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Michael Weber

Vier Monate vor dem Mauerfall starb der Leipziger Abiturient Michael Weber an der bulgarisch-griechischen Grenze im Kugelhagel bulgarischer Grenzsoldaten.

geboren am 5. Dezember 1969 in Leipzig

erschossen am 6. Juli 1989

Ort des Zwischenfalls: Novo Chodshowo (Bulgarien)

Am 7. Juli 1989 meldete die für den internationalen Reiseverkehrs zuständige MfS-Hauptabteilung VI unter der Kopfzeile „Verhindertes ungesetzliches Verlassen, Mißbrauch Reiseverkehr, Privatreisen“, dass Michael Weber (19) aus Leipzig am Vortag gegen 19.00 Uhr durch Sicherheitskräfte der Volksrepublik Bulgarien bei der Ortschaft Novo Chodshowo etwa einen Kilometer von der Staatsgrenze entfernt erschossen wurde. Weber sei der Aufforderung zum Stehenbleiben nicht nachgekommen, sondern in Richtung der Staatsgrenze zu Griechenland geflüchtet. Mit Telegramm vom 10. Juli 1989 teilte die DDR-Botschaft aus Sofia dem DDR-Außenministerium und dem Rat des Kreises Leipzig, Abteilung Innere Angelegenheiten, mit, die Leiche Webers befinde sich zur Obduktion in der Militärmedizinischen Akademie Sofias. Es werde um schnellstmögliche Mitteilung der Kostenübernahme durch den Vater und Bestätigung der Urnenüberführung gebeten. „Infolge besonderen Vorkommnisses, hoher Temperaturen und Transportproblemen sollte nur Einäscherung in Sofia und Urnenüberführung in Betracht gezogen werden.“ Kosten 1000,- Mark.

Das bulgarische Sektionsprotokoll von Dr. Kolew hielt fest, Michael Weber sei durch einen Kopfschuss aus einer Maschinenpistole getötet worden. Die Kugel sei in den Körper gedrungen, habe die Aorta und die rechte Lunge zerrissen. Weitere Verwundungen stünden nicht im Zusammenhang mit dem Tod. Als die Eltern Webers in Sofia anreisten, um ihren Sohn noch einmal sehen zu können, wurde dies zunächst verwehrt; einem Bericht der DDR-Botschaft zufolge „unter dem Vorwand der nicht ausreichenden Balsamierung“. Es sei so verfahren worden, da „von der Hauptabteilung Konsularische Angelegenheiten aus Berlin angewiesen wurde, die Besichtigung der Leiche zu verhindern und die Auskünfte auf die Nennung der Straftaten zu beschränken“. In diesem Sinne hatte die Botschaft den bulgarischen Militärarzt Dr. Kolew in das Vorgehen einbezogen und entsprechendes den Eltern mitgeteilt. Der bulgarische Militärstaatsanwalt hatte sich zunächst bereit erklärt, den Eltern Auskunft zu geben und ihnen Zugang zur Identifikation ihres Sohnes zu gewähren. Das wurde seitens der DDR gestoppt. Die Eltern sollten aber am 12. Juli 1989 ihren Sohn noch einmal in einem geschmückten Sarg vor der Einäscherung sehen können – in gebührender Distanz, hinter einer Glasvitrine. Der Vater, bei dem der Sohn wohnte, sei sehr stark betroffen gewesen. Weiter heißt es in dem Bericht des Leiters der Konsularabteilung der DDR-Botschaft Richter: „Als wir danach beim Militärstaatsanwalt vorsprachen, um den Nachlaß zu übernehmen, bat dieser, von seinem Versprechen, die Eltern empfangen zu wollen, abzusehen, weil es ihm jetzt doch peinlich sei und schwerfallen würde. Er wiederholte mehrmals, daß es eine Katastrophe war und der Junge noch hätte am Leben sein können, wenn es nicht so fatal zugegangen wäre.“ Die Indizien sprächen eindeutig für eine geplante und bewusst ausgeführte Tat, „das Verhalten am Tatort nach Interpretation der Ermittlungen jedoch für eine Art Selbstmord, da der Grenzverletzer anstatt zu fliehen, direkt in das abgegebene Feuer gelaufen sei“. Die Eltern hätten sich vor ihrer Rückreise bedankt, da ihnen „die zuständigen Organe der DDR“ erlaubt und ermöglicht hatten, „in geeigneter Form von ihrem Sohn für immer Abschied zu nehmen“. (jos)