Angelica Rieger (Aachen) Meritxell Simó, Annalisa Mirizio y Virginia Trueba (ed.) (2018): Los trovadores. Recepción, creación y crítica en la Edad Media y la Edad Contemporánea. Kassel: Reichenberger.Der
Band versammelt aus explizit pluralistischer Perspektive vierzehn aus
dem
gleichnamigen Forschungsprojekt mit dem Schwerpunkt Trobadorrezeption
hervorgegangene Aufsätze zu einem breiten Themenspektrum. Der
einleitende
Artikel, "Los trovadores: creación,
recepción y crítica en la Edad
Media y en la Edad Contemporánea"
von Meritxell Simó (1–8) führt in
die Fragestellung ein und gibt als Zielsetzung eine Sondierung des
Terrains
vor: "no tanto una 'historia' de la recepción
crítica y
creativa de la poesía trovadoresca como una 'serie' de calas
en esa recepción"
(2).
Damit wird ein breitgefächerter Rezeptionsbegriff zu Grunde
gelegt. Die ersten
beiden Beträge nähern sich dem Gattungsbegriff an,
Anna Maria Mussons Freixas
dem Kreuzlied ("Canso de crozada, creación de un modelo?",
9–40) und Merixell Simó der Tenzone ("El debate entre trovadores y trouvères
a través de les inserciones líricas del Roman
de la Violette",
81–104). Die
übrigen Beiträge sind
literaturübergreifenden Rezeptionsphänomenen
gewidmet,
zum einen im iberoromanischen Raum, zur katalanischen
Handschriftenüberlieferung – "La recepcio dels
trobadors a Catalunya i la transmissió manuscrita"
von Miriam Cabré (41–58) –
und zur gallegoportugiesischen Lyrik in "La cantiga de amor: entre tradición y
recepción"
von Pilar
Lorenzo Gradín (59–80). Zeitübergreifend
führen uns Francesco Zambon in "Alle origini del mito trobadorico contemporaneo:
Fabre d'Olivet
tra mistificazione e felibritge"
(105–120) ins frühe 19. Jahrhundert und in
die Provence zu Fabre d'Olivet sowie Ángeles
Ciprés Palacín in "Los trovadores en los discursos de la Real
Academia
Española"
(121–139) zur spanischen Real Academia. Einen weiteren
Schwerpunkt bildet –
laut Meritxell Simó
"la referencia obligada en el caso de la
recepción
contemporánea de los trovadores, la escritura de Ezra Pound"
(3) –,
dem gleich
zwei Beiträge gewidmet sind, Roberta Capelli und Carlo Pulsoni
gehen in "Ezra Pound cultore del Medioevo"
(141–159) der
Tiefe der so bekannten Passion des amerikanischen Dichters für
die Trobadors,
dass sogar Walking Tours in Southern
France: Ezra Pound and the Troubadours (2011) angeboten
werden, auf den
Grund. Wirklich Neues zu unserem Bild Ezra Pounds trägt Isabell de Riquer mit der Edition eines bisher unveröffentlichten Briefs Salvador Esprius an Martín de Riquer vom 12. August 1981 bei (186). Unglücklicherweise fehlt Martín de Riquers Anteil an der Korrespondenz, da Espriu eingehende Post stets zu vernichten pflegte, so dass man sich seinen Part im Dialog nur aus Esprius Antworten erschließen kann. Isabel de Riquer widmet ihren Beitrag "Ezra Pound en Barcelona. Cartas entre Martín de Riquer y Salvador Espriu" (161–186) einem bemerkenswerten amerikano-katalanischen Rezeptionsdreieck. Nach einer minutiösen Zusammenfassung von Ezra Pounds Trobadorkenntnissen sowie einem Überblick über die Verbindungslinien zwischen allen Beteiligten – ausgehend in einem Unterkapitel von der Doktorarbeit keines geringeren als Carlos Pujol, La obra de Ezra Pound en sus relaciones con la lírica románica medieval (1959). PhiN 89/2020: 71 Ein
weiteres Unterkapitel beleuchtet die Vermittlerwirkung Juan Ramón
Masoliviers zwischen Ezra
Pound, mit dem ihn vor allem die gemeinsame Bewunderung für
den italienischen
Dichter Guido Cavalcanti verband, und Martín de Riquer. Es
folgt die Ziehung
der Verbindungslinien zwischen Salvador Espriu und Ezra Pound bis hin
zum
entscheidenden "Verso de Pound que motivó el intercambio
epistolar entre
Riquer y Espriu" (178–181), der zurückgeht auf den
Bertran de Born
bisweilen zugeschriebenen planh,
das
Klagelied Si tuit li dol e.l plor e.lh
marrimen, für König Heinrich II. den
Jüngeren, und Pounds originelle
Übersetzung von dessen Vers 12, "Trop an agut en Mort mortal
guerrier"
mit "O'er much hath ta'en Sir Death that deadly warrior" (179).
Martín de Riquer als Kenner, der Bertran de Born in seinem
wissenschaftlichen
Werk großen Platz einräumte und sechzehn Werke des
Trobadors in seine Trovadores-Anthologie
aufnahm, scheint
an dieser auf einem Übersetzungsfehler basierenden
Interpretation des Todes als
edlen Krieger, würdig, den jungen König
herauszufordern und zu besiegen,
Gefallen gefunden zu haben. Und so ist es kein Wunder, dass er mit
Espriu, der
1952 eine Gedichtsammlung unter dem Titel Mrs.
Death publiziert hatte, darüber ins
Gespräch kam oder genauer
korrespondierte. Espriu ist begeistert: "M'ha encantad el que em contes
del vers de Bertran de Born, dan equivocadament però am
tanta bellesa traduït
per Pound". Die Briefanalyse zeigt eindrücklich, wie verzweigt
die Wege
der Trobadorlieder in der Rezeptionsgeschichte sein können. Was
in diesem Kontext zu unterstreichen ist: Die Trobadorrezeption in
Katalonien,
ja im gesamten iberischen Raum ist ab dem Erscheinen von
Martín de Riquers
dreibändiger Anthologie Los
trovadores
im Jahr 1975 geprägt, so dass ihm als Kanalisator ganzer
Kritiker- und
Dichtergenerationen, die die gesamte Trobadorlyrik aus seiner
Perspektive
wahrnahmen, unbedingt einen Beitrag zur Analyse einer solchen
Schlüsselposition
in diesem Band zu widmen gewesen wäre. Auch
die beiden folgenden Beiträge von Virginia Trueba und Maria
Espadaler stehen im
Zeichen dieser Riquer-Rezeption. Sie bewegen sich im
universitären und
intellektuellen Ambiente Barcelonas und haben – wie die
folgenden Beiträge –
wohl auch zu dem Dreiklang "recepción, creación y
crítica" im
Bandtitel geführt; denn sie fallen, hier unter creación
zusammengefasst, eher unter den Begriff reescritura
und damit in den Bereich der
Intertextualität. So zeigt Virginia Trueba in "El poema, esa reseva inagotable de lenguaje (de
Leopoldo María Panero a
Guilhem de Peitieu)"
(187–211) am Beispiel des, wie sie es nennt,
postmetaphysischen dichterischen
Schaffens Paneros, wie das berühmte Lied Farai
un vers de dreit nien (Ich mach ein
Lied aus reinem Nichts) des so genannten ersten Trobadors,
Guilhem de
Peitieus, gefiltert durch Generationen von Kritikern, darunter Derrida
und
Lacan, auf eine Dichtergeneration stieß, im Zentrum derer
negativer Weltsicht
eben ein Konzept des Nichts / nada
stand. Auch Anton Maria Espadaler verfolgt in "Els trobadors entre Joan
Brosa i Enric Casasses. Un tast" (213–226) den trobador
revival durch katalanische Autoren der neunziger Jahre des
20. Jahrhunderts, insbesondere am Beispiel von Dolors Miquel und Enric
Casasses. PhiN 89/2020: 72 Edgardo
Dobry, "La transfiguración del amor
de lonh en la literatura moderna"
(227–235) leitet einen amor de lonh-Block
ein, der dem
trobadoresken und maßgeblich von Jaufre Rudel
geprägten Konzept der amor de lonh
/ Fernliebe nachspürt. Wie
auch beim Nichts / nada wird
deutlich, dass diese Form der reescritura
trobadoresker Konzepte seine Wurzel im literarischen Ambiente der
Epoche hat.
Victoria Cirlot verfolgt in "La otra cruzada: el amor de lejos de
Jaufré
Rudel" (237–252) sowohl den Zusammenhang mit den
Kreuzzügen als auch die
Notwendigkeit einer Akzentversetzung von diesem historischen zu einem
innovativen Traum(-Reise) und Visionskonzept, wie es Amin Maalouf in
seinem
Libretto für Kaia Saariahos Oper zur vida
des Trobadors unter dem Titel Amour de
loin zelebriert. Ich stimme mit Victoria Cirlot in der
komplexen
Interpretation des Rudel-Mythos durch Maalouf überein, komme
aber zu in meiner
Studie zur "Amour de loin. Über die
Geschicke eines schicksalhaften
Motivs: Amin Maalouf und Jaufre Rudel" zu einer weniger optimistischen
abschließenden Deutung: "Egoismus und Pessimismus
rücken Amin Maaloufs
Verständnis von der Amour de loin in den
leeren Raum einer Art 'klassischer
Postmoderne', die sich besonders in der Gestaltung seiner Figuren
niederschlägt
und in eigenartigem Widerspruch zu seiner explizit
aufklärerischen Mission als
Autor und Mittler zwischen den Kulturen steht" (Raumerfahrung
–
Raumerfindung, Berlin 2005, 312). Abschließend
geht Annalisa Mirizio in "La ab joy en
la poética de Pier Paolo
Pasolini: usos de la herencia provenzal y construcción de la
imagen de escritor"
(253–270)
der Übertragung eines weiteren komplexen trobadoresken
Schlüsselkonzepts auf
den Grund: der Lebens- und Liebesfreude, joy,
durch Pier Paolo Pasolini transformiert in eine Art Lebensnostalgie. Der
gewollt pluralistische Ansatz mit seinen laut Meritxell Simó
gewollten "enfoques
metodologicos distintos" (3) schützt den Sammelband vor dem
Vorwurf, in
ihm seien Studien zusammengewürfelt, die eigentlich nicht
zusammengehören. Der
Blick schweift von der Kreuzzugslyrik und ihrem historischen Kontext
über den
Einsatz der Trobadordichtung im altfranzösischen Roman, deren
handschriftliche
Überlieferung und deren Rezeption in verschiedenen Kulturen
und Literaturen bis
hin zu deren politischen und postmodernen Implikationen. Er setzt
ebenso auf
Schlüsselkonzepte der Trobadorlyrik wie auf deren
Appropriation und
Resemantisierung, hauptsächlich aber nicht
ausschließlich im katalanischen
Ambiente. Und so verschieden diese Blickwinkel sind, so verschieden ist
auch
die fachliche Herangehensweise der einzelnen Autorinnen und Autoren.
Die Basis
für die Erfüllung des Wunschs Merixell
Simós, mit diesen diversen Studien
Fenster auf künftige Auseinandersetzungen mit
Rezeptionsphänomenen aus den
verschiedensten Blickwinkeln zu öffnen, ist gelegt;
nichtsdestoweniger wirkt
der Band bei einer Gesamtlektüre heteroklit – was
allerdings der Rezeption der
Einzelstudien in ihrem jeweiligen Forschungsbereich keinen Abbruch tut. Der
kleinste gemeinsame Nenner ist gewiss, dass der Band eine
Grundüberzeugung
aller Beitragenden widerspiegelt, die ich voll mittragen kann: Die
Trobadorlyrik
ist die Basis der volkssprachlichen europäischen Literatur.
Viele ihrer
Ausformungen sind Rezeptionsformen. |