Theodor Wolff online
 
     
 

 

 
     
 
     
 
 

Der Weg ins Exil

Theodor Wolff musste nach dem Reichstagsbrand (27./28. Februar 1933) unter Lebensgefahr aus Berlin fliehen. Zwei Wochen später verbrannten die Nationalsozialisten seine Bücher. Ihr „Feuerspruch“ lautete: „Gegen volksfremden Journalismus demokratisch-jüdischer Prägung, für verantwortungsbewußte Mitarbeit am Werk des nationalen Aufbaus! Ich übergebe der Flamme die Schriften von Theodor Wolff.“

1Am 27. Oktober 1937 erkannte ihm das nationalsozialistische Regime offiziell die deutsche Staatsbürgerschaft ab. Im Frühjahr 1933 war er zuerst nach Österreich geflohen, dann in die Schweiz. Doch die eidgenössischen Behörden hatten ihm den erhofften Schutz verweigert und ihm lediglich ein Visum für einen Kurzaufenthalt ausgestellt. Schließlich fand Theodor Wolff in seinem geliebten Frankreich einen Exilort.

 

Lebens- und Arbeitsalltag im Exil

In Nizza lebte er sich unter relativ günstigen Umständen schnell ein, verfasste literarische und historische Werke, setzte sein Tagebuch fort und schrieb Teile seiner Erinnerungen nieder. „Anfangs kaufte er sich am Kiosk beim Casino de la Jetée (in Nizza)“, erzählte Egon Erwin Kisch in seinem mexikanischen Exil über Theodor Wolff , „gelegentlich das Berliner Tageblatt und schüttelte fassungslos den Kopf über den Tiefstand, der an der einst von ihm verwalteten Stelle Platz gegriffen. Nach dem 30. Juni 1934, so erzählte er dem Schreiber dieser Zeilen, kaufte ich mir das Blatt sogar aus Interesse; ich wollte sehen, was die Bürschchen über die Ermordung von Röhm sagten, dem sie immerfort ganz besonders Weihrauch gestreut, ihn, wenn auch in versteckter Form, über Hitler gestellt hatten. Da sah ich über vier Spalten die ersten Seiten mit den größten Lettern die Überschrift: Durchgegriffen! Seither habe ich das Berliner Tageblatt nie mehr in die Hand genommen.“

Die autobiographischen Berichte über das Kaiserreich und die Weimarer Republik erschienen 1936 unter dem Titel „Der Marsch durch zwei Jahrzehnte“ im Verlag Allert de Lange; im selben Jahr gab es eine englische und 1937 eine französische Übersetzung. An den publizistischen Fernkämpfen gegen die Nationalsozialisten beteiligte er sich prinzipiell nicht. Mit Erich Kästner teilte er die Meinung, ein Schneeball lasse sich aufhalten, nicht jedoch eine Lawine. In der Zeit der Demokratie und Freiheit hatte er seine politische und gesellschaftliche Aufgabe als politischer Mensch und Journalist gesehen. Ein autoritäres oder totalitäres Regime funktionierte nach Prinzipien, die sich auch auf die Presse verhängnisvoll auswirkten.

In einer bislang unveröffentlichten Aufzeichnung aus dem Exil heißt es dazu:

1„In keinem autoritär geleiteten Lande kann die Presse handelnde Person sein, immer ist sie nur der begleitende Chor. Und auch nicht der antike Chor, der Chor der Ödipus, der nach freiem Ermessen lobsingend oder beschwörend seine Stimme erhob. Das gehört zu den Lebensnotwendigkeiten des Systems, der autoritäre Staat könnte nicht anders bestehen. Aber eine Abweichung vom ursprünglichen Prinzip ist es, wenn unter dem bolschewistischen Regime das Recht auf Kritik abgeschafft worden ist. ‚Diktatur des Proletariats’ war ein ziemlich enger Begriff, aber es kann innerhalb dieser verengten Welt, diese Welt der Masse, noch etwas wie eine öffentliche Meinung geben gewissermaßen sogar einen für diese proletarische Masse reservierten Rest von Demokratie. Der ‚Führergedanke’, in einer persönlichen Diktatur verwirklicht, stand nicht im Testament Lenins. Es leuchtet ein, dass eine exakt dirigierte Presse die Regierungsarbeit erleichtert, oder doch zumindest nicht behindern kann. Die Politik kann sich wie auf einer eingezäunten einseitigen Autostraße bewegen, kein Huhn, keine Gans laufen im unpassenden Moment über den Weg. Aber neben den Vorteilen der scharfen Reglementierung stellen sich auch einige Nachteile ein. Das Ausland verzeichnet die Äußerungen einer solchen ‚öffentlichen Meinung’ mit Vorbehalt, es vermag aus ihnen eine wirkliche Volksstimmung nicht herauszulesen, es sieht nur das Wunder der Disziplin. Sodann – die Bremsvorrichtungen, die aus der Existenz der Parteien, aus der Verschiedenheit der Ansichten, aus der Möglichkeit der Kritik sich ergeben, sind fortgenommen. Wie die Beine der riesenhaften Massenarmee marschieren alle gedruckten Worte in der gleichen Richtung und zum gleichen Ziel. Es ist ein allgemeines Vorwärtsdrängen, und ein Zurück ist ein Manöver, das sich nur unter einem sehr geschickten Kommando glatt ausführen lässt. ‚Dynamik’ ist eines jener Modeworte, die nirgendwo auftauchen und die dann sehr bald auf jeder literarischen Suppe schwimmen. Es ist mit einer übertriebenen, nicht vorsichtig gelenkten Dynamik wie mit der Tanzleidenschaft jenes Fräuleins, das nicht aufhören konnte herumzuwirbeln, und tanzend in die Hölle geriet.“

 

Das Ende

Am Vormittag des 23. Mai 1943 verhafteten die nach Südfrankreich, in den Vichy-Staat vordringenden Italiener Theodor Wolff im Auftrag der Gestapo und lieferten ihn seinen Widersachern aus. In kurzer Zeit trieben jene den geschwächten alten Mann in Krankheit und Tod. Er starb am 23. September 1943 nach einer zu spät gestatteten Operation im Jüdischen Krankenhaus in Berlin. Sein Grab findet sich heute in der Ehrenreihe des dortigen Friedhofs. Der ehemalige Blumenmarkt in der Nähe des alten Berliner Zeitungsviertels trägt seit 1988 den Namen Theodor-Wolff-Park; eine Schautafel präsentiert dort ausgewählte Leitartikel im jährlichen Wechsel.

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  © PROF. DR. BERND SÖSEMANN - AKiP 2007