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Herta Amm

Als Spionin verdächtigt wurde die 26-jährige Grenzgängerin Herta Meta Amm im Juli 1950 inhaftiert. Nach mehrtägigen zum Teil wohl auch gewalttätigen Verhören starb sie in einer Haftzelle an Herzversagen.

Herta Amm
Bildquelle: privat Else Amm

geboren am 17. Juni 1924 in Behrungen

gestorben an Herzversagen nach Vernehmungen in Grenzhaft am 28. Juli 1950

Ort des Zwischenfalls: Grenzkommandantur Römhild (Thüringen)

Eine sportliche blonde Frau eilte am 19. Juli 1950 zu ihrem Bruder und bat ihn aufgelöst um Rat, weil sie zur Kommandantur der Grenzbereitschaft vorgeladen war. Der Bruder – er war Bauunternehmer und Behrunger Ortsbürgermeister – riet seiner Schwester, in jedem Falle wahrheitsgemäß auszusagen. Denn „mit der Wahrheit komme man immer am weitesten“. Als er wenig später seiner Schwester warme Kleidung in die Kommandantur brachte, durfte er sie nicht sprechen. Nach einer Woche vergeblichen Wartens und Fragens drohte er mit einer Beschwerde beim Thüringischen Ministerpräsidenten. Darauf erklärte man ihm, seine Schwester käme bald nach Hause, denn der Verdacht gegen sie habe sich nicht bestätigt. Bereits am darauffolgenden Tage wurde er telefonisch zur Grenzkommandantur nach Römhild bestellt. Doch anstelle des ersehnten Wiedersehens erwartete ihn eine schreckliche Nachricht: Ihm wurde „schonend beigebracht“, dass seine Schwester am Vortag verstorben war. In seiner Erregung beschimpfte er die Polizisten als „Mörder“. Diese wiederum versuchten zunächst den unter Schock stehenden Mann mit dem Versprechen zu beruhigen, dass der Vorfall untersucht würde. Fragwürdig erschien es dem Bruder, dass er die Leiche seiner Schwester nicht sehen durfte. Erst sechs Wochen später, am 2. September 1950, durfte er seine in einem Sarg liegende Schwester noch einmal sehen. Zu diesem Zeitpunkt ließ der Zustand der Leiche jedoch keine Spuren einer möglichen Misshandlung mehr erkennen. Am folgenden Tag erfolgte die Beisetzung auf dem Friedhof ihres Heimatortes Behrungen.

Die Amms waren eine alteingesessene Behrunger Familie. Der Vater, ein selbständiger Zimmermann, betrieb nebenbei eine Gaststätte. Aus der Ehe gingen vier Kinder hervor. Ein Sohn fiel im Krieg, Hertas Schwester litt unter einem schweren Herzfehler. Deshalb fiel der jüngeren Herta die gesamte Arbeit in der elterlichen Gastwirtschaft zu. Nach dem Schulabschluss hatte sie einige Zeit bei einer Pflegefamilie in Wiesbaden gelebt. Als ihre beiden Brüder zur Wehrmacht eingezogen wurden, kehrte sie nach Behrungen zurück, um in der Gastwirtschaft zu helfen. Nach Kriegsende verbrachte sie nochmals knapp vier Jahre in Wiesbaden bei den Pflegeeltern, kehrte dann aber 1949 wieder nach Behrungen und in die elterlichen Gastwirtschaft zurück. Sowohl die Familie des Bruders als auch Herta und ihre Schwester lebten in einer Wohnung des Gasthauses. Wie die meisten Dorfbewohner passierte Herta Amm des Öfteren ohne Genehmigung die nahe gelegene Grenze. Sie hielt weiterhin Kontakt zu ihrer Pflegefamilie. Der Bruder machte ihr deshalb Vorhaltungen, da er befürchtete, sein Ansehen als Bürgermeister könne Schaden leiden.

Er charakterisierte seine Schwester später als Mädchen, das nach außen den Eindruck einer gewissen Leichtlebigkeit machte, jedoch in Wirklichkeit tiefsinnig und schwermütig war. Seiner Meinung nach litt sie unter Depressionen, die er auf verschiedene Gründe zurückführte. Dazu gehörte auch die Erfahrung einer unglücklichen Liebe. Die junge Frau habe geglaubt, in ihrem Leben nicht mehr glücklich werden zu können.

Foto von Herta Amm                                       Bildquelle: privat Else Amm

Über den Tod von Herta Amm kursieren verschiedene Versionen. Staatlicherseits hieß es, sie habe in der Haft über Herzbeschwerden geklagt. Ein Vertragsarzt der Volkspolizei untersuchte sie deswegen am 26. Juli 1950. Der Arzt verordnete Herztropfen und erklärte sie für haftfähig. Nach Aussage eines Wachführers der Kommandantur habe Herta Amm in den ersten vier bis fünf Tagen ihrer Haft das Essen verweigert, auffällig viel Wasser getrunken und viel geraucht. Vielleicht wurden den nächtlichen Verhören aber auch durch Nahrungsentzug Nachdruck verliehen. Ein solches Vorgehen ist durch einen anderen Inhaftierten der Grenzkommandantur Römhild überliefert. Am Tage ihres plötzlichen Todes aß Herta Amm ausgiebig: Zum Frühstück bekam sie vier Scheiben Brot mit Marmelade und Kaffee, anschließend noch Schinken und Brot, die ihr Bruder ihr mitgebracht hatte, zu Mittag einen Teller Krautsuppe, gegen 19.30 Uhr noch zwei Teller davon. Dann bat sie um ein Messer, um von dem Schinken und Brot etwas abschneiden zu können. Nach dem Abendessen erhielt sie ihre Herztropfen. Noch vor dem Verschließen der Zelle legte sie sich auf die Pritsche. Der Schließer sah noch, wie sie sich plötzlich krümmte, die Beine anzog, sich in ihre Schlafdecke krallte und vor Schmerzen hinein biss. Als man sie gegen 20.15 Uhr zur Vernehmung holen wollte, zeigte sie keine Lebenszeichen mehr. Da der sofort hinzugezogene Arzt die Todesursache nicht feststellen konnte, wurde die Mordkommission Meiningen verständigt. Am 29. Juli 1950, gegen 2.30 Uhr trafen Angehörige der Kripo Hildburghausen mit einer Ärztekommission ein. Doch man blieb ratlos. Die Untersuchung am gerichtlich-medizinischen Institut in Jena ergab Tage später: „Vergiftungserscheinungen und innere Blutungen am Hals“. Laut Obduktionsprotokoll hatte Herta Amm am Vortage ihres Todes über Herzbeschwerden geklagt, worauf ihr der Arzt ein neuartiges Mittel verabreichte. Dieses könnte zu Veränderungen im Blut geführt und damit ihren Tod verursacht haben. Eine chemische Untersuchung ergab schließlich: Aufgrund einer herdförmigen Entzündung und einzelnen Blutungen im Herzmuskel war der Tod sehr wahrscheinlich durch akutes Herzversagen infolge einer schubweise verlaufenden Herzmuskelentzündung eingetreten.

Der Bruder – noch immer im Unklaren über die Todesumstände seiner Schwester – konnte sich lediglich aufgrund von Gerüchten aus der Gemeinde und Aussagen von Mithäftlingen ein ungefähres Bild machen. Das fiel, wie er nach seiner Flucht in die Bundesrepublik 1957 aussagte, ganz anders aus, als die kargen Mitteilungen von offizieller Seite. Eine Haftgefährtin berichtete, dass seine Schwester unter der Bezichtigung, eine amerikanische Agentin zu sein, harten Vernehmungen unterzogen wurde. Ihr wurden häufige Grenzpassagen über die Demarkationslinie in den Westen vorgehalten sowie angebliche Fragen nach dienstlichen Aufgaben und Personalien von in Behrungen stationierten Volkspolizisten und dass sie einem Volkspolizei-Wachtmeister aus Behrungen bei dessen Desertion behilflich gewesen sei. Aus diesen Gründen habe der sowjetische Überwachungsoffizier ihre „Festnahme und gründliche Vernehmung“ angeordnet. Sie sei dann auf der Kommandantur täglich unter Scheinwerferbestrahlung vernommen worden. Bei ihren Verhören habe sie in kaltem Wasser stehen müssen und sei Misshandlungen ausgesetzt gewesen. Deswegen habe sie den Herzschlag erlitten.

Der Spionageverdacht gegen Herta Amm bestätigte sich letztlich nicht. Inwieweit ihr Tod auf einer gesundheitlichen Vorbelastung beruhte, ob womöglich ein bislang unerkannter Herzfehler zu Tage trat, ob die Vernehmungen, die Haftumstände oder gar Folter eine Rolle spielten? Das überlieferte Schriftgut und die darin enthaltenen widerstreitenden Angaben lassen eine abschließende Beantwortung dieser Fragen nicht zu. Hertha Amms Schwägerin, Frau Else Amm, teilte im November 2017 dem Forschungsverbund SED-Staat mit, "dass ihre Schwägerin bis zum Zeitpunkt ihrer Inhaftierung keinerlei Herzbeschwerden hatte".

Das nach dem Ende der DDR zur Klärung der Todesumstände Herta Amms eingeleitete Ermittlungsverfahren wurde im September 1994 eingestellt, nachdem die polizeiliche Suche nach Tatverdächtigen ergebnislos verlaufen war. (Recherche: MP, US; Autorin: MP)