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Dr. phil. Hermann Hille

Auch vor der Gründung beider deutschen Staaten starben an der damaligen Zonengrenze der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) Menschen. Einer davon war Dr. Hermann Hille, der sich auf dem Weg zur Taufe seines vier Wochen alten Sohnes befand.

Dr. Hermann Hille
Bildquelle: Privatarchiv Dr. Hans Joachim Lorenz

geboren am 20. Oktober 1909 in Dingelstedt

erschossen am 29. Januar 1949

Ort des Zwischenfalls: Zonengrenze bei Wackersleben (Sachsen-Anhalt)

Hermann Hille schloss sein Germanistikstudium 1939 mit einer Doktorarbeit über „Die Mundart des nördlichen Harzvorlandes, insbesondere des Huygebietes“ ab. Im Krieg geriet er in sowjetische Gefangenschaft. Seit 1948 arbeitete er in Braunschweig im Museum für Landeskunde und außerdem als Lehrer (Studienassessor). Jedes zweite Wochenende besuchte er seine Familie, die jenseits der Zonengrenze in Schlanstedt lebte. Wie sein Neffe Dr. Hans Joachim Lorenz berichtet, sprach Dr. Hille fließend Russisch. Er konnte sich mit sowjetischen Grenzstreifen beim Passieren der Demarkationslinie gut verständigen. Doch zunehmend kamen an der Zonengrenze Männer der Deutschen Grenzpolizei zum Einsatz. So auch als Dr. Hille sich am 29. Januar 1949 mit dem Zug von Braunschweig nach Söllingen begab und zu Fuß an den Grenzfluss Aue. Dort diente ein dicker Baumstamm als Fußgängerübergang für Grenzgänger. Nach der Überquerung des Flusses entdeckten ihn gegen 17.30 Uhr zwei Grenzpolizisten. Einer von ihnen rief: „Kommen Sie bitte her“. Dr. Hille drehte sich daraufhin um und versuchte wieder zurück in die Westzone zu laufen. Der Grenzpolizist Helmut M. verfolgte den Flüchtenden. Darüber, was dann geschah, sind unterschiedliche Aussagen überliefert. M. selbst behauptete bei einer ersten Vernehmung, er sei bei der Verfolgung des Flüchtenden ausgerutscht. Aus dem bereits entsicherten Karabiner habe sich ein Schuss gelöst, der Dr. Hille in den Rücken traf. Der Streifenführer Horst H. sagte aus, sein Kollege M. habe den Karabiner in Höhe der Hüfte gehalten als er einen Schuss abgab. Einen Warnschuss erwähnte H. nicht. Ein Bericht der Polizeiinspektion Erxleben vom 16. Februar 1949 enthält die Version, dass der Grenzpolizist M. den Flüchtenden für ein kriminelles Element hielt und bei seiner Verfolgung gestürzt sei, weswegen sich der Schuss unbeabsichtigt löste. Der Augenzeuge Reinhold E. berichtete am 10. April 1964 der Erfassungsstelle in Salzgitter, er habe mit seinem Onkel den Vorgang aus etwa 30 Meter Entfernung beobachtet. M. habe einen Warnschuss und dann aus acht Meter Entfernung einen Zielschuss abgegeben, der Dr. Hille in den Rücken traf und am Bauch wieder austrat.

Das Polizeikommando Erxleben hielt in seinem damaligen Bericht fest, ein herbeigerufener Arzt aus Hamersleben habe die Überführung des schwer Verletzten in das Krankenhaus Neindorf angeordnet. Dr. Hille sei dann von Bauern auf einen Wagen geladen und abtransportiert worden. Auf dem Weg in das Krankenhaus erlag er seinen Verletzungen.

Die Staatsanwaltschaft Magdeburg stellte das Verfahren gegen Helmut M. am 16. September 1949 ein. Nach der Wiedervereinigung Deutschlands wurde erneut wegen Totschlags gegen ihn ermittelt. Er machte bei seiner Vernehmung am 14. Juli 1993 in Magdeburg von seinem Recht auf Aussageverweigerung Gebrauch. Das Ermittlungsverfahren gegen M. wurde am 18. April 1995 von der Staatsanwaltschaft in Berlin endgültig eingestellt, da Verfolgungsverjährung eingetreten war.

Anemarie Hille mit Tochter Adelheid und Sohn Heinrich Andreas nach dem Umzug in Hamburg-Bergedorf
Foto: Privatarchiv Dr. Hans Joachim Lorenz

Am 29. Januar 1949 wartete die Familie von Dr. Hille in Schlanstedt vergebens auf seine Heimkehr. Im Ort sprach man über das Geschehene später nur hinter vorgehaltener Hand. Frau Hille zog mit ihren beiden Kindern nach Hamburg. Erst nach dem Ende der DDR erhielt Dr. Hermann Hille auf dem Friedhof seines Heimatortes einen Gedenkstein, auf dem die wahren Umstände seines Todes geschrieben stehen. (jos.)