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Oberstleutnant Günter Darmer

Auf der Rückfahrt von einer Feier wurde Oberstleutnant Günter Darmer im Dienstwagen hinterrücks erschossen. Ob der Major Rolf Z., aus dessen Waffe der Schuss fiel, die Tat absichtlich beging oder ob sie im Vollrausch geschah, war Gegenstand von Spekulationen.

geboren am 2. September 1934 in Tribsees

erschossen am 19. November 1986

Ort des Zwischenfalls: Ortsausgang von Heilbad Heiligenstadt (Thüringen)

Am Nachmittag des 19. November 1986 konnte Oberstleutnant Günter Darmer sich feiern lassen. Seit 34 Jahren stand er im Dienst der Grenzorgane der DDR. Der Grenzpolizei war der gelernte Dreher aus Tribsees (Kreis Rostock) bereits mit 18 Jahren beigetreten. Damals wurde er im Grenzkommando Kneese eingesetzt. 1956 stieg er zum Feldwebel im Kommando Jützenbach auf, 1980 wurde er Stabschef, später Kommandeur des I. Grenzbataillons Klettenberg in Thüringen. Bis 1956 hatte er unter dem Decknamen „Walter Eichholz“ inoffiziell an das MfS berichtet. Durch seine Beförderung wurde die Zusammenarbeit mit der Staatssicherheit offiziell. Mit seiner Familie wohnte er in Silkerode. Von seinen fünf Kindern schlugen drei Söhne ebenfalls eine militärische Laufbahn ein. Günter Darmer hatte einen großen Bekanntenkreis und galt als beliebt im Grenzgebiet. Sicherlich zählte er mit 52 Jahren noch nicht zum „alten Eisen“, doch begannen die Anforderungen seines Dienstes allmählich seine Kräfte zu übersteigen. Anfang des Jahres wurde deshalb die Entscheidung gefällt, Oberstleutnant Darmer in die Reserve zu versetzen. Seinen Nachfolger, Major Rolf Z., hatte er selbst eingearbeitet. Zuweilen nahm Rolf Z. schon Aufgaben wahr, die eigentlich Kommandantensache waren. Am 28. November 1986 sollte er Darmer endgültig ablösen und selbst Bataillonschef werden.

Am 19. November 1986 stand um 13.00 Uhr noch eine Besprechung mit den „Kräften des Zusammenwirkens“ im Stabsgebäude in Heiligenstadt auf dem Programm. Offiziere der Grenztruppen werteten mit Beauftragten der Partei, des Staatssicherheitsdienstes und der Volkspolizei Fluchten über die innerdeutsche Grenze aus. Nach dem Abschluss des Arbeitstreffens fuhr die Gruppe gegen 15.00 Uhr ins „Naherholungszentrum Pferdebachtal“. Dieses war zusammen mit einem Militärlazarett im ehemaligen Verwaltungsgebäude eines Tanklagers der Wehrmacht eingerichtet worden. Die Anlagen waren größtenteils zerbombt und gesprengt – man feierte inmitten eines halb schon überwachsenen Trümmerfeldes. Neben einem kalten Buffet standen acht Flaschen Kognak, zwei Flaschen Doppelkorn und 75 Flaschen Bier bereit. Um 19.30 Uhr beendete Darmer die Feier. Man bedankte sich, wechselte Abschiedsworte. Rolf Z. hatte dem Alkoholangebot reichlich zugesprochen. Ein Dienstwagen sollte ihn gemeinsam mit Günter Darmer heimbringen. Der Oberstleutnant setzte sich auf den Beifahrersitz neben den Fahrer, Rolf Z. stieg hinten ein. Während der Autofahrt konzentrierte sich der Fahrer auf den Verkehr. Kurz vor dem Ortsausgang von Heiligenstadt hörte er einen Knall im Fahrzeug und stoppte. Rolf Z. beugte sich vor und befahl ihm augenblicklich ins Pferdebachtal zurückzukehren und zum Lazarett zu fahren. Günter Darmer saß regungslos auf dem Beifahrersitz.

Im Pferdebachtal angekommen, erklärte Rolf Z. dem Leiter des Med.-Punktes „Ich habe den Kommandeur erschossen“ und übergab sein Koppel mit der entsicherten Pistole im Halfter. Anschließend wurde Günter Darmer tot aus dem Auto geborgen. Eine Kugel hatte die Sitzlehne durchschlagen, war in seinen Rücken gedrungen und hatte eine Lunge und die rechte Herzkammer zerrissen.

Gegen Rolf Z. eröffnete die Militäroberstaatsanwaltschaft Berlin ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung. Bei den Vernehmungen wurde jedoch deutlich, dass Rolf Z. sich nur noch bruchstückhaft an den Vorfall erinnern konnte. Auch ein Motiv für die Schussabgabe war nicht festzustellen. Es gab keine Anhaltspunkte darauf, dass zwischen ihm und Günter Darmer Streit bestand. Die Militäroberstaatsanwaltschaft folgte einem psychiatrischen Gutachten der Humboldt-Universität, die Rolf Z. alkoholgedingte Unzurechnungsfähigkeit bescheinigte, und stellte das Ermittlungsverfahren am 29. Januar 1987 ein. Der Major wurde wegen grober Verstöße gegen die militärischen Bestimmungen zum Soldaten degradiert und aus dem aktiven Wehrdienst entlassen.

Oberstleutnant Günter Darmer wurde auf dem Dorffriedhof in Silkerode mit militärischen Ehren beerdigt. Doch sowohl unter den Armeeangehörigen als auch unter den Bewohnern der nordthüringischen Grenzgemeinden blieb der Vorfall ein Gegenstand von Gerüchten und Spekulationen. Laut einem Bericht des MfS schwankten die Meinungen „von vorsätzlichem Mord bis zur Tat eines Verrückten“. Die in der Truppe umlaufenden Gerüchte mussten sogar in einer dienstlichen Versammlung der 18. Ausbildungskompanie durch höhere Offiziere zurück gewiesen werden. Das MfS meldete danach seiner Berliner Zentrale, „die Stimmungsmacher wurden bestraft und alle anstehenden Fragen der Lehrgangsteilnehmer einer sachlichen Klärung zugeführt“. Die Familie von Rolf Z. sah sich in ihrem Heimatort Anfeindungen ausgesetzt und zog schließlich nach Sachsen-Anhalt um. Eine umfangreiche Ermittlungsarbeit nahm der Staatssicherheitsdienst auf, nachdem am 17. Dezember 1986 Die Welt über den „mysteriösen Tod eines hohen ‚DDR‘-Offiziers“ berichtete. Der Artikel lässt offen, ob es „zwischen den beiden Offizieren zum Streit gekommen“ war oder ob „der neue Bataillonskommandeur ‚aus Scherz‘ die Waffe gezückt“ habe. Um herauszufinden, durch wen die Detailinformationen an Die Welt gelangten, überwachte das MfS hernach Angehörige der Grenztruppen und Zivilpersonen, „die sich besonders intensiv mit dem Vorkommnis befaßten, Interesse für die Untersuchung zeigten bzw. durch die Weitergabe vertraulicher Informationen anfallen“.

Als die Zentrale Ermittlungsstelle für Regierungs- und Vereinigungskriminalität sich 1991 mit den Todesumständen von Günter Darmer befasste, wurde das psychiatrische Gutachten, auf dessen Grundlage die Ermittlungen gegen Rolf Z. 1987 eingestellt wurden, als unzureichend bewertet. Hatte die Militäroberstaatsanwaltschaft der DDR das Verfahren nicht vielmehr aus politischen Gründen eingestellt? Zwei nun in Auftrag gegebene Sachverständigengutachten kamen zu dem Ergebnis, dass bei Rolf Z. „nach Aktenlage zwar eine erhebliche Alkoholintoxikation vorgelegen habe“, dennoch sei er noch fähig gewesen, „sich zum Tatzeitpunkt nach den durch die Tat berührten Regeln des gesellschaftlichen Lebens zu entscheiden“. Unter Berücksichtigung der Tatfolgen, die für den Angeklagten „erhebliche persönliche Schwierigkeiten“ nach sich zogen, darunter eine längere Haft im Stasi-Untersuchungsgefängnis, stellte das Amtsgericht Mühlhausen das Verfahren gegen Rolf Z. 1994 gegen Zahlung einer Geldbuße von 3000,- DM ein. (Recherche: jos, St.A., TP, jk; Autor: jk)