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Martin David

Es war eine Besuchsfahrt zu seinen Eltern im Westen, wie Martin David sie schon oft mit dem Fahrrad unternommen hatte. Diesmal aber kehrte er nicht zurück. Kurz vor der Grenze meinten zwei Volkspolizisten, einen „Grenzverletzer“ wahrgenommen zu haben, den es festzunehmen galt.

geboren am 25. November 1909 in Saalsdorf

erschossen am 15. Juni 1951

Ort des Zwischenfalls: Gehrendorf (Sachsen-Anhalt)

Martin David kam in Saalsdorf im Kreis Helmstedt zur Welt. Er heiratete 1934 und zog mit seiner Frau Gertrud nach Altena bei Helmstedt. Dort lebten auch seine Eltern, die auf einem Gut arbeiteten. Auf diesem Gut fand der damals 35-Jährige eine Anstellung als Landarbeiter. In den folgenden vier Jahren wechselten Gertrud und Martin David mehrfach ihre Arbeitsstellen in der Landwirtschaft und mussten deshalb auch des Öfteren umziehen. So wohnten und arbeiteten sie in Rätzlingen, in Etingen und schließlich in Lockstedt. Dorthin zogen sie kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges. Das Ehepaar hatte drei Kinder. Martin David diente seit Kriegsbeginn in der Wehrmacht. Erst drei Jahre nach Kriegsende kehrte er aus der britischen Kriegsgefangenschaft zurück. Seine Ehefrau war in der Zwischenzeit mit den Kindern von Lockstedt nach Gardelegen gezogen. Martin David arbeite dort seit Mitte 1948 als Friseur bei dem ortsansässigen Friseurmeister Müller. Er unterstützte seine Eltern in Altena so gut er konnte und besuchte sie häufig in der britischen Zone, was stets ohne Zwischenfälle verlief. Seine Frau sorgte sich dennoch um ihn und warnte ihn wieder und wieder vor der zunehmenden Gefahr der Grenzübertritte. Es sprach sich herum, dass seit Gründung der beiden deutschen Staaten die DDR-Grenzer immer häufiger von der Schusswaffe Gebrauch machten. Doch Martin David fühlte sich sicher, da ihn die Grenzpolizei schon mehrfach angehalten und überprüft hatte, um ihn dann zu seiner Familie zurückkehren zu lassen – bis zu jenem verhängnisvollen 15. Juni 1951.

An diesem Tag meldete das Grenzkommando Gehrendorf einen Schusswaffengebrauch „auf einen illegalen Grenzgänger mit tödlichem Ausgang”. Es war ein lauer Sommerabend, als Martin David gegen 18.30 Uhr seinen Heimatort Gardelegen verließ und sich mit dem Fahrrad auf den Weg zu seinen Eltern nach Altena machte. Der Weg über die Grenze war ihm vertraut, er hatte ihn schon oft zurückgelegt, um seine Eltern zu sehen. Gegen 20 Uhr sichteten Grenzposten des Kommandos Gehrendorf in der Nähe der Grenze einen Fahrradfahrer. Trotz mehrmaliger Warnrufe und der Abgabe von zwei Warnschüssen, sagten die Grenzer später aus, der Mann sei nicht stehengeblieben. Deswegen seien gezielte Schüsse aus etwa 500 Meter Entfernung abgegeben worden. Die trafen Martin David und zerschmetterten seine Wirbelsäule, den oberen Hüftknochen und den rechten Oberarm. Eine Kugel durchschlug auch einen Lungenflügel. Der Todesschütze, Volkspolizei-Wachtmeister Gerhard F., sagte später einem Zeugen, er habe nur auf das Fahrrad des Flüchtenden gezielt, um ihn an der Weiterfahrt zu hindern. Um besser zielen zu können, legte er seine Waffe auf einen Weidezaunpfahl auf. Nach der Schussabgabe liefen die beiden Grenzer zu der Stelle, an der Martin David vom Fahrrad gestürzt war. Dort traf gleichzeitig noch ein zweites Postenpaar ein, das in der Nähe eingesetzt war. Zunächst hätten sie nicht bemerkt, dass der gestürzte Radfahrer verletzt war. Ein vorbeifahrender Kübelwagen brachte David ins Krankenhaus nach Oebisfelde. Dort erlag er seinen Verletzungen gegen 20.30 Uhr.

Die Ehefrau des Verstorbenen erfuhr am Folgetag von einem Einwohner ihres Heimatortes, dass ihr Mann an der Grenze erschossen worden war. Wie sie einige Jahre später nach ihrer Flucht aus der DDR gegenüber der Staatsanwaltschaft in Helmstedt aussagte, suchte sie damals sofort die Grenzbereitschaft in Gardelegen auf und erkundigte sich nach ihrem Mann. Man erklärte, ihr Mann sei bei einem versuchten Grenzübertritt gestellt worden und habe auf Anrufe und Warnschüsse nicht reagiert. Deswegen sei es zu einer gezielten Schussabgabe gekommen. Nach dieser Auskunft machte sich Frau David sogleich auf den Weg ins Krankenhaus, um die Leiche ihres Mannes zu sehen. Dann ging sie zur Unglücksstelle an die Grenze. Sie musste die schreckliche Tatsache akzeptieren, dass ihr Mann nicht mehr wie gewohnt von seinem Besuch bei den Eltern nach Hause zurückkehren würde. Gegenüber der Staatsanwaltschaft in Helmstedt beklagte sie, dass die Grenzposten ihren Mann einfach hätten weiterfahren lassen können, um ihn dann festzunehmen. Von Grenzpolizisten der Grenzpolizeibereitschaft Oebisfelde hatte sie erfahren, dass sich ihr Mann auf dem Weg von Ost nach West bereits an der Aller befand, als er die Posten bemerkte. Daraufhin soll er umgekehrt und wieder zurück in Richtung Gehrendorf gefahren sein. Martin David befand sich etwa 500 Meter entfernt von der Aller und nur 50 Meter entfernt von der Straße Gehrendorf – Lockstedt, als die Grenzsoldaten mit Warnschüssen reagierten. Weiter erinnerte sich die Witwe daran, dass die Grenzpolizisten ihren Mann für einen Schieber gehalten hätten und darüber erstaunt gewesen seien, dass sie bei dem Verletzten keine Schmuggelware finden konnten.

Gertrud David erhielt einen Totenschein ausgehändigt, der als Todesursache „auf der Flucht erschossen” angab. Am 16. Juni 1951 wurde Martin David in Gardelegen zu Grabe getragen. Seine Witwe zog einige Jahre später mit den Kindern von Gardelegen nach Magdeburg, um sich andauernden behördlichen Schikanen zu entziehen. Doch auch dort fand sie keine Ruhe. Deswegen entschloss sie sich zur Flucht in die Bundesrepublik. Im Juni 1960 gelang es ihr, mit ihren Kindern über West-Berlin nach Helmstedt zu fliehen.

Die Staatsanwaltschaft Magdeburg reichte 1998 Anklage gegen den Todesschützen Gerhard F. ein. Das Landgericht Magdeburg sprach ihn 2001 von dem Vorwurf des Totschlags frei. (Recherchen: St.A., jk, MP, TP; Autorin: MP)