Nicola Suthor (Paris)
Zum "Ungläubigen Thomas" von Caravaggio aus der Sammlung Guistiniani.
ca 1600
(ca 22 min.)
Vortragstext
(ungekürzt)
"Caravaggio habe die Malerei zerstört", diese Anklage Nicolas Poussins, die das agressive Moment der Malerei Caravaggios bezeichnet, das den Betrachter mehr frappieren denn delektieren will, richtet sich auf die kalkulierten Verletzungen, die Caravaggio der Ordnung der Repräsentation mutwillig zufügt. Der künstlerische Fortschritt, hier erstmals als kriegerisches Unternehmen bezeichnet, liegt in dem absichtsvollen Verstoß gegen das Konzept des Historienbildes, das von kontingenten, die Artifizialität der Inszenierung entlarvenden Einschüssen unterminiert wird. Statt einer distanzierten, geistigen Kontemplation des Bildes, das eine eigene, in sich stimmig abgeschlossene Welt darstellt, wird der Blick des Betrachters von irritierenden, scheinbar sinnlosen Zufälligkeiten gefesselt, die die Repräsentation aus dem Lot bringen und eine geheime, unterschwellige Gegensichtbarkeit in die manifeste Repräsentation einschreiben.
Das um 1600 datierte Gemälde "Der ungäubige Thomas" aus der Sammlung Guistiniani, heute im Schloß Sanssouci in Potsdam, erstaunt durch die intime Nähe, die die halbfigurige Historie herstellt, und erschreckt durch die drastische Schilderung der Berührung der Wunde. Der Zeigefinger des Thomas stößt in das Fleisch Jesu, wodurch die Haut sich oberhalb des eindringenden Fingers faltig aufwirft. Diese Penetrierung der Seitenwunde wird durch Thomas’ aufdringlichen Blick verstärkt, der der Berührung zu folgen scheint. Statt das Ereignis der Bestätigung der Leibhaftigkeit der Erscheinung Jesu vor seinen Jüngern in einer repräsentativen Darstellung zu feiern, gleicht das Bild Caravaggios einer mysteriösen Verschwörung, in welchem der auferstandene Jesus mit dreien seiner Jünger, von prosaischer Alltäglichkeit und von Alter gezeichnet, die Köpfe zusammensteckt.
Die zentrale Figur des Bildes ist nicht der Auferstandene, sondern der Ungläubige, der seine linke Hand in die Hüfte gestemmt und seinen Oberkörper zur Wunde Jesu hin vorgebeugt hält, um mit seiner Rechten in der Wunde zu bohren. Hierbei wird Thomas’ Hand von der Linken Jesu, die sie am Handgelenk ergreift, geführt. Die Anstrengung des Begreifens des corpus mysticum hat sich auf die in tiefe Querfalten gelegte Stirn gezeichnet. Auf Augenhöhe der Wunde, in irritierender Koinzidenz mit ihr, ist die Naht seiner Jacke an der Schulter aufgeplatzt und läßt das weiße Unterhemd an dieser körperlich raumgreifendsten Stelle, die die ästhetische Grenze durchstößt, hervortreten. Der dunkle Mantel, der über Thomas’ rechte Schulter gelegt, zur linken heruntergeglitten ist, isoliert ihn von den zwei Zeugen, die ihm im Nacken sitzen, und verdeckt die räumliche Anordnung der Personen, welche dadurch gedrängt erscheinen. Der nackte, im Inkarnat bereits Spuren der Verwesung aufweisende Körper Jesu, der die linke Hälfte des Bildes besetzt, ist mit dem Leichentuch, das um die Hüften geschlungen ist, bekleidet. Über die rechte Schulter gezogen, konzentriert es den Blick auf den Ort der Berührung, indem es ihn eingrenzt, und bindet Jesus an die Gruppe der drei Jünger. Hierbei wird der rechte Oberschenkel freigelegt. Das verschattete Haupt Jesu, das in der Wangenpartie eine leichte, die Erscheinung belebende Rötung zu erkennen gibt, ist Thomas zuneigt. Sein erschöpfter, nach innen versenkter Blick und die leicht geöffneten Lippen, deren Mundwinkel schmerzlich verzerrt erscheinen, können als Ausdruck seiner menschlichen Leibhaftigkeit begriffen werden.
Ihm gegenüber, mit der Körperhaltung Jesu verdeckt korrespondierend, befindet sich ein zweiter Apostel, der das Ereignis mit Spannung verfolgt. Über die Dreierformation beugt sich das Haupt eines von hohem Alter gezeichneten Jüngers, dessen kahle Stirn das Licht reflektiert. Er schließt die Gruppe zu einer rautenformigen Anordnung zusammen, die das zeitlich zugespitzte, schockierende Ereignis von einer eigenartigen Ruhe beherrscht sein läßt.
Die Reduzierung auf zwei Jünger, die dem Thomaszweifel beiwohnen, widerspricht der biblischen Vorlage. Während alle vier Evangelien den ersten Besuch Christi bei seinen Jüngern nach der Auferstehung darlegen, berichtet allein das Evangelium des Johannes vom zweiten Besuch, der die Fleischlichkeit des Auferstehungsleibes im Bekenntnis Thomas’ bezeugt. Das Evangelium des Lukas schildert, wie die Jünger auf die erste Erscheinung Christi, bei der Thomas, Johannes zufolge, nicht zugegen war, mit Verstörung reagieren, sogar den Verdacht hegen, die Erscheinung könnte ein Geist sein, worauf Jesus sie auffordert, ihn zu berühren, um sich von seiner Präsenz in "carnem" und "ossa" zu überzeugen. Auf den Bericht der Jünger reagiert Thomas mit der seinen Unglauben zum Ausdruck bringenden Behauptung, er werde nicht dem Erzählten Glauben schenken, eher er nicht Jesus selbst gesehen, berührt und seinen Finger in seine Seitenwunde gesteckt habe. Acht Tage nach der ersten Erscheinung, am Tag der Eucharistie, erscheint Jesus ein zweites Mal seinen Jüngern, und wiederholt das Verlangen des Thomas als Aufforderung an ihn. Als unmittelbare Reaktion auf die Aufforderung Jesu als Erhörung seines aus Unglauben geäußerten Wunsches liest sich im Text der Ausruf: "Mein Herr, Mein Gott!", der Thomas zum ersten Bezeuger der göttlichen Natur Jesu macht. Die Beschreibung der Berührung selbst ist im evangelischen Text ausgelassen, womit der Vollzug des Aktes im Ungewissen gehalten wird. In ihren Kommentaren zum Johannes-Evangelium haben sich Augustinus und Bonaventura kritisch von der Vorstellung einer leibhaftigen Berührung distanziert. (Augustinus, Tractatus 121,5; Commentarium in Evangelium Johannis 20, 66 u. 20, 68. Siehe Wolf, 137) Trotz dieser theologischen Skepsis hat sich seit dem 13. Jh. eine Darstellungstradition in Mittelitalien ausgebildet, die den Moment der tatsächlichen Berührung, der in der heiligen Schrift "fehlt", bildlich ausmalt.
Als Musterbeispiel einer sich der Autorität des Evangeliums fügenden Darstellung des "Ungläubigen Thomas" kann Francesco Salviatis monumentales um 1547 datiertes Altarbild (2,74x.2,33 m; Louvre, Paris) gelten, das das heilige Ereignis mit den Mitteln der Kunst feiert. Salviati inszeniert die Szene in einem säulenumstellten Innenraum. Der apollonische, im Kontrapost klassisch positionierte Körper des Auferstandenen ist einzig durch die Wundmale, die er ostentativ vorzeigt, vom Kreuzestod gezeichnet, für dessen triumphale Überwindung die Kreuzesfahne, die vage an seiner linke Seite lehnt, steht. Thomas, vor der Erscheinung Jesu in die Knie gegangen, streckt seine rechte Hand nach dessen Seitenwunde aus, während er mit seinen Augen den Blick des Auferstandenen sucht. Mit dem huldigenden Niederknien ist jedoch der Moment der Einsicht in das Mysterium Christi bereits formuliert. Die Augen, die den Blick des Herren suchen, und die Hand, die sich nach dessen Körper ausstreckt, treten als je eigene Weisen der Kontaktstiftung auseinander. Sein in der Schwebe gehaltener Finger wird durch den Zeigefinger, mit dem ein umstehender Jünger auf diesen weist, in seiner deiktischen Funktion profiliert, um ihn zugleich als taktiles Organ zu entkräften. Der Zeigefinger des Thomas berührt planimetrisch betrachtet lediglich den Außenkontur des auferstandenen Körpers, der auf seinem Leichentuch steht und dessen Realpräsenz dem Betrachter durch den Schattenwurf angezeigt ist. Statt daß also der Finger in den Körper Jesu eindringt, markiert er diese Grenze. Die feierliche Stimmung des Bildes, die sich um den intakten Leib Jesu aufbaut, überträgt sich auf den Betrachter, der von drei ihn adressierenden Augenpaaren in das Geschehen hineingenommen wird. Doch nicht unter ihnen, die prominent die Mittelsenkrechte und die Außenseiten besetzen, sondern in der Rückenfigur, die mit ihrer linken Hand auf das Geschehen zeigt, während ihre Rechte einen Folianten an die Hüfte stemmt, ist Johannes zu vermuten. Dieser sicherlich Jüngste unter den Zeugen, dessen Gesicht verschattet ist, hat als einziger den Mund zum Sprechen geöffnet. Die inserierten Folianten markieren die Fixierung des Bildes auf die Zeugenschaft der Evangelisten als Garanten von historischer Wahrheit. Erstaunlich ist, daß Salviati Thomas ebenfalls einen Folianten in die Hand gibt, Hinweis auf die apokryphen Thomasakten, die jedoch nichts über den Zweifel verlauten lassen, hingegen von der missionarischen Leistung des Judas Thomas berichten, der Überführung der konjugalen körperlichen Liebe in die Liebe zu Jesus als dem einzig würdigen Bräutigam - eine bekehrende Tätigkeit, die dem Apostel schließlich die Hinrichtung durch einen erbosten Ehemann einträgt.
Während Salviati mit der Insistenz auf die Zeugenschaft des Evangeliums das Moment der Gegenwärtigkeit der Repräsentation für den Betrachter über die Gültigkeit der Schrift stiftet, setzt Caravaggio mit seiner drastischen Darstellung der unanschaulich anschaulichen Penetrierung des corpus mysticum auf unmittelbare Mittleidenschaft als affektive Reaktion des Betrachters.
Doch dieses erschreckende Motiv ist nicht die genuine Erfindung Caravaggios, sondern vielmehr Darstellungstradition. Das Motiv der sich nach oben schiebenden Haut der Wunde findet sich beispielsweise bereits beim Meister des Bartholomäusaltars in seinem Thomasretabel von 1499, (Wallraf-Richartz Museum, Köln). Das Neue in der Bildlösung Caravaggios ist vielmehr die eindringliche, vielzu intime Nahansichtigkeit der halbfigurigen Historie, die den Thomaszweifel über eine symbolisch zu lesende Repräsentation hinaus als körperliches Ereignis ausstellt, das dem Betrachter selbst unter die Haut zu gehen trachtet. Aufschlußreich ist die künstlerische Rezeption des Bildes, an welcher zutage tritt, daß in der damaligen Zeit das Eindringen in den Körper Christi durchaus als schockierend wahrgenommen wurde.
Guercinos Auseinandersetzung mit Caravaggios Bild, um 1621 datiert, (National Gallery, London) zielt nicht nur auf eine Zurechtrückung der Gewichtung der Komposition, Jesus beherrscht prominent die Szene. Das Eindringen selbst ist raffiniert verborgen, der längere Mittelfinger ist vom Zeigefinger verdeckt, der die Wunde lediglich berührt. Das Moment der Berührung dramatisierend fügt Guercino eine hinter Jesus stehende Gestalt ein, die entsetzt die Hände erhoben hat, um Thomas von dem den Unglauben demonstrierenden Eingriff abzuhalten. Einige Jahre später, 1634, wird Rembrandts Invention das panische Zurückschrecken des Thomas selbst beim Anblick der blutenden Wunde sein (Pushkin Museum, Moskau).
Der Utrechter Maler Henrick Terbrugghen, der das Bild Caravaggios während seines Romaufenthaltes in der Sammlung Guistiniani studiert haben konnte, überzieht das Vorbild sogar mit einer genrehaft inszenierten, moralischen Auslegung des Thomaszweifels (1623). Das in Caravaggios Bild verhalten angedeutete Leid Jesu wird zum scherzverzerrten Gesicht gesteigert. Auch in diesem Bild ist der Auferstandene nun ins Zentrum gerückt. Die Unmittelbarkeit der Berührung ist jedoch zurückgenommen, da der Figur des Auferstandenen ein alter Zeuge auf der rechten Bildseite und Thomas auf der linken, die den unmittelbaren Bildvordergrund einehmen, vorgeblendet sind. Die originellste Invention Terbrugghens ist eine theologisch antithetisch, kompositionell quer zu einander angeordnete Gegenüberstellung: Den beiden Personen links oben im Bild, die Nicolson in seinem Tergrugghen-Katalog als Johannes und Maria identifizieren möchte, ist im rechten Bildvordergrund die Gestalt des bebrillten Alten entgegengesetzt. Während die untere Gestalt der Zweiergruppe ihre Augen geschlossen hat, und die über ihr befindliche im Gebet versunken ist, ich folge der Deutung Nicolson, beispielhaft für die Seligen stehen, die, dem Christus-Wort folgend, glauben ohne zu sehen, ist meineserachtens in der Figur des Alten die Darstellung eines Theologe zu vermuten, der mit seiner Wissenschaft den naiven Glauben zersetzt. Dieser Thomas zur Seite stehende Alte inspiziert den Eingriff in die Wunde, wenn er nicht gar die den Leib Jesu malträtierende Operation gedanklich leitet.
Der Terbrugghen nahestehende Bernardo Strozzi hat vermutlich im gleichen Zeitraum, um 1620, möglicherweise im Wettstreit, eine Version des Themas geschaffen, die ebenfalls das Vorbild von Caravaggio stark abwandelt, sich jedoch ihm tief verbunden zeigt. Es befindet sich heute im Comptom Verney House Trust (Peter Moores Foundation). Terbrugghen verwandt ist die Jesus-Thomas Gruppierung, wir blicken jeweils über die rechte Schulter des Thomas, der die linke Seite des Bildes einnimmt. Während jedoch bei Terbrugghen das Hauptmotiv durch die unterschwellige Intervention des bebrillten Alten an exzentrischer Dramatik zunimmt, jedoch an Intensität einbüßt, ist die Berührung des Fleisches hier von äußerster Intimität getragen. Strozzi hat das geballte Zusammenstoßen von Zeigefinger und Blick in der Wunde Jesu vermieden, das beim "Thomas" von Caravaggio die schockierende Eindrücklichkeit der Berührung ausmacht, welche selbst ein Exzess des Sehens ist, in welchem die geblendeten Augen, die "zuviel" sahen, überzugehen scheinen. Strozzi vorenthält dem Betrachter den Blick des Thomas, um vielmehr seinen kahlen Hinterkopf ins Licht zu setzen. Am rechten Bildrand hinter dem Rücken Jesu hervorschauend blickt ein älterer Apostel mit konzentrierter Aufmerksamkeit Thomas, dessen Zeigefinger auf sein rechtes Auge zeigt, ins Gesicht und supplementiert so den verborgenen Blick. Ihm gegenüber vom linken Bildrand beschnitten, ragt der Kopf des Johannes im Profil ins Bild. Auch sein Blick ist statt auf den Körper des Auferstandenen, auf Thomas geheftet. Beide Apostel sind in Erwartung des Glaubensbekenntnisses des Ungläubigen, der nicht dem Glauben der anderen Jünger Glauben schenken konnte, sondern vielmehr einen eigenen individuellen Glaubensbeweis forderte. Während Guercino und auch Terbrugghen ihre Überarbeitung der Bildlösung Caravaggios kritisch ausformulierten, spitzt Strozzi das erotische Moment der Berührung des Fleisches zu. Vom auffällig bleichen knabenhaften Körper Jesu hebt sich die Errötung seines Gesichtes, als Zeichen seiner Berührtheit, ab, die die lichthafte Erscheinung belebt, seine Karnation bestätigt. Die Berührung, die eine Bestätigung seiner menschlichen Leibhaftigkeit ist, scheint auch für ihn ein sinnliches Ereignis zu sein, das er mit einem leichten Lächeln, das seine Lippen umspielt, bejaht. Vergegenwärtigen wir uns die Thomas-Akten, so erscheint hier im Bild des Kapuziner-Mönches Strozzi Jesus als Bräutigam. Während bei Caravaggio die Hand Jesu eher unvermittelt aus dem Dunkel des Bildmittelgrundes zupackt, greift er bei Strozzi in einer eleganten Geste das Gelenk der Hand, wodurch sich deren Wundmal dem Betrachter ostentativ zeigt. Indem wir über Thomas’ Schulter ins Geschehen geführt werden, bietet dieser sich als Identifikationsfigur an und wir setzen der für uns blinden Figur schließlich unsere Augen ein. Die sicherlich eigenwilligste Korrespondenz, die Strozzi mit dem Bild Caravaggios aufnimmt, ist in dem auffälligen Motiv des am Ärmel Thomas’ hervortretenden Stoffes zu erblicken. Während bei Caravaggio dieses irritierende Detail sich durch eine aufgeplatzte Näht erklärt, handelt es sich hier um eine Jacke mit angehefteten Ärmeln. Das reich hervorquellende leinene Unterhemd wird durch das blutrote Futter der grünen Jacke gesäumt und bildet auf eigene Weise eine Entsprechung mit der zentralen Wunde. Dieser in den Betrachterraum fließende, seinen Blick gefangene nehmende Stoff bietet sich als erste Augenweide an. An dieser ins Bild einführenden Stelle wird die taktile Empfindsamkeit des Blicks geweckt, um über Thomas’ Schulter und Arm geführt für die sensationelle Berührung des Fleisches sensibilisiert zu sein. Über das Auge kann der Körper Jesu, wie er sich im Bild präsentiert, berührt, im spirituellen Sinne geliebt werden. Während bei Caravaggio also dieses scheinbar unbedeutende Detail im Sinne eines Reflexionsmomentes eine geradezu occulte Analogiebeziehung zur Seitenwunde aufbaut, nimmt Strozzi es aus der Konkurrenz mit der Wunde heraus, um über es schließlich in diese einzuführen.
Daß der Künstler im Detail steckt, ist auch bei dem Holbeinsgemälde "Der tote Christus" (Kunstmuseum Basel) festzustellen, dem sich ebenfalls die Unterstellung des Unglaubens als zentraler Interpretationsansatz angesichts der Drastik in der Schilderung des Leichnahms aufgedrängt hat. Daniel Arasse weist in seiner Untersuchung "Le Détail" auf die schmutzigen Fußnägel Christi hin, die für ihn Indiz einer Inbesitznahme der Darstellung durch den Künstler selbst sind, der an versteckter Stelle die Illusionskraft seiner Kunst feiert. Nicht Christus, sondern vielmehr Holbein soll der Betrachter Bewunderung zollen - für die künstlerisch anziehende Darstellung der abstoßenden Leiche. Doch weit prominenter, die Bildmittelachse einnehmend, ist die Hand Christi, die die Bildgrenze durchstößt, als Blickfang inszeniert. Die Geste, in welcher der Mittelfinger das Leichentuch leicht aufwirft, ist Indiz einer den Eindruck von scheinbarer Lebendigkeit suggerierenden Kraftanspannung des Körpers, die in der Leichenstarre konserviert ist. Die Art und Weise, wie der Mittelfinger die Kante des Grabes, über die das Leichentuch wie eine Mensadecke hängt, markiert, und einen Schlagschatten wirft, ruft Holbeins "Täfelchen des Apelles" als Motivquelle auf, der Apelles’ Teilung der Linie des Wetteiferers Protogenes mit einem jenen an Feinheit übertreffenden Strich darstellt. Dieses als Büchermarke für den Stecher Valentius Curio entworfene Demonstrationstäfelchen ist laut Oskar Bätschmann als "eine Darstellung des Künstlers und seines zentralen künstlerischen Problems", das raumgreifende, die Grenzen auf zwei Dimensionen sprengende "Rilievo", zu begreifen.
Indem nun Holbein seinen Christus mit der Hand des Apelles ausstattet, schreibt er seine eigene "göttliche" Künstlerhand, die die Illusion der hervorkragenden Hand hervorbrachte, in diese zentrale Stelle des Bildes als Quasi-Signatur ein. Schließlich ist es die Leistung der Kunst, den Eindruck von Lebendigkeit in der Erstarrung des Motivs zu erhalten, in welchem sich die künstlerische Hand verewigt, in dessen Vollendung selbst erstarrt. Da der unendlich feine Strich in der augentäuschenden Darstellung der aus dem Bild tretenden Hand aufgehoben ist, rückt nun der Schlagschatten ins Augenmerk der Betrachtung. Dieser soll nach Bätschmann im Apellestäfelchen die die Grenzen der Realität des Bildes verlassende und in den Betrachterraum einwirkende Plastizität der Darstellung, die sich von der Flächigkeit vollständig loszulösen scheint, hervorkehren. Auf das Leichentuch Christi geworfen, stellt sich die Frage, ob dieser Schatten der göttlichen Hand nicht auf den schattenhaften Körperabdruck des Turiner Grabtuches als "wahres Bild des Leichnahms", das sich selbst gemalt hat, hinweist. Von diesem hebt sich die göttliche Hand ab, die in einer bis dato ungesehenen, die Vorstellungskraft schmerzlich übersteigenden Deutlichkeit die Darbietung des Leichnahms vor Augen stellt.
Während also bei Holbein die göttliche Hand die Bildgrenze durchstößt, fungiert bei Caravaggio der hervortretende Leinenstoff am Ärmel des Thomas als subversive Blickfalle, die vom eigentlichen Bildmotiv ablenkt und auf einer differenten Ebene motiviert erscheint. Dieses auf den ersten Blick im Sinne der symbolischen Ordnung der Repräsentation als kontingent zu bezeichnendes Detail ist keine Allmachtsbekundung des Künstlers, sondern kann vielmehr als Syncope der Repräsentation, als ironische Ohnmachtsbezichtigung gelesen werden. Die inhaltliche Leerstelle, die, da die ästhetische Grenze durchstoßend, prominent inszeniert ist, fesselt den Betrachterblick, der - ihrer angesichtig - das Begehren des Thomas nicht nur zu sehen, sondern in die körperliche Wirklichkeit selbst tastend einzudringen, nachvollzieht. Das Sujet des Thomas-Zweifels als Selbstthematisierung der Malerei zu nutzen liegt nahe, wie Andreas Beyer schon für die Thomas-Gruppe des Verocchio feststellte, fordert der Apostel schließlich über das Wort hinaus handgreifliche Evidenz, auf welche sich auch die bildende Kunst im Wettstreit mit der Poesie beruft. Doch indem Caravaggio an dieser signifikant insignifikanten Stelle nichts zu sehen gibt, legt er die Unmöglichkeit der Berührung des Unberührbaren offen - denn wie kann die göttliche Natur, deren erster Bezeuger Thomas ist, sich in der Berührung des Fleisches mitteilen?
Thomas’ empirische Einsicht kann nur in dem Begreifen der lebendige Erscheinung des Toten liegen, von dessem wahrhafter Körperlichkeit er sich mit dem Eindringen in die den Tod Jesu betätigenden Seitenwunde vergewissert, ein Paradoxon, für das schon Alberti die Malerei als "göttliche" rühmt, denn sie läßt Tote lebendig und Abwesende anwesend sein. Caravaggios irritierendes Detail kann also als die Einschreibung eines Zeichen der Abwesenheit gelesen werden, die sich als Wunde in die Repräsentation - als das Nicht-Sein des scheinbar Seienden - einschreibt und auf die sich das Begehren nach Präsenz fixiert. "Aliud vidit, et aliud credidit." (Thomas v. Aquin) - Auch im Bild wird die materielle Substanz im Vorstellungsakt des erkennenden Wahrnehmens des dargestellten Sachverhalts notwenigerweise übergangen. Das Bild hält sich jedoch zwischen dem Einen und dem Anderen als mediale Instanz. Ihr hat der Betrachter seinen "Kredit" zu geben, um daß die illusionäre Macht des Bildes, die eine imaginäre Wirklichkeit eröffnet, erstehen d.h. raumgreifen kann. Der Leinenstoff als Nullstelle der Repräsentation enthüllt sich als Bildgrundlage und tritt zugleich paradoxerweise an dieser die ästhetische Grenze durchstoßenden Stelle – sich zeigend und verbergend zugleich - als Bildmotiv "Leinenhemd" ans Licht - ein schillerndes Opakwerden des Albertischen Velums also, wodurch das unsichtbar Mediale im präsenzstiftenden Zufall unmittelbar sichtbar wird.
Während Thomas’ Perzeption der Wunde, im ekstatischen Genießen seiner Sehsucht, von seiner Imagination überflügelt wird und ihm im blinden Berühren die Augen aufgehen, bringt Caravaggio durch das die illusorische Repräsentation aus dem Lot bringende Detail die Imagination des Betrachters auf seine Perzeption des Bildes herunter; er fühlt im blinden Fleck des Sehens. Die scheinbare Zufälligkeit des Details ruft einen Realitätseffekt hervor, der den gefangengenommenen Betrachter in die Realisierung der Inszenierung und technischen Ausführung als Bedingung der Möglichkeit des Bildes hineinnimmt. Eine intime Begegnung mit dem Künstler, als den im Werk verborgenen abwesend Anwesende, stellt sich ein, die sich erst durch den Akt des Unglaubens an die Illusion der Repräsentation, der den Trug enthüllt, herstellt - ein zerstörerischer Akt – zweifelsohne!
Literatur:
O. Bätschmann, P. Griener, Hans Holbein, Köln 1997
A, Beyer, "Verus oculus" oder die Konversion des Andrea del Verocchio, in: Die Christus-Thomas-Gruppe von Andrea del Verocchio, hrsg. von H. Beck u. M. Bückling, Frankfurt a. M. 1996
F. Bologna, L’incredulità del Caravaggio e l’esperienza delle "cose naturali", Turin 1992
Louis Marin, Detruire la peinture, Paris 1990
B. Nicolson, Henrick Terbrugghen, Hague 1958
S. Schunk-Heller, Die Darstellung des ungläubigen Thomas in der italienischen Kunst bis zum 1500..., München 1995
G. Wolf, "Nec tamen oculos habebat ille in digito". Annäherungen an das Christusbild Verocchios, in: Die Christus-Thomas-Gruppe, s. A. Beyer
Chi non vuol udire deve tastare
L'incredulit… di TOmmaso di C. della Collezione G, ca. 1600
C. ha distrutto la pittura: quest'accusa di N.P., che definisce il carattere aggressivo della pittura di C., che intende colpire piuttosto che dilettare lo spettatore, si riferisce alle calcolate violazioni che C protervamente perpetra contro l'ordine della rappresentazione. Il progresso dell'arte, che qui per la prima colta viene definito come un'impresa bellica, consiste nella trasgressione deliberata del concetto di pittura di storia, che viene minato da colpi intesi a svelare l'artificialit… della messa in scena. Invece che da una contemplazione distanziata, intellettuale del quadro, rappresentante un mondo proprio, rinchiuso in se stesso accordatamente, lo sguardo del fruitore viene incatenato da una quantit… di elementi casuali, irritanti e apparentemente insensati, che scardinano la logica della rappresentazione e che iscrivono una "antivisualit…" segreta e nascosta dentro la sua apparenza esteriore.