannung zur linearen Verlaufsform der Schrift an Profil. Nur in diesem Spannungsverhältnis sind sie auch ästhetisch reizvoll.

Alle Versuche, literarische Texte in einem Netzwerk intertextueller Verweise miteinander zu koppeln und dadurch die Grenzen des Textes zu überschreiten, sprengen die in der geschlossenen Form manifest werdenden Grenzen des Buches. Auch die Bestrebungen des nouveau roman, die archäologische und teleologische Struktur des Romans zu unterminieren und Texte ohne Anfang und Ende bzw. mit mehreren Anfängen und Enden zu konzipieren, lassen sich in dieses ästhetische Programm der Überschreitung der eigenen technischen und medialen Möglichkeiten einordnen. Wir können also festhalten, dass ein Teil der modernen Literatur ihr besonderes ästhetisches Potenzial aus dem agonalen Bezug zu ihren eigenen technischen, medialen und diskursiven Rahmenbedingungen und dem Versuch ihrer Überschreitung bezieht. Das agonale Fundament dieser Ästhetik tritt dann besonders deutlich hervor, wenn moderne Texte, die sich konzeptueller Hypertextualität bedienen, als Hypertext ediert werden. Denn hier sind die Türen, die der experimentelle Text einrennen will, bereits weit geöffnet, der provokative Sprengsatz verpufft ins Leere.24 Damit geht die ästhetische Differenz zwischen ästhetischem Konzept und medialer Technik verloren.




PhiN-Beiheft 2/2004: 151



5 Die ästhetische Differenz (in) der Hyperfiktion

Wenn hingegen Hyperfiktionen spezifische ästhetische Wirkungen entfalten wollen, die auf dem Prinzip ästhetischer Differenz beruhen, müssen sie sich anderer Verfahren bedienen als die moderne Ästhetik des Buches. Dies lässt sich anhand einiger exemplarisch ausgewählter hispanischer Hyperfiktionen illustrieren, welche die Möglichkeiten des elektronischen Mediums konsequent nutzen, andere Medien und deren Darstellungsmöglichkeiten in die Hyperfiktion zu integrieren, um diese intermediale Differenz ästhetisch zu nutzen.


5.1 Juan B. Gutiérrez. Condiciones extremas (1998)

Dies ist etwa bei einer der ersten spanischsprachigen Hyperfiktionen überhaupt, der von Juan B. Gutiérrez entwickelten, multimedialen Hyperfiktion Condiciones extremas (1998) der Fall.25 Es handelt sich um eine Science-Fiction-Story, die in Bogotá zu drei verschiedenen Zeitpunkten, 1998, 2050 und 2090 spielt. Erzählt wird die Geschichte der Wissenschaftlerin Miranda Macedonia, des Großindustriellen Índigo Cavalera und des Mutanten Equinocio Deunamor. Neben einer entwickelten Hypertext-Struktur enthält die Web-Site eine Reihe von Funktionen, welche zunächst einmal die Aufgabe haben, dem Benutzer die Orientierung zu erleichtern. Eine Hilfsfunktion sorgt für die Lösung von Problemen bei der Exploration, ein Briefkasten ermöglicht den Dialog mit den Autoren und ein Menü erlaubt es Lesern, die weniger mit multimedialen Hyperfiktionen vertraut sind, lediglich den Hypertext ohne zusätzliches audiovisuelles Material zu erkunden. Die für den hier behandelten Zusammenhang wichtigsten Hilfsfunktionen bestehen aus einer Karte der Hyperfiktion und dem Angebot einer Option "previo & próximo" im Navigationsmenü, die beide eine lineare Lektüremöglichkeit anbieten. Darüber hinaus liefert die im Menü anwählbare Option "argumento" eine Zusammenfassung der Handlung. Der Leser kann sich auf diese Weise mit der Makrostruktur des Textes vertraut machen, und die Hyperfiktion mit dem Wissen um die wichtigsten Elemente der Geschichte explorieren. Die Lektüre der Zusammenfassung bietet allerdings lediglich eine Orientierung, jedoch noch keinen Schlüssel für die Deutung des Textes. Die tatsächliche Bedeutung der Erzählung ergibt sich erst aus der ästhetischen Wirkung der Hypertextstruktur (vgl. Pajares Tosca 1998). Der besondere Effekt entsteht dadurch, dass die Links eine direkte Beziehung zwischen unterschiedlichen Lebensabschnitten der Figuren in den Jahren 1998, 2050 und 2090 herstellen. Sie ermöglichen auf diese Weise Verknüpfungen, die quer zur linearen Abfolge eines Buchtextes liegen und somit eine Zeitreise jenseits der chronologischen Abfolge gestatten. Auf diese Weise modellieren die Hypertextstruktur und die durch sie modellierte ästhetische Erfahrung den zentralen Aspekt der Erzählung.

Bemerkenswert ist allerdings nicht nur die hyperfiktionale Modellierung des Themas, sondern auch, dass deren spezifischer, ästhetischer Effekt durch eine Inszenierung der agonalen Beziehung zwischen der linearen Struktur des Printmediums und der hypertextuellen Struktur digitaler Literatur hervorgerufen wird. In dieser Hinsicht stellt die Zusammenfassung der Handlung und damit die Ermöglichung einer linearen Lektüre mehr dar als nur eine reine Hilfsfunktion, die dem Leser die Orientierung erleichtern soll. Sie ermöglicht es dem Nutzer, die von ihm selbst interaktiv hergestellten Verknüpfungen einzelner Sequenzen vor der Folie der Makrostruktur wahrzunehmen. Der Gegensatz zwischen abstrakter Handlungsstruktur und konkreter, durch Verlinkung hergestellter Hyperfiktion ergibt auf diese Weise eine ästhetisch wirksame Spannung. Nimmt man noch die durch die Funktion "mapa" und den Lektüremodus "previo & próximo" bereit gestellte Möglichkeit einer linearen Lektüre hinzu, so zeigt sich, dass Condiciones extremas nicht einfach eine Hyperfiktion vorlegt, sondern eine Erzählung, welche die Spannung zwischen Printerzählung und Hyperfiktion selbst in wirkungsvoller Weise inszeniert und daraus besondere ästhetische Effekte bezieht.




PhiN-Beiheft 2/2004: 152



5.2 Jaime Alejandro Rodríguez Ruiz. Gabriella Infinita

Ein noch interessanteres Beispiel intermedialer Inszenierung ästhetischer Differenzen bietet die Hyperfiktion Gabriella Infinita (2000), da der Autor, Jaime Alejandro Rodríguez Ruiz, seine Geschichte gleich in dreifacher Form darbietet: zunächst in einer Druckfassung als herunterladbare pdf-Datei, dann als Hypertext und schließlich in einer Hypermedia-Bearbeitung.26 Erzählt wird die Geschichte von Gabriella Angel, einer jungen schwangeren Frau, die sich im vom Krieg zerstörten Bogotá auf die Suche nach ihrem Geliebten und Vater des von ihr erwarteten Kindes, Frederico Soler, begibt. In seinem Apartment findet sie eine Reihe von Gegenständen und Aufzeichnungen Fredericos vor, die Erinnerungen an ihre gemeinsame Vergangenheit evozieren und sie schließlich das Motiv seines Verschwindens erahnen lassen. Die Geschichte von Gabriellas Suche wird allerdings mit zwei weiteren Geschichten verflochten, mit der Geschichte einer Gruppe von Menschen, die in einem Gebäude eingeschlossen sind und schließlich mit der Geschichte des Erzählers bzw. seines Erzählprojektes.

Bereits die Buchversion arbeitet allerdings mit komplexen Techniken, die in Spannung zur linearen Abfolge der Lektüre und der Chronologie stehen. Denn die drei Handlungsstränge werden im Wechsel erzählt, wobei die einzelnen Sequenzen jeweils aus relativ kurzen, zumeist halb- oder einseitigen Abschnitten bestehen. Rodríguez Ruiz bedient sich dabei unterschiedlicher Erzählsysteme: Gabriellas Geschichte wird in den Vergangenheitstempora imperfecto und indefinido und in personaler Perspektive, die Geschichte des Erzählers wird in der autobiographischen Perspektive erzählt, wobei die Zeit der Erinnerung im Präsens ("Ahora lo recuerdo perfectamente"), die erinnerte Zeit im indefinido/imperfecto geschildert wird ("Eso fue lo que me reveló la lectura del poema [...]"; Rodríguez Ruiz 2000: 5) Die Passagen, die von der Gruppe der eingeschlossenen Figuren handeln, weisen eine deutlich markierte intermediale Struktur auf: Denn sie berichten aus einer neutralen Außenperspektive im Präsens von Ereignissen, die zur gleichen Zeit wie die Erzählung ablaufen: "Un salón de desechos. Se oyen las quejas de quienes pudieran ser los sobrevivientes de las explosiones. Un hombre surge de entre los despojos." (Rodríguez Ruiz 2000: 11) In späteren Abschnitten wird deutlich, dass es sich um eine Form filmischen Schreibens handelt: "Escena de iconos simultáneos. Podremos observar – gracias a la ausencia de la cuarta pared – dos planos que se alternan [...]." (Rodríguez Ruiz 2000: 71) Diese intermedialen Verfahren bestimmen weitere Abschnitte des Buches: So findet Gabriella in Fredericos Wohnung Manuskripte (40–50), Video-Kassetten mit Dokumentarfilmen (53–57) und Audio-Kassetten (60–68) mit Reflexionen und autobiographischen Erzählungen verschiedener Personen. Hier versucht Rodríguez Ruiz zum Teil den mündlichen Duktus eines Gesprächsausschnitts im Medium der Schrift wiederzugeben: "Mire, explicar porque San Francisco es muy complejo. Lucas viajó a California y eso vale como si cada uno de nosotros lo hubiese hecho." (60).




PhiN-Beiheft 2/2004: 153


Während die einzelnen Texte die Techniken bestimmter Medien simulieren, folgt die Gesamtkomposition des gedruckten Textes dem Prinzip konzeptueller Hyperfiktionalität. Die drei Handlungsstränge sind in einzelne Sequenzen von relativ geringem Umfang (eine halbe bis eine Seite) zerlegt, wobei die lineare Abfolge der Lektüre nicht zwingend einer chronologischen Abfolge entspricht, so dass einige Abschnitte trotz der Nummerierung wie z.B. in den Sequenzen mit Frederico (Catástrofe 1–12) oder den Eingeschlossenen (Atrapados 1–14) gegeneinander ausgetauscht werden können. Die Nummern indizieren keine chronologische Folge. Sie dienen vielmehr allein der Identifikation von Textabschnitten, deren Identität nicht mehr eindeutig durch eine Position in der chronologischen Abfolge der Geschichte festgelegt ist. Auch die nicht nummerierten Sequenzen der Geschichte Gabriellas ergeben keine feste zeitliche Abfolge, denn sie erzählen lediglich die Entdeckung verschiedener Dokumente, Filme oder Audio-Kassetten, die bestimmte Erinnerungen wachrufen oder Gabriella Aufschlüsse über die Motive für die Flucht ihres Geliebten geben. Die Sequenzen beleuchten somit verschiedene Ereignisse aus unterschiedlichen Gesichtspunkten, sind jedoch selbst nicht chronologisch geordnet. Es ergeben sich allerdings Verbindungen, die quer zur linearen Anordnung der Handlung liegen. Das Prinzip alternierenden Erzählens stellt jeweils Verknüpfungen zwischen zwei parallelen Sequenzen her, die nicht auf der Ebene der Handlungslogik angesiedelt sind. So beleuchten sich die Gegenstände und Ereignisse wechselseitig: Die Schwangerschaft und die Wandlung Gabriellas und ihre Versuche, die Geschichte ihrer Beziehung zu Frederico zu rekonstruieren, stehen in Verbindung mit den Bemühungen des Erzählers, 'die' Geschichte der siebziger Jahre und seine eigene zu ordnen; Das Chaos in Fredericos Apartment und in den Straßen von Bogotá erscheint als Metonymie des Chaos im Leben des Erzähler-Ichs und die Situation der Eingeschlossenen stellt eine Metapher für die Ausweglosigkeit der Situation dar, in der er sich befindet. Rodríguez Ruiz hat die Geschichte in kleinere Textsegmente zerlegt, zwischen denen sich aufgrund der räumlichen Nähe eine Reihe quer zur chronologischen Abfolge der Geschichte und zur linearen Ordnung der Lektüre liegender Verknüpfungen ergeben. Das Syntagma narrativer Sequenzen wird durchzogen von nicht-linearen Querverbindungen, die sich zu mehreren hypertextuellen Metaphern zusammenfügen.

Die Beschreibung der Strukturen des Buchtextes zeigt, dass Rodríguez Ruiz sich einer agonalen intermedialen Ästhetik bedient, die im Printmedium Formen nicht-chronologischer, nicht-linearer Verknüpfung aufgreift, um besondere ästhetische Effekte zu erzielen. In diesem Punkt reiht sich Gabriella Infinita durchaus in die Phalanx der literarischen Avantgarden ein. Doch im Unterschied zu den Autoren der Moderne verfügt Rodríguez Ruiz über neue technische Möglichkeiten, die es ihm erlauben, sein Projekt in einem anderen Medium weiterzuentwickeln. Wie der Autor selbst in der Präsentation seines Werkes festhält, war Gabriella Infinita zunächst als Roman in Buchform konzipiert: "Gabriella infinita fue primero un libro, después un hipertexto y ahora [sic!] un hipermedia. ¿Volverá a mudar?" (Rodríguez Ruiz 2000).27 Allerdings hielt der Autor selbst die Veröffentlichung in Buchform für mangelhaft. Die Motivation für die Umwandlung des Romans ergab sich seinen Aussagen zufolge aus den Mängeln der Printfassung:




PhiN-Beiheft 2/2004: 154


Como toda opera prima, la versión novela de Gabriella Infinita es una obra ambiciosa pero no suficientemente lograda. Fragmentario, descentrado, potencialmente interactivo y con vocación audiovisual, este texto no pudo acomodarse sino parcialmente al formato libro. En primer lugar, muchos de sus fragmentos no lograban articularse al dispositivo narrativo tradicional, ya sea porque no correspondían al modelo de la narración lineal, ya porque su estatuto era abiertamente no narrativo. En segundo lugar, la novela no tenía un único centro: al menos tres historias pugnaban por imponerse. Si sumamos estos cuatro factores; el carácter "prescindible" de los fragmentos no narrativos, la falta de una historia central y poderosamente articulante, la exigencia implícita para que el lector llenase estos vacíos con su participación (y que consistiría en hacer su propio trayecto, escoger el centro de la historia, "marginando" las otras dos historias, y "consumir" o no la información adicional) y las pocas opciones que ofrece el medio impreso a la interactividad, se entiende por qué la novela fue mal valorada.28

Das Zitat zeigt, dass die konzeptuelle Multilinearität, Dezentrierung und Inkohärenz der Sequenzen der Anlass waren, nach einem anderen Medium zu suchen. Dennoch handelt es sich bei der im Internet zugänglichen Fassung der Geschichte nicht um eine bloße Hypertext- bzw. Hypermedia-Adaptation des Romans. Wie Gutierrez bietet auch Rodríguez Ruiz eine Reihe von Hilfsmitteln, die dem Leser die Orientierung in der hypertextuellen Struktur und das Verständnis der Erzählung erleichtern sollen. Auch hier steht dem Benutzer eine Zusammenfassung der Erzählung zur Verfügung, so dass er die Hypermedia-Version vor dem Hintergrund der Kenntnis der Geschichte erkunden kann. Bereits durch dieses Verfahren, das der oben erwähnten Delinearisierung der Erzählung im Printmedium durchaus vergleichbar ist, entsteht eine ästhetische Spannung. Während im Buch alternierende Formen der Erzählung die Linearität aufheben, sorgt in der Hypermedia-Version die visuelle Komponente etwa in Form der sich vor der Silhouette einer Stadt von links nach rechts bewegenden Gabriella für die Suggestion narrativer Linearität. Der erste der möglichen Pfade mit dem Titel "ruinas" ist darüber hinaus tendenziell stärker monolinear strukturiert, da hier der Weg Gabriellas durch die zerstörte Stadt und ihre Ankunft in der Wohnung von Frederico erzählt werden. Der Unterschied zur Printästhetik der Moderne liegt auf der Hand: Linearität ergibt sich nicht aus dem medialen Apriori der Schrift, sondern a posteriori, durch die ästhetische Qualität der Narration.

Das Bild des "mudanzas" betitelten Kapitels der Hypermedia-Fassung zeigt die Wohnung Fredericos. Beim Mouse-Over leuchten einige Gegenstände auf, die beim Anklicken ein Fenster mit einem linear angeordneten Text öffnen, der die gegenwärtigen Empfindungen und Gefühle Gabriellas wiedergibt. Am Ende der Texte öffnet ein weiterer Klick auf einen Pfeil jeweils ein neues, diesmal weiß gehaltenes Fenster, das einen narrativen Rückgriff mit Gabriellas Erinnerungen an Frederico enthält. Die im Raum angeordneten Gegenstände bilden auf diese Weise eine schöne mnemotechnische Metapher, denn die Empfindungen Gabriellas sind ebenso wenig in einer zeitlichen Folge angeordnet wie die Gegenstände im Raum, die ihre Erzählung strukturieren.




PhiN-Beiheft 2/2004: 155


In ähnlicher Form sind die Texte der dritten, "revelaciones" betitelten Sektion angeordnet. Bei Berührung mit der Maus treten aus dem schwarzen Hintergrund verschiedene Medien wie Ordner, Audio- und Videokassetten, Computerdisketten und Manuskripte hervor. Klickt man auf die Symbole, so erscheinen Drucktexte, handgeschriebene Manuskripte, Audiokassetten mit Tondokumenten, Videokassetten mit audiovisuellen Sequenzen oder Computerdisketten mit Texten. Bei allen Medien legt jedoch entweder die Nummerierung, die Anordnung im Raum oder aber die ästhetische Präsentation der einzelnen Dokumente die Rezeption in einer bestimmten Reihenfolge nahe. Zwar sind die einzelnen Medien wie auch die Gegenstände in der Wohnung Fredericos räumlich angeordnet, die Inhalte der Dokumente selbst präsentieren sich jedoch in einer durch ästhetische Techniken suggerierten Reihenfolge. Klickt man etwa auf das Symbol mit den Video-Kassetten, so erscheint ein Fenster, das beschreibt, wie Gabriella – ebenso wie der Benutzer – die Video-Kassetten findet. Scrollt man bis zum unteren Rand des Fensters, so gelangt der Benutzer zur Zeichnung eines Filmbandes mit der Aufschrift "dominoes master". Die einzelnen Bänder sind entlang dem Filmband angeordnet und zusätzlich durchnummeriert. Sowohl die Metapher des Dominos als auch die Nummerierung der Sequenzen suggerieren eine bestimmte monolineare Reihenfolge. Auch in den Fenstern mit Audiokassetten, Computerdisketten oder Manuskriptseiten wird Linearität auf mathematischem oder ästhetischem Wege angedeutet. Natürlich steht es dem Benützer jederzeit frei, die einzelnen Dokumente in einer anderen Reihenfolge zu konsultieren. Interessant ist jedoch, dass hier auf ästhetischem Wege Mono-Linearität suggeriert wird, obwohl die Technik des Hypertextes multilinear ausgerichtet ist. Gleiches gilt für die drei großen Kapitel "ruinas", "mudanzas" und "revelaciones", deren Anordnung im Raum ebenfalls eine lineare Abfolge von links nach rechts nahe legt. Im Kapitel "revelaciones" erscheint neben den drei großen Kapitelsymbolen eine zusätzliche Tür ganz rechts im Bild. Klickt man darauf, so wird ein Fenster sichtbar, das bei einem weiteren Klick auf einen Pfeil mit der Aufschrift "voz Gabriella" einen Schlussmonolog Gabriellas abspielt, die auf diese Weise das "letzte Wort" der Hyperfiktion behält. Die Tendenz der intermedialen Ästhetik von Rodríguez Ruiz ist deutlich geworden. Im monolinearen Medium der Schrift sucht er – ganz dem Programm der Avantgarde des Buchmediums gemäß – die Grenzen des Printmediums durch eine Struktur aus kleineren Textabschnitten und deren möglicher Kombination mittels Querverweisen zu überwinden. Im Unterschied dazu enthält die Hypermedia-Fassung der Geschichte auf der Basis eines multilinearen Hypertexts Strukturen, die dessen Multilinearität konterkarieren. Dies geschieht zunächst durch die Präsentation einer Zusammenfassung der Geschichte und durch die Integration der Printversion in den Hypertext. Darüber hinaus legt Rodríguez Ruiz jedoch auf ästhetischem Wege eine Abfolge der Lektüre nahe, die im Printmedium auf rein technischem Wege erzeugt wird.

Die Techniken und Ästhetiken des Print- und des Hypertextes sind somit in einem intermedialen Chiasmus angeordnet. Dort, wo das Buch als geschlossenes Ganzes mit einem Anfang und Ende und einer monolinearen Struktur das mediale Apriori der Produktion und Rezeption darstellt, werden ästhetische Effekte durch intratextuelle Rückkoppelungen, intertextuelle Verweise und mehrfache Enden gewonnen. Dort allerdings, wo all diese Strukturen bereits technisch realisiert sind, erzeugen Hypertexte ästhetische Differenz zu ihrer eigenen medial bedingten Offenheit etwa durch die Rezentrierung zerstreuter Textfragmente oder aber durch deren Linearisierung und Chronologisierung. Wenn die Einheit des Textes materiell und technisch nicht mehr vorgegeben ist, kann es eine reizvolle Aufgabe sein, sie durch ästhetische Verfahren zu erzeugen. Wenn das Buch auf technischem Wege eine geschlossene Struktur bietet, stellt dessen Öffnung für andere Texte eine Herausforderung und einen besonderen ästhetischen Mehrwert dar. Dort jedoch, wo die Offenheit technisch bereits realisiert ist, kann die Schließung des Textes durch interne Kohärenzen spezifische ästhetische Wirkungen hervorrufen.




PhiN-Beiheft 2/2004: 156



6 Ästhetische Theorie und agonale Ästhetik

Ein ähnlicher Chiasmus zwischen Technik und Ästhetik der Print- und der Hyperfiktion ergibt sich auch auf der Ebene der theoretischen Auseinandersetzung. Im Unterschied zu den Buchtexten der Moderne gilt für Hypertexte, Hyperfiktionen und Hypermedien die Kollusion zwischen poststrukturalistischer Theorie und literarischer Praxis nicht mehr in der gleichen Weise. Denn wenn sich Leser tatsächlich im Rahmen von Mitschreibeprojekten an der Abfassung von Werken beteiligen, als deren Ko-Autoren sie nicht mehr nur in einem metaphorischen, sondern in einem konkret materiellen und juristischen Sinne aufzufassen sind, wenn Texte tatsächlich nur noch durch einen Titel zusammengehalten werden und in der materiellen Realität aus einer komplexen Verweisstruktur zwischen relativ autonomen Einzeltexten bestehen, dann sind zentrale Kategorien des literarischen Diskurses nicht mehr bloß theoretisch, sondern auch praktisch aufgehoben. Wenn die technischen, materiellen und medialen Rahmenbedingungen bereits Strukturen hervorbringen, welche die Moderne dem geschlossenen, linearen Buchtext abgerungen hat, wenn diese nicht am Ende, sondern bereits am Anfang des ästhetischen Prozesses stehen, dann können sie nicht mehr das Resultat einer genuinen ästhetischen Leistung sein. Damit ist die Wirkung von Hypertexten jedoch eine doppelte und doppeldeutige: Auf dem Gebiet der Schreibpraktiken bedeutet die Konvergenz von moderner Ästhetik und hypertextueller Medientechnik einen Verlust an ästhetisch bedeutsamer Spannung. Auf der Ebene des Diskurses allerdings durchbricht die hypertextuelle Medientechnik die Grenzen des literarischen Sicherheitssystems und wird zur sozialen Praxis. Sie bietet damit die Möglichkeit einer Veränderung der realen, materiellen Bedingungen der Produktion und Rezeption von Literatur. Dank der Technik wird die Theorie der Printliteratur zu einer Praxis, die allein aus diesem Grund nicht mehr mit dieser Theorie selbst zu beschreiben ist, zu einer Praxis, die vielmehr neue und andere Zugänge erfordert. Diese neue Praxis verlangt einer künftigen Theorie der Hyperfiktion vor allem eins ab: sich von der Vorherrschaft und Vormundschaft einer Theoriebildung zu lösen, die am Medium des Buches erarbeitet wurde.


Bibliographie

Aristoteles (1979): Poetik, gr.-dt.. Leipzig: Reclam.

Barthes, Roland (1970). S/Z. Paris: Seuil.

Bauer, Elisabeth (2004): "Die Lust am Fehler: Deautomatisierung in der frankophonen digitalen Literatur", in: Jörg Dünne / Dietrich Scholler / Thomas Stöber (Hg.): Internet und digitale Medien in der Romanistik: Theorie – Ästetik – Praxis. Berlin, ##–##. [http://www.fu-berlin.de/phin/beiheft2/b2t02.htm]




PhiN-Beiheft 2/2004: 157


Borges, Jorge Luis (1971): "El jardín de senderos que se bifurcan", in: ders.: Ficciones. Madrid: Alianza, 101–116.

Bourdieu, Pierre (1987): Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.

Bradbury, Malcolm (1987): My Strange Quest for Mensonge. Structuralism's Hidden Hero. London: Arena.

Butor, Michel (1956): L'Emploi du Temps. Paris: Minuit.

Calvino, Italo (1979): Se una notte d'inverno un viaggiatore. Torino: Einaudi.

Compagnon, Antoine (1998): Le démon de la théorie. Littérature et sens commun. Paris: Seuil.

Cortázar, Julio (1963): Rayuela. Buenos Aires: Sudamericana.

Cramer, Florian (1996–1998): [Citation de] Raymond Queneau, Cent mille milliards de poèmes. [http://userpage.fu-berlin.de/~cantsin/permutations/queneau/poemes/poemes.cgi#blocked, 14.5.2004]

Derrida, Jacques (1978): La vérité en peinture. Paris: Flammarion.

Douglas, J. Yellowlees (1994): "'How do I stop this thing?' Closure and Indeterminacy in Interactive Narratives", in: George P. Landow (Hg.): Hyper/Text/Theory. Baltimore / London: The Johns Hopkins University Press, 159–188.

Foucault, Michel (1974): Schriften zur Literatur, dt. v. Karin v. Hofer und Anneliese Botond. München: Nymphenburger.

Gutiérrez, Juan B (1998). Condiciones extremas. [http://www.condicionesextremas.com/src/initium.aspx, 13.5.2004]

Heibach, Christiane (2001): "Ins Universum der digitalen Literatur: Versuch einer Typologie," in: Simanowski, Roberto (Hg.): Digitale Literatur. Text und Kritik, Heft 152, 31–42.

Heibach, Christiane (2003): Literatur im elektronischen Raum. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.

Jackson, Shelley (1995): Patchwork Girl, Storyspace. Cambridge, Massachusetts: Eastgate Systems.

Jannidis, Fotis et al. (Hg.) (1999): Rückkehr des Autors. zur Erneuerung eines umstrittenen Begriffs. Tübingen: Niemeyer.




PhiN-Beiheft 2/2004: 158


Joyce, Michael: Afternoon (1987). Storyspace. Cambridge, Massachusetts: Eastgate Systems.

Koch, Peter / Oesterreicher, Wulf (1985): Sprache der Nähe – Sprache der Distanz. Mündlichkeit und Schriftlichkeit im Spannungsfeld von Sprachtheorie und Sprachgeschichte. in: Romanistisches Jahrbuch 36, 15–34.

Landow, George P. (1997): Hypertext 2.0. The Convergence of Contemporary Critical Theory and Technology. Baltimore: Johns Hopkins University Press.

Machado, Antonio (1964): Obras. Poesía y Prosa, edición reunida por Aurora de Albornoz y Guillermo de la Torre, Buenos Aires: Losada.

McLuhan, Marshall (1994): Understanding Media. London: Routledge. [1964]

Mecke, Jochen (1990): Roman-Zeit: Zeitformung und Dekonstruktion des französischen Romans der Gegenwart. Tübingen: Narr.

Nelson, Theodor H. (1987): Literary Machines. Swarthmore Pennsylvania, Self-Published.

Oulipo (1981). Atlas de littérature potentielle. Paris: Gallimard.

Paech, Joachim (1988): Literatur und Film. Stuttgart: Metzler.

Pajares Toska, Susana (1998): "Juan B. Gutiérrez. Condiciones Extremas". [http://www.ucm.es/info/especulo/hipertul/condex.html, 13.5.2004]

Queneau, Raymond (1961): Cent Mille milliards de poèmes. Paris: Gallimard.

Resnais, Alain (1993). Smoking – no smoking. (F).

Réza, Yasmina (2000). Trois versions de la vie. Paris: Albin Michel.

Rodríguez Ruiz, Jaime Alejandro (2000). Gabriella Infinita. [http://www.javeriana.edu.co/gabriella_infinita].

Romano, Fred (2000): Edward_Amiga. [http://leo.worldonline.es/federica/ edam/indexb.htm]

Schmitt, Eric-Emmanuel (2001). La part de l'autre. Paris: Albin Michel.




PhiN-Beiheft 2/2004: 159


Simanowski, Roberto (2002): Interfictions: Vom Schreiben im Netz. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.

Tykwer, Tom (1998). Lola rennt. (D).

Verreault, Jean-François / Tande, Leif / Boudreault, Martin (1998–2000): Le Nœud. [http://www.total.net/~amnesie/, 13.5.2004]

Winko, Simone (1999): "Lost in Hypertext? Autorenkonzepte und neue Medien", in: Fotis Jannidis u.a. (Hg.): Rückkehr des Autors. Zur Erneuerung eines umstrittenen Begriffs. Tübingen: Niemeyer, 511–533.


Anmerkungen

1 Die Übergänge zwischen beiden Textformen sind allerdings fließend. Denn auch Textblöcke lediglich digitalisierter Texte können durch das Anhängen bestimmter Verknüpfungen in Knoten umgewandelt werden.

2 Diese nicht-lineare räumliche Struktur des Buches wurde immer wieder von der literarischen Moderne genutzt, um die lineare Struktur der Geschichte zu konterkarieren (s.u.). Die Auswirkungen innerhalb des Buches weichen allerdings von denjenigen im Hypertext radikal ab.

3 McLuhan hat diese intermediale Struktur in seiner berühmten These auf den Punkt gebracht: "[T]he content of any medium is always another medium" (McLuhan 1994: 8), ein Satz, der, nebenbei bemerkt, auch für das elektronische Medium gilt. Die meisten Textverarbeitungsprogramme benutzen bekanntlich Buchseiten als Systemmetapher, um den Benutzern die Orientierung im elektronischen Raum zu erleichtern.

4 Die Diskussion über Linearität und Nicht-Linearität betrifft natürlich zumeist den Makrobereich. Für den Mikrobereich einzelner Sätze und Syntagmen gilt zumindest in den narrativen Gattungen, dass diese auch bei einer Hypertext- und Hyperfiktionslektüre zumeist in linearer Abfolge rezipiert werden.

5 Es dürfte sicherlich kein Zufall sein, dass mit der größeren Bekanntheit des Hypertextes auch die Erzählung alternativer Geschichten innerhalb eines Theaterstückes, Romans oder Films zugenommen haben: Das bekannteste filmische Beispiel dieser narrativen Multilinearität im französischen Film dürfte sicherlich Alain Resnais' Smoking – No Smoking (1993) sein, das auf einem Theaterstück von Alan Ayckbourn basiert. Auf dem gleichen Prinzip beruhen der Film Lola rennt von Tom Tykwer (1998), Yasmina Rézas Theaterstück Trois versions de la vie (2000) und der parahistorische Roman La part de l'autre von Eric-Emmanuel Schmitt (2001), der die tatsächliche im Wechsel mit der möglichen Lebensgeschichte Adolf Hitlers erzählt.

6 Die Unterscheidung zwischen vernetzter und unvernetzter digitaler Literatur übernehme ich von Christiane Heibach (2001: 33).

7 Die ästhetischen Konsequenzen dieser Technik werden weiter unten abgehandelt.

8 Dieser Gedanke findet sich bereits bei Nelson (1987: 61, 48): "There is no final word. There can be no final version, no last thought" (zit. nach Landow 1997: 77ff.).




PhiN-Beiheft 2/2004: 160


9 Zur Unabschließbarkeit und Unbestimmtheit von Hyperfiktionen s. J. Yellowlees Douglas (1994: 159–188).

10 In der aristotelischen Poetik entspricht eine solche Anordnung, in der die einzelnen Sequenzen weder mit Notwendigkeit noch mit klarer Wahrscheinlichkeit aufeinander folgen, der von ihm kritisierten episodischen Struktur (Aristoteles 1979: 37; 1451b). Damit ist die Linearität der Lektüre keineswegs aufgehoben, allerdings wird sie weder erzähl- noch medientechnisch als eindeutige Abfolge von Sequenzen und Seiten festgelegt.

11 Allerdings gibt es hinsichtlich der Fragmentierung des Textes und der großen Zahl von Kombinationsmöglichkeiten einen wichtigen Unterschied zwischen Sachtexten und literarischen Fiktionen: Während Sachhypertexte dem Leser soviel Orientierung wie möglich zu bieten suchen, nutzen einige Hyperfiktionen die dem Medium inhärenten Möglichkeiten der Desorientierung, um bestimmte ästhetische Wirkungen zu erzielen; vgl. z.B. Romano (2000) und Bauer (2004).

12 Vgl. Landow (1997: 33–48). Die Feststellung solcher Konvergenzen ist für Landow nicht nur ein Nebenprodukt, sondern das Programm seiner Analysen, wie etwa der Untertitel "Convergence of Contemporary Critical Theory and Technology" verdeutlicht.

13 Das Endergebnis wäre also bestenfalls ein Nullsummenspiel. (Vgl. dazu Simanowski 2002: 67).

14 Es dürfte nicht uninteressant sein, dass die mit dem Hypertext verbundenen technischen Neuerungen, die eine große Herausforderung an die Theorie darstellen, ausgerechnet in eine Zeit fallen, in der sich Theoriemüdigkeit und eine partielle Rückkehr zu einstmals kritisierten Kategorien breit macht (vgl. Compagnon 1998 und Jannidis 1999).

15 Auch andere von Foucault als Alternative zum Autor genannte Kandidaten für den Platz des Autors wie etwa das Werk und die "écriture" – die Liste ließe sich ergänzen – verändern diese Struktur nicht, sondern scheinen sie zu perpetuieren (vgl. Foucault 1974: 13f.).

16 Die Notwendigkeit der Trennung dieser beiden Bereiche macht Malcolm Bradbury in seiner Satire Mensonge durch die Ironie eines Kategorienfehlers deutlich: Nach der Abfassung seines Aufsatzes, so wird erzählt, habe Barthes die Tantiemen für seine Bücher nicht mehr erhalten, so dass er gezwungen gewesen sei, in der Metro zu betteln (Bradbury 1987: 22f.).

17 Einen Ausweg aus dieser reduzierten Logik von Destruktion und Rekonstruktion sucht bekanntlich die Dekonstruktion solcher Hierarchien, wie sie Jacques Derrida praktiziert. Pierre Bourdieu hat allerdings auch die Dekonstruktion dem Verdacht ausgesetzt, genau an jenen Hierarchien zu partizipieren, die sie innerhalb des ästhetischen Diskurses zu unterminieren sucht. In seiner Analyse zeigt er, wie Derridas in La Vérité en Peinture (1978) unternommene Dekonstruktion der Kantianischen Hierarchie zwischen legitimen ästhetischen Wohlgefallen und illegitimer sinnlicher Lust durch die eigene Praxis an dieser Hierarchie partizipiert. Mehr noch: Sie führt die auf der Objektebene dekonstruierte "Distinktion" zwischen der (vermeintlichen) Interesselosigkeit, Erhabenheit und Distanz des ästhetischen Diskurses und einem auf die Wahrheit der kantschen Ästhetik ausgerichteten "vulgären" Diskurs auf der Metaebene wieder ein (Bourdieu 1987: 773ff.). Damit unternehme Derrida lediglich eine Pseudoobjektivierung der eigenen Position, indem er die eigene Tradition zum Gegenstand erhebt und sich selbst durch die Übertretung der Grenze zwischen Ernstem und Frivolem, zwischen universitärem und literarischem Diskurs gleichzeitig als Avantgarde in Szene setze und sich dennoch als "distinguierter" Diskurs geriere (S. 778).

18 Dies gilt ungeachtet der Tatsache, dass sich Barthes und Foucault in den sechziger Jahren der vermeintlichen, politischen Konnotationen ihrer Thesen bewusst waren und diese mit einkalkuliert haben. Demokratisierung und Vergesellschaftung des literarischen Eigentums, nichts weniger als das schien Roland Barthes zu verkünden und damit auch der Literatur jene Revolution der Machtverhältnisse zu bescheren, die auf den Straßen von Paris gefordert wurde.




PhiN-Beiheft 2/2004: 161


19 Im Gegenteil, man könnte sogar der Auffassung sein, dass der Autor nicht eine Schwächung, sondern vielmehr eine Stärkung seiner Position erfährt, da er nunmehr nicht nur für den Text, sondern auch für dessen Verlinkung und dessen Edition zuständig ist (vgl. Winko 1999).

20 In der Tat ist der Verweis auf die Konvergenz zwischen moderner und postmoderner Ästhetik im Printmedium und den medialen Strukturen der Hyperfiktion inzwischen zu einem Topos der Hyperfiktionstheorie geworden (vgl. z.B. Simanowski 2002: 66; Heibach 2003: 68–142).

21 So zum Beispiel die von Florian Cramer aufbereitete elektronische Fassung von Queneaus Cent Mille milliards de poèmes (1961), einem Gedicht dessen Varianten sich allein aus der Kombinatorik einer kleinen Anzahl festliegender Verse ergeben, die auf zehn Sonette verteilt sind. Die Hunderttausendmilliarden Gedichte entstehen aus der Kombination der einzelnen Verse, die in der 'Buchfassung' jeweils auf einem Seitenausschnitt angeordnet sind, vgl. die elektronische Edition von Cramer (1996–1998).

22 Vgl. dazu die ausführliche Analyse der Strukturen des Romans in Mecke (1990: 70–129).

23 Die Unterscheidung zwischen konzeptueller und medialer Hypertextualität entnehme ich der Unterscheidung zwischen medialer und konzeptueller Mündlichkeit/Schriftlichkeit, die Peter Koch und Wulf Oesterreicher entwickelt haben; vgl. Koch / Oesterreicher (1985).

24 Ein ähnlicher Verlust an ästhetischer Differenz tritt ein, wenn literarische Werke, die sich filmischer Techniken bedienen, ihrerseits wieder verfilmt werden und der Film die damit tautologisch werdenden Filmtechniken des Buches getreu rekonstruiert (Paech 1988: 150).

25 http://www.condicionesextremas.com/src//initium.aspx (14.5.2004)

26 Die Hypertext-Fassung steht gegenwärtig leider nicht mehr im Netz zur Verfügung.

27 http://www.javeriana.edu.co/gabriella infinita/proyecto/historia.htm (14.5.2004)

28 http://www.javeriana.edu.co/gabriella infinita/proyecto/novela.htm (14.5.2004)