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Holger Weihmann

Am 14. Juli 1977 griffen BGS-Beamte einen geflüchteten Grenzsoldaten der NVA auf. Er habe, sagte er aus, bei Anschlagübungen mit der MPi versehentlich auf seinen Posten geschossen.

geboren am 10. August 1957

erschossen am 14. Juli 1977

Ort des Zwischenfalls: Unterführung der A4, ca. einen Kilometer westlich von Gerstungen (Thüringen)

Holger Weihmann wuchs in Zeitz auf. Sein Vater war Kraftfahrer bei der Post, wo auch seine Mutter in der Ausgabestelle gearbeitet hat. Mit einem Schulabschluss der zehnten Klasse absolvierte er eine Lehre als Facharbeiter für Bergbautechnologie bei der SDAG (Sowjetisch-Deutsche Aktiengesellschaft) Wismut. Seiner Einberufung zum Militärdienst bei den Grenztruppen am 2. November 1976 wird er eher widerwillig gefolgt sein. Auch wenn seine Leistungen in der militärischen Ausbildung als befriedigend bis gut eingeschätzt wurden, habe er wenig Interesse am Politunterricht gezeigt und zuweilen mit seinen Vorgesetzten über die erteilten Befehle diskutiert, heißt es in einem Bericht der Staatssicherheit. Eine Verpflichtung als Zeitsoldat über den Grundwehrdienst hinaus lehnte er kategorisch ab. Er wollte so bald als möglich zurück zur Wismut, schon des Verdienstes wegen.

Am 14. Juli 1977 musste er um 4.00 Uhr morgens gemeinsam mit seinem Postenführer Andreas Fehder Stellung an einer Autobahnunterführung etwa einen Kilometer vor Gerstungen beziehen. Von hier aus war die Grenze nach Hessen noch zweieinhalb Kilometer entfernt. Zuweilen wurde der Durchlass, den sie bewachen sollten, von Waldarbeitern und Bauern benutzt, deren Zugangsberechtigung zu kontrollieren war. Die beiden Posten müssen bald unter einer drückenden Langeweile gelitten haben. Die Temperatur stieg bis auf 32 Grad an, der Abschnitt der Bundesautobahn 4 über ihnen war seit der Teilung stillgelegt und verfiel allmählich. Aber Holger Weihmann und Andreas Fehder waren miteinander befreundet und so mussten sie nicht misstrauisch darauf achten, dass der andere irgendwelche Disziplinverstöße tadelte, sondern konnten sich einige Erleichterungen erlauben. Beispielsweise war es vorschriftswidrig Luftsitzkissen beim Grenzdienst zu benutzen, die Weihmann und Fehder aber bei sich hatten. Ebenfalls verboten waren „Anschlagübungen“, bei denen die Soldaten die Kalaschnikows durchluden, um ihre Schnelligkeit zu trainieren. Auch das Postenpaar an der Autobahnunterführung vertrieb sich auf diese Weise die Zeit. Um 11.00 Uhr meldeten sie sich letztmalig über das Grenzmeldenetz bei der Führungsstelle. Als um 12.20 Uhr die Ablösung eintraf, lag Holger Weihmann tot auf dem Rücken an der Autobahnböschung, Andreas Fehder war geflohen. Die Rekonstruktion des Tatablaufs ergab, dass Weihmann in aufrechter Haltung aus zwei Metern Entfernung ins Herz getroffen wurde. Der Schuss hatte ihn sofort getötet. Spuren eines Kampfes waren nicht festzustellen, nichts wies auf eine vorsätzliche Handlung oder eine beabsichtigte Fahnenflucht hin.

Um 13.00 Uhr griffen Beamte des Bundesgrenzschutzes Andreas Fehder bei Richelsdorf auf. Er hatte seine Waffe in den Wald geworfen und die Grenzsicherungsanlagen an einer Stelle überwunden, die von einem Brand beschädigt worden war. Der BGS übergab den NVA-Angehörigen der Kriminalpolizei. Er sagte aus, dass er und Holger Weihmann sogenannte „Anschlagübungen“ gemacht hätten, wobei er unbeabsichtigt an den Abzug gekommen sei. Weihmann sei sofort nach dem Schuss zu Boden gestürzt. Dann habe er über das Grenzmeldenetz Hilfe rufen wollen, doch das Wechselsprechgerät sei gestört gewesen. In Panik habe er nach etwa zehn Minuten die Flucht ergriffen. Das Amtsgericht für den Kreis Hersfeld-Rotenburg erließ Haftbefehl. Nachdem noch am 14. Juli ein Mitarbeiter der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik dem Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der DDR eine offizielle Meldung über die Verhaftung Fehders übermittelt hatte, bemühte sich der Generalstaatsanwalt der DDR mehrmals um dessen Auslieferung. Da der im Untersuchungsgefängnis in Fulda Inhaftierte sich nach Gesprächen mit einem Mitarbeiter der Ständigen Vertretung der DDR und mit seiner Mutter gegen eine Rückkehr entscheiden hatte, erhob die Staatsanwaltschaft Kassel Anklage wegen fahrlässiger Tötung. Am 3. Oktober 1977 wurde Andreas Fehder vom dortigen Landgericht zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. (Recherche: MP, MS, TP, jos, jk; Autor: jk)