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Unteroffizier Thomas H.

Thomas H. nahm sich am 26. November 1983 das Leben.

geboren am 5. Oktober 1963 in Berlin-Weißensee

Suizid am 26. November 1983

Ort des Geschehens: Pionierkompanie Peckfitz (Sachsen-Anhalt)

Im Berliner VEB BAKO (heute Backfabrik Prenzlauer Berg) begann Thomas H. als Bäckerlehrling. Obwohl ihm die Arbeit in der Brotfabrik nicht gefiel, erhielt er Auszeichnungen für gute Leistungen im sozialistischen Berufswettbewerb. Seine FDJ-Gruppe wählte ihn zum Agitator. Als 17-Jähriger erklärte er sich zu einer Laufbahn als Berufssoldat in der NVA bereit. Die Beurteilung des Wehrkreiskommandos über seine Eignung für die Grenztruppen fiel positiv aus, sodass er 1981 nach der Grundausbildung in der Grenzkompanie Gehrendorf zum Einsatz kam. Auch die militärische Beurteilung nach dem ersten Dienstjahr fiel positiv aus, Unteroffizier Thomas H. sei für eine höhere Dienststellung qualifiziert. Er trete im Kollektiv hilfsbereit und kameradschaftlich auf. Seine Leistungen seien jedoch stark stimmungsabhängig.

Doch dann geriet Thomas H. in das misstrauische Blickfeld des Staatssicherheitsdienstes, der ihn als „personellen Schwerpunkt” in der Grenzkompanie Gehrendorf einstufte. Die MfS-Überwacher in der Truppe begründeten das folgendermaßen: „Keine Autorität als Vorgesetzter; keine Befehlsgewalt als Kommandeur Grenzsicherung; äußerst impulsiv bei Kritiken; Vater 1962 Rückkehrer aus BRD; ständiger Feindsenderempfang im Elternhaus; aktive Verbindung zu Verwandten in der BRD und Berlin-West (1980 letzte Ausreise der Mutter).” Die Prüfung als Kommandeur Grenzsicherung bestand H. nicht. Nun hieß es, er verfüge über ein „unzureichendes Sehvermögen” und könne „auf 500 Meter eine Kuhherde nicht von Büschen unterscheiden”. Auch habe er sich gegenüber Vorgesetzten undiszipliniert verhalten.

Auf dem Rückweg aus dem Urlaub in Berlin kam H. am 8. Oktober 1983 mit seinem Motorrad von der Fahrbahn ab. Er erlitt keine Verletzungen, konnte aber nach dem leichten Unfall wegen der Beschädigung des Motorrades die Fahrt zu seiner Einheit nicht fortsetzen. Man brachte ihn zum Motorschützenregiment 2 nahe Magdeburg. Dort holte ihn ein Offizier seines Grenzregiments ab. Zurück in Gehrendorf hielt ihm sein Kommandeur vor, dass er seine Einheit nicht selbst sofort nach dem Unfall benachrichtigt habe. Nach dieser Auseinandersetzung ersuchte H. selbst um die Umwandlung seines Dienstverhältnisses vom Berufs- zum Zeitsoldaten, um im Frühjahr 1984 entlassen zu werden. Die mit einer Degradierung zum Gefreiten verbundene Umwandlung wurde am 13. Oktober 1983 in einer Dienstversammlung als Befehl des Kommandeurs verlesen und H. in die rückwärtige Pionierkompanie nach Peckwitz versetzt.

Nach Zeugenaussagen blieb er unter seinen Kameraden als Einzelgänger isoliert. Er habe wenig gesprochen und sei „ein verschlossener Typ” gewesen. „Es war auch festzustellen, daß er ungeschickt war. Niemand wollte deshalb mit ihm arbeiten. Da er degradiert wurde, wurde er auch gehänselt”. In der Freizeit sei er meist allein unterwegs gewesen und habe sich beim Kaffeetrinken nicht zu den anderen Soldaten gesetzt. Er habe auch mehrfach geäußert, „Jetzt ist endgültig Schluß” und „Sackstand Jetzt ist aus! Ditte!”

Am 26. November 1983 erschoss sich Thomas H. mit seiner auf Dauerfeuer gestellten MPi. Von drei abgegebenen Schüssen trafen zwei in den Kopf. Die Wachablösung entdeckte H. Leiche in der Kanzel des Wachturms am Pionierfreilager. Er hatte sich letztmalig gegen 4.30 Uhr über das Grenzmeldenetz gemeldet. Unter dem Turm lagen eine zerrissene Schachtel Zigaretten, ein zerstörter Hörer des Grenzmeldenetzes, H.s zerschlagene Armbanduhr und seine Mundharmonika.

H.s Eltern durften den Leichnam ihres Sohnes nicht mehr sehen. Eine Öffnung des Sarges war ihnen untersagt worden. Die Bestattung von Thomas H. erfolgte am 2. Dezember 1983 mit kirchlichem Zeremoniell auf dem Berliner St. Hedwig-Friedhof im Familienkreis. Die Grenztruppen hatten drei Offiziere zur Teilnahme dorthin delegiert. Die Dienstzeit H.s in den Grenztruppen und seine Todesursache durften bei der Beisetzung nicht erwähnt werden. Erst zwei Wochen nach dem Tod ihres Sohnes erhielten seine Eltern eine Sterbeurkunde. (Recherchen: jos., TP; Autor: jos.)

Der Nachnahme von Thomas H. wird auf Wunsch der Familie nicht genannt.