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Joachim Erdmann

Bevor er sich mit seinem Moped von Waltershausen aus auf den Weg zur Grenze machte, verabschiedete sich der 17-Jährige von seiner Mutter mit der Bemerkung, er führe nach Eisenach zu einem Judowettkampf.

geboren am 26. Juli 1960 in Gotha

Suizid nach Festnahme am 2. April 1978

Ort des Zwischenfalls: Grenze bei Geisa (Thüringen)

Am 1. April 1978, gegen 13.30 Uhr begab sich Joachim Erdmann mit seinem Moped „Star“ auf den Weg zur Grenze. Er hatte neben wichtigen persönlichen Dokumenten eine Kette, ein Skatspiel, eine Kombi-Zange und ein feststehendes Messer bei sich. Scheinbar verfolgte er einen verzweifelten Fluchtplan. In Dermbach riss die Kette seines Mopeds, so dass er zu Fuß weitergehen musste. Einen Mitschüler aus der Berufsschule, der im Ort wohnte, bat er, das Moped unterzustellen. Danach lief der 17-Jährige westlich von Dermbach durch den Wald bis nach Geisa. Erst in den Morgenstunden des 2. April 1978 erreichte er den Ortsrand von Geisa. Etwa ein Kilometer nördlich von Wiesenfeld konnte er den neu errichteten Grenzsicherungszaun übersteigen, der noch nicht an die Signalanlage angeschlossen war. Im dichten Nebel gelang es ihm, das vordere Sperrelement an der ehemaligen Verbindungsstraße zwischen Geisa und Rasdorf zu erreichen. Dort wurden jedoch die Grenzposten auf ihn aufmerksam. Zunächst nahmen sie an, dass es sich um einen Jäger handelte, da er eine grüne Jacke trug. Nach Rückfrage bei der Befehlsstelle stellte sich jedoch heraus, dass für diesen Zeitpunkt kein Jäger im Sperrgebiet angemeldet war. Als Joachim Erdmann von den Grenzern angerufen wurde, versuchte er zurück in den Wald zu flüchten, wobei ihm jedoch der Weg abgeschnitten wurde. Bei seiner Festnahme weinte er und erklärte, dass er über die Grenze wollte und dass „er eben Pech gehabt hatte, er bedauere, daß er allein den Versuch unternommen hat, sie sollen ihn doch erschießen“. Joachim Erdmann hatte die Absicht zu seinem Vater in die Bundesrepublik zu gehen.

Die Grenzer übergaben Joachim Erdmann der Volkspolizei. Auf dem Weg zum Volkspolizeirevier nach Bad Salzungen klagte er über Übelkeit. Er hatte noch an der Grenze nach seiner Entdeckung 100 Gramm Unkraut-Ex, Alkohol und Beruhigungstabletten eingenommen. Letztere hatte er wegen Schlafproblemen 14 Tage zuvor von seiner Mutter erhalten. Man brachte ihn mit Blaulicht in das Kreiskrankenhaus Bad Salzungen und von dort nach einer Erstdiagnose auf die Intensivstation des Bezirkskrankenhauses Meiningen. Dort war er nach der Einlieferung am Mittag zunächst noch einige Minuten ansprechbar, dann brach sein Kreislauf zusammen. Infusionen und Beatmung halfen nicht mehr, Joachim Erdmann starb gegen 17.45 Uhr. Einige Stunden später wurde seine Mutter über den Tod ihres Sohnes informiert. Vier Tage später durfte sie ihn in der Leichenhalle in Waltershausen noch einmal sehen. Nach Angaben einiger Freunde soll Joachim Erdmann geglaubt haben, an einer schweren Krankheit zu leiden. Nach der gerichtlichen Leichenschau wurde festgestellt, dass dies nicht der Fall war.

Joachim Erdmann befand sich gerade in einer Lehrausbildung zum Schmied in der Firma Federschmiede und Anhängerbau Tenkewitz in Gotha. Die Mutter konnte sich nicht vorstellen, dass sich ihr Sohn das Leben nehmen wollte. Es gab auch keine Anzeichen dafür, dass er die DDR verlassen wollte. Er habe sich vielmehr mit der Absicht getragen, als Waffen- oder Sprengmeister in der NVA zu dienen und viele Artikel über den Wehrdienst gelesen. Einhergehend mit seinem Interesse für das Soldatenleben beschäftigte er sich auch selbst mit Waffen und Sprengstoff. Er kannte die Zusammensetzung einzelner Sprengstoffe und experimentierte mit selbst hergestelltem Pulver.

Joachim Erdmann war ein begeisterter Judosportler. Seit seinem zwölften Lebensjahr trainierte er bei den „Judoka“ in Waltershausen und nahm auch an Wettkämpfen teil. So verabschiedete er sich auch, bevor er sich auf den Weg zur Grenze machte, von seiner Mutter mit der Bemerkung, er fahre nach Eisenach zum Wettkampf. Seinen Vater kannte Joachim Erdmann nicht. Als er ein Jahr alt war, verließ dieser die Familie und die DDR. (Recherche: MP, Autorin: MP)

Papiere und Gegenstände, die Joachim Erdmann bei sich hatte Quelle: Bundesarchiv