Theodor Wolff online
 
     
 

 

 
     
 
 
 
Stilistik
 
 
 

 

Stilistik - „Sprache der Tatsachen“

Theodor Wolff bevorzugte in seiner Sprache das Florett, nicht den Säbel. Er bediente sich lieber der Ironie und des enthüllenden Zitats als der schwerfälligeren Darlegungen von Argumentationsketten. Er wolle seine Leser zum Nachdenken anregen und lehnte es ab, sie mit Bewertungen und Urteilen zu bedrängen. Ein Grundton der Skepsis lässt sich in den Leitartikeln der späten Weimarer Jahre in seinem literarischen Werk nicht überhören. Doch trat nicht einmal im Exil Resignation an die Stelle seiner letztlich doch optimistischen Grundhaltung. Diese Einstellung bestimmte eine Erfahrung, die Theodor Wolff in einem seiner historischen Berichte erläutert: „Man kann selbst die Menschen nicht mit der endgültigen Gewißheit erforschen, mit der ein wirklicher Historiker die Geschichte eines vor dreitausend Jahren beigesetzten Pharaonen verfaßt. So schwebt über jeder Wahrheit noch ein letztes Vielleicht.“ Kann man auf der Suche nach „Wahrheit“ weiter gelangen? Einer seiner Kritiker auf dem linken Flügel des politischen Spektrums,  Publizist Kurt Hiller, hat in seinem Nachruf auf Theodor Wolff dessen Streben nach Genauigkeit im Faktischen und nach Wahrhaftigkeit in der Darstellung und Argumentation anerkennend hervorgehoben, indem er feststellte, er kenne keinen Journalisten, „der wahrheitsliebender“ gewesen wäre.

Keine Scheu vor offenen Worten

Selbst literarische und kulturellen Themen behandelte Theodor Wolff in enger Beziehung zu den politischen Grundfragen, aus denen sie sich ursprünglich sachlich ergeben hatten. Im Vordergrund stand bei ihm, der nie eng parteipolitisch dachte und handelte, zumeist das Dreieck „Demokratie – Parlamentarismus – Fortschritt“. Wenn wir heute – nach den Erfahrungen aus der Endphase der Weimarer Republik und der nationalsozialistischen Diktatur – den damaligen Optimismus auch nicht mehr teilen können, so beeindrucken in unserer Zeit immer noch Theodor Wolffs journalistische Entschiedenheit und die Lauterkeit seines politischen Worts. Da die Öffentlichkeit der Weimarer Republik von starken monarchistischen und ständischen Vorstellungen bestimmt war, und Theodor Wolff die deutliche Formulierung des eigentlichen Problems ebenso wie die journalistische Offensive liebte, setzte er in seinem für die Kandidatur Friedrich Eberts werbenden Portrait bei überholten feudalen Ansichten und den sich darauf gründenden aktuellen Diffamierungen an: „Es wäre vielleicht für Deutschland besser gewesen, hätte man einige solcher Sattlergesellen schon früher herangeholt. In keinem anderen Lande wagte man es noch, von einem Mann witzelnd zu sprechen, weil seine große Leistung nicht aus Familientradition und regelmäßig erledigter Amtsbüffelei entstand. Denjeniegen fehlen Selbstbewusstsein und Kulturempfinden, die sich, neidisch und scheelsüchtigen Kasten nachplappernd, vor dem Verdienste eines, der zu ihnen gehört, nicht beugen wollen. Das englische Parlament vom Jahre 1653 hieß ’Barabones Parlament’, nach einem Manne, der ebenfalls ein Sattler war. Mit Stolz verzeichnen englische Geschichtsschreiber, daß es unter den ersten Mitgliedern des freien Parlaments und unter den besten Staatsdienern jener Aufstiegszeit Schuhflicker wie Hewson und Rolfe, Schneider wie Pemble, gewöhnliche Soldaten wie Skippon, Bedienstete wie Deane, Berners und Horton, Kesselflicker wie Fox, Krämerlehrlinge wie Salvay und Whalley gab. Allerdings, der Gerber Kleon in Athen hat in der Geschichte einen schlechten Ruf. Aber Kleon war ein nationalistischer Kriegshetzer, völkisch und athenisch-national. (...) Erst neulich hat mir ein Großindustrieller, den man nicht gerade zu den Demokraten rechnet und den seine Kreise besonders Ehren, mit warmer Betonung gesagt: ’Dieser Ebert ist wundervoll!’ Und ein Hochgestellter, der auch kein Demokrat ist, pflegte seine Meinung gern in die Worte zusammenzufassen: ’Er ist ein Herr!’ In der Tat, Ebert, der ’Sattlergeselle’ war ’ein Herr’ – nicht ein Herr mit feudaler Volksverachtung, wohl aber ein Herr, der im Namen eines selbständigen Volkes auftritt und seine Autorität durchzusetzen weiß. Er hatte diese Autorität nicht in einer goldenen Wiege gefunden, er borgte sie nicht von vermoderten Ahnen, er sicherte sie sich nicht durch Theaterputz und Treffen, aber sie kam ihm aus dem unerschütterlichen Verantwortungsgefühl gegenüber dem Volke und der Republik.

Theodor Wolff dürfte es nicht überrascht haben, dass der Titel eines seiner Bücher „Vollendete Tatsachen“ wiederholt zu Kennzeichnung seiner Einstellung bemüht wurde. Seine „Sprache der Tatsachen“ verdichtete sich leitmotivisch und konnte schließlich sogar sprichwörtlich werden. Die von ihm noch während des Krieges 1914/18 vorgelegte Sammlung seiner unter den Bedingungen von Zensur und Presselenkung entstandenen Artikel stehen ebenfalls zu Recht unter diesem Signum „Vollendete Tatsachen“. Die Erfordernisse der Situation habe der Journalist zu erkennen und angemessen sachlich zu beschreiben, sein prüfender Blick müsse sich auf die Voraussetzungen, die bestimmenden Faktoren und verantwortlichen Personen richten. Für Wunschvorstellungen gebe es im politischen Journalismus so gut wie keinen Platz. Träume, Visionen und Harmonisierungen aller Art seien höchstens für das Feuilleton brauchbar, denn außerhalb dieses Ressorts gelte es, sich den „fertigen Tatsachen“ zu stellen. Auf diese Haltung gründe sich die Glaubwürdigkeit eines Journalisten. Ein Artikel wirke nur dann nachdrücklich, wenn er dem Leser den Eindruck vermittle, der Schreiber vermöge für das, was er spreche, mit voller Sicherheit einzustehen. Deshalb gehöre  zur Überzeugungsmacht eines Zeitungsartikels nicht nur seine formale Korrektheit und ein gewisser Abwechslungsreichtum, sondern auch eine ehrlich-sachliche Schmucklosigkeit.

Theodor Wolffs gesellschaftspolitisches Denken bestimmte seinen Schreibstil. Seine liberale Haltung und seine freiheitlichen Ansichten wirkten sich auf Argumentationsweise und Darstellungsform aus. Sie beeinflussten seine Wortwahl und Diktion, führten zu spezifischen Beispielen und historischen Analogien, prägten sogar Bilder und Metaphern. Den Zeitgenossen sind Theodor Wolffs Belesenheit und seine literatur- und kulturgeschichtliche Bildung am stärksten erinnerlich. In Memoiren, Tagebüchern, Autobiografien und Korrespondenzen stoßen wir aus seinen Namen oder auf Kommentare zu seinen Leitartikeln. Nahezu ausnahmslos beeindruckten der Kenntnisreichtum und die differenzierte Argumentation. Selbstverständlich schien es allen seinen Lesern, dass die ihnen mitgeteilten Fakten immer stimmten. Die Exempla schienen nicht aus entfernten Schultagen herbeigezerrt zu sein oder aus oberflächlicher Schnelllektüre zu stammen.

Souverän ging Theodor Wolff mit Zitaten um. Seinen Gegnern hielt er am liebsten ihre sachlich überholten Ansichten und die von ihnen vergessenen oder verdrängten programmatischen Erklärungen vor. Im literarisch-journalistischen Gefecht freute es ihn, „auf glitschigem und abschüssigem Wege einen Halt bei einem berühmten Schriftsteller und einem guten Zitat zu finden“. Mitunter häufte er jedoch auch zu viel des Guten auf einer einzigen Titelseite an. Es ist nicht nur einmal der Stoßseufzer überliefert, dass seine Kommentare zum Zeitgeschehen mit historischen und literarischen Bildungsgütern so befrachtet gewesen seien, dass man sich bei der Lektüre der eigenen Halbbildung nur allzu deutlich bewusst werde.

<<< Zurück __ Weiter >>>

 

 
   
 
     
 
  © PROF. DR. BERND SÖSEMANN - AKiP 2007