© Eremitage, St. Petersburg

Michelangelo Merisi da Caravaggio (Caravaggio od. Mailand 1571 - Porto Ercole 1610)

Der Lautenspieler

um 1595 - 1596
Öl auf Leinwand, 94 x 119 cm
1808 durch Vivant Denon für Zar Alexander I. erworben. Erster Vorbesitzer Marchese Vincenzo Giustiniani. Salerno (Inv. 1638) 1960, II, Nr. 8). - Silos [1673] 1979, S. 90.

St. Petersburg, Staatliches Museum Eremitage, Inv. Nr. 45.

Das Bildthema - ein junger Mann, der ein Liebesmadrigal singt und sich dazu auf der Laute begleitet - läßt darauf schließen, daß das Werk speziell für den Marchese Vincenzo Giustiniani, einen großen Musikliebhaber und -kenner, entstand. Vincenzo Giustiniani ist bekanntlich auch der Verfasser eines Discorso sopra la Musica (um 1628), in dem er sich auf dem Gebiet von Gesang und Komposition der Epoche als bestens informiert erweist. Es kann kein Zweifel daran bestehen, daß Caravaggios Gemälde genauen Anweisungen des Marchese folgt, zumal das Stück, das der musizierende Ephebe auf seiner Laute spielt, von dem berühmten flämischen Komponisten Jacob Arcadelt stammt, dessen Werke Vincenzo seit seiner Jugend studiert hatte. Den Studien Franca Trinchieri Camiz' ist die Identifizierung des Notenblatts zu verdanken, das der Lautenspieler vor sich hat: Es handelt sich um ein "Voi sapete ch'io v'amo" betiteltes Liebesmadrigal, das in den zahlreichen Druckauflagen von Arcadelts erstem Madrigalbuch, dem Primo libro di madrigali, erscheint. Im aristokratischen Milieu Roms um 1600 ist die Musik Bestandteil der den Edelmann auszeichnenden Tätigkeiten, die, wie Giustiniani selbst in seinen Schriften darlegt, angenehme Unterhaltung in Gesellschaft von Gleichgestellten bietet. Vincenzo gehörte nicht zu denjenigen, die in der Musik und einer universellen Harmonie die Ordnungsmacht der Welt erkennen wollten, leugnet aber nicht ihre heilenden und gleichsam magischen Kräfte. Zum persönlichen Besitz des Marchese zählten nur wenige Musikinstrumente, und zwar "un Cimbalo" und "Un organo" (Inv. 1638), seine Kenntnisse in dieser Hinsicht aber müssen beträchtlich gewesen sein. In seinen Schriften beschreibt er genauestens die Unterschiede zwischen den einzelnen Instrumenten und rühmt vor allem die Klangschönheit der Laute, die, da sie dem Spieler große Kunstfertigkeit abverlange, immer seltener werde.

Es ist nicht zu übersehen, daß Vincenzos musikalische Interessen auf das glücklichste mit seinen profunden Antikenkenntnissen einhergingen. Er selbst erinnert im Discorso sopra la Musica an Pythagoras und Platon, wenn er über die Fähigkeit der Musik, beim Zuhörer verschiedenste Gemütsbewegungen wie Lachen, Weinen oder Zorn hervorzurufen, spricht (zu Platons Timäus besaß Vincenzo den Kommentar von Paolo Beni). Darüberhinaus kannte er mit Sicherheit Plutarchs Abhandlung De Musica, von der man weiß, daß sie in der Sammlung der Moralia, die im Inventar der Bibliothek aufscheinen, enthalten war. Die mit Musik verknüpften antiken Mythen des Orpheus oder Apolls waren Giustiniani selbstverständlich vertraut, nicht zuletzt durch seinen Besitz von antiker Plastik. Auch Giambattista Marino widmete in seiner Bearbeitung des Orpheusmythos (1620) dem Lobpreis des Gesangs mit nur einer Stimme eine ganze Reihe von Versen. Die Musik erwirbt daher in diesem Kontext über die Betätigung des virtuoso hinaus auch einen Aspekt von Gelehrsamkeit und mit dieser eine über die reine Unterhaltung hinausführende tiefere Bedeutung. Die "liberalità", die diese Kunst für den Marchese Vincenzo darstellt, zeigt sich auch in den Musikinstrumenten, die in Caravaggios Amor als Sieger neben anderen Gegenständen die intellektuellen Gaben des Auftraggebers preisen: die Waffen und Bücher, der Zirkel des Architekten und der Himmelsglobus des Astronomen.

Giustiniani besaß außer dem Caravaggio noch mindestens zwei weitere Bilder mit vergleichbarem Thema: einen Lautenspieler von Pordenone (Inv. 1638, II, Nr. 152) und einen Orpheus mit Violine (wohl eher Homer) von Nicholas Régnier, der in Potsdam zusammen mit seinem Gegenstück, das einem singenden Bauern darstellt, aufbewahrt wird (Inv. 1638, II, Nr. 201-202). Eine weitere Beobachtung schließlich lenkte die Aufmerksamkeit auf die Kleidung des Lautenspielers, die es erlaubt, ihn mit den Figuren bestimmter pastoraler Dichtungen in Verbindung zu bringen. Der Einsatz von Musik in den szenischen Aufführungen von Hirtendramen war damals üblich und verbreitet, so daß die Hypothese, Caravaggio oder sein Auftraggeber sei in diesem wie in anderen Fällen in gewisser Weise von der Theaterpraxis der Zeit beeinflußt gewesen, nicht von der Hand zu weisen ist.

Iris Wenderholm nach Irene Baldriga, in: Ausst. Kat. Rom 2001, Caravaggio e i Giustiniani, Kat. D1

Bibliographische Hinweise:
F. Trinchieri Camiz/ A. Ziino: "Caravaggio: aspetti musicali e committenza", in: Studi Musicali XII, 1 (1983), S. 67-90. - K. Christiansen, A Caravaggio rediscovered: the Lute player, New York 1990.