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Die Anfänge
 
 
 

 

Theodor Wolffs Weg zum ”T.W.”

Theodor Wolff wurde am 2. August 1868 als Sohn des aus Grünberg (Schlesien) nach Berlin gezogenen jüdischen Textilkaufmanns Adolph Wolff und seiner Frau Recha, geb. Davidsohn (Tochter eines Arztes aus Danzig), in der jungen Hauptstadt des Norddeutschen Bundes geboren. „Die Firma, die mein Vater in Berlin gründete“, erinnerte er sich später, „verkaufte ’en gros’ die geblümten Kattune, die damals bei den Berlinerinnen sehr beliebt waren.“ Er hatte drei Geschwister.

Ein "Junger" im Kaiserreich

Theodor Wolff gehörte der Generation der um 1870 Geborenen an. Er zählte damit zu den „Jungen“ des Kaiserreichs, die in den 1871 gegründeten Nationalstaat mit nicht geringen Erwartungen und einer ausgeprägten Bereitschaft zum Handeln hineinwuchsen. Dazu sind Max Reinhardt (1873-1943), Karl Kraus (1874-1936), Thomas Mann (1875-1955), Max von Baden (1867-1922), Karl Helfferich (1872-1924) oder Walther Rathenau (1867-1922) ebenso zu zählen wie Richard Riemerschmid (1868-1957), Werner Sombart (1863-1941), Max Weber (1864-1920), Peter Behrens (1868-1940), Harry Graf Kessler (1868-1937) oder Max Halbe (1865-1944). Sie alle verbanden keineswegs die gleichen, aber doch weithin ähnliche Vorstellungen über eine Modernisierung, einige dachten sogar an eine Demokratisierung des Kaisertums und damit des Wilhelminischen Machtstaates. Sie dachten über die Sicherung einer wirtschaftlichen Prosperität nach, die zu einer Stärkung der sozialen Integration in der Industriegesellschaft führen könne. Sie sannen über alternative Lebensformen nach. Ihre „authentische“ Kultur sollte in jenem „Zeitalter der Reizbarkeit“ (Karl Lamprecht) zu einer neuen Identität führen. Ihr gemäßigter und unterschiedlich konsequent umgesetzter Ausbruch auf der „Welt der Väter“ manifestierte sich in vielgestaltigen ästhetischen Protesten. Dabei schrieben sie der Bildung, der Literatur, der Kunst und besonders einer als politische und gesellschaftliche Kraft erstarkenden Öffentlichkeit die Schlüsselrolle zu.

Nach einem kurzen, lediglich mit der Mittleren Reife abgeschlossenen Gymnasialbesuch – „ich hatte mit der deutschen Sprache bei den Magistern kein Glück“ – begann er, der Journalist werden wollte, zuerst einmal eine kaufmännische Lehre beim Berliner Tageblatt (B.T.), einem der größten Publikationsorgane seines Cousins, des angesehenen Verlegers Rudolf Mosse. Dabei blieb es nicht lange, denn mit Reisefeuilletons, Theater- und Literaturberichten erregte er in Berlin schnell Aufmerksamkeit. Die Stadt weckte seinen literarischen Ehrgeiz erfolgreich, in wenigen Jahren wurde er mit mehreren Romanen, Feuilletonsammlungen und Schauspielen weit über die Stadtgrenzen und sogar über Deutschland hinaus beachtet. Theater in Berlin, München, Kopenhagen und Wien führten seine Stücke „Niemand weiß es“ und „Die Königin“ auf. Er gründete mit Otto Brahm, Samuel Fischer und Maximilan Harden den Theaterverein „Die Freie Bühne“, mit dessen Hilfe die damalige Moderne, der Naturalismus, ihren Siegeszug antrat. Theodor Wolff übersetzte aus dem Französischen und machte mit einem enthusiastisch eingeleiteten Reclam-Bändchen Jens Peter Jacobsen in Deutschland bekannt. Eine Karriere als Journalist schien zumindest nicht mehr nahe zu liegen; die literarischen „Ikarusflüge“, wie er im Alter selbstkritisch über seine Kunst spottete, gaben aber nicht zu großer Hoffnung Anlass.

Theodor Wolff war ein Mann des Buches und der Feder. Trotz seiner anspruchsvollen Tätigkeit und der politischen Aktivitäten nahm er sich stets die Zeit zum Lesen und Schreiben. Bereits der Vierzehnjährige schrieb und dichtete auch in der Absicht, das Theaterstück oder kleine Druckwerk der Nachwelt zu überlassen. Die Erstlinge des Siebzehnjährigen, wie die Posse ”Doktor Blau” oder das Drama ”Der Märchenerzähler”, wußten bei ihren Aufführungen in der Familie zu gefallen, sind aber leider ebenso wenig erhalten wie die allermeisten der frühen Gedichte. Die im Nachlaß aufbewahrte Jugend-Lyrik eignet sich mit ihrer Neigung zum Schwulst, zur Rührseligkeit, pubertären großen Geste oder zur Verzweiflungstat eher zur Parodie als dazu, sie heute einer Öffentlichkeit vorzulegen oder sie auf objektive Spuren des späteren schriftstellerischen Talents hin zu sichten.

Auf ein weiteres Motiv für die gebotene Zurückhaltung verwies Theodor Wolff selbst, als er einmal seine späteren Kritiker halb ironisch, halb ernsthaft warnte, die literarischen Früchte, die in seinem Tal der Jugend reiften, nicht leichthin ”von der Höhe des Schneeberges herab” zu belächeln, denn es könne dabei oft, ohne daß man es sich eingestehe, eine ”neidische Sehnsucht” mitwirken.

 

Die Anfänge - „Mosses junger Mann“

Zeitung und Person bilden eine Einheit. Spricht man heute vom ”Berliner Tageblatt”, meint man so gut wie immer Theodor Wolff (1868-1943), den verantwortlichen Leiter der bedeutendsten Tageszeitung im Rudolf Mosse-Verlag. Bereits den Zeitgenossen war diese Redeweise geläufig. Polemisierten Chauvinisten, alldeutsche Konservative oder Antisemiten gegen das ”Flaggschiff jüdisch-liberalen Börsianertums”, oder lobten Intellektuelle, Liberale und Sozialdemokraten das Niveau und die unabhängige, wohltuend antinationalistische Haltung im Gefecht der Geister, dann fiel sogleich der Name Theodor Wolff.

dIm Jahr 1894 übernahm „Mosses junger Mann“, wie der schnelle Aufsteiger Theodor Wolff in der Öffentlichkeit in einer Mischung aus Spott und Bewunderung hieß, die Aufgaben des Korrespondenten des Berliner Tageblatts in Paris. Die Beziehungen zwischen den beiden Nachbarstaaten waren damals nicht die besten, und Wolff gab sich keinen Illusionen hin. Die inhaltliche Grundlage für seine pragmatisch angelegte Berichterstattung bildete die von ihm im Herbst 1895 formulierte Erkenntnis: „Ich habe die Stimmung in Frankreich niemals schlechter gesehen als zur Zeit unserer liebenswürdigsten Werbungen.“

Seine ausführlichen, atmosphärisch dichten und präzisen Telegramme über die Dreyfus-Zola-Prozesse, die Flut des Antisemitismus und Chauvinismus in der französischen Gesellschaft und das Interesse der deutschen Leser an den skandalträchtigen Vorgängen ließen die Zeitungsauflage und Theodor Wolffs Ansehen in kurzer Zeit steigen.

Sein Kürzel „T.W.“ stand für journalistische Qualität, geistige Unabhängigkeit und politische Seriösität. Als Zola sich vor Gericht zu verantworten hatte, berichtete Theodor Wolff seinen fernen Lesern in einem kleinen politischen Feuilleton: „Man führt an diesem Tisch einen ernsten Kampf, aber man führt ihn mit einem vergnügten Eifer. Im Grunde amüsiert man sich königlich. Man amüsiert sich über jede gelungene List, über die Resultate des eigenen Scharfsinns, über den Kampf als Kampf. Die ’Angeklagten’ sind die Herren im Saale, die Ankläger werden gezwungen, sich zu verantworten. Man hat selten einen solchen Prozeß gesehen (...). Zola spricht mit einer etwas rauen und harten Stimme. Bald stößt er die Worte einzeln hervor, bald überstürzen sie sich. Er ist kein Redner. Und wenn es auch ein prachtvoller Hieb war – und voll brutaler Ironie -, als er sagte: ’Der General Pellieux hat seine Schlachten mit dem Schwerte gewonnen, ich die meisten mit der Feder; die Nachwelt wird zwischen dem General Pellieux und Emile Zola wählen’, in diesem Saale, dessen ganzer Hintergrund mit einer wohldressierten Generalsclique besetzt ist, schaden dem ’Angeklagten’ diese Äußerungen eines großen, schönen und berechtigten Selbstbewußtseins.“

Der Aufenthalt in Frankreich formte Theodor Wolffs politisches Weltbild, ließen Parlamentarisierung und später auch Demokratisierung zu seinen Hauptzielen werden. In seinem großen Essay „Geistige und künstlerische Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich seit fünfundzwanzig Jahren“ (1897) plädierte er für eine vorurteilslose Annäherung der leichteren Art zwischen den beiden Staaten. Kein Volk müsse dabei seine Identität und Originalität verlieren, denn gerade weil Franzosen und Deutsche so wenig einander glichen, ergänzten sie sich, könnten viel voneinander lernen. Er hoffte, dass die Diplomaten ihnen die Zeit gönnten, sich auszusprechen. „Wenn es auch schön sein möchte, Geschichte zu gestalten, dann sei es noch schöner, Kulturgeschichte zu machen.“

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  © PROF. DR. BERND SÖSEMANN - AKiP 2007